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1 DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 02.07.2013 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 20.00 Uhr „Mich interessiert nur meine Sicht der Dinge“ Der Filmregisseur Romuald Karmakar Von Aishe Malekshahi Co-Produktion WDR/BR/DLF/SWR URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. - Unkorrigiertes Manuskript -

Der Filmregisseur Romuald Karmakar Von Aishe … · Nicht die lange Nacht. „Die Nacht singt ihre Lieder.“ ... der 1924 in Hannover verhaftet wird, ist Karmakars Durchbruch und

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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 02.07.2013 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 – 20.00 Uhr

„Mich interessiert nur meine Sicht der Dinge“

Der Filmregisseur Romuald Karmakar

Von Aishe Malekshahi

Co-Produktion WDR/BR/DLF/SWR

URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

- Unkorrigiertes Manuskript -

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Atmo

O-Ton Romuald Karmakar (Flughafen):

„Ich glaube - so über die Jahre hinweg - wären fast gar keine meiner Projekte entstanden,

wenn ich immer darauf geachtet hätte, was irgendjemand meint und sagt und glaubt und

mir empfiehlt.“

Musik / Akzent

O-Ton: Romuald Karmakar

„Als wir angefangen haben, unsere Super 8 Kamera gekauft haben, wir wollten auf jeden

Fall harte Filme drehen. Es war für uns ganz klar, dass wir gesagt haben, wir machen

harte Underground-Filme und es musste alles echt sein.

Das war unser Anspruch, dass es eine Echtheit hat. Wenn ein Mann mit einer Frau schläft,

dann muss die Penetration im Film gezeigt werden. Das war der Anspruch radikale und

harte Filme zu drehen.“

Ansage:

„Mich interessiert nur meine Sicht der Dinge“

Der Filmregisseur Romuald Karmakar

Ein Feature von Aishe Malekshahi

Atmo / O-Ton: Pressekonferenz Berlinale, 2004

[Moderator Josef Schnelle:] Hallo, ich darf Sie begrüßen zur Pressekonferenz des Films

„Die lange Nacht singt ihre Lieder.“ – [Romuald Karmakar:] Schon falsch, schon falsch! –

[JS:]„Die Nacht singt ihre Lieder.“ Nicht die lange Nacht. „Die Nacht singt ihre Lieder.“ Dem

ersten deutschen Beitrag im diesjährigen Berlinale Programm. Ich darf zunächst einmal

vorstellen, wer auf dem Podium sitzt, direkt neben mir, der Regisseur des Films „Die Nacht

singt ihre Lieder“, Romuald Karmakar. – [RK:] Ich bin auch der Produzent. Das ist nicht

unwichtig. Entschuldigung. Wir sind gut vorbereitet, Sie müssen auch gut vorbereitet sein.“

O-Ton: Romuald Karmakar:

„Es gab so eine Zeit – das war 1988 als zum ersten Mal ein Film von mir auf der Berlinale

lief, wo ich im Anschluss daran, immer sehr gerne auf Filmfestivals gefahren bin, weil ich

es toll fand. Es war so meine Art Filmhochschule. Ich bin mit irgendeinem Kurzfilm nach

Barcelona eingeladen worden und habe den Produzenten der Filme von John Cassavetes

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kennengelernt, so habe ich die Filme von John Cassavetes kennengelernt. Das war eine

sehr interessante Zeit. Das habe ich nach „Totmacher“ aufgehört. Nach Totmacher hat sich

das für mich erschöpft, diese Reiserei und der Besuch der Festivals.“

Autorin:

„Der Totmacher“, die Geschichte des Massenmörders Fritz Haarmann, der 1924 in

Hannover verhaftet wird, ist Karmakars Durchbruch und spielt in einem Verhörzimmer.

„Das Frankfurter Kreuz“ heißt ein Ladenkiosk, der zur Menschenbühne wird. „Manila“

erzählt von deutschen Ferntouristen, die im Transitraum des Flughafens warten müssen.

Die Filme des Regisseurs Romuald Karmakar sind Kammerspiele. Fast immer konzentriert

auf einen Raum: Auch das Drama „Die Nacht singt ihre Lieder“ bleibt in einer Berliner

Wohnung, erfasst so die Einsamkeit eines jungen Paares an seinem letzten gemeinsamen

Abend.

Dieser Spielfilm lief im Wettbewerb der Berlinale, 2004.

Atmo O-Ton: Pressekonferenz Berlinale, 2004

[Der Journalist Rüdiger Suchsland:] Darf ich mal eine Frage stellen. Ich finde es traurig,

dass einige Kollegen sich nicht auf einen Film einlassen können, der ihrer Erfahrung

widerspricht. Ich möchte auf diesen Film zurückkommen. Und erst eine Frage stellen an

den Regisseur: Wie verhält sich das Stück zu dem, was wir als Sprache in dem Film

gesehen und gehört haben? Und aus welchen Kriterien haben Sie aus dem Theaterstück

einen Kinofilm gedreht? - [R. Karmakar:] Ich möchte das ganz kurz am Beispiel der

Eröffnung des Filmes darstellen. Der Film beginnt in Weiß, – parallel dazu läuft die Musik -

als nächstes erkennen wir die Silhouette einer Frau, wir erkennen Anne Ratte-Polle, die

sich umdreht, die durch die Tür rein kommt, hinter dem Vorhang, dem gleißenden Licht,

erscheint. Sie kommt auf uns zu, wir erkennen sie zum ersten Mal voll, wir fahren vor ihr

her, durch das Schlafzimmer, sie sagt, „ich halte das nicht mehr aus“, zu sich selbst, (...)

dann sagt sie, „nein, ich schaffe das nicht“, zu sich selbst, gleichzeitig zu einem Zweiten.

