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Der hallesche Stadtgottesacker Einzigartige Friedhofsanlage der deutschen Renaissance

Der hallesche Stadtgottesacker

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Einzigartige Friedhofsanlage der deutschen RenaissanceStadt Halle (Saale) 2003

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Page 1: Der hallesche Stadtgottesacker

Der hallescheStadtgottesacker

Einzigartige Friedhofsanlage der deutschen Renaissance

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Der hallesche StadtgottesackerEinzigartige Friedhofsanlageder deutschen Renaissance

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Bogen 80/81fotogrammetrische Bestandsaufnahme der Gruft des August Hermann Francke (22.03.1663 - 08.06.1727)

Abbildung linke SeiteBlick auf die restaurierte Nordseite, beginnend mit Gruft 16

Sonderausgabe aus Anlass des Abschlusses eines Jahrzehnts der baulichen, denkmalpflegerischen Instandsetzung

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Herausgeber: Stadt Halle (Saale), Die Oberbürgermeisterin

Gesamtleitung: EigenBetrieb Zentrales GebäudeManagement der Stadt Halle (Saale)Dipl.-Ing. Bernd Nagel, Dipl.-Ing. Peter Liebau

Büro für Architektur und Denkmalpflege, Dr.-Ing. Helmut Stelzer, Dipl.-Ing. Thomas Zaglmaier

Layout: Martina Hanke

Abbildungen: Thomas Ziegler (Stadtfotograf)Büro für Architektur und DenkmalpflegeFranckesche StiftungenGerhard RichwienGudrun HenslingPeter SchöneLandesamt für Denkmalpflege in Sachsen-AnhaltMarcus GolterStadt Halle (Saale), StadtarchivPaul GrohsMichael Viebig

fotogrammetrischeBestandsaufnahme: Büro für Architektur und Denkmalpflege

Herstellung: 2. Nachauflage (erweitert und aktualisiert)2003

Impressum

Mit freundlicher Unterstützung

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Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2

Grußwort der Oberbürgermeisterin der Stadt Halle (Saale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4

Der Stadtgottesacker - bedeutende Friedhofsanlage der Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6Bernd Nagel, Peter Liebau, Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Zur Entstehungsgeschichte des Stadtgottesackers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8Anja Anastasia Tietz

Ruhestätte bedeutender Persönlichkeiten der deutschen Geistes- und Wirtschaftsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14Ralf Jacob

Notizen eines Spaziergängers über den Stadtgottesacker - F. P. Henschel und seine Niederschriften . . . . . . . . . . . . . . . . .30Karsten Eisenmenger, Michael Viebig

Bauliche, denkmalpflegerische Instandsetzung und Wiederherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Restaurierung der Ausstattungen der Grüfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Bauliche, denkmalpflegerische Instandsetzung und Wiederherstellung der Feierhalle und des Gärtnerhauses . . . . . . .48Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Restauratorische und kunsthistorische Untersuchung der Arkatur und der Gruftmemorials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54Gerhard Richwien

Grabfeld - Gartenarchitektonische denkmalgerechte Erhaltung und Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58Matthias Därr

Zum Wirken der Stiftung „Bauhütte Stadtgottesacker“ e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62Peter Dahlmeier

Der Stadtgottesacker - erneut Bestattungsstätte, damit bleibender Ort ewiger Ruhe und Beschaulichkeit . . . . . . . . . . . .64Uwe Albrecht

Auszug aus der Begräbnisordnung von 1887 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65

Der Stadtgottesacker - Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .66

Faltblatt mit der Darstellung der Grundrisssituation und Kennzeichnung der GrabstättenThomas Zaglmaier

Inhalt

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Liebe Hallenserinnen und Hallenser,liebe Gäste unserer Stadt!

August Hermann Francke, Christian Thomasius, Robert Franz,August Hermann Niemeyer undLudwig Wucherer sind einige derbedeutendsten Söhne Halles, die auf dem Stadtgottesacker ihre letzteRuhe gefunden haben. Wer heute seinen Weg über den na-hezu umfassend restauriertenFriedhof nimmt, dem erschließt sicheindrucksvoll die stolze Geschichte unserer Stadt, die vor allem vomWirken großer Künstler und Wissen-schaftler geprägt wurde.

Zugleich war und ist der Stadtgottes-acker ganz im Sinne Martin Luthersein „feiner stiller ort“ christlicherAndacht. Halle befand sich im Kern-land der Reformation und derFrühaufklärung. Ein fester Glaubeund der Drang nach wissenschaftli-cher Erkenntnis schlossen sich nichtaus, sondern waren zumeist eng mit-einander verbunden. Der Weg derDeutschen Akademie der Naturfor-scher Leopoldina, deren 350-jähri-ges Jubiläum wir im vergangenenJahr begingen, ist dafür ein nachhal-tiger Beweis.

Wir bringen heute der archi-tektonischen und künstlerischen Leistung des StadtbaumeistersNickel Hoffmann unsere große Bewunderung entgegen. All unsereAnstrengungen dienen der Erhaltungdes Stadtgottesackers. Die Stadt steht dabei nicht allein.

Frau Dr. Marianne Witte hat mit ihrer privaten Stiftung gleichen Namens im Angedenken ihres Vaters, des Nobelpreisträgers fürChemie Professor Dr. Karl Ziegler,Ordinarius an der Universität Hallevon 1936 bis 1945 seit 1997 für denErhalt des Friedhofes mehr als 5 Millionen Euro aufgebracht. Ihreinnige Verbundenheit mit unsererSaalestadt, in der sie einen Teil ihrerSchulzeit verbrachte, erfüllt uns mitgroßer Dankbarkeit.

Ebenfalls engagierten sich Bürgerin-nen und Bürger aus ganz Deutsch-land mit Spenden über die Stiftung„Bauhütte Stadtgottesacker“ undauch die „Deutsche Stiftung Denk-malschutz“ stellte Mittel bereit,dafür sei allen herzlich gedankt.

Ich möchte Sie einladen, mit denBeiträgen dieses Heftes eines derschönsten Renaissancedenkmale der Stadt Halle kennenzulernen.Möge Sie diese Informationsschriftdazu anregen, diese Stätte der Ruheund des Gedenkens zu besuchen.

Mit herzlichen GrüßenIngrid HäußlerOberbürgermeisterin der Stadt Halle (Saale)

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Eingangssituation Stadtgottesacker

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Der Stadtgottesacker -bedeutende Friedhofsanlage der Renaissance

ner architektonischen Schönheitheute noch erlebbar, bereichertdurch das Ergebnis einer Anfang des19. Jahrhunderts begonnenen Grün-gestaltung. Instandsetzungsarbeitenim geringen Umfang hat es seitdemimmer wieder gegeben. Derschlechte Erhaltungszustand derGruftbögen verlangt die Fortsetzungder bereits Ende der 80er Jahre die-ses Jahrhunderts begonnenen denk-malpflegerischen Sicherungs- undInstandsetzungsmaßnahmen. An-fang der 90er Jahre setzten dann diesystematische Vorbereitung und Pla-nung der baulichen und restauratori-schen Gesamtinstandsetzung sowieder Start kontinuierlicher Aus-führungsarbeiten ein. Die Erfor-schung des künstlerischen und bau-lichen wie auch des garten- undlandschaftsarchitektonischen Be-

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Der Stadtgottesacker gehört zu denherausragenden Architekturleistun-gen der Renaissance in Halle.Als auf Anregung des Kardinals Albrecht von Brandenburg im Jahre1530 die beiden gotischen KirchenSt. Marien und St. Gertruden bis aufihre Turmpaare abgerissen wurdenund danach zwischen ihnen das Kir-chenschiff der heutigen Marktkircheerbaut wurde, fehlte der Platz für diebis dahin bestehenden beiden Fried-höfe. Sie sollten deshalb nach demWillen des Kardinals außerhalb derStadtmauern auf dem Martinsbergals neue Friedhofsanlage für dieStadt errichtet werden. Mit dem ausgehenden Mittelalterwurde so die bis dahin in der Stadtgepflegte Gemeinschaft der Totenmit den Lebenden verlassen und eine Friedhofsanlage außerhalb derMauern geplant. Als dann wenigeJahre später mit der architektoni-schen Gestaltung am Stadtgottes-acker begonnen wurde, fand dasgeistige Konzept der ReformationBerücksichtigung.Dr. Martin Luther wollte, dass einFriedhof ein „feiner stiller ort” seinsoll, „der abgesondert were von allerorten, darauff man mit andacht ge-hen und stehen kuendte, den tod,das Juengste gericht und aufferste-

hung zu betrachten und bethen“(Schweinitz S. 92).

Die Gestaltung der Friedhofsanlage,mit der Mitte der 50er Jahre des 16. Jahrhunderts nach Plänen undunter Leitung des RatsbaumeistersNickel Hoffmann1) begonnen wurde,folgte dem neuen Zeitgeist. Der Bau-meister plante einen ummauertenRaum der Stille, dabei dem Stilmittelder italienischen Renaissance fol-gend mit der Errichtung umlaufenderArkaden und ornamentgeschmück-ter Gruftbögen. Im Jahre 1594 warder italienischen Camposanto-Anla-gen vergleichbare Stadtgottesackermit Torturm und 94 Arkadenbögenim Wesentlichen fertiggestellt wor-den. Trotz Zerstörung, einsetzendemVerfall und mangelnder Instandhal-tung ist der Stadtgottesacker in sei-

Frau Dr. M. Witte, Herr Dr. A. Witte anlässlich eines Besuches des Stadtgottesackers während der laufenden Instandsetzungsarbeiten.

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standes, seine Dokumentation, re-stauratorische und denkmalgerechtePlanung und Ausführung der Arbei-ten zur Erhaltung und Wiederher-stellung, auch erneute Nutzung desStadtgottesackers sind zu einem her-ausragenden und vordringlichen An-liegen der Stadt Halle geworden.

Bis 1997 konnte vorerst nur in klei-neren Abschnitten, entsprechendder Haushaltslage der Kommune,begonnen werden.Die Aufnahme des Stadtgottes-ackerareals als Exklave des Denk-malschutzgebietes „Historischer Altstadtkern“ im Jahre 1997 ermög-lichte die kontinuierliche Fort-führung der Baumaßnahmen mitFördermitteln des Bundes, des Landes Sachsen-Anhalt und der Stadt Halle (Saale).

Allerdings hätten selbst diese ver-fügbaren Mittel einen Bauzeitraumvon mindestens noch 10 Jahren be-dingt, um den nun Anfang 2003schon erreichten Fertigstellungs-stand zu erlangen.

Möglich ist das geworden durch diegroßzügige private Stiftung von FrauDr. Marianne Witte für die baulicheund restauratorische Instandsetzungder Grüfte des Stadtgottesackers undihrer Ausstattungen.Nach der Wende war es Frau Dr. Witte ein besonderes Anliegen,in sinnvoller Weise bei der Erhal-tung verfallener, kulturell wertvollerBaudenkmäler in den neuen Län-dern mitzuhelfen.Sie hat sich schließlich mit der Wahl

Stiftungsbeiräte Herr Prof. Fischer(Bamberg), Frau Dr. Starosta (Dres-den) und Herr Rechtsanwalt Jacob(Essen).Für die konstruktive, unbürokrati-sche und vertrauensvolle Zusam-menarbeit und das persönliche Interesse am Fortgang der Arbeitenmöchten sich die Vertreter des fürdie Gesamtkoordinierung zuständi-gen Hochbauamtes der Stadt Halleund die mit der Planung und Baulei-tung beauftragten Architekten desBüros Architektur und Denkmalpfle-ge vornehmlich bei der Stifterin,Frau Dr. Marianne Witte, und ihremGatten, Herrn Dr. August Witte,herzlich bedanken.

Die denkmalpflegerische Instandset-zung des Stadtgottesackers zum Anfang des 21. Jahrhunderts, nahezufünf Jahrhunderte nach seiner Errich-tung, ist ein hervorragendes Bei-spiel, wie in heutiger Zeit durch pri-vates und kommunales Engagementgebaute Geschichte wieder erlebbarwird und im speziellen Fall auchüberregionale Wirkung erzielt.

So soll der Stadtgottesacker zu Halle (Saale) als der eingangs vonMartin Luther zitierte „feiner stillerort“, eine Stätte der Besinnung aufdie historischen Wurzeln für dieheutigen und kommenden Genera-tionen sein.

Bernd Nagel Helmut StelzerPeter Liebau Thomas Zaglmaier

1) auch Hofmann oder Hofemann

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des Stadtgottesackers für ein Denk-malensemble in Halle an der Saaleentschieden, in der Stadt, in der sievon 1936 bis 1945 einige Jahre ihrerKindheit und Jugend verbracht hat.Ihr Vater, Prof. Dr. Karl Ziegler, hatin dieser Zeit als Ordinarius an derMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gewirkt. Frau Dr. Witteselbst studierte an dieser Universitätnach dem Besuch des Gymnasiums4 Semester Medizin - bis zum Physi-kum im Jahre 1945. Das alles be-stimmte ihren besonderen Bezug zudieser schönen Stadt mit ihrer rei-chen Geschichte und führte letzt-endlich zu ihrer großzügigen Stif-tung für den Stadtgottesacker.

Diese Zuwendung von Mitteln inbisher nicht vorhandener Größen-ordnung erlaubte nunmehr, dassjährlich in bis zu 3 Bauabschnittengleichzeitig restauriert und instandgesetzt werden konnte. (Der Bau-fortschritt wurde wesentlich erkenn-barer.) Der Abschluss der Arbeitenkonnte bereits für den Beginn desJahres 2003 geplant werden.

Nicht nur die Instandsetzung derGruftbögen wurde von der Stiftunggefördert, sondern auf Stifterinitiati-ve wurde ab 2000 auch die Restau-rierung der Innenausstattung derGrufträume - wie Epitaphien, Grab-platten, Stuckgestaltungen undFußböden - gefördert und ausgeführt.

Mit der Stifterin, Frau Dr. Witte, engagierten sich bei dieser Aufgabegleichermaßen mit großem persön-lichen Einsatz die von ihr berufenen

Stadtgottesacker, Torturm mit Eingang

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Zur Entstehungs-geschichte des Stadtgottesackers

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Abbildung 1

Detail des Stadtplans von Halle aus der 1667 erschienenen „Halygraphia“ des Gottfried Olearius

Die Lage des Begräbnisplatzes außerhalb der Stadt ist auch auf späteren Plänen, wie aufdem in der „Halygraphia“ des Gottfried Oleariusaus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, noch gut erkennbar.

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zu dem Beschluss: „Wollen auch einen Kirchhoff zu Begräbnuss dertodten auf dem Mertensbergk, wo esam bequemesten, zurichten lassen,dohin die gemeine Burgere und Ein-wohnere zu Halle sollen und mugenbegraben werden.“ Der Martinsbergdiente damit nicht mehr nur in Not-zeiten als Begräbnisplatz, sondernwurde von jetzt an ständig, zuneh-mend auch von allen Schichten derBevölkerung genutzt.

Bis zur Mitte des 16. Jahrhundertsbefand sich auf dem neu geweihtenGottesacker außerhalb der Stadt-mauer die kleine Martinskapelle, ein„feines wohlerbauetes Gebäude“.Sie soll sich ungefähr in der Mittedes Gräberfeldes befunden haben,vom heutigen Haupteingang aus ge-sehen etwas nach links versetzt. Aufgrund fehlender Archivalien istnichts Gesichertes über die Erbau-ung der Kapelle bekannt. 1547, imSchmalkaldischen Krieg, wurde siezerstört, als Kurfürst Johann Fried-rich von Sachsen den Martinsbergzu Kriegszwecken befestigen lassenwollte.

Genau zehn Jahre nach Abriss derMartinskapelle, im Jahr 1557, wurdemit der architektonischen Gestal-tung des Stadtgottesackers begon-nen, der vierflügligen Anlage aus an-einandergereihten, mit Reliefs undInschriften reich verzierten Grabbö-gen. Baubeginn war auf der beiBombenangriffen im Zweiten Welt-krieg zerstörten nördlichen Westsei-te. Ihre einstigen Inschriften, die fürdie Datierung der Gesamtanlage

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Abbildung 2

Albrecht von Hohenzollern auf einer im halleschen Stadtarchiv aufbewahrten Medaille aus dem Jahr 1522

Die Abbildung zeigt Albrecht von Hohenzollern,der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einerder einflußreichsten deutschen Kirchenmännerwar. Seit 1513 war er Erzbischof von Magdeburg.

Bis zum 16. Jahrhundert spielte dieFläche des heutigen Stadtgottes-ackers vor allem zu Pestzeiten, wiein den Jahren 1350 und 1450, einewichtige Rolle für die Hallenser. Umweitere Ansteckungen zu vermei-den, bestatteten sie dort, auf demaußerhalb der Stadtmauern gelege-nen Begräbnisplatz um die Martins-kapelle, die Opfer der Seuche. Als im Sommer des Jahres 1529 Bischof Heinrich von Halberstadtden alten Pestfriedhof zum allgemei-nen Gottesacker für die Stadt Halleweihte, wurde eine jahrhundertealteBestattungstradition aufgegeben: dasBegraben der Toten bei und in denzahlreichen Gotteshäusern des Or-tes. Gesundheitliche Bedenken ge-genüber der Totenbestattung im un-mittelbaren Wohn- und Lebensbe-reich der Menschen sowie derBevölkerungsanstieg veranlasstenim 16. Jahrhundert nicht nur Halle,sondern zahlreiche deutsche Städte,die Verstorbenen fortan außerhalbihrer Mauern zu begraben. Vor al-lem Albrecht von Brandenburg(1490-1545), der ab 1513 Erzbischofvon Magdeburg war und die Saale-stadt zu einer würdigen Residenzund einem Bollwerk gegen das refor-matorische Wittenberg ausbauenwollte, förderte die Schließung derinnerörtlichen Begräbnisstätten (Ab-bildung 2). Seine Interessen decktensich mit denen des Stadtrates, demeine repräsentative Gestaltung desengen mittelalterlichen Marktplatzesund die Abschaffung der Totenbe-stattung in seiner unmittelbarenNähe am Herzen lag. So veranlassteAlbrecht den Rat am 23. Mai 1529

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entscheidend sind, wurden jedochdurch die Beschreibung des Stadt-gottesackers von Johann GottfriedOlearius aus dem Jahr 1674 überlie-fert. Sie ist die älteste Monografiezum Begräbnisplatz und vermittelteinen Eindruck von seiner Gestal-tung rund achtzig Jahre nach derFertigstellung der Grabbogen-Anla-ge. So erfahren wir, dass der heutigeBogen 11 der erste war, der errichtetwurde. Auf der Rückwand des Bo-gens, außerhalb des Gottesackers,befanden sich bis zum Krieg auf ei-ner Wappentafel folgende lateini-sche Zeilen: „Anno Domini 1557.Nobiles Christoph. & Alb. ab HoimGermani fratres Weglob, Pri. hocmonumentum f.“ (Übersetzung: „ImJahre des Herrn 1557 haben die Ed-len Christoph. und Alb. von Hoym,Brüder aus Wegeleben, dieses ersteGrabmal bauen lassen.“)

Nach Errichtung der ersten Grabbö-gen erweiterte man um 1563/64 dieFläche des Gottesackers durch An-kauf von Land, ebnete den neuenTeil des Begräbnisplatzes ein undumgab ihn mit einer steinernenMauer. Im Laufe von über dreißigJahren wurden „94 Schwibbogen zuFamilien- und Erbbegräbnissen er-bauet, die alle in einer Höhe und Be-dachung rund herum gehen, undtheils kostbar ausgeschmückt sind.“3

Vollendet wurde der gesamte Bau,der ein unregelmäßiges Viereck bil-det, um das Jahr 1590. Er besaß ur-sprünglich, wie auf dem Stadtplanaus der Mitte des 17. Jahrhundertszu sehen ist, zwei Eingänge auf derWestseite (Abbildung 1). Der nördli-

che von beiden wurde 1822 zuge-mauert und seitdem auch als Beiset-zungsstelle genutzt (heutiger Bogen9a). Der Turm des südlichen Tors,der heutige Haupteingang, ist ver-mutlich im 18. Jahrhundert mit einersogenannten Welschen Haube be-krönt worden.

