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Astronomie Redaktion Irgendwo in einem Himmelsbereich in Rich- tung Kreuz des Sudens sol1 er nach Meinung der Astronomen liegen, der GroBe Attraktor. Er scheint Milchstrage und andere Galaxien und Galaxienhaufen rnit enormer Kraft anzu- ziehen und das Bild vom gleichformig expan- dierenden Universum gewaltig zu storen. Die Masse des Grogen Attraktors muB groger sein als die der grogten bekannten Galaxien- haufen. Die Idee des GroBen Attraktors wurde 1986 von sieben britischen und amerikanischen Astrophysikern geboren. Die Gruppe ist heute unter dem Spitznamen ,,Sieben Samu- rai" bekannt. Es handelt sich um D. Burstein, R. Davies, A. Dressler, S. Faber, D. Lynden- Bell, R. Terlevich und G. Wegner. Urspriinglich hatten die Astronomen sich die Aufgabe gestellt, die Expansionsgeschwin- digkeiten von Galaxien moglichst genau zu messen, um hieraus auf gegenseitige Storun- gen und somit Massenverteilungen ruck- schlieBen zu konnen. Anstatt kleiner, mehr oder weniger statistischer Abweichungen von der generellen Fluchtgeschwindigkeit ent- deckten die Forscher eine koharente Bewe- gung innerhalb eines Bereiches von 350 Mill. Lichtjahren: Die MilchstraBe, der Virgo- Galaxienhaufen, ja sogar Indus- und Perseus- Supercluster bewegen sich mit rund 600 km/s in die Richtung des Hydra-Zentaurus-Gala- xienhaufen. Dieser allerdings bewegt sich selbst rnit noch groi3erer Geschwindigkeit in der namlichen Richtung - die Idee eines ex- trem massereichen GroBen Attraktors in noch groserer Entfernung schien damit plau- sibel (Abbildung 1). Zunachst trafen die Sieben Samurai auf Skep- sis; insbesondere fehlten in den Himmelska- talogen an der betreffenden Stelle besonders groi3e Galaxienansammlungen. Sollte der GroBe Attraktor aus dunkler Materie beste- hen? Inzwischen weii3 man, daR die Himmelskata- loge in dem fraglichen Bereich (307' Lange und 9 O galaktische Breite) nicht zuverlassig waren. Bei neuen Untersuchungen in der Hy- dra-Zentaurus-Richtung fand A. Dressier/- Der Groi3e Attraktor Riesige Massenansammlungen und sternenfreie Regionen machen das Weltall in einem Grogenbereich von 300 Mill. Lichtjahren inhomogen. Dies fuhrt zu einer der Fluchtge- schwindigkeit uberlagerten Zusatzgeschwindigkeit der Gala- xien von mehreren hundert Kilometern pro Sekunde. Mount Wilson und Las Campanas Observa- tory insgesamt 600 Galaxien. Die Rotver- schiebungen dieser sowie von 300 bereits be- kannten Galaxien gruppierten sich um 2 Werte. Aus der Rotverschiebung der einen Gruppe errechnete sich uber das Hubble- Gesetz (Abbildung 2) die Position des Hydra- Zentaurus-Galaxienhaufens, aus jener der zweiten Gruppe ein 50 % grogerer Abstand von ca. 150 Mill. Jahren zur MilchstraBe. Die zweite, entferntere Gruppe rnit einer Flucht- geschwindigkeit von gut 4000 km/s enthielt ahnlich viele Datenpunkte wie die erstere. Da Leuchterscheinungen mit dem Abstandsqua- drat abnehmen, errechnete Dressler hieraus eine Galaxien-Population fur diese zweite Gruppe, welche viermal groBer ist als die von Hydra-Zentaurus. Die abgeschatzte Gesamt- masse ist so grog, dai3 sie die Wirkung des GroBen Attraktors (mit 5 . 10l6 Sonnenmas- sen) haben kann. Modelle, die die Wirkung des GroBen Attrak- tors beschreiben, gibt es mittlerweile auch: Eine spharisch symmetrische Massenzustro- mung, deren Geschwindigkeit proportional zu l/r ist, wurde fur die MilchstraBe eine Zu- satzgeschwindigkeit von (570 f 60) km/s er- Pbysik in unserer Zeit / f9. Jdrg. I988 / Nr. 3 0 VCH Vmlagsgesellschaft mbH, 0-6940 Weinheim, 1988 0031 -921i2/88/0301i-0079 $ 02.10/0 geben. In der Nahe des GroBen Attraktors konnen allerdings Zusatzgeschwindigkeiten von IOOO km/s erreicht werden. Falls es diesen GroBen Attraktor wirklich gibt, bleibt die Frage, wie solch ein supermas- sives Gebilde entstehen konnte. Schon heute haben die Astronomen Schwierigkeiten, die Inhomogenitaten des Weltraumes im Skalen- langenbereich von einigen Mill. Lichtjahren zu erklaren. Wie dann konnte ein ehedem ho- mogenes Weltall Inhomogenitaten im Skalen- bereich von 100 Mill. Lichtjahren entwickeln? In diesem Zusammenhang ist auch die Frage entscheidend, weshalb der Perseus-Superclu- ster, der eine ahnliche Masseansammlung wie der GroBe Attraktor besitzt und sich auf der entgegengesetzten Seite des Himmels befin- det, nicht die Wirkung des GroBen Attrak- tors kompensieren kann. Man mui3 wohl ei- nen riesigen sternenfreien Raum in der Per- seus-Richtung postulieren, damit die gewal- tige Nettoanziehung des Grogen Attraktors ubrig bleibt. (Science 237, 1296 (1987); Physics Today, Oct. 87, S. 17) Abb. 1. Zusatzbewegung der Galaxien auf den Groi3en Attraktor zu (nach D. Bur- stein/Arizona State University). Abb. 2. Hubble-Gesetz fur die 42 hellsten Sternenhaufen: Die Fluchtgeschwindigkeit vF, welche aus der Rotverschiebung be- stimmt wird, ist rnit dem Abstand r ver- knupft (nach F. Gondolatsch, G. Gro- schopf und 0. Zimmermann ,Astronomic 11", Klett Studienbiicher, 1979). 79