Dann kommt der dritte Satz, „wir können so nicht weiterleben“ (...) Wir wissen noch nicht

zu wem sie es sagt. Die Kamera fährt weiter, während sie auf uns zugeht. Die Kamera

fährt durch das Wohnzimmer. Wir erkennen, dass Frank Giering auf dem Sofa liegt. Wir

wissen, dass es die zweite Person ist. Das ist eine einzige Darstellung. Sehr geehrte

Damen und Herren, Sie beschäftigen sich mit Film. Wenn Sie das nicht als Kino erkennen,

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dann haben Sie keine Ahnung vom Theater.“

Musik / Akzent

O-Ton: Manfred Zapatka

„Ich glaube, seine Absicht ist der besondere Blick: Wo ist Lüge? Wo ist Wahrheit? Wo ist

Verstellung, wo ist Offenheit? Wo will man etwas verschweigen, wo will man etwas nicht

sagen?!“

Autorin:

Der Schauspieler Manfred Zapatka war – bis auf den „Totmacher“ – in fast allen

Spielfilmen von Romuald Karmakar zu sehen. Seine Rollen: einsamer Wolf, sexhungriger

Monteur, wortkarger Vater.

O-Ton: Manfred Zapatka

„Das ist sein besonderer Blick auf eine Gesellschaft – den eigentlich mehr haben sollten.

Das ist eine ganz spezielle Art auf Leute zu gucken, auf Verhältnisse zu sehen, ja!“

Musik

Autorin:

Das Jahr 2012 war Romuald Karmakars Jahr! Fast zeitgleich kamen die Einladungen nach

Harvard und nach Venedig! Die renommierte amerikanische Universität lockte mit einem

Forschungsstipendium, Venedig mit einer Ausstellung im Deutschen Pavillon auf der 55.

Kunstbiennale. Karmakar sagt zu beidem ja!

O-Ton: Romuald Karmakar (Radcliffe)

„Man überlegt, was passiert da? Weil, 2010, 2011, hatte ich ja überlegt aufzuhören – das

hatte mit der Retro im österreichischen Filmmuseum zu tun gehabt, dann waren wir

eingeladen nach Südkorea – das waren so tolle Höhepunkte, aber das war auch

gleichzeitig die Vergegenwärtigung dessen – was man die ganzen 20, 25 Jahre davor

gemacht hat.“

Atmo-O-Ton: Pressekonferenz Berlinale. Karmakar:

„Es kann nicht mehr sein, dass wir 200 Jahre nach Kant, dass wir immer noch nicht mit

den Grundwerten der Aufklärung im reinen sind. Auch im Kino ist es wichtig, dass es

mündige Zuschauer gibt. Auch mündige Journalisten, die fähig sind, ihrem eigenen Urteil

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zu trauen. Die fähig sind und auch Mut haben, ihrem eigenen Urteil und ihrer eigenen

Urteilsfähigkeit zu folgen.“

O-Ton: Romuald Karmakar (Radcliffe):

„2010 war auch die Überlegung, ob man die Lust und Energie hat noch mal 20-25 Jahre

zu geben. Noch mal ins Zeug zu legen, die ganzen Widerstände beiseite zu räumen, zu

überleben, zu kämpfen - so war das“.

Atmo – O-Ton: Pressekonferenz Berlinale. Romuald Karmakar:

„Wir sind es gewohnt, dass wir alles vorgegeben haben wollen. Dass wir Filme haben

wollen, die so viel Musik haben, dass wir gar keine eigene Emotion zulassen will, weil das

alles, alles, alles abgenommen werden soll. Und ich denke, dass ist nicht das, was Kino

kann. Kino kann viel mehr. Kino kann dem Zuschauer, natürlich auch dem Journalisten,

die Möglichkeit geben, eigene Dinge zu entdecken, eigene Bilder zu lesen. Nur das

gegenwärtige Kino... Ich will jetzt auch nichts gegen das amerikanische Kino sagen, weil

ich sehr viel amerikanisches Kino sehe. Es nur so, dass wir immer mehr, beim Lösen einer

Kinokarte, auch unser eigenes Selbst abgeben. Und im Grunde genommen bevormundet

werden wollen, die ganzen 90 oder 120 Minuten lang. Ich glaube, dass die Grammatik des

Kinos viel breiter ist als diese Selbst-Reduktion.“

Musik

Autorin:

Seit September 2012 lebt der Filmregisseur Romuald Karmakar als Stipendiat des

Radcliffe Instituts for Advanced Study Harvard University in den USA. Hier arbeitet er an

einem neuen Filmstoff über den SS-Standartenführer Walter Rauff. Zwischendurch

unterbricht er seine Recherchen und fliegt nach Europa, um seinen Auftritt für Venedig zu

besprechen. Daheim – das heißt in Deutschland - hat kaum einer aus der Branche die

jüngsten, beruflichen Entwicklungen von ihm mitbekommen.

Musik / Akzent

Sprecher:

Rückblende – Das Vorspiel von Venedig.

Atmo: Venedig / Vaporetto / Weg zum Pavillon

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Autorin:

Das Vaporetto gleitet durch den Kanal an den Palazzi vorbei, stoppt an den Arsenalen. Die

alten Schiffshallen sind ein Schauplatz von vielen auf der 55. Kunstbiennale. Langsam

setzt sich das Boot wieder in Bewegung, hält an den Giardini. Im weitläufigen Park stehen

die Länderpavillons. Sechs Monate wird hier zeitgenössische Kunst aus allen Kontinenten

gezeigt.

Atmo Kiesweg / Musik

Autorin:

Am Ende des Kiesweges steht der klassizistische Bau der Engländer, flankiert vom

deutschen und französischen Pavillon. Ende 2012 haben die Kommissare der

Länderpavillons - die Französin Christine Macel und ihre deutsche Kollegin Susanne

Gaensheimer – beschlossen, die Gebäude zu tauschen. Grund war der 50. Jahrestag des

deutsch-französischen Freundschaftsvertrags.