An der Stelle des alten Pestfriedhofswar eine aufwendig gestaltete Sepul-kralanlage entstanden, die immerwieder in den höchsten Tönen ge-lobt und seit dem Ende des 19. Jahr-hunderts, der Zeit typengeschichtli-cher Studien der sich institutionali-sierenden Kunstgeschichte, gernauch „Camposanto“ genannt wird.Grund für die mittlerweile sehr weitverbreitete Bezeichnung war dieheute umstrittene Vermutung, dassals Vorbild für die Arkaden-Anlagedes halleschen Stadtgottesackers derPisaer Begräbnisplatz neben demDom diente. Dieser war bereits1278 bis 1283 nach Plänen von Giovanni di Simone in Form einesKreuzgangs architektonisch gestaltetworden. Den Namen „Camposanto“erhielt der Begräbnisplatz in Pisa je-doch nicht aufgrund seiner Architek-tur, sondern vermutlich wegen derErde, die der Legende nach aus Jeru-salem geholt worden sein soll, umden Pisanern die Möglichkeit derBestattung in „heiliger Erde“ zu ge-ben. Die seit dem 19. Jahrhundertfür den halleschen Stadtgottesackerverwendete Bezeichnung „Campo-santo“ ist dahingehend problema-tisch, weil der Begriff aus seinem ur-sprünglich sakralen Zusammenhangin einen architektonischen gestellt

wurde. So besitzen andere als „Cam-posanto“ bezeichnete Friedhöfe Ita-liens nicht zwangsläufig eine archi-tektonische Gestaltung wie der Pisa-er Begräbnisplatz.Die Anzahl der seit dem 16. Jahr-hundert in Deutschland entstande-nen „Camposanti“ ist lange Zeit un-terschätzt worden. So ging GustavSchönermark Ende des 19. Jahrhun-derts davon aus, dass die Anlage aufdem halleschen Martinsberg inDeutschland singulär sei: „Wir ha-ben hier also die genaue Ueberset-zung eines Campo santo in dasDeutsche vor uns und zwar in derFormensprache des 16. Jahrhun-derts. Es ist die einzige derartige An-lage auf deutschem Boden <...>.“Heute wissen wir, dass ab der erstenHälfte des 16. Jahrhunderts nebender halleschen Anlage noch eineVielzahl weiterer, ähnlicher Begräb-nisplatzarchitekturen außerhalb derOrtschaften errichtet wurden, sozum Beispiel in Leipzig, in Eislebenund in Buttstädt.

Die dezentralen Bereiche sind es,die entgegen der jahrhundertelan-gen, eschatologisch bedingten Tra-dition auf diesen Begräbnisplätzenden bevorzugten Bestattungsort derOberschicht bilden. So wird diedurch den Altar und seine Wertigkeitbestimmte Zentralisierung der Kirch-höfe aufgegeben, bis hin zum völli-gen Wegfall des Sakralgebäudes,wie auf dem Stadtgottesacker in Halle. Aufgrund dessen wird inFachkreisen vermutet, dass im 16. Jahrhundert die Reformation unddie damit verbundenen theologi-

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schen Veränderungen die Bedingun-gen für die Entstehung und Verbrei-tung dieses Friedhofstypus schufen.So dürfte die Errichtung und Verzie-rung der Arkaden-Anlage des halle-schen Stadtgottesackers wohl ganzim Sinne Martin Luthers gewesensein. In der Schrift „Ob man vor demsterben fliehen möge“ hatte er 1527den Zustand der Friedhöfe kritisiertund Ratschläge zu deren Verschöne-rung gegeben. Seiner Ansicht nachsollten die Begräbnisplätze nicht nuraus Not, sondern auch wegen der„andacht und ehrbarkeit“ aus derStadt verlegt und würdig gestaltetwerden: „Denn ein begrebnis solt jabillich ein feiner stiller ort sein, derabgesondert were von allen örten,darauff man mit andacht gehen undstehen kündte, den tod, das Jüngstgericht und aufferstehung zu be-trachten und betten, also das der sel-bige ort gleich eine ehrliche, ja fastein heilige stete were, das einer mitfurcht und allen ehren drauff kundtewandeln, weil on zweifel etlicheheiligen da liegen. Und daselbst umbher an den wenden kund mansolche andechtig bilder und gemel-de lassen malen.“ - Die Hallenserorientierten sich an den Vorstellun-gen Martin Luthers. Aus der altenBeschreibung des Stadtgottesackersvon Johann Gottfried Olearius erfah-ren wir, wie reich die Gräber einstmit Darstellungen biblischen Inhaltsgeschmückt waren. Erhaltener Belegdafür ist eines der ältesten Grabreli-efs des Stadtgottesackers. Es befindetsich im 1557/58 errichteten Bogen12 (ursprünglich Bogen 2), welcherder Familie von Selmenitz gehörte

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und zeigt neben den bestatteten Fa-milienangehörigen den Tod Jesu, dieKreuzigung.Darüber hinaus wurde auch die ge-samte Fassade der Grabbogen-Anla-ge mit Reliefs verziert. Die Motivereichen von einfachen Pflanzen-Ranken über in mittelalterlicher Tra-dition stehende Tierdarstellungenbis hin zu antikisierenden Masken,Putten und Mischwesen. Es ist anzu-nehmen, dass ein Teil der Reliefstheologische Bedeutung besitzt undbewusst für die Gestaltung der Arka-den gewählt wurde. So kann der Vo-gel in den Zwickelfeldern des Bo-gens 56 als Phönix gedeutet werden.Über das Mittelalter hinaus war erauch im Protestantismus Symbol fürChristi Tod und Auferstehung. DesWeiteren findet man auf den Fassa-den-Reliefs des Stadtgottesackersauch weltlich-allegorische Abbil-dungen des Todes in Form von To-tenschädeln, wie auf dem linkenZwickelrelief des Bogens 59 oderauf dem Zwischenpfeiler der Bögen86 und 87.Fünfzehn Jahre nachdem Martin Luther die Verschönerung der Fried-höfe mit „andechtig bildern und ge-melden“ empfohlen hatte, gab erabermals Ratschläge zu deren Ge-staltung. 1542 schrieb er in der Vor-rede zum Begräbnisliederbuch:„Wenn man auch sonst die Greberwolt ehren, were es fein, an dieWende, wo sie da sind, gute Epita-phia oder Sprüche aus der Schrifftdrüber zu malen oder zu schreiben,das sie fur augen weren denen, sozur Leiche oder auff den Kirchoffgiengen <...>.“ In diesem Zusam-

Abbildung 3

Bildnis Nickel Hoffmannsüber dem Eingang zum Stadtgottesacker

Abbildung 4

Steinmetzzeichen Nickel Hoffmanns vom Bogen Nr. 17 des Stadtgottesackers

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menhang schlug der Reformator 26Inschriften biblischen Inhalts (alle indeutscher Spache) für Grabstättenvor. Die meisten von Martin Lutherempfohlenen Sprüche waren auchauf den Bögen und Epitaphien deshalleschen Stadtgottesackers ange-bracht.

Die genaue Baugeschichte der Bo-gen-Architektur auf dem Martins-berg ist aufgrund fehlender Quellenbis heute teilweise ungeklärt. Sowissen wir zum Beispiel nicht, obdie architektonische Gestaltung desStadtgottesackers von vornherein sogeplant war oder ob die Idee der einGräberfeld umgebenden Bögen erstspäter aufkam, als auch die Erweite-rung des Begräbnisplatzes vorge-nommen wurde (1563/64). Unklarist ebenfalls, ob die Trennwändezwischen den einzelnen Bögen bau-zeitlich oder sekundär eingefügtworden sind. Mit großer Wahr-scheinlichkeit wurde die Innen-fläche des Stadtgottesackers anfangsvon Arkaden-Gängen umgeben,nicht von einzelnen Memorialräu-men. Der zweiflüglige „Camposan-to“ auf dem Eislebener Kronenfried-hof, ungefähr zur gleichen Zeit wieder in Halle entstanden, ist bis heuteohne trennende Wände geblieben.

Baumeister der Grabbogen-Anlagewar Nickel Hoffamnn, dessen Bild-nis sich über dem Eingang zumStadtgottesacker auf der dem Grä-berfeld zugewandten Seite befindet(Abbildung 3). Sein mehrfach auf-tauchendes Steinmetz-Zeichen (Ab-bildung 4) lässt darauf schließen,

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Abbildung 5

Die östliche Empore der Marktkirche, die wie ein Ausblick auf die etwas später errichtete Grabbogen-Anlage auf dem Stadtgottesacker erscheint.

Abbildung 6

Blick auf die Grabbögen des Stadtgottesackers

dass er anfangs selbst aktiv am Baumitarbeitete. In der zweiten Hälftedes 16. Jahrhunderts war Hoffmannan verschiedenen großen Baupro-jekten in Halle beteiligt und hattesich einen Namen gemacht, so dassihm durch den Rat der Stadt auchdie architektonische Gestaltung desStadtgottesackers übertragen wurde.1550 erlangte er das Bürgerrechtund war in der Folgezeit unter ande-rem am Bau der Marktkirche, derMoritzkirche und der Umgestaltungdes Rathauses tätig. Die Vollendungder Grabbogen-Anlage auf demMartinsberg erfolgte wahrscheinlichnicht durch Nickel Hoffmann selbst.

Vorbild für die Grabbogen-Anlagedes Stadtgottesackers waren nebendem wohl ältesten deutschen Be-gräbnisplatz dieser Art, dem Leipzi-ger „Camposanto“ vor dem Grim-maischen Tor (1536/37 errichtet),die Emporen der halleschen Markt-kirche St. Marien und Gertruden.Diese sind unter dem Steinmetzenund Baumeister Nickel Hoffmann,wie auf der Südempore inschriftlichfestgehalten ist, 1554 vollendet wor-den und umgeben den Innenraumder Kirche wie die Grabbögen dasGräberfeld des Stadtgottesackers.Von besonderer Bedeutung ist dieEmpore im Osten der Kirche (Abbil-dung 5), die, im Gegensatz zu denender Nord- und Südseite, auf einemRundbogen ruht. Wie alle anderenEmporen-Bögen wurde sie mit vege-tabilen Reliefs verziert und scheintwie ein Ausblick auf das drei Jahrespäter begonnene Werk Hoffmanns,den Stadtgottesacker (Abbildung 6).

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1) Dreyhaupt 1749, 262.2) Dreyhaupt 1750, 761.3) Ebd.4) Schönermark 1883, 126.5) WA, 23. Band, 1901, 375.6) Ebd.7) WA, 35. Band, 1923, 480.8) Schönermark 1883, 126.

Olearius, Johann Gottfried, Coemiterium Saxo - Hallense. Das ist / Des wohlerbauten Gottes-Ackers DerLöblichen Stadt Hall in Sachsen Beschreibung:Darinnen / die Fürnemsten Grabmahle und dero meistlich - denckwürdige Schrifften / Welche / so wohl in denen 94. gewölbten Schwibbögen / als auch untern freyen Himmel /und mitten aufn Platze desselben zu befinden /Gott und dem lieben Vaterlande zu Ehren / ingleichen / zu der daselbst in Gott Ruhenden und der noch Lebenden / guten Andencken / wie auch den Nachkommen zum besten / Mit fleis zusammen gebracht / und sampt einemAnhang Der denckwürdigsten Grabmahle / so in unterschiedlichen Kirchen in- und außerhalbder Stadt Halle zu sehen, Wittenberg 1674.

Dreyhaupt, Johann Christoph von, Pagus Neletici et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatisch - historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat undErtz-Stifft, nunmehr aber durch den westphäli-schen Friedens-Schluß secularisirten Hertzog-thum Magdeburg gehörigen Saal-Creyses, Und aller darinnen befindlichen Städte, Schlösser,Aemter, Rittergüter, adelichen Familien, Kirchen,

Clöster, Pfarren und Dörffer, Insonderheit derStädte Halle, Neumarckt, Glaucha, Wettin, Löbe-gün, Cönnern und Alsleben; Aus Actis publicisund glaubwürdigen Nachrichten mit Fleiß zusam-men getragen, Mit vielen ungedruckten Documen-ten bestürcket, mit Kupferstichen und Abrißen ge-zieret, und mit nöthigen Registern versehen, Halle, Erster Theil 1749, Zweiter Theil 1750.

Dähne, Carl Gottlieb, Neue Beschreibung des Halleschen Gottesackersnebst geschichtlichen Bemerkungen über die Gräber und Begräbnißgebräuche der Christen,Halle 1830.

Schönermark, Gustav, Ein deutscher Campo santo, in: Deutsche Bauzeitung, 22/1883, S. 126-129, S. 138-140.

Schönermark, Gustav, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der ProvinzSachsen und angrenzender Gebiete,Neue Folge. Erster Band. Die Stadt Halle und der Saalkreis, hg. v. d. Historischen Commission der Provinz Sachsen, Halle a. d. S. 1886.

Literaturhinweise:

Als Anregung für die ornamentaleGestaltung der Emporen der Markt-kirche dienten Nickel Hoffmann undseinen Mitarbeitern unter anderemStiche Heinrich Aldegrevers. Dieserzur Gruppe der sogenannten Klein-meister gehörige westfälische Künst-ler der Frührenaissance hat von1527 bis 1555 hundert Ornamentsti-che geschaffen, die auch die Stein-metzen für die Gestaltung der Arka-den des Stadtgottesackers als Vorla-ge nutzten. Gustav Schönermarkwies Ende des 19. Jahrhunderts erst-mals darauf hin, dass die Bauabfolgeder Grabbögen sich auch durch dasVergleichen der Bogen-Dekorationerschließen lässt. Er war auch derje-nige, der den Bauschmuck als ersteruntersuchte und die Arbeiten ver-schiedener Meister gegeneinanderabgrenzte. Die gesamte Ornamen-tik, in einem Zeitraum von überdreißig Jahren entstanden, teilteSchönermark in vier Gruppen underkannte eine eindeutige Wandlung:"von der schüchternen, fast noch derFrührenaissance angehörigen Weisegeht sie allmählich über zu der bom-bastisch-üppigen Art des Barock-stils.“

Die Arkaden-Anlage, die in einemZeitraum von über dreißig Jahren inHalle entstanden war, zählt auf-grund ihrer Geschlossenheit undGestaltung zu den herausragendenkunst- und sepulkralgeschichtlichenZeugnissen des 16. Jahrhunderts inMitteldeutschland.

Anja A. Tietz

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Ruhestätte bedeutenderPersönlichkeiten derdeutschen Geistes- undWirtschaftsgeschichte

Teil 1

Bogen 10Christian Thomasius (01.01.1655 - 23.09.1728)

Der als „Vater der deutschen Aufklärung“ gewür-digte Jurist und Philosoph wurde am 1. Januar1655 als Sohn des Philosophieprofessors JacobThomasius in Leipzig geboren. In der blühendenMessestadt nahm er zuerst philosophische Studi-en auf, wechselte dann zu den Juristen über undsetzte diese Studien in Frankfurt/Oder fort, wo er1679 mit der Promotion erfolgreich die Ausbil-dung beendete. In Leipzig ließ er sich zunächst alsAdvokat nieder, um 1687 erste Vorlesungenschon in deutscher Sprache zu halten. Im Jahre1690 nahm er seine Vorlesungen in Halle auf, woer an der Waage als erstem Universitätsgebäudewirkte. Er gilt als geistiger Vater der halleschenUniversität im Sinne der Frühaufklärung. In sei-nen mehr als 300 akademischen Schriften wandteer sich oft seinen Studenten zu und ging auchrechtspolitisch brisante Themen an. So setzte ersich erfolgreich für die Abschaffung der Hexen-prozesse und der Folter ein. Einen erneuten Ruf andie Universität Leipzig lehnte Thomasius auf derHöhe seines Ruhms ab. 1709 wurde er zum ge-heimen Justizrat berufen, und im Jahr darauf er-folgte seine Ernennung zum Direktor der Univer-sität Halle auf unbegrenzte Zeit. Er setzte sich fürdie Reform des römisch geprägten Rechtswesenszugunsten des Naturrechts und des deutschenRechtes ein.

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Bogen 12Felicitas von Selmnitz (1488 - 01.05.1558)

Felicitas von Selmnitz wurde im Jahre 1488 alsTochter des am sächsischen Hof hochangesehe-nen Adeligen Hans Münch geboren. Im Jahre1507 wurde sie durch den sächsischen KurfürstenFriedrich den Weisen mit seinem Günstling Wolfvon Selmnitz in Allstedt verheiratet, wo er seit1502 Schloßhauptmann und Amtmann war.Nach 1509 siedelte die Familie nach Halle über,wo Wolf von Selmnitz einen Hof in der AmtsstadtGlaucha gekauft hatte. Von den in der Ehe gebo-renen zwei Söhnen und fünf Töchtern überlebtenur der zweitgeborene Sohn Georg das Kindesal-ter. Wolf von Selmnitz wurde im Jahre 1519 Op-fer eines privaten Händels, als Moritz von Knebel,Marschall auf der Moritzburg und Sohn des ver-feindeten Thilo von Knebel, ihn nach einem Fest-mahl hinterrücks erstach. Felicitas von Selmnitzführte den Hof in der Nähe der Georgenkirche fort und wurde vermutlich durch deren KaplanThomas Müntzer religiös stark beeinflußt. Mit 35Jahren lernte sie von ihrem Sohn das Lesen undbegann ein intensives selbständiges Bibelstudium,welches sie zum Konfessionswechsel veranlaßte.Als eine der ersten Anhängerinnen der Reformati-on nahm sie 1523 zu Weihnachten das Abend-mahl in beiderlei Gestalt ein. Im Jahre 1527 be-gleitete sie ihren Sohn zu dessen Studium nachWittenberg und gehörte als geistig hochangesehe-ne Frau zur Tischrunde Martin Luthers. KardinalAlbrecht forderte sie als offene Verfechterin derReformation 1528 auf, dieser abzuschwören oderdie Stadt Halle verlassen zu müssen. Ihrem Ge-wissen gehorchend, ließ sie sich in Wittenbergnieder und kehrte erst 1547 nach dem inzwischenreformierten Halle zurück. Noch heute besitzt dieMarienbibliothek reformatorische Schriften ausdem Besitz von Felicitas von Selmnitz mit wert-vollen Widmungen Luthers, Bugenhagens undvon Justus Jonas.