Der Große Attraktor

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Astronomie

Redaktion

Irgendwo in einem Himmelsbereich in Rich- tung Kreuz des Sudens sol1 er nach Meinung der Astronomen liegen, der GroBe Attraktor. Er scheint Milchstrage und andere Galaxien und Galaxienhaufen rnit enormer Kraft anzu- ziehen und das Bild vom gleichformig expan- dierenden Universum gewaltig zu storen. Die Masse des Grogen Attraktors muB groger sein als die der grogten bekannten Galaxien- haufen.

Die Idee des GroBen Attraktors wurde 1986 von sieben britischen und amerikanischen Astrophysikern geboren. Die Gruppe ist heute unter dem Spitznamen ,,Sieben Samu- rai" bekannt. Es handelt sich um D. Burstein, R. Davies, A. Dressler, S. Faber, D. Lynden- Bell, R. Terlevich und G. Wegner.

Urspriinglich hatten die Astronomen sich die Aufgabe gestellt, die Expansionsgeschwin- digkeiten von Galaxien moglichst genau zu messen, um hieraus auf gegenseitige Storun- gen und somit Massenverteilungen ruck- schlieBen zu konnen. Anstatt kleiner, mehr oder weniger statistischer Abweichungen von der generellen Fluchtgeschwindigkeit ent- deckten die Forscher eine koharente Bewe- gung innerhalb eines Bereiches von 350 Mill. Lichtjahren: Die MilchstraBe, der Virgo- Galaxienhaufen, ja sogar Indus- und Perseus- Supercluster bewegen sich mit rund 600 km/s in die Richtung des Hydra-Zentaurus-Gala- xienhaufen. Dieser allerdings bewegt sich selbst rnit noch groi3erer Geschwindigkeit in der namlichen Richtung - die Idee eines ex- trem massereichen GroBen Attraktors in noch groserer Entfernung schien damit plau- sibel (Abbildung 1).

Zunachst trafen die Sieben Samurai auf Skep- sis; insbesondere fehlten in den Himmelska- talogen an der betreffenden Stelle besonders groi3e Galaxienansammlungen. Sollte der GroBe Attraktor aus dunkler Materie beste- hen?