Autorin:

Karmakar teilt sich die Räume mit der indischen Fotografin Dayanita Singh, dem

chinesischen Künstler Ai Weiwei und mit dem südafrikanischen Fotografen Santu

Mofokeng.

O-Ton: Romuald Karmakar (Büro)

„Na ja, die Überschrift in des TAZ Artikels war „Hippe Gastarbeiter“. Was schon mal ein

ziemlich harter Text ist. Und dann ist halt so, dass eben am Ende des Textes - halt die

Frage aufkommt, ob es denn nicht genug deutsch-stämmige Künstler gibt.“

O-Ton: Susanne Gaensheimer

„Zunächst möchte ich schon mal ganz deutlich sagen, dass Romuald Karmakar für mich

ein deutscher Künstler ist. Er hat zwar - wie ich erst auf unserer Reise nach Venedig

erfahren habe - mit Erstaunen - tatsächlich einen französischen Pass – das ist fast wie

eine Ironie der ganzen Situation, das wusste ich vorher nicht.“

Autorin:

Susanne Gaensheimer, Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main.

2011 und 2013 Kommissarin des Deutschen Pavillons in Venedig.

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O-Ton: Susanne Gaensheimer

„Aber rein von seiner Arbeit her, auch von seiner Biografie, er lebt ja seit er 18 ist in

Deutschland, ist auch in Deutschland geboren, hat dann eben nicht nur seine

professionelle Karriere in Deutschland gemacht – vor allem die Themen mit denen er sich

beschäftigt in seiner Arbeit, das sind ja ganz zentrale Themen dieses Landes und seiner

Geschichte.“

Autorin:

Susanne Gaensheimer hat die Kritik registriert. Schon beim ersten Mal wurde ihre

Entscheidung für den Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief nicht immer nur

freundlich kommentiert. Nach seinem Tod – im August 2010 - setzte sie ihre Arbeit mit

seiner Frau Aino Laberenz fort und wandelte den gesamten Deutschen Pavillon in die

Schlingensiefsche Bühneninstallation „Church of Fear“ um.

Karmakar hat sich 2011 Schlingensiefs Pavillon angesehen. Er war sowieso in Venedig

und der Einladung des Filmfestivals gefolgt.

O-Ton: Romuald Karmakar, 2004

„Alles was ich gemacht habe, entsteht nicht aus dem Gedanken heraus, dass ich Leute

provozieren oder ärgern will, sondern sie entstehen, weil mich die Sachen interessieren,

und mich diese Art die Dinge so zu erzählen interessiert. Und vor allem setze ich das nicht

als Mittel ein um irgendwas zu provozieren – so wie der Christoph das macht, der

Schlingensief, der abschätzen kann, wenn er kopulierend über die Bühne geht, oder Geld

aus dem Fenster rauswirft, dass es dann so eine Reaktion gibt – das kann ich nicht. Ich

weiß gar nicht, wie das geht. Ich versuche das, was mich interessiert, mit der Sprache, die

meiner Meinung nach für die Geschichte richtig ist, einen Film zu machen.“

O-Ton: Susanne Gaensheimer

„Wenn Romuald - man kann sagen, radikal politisch ist – dann ist eher Dayanita

biographisch und bei Santu – der hat eine dokumentarische Haltung und Ai Weiwei findet

Metaphern für ganz grundsätzliche Verhältnisse und das, was ich mir erhoffe, dass diese

vier Positionen auch einen unterschiedlichen Blick auf vier kulturelle Perspektiven,

Lebensformen ermöglichen.“

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Musik / Akzent

Sprecher:

Schauplatz: Somerville, Cambridge, Massachussettes.

Atmo: Wohngegend / USA

Autorin:

In Somerville, USA, einem kleinen Ort mit gemütlichen Cafés und Kneipen gleich neben

der Universitätsstadt Cambridge wohnt Romuald Karmakar.

Atmo: Straße, Somerville, Harvard

Autorin:

In den USA recherchiert Karmakar über den SS-Offizier Walter Rauff und genießt die

neuen finanziellen Freiheiten: Jeden Monat trifft ein Scheck ein, er hat keine

Lehrverpflichtungen, kann in Ruhe über seine Präsentation auf der Kunstbiennale in

Venedig nachdenken – immer unterstützt von zwei Assistentinnen.

Atmo Büro

Autorin:

Romuald Karmakar ist einer von fünfzig Fellows, die in diesem Jahr nach Harvard berufen

wurden.

Atmo Büro

O-Ton: Karmakar (Radcliffe)

„Mich begeistert es mit einem Neuro-Biologen zusammenzusitzen oder mit einem

Astrophysiker oder mit jemanden, der Quasikristalle in Ostsibirien sucht oder irgendwelche

Computerwissenschaftler von MIT oder Seattle, oder was weiß ich. Das ist schon

wahnsinnig.“

Autorin:

In Harvard ist es üblich, dass die Stipendiaten sich den anderen mit einem Vortrag

vorstellen.

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O-Ton: Karmakar (Radcliffe)

„Man spürt schon, dass manche Leute nicht damit umgehen können, dass manche jetzt

nicht Professor sind. Ich hatte auch am Anfang das Gefühl, dass es Vorurteile gegenüber

Deutsche gibt – auch hier in diesem Milieu – obwohl ich gar kein Deutscher bin – aber

aufgrund meines deutschen Akzents musste ich mich mit so Merkwürdigkeiten

auseinandersetzen, die mich an Vorurteile gegenüber Deutschen aus dem 1. Weltkrieg

erinnern. So. Dann - das nicht jeder eben Voll-Akademiker ist. Und dann auch so eine

Sache, dass Akademiker auch so wahnsinnig spießige Menschen sind. Akademiker sind

keine Lebensvorbilder für mich, ja. (lacht).“

Musik

Sprecher:

Rückblende: „Ich habe keinen Kirschgarten“

Autorin:

1965 wird Romuald Karmakar in Wiesbaden geboren. Er ist französischer Staatsbürger,

wächst in Deutschland und in Athen auf. Lebt seit 2000 in Berlin.