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Bogen 14Ludwig Wucherer(30.05.1790 - 15.12.1861)

Ludwig Wucherer wurde am 30. Mai 1790 alsSohn des Kammerrates und Fabrikanten MatthäusWucherer in Halle geboren. Als Fünfjähriger be-gann seine Schulausbildung in der Niemeyer-schen Privatschule, die er im Pädagogium fortsetz-te. Familiäre Verhältnisse erzwangen eine kauf-männische Ausbildung in Breslau und Berlin.Bereits 1812 übernahm er die Führung des Fami-lienunternehmens. An den Befreiungskriegen be-teiligte er sich 1813 als Freiwilliger des Lützow-schen Freikorps. Nach der Rückkehr 1816 trotzteer manchen Schwierigkeiten und entwickelte dieGolgasdruckerei zu einem florierenden Unterneh-men. Seinem Wissen verdankte er die Berufung alsunbesoldeter Stadtrat und besoldeter Kämmererder Jahre 1819 bis 1829. Der wirtschaftlichen Ent-wicklung der Stadt dienten das unter seinem Vor-sitz 1826 gegründete „Komitee zur Beförderungder Halleschen Schiffahrt“ und der 1833 gegrün-dete „Verein für den Halleschen Handel“, ein Vor-läufer der Handelskammer, der er seit der Grün-dung 1845 vorstand. Größten Dank schuldet Hal-le seinem Wirken für die Entwicklung der Stadt zueinem der Eisenbahnknotenpunkte in Preußen.Neben staatlichen Auszeichnungen erhielt LudwigWucherer durch die Bürgerschaft von Halle am12. April 1854 die Bürgerkrone und den Titel eines„Stadtältesten“.

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Bogen 15August Hermann Niemeyer (01.09.1754 - 07.07.1828)

Am 1. September 1754 als Sohn eines Predigers inHalle geboren, besuchte er das Pädagogium derFranckeschen Stiftungen und nahm im Jahre 1771das Studium der Theologie an der halleschen Uni-versität auf. Nach seiner Promotion 1777 beganner, Vorlesungen zu halten, und wurde 1784 zumInspektor des Pädagogiums und im Folgejahr zumMitdirektor des Waisenhauses berufen. Im Jahre1786 heiratete August Hermann Niemeyer die am15. Februar 1769 geborene Tochter eines Magde-burger Hofrates, Agnes Wilhelmine von Köpken,die er bei seinen Besuchen der literarischen „Mitt-wochsgesellschaft“ kennengelernt hatte. Aus die-ser Ehe gingen 15 Kinder hervor, von denen je-doch 5 das Kindesalter nicht überlebten. Die von Agnes Wilhelmine Niemeyer im HauseGroße Brauhausstraße 15 veranstalteten Gesell-schaften galten mit ihren bis zu 100 Gästen alsgeistiger Mittelpunkt des bürgerlichen Lebens derSaalestadt. Der angesehe Dichter Wilhelm vonSchlegel hob die Kanzlerin Niemeyer als die inter-essanteste Person Halles neben Christian Reil her-vor. In einer scharfen Auseinandersetzung mitdem preußischen Staat um seine Lehrauffassungals Vertreter der Aufklärung, die zum Verbot sei-ner Schriften führte, stellte sich die gesamte Uni1794 hinter Niemeyer und wählte ihn zum Pro-

Bogen 80/81Agnes Wilhelmine Niemeyer (15.02.1769 - 08.04.1847)

rektor. Sein pädagogisches Hauptwerk sind die1796 erschienenen „Grundsätze der Erziehungund des Unterrichtes für Eltern, Hauslehrer undErzieher“. Mit der Schließung der Universitätdurch Napoleon verband sich auch Niemeyerspersönliches Schicksal, der im Mai 1807 verhaftetund nach Frankreich als Geisel verbracht wurde.Nach seiner Freilassung im Oktober 1807 setzteer sich für die Wiederbelebung der Universitätund der Stiftungen ein, was zum 1. Januar 1808gelang. Ein Jahr vor seinem Tode konnte er am 18. April 1827 sein 50 jähriges Doktorjubiläumfeiern - ein Festtag, der ihm von allen Seiten Ehrungen entgegenbrachte. Die Stadt verlieh ihmauch in Anerkennung um die Armenpflege die silberne Bürgerkrone.

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Bogen 17Johann Juncker (23.12.1679 - 25.10.1759)

Johann Juncker stammt aus Londorf im Hessi-schen, wo er am 23. Dezember 1679 als Sohneinfacher Eltern geboren wurde. Trotzdem wurdeihm der Besuch des Pädagogiums und ab 1695der Universität in Gießen ermöglicht. Nach ei-nem Aufenthalt in Marburg setzte er seine Studien1697 an der Theologischen Fakultät in Halle fort.Nach Abschluß des Studiums wirkte er ab 1701als Informator am Pädagogium der FranckeschenStiftungen. Es folgten Tätigkeiten in wechselndenStädten, die er zum autodidaktischen Studium derMedizin nutzte. Er studierte überwiegend dieSchriften des Hallensers Georg Ernst Stahl. 1717wurde Juncker durch Francke nach Halle zurück-geholt, indem er ihm die medizinische Oberauf-sicht über die gesamten Stiftungen übergab. ZuJunckers ersten Leistungen gehörte der Bau eineseigenen Krankenhauses der Stiftungen. Zur Be-handlung der Kranken zog er verstärkt Studentender höheren Semester heran, die dadurch prakti-sche Erfahrungen sammeln konnten. Im Jahre1729 erhielt er eine ordentliche Professur an derMedizinischen Fakultät. Neben der praktischenGesundheitspflege widmete sich Juncker in einerVielzahl von allgemein verständlichen Artikelnder öffentlichen Gesundheitspflege und vertratdie Pflicht gegen die Armen, diesen die Medika-mente umsonst zu reichen.

Bogen 22Daniel Nettelblatt (14.01.1719 - 04.09.1791)

Daniel Nettelblatt, am 14. Januar 1719 in Rostockals Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes undRatsmitgliedes geboren, entschied sich schon mit15 Jahren für das Studium der Theologie an derRostocker Universität. Nach dem Tode des Vaterswechselte er zu den Juristen und beschäftigte sichdarüber hinaus intensiv mit der Wolffschen Philo-sophie. Von dieser angezogen, ging er im Mai1740 nach Marburg, um Wolff persönlich zuhören. Seine Bindung zu Wolff verstärkte sich, alsdieser nach Halle berufen wurde und Nettelblattim Juli 1741 nach Halle in sein Haus einlud. SeineStudien schloß er im März 1744 mit der Erlangungdes Doktorgrades beider Rechte ab und begannsogleich mit eigenen Vorlesungen und Übungen.1746 erhielt er eine ordentliche Professur derRechte mit dem Titel eines Hofrates, jedoch ohneeine Vergütung. Seine wissenschaftliche Karriereführte ihn 1775 an die Spitze der Juristischen Fakultät der Universität Halle, und gleichzeitigwurde er Direktor der Universität. Als Lehrer undSchriftsteller hervorragend, zählte Nettelblatt zuden führendsten Juristen der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nur schwer ertrug er die Unter-ordnung der Hochschule unter das neu errichteteOberschulcollegium, welches die Rechte der uni-versitären Selbstverwaltung zu beschneiden ver-suchte.

Bogen 22Paul (us) Prätorius (1521 - 17.05.1565)

Paul Prätorius, eigentlich Schultheiß, kaiserlichBrandenburgischer und erzbischöflich Magdeburgi-scher Rath wurde 1521 in Bernau (Mark) als Sohndes Bürgermeisters Andreas Schultheiß geboren. Erstudierte in Wittenberg u. a. bei Melanchthon und inFrankfurt/Oder. 1542 wurde er Rektor der Schule inBernau. 1544 kam er in die Dienste des KurfürstenJoachim II. zu Brandenburg. Er kam als kurfürstlicherRat mit Sigismund nach Halle, als dieser Erzbischofzu Magdeburg wurde. Hier wurde er allgemein derPräceptor genannt. Ihm gelang, daß Sigismund sichzur Evangelischen Lehre bekannte und diese allge-mein einführte. Prätorius hatte gute Kontakte zumMagistrat, förderte gelehrte Leute und veranlaßte dieErrichtung des Gymnasiums. Er war Sigismunds Ge-sandter an auswärtigen Höfen. Der Kaiser Ferdinand I.erhob ihn in den Adelsstand und gab ihm den Titeleines Kaiserlichen Rats. Er hinterlegte auf dem Rat-haus testamentarisch 1500 Rthlr., die Hälfte der Zin-sen diente armen Bürgersöhnen als Stipendium, dieandere Hälfte für „Hausarme“ oder zur Ausstattungarmer Jungfrauen. Wie Dreyhaupt schreibt, starbPrätorius am 17. Mai 1565 und wurde auf dem Gott-esacker in dem Schwibbogen No. XXII, den er kurzvorher zu seinem Begräbnis hat erbauen lassen, be-graben, in welchem sich nach Olearius folgende In-schrift befunden haben soll: „Condidit hos etiamPAULUS PRAETORIUS arcus Insignes clypeos cujus& arma vides.“

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Bogen 33Friedrich Hondorff (25.08.1628 - 30.04.1694)

Friedrich Hondorff wurde am 25. August 1628 inHalle geboren, wo sein Vater als Stiftsschreiberder Magdeburger Regierung angestellt war undals Bornmeister an der Saline wirkte. Nach derAusbildung durch einen Privatlehrer und dem Be-such des Gymnasiums begann der 17jährige ander Universität Jena ein Studium der Rechte undder Philosophie. Aus finanziellen Gründen mußteer dies nach zwei Jahren abbrechen und versuch-te, eine Anstellung in Kopenhagen zu erlangen.Als dies ebenfalls fehlschlug, studierte er in Rostock weiter. Durch eine vorteilhafte Heiratkonnte er sein Studium 1650 gesichert in Frankfurt/Oder abschließen. 1651 kehrte er nachHalle zurück und wirkte als freier Jurist. Es gelangihm 1653, eine Anstellung am angesehenenSchöffenstuhl zu erlangen. Dies war die Grundla-ge seiner weiteren Karriere, die ihm schon im Fol-gejahr die Inspektion der Administrationsverwal-tung der Stadt Halle einbrachte. Seinen Doktor-grad erwarb er 1660 und konnte im selben Jahrdas Salzgrafenamt übernehmen, welches er fast25 Jahre innehatte. Ihm gelang eine grundlegendeReformierung und Modernisierung des Salinebe-triebes. Seine Erkenntnisse faßte er 1670 in demBuch „Das Saltz-Werck zu Halle in Sachsen“ zu-sammen, noch heute eine unerläßliche Quelleder Stadtgeschichte.

Bogen 36Johann Justus Gebauer (19.05.1710 - 26.01.1772)

Johann Justus Gebauer konnte als Sohn einesHandwerksmeisters in Waltershausen die Latein-schule besuchen. Nach dem frühen Tode des Va-ters mußte er jedoch ab Ostern 1724 in Jena eineLehre als Buchhändler und Drucker aufnehmen.Erste berufliche Erfahrungen sammelte er 1729 alsBuchhandlungsdiener und ab 1731 als Drucker-geselle an der Jenenser Universität. 1732 wech-selte er nach Halle, wo die aufstrebende Univer-sität ein reiches Arbeitsgebiet versprach. Er fandAnstellung als Faktor der Orbanschen Druckereiund konnte diese 1733 günstig mit allen Schriftenund Privilegien erwerben. Neben dem Buch-druck, er führte über Jahre den Bibeldruck derCansteinschen Bibelanstalt durch, entwickelte ersich seit 1737 als erfolgreicher Verleger. Seinezentrale Stellung im Geistesleben der Aufklärungfestigte er mit der halleschen Lutherausgabe in 24Bänden, deren Ausgabe 1740 bis 1750 erfolgte.Ein weiterer verlegerischer Erfolg war die aus demEnglischen übersetzte „Allgemeine Welthistorie“in 66 Bänden. Der wirtschaftliche Erfolg ebneteGebauer auch den Aufstieg in das hallesche Patri-ziat. 1764 gelang Gebauer der Erwerb des ehe-mals Wolff`schen Hauses in der Großen Märker-straße, welches für mehr als 180 Jahre Sitz des er-folgreichen Druckerei- und VerlagshausesGebauer-Schwetschke bleiben sollte.

Bogen 27Carl Friedrich Zepernick (22.10.1751 - 05.07.1839)

Geboren wurde der Sohn eines Patriziers undApothekers am 22. Oktober 1751 in dem nochheute als „Marktschlößchen“ bekannten Hausenördlich der Marktkirche. In den durch die„Löwenapotheke“ genutzten Räumlichkeiten ver-lebte er seine Jugend. Die schulische Ausbildungerlangte er am lutherischen Gymnasium der Stadtund dem Pädagogium des Waisenhauses. Die Universität besuchte er seit seinem 17. Le-bensjahr, um Rechtswissenschaften zu studieren.Nach seiner Promotion im Jahre 1773 begann erseine akademische Laufbahn mit Vorlesungen zurGeschichte des römischen Rechts. Diese beende-te er nach Differenzen mit dem Naturrechtler Daniel Nettelblatt, und es gelang ihm, 1777 eineAnstellung als Assessor am halleschen Schöffen-stuhl, dem Berg- und Thalgericht, zu finden. In Anerkennung seiner Gerichtsarbeit erhielt er1785 die Berufung zum Salzgrafen, Stadtgerichts-direktor und Stadtschultheißen. Nach seiner Pen-sionierung 1815 widmete er sich verstärkt seinerLiebhaberei, dem Münzsammeln. Als Besitzer einer ansehnlichen Sammlung in seinem Hausegenoß er einen wissenschaftlich bedeutsamenRuf. Nach seinem Tode am 5. Juli 1839 auf sei-nem Landgut in Stichelsdorf bereiteten die Hallo-ren ihrem letzten Salzgrafen einen würdigen Ab-schied.

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Bogen 41Johann Friedrich Gottlieb Goldhagen (21.05.1742 - 10.01.1788)

Johann Friedrich Goldhagen stammt aus derHarzstadt Nordhausen, wo er am 21. Mai 1742als Sohn des Gymnasialdirektors Johann Eustachius Goldhagen geboren wurde. Seineschulische Ausbildung absolvierte er in Nord-hausen, Magdeburg und an den FranckeschenStiftungen in Halle, die schon sein Vater besuch-te. Im Jahre 1760 schrieb er sich an der Medizini-schen Fakultät ein. Seine Lehrer waren unter an-deren die Professoren Friedrich Hoffmann jun.,Philipp Adolph Böhmer und Friedrich ChristianJuncker. Nach seiner Promotion im Jahre 1765begann er, Privatvorlesungen anzubieten. SeineErfolge in der Ausbildung wurden vier Jahre spä-ter mit einer außerordentlichen Professur hono-riert. Durch die spätere Professur für Naturge-schichte las er an zwei Fakultäten und betriebdarüber hinaus eine eigene Praxis in der Stadt.Im Jahre 1772 ernannte ihn der Magistrat derStadt zum Stadtphysikus, welcher gleichzeitigdie medizinische Aufsicht für den Saalkreis undMansfeld wahrzunehmen hatte. In Anerkennungdes „besten practischen Medicus in Halle“ er-hielt er 1787 die Direktion des neu geschaffenenUniversitätsklinikums. Sein größter Schüler war Johann Christian Reil, der nach Goldhagensfrühem Tode dessen Nachfolger wurde.

Bogen 41Carl Julius Dryander (30.08.1811 - 17.02.1897)

Carl Julius Dryander wurde am 30. August 1811als zweiter Sohn des halleschen Justizrates Friedrich Dryander geboren. Seine Familie galtals eine hochangesehene Beamtendynastie, dieEnde des 17. Jahrhunderts aus Merseburg einge-wandert war. Nach dem Besuch des Pädagogi-ums der Franckeschen Stiftungen begann Dryander das Jurastudium in Halle und Berlin. In Berlin sammelte er als Obergerichtsassessorerste Berufserfahrungen und kehrte 1843 nachHalle zurück. Als Syndikus übernahm er die Ver-waltung aller ökonomischen Belange derFranckeschen Stiftungen bis zum Jahre 1886. Erfolgreich gelang ihm die Entwicklung der „erwerbenden Institute“, der Buchhandlung, derCansteinschen Bibelanstalt und der Buchdrucke-rei. Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1850wurde er als dessen Nachfolger gleichzeitig zumSyndikus der Pfännerschaft berufen. Als Stadtver-ordneter seit 1846 und unbesoldeter Stadtrat seit1851 setzte er sich mustergültig für das Gemein-wohl ein. Seine besondere Aufmerksamkeit fan-den die Entwicklung des Sparkassenwesens unddie Verwaltung der Kirchenangelegenheiten. InWürdigung dieser Verdienste über einen Zeit-raum von fast 50 Jahren verlieh ihm die Stadtver-ordnetenversammlung am 19. Dezember 1892das Ehrenbürgerrecht.

Bogen 36Carl August Schwetschke(29.09.1756 - 19.09.1839)

Carl August Schwetschke wurde am 29. Septem-ber 1756 als zweites Kind eines sächsischen Kauf-mannes in Glaucha geboren. Nach dem Abschlußder heimatlichen Lateinschule begann er im Som-mer 1771 eine Lehre an der berühmten Waisen-hausbuchhandlung in Halle. Eine dreijährige Aus-bildung absolvierte er an deren Zweigstelle inBerlin, ehe er in Leipzig als Kommis in einerBuchhandlung und ab 1780 in Bern arbeitete.1783 kehrte er nach Halle zurück, um die Ge-schäftsführung der Hemmerdeschen Verlags-buchhandlung zu übernehmen. Hier wurde er1788 durch die Besitzerin Johanna Hemmerde alsTeilhaber aufgenommen und führte den Verlag zugroßen wirtschaftlichen und verlegerischen Erfol-gen, die durch seine Söhne fortgesetzt wurden. Ergehörte zu den angesehensten deutschen Buch-händlern seiner Zeit und erwarb sich über dieGrenzen Halles hinaus Verdienste durch die Re-form des Verlags- und Autorenrechtes. Es gelangihm besonders, das Unwesen des Nachdruckeszu bekämpfen. Am Ende seines Lebenswerkeskonnte er auf 816 verlegte Werke zurückblicken,unter denen sich auch Arbeiten des Weltumseg-lers Forster, des Historikers Sprengel und des Phi-lologen Bernhardy befanden. Für Halle wirkte erab 1818 als ehrenamtlicher Stadtrat und zählte zuden Begründern der halleschen Sparkasse.

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Bogen 44Johann Reinhold Forster (22.10.1729 - 09.12.1798)

Der Lebensweg des als „Weltumsegler“ berühmtgewordenen Wissenschaftlers verband sich schonin früher Jugend mit der Stadt Halle. Nach derschulischen Ausbildung im JoachimsthalschenGymnasium in Berlin studierte er von 1748 bis1751 an der hiesigen Theologischen Fakultät.Nach dem Studium nahm er eine Predigerstelle inDanzig an und bereiste 1765 im Auftrag des Zaren die Kolonistengebiete an der Wolga. EineAnstellung als Lehrer führte ihn nach England, eheer mit seinem Sohn Georg an der von 1772 bis1775 dauernden Weltumseglung unter dem Ka-pitän James Cook teilnahm. Im Jahre 1777 erschi-en die von ihm verfaßte Beschreibung der Fahrtzuerst in englischer und 1778 auch in deutscherSprache. Selbst in wirtschaftliche Schwierigkeitengeraten, gelang es seinem Sohn, eine Professur fürNaturgeschichte und Mineralogie an der halle-schen Universität für den Vater zu erlangen. Hierwirkte dieser ab 1780 und erlangte große Ver-dienste um den Botanischen Garten. Durch viel-fältige Kontakte versorgte er diesen mit Samenund Pflanzen aus aller Welt. Durch „seine Heftig-keit, seine Geradheit und sein offenes Herz“ schufer sich auch in Halle nicht nur Freunde. Bei sei-nem Tode am 9. Dezember 1798 beklagte dieUniversität den Verlust eines hervorragendenLehrers und Weltgelehrten.