Inzwischen weii3 man, daR die Himmelskata- loge in dem fraglichen Bereich (307' Lange und 9 O galaktische Breite) nicht zuverlassig waren. Bei neuen Untersuchungen in der Hy- dra-Zentaurus-Richtung fand A. Dressier/-

Der Groi3e Attraktor Riesige Massenansammlungen und sternenfreie Regionen machen das Weltall in einem Grogenbereich von 300 Mill. Lichtjahren inhomogen. Dies fuhrt zu einer der Fluchtge- schwindigkeit uberlagerten Zusatzgeschwindigkeit der Gala- xien von mehreren hundert Kilometern pro Sekunde.

Mount Wilson und Las Campanas Observa- tory insgesamt 600 Galaxien. Die Rotver- schiebungen dieser sowie von 300 bereits be- kannten Galaxien gruppierten sich um 2 Werte. Aus der Rotverschiebung der einen Gruppe errechnete sich uber das Hubble- Gesetz (Abbildung 2) die Position des Hydra- Zentaurus-Galaxienhaufens, aus jener der zweiten Gruppe ein 50 % grogerer Abstand von ca. 150 Mill. Jahren zur MilchstraBe. Die zweite, entferntere Gruppe rnit einer Flucht- geschwindigkeit von gut 4000 km/s enthielt ahnlich viele Datenpunkte wie die erstere. Da Leuchterscheinungen mit dem Abstandsqua- drat abnehmen, errechnete Dressler hieraus eine Galaxien-Population fur diese zweite Gruppe, welche viermal groBer ist als die von Hydra-Zentaurus. Die abgeschatzte Gesamt- masse ist so grog, dai3 sie die Wirkung des GroBen Attraktors (mit 5 . 10l6 Sonnenmas- sen) haben kann.

Modelle, die die Wirkung des GroBen Attrak- tors beschreiben, gibt es mittlerweile auch: Eine spharisch symmetrische Massenzustro- mung, deren Geschwindigkeit proportional zu l / r ist, wurde fur die MilchstraBe eine Zu- satzgeschwindigkeit von (570 f 60) km/s er-

Pbysik in unserer Zeit / f9. Jdrg. I988 / Nr. 3 0 VCH Vmlagsgesellschaft mbH, 0-6940 Weinheim, 1988 0031 -921i2/88/0301i-0079 $ 02.10/0

geben. In der Nahe des GroBen Attraktors konnen allerdings Zusatzgeschwindigkeiten von IOOO km/s erreicht werden.

Falls es diesen GroBen Attraktor wirklich gibt, bleibt die Frage, wie solch ein supermas- sives Gebilde entstehen konnte. Schon heute haben die Astronomen Schwierigkeiten, die Inhomogenitaten des Weltraumes im Skalen- langenbereich von einigen Mill. Lichtjahren zu erklaren. Wie dann konnte ein ehedem ho- mogenes Weltall Inhomogenitaten im Skalen- bereich von 100 Mill. Lichtjahren entwickeln?

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage entscheidend, weshalb der Perseus-Superclu- ster, der eine ahnliche Masseansammlung wie der GroBe Attraktor besitzt und sich auf der entgegengesetzten Seite des Himmels befin- det, nicht die Wirkung des GroBen Attrak- tors kompensieren kann. Man mui3 wohl ei- nen riesigen sternenfreien Raum in der Per- seus-Richtung postulieren, damit die gewal- tige Nettoanziehung des Grogen Attraktors ubrig bleibt.

(Science 237, 1296 (1987); Physics Today, Oct. 87, S. 17)

Abb. 1. Zusatzbewegung der Galaxien auf den Groi3en Attraktor zu (nach D. Bur- stein/Arizona State University).

Abb. 2. Hubble-Gesetz fur die 42 hellsten Sternenhaufen: Die Fluchtgeschwindigkeit vF, welche aus der Rotverschiebung be- stimmt wird, ist rnit dem Abstand r ver- knupft (nach F. Gondolatsch, G. Gro- schopf und 0. Zimmermann ,Astronomic 11", Klett Studienbiicher, 1979).

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