O-Ton: Karmakar, 2004

„Ich bin eigentlich froh, dass ich die Möglichkeit habe mit meinem indischen Adoptivvater

über das Wiederaufleben des indischen Romans zu reden. Mit meinem griechischen

Stiefvater über die Militärjunta reden, die ja bis 1974 ging. Und meinem persischen Vater,

der ja mein eigentlicher Vater ist, den kenne ich ja gar nicht. Und dann habe ich eine

französische Mutter, die aus dem Elsass kommt. Das sind alles so Überlagerungen. Was

da jetzt so das deutsche ist, das (...). Das würde das alles ja klein machen.“

Musik

Autorin:

Trotzdem charakterisiert ihn eine Zeitung als „europäisierten Iraner“.

O-Ton: Karmakar, 2004

„Ich bin so oft weggewesen. Ich habe zum Beispiel keinen Ort, wo meine Kindheit war,

einen Kirschgarten, wo wir immer vorbei gefahren sind. Zum Beispiel, als ich in Athen

gelebt habe, habe ich mich da überhaupt nicht wohlgefühlt. Die Zeit als wir in Baden-

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Baden waren, da war ich mit meiner Mutter. Das war eben siebziger Jahre. Das war für

eine alleinstehende Frau, die berufstätig ist und einen Sohn alleine groß zieht, war das in

diesem katholischen Milieu ein großes Problem. Ich habe nur negative Erinnerungen an

diese Zeit, an die Wiesbadener Zeit, da war ich halt sieben. Zum Beispiel, als „Totmacher“

in Venedig lief und heraus kam, Karmakar aus Wiesbaden, da haben ganz viele Leute aus

meiner Jugendzeit, zum Beispiel die Lehrerin aus dem Kinderhort, mir geschrieben.

Einerseits freut einen das und einerseits macht einen das auch Angst. Es ist so ein

Wechselspiel zwischen Nähe, Bekanntheit, Vertrautheit und Distanz.“

Atmo / O –Ton: Lecture/ Harvard / Publikum nimmt im Saal Platz / Dekanin stellt Karmakar

vor.

Autorin:

Heute ist in Harvard Karmakar´s Vorstellungstag.

Atmo / O –Ton: Lecture/ Harvard

Autorin:

Bis in die frühen Morgenstunden hat Romuald Karmakar an seinem Vortrag gefeilt. Jetzt

steht er mit schwarzem Jackett und weißem Hemd am Rednerpult, sortiert seine Papiere

auf denen nur Stichwörter stehen: Begrüßung, Mailman Clip, Military Compulsory/

Wehrpflicht/ Hunde aus Samt und Stahl. Sein Blick geht zur Leinwand, dann wendet er

sich dem Publikum zu.

Atmo - O-Ton: Karmakar

„Dear Judy, Dear Liz Cohen, ...I will start with a small remeriement, a cinematographic

token of appreciation to all of you for the wonderful experience I have the privilege to live

at Harvard – no magician will be able to take away these memories!”

Autorin:

Es folgt eine kleine filmische Verbeugung vor dem Mann, der für das Radcliffe Institut die

Post verteilt. „The Mailman“ - Ein Kurzfilm aus Karmakars amerikanischer Videoserie: 19

Clips for 19 Days.

Atmo / O –Ton: Lecture/ Harvard / Karmakar

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Autorin:

Karmakar spricht über seine frühen Werke. Auf der Video-Leinwand stoßen in „Coup de

Boule“ französische Wehrpflichtige mit entblößtem Oberkörper immer wieder ihren Kopf

gegen den Spind. Freizeit-Rituale in einer Kaserne.

Atmo: Lecture/ Harvard / Ausschnitt aus «Coup de Boule »

Autorin:

Der Regisseur streift weitere Dokumentationen, arbeitet sich durch sein Filmschaffen,

landet bei seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Warheads.“ Er entstand Anfang

der neunziger Jahre und beschäftigt sich mit dem Lebensalltag von Söldnern. Karmakar

reist für den Film bis nach Jackson, Mississippi, beobachtet, wie die Kämpfer an Waffen

ausgebildet werden. Er begleitet unter anderem den englischen Söldner Karl, der ihm in

Kroatien stolz selbstgemachte Raketen präsentiert: „Homemade Warheads.“

Atmo: Lecture/ Harvard / Ausschnitt « Warheads“

Autorin:

Der Söldner erzählt, was er am globalen Geschäft des Tötens so faszinierend findet und

dass sein Leben den Fotomotiven des berühmten Kriegsfotografen James Nachtwey

gleiche. Dieses Leben - sagt Karl im Film - sei trotz der Gräuel - immer noch

faszinierender als in England in einer Fabrik zu arbeiten.

Autorin:

Worüber Romuald Karmakar an diesem elitären Ort Harvard nicht spricht – sind die

Anfeindungen, die er durch die Machart seiner Filme in Deutschland erfährt.

Musik / Akzent

Sprecher:

Rückblende: Die Kritiker

Autorin:

Beispiel 1: Warheads.

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Zitator:

Aus der Begründung der Filmbewertungsstelle:

„Der Bewertungsausschuss war sich einig, dass dieser Film in keinem Ansatz kinogerecht

sei. () In quälender Länge ziehen sich Bilder über die Leinwand, die wie unbearbeitetes

Rohmaterial von Amateurfilmern wirken. Die Unverbindlichkeit der Aussage bleibt im

Affirmativen stecken und wird noch durch Anbiederei in devoter Haltung gegenüber den

Interviewpartnern verstärkt.“ - Prädikat abgelehnt.