Bogen 47Friedrich Hoffmann (19.02.1660 - 12.11.1742)

Friedrich Hoffmann, der als Sohn eines Arztes am19. Februar 1660 in Halle geboren wurde, mußteschon mit 15 Jahren die schmerzliche Erfahrungder Hilflosigkeit machen, als er innerhalb einerWoche seine Eltern und die älteste Schwesternach einem hitzigen Fieber verlor. Nach dem Be-such des Stadtgymnasiums begann er 1678 dasStudium der Medizin an der Universität Jena.Dieses schloß er 1681 mit dem Doktorgrad ab.Nach einer Bildungsreise, die ihn durch Hollandund England führte, ließ er sich 1685 in Mindenals Garnisonsarzt und späterer Hofmedikus nie-der. Sein Weg führte ihn über Halberstadt 1693zurück in seine Heimatstadt Halle. Hier hatte erdie große Aufgabe, die Medizinische Fakultät zubegründen. Er schuf ihre Statuten und entwarfauch ihr Siegel. Seinem europäischen Ruf als aus-gezeichneter Praktiker und Wissenschaftler ver-dankte die Fakultät ihre erste Blüte. Viele Fürstensuchten seinen Rat, und von 1709 bis 1712 wirk-te Hoffmann als Leibarzt Friedrichs I. in Berlin. In Anerkennung seiner Leistungen wurde er alsMitglied der Leopoldina, der königlich-preußi-schen Akademie in Berlin, der Großbritanni-schen Sozietät in London und der RussischenAkademie in Petersburg berufen. Unvergessensind auch heute noch die als Magenmittel be-kannten„Hoffmann`s Tropfen“.

Bogen 53Johann Salomon Semler(17.12.1725 - 14.03.1791)

Der Lebensweg des bedeutendsten Theologendes 18. Jahrhunderts Johann Salomon Semlerscheint vorausbestimmt gewesen zu sein. AlsSohn eines Pfarrers in Saalfeld am 17. Dezember1725 geboren, kommt er 1744 als Theologiestu-dent an die hallesche Alma mater. Er bezieht eineWohnung in den Franckeschen Stiftungen, hörttheologische Vorlesungen und beschäftigt sichmit dem Studium der orientalischen Sprachen. Inder Theologie gehört er bald zu den bestenSchülern von Sigmund Jakob Baumgarten, derihn mit den kritischen Methoden des AufklärersWolff vertraut macht. Seine eigene akademischeLaufbahn führte ihn zunächst 1751 über Coburgnach Altdorf, wo er eine Professur für Eloquenzerhält. Doch schon 1753 kehrte er nach Hallezurück, um durch die Vermittlung des väterli-chen Freundes Baumgarten eine Professur fürTheologie zu übernehmen. Im praktischen Lebeneher als menschenscheu und lebensfern einge-schätzt, entwickelte er sich durch seine bahnbre-chenden Arbeiten zum führenden Vertreter derdeutschen Aufklärungsphilosophie. Er gilt als Be-gründer der historischen Methode in seinem Wis-senschaftszweig. 1757 wurde er Leiter des Theo-logischen Seminars und stand in den Jahren1761/62 und 1770/71 als Prorektor an der Spitzeder Universität.

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Bogen 58Johann Christoph Dreyhaupt (20.04.1699 - 12.12.1768)

Geboren wurde Johann Christoph Dreyhaupt am20. April 1699 als Sohn eines wohlhabendenKaufmanns in dem Geschäftshaus „GoldenerStern“ am Kleinen Berlin. Nach einem kurzenAusflug in die Welt des Handels, eine LeipzigerLehre brach er bald ab, schrieb er sich 1718 ander halleschen Universität in das Studium derRechte ein. 1725 begann er seine juristische Lauf-bahn als Advokat im Saalkreis und Fiskal der fran-zösischen Gemeinde von Halle. Schon 1729 wur-de er zum Beisitzer des Schöffenstuhls berufen,dessen Senior er bereits zwei Jahre später wurde.Seine politische Karriere läßt ihn die Ämter desStadtschultheißen und des Salzgrafen, des höch-sten Beamten der königlichen Saline, überneh-men. In Anerkennung seiner Verdienste wurdeDreyhaupt 1742 in den Adelsstand erhoben. Dar-über hinaus war er als Historiker von Rang aner-kannt worden. Noch heute gilt seine zweiteilige„Beschreibung des Saalkreises“ aus den Jahren1749 und 1750 als eine der grundlegendsten Ar-beiten zur Geschichte der Stadt Halle und von de-ren Umland. Für ihre mühevolle Erstellung hatteer über 12.000 Dokumente kritisch verglichenund mehr als 1.000 Urkunden abgeschrieben. Al-lein wirtschaftlich bedeutete das große Werk fürseinen Schöpfer den Ruin.

Bogen 57Friedrich Madeweis (10.11.1648 - 07.08.1705)

Der am 10. November 1648 geborene Neumär-ker Pfarrerssohn absolvierte das Stargarder Gym-nasium, um schon nach dem ersten Studienjahran der Universität Jena 1665 den Magistergradzu erhalten. Seine erste Anstellung bekam er alsKonrektor des berühmten Berliner Gymnasiums„Zum grauen Kloster“, an dem er von 1672 bis1681 wirkte. In diesem Jahr kam er als staatlicherPostmeister in das kurbrandenburgische Halle,um das Postwesen hier aufzubauen. Madeweisverfolgte als Universalgelehrter über seine Ver-waltungsaufgaben hinaus wissenschaftliche Zie-le in Halle. Um eine eigene Lehranstalt zu be-gründen, ließ er 1702 am Großen Berlin ein nachseinen Plänen entworfenes Gebäude errichten.Dieses „Riesenhaus“ bezeichnete er als „Athenaeum Salomoneum“ und lud die Studie-renden zum Erlernen der Mathematik, Physik,Natur, Medizin, von Recht, Politik und Statistikein. Seine Akademie konnte er jedoch nichtmehr zum Erfolg führen, da er am 7. August 1705entkräftet an einem Schlaganfall verstarb. Seineerste Ruhestätte fand er in der Schulkirche amheutigen Universitätsplatz, die 1811 durch Johann Christian Reil zu einem Theatergebäudeumgebaut wurde. Daraufhin wurde er auf denStadtgottesacker umgebettet.

Bogen 60Dorothea Händel (08.02.1651 - 27.12.1730)

Die Familie Händel taucht erstmals 1685 in derRestanten-Liste des Gottesackers auf, nachdem eine Hälfte des zumindest seit 1661 verfallenenGrabbogens Nummer 60 durch den Kammerdie-ner Georg Händel erworben wurde. 1670 wurdeder Bogen für 43 Thaler und 9 Groschen neu auf-gerichtet. Es wird vermutet, dass sich hier dieGrabstätte von Händels Mutter befindet.Dorothea Händel wurde 1651 als Tochter desDieskauer Pfarrers Georg Taust. Der Großvater väterlicherseits, Johann Taust, war als böhmischerExilant nach Halle gekommen. Die Ehe mit dem61-jährigen Witwer Georg Händel, Amtschirurgdes Amtes Giebichenstein, Kammerdiener undLeibarzt von Herzog August von Sachsen, schloßihr Vater am 23.04.1683 in der Bartholomäus-Kir-che. Aus der Ehe gingen 4 Kinder hervor. Der älte-ste Sohn starb 1684 im Kindbett. Georg FriedrichHändel wurde am 23.02.1685 geboren, die Töch-ter Dorothea Sophia am 06.10.1687 und JohannaChristiana am 10.01.1690. Letztere starben imKindesalter. Für das musische Talent Georg Fried-richs brachte der Vater kein Verständnis auf. Soübten er und seine Mutter heimlich auf dem Bodenam Klavichord. Der Ehemann Georg verstarb1697. Georg Friedrich lebte ab 1716 nicht mehr inHalle. Über Briefe hielten Mutter und Sohn aberKontakt. Er besuchte seine Mutter von England aus,so oft es ging. Dorothea Händel erlitt einen Schlag-anfall und erblindete. Im Juni 1729 kommt derSohn zu der Kranken. Am 27.12.1730 verstirbt siefast 80-jährig. In der Grabrede heißt es: „Es hat diekindliche Liebe gegen seine Frau Mutter denHerrn Sohn mehr als einmal aus England anheronach Halle gezogen.“ An seinem Geburtstag am23.02.1731 gedenkt Georg Friedrich im Trubel derEhrungen seiner Mutter: „Ihr Gedächtnis wird in-dessen nimmer bey mir verlöschen, biß wier nachdiesem Leben wieder vereinigt werden...“

Der Trauungseintrag von Georg Friedrich Händels Eltern

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Bogen 74Johann Olearius(17.09.1546 - 26.01.1623)

Johann Olearius stammte aus Wesel am Nieder-rhein, wo er am 17. September 1546 als Sohn eines Ölschlägers geboren wurde. Ursprünglichfür eine Handwerkerausbildung in Antwerpenvorgesehen, schickte ihn der Vater an das Düsseldorfer Gymnasium. Sein Theologie-Studium absolvierte er in Marburg und Jena, woer im Januar 1573 seinen Magister ablegte. Er schloß eine mehrjährige Lehrertätigkeit in Königsberg an, bevor er in Halle im Juni 1577 eine Professur für hebräische Sprache übernahm.Das Amt des Oberpfarrers der Marktkirchenge-meinde, verbunden mit der Superintendentur,wurde Olearius 1581 übertragen. Weiterhinlehrte er am Stadtgymnasium die hebräischeSprache und setzte sich für die Ausbildung derTheologiestudenten ein. Er gründete ein vielbe-suchtes theologisches Seminar für Universitäts-abgänger. In der Auseinandersetzung um dasVerständnis der Concordienformeln mit den re-formierten Geistlichen des Fürstentums Anhaltnahm er eine zentrale Stellung ein. Er gilt als Begründer der lutherischen Orthodoxie in Mittel-deutschland, die erst durch Francke zurückge-drängt wurde. Seiner im Jahre 1579 geschlosse-nen Ehe entstammte die Tochter Katharina, dieUrgroßmutter des Komponisten Georg FriedrichHändel.

Bogen 74Gottfried Olearius (01.01.1604 - 20.02.1685)

Gottfried Olearius wurde am 1. Januar 1604 inHalle als Sohn des berühmten Theologen undOberpfarrers der Marktkirchengemeinde JohannOlearius geboren. Nach dem Besuch des Stadt-gymnasiums unter der Leitung des hochangesehe-nen Magisters Evenius begann er 1622 ein Studi-um der Philosophie und Theologie an der Univer-sität Jena. Durch den Tod des Vaters war erwirtschaftlich gezwungen, ein Stipendium in Wit-tenberg anzunehmen, wo er 1625 die Magister-würde erlangte. Hier wirkte er für einige Jahre alsakademischer Lehrer, ehe er 1634 den Ruf an diehallesche Ulrichskirche als Pfarrer erhielt. SeineOrganisationsgabe, ein hohes rhetorisches Ge-schick und sein wissenschaftlicher Fleiß erlaubtenihm im Jahre 1647 die Übernahme der Super-intendentur als Oberpfarrer der Marktkirche. In-tensiv bemühte er sich durch die Abhaltung vontheologischen Kollegs um die Ausbildung des ei-genen Berufsstandes. Besondere Verdienste er-warb sich Gottfried Olearius als erster Stadtchro-nist mit seinem 1667 in Leipzig erschienenenWerk „Halygraphia“. Als besonders verdienstvollkann die gelungene Schilderung der Struktur derVerwaltung, der Kirchen und die Beschreibungder Stadttopographie gelten. Über seine Amts-pflichten hinaus galt er als guter Botaniker, Musi-ker und Astronom.

Bogen 61Ludwig Heinrich von Jakob (26.02.1759 - 22.07.1827)

Der in Wettin am 26. Februar 1759 geborene Ludwig Heinrich Jakob erhielt seinen ersten Un-terricht in der Domschule von Merseburg, ehe erab 1773 das Gymnasium in Halle besuchte. Ander hiesigen Universität begann er 1777 das Stu-dium der Philologie. Aus verarmten Verhältnissenstammend, erwarb er sich den Lebensunterhaltdurch Erteilen von Privatunterricht an begüterteStudenten. Nach erfolgreichem Abschluß des Stu-diums fand er 1781 eine Anstellung als Gym-nasiallehrer. Nach der Promotion und weitererBeschäftigung mit philosophischen Fragen erhielter 1789 eine außerordentliche Professur. Weiter-hin beschäftigte er sich mit Fragen der National-ökonomie und der Staatswissenschaften. Im Er-gebnis der Auflösung der Universität durch Napo-leon im Jahre 1806 nahm er eine Berufung an dieUniversität Charkow an. Nach einer Arbeit überdas russische Papiergeld wurde er 1809 als Mit-glied einer Finanzkommission nach Petersburgberufen und verfaßte einen „Entwurf eines Crimi-nalgesetzbuches für das russische Reich“. DieRückkehr nach Halle im Jahre 1816 verband dierussische Regierung mit der Erhebung in denAdelsstand. In Halle wirkte er weitere 10 Jahreund veröffenlichte das zweibändige Werk „Die Staatsfinanzwissenschaft“.

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Bogen 77Johann Peter von Ludewig (15.08.1670 - 06.09.1743)

Der aus dem Schwäbischen stammende Sohn eines Amtmannes galt als eine der einflußreich-sten und populärsten Persönlichkeiten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Halle. Erwurde am 15. August 1670 in Hohenhard beiSchwäbisch-Hall geboren. Nach dem Studiumder Theologie in Tübingen und Wittenberg er-warb er im Jahre 1688 den Magistertitel und be-gann eigene Vorlesungen über Philosophie unddie Beredsamkeit. Die Pläne für die Alma materhalensis zogen Ludewig 1692 in die Saalestadt.An der Philosophischen Fakultät begann er alsAdjunkt seine beachtliche Universitätskarriere.Schon 1695 erhielt er die Professur für theoreti-sche Philosophie. Gleichzeitig wirkte er als Hi-storiker und erwarb sich als Archivar und Histo-riograph des Herzogtums Magdeburg große Ver-dienste um die Landesherrschaft und dieGeschichtsschreibung unserer Heimatstadt. InAnerkennung seiner Verdienste wurde er 1722Kanzler der Universität und 1742 Kanzler derLandesregierung. Mit der Gründung der„Wöchentlichen Hallischen Anzeigen“ gelangihm 1729 die erfolgreiche Herausgabe der erstenregelmäßig erscheinenden halleschen Zeitung.Seine Privatbibliothek mit über 13.000 Bändenund 802 Handschriften galt als eine der schön-sten in Halle.

Bogen 77Samuel Stryk (Strykius) (22.11.1640 - 23.07.1710)

Samuel Stryk, der berühmteste Jurist seiner Zeit inDeutschland, wurde am 22.11.1640 in SchloßLentzen (Priegnitz) als Sohn eines brandenburgi-schen Amtmanns geboren. Nach dem Studiumder Jurisprudenz in Frankfurt/Oder begann er dorteine Lehrtätigkeit. 1690 folgte er einem Ruf nachWittenberg als Leiter der Juristischen Fakultät,wurde gleichzeitig Oberappellationsrat in Dres-den. In dieser Zeit begann er die Veröffentlichungseines Hauptwerkes „Usus modernus pandec-tarum“. 1692 wird er zur Einrichtung der Univer-sität Halle nach Brandenburg zurückberufen alsDirektor der Universität und Professor primariusder Juristischen Fakultät. Als erster deutscher Pro-fessor erhält er den Geheimratstitel. Mit Veit Ludwig von Seckendorff und Christian Thomasiuswar er maßgeblich am Aufbau der Universität be-teiligt, der er dreimal als Rektor vorstand. SeinLehrerfolg begründete sich durch die enge Ver-bindung von Lehre und Praxis. Die Bezeichnung„Usus modernus“ hat einer ganzen Juristengene-ration den Namen gegeben. Als seine Schüler sindneben Thomasius vor allem Böhmer, Gundling,Heineccius, Ludovici und Ludewig anzusehen.Stryk ging es vor allem um den gerechten Aus-gleich zwischen der römischen Grundlage desPrivatrechts und den Regeln des einheimischenRechts.

Bogen 75Michael Alberti (13.11.1682 - 17.05.1757)

Michael Alberti wurde am 13. November 1682als 11. Kind des Nürnberger Predigers Paul Mar-tin Alberti geboren. Nach dem Besuch des Gym-nasiums studierte er an der Universität AltdorfBiologie, Naturlehre, Mathematik, Philosophie,Geschichte und Geographie. Als Hofmeister ge-langte er nach Jena und wandte sich unter Profes-sor Wedel der Medizin zu. Ab Oktober 1701 stu-dierte er in Halle Medizin, unter anderem bei Georg Ernst Stahl. Er fand die Unterstützung desWaisenhausgründers Francke und begann eigeneVorlesungen nach der Erlangung des Doktorgra-des bereits 1704. Nach einem kurzen Aufenthaltin seiner Heimatstadt kehrte er nach Halle zurückund erhielt 1710 eine außerordentliche Professuran der Medizinischen Fakultät. Schon 1713 er-folgte die Aufnahme in die angesehene Akade-mie der Naturforscher Leopoldina. Nach StahlsBerufung an die Berliner Universität im Jahre1715 wurde Alberti sein Nachfolger, dessen Ver-dienste auch auf dem Gebiet der Gerichtsmedi-zin lagen, bei der er sich aufklärerisch für eineSchonung kranker Angeklagter einsetzte. Gleich-zeitg erhielt er eine Professur für Physik an derPhilosophischen Fakultät. In der Universitätsver-waltung bewährte er sich als Dekan der Medizi-nischen und der Philosophischen Fakultät und alsRektor der Universität.

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Bogen 80/81August Hermann Francke (22.03.1663 - 08.06.1727)

Der am 22. März 1663 als Sohn des Juristen Johannes Francke geborene Bremer kam im Jahre1692 in unsere Saalestadt, um an der neu begrün-deten Universität eine Professur für orientalischeSprachen zu übernehmen. Seine wissenschaftli-che Ausbildung als Theologe hatte er ab 1679 anden Universitäten in Erfurt, Kiel und Leipzig erhal-ten. In Halle wurde er gleichzeitig Pfarrer der Georgenkirche in der selbständigen AmtsstadtGlaucha, welche sich südlich der Stadtmauer vonHalle erstreckte. Deren wirtschaftliche und mora-lische Zustände riefen in dem jungen Theologenden Willen zur Veränderung hervor. Mit der Er-richtung einer Armenschule in seinem Pfarrhausbegann er 1695 sein Lebenswerk, welches ihnzum bedeutendsten Pädagogen des Pietismuswerden ließ, und die 1698 begründeten Waisen-anstalten vor den Toren Halles führten zu dessenRuf als progressiver Schulstadt in der gesamtenWelt. Wirtschaftlich gelang ihm die Verbindungvon bürgerlichem Stifterwillen mit einem weitge-fächerten Firmenkanon, von der Buchhandlungüber die landwirtschaftlichen Betriebe bis hin zurWaisenhausapotheke. Nach seinem Tode am 8. Juni 1727 begleiteten ihn mehrere tausend Hallenser und seine Zöglinge auf dem Weg zumStadtgottesacker.