Autorin:

Beispiel 2:

O-Ton: Karmakar, 2000

„Als ich z. B. „Coup de Boule“ gedreht habe, das ist ein Kurzfilm über französische

Wehrdienstpflichtige, die mit dem Kopf gegen den Spind stoßen in ihrer Freizeit. Das ist

keine militärische Übung, sondern es war ein reines Vergnügen. Das ist ein Phänomen,

das ich beobachtet habe, bei den Leuten, die mit mir eingezogen wurden und wobei ich

mich gefreut habe, dass die alle da mitmachen und auch irgendwo auch Stolz waren, dass

ich sie da filme, obwohl es nur eine Super 8 Kamera war, habe ich dann auch den Film für

alle Kameraden gewidmet. Das war für den Redakteur damals beim SWF ein Indiz, dass

ich ein Faschist bin.“

Atmo / O-Ton: Lecture / Harvard. Karmakar: „All these films...“

Autorin:

Romuald Karmakar spricht über Einflüsse und Prägungen, würdigt das amerikanische

Independent Kino, zitiert Filme - wie zum Beispiel „Cockfighter“ und „Two-Lane Blacktop“/

Asphaltrennen“ von Monte Hellman. Oder „Gloria“ von John Cassavetes – an der Kamera

stand damals der Deutsch-Amerikaner Fred Schuler, der sei für ihn - bis heute - das

Bindeglied zwischen ihm und dem amerikanischen Independent-Kino.

Atmo aus der Lecture

Autorin:

Mitte der neunziger Jahre dreht Karmakar mit Schuler „Der Totmacher“, von da an ist

Schuler bei allen Spielfilmen mit dabei.

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Was Karmakar dem amerikanischen Publikum verschweigt, ist, die Dankesrede als er das

Filmband in Gold für „Der Totmacher“ erhielt. Bei der Übergabe des Preises entlädt sich

seine Anspannung in dem Satz: „Ich danke vielen und vielen nicht!“.

Musik / Akzent

Sprecher:

Rückblende: „Denk ich an Deutschland“

O-Ton: Karmakar, 2000

„Meine Heimat ist die Erinnerung und die Erinnerung für mich hat sehr stark mit

Deutschland zu tun, weil ich deutsch träume und denke.“

Autorin:

1977 zieht Romuald Karmakar mit seiner Mutter nach Athen. Er ist 12 und besucht dort die

deutsche Schule.

Autorin:

Karmakar interessiert sich für Geschichte. Gegenseitig fragen sich die Schüler Daten ab:

Wann war das Ermächtigungsgesetz, wann der Reichstagsbrand?

In dieser Zeit lernt er auch den Autor und Filmemacher Hartmut Geerken kennen. Geerken

leitete damals das Goethe–Institut in Athen, veranstaltet Schriftsteller-Symposien,

Filmreihen und eröffnet dem Teenager mit seinem Programm völlig neue Welten.

O-Ton: Karmakar, 2004

„Und dann gab es zum Beispiel so eine Veranstaltung, das war das Bielefelder Kolloquium

„Der konkreten Poesie“. Das war so eine Kunstrichtung, sagen wir am, sehr stark mit dem

Dadaismus zusammenhing. Ferdinand Kriwet, Bodo Hell, Achternbusch, der Geerken, Tim

Ulrichs. Das waren sozusagen all diese Leute, die sich in diesem Bielefelder Kolloquium

getroffen haben. Und der Hartmut Geerken hat mal all diese Leute nach Athen geholt. Und

für mich damals, der ich halt so Punk war, oder anfing Punk zu sein, war das natürlich

genau so eine künstlerische Entsprechung und eine Weiterführung von Dada.

Hartmut Geerken hat auch mal Hans-Jürgen Syberbergs Film „Hitler- Eine Karriere aus

Deutschland“ gezeigt. Und so mitten in der Vorführung gingen die Lichter an. Dann ging

der Vorhang zu. Und dann musste das ganze Kino evakuiert werden, wegen einer

Bombendrohung. Das heißt, für irgendjemanden in Griechenland war das ein

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Wiederaufkommen faschistischer oder nationalsozialistischer Tendenzen, dass man einen

sechsstündigen Film über Hitler zeigt. Die haben natürlich weder den Film kapiert noch

Syberberg noch was auch immer. Aber das war für mich, - ich mein, ich muss da zwischen

fünfzehn und siebzehn gewesen sein – irgendwie so ein zentrales Erlebnis: Das es wegen

so einen Film eine Bombendrohung gibt und wir komplett dieses Kino räumen mussten.

Was wir auch alle gemacht haben.

Autorin:

Fünf Jahre lebt Karmakar in Athen, haut dann noch vor dem Abitur ab, zieht nach

München, besucht Hartmut Geerken am Ammersee. Der „väterliche Freund“ holt den 17-

Jährigen - der ihn an den „Hauptmann von Köpenick“ erinnert, weil er in einem

Uniformmantel versinkt - vom Bahnhof ab. Später wird Geerken schreiben:

Zitator:

„Romuald hat kein unechtes Wort im Kehlkopf“

Autorin:

In München geht Karmakar wieder zur Schule. Schließlich hatte er seinen Eltern

versprochen – dort das Abitur zu machen. Er wählt Geschichte als Leistungskurs aus,

macht seinen Abschluss und begegnet dem Punk Florian Süssmayr.