Bogen 78Justus Henning Böhmer (29.01.1674 - 23.08.1749)

Justus Henning Böhmer wurde am 29. Januar1674 in Hannover als Sohn eines Advokaten ge-boren. Nach dem Studium der Rechte in Jena inden Jahren 1693 bis 1695 kehrte er nach Hanno-ver zurück, um hier als Advokat zu wirken. Davonunbefriedigt, wechselte er nach Rinteln, um eineHofmeisterstelle anzunehmen. Von hier aus ge-langte er nach Halle und lernte Samuel Stryk undChristian Thomasius kennen. Bereits ein Jahr vordem Erlangen der Doktorwürde erhielt er 1701 eine außerordentliche Professur. Er erwarb 1703das Bürgerrecht und besaß die Häuser GroßeMärkerstraße 5 und ab 1719 das Haus Nr. 8. Mitder ordentlichen Professur im Jahre 1711 verbandsich auch eine Karriere in der Universitätsverwal-tung, der er ab 1731 als Direktor vorstand. 1743wurde er nach dem Tode von Johann Peter vonLudewig als dessen Nachfolger durch den preußi-schen König zum Ordinarius der Juristischen Fa-kultät und Regierungskanzler des HerzogtumsMagdeburg berufen. Als sein Hauptwerk gilt dasfünfbändige „Protestantische Kirchenrecht“, inden Jahren 1714 - 1737 erschienen. In ihm erläu-tert er die Lehren des katholischen und protestan-tischen Kirchenrechts aus der Kirchengeschichteheraus und gibt damit der Lehre von den Quellendes protestantischen Kirchenrechts erstmals einehistorische Grundlage.

Bogen 80/81Johann Anastasius Freylinghausen (02.12.1670 - 12.02.1737)

Johann Anastasius Freylinghausen ging in diehallesche Stadtgeschichte als Weggefährte,Freund und Nachfolger August HermannFranckes ein. Er wurde am 2. Dezember 1670 zuGandersheim als Sohn des Bürgermeisters gebo-ren. Seine theologische Ausbildung begann er1689 an der Jenenser Universität. Er galt alsFranckes bester Schüler und erlangte schon früh-zeitig dessen Freundschaft. Nach dem Abschlußder Studien in Halle im Jahre 1693 begann er1695 als Franckes Gehilfe an dessen Stiftungenin Glaucha zu wirken. Auch privat verband ersich mit Francke, als er 1715 dessen einzigeTochter Johanna Sophia Anastasia heiratete.Über die Stiftungen hinaus wirkte er an der Theo-logischen Fakultät, indem er mit den Studieren-den Übungen abhielt. In Anerkennung seinerVerdienste wurde er 1723 zum Subdirektor desPädagogiums und des Waisenhauses berufen.Nach Franckes Tod im Jahre 1727 übernahm erdessen Ämter als Direktor der Stiftungen und Pastor an St. Ulrich. Besondere Achtung erwarber sich in seiner Zeit als einer der vorzüglichstenKirchenmusikdichter. Nach einem Schlaganfallim Jahre 1728 in seiner Arbeitskraft behindert,verstarb er am 12. Februar 1737 im ehemalsFranckeschen Wohnhaus.

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2. Teil Gräber im Mittelfeld

Bogen 83Johann Andreas Segner (09.10.1704 - 05.10.1777)

Johann Andreas Segner wurde am 9. Oktober1704 in Preßburg als Sohn des dortigen Stadtkäm-merers und Steuereinnehmers Johann MichaelSegner geboren. Im Jahre 1714 begann er den Be-such des Gymnasiums und nahm im Jahre 1725an der Universität Jena ein Studium der Medizin,Philosophie und Mathematik auf. Nach seinermedizinischen Promotion kehrte er 1730 nachPreßburg zurück und wirkte hier als praktischerArzt. Bereits 1732 ging er nach Jena zurück, umdort seinen Magistergrad zu erwerben und mathe-matische Vorlesungen zu halten. 1735 erhielt erden Ruf nach Göttingen und trat eine Professur fürMathematik und Naturlehre an. Seine mathemati-schen und naturkundlichen Werke begründetenseinen Ruf über die Universität hinaus. In zweiwissenschaftlichen Programmen zu Fragen derHydrodynamik stellte er 1750 seine Erfindung ei-nes Wasserrades dar, welche ihn zum „Vater derTurbinentechnik“ werden ließ. Im April 1854wurde er in der Nachfolge von Christian Wolff andie hallesche Universität berufen. Neben demuniversitären Wirken redigierte er mehrere Jahredie „Wöchentlichen Hallischen Anzeigen“, wel-che er auch zur Publizierung seiner Arbeitennutzte. In Anerkennung seiner Verdienste wurdeer zum Mitglied der wissenschaftlichen Akademi-en in London, Berlin und Petersburg berufen.

Abt. IV Nr. 245Carl Adolph Riebeck (27.09.1821 - 28.01.1883)

Die Lebensgeschichte des am 27. September1821 als Sohn eines Bergmannes in Clausthal ge-borenen Carl Adolph Riebeck liest sich wie diesprichwörtliche Geschichte des Aufstiegs vomTellerwäscher zum Millionär. Früh mußte er alsBergjunge zum Unterhalt der Familie beitragen.Seine schnelle Auffassungsgabe und der unbe-dingte Leistungswille ermöglichten ihm den Wegzum Berginspektor der Sächsisch-ThüringischenAG für Braunkohlenverwertung. Ohne einen Uni-versitätsabschluß traf er aber bald auf Grenzen inseiner Karriere und begab sich 1858 in das unsi-chere Gebiet der Selbständigkeit. In der halle-schen Bankiersfamilie Lehmann hatte er einen zu-verlässigen Geldgeber gefunden. Verdienste er-warb sich Riebeck als Pionier der Braunkohlen-schwelerei, wobei aus bitumenhaltiger Kohle ineinem Trockenschwelverfahren Ölprodukte ge-wonnen wurden. Im Jahr seines Todes beschäftig-ten seine vielfältigen Unternehmungen 3200 Ar-beiter, für die er schon vor der Bismarckschen So-zialgesetzgebung mit einer Krankenkasse oderdurch die Errichtung von Wohnungen, hier sei aufdie Häuser der Vereinsstraßen hingewiesen, sorg-te. In Anerkennung seiner Verdienste auch alsStadtverordneter wurde der Leipziger Platz, andem sein Wohn- und Geschäftshaus stand, 1891in Riebeck-Platz umbenannt.

Abt. II Nr. 25Robert Franz (28.06.1815 - 24.10.1892)

Der als Sohn einer alten halleschen Hallorenfami-lie in der Brunos Warte 13 am 28. Juni 1815 Ge-borene blieb seiner Heimatstadt treu, obwohl erschon als junger Künstler die Anerkennung RobertSchumanns und die Freundschaft von Franz Liszterrang. Nach dem Besuch der lateinischen Haupt-schule absolvierte er die Musikschule von Friedrich Schneider in Dessau. Im Jahre 1841übernahm er das Organistenamt an der Ulrichs-kirche und leitete von 1842 bis 1867 die Halle-sche Singakademie, welche seit dem Jahre 1907den Namen ihres prägenden Leiters erhielt. AlsLiederkomponist von über 350 Werken knüpfte eran die vorromantische Kleinkunst an, die er im Stildes Biedermeier weiterentwickelte. Die Univer-sität ernannte den Komponisten und Kämpfer fürdie Bachschen und Händelschen Werke in seinerneuen Bearbeitung im Jahre 1859 zum Univer-sitätsmusikdirektor. Auf Grund einer zunehmen-den Ertaubung mußte sich Franz ab 1867 aus demMusikleben zurückziehen und geriet in eine ge-wisse Vereinsamung. Umso mehr erfreute ihn dieVerleihung der Ehrenbürgerschaft im Jahre 1885zu seinem 70. Geburtstag durch die Stadtverord-netenversammlung. Eine weitere Ehrung folgte imJahre 1903 durch die Aufstellung eines Denkmalsfür den Liedkomponisten am Universitätsring unddie Verleihung eines Straßennamens.

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Abt. IV Nr. 19Carl Wentzel (09.12.1876 - 20.12.1944)

Geboren wurde Carl Wentzel am 9. Dezember1876 in der Saalkreisgemeinde Brachwitz. Nachdem Besuch des Naumburger Domgymnasiumsnahm er ab 1896 in Lausanne ein Studium derRechte auf. Wohl auch aus Heimweh brach erdas Studium nach nur einem Semester ab, leiste-te seinen Militärdienst ab und begann seine kauf-männische und landwirtschaftliche Lehre imHannoverschen. Ab dem Jahre 1902 konnte derjunge Landwirt erste eigene Erfahrungen auf demPachtgut in Brachwitz sammeln. Mit dem Todedes Vaters mußte Carl Wentzel im Frühjahr 1907die Gesamtleitung des Familienbetriebes über-nehmen. Es gelang ihm die beträchtliche Ver-größerung der bewirtschafteten Flächen und dieSteigerung der Erträge durch die Modernisierungder Saatzucht und Produktverarbeitung. Respekt-voll wurde der auch sozial engagierte Unterneh-mer als „Zuckerkönig“ oder „Krupp der Land-wirtschaft“ bezeichnet. Sein Tod war Ergebnisseines Widerstandes gegen das Hitlerregime. AlsAngehöriger des „Reusch-Kreises“ und potentiel-ler Landwirtschaftsminister im Schattenkabinettdes ehemaligen Leipziger OB Dr. Carl Goerdelerwurde er nach dem Stauffenberg-Attentat am 30. Juli verhaftet und am 20. Dezember 1944 inBerlin-Plötzensee hingerichtet.

Abt. III Nr. 347-350Albert Dehne (13.09.1832 - 09.02.1906)

Albert Dehne wurde in Halle am 13. September1832 als Sohn eines Steuerbeamten geboren.Nach Abschluß der Schulzeit erlernte er dasHandwerk eines Mechanikers und Optikers underöffnete 1857 eine eigene Werkstatt in derGroßen Märkerstraße. Er entwickelte sie zu einerflorierenden Armaturenfabrik, deren räumlicheErfordernisse 1862 den Umzug in die Schimmel-straße erzwangen. Hier betrieb er die Maschinen-fabrik in Verbindung mit einer Eisengießerei.Nach dem Deutsch-Französischen Krieg gelangihm mit der Fabrikation von Filterpressen für dieZuckerindustrie der Durchbruch, und er beschäf-tigte über 800 Arbeiter in seiner Fabrik. Darüberhinaus befaßte er sich mit der Produktion von Ar-maturen für Wasser- und Gasleitungen, die Kana-lisation und der Herstellung von Dampfmaschi-nen. Um 1890 verließen die Eisengießerei täglich20.000 kg fertige Gußwaren. Finanziell sehr erfolgreich, setzten sich Albert Dehne, der 13 Jah-re Stadtverordneter war, und seine Frau Antoniefür die Belange der Stadt Halle und ihrer Bürgerin-nen und Bürger ein. Seine bekannteste Spendegalt der Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmalsam heutigen Hansering. Die Stadt dankte ihmdurch die Verleihung eines Straßennamens schonzu Lebzeiten im Jahre 1902 und der Ehrenbürger-schaft im Jahre 1903.

Abt. III Nr. 343Gustav Staude (26.06.1843 - 15.02.1909)

Gustav Staude wurde am 26. Juni 1843 auf demväterlichen Gut Wendorf im Kreis Rügen geboren.Nach seiner Schulausbildung, die er mit dem Ab-itur am Pädagogium in Putbus 1863 beendete,nahm er in Heidelberg und Berlin ein juristischesStudium auf. Nach ersten Erfahrungen im Ge-richtswesen startete er 1873 seine kommunalpoli-tische Laufbahn als Syndikus der Stadt Liegnitz.Im April 1881 trat er seinen Dienst als ZweiterBürgermeister der Stadt Halle an. Der unerwartetfrühe Tod des Ersten Bürgermeisters Wilhelm Ber-tram war für Staude mit der Übernahme der Amts-pflichten zum 1. April 1882 verbunden. Er gestal-tete erfolgreich die Geschicke der sich stürmischentwickelnden Industrie- und Handelsstadt an derSaale. Allein in den zweieinhalb Jahrzehnten von1879 bis 1905 vergrößerte sich ihr Territorium um1.600 Hektar, und die Bevölkerungszahl stieg von70.000 auf 169.828 Einwohner an. Seine Ver-dienste lagen in der Entwicklung des öffentlichenVerkehrswesens (Straßenbahn), der Neugestal-tung des Hallmarktareals, dem Bau der Gas- undElektrizitätsanstalt auf dem Holzplatz und der Er-richtung eines modernen Stadttheaters, welchesin seiner Gründungszeit zu den modernsten Büh-nen in Deutschland zählte. Aus Anlaß seiner Ver-abschiedung aus dem Amt im Jahre 1906 wurdeihm die Ehrenbürgerschaft verliehen.

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Abt. II Nr. 80Gustav Friedrich Hertzberg (19.01.1826 - 16.11.1907)

Als Sohn eines Arztes am 19. Januar 1826 in Halle geboren, besuchte er das Pädagogium derFranckeschen Stiftungen und studierte anschlie-ßend an den Universitäten Halle und LeipzigTheologie, Philologie und Geschichte. Den Gradeines Doktors erwarb er mit knapp 23 Jahren undbegann seine berufliche Laufbahn als Lehrer anseiner einstigen Schule. Gleichzeitig erwarb erdie Lehrbefähigung als Privatdozent an der halle-schen Universität. Nach einer kurzen publizisti-schen Tätigkeit für das „Preußische Wochen-blatt“ in Berlin kehrte er 1860 als außerordentli-cher Professor der Alten Geschichte nach Hallezurück. Über 29 Jahre sollte es dauern, bis erauch in Anerkennung seines literarischen Schaf-fens eine ordentliche Professur erhielt. Von 1866bis 1871 wirkte er als Redakteur des HalleschenTageblattes. Während er sich mit dem alten Grie-chenland, der römischen Geschichte und derjüngeren Geschichte Großbritanniens beschäf-tigte, liegt sein Hauptverdienst für die Hallenserzweifelsohne in der dreibändigen „Geschichteder Stadt Halle“, die er in den Jahren 1889 bis1893 veröffentlichte. Die Stadt dankte ihm mitder Verleihung der Ehrenbürgerschaft im Jahre1901 und aus Anlaß seines 80. Geburtstages1906 mit der Verleihung des Titels eines „Geheimen Regierungsrates“.

Abt. III Nr. 255August Tholuck (02.04.1799 - 10.06.1877)

Als Sohn eines Goldschmiedes am 2. April 1799in Breslau geboren, begann er nach dem Besuchdes lutherischen Gymnasiums ein Studium derOrientalistik und Theologie in seiner Vaterstadt.Der Wechsel nach Berlin brachte ihm die Auffas-sungen des neuerwachten Pietismus nahe. Nachder Habilitation im Jahre 1820 und der anschlie-ßenden Privatdozententätigkeit erhielt er bereits1823 eine Professur. Mit seiner im gleichen Jahrerschienenen Schrift „Von der wahren Weihe desZweiflers“ wurde er zur führenden Gestalt derneupietistischen Theologie. Mit dem Antritt sei-ner Professur für Theologie an der UniversitätHalle im Jahre 1826 begannen für ihn starke Aus-einandersetzungen mit dem damals noch vor-herrschenden Rationalismus in Lehre und Predi-geramt in den akademischen Gottesdiensten. Sonahm er eine Predigerstelle an der PreußischenGesandtschaft in Rom an, ehe er sich 1829 end-gültig in Halle niederließ. Seinen Zeitgenossengalt er stets als geistvoll, rhetorisch gewandt undoft zu satirischen Einfällen neigend. Auch durchseine politischen Streitschriften galt er in der Zeitder 48er Revolution als einer der „bestgehaßten“Männer in Halle. Seine in über 50 Arbeitsjahrenzusammengetragene Bibliothek steht noch heutedem Tholuck-Konvikt zur Verfügung.

Abt. IIKarl August Wilhelm Bertram (12.05.1788 - 11.08.1868)

Karl August Wilhelm Bertram wurde am 12. Mai1788 als Sohn des angesehenen Mediziners August Wilhelm Bertram in der Kleinen Ulrich-straße 17 geboren. Nach dem Besuch des Stadt-gymnasiums studierte er Jura an der halleschenUniversität. Nach ihrer Schließung 1806 nahm ereine Tätigkeit in Weimar auf. Nach seiner Rück-kehr fand er 1808 eine Anstellung bei der Unter-präfektur Halle des Königreichs Westfalen. ImMärz 1813 wurde er zum Maire des Kantons Dies-kau ernannt. Mit der Bildung der „GesamtstadtHalle“ im Jahre 1817 machte sich die Bildung ei-nes Magistrats notwendig. Der Gemeinderat wähl-te Bertram zum besoldeten Stadtrat für die Ressortsdes Militär- und Kommunalwesens. Seinem Wir-ken verdankt Halle den Neubau des Hospitals St. Cyriaci in Glaucha im Jahre 1825. Seit 1838hatte er die Bürgermeisterstelle inne und wurde1842 zum Oberbürgermeister gewählt. NebenLudwig Wucherer war er 1844 federführend ander Gründung der Handelskammer für Halle undden Saalkreis beteiligt. Er vertrat die Stadtgemein-de seit 1843 im Sächsischen Provinziallandtag.Von einer schweren Krankheit gezeichnet, mußteer im Herbst 1855, kurz nach Beginn einer zwei-ten 12jährigen Amtszeit, sein Amt niederlegen.Seine Verdienste wurden mit dem Roten Adleror-den Dritter Klasse mit Schleife gewürdigt.

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Abt. II Nr. 289Rudolf Ernst Weise (31.12.1844 - 05.08.1935)

Als zweiter Sohn eines Landwirtes am Silvester-tag des Jahres 1844 in Holleben geboren, be-suchte Rudolf Ernst Weise die Deutsche Schuleder Franckeschen Stiftungen. Seine beruflicheAusbildung erhielt er an der Gewerbeschule inHalle und der Technischen Hochschule in Han-nover. Seine erste Anstellung fand er als Ingeni-eur der Hallischen Maschinenfabrik AG. Nachder Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg1870/71 gründete er zusammen mit seinemFreund Alexander Monski 1872 eine Maschinen-fabrik auf einem Areal in der Nähe des ThüringerBahnhofs, welche sich hauptsächlich mit derProduktion von Pumpen beschäftigte. Frühzeitigsetzte er sich für die soziale Besserung der Lageder in seiner Firma beschäftigten Arbeiter ein.Dazu gehörte neben der Schaffung einer eigenenPensionskasse auch die Errichtung von bezahl-baren Wohnungen in Fabriknähe, unweit derMerseburger Straße. Die auch nach der Tren-nung von Alexander Monski im Jahre 1874 wei-terhin unter dem Namen „Weise & Monski“ pro-duzierten Pumpen trugen den Namen der Stadtals eines hervorragenden Standorts des Maschi-nenbaus in die ganze Welt. Von besonderer Be-deutung war der Export von Maschinen an dieBergwerksindustrie in Rußland, Frankreich, Belgien und Rumänien.

Abt. III Nr. 31Agnes Gosche (26.08.1857 - 14.03.1928)

Agnes Gosche wurde als Tochter des angesehe-nen Orientalisten und LiteraturwissenschaftlersProf. Richard Gosche am 26. August 1857 in Ber-lin geboren. Sie gehörte mit ihrem im Jahre 1898in Zürich erworbenen Doktortitel zu den erstenpromovierten Philologinnen in Deutschland. Ihreersten pädagogischen Erfahrungen sammelte siein Leipzig, wo sie in den Jahren 1904 bis 1911das „Lyzeum für Damen“ leitete. 1911 erhielt sieden Ruf zurück in unsere Saalestadt, um die Lei-tung der neugegründeten Städtischen Frauen-schule zu übernehmen. Die Einrichtung der ersten Kinderlesehalle im Jahre 1912 ist ihrer In-itiative zu verdanken. Als Vorkämpferin der bür-gerlichen Frauenbewegung gründete sie 1900den Hallischen Frauenbildungsverein und standihm 28 Jahre vor. Darüber hinaus arbeitete siejahrelang verantwortlich im Vorstand des Halli-schen Lehrerinnenvereins. Politisch äußerst ak-tiv, kandidierte sie 1919 bei den Wahlen für dieWeimarer Nationalversammlung für die Deut-sche Demokratische Partei. Der politischen Bil-dung der Frauen diente ein gemeinsam mitHelene Lange herausgegebenes „PolitischesHandbuch für Frauen“. Im Jahre 1915 gliedertesie der Städtischen Frauenschule Lehrgänge fürKindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Jugend-leiterinnen an.

Abt. III Nr. 309Anselma Heine (18.06.1854 - 09.11.1930)

Anselma Heine wurde am 18. Juni 1854 in Bonnals Tochter des Mathematikprofessors Eduard Hei-ne, welcher 1856 eine Berufung an die UniversitätHalle annahm, geboren. Als Leiter des mathemati-schen Seminars ließ er sich 1865 eine geschmack-volle Villa auf dem Eckgrundstück der Luisen-straße zur Sophienstraße errichten. Die von freierErziehung geprägte Kindheit Anselma Heineskannte nur eine große Leidenschaft, das Lesen. Mitfünf Jahren galt sie als „fertige Vorleserin“ und ver-suchte sich mit acht Jahren an ersten Versen undProsa. Der Wunsch nach geistiger Arbeit undSelbständigkeit als junge Frau führte sie über diegesellschaftlichen Schranken ihrer Zeit hinaus.Unterstützung fand sie dabei durch ihre seit 1881verwitwete Mutter und ihren Bruder. Nach demTod der Mutter im Jahre 1896 verkaufte sie das el-terliche Haus und zog in das pulsierende Berlin.Dort fand sie schnell Anschluß an die Kunst- undLiteraturszene. Von Anselma Heine erschienenauch unter dem Pseudonym Feodor Helm bis1923 13 Werke, überwiegend Novellen und Ro-mane. Für Halle von besonderer Bedeutung dürf-ten ihre Lebenserinnerungen sein, 1926 unter demTitel „Mein Rundgang. Erinnerungen.“ erschienen.Am 9. November 1930 in Berlin verstorben, wur-de ihre Urne am 24. Mai 1931 im Familiengrabauf dem Stadtgottesacker beigesetzt.

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Abt. I Nr. 205Ewald Genzmer (02.07.1856 - 01.04.1932)

Ewald Genzmer, verdienter hallescher Stadtbau-rat, wurde in Boggusch/Westpreußen geboren. Ab 1876 studierte er an der TH Berlin. 1885 nahmer eine Stelle bei den Gas- und WasserwerkenKöln an. Ab 12.12.1892 wirkte er als Stadtbauratin Halle. Bei seinem Amtsantritt stand Genzmervor vielen schwierigen Aufgaben der Stadtpla-nung. Zwar hatte die Rekonstruktion der „Halle“schon Mitte der achtziger Jahre begonnen, aberwegen der drohenden Choleragefahr drängten dieHallenser auf die Beseitigung der Mißstände an derGerbersaale. Unter seiner Leitung wurde ihreÜbertunnelung durch den Hallorenring 1897 voll-endet. Er hatte sich einen Ruf als Experte für allestädtebaulichen Fragen, insbesondere der Kanali-sation erworben, so daß ihm 1895 die TH Aacheneine Professur anbot. Genzmer blieb, da ihm derMagistrat auch die freie wissenschaftliche Tätigkeitgewährte. Da in den folgenden Jahren die drin-gend notwendigen Sanierungsarbeiten, die er fach-lich plante, auf wenig Gegenliebe bei den Stadt-verordneten stießen, schied er am 01.10.1904 ausdem Dienst und trat eine Professur für Städtebauund städtischen Tiefbau an der TH Danzig an.1904 erhielt die Brücke zum Holzplatz seinen Na-men. Von 1911 bis 1925 lehrte Genzmer an derTH Dresden, wo er auch seinen Ruhestand verleb-te. Seine Grabstätte fand er jedoch seinem Ver-mächtnis entsprechend auf dem Stadtgottesacker.

Abt. I Nr. 292/293Peter David Krukenberg (14.02.1787 - 13.12.1865)

Der Kliniker, Hochschullehrer und Arzt Peter David Krukenberg wurde in Königslutter geboren.Nach dem Gymnasium studierte er ab 1808 Medi-zin in Göttingen. 1810 promovierte er zum Thema„de cancro bulbi oculi humani“. 1811 wechselteKrukenberg an die eben gegründete UniversitätBerlin. In den Befreiungskiegen 1813/15 trat erdem Lützowschen Freikorps bei. Er erhielt den Rufals außerordentlicher Professor an die Medizini-sche Fakultät nach Halle und wirkte in dem Amtbis 1816. Damals entwickelte Krukenberg denPlan, eine „ambulatorische Klinik“ einzurichten. Er gewann die Hilfe wichtiger Bürger, so des Buch-händlers Schwetschke und des Bankiers Lehmann,und des zuständigen Innenministers. Er eröffnetedie Klinik in seinem Hause, Brüderstraße 5, am 13. Mai 1816. Aus den Jahresberichten, in denener auch seine Behandlungsmethoden genau erläu-terte, geht hervor, dass er bereits im zweiten Jahr1501 Kranke versorgte. Krukenberg hat gerade derarmen und hilfsbedürftigen Bevölkerung viel Gutesgetan. 1822 wurde er ordentlicher Professor undDirektor der Universitätsklinik, die er bis zu seinerPensionierung 1856 leitete. In seine Amtszeit fälltauch der von ihm geforderte Neubau der Klinik amDomplatz. Eine Straße gegenüber den Univer-sitätskliniken wurde 1884 zu seinen Ehren be-nannt.

Abt. II Nr. 488Richard von Volkmann (17.08.1830 - 28.11.1889)

Richard Volkmann wurde als Sohn des Physiolo-gen Alfred Wilhelm Volkmann in Leipzig geboren.Er studierte Medizin in Halle, Gießen und Berlin.In Halle promovierte er 1854 und habilitierte 1857für Chirugie. Er wirkte als praktischer Arzt, wurde1863 außerordentlicher Professor der Chirurgieund 1867 Ordinarius und Direktor der Chirurgi-schen Klinik. 1866 und 1870 meldete er sich zurFront, während des Deutsch-Französischen Krie-ges war er Generalarzt des IV. Armeekorps. 1877wurde Volkmann zum Geheimen Medizinalrat er-nannt und 1885 in den Adelsstand erhoben. 1872war er Mitbegründer der Deutschen Gesellschaftfür Chirurgie und wurde 1880 in die DeutscheAkademie der Naturforscher Leopoldina aufge-nommen. Er gilt als Wegbereiter der modernenChirurgie, machte sich um die Einführung der anti-septischen Wundbehandlung verdient.Am Ende seiner Amtszeit konnte er den Neubauder Chirurgischen Klinik als ersten Komplex desgesamten Universitätsklinikums beziehen. In An-erkennung seiner Leistungen wurde ihm 1882 dieEhrenbürgerschaft der Stadt verliehen. Postumwurde 1894 vor der Chirurgischen Klinik einDenkmal für ihn errichtet.Berühmt wurde Volkmann auch unter dem Pseud-onym Leander als Verfasser der Märchensamm-lung „Träumereien an französischen Kaminen“,die 1871 erstmals erschienen.

Grüfte 1 - 8 (Seite 29)Historische Aufnahme, Anfang des 20. Jhdt.

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den Autoren geplanten umfangrei-chen Auswertung seiner Aufzeich-nungen, die neben den Arbeitenzum Stadtgottesacker auch Informa-tionen zu Kirchen und einigen wei-teren Friedhöfen der Stadt Halle be-inhalten, wird mehr zum Verfasserder in der Marienbibliothek ver-wahrten Hefte herauszufinden sein.Offenbar plante Paul Henschel imResultat vieler Besuche der impo-santen und einmaligen Grabanlageauf dem Martinsberg nicht nur, nie-derzuschreiben, was er vorfand,sondern darüber hinaus mit bereitsvorhandenem Schriftgut zu verglei-chen und zu ergänzen.Die Niederschriften sind in großenzeitlichen Abständen gefertig,manchmal liegen Jahre zwischenden Notizen. Doch gerade aus derZeit ihrer Entstehung werden Infor-mationen geliefert, die bis heutevielfach als verloren gelten oder nur noch Vermutungen darstellen.Eigene Zeichnungen und Skizzenvon Grabanlagen, Epitaphien undbaulichen Details, Fotografien, dieer wahrscheinlich selbst aufgenom-men hat und Zeitungsausschnitte,die er seinen Aufzeichnungenbeifügte, erweitern die Sicht des Lesers wesentlich. Oft gibt PaulHenschel die Quellen seines Wis-sens nicht an, bei Zeitungsausschnit-ten z. B. fehlen der Titel des Medi-ums und das Datum. Doch bei dergeplanten Bearbeitung seiner Unter-lagen werden diese Dinge zu klärensein. (Bei den aus dem Original zi-tierten Passagen sind Rechtsschrei-bung und Interpunktion zumeist bei-behalten worden. Ergänzungen oder

zum Martinsberg führten, wie oft erin Bibliotheken und Archiven derStadt Halle gewesen ist. Akribischermittelte er Details zu den Grabbö-gen, untersuchte und verglich die In-schriften, die er vorfand und ver-merkte in kalendarischen Daten,wann er welche Aufzeichnungen an-gefertigt hatte.Am 14. Oktober 1945 notierte er unter dem StichwortBrunnenbecken: Am Rundteil desHauptweges gleich zur linken, ne-ben den russischen Heldengräbernvon 1813 befindet sich ein Brunnen-becken mit folgender Inschrift: „Des Menschen Seele gleicht dem Wasser, vom Himmel kommt es, zum Himmel steigt es, und wieder nieder zur Erde muß es ewig wechselnd.“ Das Rätsel der Brunneninschrift wardamit gelöst, die Restaurierung desBrunnens konnte vollendet werden.Die Entstehung des Goethe-Gedich-tes „Gesang der Geister über denWassern“, dessen erste Strophe sichauf dem Brunnen des Stadtgotte-sackers wiederfindet, konnte auf we-nige Tage genau zwischen 9. und14. Oktober 1779 - identifiziert wer-den. Wann der Brunnen gebaut wur-de und wer seine Inschrift bestimm-te, ist dagegen bis heute nicht be-kannt. Seine Wiedererrichtungverdankt er auch Paul Henschel, derden Brunnen im Herbst 1945 be-schrieb.

Über den 1952 verstorbenen Friedrich Paul Henschel ist nicht vielbekannt. Bei der in nächster Zeit von

Notizen eines Spaziergängers - Friedrich Paul Henschel und seine Niederschriften über den Stadtgottesacker zu Halle (Saale)

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Als im Sommer des Jahres 2000 imZuge der Restaurierung des Stadt-gottesackers zur Herrichtung desBrunnens, der sich in der Mitte derAnlage, etwas links der Wegekreu-zung befindet, geschritten werdensollte, stießen die Gestalter auf einProblem: die Inschrift der senkrechtstehenden Platte war zum großenTeil verwittert, manche Elementefehlten völlig. Der vorhandene Restschien keinen Sinn zu ergeben, zu-mal auf eine Interpunktion verzich-tet worden war. In keinem der her-angezogenen Archive fanden sichBauunterlagen, die über die Errich-tung des Brunnens oder gar zu seiner Inschrift Auskunft gaben.Zuletzt konnte in der Marienbiblio-thek ein Stapel unscheinbarer hand-geschriebener Hefte zu Rate gezo-gen werden, die seit fast fünfzig Jah-ren dort gelegen hatten. Übermehrere Jahre, begonnen im Okto-ber 1923 und beendet in den 40erJahren des vergangenen Jahrhun-derts hatte ein gewisser FriedrichPaul Henschel versucht, alle in sei-nen Augen notwendigen Details ausder Geschichte des Stadtgottes-ackers zu Halle festzuhalten undniederzuschreiben. Es ist nicht über-liefert, wie viele Spaziergänge ihn

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leichte Veränderungen erfolgten nuran Stellen, an denen sie zum besse-ren Verständnis nötig waren.)

Der Beginn der systematischen Auf-zeichnungen ist auf den 15. Oktober1923 datiert und trägt den Titel Der Stadtgottesacker zu Halle a. S.Seine Geschichte, seine Denkmälerund Inschriften. Am 17. Januar 1924 vollendete erdie Einleitung, die er selbst zusam-menfassend als Die Geschichte desStadtgottesackers bezeichnete.Paul Henschels Intentionen und Methodik sind in einem der erstenKapitel - Die Schwibbogen mit ihrenDenkmälern und Inschriften in alterund neuer Zeit - wie folgt beschrie-ben: Die Inschriften der Grabsteine, so-wie an den äußeren Schwibbogenwerde ich wortgetreu niederschrei-ben, so wie ich diese zur Zeit meinerAufzeichnung vorfinde und entzif-fern kann. Aber auch die alten In-schriften der früheren Besitzer undErbauer der Schwibbogen, welcheheute nicht mehr vorhanden sind,sowie die Inschriften der ver-schwundenen Grabsteine werde ichmit anführen, ich entnehme die letz-teren einem alten Werke vom Jahre1674 „Coemeterium Saxo Hallense“von Joh. Gottfr. Olearius, und „Neue Beschreibung des HallischenGottesackers“ vom Jahre 1830 vonCarl Gottlieb Dähne. Von dem Er-scheinen des Letzteren bis heutesind nun nahezu 100 Jahre verflos-sen, obwohl Geschichtsschreiber indieser Zeit unseren Friedhof mehroder weniger beschrieben haben,

eine Aufschreibung der Inschriftenhat bis heute keiner wieder ge-bracht.Von der ehemaligen inneren Aus-schmückung der Grabgewölbe sindnur wenige Reste noch vorhanden.Kunstvolle Grabdenkmäler sindbeim Wechsel der Besitzer durchUnverstand und Pietätlosigkeit ohneGrund entfernt oder verstümmelt,wenn nun dafür gleichartiger Ersatzgeschaffen wurde, so ließe ich dasnoch gelten, aber in den weitaus meisten Fällen traten ganz ge-schmacklose minderwertige Denk-mäler an ihre Stelle. So wurden z. B.im Bogen Nr. 16 zwei schöne ReliefSteinbilder aus dem 16. Jahrhundertverstümmelt, indem dieselben glattgemeißelt wurden, um dafür dietrockenen Worte: „Fingers Erbbe-gräbnis“ und „Erbbegräbnis der Fa-milie Schott“ zu setzen. Eine schöne Sitte war es auch, daß inden Schlußstein der äußeren Bogendas Familienwappen der Erbauer je-des einzelnen Bogens ausgehauenwurde, mit Farben ausgemalt bildetees eine Zierde für jeden Schwibbo-gen. Wenigstens die Hälfte aller die-ser Familienwappen sind verstüm-melt und glatt gehauen, um einenNamen, einer Jahreszahl oder einem geschmacklosen Monogramm Platzzu machen. Wenn das unser alterBaumeister Nickel Hofmann sehe, er würde mit dem Kopfe schüttelnob des Kunstverständnisses diesesGeschlechts. Gottlob waren nichtalle späteren Eigentümer derSchwibbogen so rücksichtslos undso ist uns immerhin wenn auch einkleiner Rest schöner kunstvoller

Grabmäler und Familienwappen geblieben. [...]Noch bemerken möchte ich, dassman bei den Schwibbogen Erbbe-gräbnisse und Familienbegräbnisseunterschied, im Erbbegräbnis durftenur der jeweilige Besitzer, seineFrau, unverheiratete Söhne undTöchter beigesetzt werden. Im Familienbegräbnis war von diesenEinschränkungen keine Rede.Halle a. S. am Tage der Reichsgrün-dung A.D. 1924.

Tatsächlich ist auf Dähnes Publikati-on, deren vollständiger Titel „Neue Beschreibung des HalleschenGottesackers nebst geschichtlichenBemerkungen über die Gräber undBegräbnißgebräuche der Christen“lautet, bis heute keine vollständigeDokumentation über den Stadtgottes-acker Halle mehr erschienen. Die familiengeschichtlichen Infor-mationen zu den Schwibbogen sind

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erst in den Jahren 1929 - 1934 vondem Stadtarchivar Erich Neuß im genealogischen Mitteilungsblatt„Ekkehard“ in 29 Fortsetzungen veröffentlicht worden.Paul Henschel schloss mit seinenAufzeichnungen eine große Lücke,indem er für jeden Bogen einzelnund ausgehend von dem Zustand,den er selbst vorfand, alle erreichba-ren Informationen niederschrieb.Sein Text ist bei heutiger Benutzungeine große Ergänzung zu Neuß‘ de-tailreicher Auflistung: neben der An-gabe verwendeter Farben und Mate-rialien in den Bogen versuchte er,die seiner Ansicht nach bedeutsam-sten Vertreter der jeweiligen Famili-en kurz zu skizzieren und in ihrerZeit einzuordnen. In den als Anhang bezeichnetenkleineren Notizen finden sich darü-ber hinaus zusätzliche Details, zudenen auch die Mitteilung der Brun-neninschrift von 1945 gehört.Unter dem kurzen Titel Anno 1945versuchte Paul Henschel im Anhangaußerdem die schlimmsten Schädenzu dokumentieren, die er bei Kriegs-ende auf dem Stadtgottesacker vor-fand:Am 31. März zwischen 9 und 10 Uhrvorm. Ostersonnabend, sowie amFreitag, den 6. April wurden in unse-rer Stadt durch Fliegerbombenfurchtbare Verwüstungen angerich-tet. Auch unser alter schöner Stadt-gottesacker wurde schwer beschä-digt. Der Innenhof wurde durch viergroße Bombentrichter aufgewühlt,wertvolle Grabsteine wurden zer-trümmert, Totengebeine umherge-

streut und Bäume entwurzelt. Voll-ständig zertrümmert sind dieSchwibbogen 1 - 15 [zunächst heißt es 1 - 7, 9a, 10 und 15; PaulHenschel veränderte die Angabedann auf 1 - 15, wohl weil die Schä-den auch an den übrigen Bogengrößer waren, als es der erste Ein-druck vermittelt hatte - M. V.], fernerdie Bogen 25, 26, 27, 28 und 30 so-wie die Bogen 59 - 66, alle übrigensind mehr oder weniger stark be-schädigt. Das ganze Satteldach, wel-ches die 94 Grabbogen überdeckt,wurde beschädigt und zum größtenTeil der Ziegel beraubt.Die Gruftplatten verschiedenerSchwibbogen wurden zertrümmert,sodaß die Särge zu sehen sind, soz. B. der Schwibbogen Nr. 17 Fami-lie von Basewitz, die eichene Tür,durch welche man von Norden indie Gruft gelangen kann, ist aufge-sprungen, sodaß ich die Gruft betre-ten konnte, 4 gut erhaltene Eichen-särge sowie ein Metallsarg stehendarin. Auch in den Schwibbogen 30und 38 kann man die Särge stehensehen, im Bogen 78 dasselbe, hiersind die Särge im unteren Teil zerfal-len und mit Schutt bedeckt, 4 Quer-balken sind in der Mitte der Grufteingezogen, auf diesen steht ein guterhaltener Metallsarg.Die großen Bombentrichter befin-den sich: der erste vor SchwibbogenNr. 12, zwei weitere von Bogen 25 -31, ein vierter hinter dem nördl.Durchgang. Auf dem östlichenAußengottesacker sind ebenfallsgroße Verwüstungen unter denGrabdenkmälern angerichtet wor-den. Z. Zt. sind Arbeiter damit be-

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schäftigt, die großen Trichter wiederzuzufüllen und die Wege von Schuttzu befreien.