O-Ton: Süssmayr

„So haben wir uns auch erkannt und gefunden, mehr oder weniger. Wir sind uns über dem

Weg gelaufen und hatten sofort angefangen einen Kontakt herzustellen und gefunden

letztlich in einer Szene auch die vom Werkstattkino geprägt war. Also mit wahnsinnig viel

Euphorie und Idealismus in Bezug auf Film – () was letztlich dazu führte, dass wir uns

gemeinsam eine Super 8 Kamera gekauft haben.“

Autorin:

Sie drehen Kurzfilme, propagieren: Es gibt keine schlechten Filme und: jedes Genre wird

ernst genommen! 1984 beginnt Karmakar an einem historischen Stoff zu arbeiten. Ein Film

über Adolf Hitler als Privatmensch vor 1933. Sein Freund Florian Süssmayr ist bei der

Produktion „Eine Freundschaft in Deutschland“ dabei.

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O-Ton: Süssmayr

„Da war schon in dem Moment klar, dass der Romuald eine ganz andere Energie in diese

Filme investiert, als wir das gemacht haben: Viel zielstrebiger, viel organisierter, viel

disziplinierter – was mir immer abgegangen ist, diese Disziplin ein Projekt zu planen und

dann umzusetzen.“

Autorin:

Romuald Karmakar klebt sich ein Hitlerbärtchen an und spielt im eigenen Film Adolf Hitler,

genannt Adi.

O-Ton: Gaensheimer

„Ich kenne Romuald schon sehr lange noch aus München und wir haben uns wirklich

dadurch kennengelernt, wir sind in den gleichen Clubs nachts ausgegangen...“

Autorin:

Susanne Gaensheimer, die Kommissarin des Deutschen Pavillons in Venedig.

O-Ton: Gaensheimer

„... und da drückte der mir eine - was war das damals? – wahrscheinlich eine Kassette,

eine VHS-Kassette in die Hand – von diesem Film „Eine Freundschaft in Deutschland“.

Ich glaube, ich war 19 und ich war damit völlig überfordert (lacht)!“

Autorin:

Romuald Karmakar will mehr Filme machen, solche Filme! Kein Mainstream-Kino, kein

Fernsehen.

O-Ton: Karmakar, 2000

„Mich interessiert halt immer nur meine Sicht der Dinge. Wie sehe ich das und wie halte

ich das für richtig.“

Autorin:

1986 schreibt Karmakar an den „Grüß Hans den Jürgen Gott den Syberberg“ - an den

Regisseur Hans-Jürgen Syberberg mit der Bitte sein neues Drehbuch zu lesen „Schwarz

und Wolf“ - in der Hoffnung auf einen Gleichgesinnten.

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Zitator:

„Als ich neulich auf der Suche nach einem kleinen Geld das Haus der Genterstraße 15a

passierte, hörte ich plötzlich ein „Hallo Sie!“ auf der Straße liegen. Ich hob es auf, ich hörte

auf, ich sah auf und auf einen Mann am Fenster, einen Mann, hoch wie syben Berge, er

rief: „Sind Sie nicht dieser junge Mann, dieser Forscher, dieser Hitler, dieser neue Hitler,

der Forscher vom Hitler, der Forscher für Hitler, der Forscher im Hitler, der Hitlerforscher

für Deutschland, der mit dem Hitlerfilm „Eine Freundschaft in Deutschland, dem Drehbuch

„Schwarz und Wolf“, dieser junge Hitlerforscher mit der Geli - () sind Sie nicht der junge

Mann?“

Autorin:

Doch Regisseur Hans-Jürgen Syberberg reagiert nicht.

Es wird noch zehn Jahre dauern – bis die deutsche Filmszene auf Romuald Karmakar

aufmerksam wird. 1995 kommt „Der Totmacher“ in die Kinos.

O-Ton: Kirchhoff:

„Und hat damit ja den Bundesfilmpreis gewonnen, viel Aufmerksamkeit gehabt und mir war

in dem Moment klar, natürlich, dass er jetzt so eine Carte Blanche hat und wahrscheinlich

etwas machen kann, was er machen will, ja. Und da habe ich ihn angerufen und habe

gesagt, Romuald, lass uns doch treffen.“

Autorin:

Karmakar kannte den Schriftsteller und Drehbuchautor Bodo Kirchhoff von seinen Büchern

wie „Zwiefalten“, hatte auch die eine oder andere Reisereportage von ihm in der Zeitschrift

„Transatlantik“ gelesen.

O-Ton: Kirchhoff:

„Vieles habe ich ihn wieder erkannt, wie ich mich selber auch sah in dem Alter. Also, etwas

brennendes, ein unbedingtes Wollen, was seine Arbeit und den Film betraf. Und auch in

dieser Rücksichtslosigkeit in Bezug auf die Anderen, was die darüber denken.“

Autorin:

Karmakar und Kirchhoff treffen sich, beschließen eine Zusammenarbeit an einem Film.

Diskutieren über den obskuren Konsul Weyer und dessen dubiosen Geschäfte in

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Paraguay. Das Projekt kommt nicht zustande, doch eine neue Drehbuch-Idee kommt

ihnen: Die Sehnsüchte deutscher Ferntouristen.

O-Ton: Kirchhoff

„Ich erinnere mich an unsere erste Session, die war in einem kleinen Tiroler Kaff,

Steinnach – in so einem Hotel, wo wir immer in so einer täglich leeren Wirtsstube – da im

Restaurant, wenn niemand war, gearbeitet haben und der Romuald sich manchmal

einfach auf den Boden legte und sagte – er müsste jetzt nachdenken und dann kam der

Kellner und stieg über ihn hinweg. Also, das war im Grunde genommen schon in der

Arbeitssituation Szenen, die hätten auch in dem Film sein können.“

Autorin:

„Manila“ - kommt 2000 in die Kinos und erzählt von zwölf deutschen Touristen, die auf dem

philippinischen Flughafen auf ihren Weiterflug warten müssen. Ein Ehepaar aus der

früheren DDR, ein deutsch-philippinisches Ehepaar, die Cousins Herbert und Rudi.