Einen nicht minder wertvollen Bei-trag leistete Paul Henschel, indem ersich in einem seiner Hefte mit weite-ren Teilen des Stadtgottesackers be-schäftigte: Der Innenhof sowie dernördliche und östliche Teil desäußeren Gottesackers. Gerade dieAufzeichnungen über Gräber in die-sen Bereichen enthalten eine Füllekaum noch bekannter Einzelheiten.Im dritten Teil will ich die Grabstät-ten aufzeichnen, welche sich außer-halb der Schwibbogen im Innenhofbefinden. Daß ich dieselben nichtalle bringen kann, ist wohl bei dergroßen Anzahl derselben leicht ver-ständlich. Ich werde mich daher nurauf die wichtigsten Grabstellen be-schränken, hierzu gehören die nochvorhandenen älteren Grabsteine ausdem 18. und 19. Jahrhundert, als-dann die Grabstellen bedeutenderPersönlichkeiten aus Handel und In-dustrie, aus der vaterländischen undder Geschichte der Stadt Halle. Ge-lehrte, ehrsame Bürger und Hand-werksmeister, nicht zu vergessen dieHeldengräber aus alter und neuerZeit.Halle a. S., den 26. Feb. A. D. 1924,Friedrich Paul Henschel

Nicht weniger als 312 Gräber fanden Aufnahme in die Nieder-schrift Henschels, die ebenfallsZeichnungen, Fotografien und Zei-tungsartikel enthält.

Eine ähnliche Verfahrensweise kenn-

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zeichnet den Abschnitt Außengottes-acker, den Paul Henschel wie folgtbeschreibt: Der östliche Teil des großen Außen-gottesackers nach der Magdeburger-straße wurde am 4. Januar 1836 ein-geweiht und diente als solcher biszum Jahre 1881. Seit dieser Zeitwerden hier keine Beerdigungenmehr vorgenommen, er ist in Anla-gen verwandelt und durch einenZaun vom alten Stadtgottesacker ab-getrennt, mit alten breiten Flieder-sträuchen besetzt und von einigenPromenadenwegen durchschnitten.Hier und da im Gebüsch oder amWege ein alter verträumter und ver-witterter, teilweise halb in die Erdeversunkener Leichenstein. [...]Die Inschriften der wenigen altenGrabsteine, die noch vorhandensind, werde ich versuchen, abzu-schreiben soweit ich dieselben nochentziffern kann, um sie der Nach-welt zu erhalten, denn unaufhörlichnagt der Zahn der Zeit an ihnen, und die Zeit ist nicht mehr fern, wosie überhaupt nicht mehr zu lesen,umgestürzt, versunken und ver-schwunden sind.Insgesamt 13 Gräber sind in diesemAbschnitt der Aufzeichnungen ent-halten, dazu die Inschriften des alten Kriegerdenkmales sowie ein Fotomit der handschriftlichen Notiz Abgebrochen 1946.

Eine sehr aufschlussreiche Zusam-menstellung Paul Henschels vom02.11.1942 trägt den Titel Die Besit-zer der Schwibbogen auf dem Stadt-gottesacker nach ihrer Fertigstellung1557/1594 bis 1942. Auch hier sind

wertvolle Hinweise enthalten, derenwissenschaftliche Überprüfung nochzu erfolgen hat:Am 14. März 1806 wurden von derRegierung in Magdeburg 24 Grabbo-gen eingezogen und zum Verkaufgestellt, da von diesen teils keine Eigentümer mehr vorhanden waren,teils hatten mehrere ihr Eigentums-recht abgetreten, denn der jeweiligeBesitzer hatte die Verpflichtung, denGrabbogen in baulichem Zustand zuerhalten, was auch heute noch besteht.Sonderbar finde ich es, daß dieGrabbogen von der Regierung undnicht von der Stadt Halle zum Ver-kauf gestellt wurden.Der damalige Todtengräber Siebecke erwarb in der Zeit von1810 - 1818 allein 5 Schwibbogen,um dieselben dann später weiter zuverkaufen. Auch der Schuhmacher-meister Ellrich hat in der Zeit von1809 bis 1817 3 Grabbogen erworben.

Die, wenn auch lückenhafte Aufli-stung erfolgte erneut in der jetzigenReihenfolge der Zählung und erlaubtnicht nur eine recht brauchbare Re-konstruktion der Eigentümerreihen-folge. Sie gibt darüber hinaus Auf-schluss über manche Rekonstrukti-ons- und Reparaturarbeiten, dieeinzelne Bogen im Laufe der Jahr-hunderte erfahren haben.Eine (unvollständige) Abfolge derTodengräber des Stadtgottesacker,die sieben Namen aus dem Zeitraum1560 bis 1877 enthält, beschließtdiesen umfangreichsten Teil derAufzeichnungen Paul Henschels.

Auf jenes letzte Blatt der Arbeit ist

Torturm StadtgottesackerAufnahme aus dem Nachlaß von Paul Grohs (1912 - 29)

ein kleiner Zettel aufgeklebt, der fol-genden Inhalt hat:Wofern nun jemand an meiner be-scheidenen Arbeit Wohlgefallen fin-det, so wird mir dies sehr angenehmsein, sollte dies aber nicht der Fallsein, so habe ich doch selber meineFreude an dem, was ich geschaffen.P. HenschelDie wissenschaftliche Auswertungder Forschungsresultate Paul Hen-schels steht noch aus, das Wohlge-fallen der Leser seiner Aufzeichnun-gen ist ihm gewiß.

Karsten EisenmengerMichael Viebig

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Der Stadtgottesacker zu Halle ist einbau- und kunstgeschichtlich äußerstwertvolles Monument der Friedhofs-kultur der Renaissance in Deutsch-land.1) Er wird den Grundregeln derDenkmalpflege gemäß erhalten, in-stand gesetzt und restauriert.

Danach gilt das besondere Interesseder Wiederherstellung der Geschlos-senheit der Arkadenanlage und de-ren Standsicherheit bei weitestge-hender Erhaltung der originalenBausubstanz, sowie der wertvollenmemorialen Ausstattung der Grüfte.

Zu Beginn der 90er Jahre begann imRahmen der gegebenen Möglichkei-ten die schrittweise Instandsetzungder Gruftanlagen, angelegt auf einenZeitraum von ca. 10 - 12 Jahren. DasBüro für Architektur und Denkmal-pflege hatte Mitte der 90er Jahre denPlanungs- und Bauleitungsauftragvom Hochbauamt Halle für diese Ar-beiten erhalten. Zum Auftrag gehör-ten die Erarbeitung einer Fotodoku-mentation, eine verformungsgerech-te Bauaufnahme aller Grüfteeinschließlich der fotogrammetri-schen Bestandaufnahme aller Gruft-bogenansichten. Als Frau Dr. Witte, beraten durchHerrn Prof. Dr. M. Fischer, ehemali-ger Landeskonservator Hamburgsund langjähriger Vorsitzender derVereinigung der Landesdenkmal-pfleger Deutschlands, im Prozess ihrer Entscheidungsfindung denStadtgottesacker besuchte, konnteauf Grund des bereits erzielten Vor-laufes seitens des Hochbauamtesund des beauftragten Architektur-

büros auf der Grundlage der vorlie-genden Planungsunterlagen demon-striert werden, auf welche Weise diedenkmalpflegerische Instandsetzungder Renaissance-Grüfte geplant undausgeführt werden würde. Die 1997von Frau Dr. Witte für die Gesamt-instandsetzung gestifteten Mittel inHöhe von 10 Mio. DM ermöglichtendann die umfassende bauliche In-standsetzung der Friedhofsanlage inweniger als 4 Jahren.

Zu Beginn aller Planungs- und Aus-führungsarbeiten war eine umfang-reiche Schadensdokumentation desBestandes durchgeführt worden.

Die fotografische, fotogrammetri-sche und verformungsgerechtezeichnerische Bestandsaufnahmeder Grüfte und ihrer Bogenansichtenbilden zusammen mit der denkmal-pflegerischen Zielstellung dieGrundvoraussetzung für die Erstel-lung der Planung.

Im Ergebnis der Analysen aller Scha-densursachen erwies es sich, dassdas statische Gleichgewicht für dieGruftanlagen nicht mehr gegebenwar. Das komplizierte statische System der aneinandergereihten Arkadenbögen, deren teils starkeVerformung, die durch Verwitterunggeschädigten und teils gebrochenenBogensteine, die Kriegszerstörun-gen, mutwillig hervorgerufene Schä-den durch Vandalismus, die Ver-wendung ungeeigneter Materialien(Zementmörtel, Eisenklammern) beifrüheren Instandsetzungen erforder-ten eine besondere Methodik der In-

Bauliche, denkmalpflegerische Instandsetzung undWiederherstellung

34 Gruft 59, Notrestaurierung nach dem 2. Weltkrieg

Torturm - Innenansicht mit den Grüften 94 und 1 nach der Sanierung (2002)

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Gruft 57im eingestürzten Zustand mit Notabdeckungdurch freiwillige Helfer vor Beginn der Restaurierungsarbeiten im Jahre 1996

freiwillige Helfer bei Notsicherungsarbeiten um 1980 - seit 1983auch durch den „Arbeitskreis Innenstadt“

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Gruft 58-61mit Notsicherung durch freiwillige Helfer vor Beginn der Restaurierungsarbeiten im Jahre 1996

Gruft 59Rückbau der Notsicherungen und Einbau einer längsaussteifenden Mauerwerkswand in Vorbereitung der Demontage der Gruft

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standsetzung der Einzelsteine derGrüfte und der gesamten Gruftanla-ge. Diese verlangte den behutsamenRückbau der Grüfte zur Vorberei-tung der Restaurierung der Bogen-steine als Voraussetzung einer statisch-konstruktiv stabilen Wieder-herstellung der Arkadenbogenanla-ge. Die Systemwirkung für einestandsichere Gesamtanlage mitihren 94 (+ 1) Einzelgrüften ist nurgegeben, wenn durch die Dachtrag-werke als Rahmenkonstruktion inVerbindung mit den flach gewölbtenTonnenschalungen und durch aus-steifende Innenwände die auftreten-den Kräfte sicher aufgenommen undabgeleitet werden können. In die-sem System müssen die Arkadenbö-gen die durch ihre Reihung bedingte„Starre“ durch eine begrenzt mögli-che „Elastizität“ kontrolliert ausglei-chen können. So soll mit einer be-sonderen Ausbildung der Fugen inden Arkadenbögen mittels Kalkmör-telverstrichs, Blei-, auch Schiefer-einlagen bewirkt werden, dass kli-mabedingte Temperaturspannungensich nicht in seitlichen Dauerverfor-mungen ausgleichen, sondern in der Möglichkeit der leichten Anhe-bung der Bögen und der entspre-chenden „Rückbewegung“ in dieAusgangslage.

Weitere Schwachpunkte des stati-schen Systems der Renaissance-Friedhofsanlage aber befanden sichin den 4 Ecken, in denen die Gruft-reihen aufeinandertreffen. Hier wardie Schaffung von „Widerlagern“zwingend notwendig, ebenso dort,wo an der Westseite die Reihe der

Gruft 90Grüfte 1 bis 7 mit Torturm nach der Wiederherstellung

Gruft 94fotogrammetrische Bestandsaufnahme

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Grüfte von 9 zu 9 a versetzt fortge-führt wird. In diesem hochrangigenBaudenkmal mussten also Widerla-gerkonstruktionen eingebaut wer-den, die diese Funktion erfüllen, alssolche aber möglichst nicht erkanntwerden sollten. Die Lösung brachteder Einbau von Stahlkonstruktions-gittern (Nord-West-/Nord-Ost-Ecke)- gestaltet in Anlehnung an vorhan-dene Holzgitter und fest verankert inbewehrten Fundamenten und im Ka-pitellbereich der Gruftbögen. In derNord-Süd-Ecke befindet sich abwei-chend davon eine Rahmenkonstruk-tion im Dachbereich sowie in derQuerwand der Gruft 62 3), in derSüd-West-Ecke wurden die Gruftbö-gen bereits mit dem Einbau der Fei-erhalle im Jahre 1825 ausgemauertund damit statisch stabilisiert. Diemit Reliefs und Inschriften verzier-ten Sandsteinarkaden- bzw. Schwib-bögen, alle erhaltenen Architektur-details, die Epitaphien und weiterewertvolle Ausstattungsstücke ver-langten ein hohes Maß an Sorgfaltbei Planung und Ausführung der re-stauratorischen Arbeiten.

Die Planung und Ausführung der imApril 2003 abgeschlossenen bau-lichen denkmalpflegerischen Erhal-tungs-, Instandsetzungs- und Wie-derherstellungsarbeiten beinhaltetenauf dieser Grundlage:- als Sofortmaßnahme die Sicherung

der einsturzgefährdeten Einzel-grüfte durch zwischenzeitlicheAusmauerung der Gruftbögen,

- die steinrestauratorische Scha-dens- und Befunddokumentation,

- die Katalogisierung, Bergung und

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Grüfte 38 - 46ältere (Absteifungen) und jüngere (Ausmauerungen)Sicherungsmaßnahmen als Vorbereitung zum behutsamen Rückbau

Grüfte 12, 13, 14Wiederherstellung der Schwibbogenanlage

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Grüfte 56 bis 58Historische Bestandsaufnahmen um 1920. Bildcollage aus dem Fundus des Stadtarchivs

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Gruft 56 Gruft 57 Gruft 58

Gruft 56 Gruft 57 Gruft 58

Grüfte 56 bis 58Fotogrammetrie von Einzelsteinen der eingestürz-ten, auch der durch Notsicherungen erhaltenenGrüfte, als Grundlage für die Planung des Rück-

baus, der Konservierung und Restaurierung und der Wiedererrichtung mit Hilfe der computerge-stützten Montage der Gruftanlage.

Fotogrammetrie

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geschützte Einlagerung von einge-stürzten und gefährdeten Bogen-steinen sowie Schutzmaßnahmenfür Grabdenkmale,

- die bauliche Sicherung der im 19. Jahrhundert nicht verfülltenund noch vorhandenen Grüfte,

- die Instandsetzung der Dach- undGewölbekonstruktionen,

- die Instandsetzung der Gruftin-nenräume - dazu in Folge die Konservierung und Restaurierungder Ausstattungen (Wandmalerei,Stuckierungen, Kolumbarien, Epitaphien),

- die Restaurierung der einzelnenBogensteine und Grüfte auf derGrundlage des genannten verfor-mungsgerechten Aufmaßes undder fotogrammetrischen Bestands-aufnahme der Einzelsteine undGruftbögen,

- die Rekonstruktion der eingestürz-ten Schwibbögen durch Compu-ter-Montage der fotogrammetri-schen Dokumentation der Einzel-steine,

- die Instandsetzung/Restaurierungder Einzelgruftanlagen - dabei wa-ren nur geringfügige Profilergän-zungen aus konservatorischenGründen an den Reliefs vorgese-hen. Die konservatorische und restauratorische Bearbeitung deroriginalen Bogensteine begannmit einer vorsichtigen Reinigungaller Ansichtsflächen. Es folgteneine partielle Verfestigung absan-dender Stellen sowie eine Unter-grundverfestigung für Antragsar-beiten (Steinersatz) oder das Ein-setzen von Vierungen. Das Ersetzen fehlenden Steinma-

terials durch - Vierungen geschieht generell an

allen statisch beanspruchten Ver-bindungsstellen oder größeren,tiefer als 30 mm liegenden Stein-schäden. Jeder einzelne Arbeits-schritt wurde inhaltlich beschrie-ben und zeichnerisch anhand derporträtgerechten fotogrammetri-schen Einzelbogensteinvermes-sung festgelegt. Notwendige Aus-wechselungen erfolgen unter Ver-wendung von ausgesuchtemSandstein (Obernkirchner Sand-stein für die Erneuerung von Bo-gensteinen bzw. ganzer fehlenderGrüfte, Ummendorfer Sandsteinfür Auswechselungen im Detail).Auszuwechselnde Originalsteinewerden in Lapidarien aufbewahrt.Bei durch Verlust bzw. Zerstörungnotwendig gewordenen Einzel-steinrekonstruktionen wurden dieReliefs nicht rekonstruiert, son-dern neutrale Bossen belassen, umzukünftige Entscheidungen offenzu halten. Reliefrekonstruktionenmindern den Anschauungswertder Originale. Nur in wenigenAusnahmen sind im Interesse derBewahrung eines geschlossenenGesamtbildes in den Arkadenbö-gen Neusteine mit Reliefausbil-dung, in Anlehnung an das histori-sche Vorbild, hergestellt worden.Gruft 12 zeigt ein von Bildhauer-studenten der Burg Giebichen-stein - Hochschule für Kunst undDesign Halle bearbeitetes Beispielfür die Reliefgestaltung der Bogen-steine in Anlehnung an historischeVorbilder:

- die umfassende Instandsetzung

der Außenmauern des Stadt-gottesackers. Sie sind belastetdurch eine hohe Schadstoffkon-zentration (Salzlasten) und einengroßen Durchfeuchtungsgrad. DasMauerwerk war teils stark gestörtdurch abschalende Bereiche. Fundamentunterfangungen, derEinbau von Zugankern, flächigeAusmauerungen, Mauerkronen-verfestigung, auch verbunden mitGesimsergänzungen, partielleSteinauswechselungen waren dieMaßnahmen zu seiner statisch-konstruktiven Sicherung, ein-schließlich des abschließendenAufbringens eines zweilagigensteinfühlenden Kalkputzes als Kellenwurf-Quastputz an denAußenseiten der Umfassungs-mauern.

- Schließen von Lücken in derGruftanlage, die durch Bomben-schäden und Einsturz entstandensind - hierbei erfolgt die Rekon-struktion der Architekturform,nicht der künstlerischen Details.Bei diesen Arbeiten wurden in den50er Jahren des 20. Jahrhundertsvorbereitete, teils bereits gesetzteBogensteine wiederverwendet.Vier verloren gegangene Grüftesind bildhauerisch-künstlerischneu gestaltet worden2). Das sinddie Grüfte 13, 14, 15 und 16. Hier haben Studenten und Absol-venten der Burg Giebichenstein -Hochschule für Kunst und DesignHalle als Studien- bzw. Diplom-oder erste Auftragsarbeit überzeu-gende zeitgenössische Reliefs ge-schaffen. Damit wird die gute Tradition hallescher Kunst bei der

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Antrag mit Restauriermörtel

Vierung - Einsetzen eines Neusteines

Ausschnitt Gruft 22 Planungsgrundlage für die Restaurierung und Konservierung der Einzelsteine mit Eintragung der Steinmetzleistungen (z. B. Vierungen und Antragungen).

Vierung undAntragung

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Gestaltung von Grabmalen ge-pflegt und fortgesetzt.