Männer, die mit ihrem Sex prahlen und doch einsame Gestalten sind.

O- Ton: Kirchhoff

„Manila stand ganz klar einmal für diese absurde Reisewut – für diese blinde absurde

Reisewut – wo man im Grunde nachher gar nicht mehr weiß, wo man ist und ist in einem

Transit – und redet über den Möbelladen und Elektro Dietz oder solche Kacke, wie man

sich hier zu Hause einrichten könnte und unter dem Tisch bläst einem die Philippinin

einen.“

Autorin:

Von der Kritik wird Karmakars Spielfilm gnadenlos verrissen.

O-Ton: Manfred Zapatka

„Ich glaube, dass man diesen Film einfach zu dieser Zeit nicht wollte – was ich bis heute

nicht begreife, er beschreibt ja durchaus fundiert, menschliche Schicksale, auch

menschliche Sehnsüchte – wie schräg die auch gelagert sein können und er hat ja was

wunderbares, er erhebt sich ja nie über diese Leute.“

Autorin:

Der Schauspieler Manfred Zapatka. Nach den Anweisungen des Regisseurs spielt er den

18

sexhungrigen Monteur Herbert.

O-Ton: Manfred Zapatka

„Er schaut da schon drauf, wie so ein Insektenforscher: Ne, lass das mal alles weg, jetzt

wollen wir genau sehen, wie sich der Mensch in dieser Situation bewegt. Aber es ist ja nie

entwürdigend oder voyeuristisch in keinstem Fall. Sondern, er will was wissen – er will die

Gesellschaft, in der er lebt, schon zeigen, durch seine künstlerische Arbeit kennenlernen.

Also, warum dieser Film nicht gelaufen ist, ist mir bis heute unerklärlich, verstehe ich

nicht.“

Atmo / O-Ton: Lecture / Harvard / Ausschnitt aus dem Film: Manila: Melodie von Nabucco

& Gefangenenchor: “Polizeistunde kennen wir nicht“ / Karmakar: „Okay, this is...“

Autorin:

In Harvard konfrontiert Karmakar seine Zuhörer mit Innenansichten von Deutschland.

Spricht über die Bedeutung von Tätern in seinen Filmen und stellt die ebenfalls im Jahr

2000 gedrehte Dokumentation „Das Himmler-Projekt“ vor.

Sprecher:

Rückblende: „Ich bin nicht der Mörderfilmer.“

Autorin:

Ohne Kostüm und Maske spricht Manfred Zapatka vor der Kamera hochkonzentriert und

vollkommen emotionslos die berüchtigte „Posener“ Geheimrede des Reichsführer SS

Heinrich Himmler nach.

O-Ton: Zapatka

„Wie entstehen solche Themen, solche Sätze im Kopf? Wie werden die gebaut von einem

Gehirn? Was ist der Moment dahinter? Was will dieser Mensch, wenn er so eine riesige

Menge an Text ablässt? Was bezweckt er damit? Wie ist das aufgebaut? Das ist ja auch

schon interessant.“

Autorin:

In der Rede vom 4. Oktober 1943 appellierte Himmler – im besetzten Polen – an die Moral

seiner Offiziere, rühmte die Überlegenheit der arischen Rasse. Ab und zu verspricht sich

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Manfred Zapatka an den gewalttätigen Zeilen.

O-Ton: Manfred Zapatka

„... und das ist halt künstlerisch wahnsinnig toll, und das ist auch Romuald – diese – meine

persönliche Verwunderung - hat er drin gelassen. Ich dachte, das wäre alles draußen. ()

Das hat mich total verwundert, weil es ein künstlerischer Kniff ist, das ist so ein Moment

wo man so reingesogen wird und so – und plötzlich aufwacht und noch wacher weiter

fortfährt. So ne Art Verfremdungseffekt, um mal mit Brecht zu sprechen.“

Atmo / O-Ton: Lecture / Harvard / Ausschnitt aus dem Film: Hamburger Lektionen: „Die

Frau wird im Dschihad nicht getötet und das Kind wird nicht getötet...“

Autorin:

Karmakar stellt bei seinem Vortrag in Harvard einen weiteren Täterfilm vor. „Hamburger

Lektionen“. 2006 ließ er die auf Arabisch gehaltene Hetzrede des Imam Fazazi, die dieser

in Hamburg gehalten hatte, übersetzen und dann 1:1 wieder von Manfred Zapatka

sprechen. Auch die Attentäter von 9/11 haben Fazazi gehört. Den Film dazu zeigt

Romuald Karmakar in Venedig.

Musik / Akzent

Sprecher:

Schauplatz Venedig 2013 – Das Werk neu betrachten

O-Ton: Gaensheimer

„Es gibt () diese konzeptionellen Filme „Himmler- Projekt“ und „Hamburger Lektionen“, das

sind ja Werke von Konzeptkunst, filmisch umgesetzt.“

Autorin:

Susanne Gaensheimer kuratierte „Das Himmler-Projekt“ im westfälischen Kunstverein

Münster und im Münchner Lenbach-Museum.

Atmo

O-Ton: Gaensheimer

„Dann die Spielfilme. Alles hat miteinander zu tun, auf einer bestimmten Ebene - aber eine

unterschiedliche Form. () Das braucht sich auch gegenseitig und man kann von allem

etwas in dem anderen finden.“

20

Autorin:

Drei Monitore hängen an den hellgrau-gestrichenen Wänden. Zeitgleich laufen die Filme

„Somerville“, „Hamburger Lektionen“ und „8. Mai“. An diesem Tag versammelten sich 2005

Neonazis aus ganz Europa auf dem Berliner Alexanderplatz. Mitten drin – Romuald

Karmakar mit seiner Kamera.

Atmo / O-Ton: Lecture / Harvard / Ausschnitt aus dem Film: Hamburger Lektionen

Autorin:

Karmakar sieht sich als „Ethnograph der gegenwärtigen Verhältnisse“ – will einen Bogen

spannen von alten zu neuen Werken. Thematisiert, wie politische Bewegungen

Zeitgeschichte missbrauchen, für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Autorin:

Fast poetisch ist die Präsentation von Karmakars Film „Somerville“. Diesen Kurzfilm setzt

Karmakar bewusst in Beziehung zu Ai Weiweis raumgreifender Skulptur: Miteinander

verknotete alte Holzschemel – die vertikal und horizontal bis zur Decke wachsen.

O-Ton: Karmakar

„Also, das ist jetzt nicht so, dass Ai Weiwei mich fragt, ob es mir recht ist, wenn er mir meine Tür zu stellt.“

Autorin:

„Somerville“ zeigt den Blick des Regisseurs durch ein Fenster. Er fällt auf Bäume, die sich

im Wind bewegen. Ein meditativ anmutender Kurzfilm – und ungewöhnlich für den an

„harten“ Stoffen sich abarbeitenden Romuald Karmakar.

O-Ton: Susanne Gaensheimer:

„Das ist ja auch immer das große Missverständnis des Publikums, das meint, dass

Romuald Karmakar ein Verfechter oder Befürworter dieser harten Inhalte ist, die er

dokumentiert. Und das meint das Publikum nur, weil er nicht in aller Deutlichkeit den

Zeigefinger hebt und sagt: Hey Leute, ich mache das aus einer kritischen Perspektive!

Das ist ja die künstlerische Qualität seiner Filme, dass er die Balance aushalten kann,

dass er auch diesen Mut hat, diese Kompromisslosigkeit die Dinge so vorzuführen wie sie

sind. Das ist wahnsinnig wichtig, weil - wir sonst vieles nicht erfahren würden, nicht

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kennenlernen würden!“

O-Ton: Karmakar (Venedig / Bar )

„In Deutschland wäre es toll, wenn die selber zurückblicken auf das, was war. Wenn von

innen heraus noch mal die Revision käme: der Nachblick, der Rückblick, ein neuer

Aufblick. Das als Chance begreifen, dass man noch mal drauf guckt. Für die ganzen Nicht-

Deutschen, zum Beispiel die Franzosen, alle Internationalen, die kennen ja gar nichts von

mir. Aber die Leute, die sich mit Kunst beschäftigen, die haben wahrscheinlich noch nie

etwas von mir gehört oder gesehen. Für die ist das ein ganz anderer Blick. Und wird

eigentlich das Interessante sein.“

O-Ton: Süssmayr

„Der Romuald hat bestimmt andere Vorbilder als ich.“

O-Ton: Süssmayr

„... der extrem konzeptionell (ist). So als Kontrollfanatiker praktisch sich seine Filme, seine

Spielfilme jedenfalls, ausdenkt und das versucht und das genau versucht umzusetzen.

Der irrsinnige Recherchen betreibt, tausende Seiten von Akten liest und sich über die Zeit

Gedanken macht, in denen ein Projekt spielt, um dann das alles zu zeigen, in einem

einzigen Zimmer!“

Atmo / O-Ton: Pressekonferenz Berlinale

[Johannes Willms:] Eine Frage an den Produzenten und Regisseur des Films. Haben Sie

ein Zielpublikum für Ihren Film? Welche Emotionen möchten Sie hervorrufen, wenn Ihr

Zielpublikum diesen Film sieht und was erwarten Sie von der weiteren Auswertung des

Filmes?

O-Ton: Kirchhoff

„Das wäre übrigens ein wirklicher Traum mit Romuald einen Franz von Assisi Film zu

machen, das wäre ein echter Traum von mir, ja, ja.“

O-Ton: Karmakar (Venedig / Bar)

„... (lacht). Also, ich würde auch sehr gerne mit ihm noch mal einen Film machen. Weil ich

glaube, dass es eine besondere Person ist. Der hat einen bestimmten Humor und

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bestimmten Blick auf das Land. Was die Leute vielleicht zu vulgär finden, obwohl es gar

nicht vulgär ist. Es ist vulgär in den Köpfen derjenigen, die sich als was Besseres sehen.

Das ist der Punkt. – Müsste ich mal mit ihm reden, was er da meint, wie er sich das

vorstellt. Aber eine interessante Idee.“

Atmo / O-Ton: Pressekonferenz Berlinale/ Karmakar:

„Erst mal ist es so, wenn ich nach diesen Aspekten irgendeine Produktion, die ich bisher

geleistet habe, ausrichten würde, gäbe es bis heute keinen einzigen Film von mir. (Im

Publikum wird verhalten gelacht) – Selbst der Totmacher in der Finanzierungsphase auch

immer abgelehnt worden ist, weil mir alle immer erzählt haben, das zwei Leute in einem

Raum oder drei Leute in einem Raum, kein Kino sei. Dasselbe gilt beim Himmlerprojekt,

bei allen Dingen, die ich tue. Das heißt, es ist natürlich sehr schwer so einen Film in die

deutschen Kinos zu bringen, nur trotzdem muss man es doch versuchen!“

Musik

Absage:

„Mich interessiert nur meine Sicht der Dinge.“

Der Filmregisseur Romuald Karmakar.

Ein Feature von Aishe Malekshahi

Es sprachen:

An Kuohn

und Tom Jacobs

Technische Realisation: Werner Jäger und Jeanette Wirtz Fabian

Regieassistenz: Ellen Versteegen

Regie: Matthias Kapohl

Redaktion: Dorothea Runge

Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks

mit dem Bayrischen Rundfunk, dem Deutschlandfunk und dem Südwestrundfunk 2013.