- Instandsetzung des Hauptein-ganges mit dem darüber befind-lichen barocken Turm,

- die Erhaltung und Instandsetzungder historischen Fußböden. Der Erhaltungszustand der Fußbö-den war, ebenso wie der der Grüf-te selbst, äußerst unterschiedlich.Ziegelpflasterfußböden und Belä-ge aus unterschiedlich großenSandsteinplatten überwiegen.Teils befinden sich in diesenFußböden eingearbeitete ehemali-ge Zugänge zu den Grüften imUntergeschoss, die in den meistenFällen Anfang des 19. Jahrhun-derts verfüllt worden sind. Es gibt auch geflieste Fußbödenund aus farbigen, in Estrich verleg-ten Kieselsteinen bestehende Fuß-bodengestaltungen, die zuGruftausstattungskonzeptionenum 1900 gehören. VorhandeneFußböden wurden instand gesetzt,fehlende Fußböden als Ziegel-pflaster oder als Sandsteinplatten-beläge erneuert,

- die Erhaltung und Instandsetzungder zahlreichen schmiedeeisernenGitter. Die meisten Gitter stammen ausder Zeit um 1900. Die Zahl der erhaltenen barocken schmiede-eisernen Gitter ist gering - einesder schönsten Barockgitter befin-det sich in Gruft 94 - neben denschmiedeeisernen Arbeiten sindauch sehr schöne hölzerne Gitter-abschlüsse für Grufträume erhal-ten geblieben.

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Grüfte 14 - 16 Zustand vor Beginn der Arbeiten

Grüfte 13 und 14 nach Abschluss der Rekonstruktionsarbeiten - die Gruftbogenreliefs wurden durch M. Golter undS. Ahrens geschaffen. Das in Anlehnung an eine

historische hölzerne Gruftvergitterung gestalteteStahlgitter hat eine zwingend notwendige statisch-konstruktive Funktion.

Im Ergebnis der Arbeiten ist derStadtgottesacker mit seinen Gruftan-lagen, deren Außen- und Innenwän-den, den Schwibbogenreihen, demhölzernen Tonnengewölbe unter der Dachkonstruktion nach seinerErrichtung im 16. Jahrhundert erst-mals wieder umfassend instand ge-setzt, statisch stabil und ungefährdeterlebbar.

Für seine zukünftige Nutzung wer-den ausgewählte Gruftanlagen mitKolumbarien für Urnenbeisetzungenausgestattet. Den würdigen Rahmenfür die Trauerfeiern bildet die wie-derhergestellte Feierhalle in denGrüften Nr. 89 und 90.

Wichtig war im Prozess der Restau-rierung und neuen Nutzung derGruftanlagen des Stadtgottesackersneben den bau- und kunstgeschicht-lichen, den denkmalpflegerisch-restauratorischen Arbeiten die Koor-dinierung mit den Aufgaben unddem Anliegen der Gartendenkmal-pflege im Bereich des Mittelfeldes.Die planerische Vorbereitung undbauliche Durchführung der Restau-rierungsarbeiten am Stadtgottes-acker erfolgte in Abstimmung mitdem Hochbauamt, dem Grün-flächenamt der Stadt Halle (Saale)und dem Landesamt für Denkmal-pflege in Sachsen-Anhalt.

Für alle Beteiligten, den Bauherren,die Planer, Restauratoren und Hand-werker, war diese bedeutungsvolleAufgabe eine große Herausforde-rung.

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Grüfte 56 - 58 nach der denkmalpflegerischen Instandsetzung

Gruft 59 nach der Instandsetzung mit neuer Kolumbarien-Ausstattung

Frau Dr. M. Witte und Herr Dr. A. Witte haben regelmäßig jedesJahr im Frühjahr und im Herbst dieBaustelle besucht und sich einenEindruck vom Fortgang der Arbeitenan der Renaissance-FriedhofsanlageStadtgottesacker in Halle verschafft.Sie haben mit großem Interesse dieArbeiten verfolgt und Einfluss aufihren Fortgang genommen.

Helmut Stelzer,Thomas Zaglmaier

1) Es ist im Sinne des Denkmalschutzgesetzes desLandes Sachsen-Anhalt vom 21. Oktober 1991(GVBl. LSA S. 368, ber. 1992 S. 310, § 2 (2), Pkt. 1, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. April 1994 (GVBl. LSA S. 508) und vom 13. August 2002 (GVBl. Nr. 44), denkmalge-schützt. Alle baulichen und restauratorischen Maßnah-men unterliegen den Kriterien dieses Gesetzes,auch der Internationalen Charta von Venedigvon 1965 des ICOMOS - Internationaler Rat fürDenkmale und Denkmalbereiche.

2) Gruft 13: Marcus Golter, Diplomarbeit 1997/98 an der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design Halle für Gruft 13 (Familie von Schenitz)

Entwurf und Ausführung:Gruft 13: Marcus GolterGruft 14: Steffen AhrensGrüfte 15/16: Marcus Golter

Betreuer: Prof. Bernd Göbel

3) Statik: Ingenieurbüro Dr. E. Arndt - Büro für konstruktiven Ingenieurbau und Tragwerksplanung

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Die Würde des Ortes, die Achtungvor den Toten, der Glaube an dasWeiterleben nach dem Tode - diePflege religiöser Traditionen und derWunsch nach begreifbarer Erinne-rung - bewegten die Menschen, ihreFamiliengrüfte künstlerisch auszu-statten. So entstanden auch im Ver-laufe der Geschichte des Stadtgottes-ackers zahlreiche, bis heute erhalte-ne künstlerisch, kunsthistorisch undzeitgeschichtlich wertvolle Ausstat-tungsstücke - Epitaphien, Skulptu-ren, Malereien, Inschriften, Stuckie-rungen, Wandverkleidungen, Ko-lumbarien, gestaltete Fußböden, ...Einige Gruftinnenräume wurden so-gar, einem einheitlichen Gestal-tungswillen folgend, vollständig um-gestaltet, wie es z. B. bei den Grüf-ten 38, 46, 77 und 85 noch heute zuerleben ist.

Verluste oder die Überbauung älte-rer Fassungen waren die Folge. Dergrößere Teil der eingetretenen Ver-luste allerdings war verbunden mitdem Verfall und der Zerstörung vielerGrüfte besonders in der 2. Hälfte desvergangenen Jahrhunderts durch feh-lende oder defekte Gruftdächer. Im 2. Weltkrieg wurden zahlreiche Grüf-te zerstört, der Mangel an Erhaltungund baulicher Pflege führte zu weite-ren Einstürzen und Verfall. Die Aus-stattungen waren somit Witterungs-und belastenden Umwelteinflüssen

ausgesetzt. Feuchteschäden, Salzbe-lastungen, dadurch bedingte Erosi-onsschäden mit Substanzverlusten ander Natursteinsubstanz - an Plastiken,Profilen, ganzen Bauteilen, an Farb-fassungen und Inschriften - waren dieFolge. Beschädigungen und Verlusteentstanden weiterhin durch Vanda-lismus und durch Diebstahl.

Der erste und damit umfassendsteÜberblick vom künstlerischen Be-stand der Grüfte und ihrer Ausstat-tungen stammt von Olearius - in Wittenberg 1674 veröffentlicht. Trotzder seitdem entstandenen Verluste istes erstaunlich, wie viele Ausstattungs-stücke aus der Zeit Olearius´ noch bisheute erhalten geblieben sind.

Auch nach Olearius entstanden vielewertvolle Ausstattungen - die letztenim 20. Jahrhundert. Heute sind aufdem Stadtgottesacker noch 79 Epita-phien - wenn auch nicht immer voll-ständig - erhalten. Sie befanden sich,von wenigen Ausnahmen abgesehen,bis Ende der 90er Jahre des vergange-nen Jahrhunderts in einem bedau-ernswerten schlechten Erhaltungszu-stand. Erst die Witte-Stiftung ermög-lichte neben der baulich- denkmal-pflegerischen Instandsetzung derGrüfte auch die Erhaltung der Aus-stattungen. Erste Maßnahmen galtenbereits Mitte der 90er Jahre der foto-grafischen Dokumentation und derErrichtung von Schutzverbauungen.Im Jahre 1999 begannen dann, imRahmen der nunmehr planbaren um-fassenden Restaurierung allerGruftausstattungen, die Vorbereitungund Durchführung der Restaurierung

Restaurierug der Ausstattungen der Grüfte

Gruft 13Zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch erhaltenerSkulpturenbestand eines der ehemals reichsten geschmückten barocken Epitaphien.

Gruft 13 1559 erbaut von Victor von Scheinitz. Situationder Gruft und ihrer Ausstattung vor Beginn der Arbeiten in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.

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der Ausstattungen der Grüfte 82 - 88,danach der Grüfte 62 - 81. Die Pla-nungen zur Restaurierung der Aus-stattungen der Grüfte 1 - 61 lagen vor. Den Planungs- und Bauleitungs-auftrag erhielt das Büro für Architek-tur und Denkmalpflege - methodi-sche, denkmalpflegerische Abstim-mungen erfolgten mit dem Landes-amt für Denkmalpflege. Die Planungstützte sich auf die wenigen vorhan-denen archivarischen Quellen, aufdie Beschreibung der Ausstattungs-stücke, ihres Erhaltungszustandes,der Bestandsschäden und auf die da-von abgeleiteten RestauratorischenZielstellungen.

Auf Grundlage dieser detailliertenDokumentation erfolgte die Bearbei-tung der Leistungsverzeichnisse fürdie Restaurierung der Ausstattungs-stücke. Im Rahmen der Ausschrei-bungen und der als Ergebnis desWettbewerbes der Bieter vergebenenLeistungen bildeten in jedem Fall diefarbrestauratorische Befunduntersu-chung und deren Dokumentationund, wenn notwendig, die Bearbei-tung bauphysikalischer und chemi-scher Gutachten zur qualitativen undquantitativen Salzanalyse, Material-bestimmung sowie die Bearbeitungholzschutztechnischer Gutachten dieVoraussetzung für den Beginn der Re-staurierungsarbeiten. Diese galtenzuerst der Festigung und Sicherungvorhandener Fassungsreste, der Ent-fernung von Schmutz und Staub beiErhaltung der Reste der Fassungen.Steinkonservatorisch wurden nachdiesen Arbeiten die steinergänzen-den Maßnahmen durch Antragun-

Gruft 87Marmorepitaph Elisabeth Voigt (gest. 1767) - reichgestaltetes, stark geschädigtes, barockes Figure-nepitaph - der Renaissance-Architektur entlehnterGrundaufbau. Hauptschadensursachen: Rostsprengung durch Eisendübel, -anker und -klammern mit Rissbildun-gen, Absprengungen, mutwillige mechanische Beschädigungen mit Substanzverlusten.Ausschreibung der Leistungen (Grüfte 82-88) - Zuschlag erteilt an Dipl.-Rest. (FH) Schöne.Arbeitsschritte: Reinigung der Untergründe Einzel-teile; Entfernen alter ausgehärteter Bestandteile:Fugenmassen, Setzmörtel; Entfernen aller Eisenanker; vor Demontage Beschriften und Kartieren; Verfestigung poröser Bereiche; Verkle-bung zerbrochener Bauteile; Vernadelung derBruchstücke; Versetzung von Einzelteilen, Befesti-gung durch Edelstahlanker (V4A-Stahl); Aufbauder östlichen Säule - fehlende Teile durch Abfor-mungen ersetzt; Antragsarbeiten; Farbretuschendes Schriftbandes, an Nachbildungen, Steinergän-zungen und Vierungen. (Bild 3)(Bild 1 vor, Bild 2 nach der Restaurierung)

1

3

2

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gen, Anböschungen oder Vierungenim Wesentlichen zur notwendigen Substanzerhaltung durchgeführt.Ausnahmen bildeten Arbeiten zur op-tischen Harmonisierung gestörter ar-chitektonischer Hauptstrukturen. Amhäufigsten notwendige weitere Arbei-ten waren: Hinterklebungen, Risssa-nierungen, Verfugarbeiten, die Ent-fernung von Graffiti, im Detail Rand-und Flächenfestigungen.

Ergänzende Maßnahmen wurden nurmit großer Zurückhaltung und imWesentlichen nur zur Substanzerhal-tung durchgeführt. Farbverlustflä-chen wurden abschließend durch ei-ne der Gesamtwirkung dienende har-monisierende Neutralretuscheergänzt, im gegebenen Fall auchdurch eine Tratteggio-Retusche. In-schriften wurden im Interesse derVerbesserung ihrer Lesbarkeit nachBefund (Schattenwirkung) ergän-zend retuschiert.

Das Restaurierungskonzept der Aus-stattungsstücke der Grüfte wird be-stimmt durch die Forderung nach derErhaltung des originalen Bestandes,sekundiert durch den Anspruch nacheinem ästhetisch befriedigenden Er-gebnis, dem sich die Denkmalpflegeim Interesse ihres Anliegens und ihresStellenwertes nicht verschließen darf.

Die 1999 begonnenen Restaurie-rungsarbeiten an den Gruftausstat-tungen werden im Jahr 2004 abge-schlossen.

Helmut Stelzer,Thomas Zaglmaier

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Gruft 75 1578 für die Familie Puchbach errichtet - Kamerablick 2001 auf eines der 3 seit der 2. Hälfte des 17. Jh. mit der Schauseite nach innen gedrehten ältesten Renaissanceepitaphiendes Stadtgottesackers (erste Erfassung 1994 durchP. Schöne). Es ist geplant, die sehr gut erhaltenenEpitaphien des Franz Puchbach (gest. 1567), dasseiner Frau Barbara (gest. 1587) und des MartinPuchbach (gest. 1575) wieder zu drehen und mitder Schauseite zu präsentieren.

Gruft 89/90 (Seite 47)Blick über den Haupteingang zur Feierhalle, um 1960

Gruft 77 barocke Ausgestaltung vermutlich 2. Hlft. 17. Jh.

Bild 1: Deckengemälde vor der RestaurierungHolztonne und Schildbögen zeigten stark geschä-digte plastische Stuckdekorationen mit fünf Spie-gelgemälden christlich-ikonographischen Inhalts. An der Secco-Malerei der Gemälde markiertensich Fassungsschäden, Farbwertveränderungen,eine abblätternde und abgesprengte Malschichtsowie pudernde Malschichtoberflächen. Es gabWasserflecken, Wasserränder, ausgeprägtes Kra-kelee, Ausblühungen, sandenden Putz, Putzrisse,Verschmutzungen, Lageveränderungen, Altretu-schen und Übermalungen.Bearbeitungsschritte galten u. a. einer temporärenSicherung der Fassung, der Risskonservierung so-wie der Reinigung von Putzhohlräumen, ihrerHinterfüllung; Altputze ohne Fassungsbestandwurden entfernt und erneuert. Danach die Abnah-me temporärer Sicherungen; Konservierung undSicherung der Malschicht durch Festigung; Reini-gung der Oberfläche; Anlegen von Retuschen imLokalton und als Trateggio-Retuschen.

Bild 2: Zustand nach der Restaurierung

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Feierhalle

Die Feierhalle befindet sich in denGrüften 89 und 90. Sie wurde im Jah-re 1825 in diese Grüfte eingebaut. Ende des Jahres 1997 wurde nachvorangegangenen restauratorischenund baulichen Untersuchungen mitden architektonischen und denkmal-pflegerischen Planungen der Restau-rierungs- und Instandsetzungsarbei-ten an der Feierhalle sowie den Funk-tions- und Nebenräumen in denNachbargrüften sowie mit deren Aus-führung begonnen. Die Arbeiten wur-den Mitte des Jahres 1998 abge-schlossen. Die Gruft 91 wird als Vorbereitungs-raum für Bestattungsfeiern genutztund die Gruft 92 als Foyer mit neu ge-schaffener Treppenanlage als Zugangzum angrenzenden Gärtnerhaus.

Mit der Schaffung der Feierhalle imJahre 1825 wurden die bis dahin offe-nen Schwibbögen mit Ziegelmauer-werk verschlossen. Sie erhielten seg-mentbogenartige Tür- und Fensteröff-nungen mit profilierten Putzrah-mungen. Die Decke der zwei Grüftebeanspruchenden Feierhalle wurde

zur gleichen Zeit als imitiertes Netz-rippengewölbe neu geschaffen. Die südwestliche Außenwand derehemaligen Grüfte erhielt zwei großeSegmentfenster. Ein brüstungshohesHolzpaneel umzog die farbig gefas-sten Räume. Die Trennung zwischen Feierhalleund Vorbereitungsraum bestand auseiner heute nicht mehr vorhandenengetäfelten Trennwand mit Tür undverglastem Oberlicht.

Die Farbfassung des Innenraumeswurde nach Befund wiederhergestellt.

Zu Beginn der Planung existierte dieoriginale Ausstattung nur noch teil-

weise. Die oben genannte getäfelteTrennwand fehlte. Von dem Paneelwaren nur noch etwa 50 % erhalten.Das imitierte Netzrippengewölbe hatte, verursacht durch bereits in derVergangenheit an der Dachkonstruk-tion notwendig gewordene statisch-konstruktive Arbeiten, veränderndeEingriffe erfahren, die mehrfachenFarbanstriche in Leimfarbe warendurch Bindemittelfäule völlig ver-schwärzt. Die 1997 begonnene bauli-che und restauratorische Instandset-zung war dringend erforderlich. Mitden Ausführungsarbeiten entstand beiweitgehender Erhaltung der origina-len Substanz eine nach haustechni-schen Gesichtspunkten modernisierteFeierhalle (Fußbodenheizung, Elek-troanlage, Zugang zu Sanitärräumen).Die fehlenden Paneele wurden in An-lehnung an das historische Vorbild er-gänzt. Das Deckengewölbe wurdenach Ab-schluss der statischkonstruk-tiven Sicherungsarbeiten instand ge-setzt. Die teils jüngeren Fenster mus-sten wegen ihres schlechten Erhal-tungszustandes erneuert werden.Passend zur baulichen Umgebung,damit auch der besonderen Nutzunggerecht werdend, wurden als Fußbo-denmaterial Sandsteinplatten verwen-det. Der nach Befund im Wesentli-chen in Riedbraun - rote Begleitstrichebefinden sich entlang der Gewölbe-rippen - gefasste Raum wird mit zeit-genössischem Mobiliar ausgestattet.Der wiederhergestellte historischeRaum, dem bei seiner denkmalpflege-rischen Instandsetzung und Gestal-tung bewusst alles Bedrückende ge-nommen wurde, wird wieder als Feierhalle genutzt.

Feierhalle und Ausstattungwährend (1) und nach (2) der Instandsetzung

Bauliche, denkmalpflegerische Instandsetzung und Wiederherstellung der Feierhalle und des Gärtnerhauses

1

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Gruft 89, 90 Feierhalle Innenansicht - Blick nach Südosten

Gruft 90 - 92Feierhallenbereich - Außenansicht

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Gärtnerhaus

Das Gärtnerhaus, auch Inspektorhausgenannt, wurde Ende des 19. Jahrhun-derts außerhalb des Stadtgottesackers,sich an die westliche Umfassungsmau-er unmittelbar neben dem Torturm-Eingang zur Renaissanceanlage anleh-nend, errichtet. Es ist ein unterkellerterzweigeschossiger Klinkerbau, dergemäß dem damaligen Zeitgeschmackgestaltet wurde.

Das Gärtnerhaus ist nach verstärkt auf-getretenen Steinschäden später ver-putzt worden. So ist es den Hallensernseit langem vertraut. Das Gebäude er-hält deshalb mit den bereits im Februar1998 begonnenen Arbeiten wieder einen glattgeriebenen Außenputz miteinem mineralischen Farbanstrich inhellem Ocker. Die Sandsteingliede-rung der Fassade und die Fenster wer-den sich farbig abheben.

Das Gärtnerhaus wurde instand ge-setzt und modernisiert, damit es sei-nem ursprünglichen Zweck als Funkti-onsbau für den Stadtgottesacker wie-der dienen kann. Im Erdgeschoss, dasvon der Nordfassade neben demHaupteingang zum Stadtgottesackerseinen Hauptzugang hat, entstand ne-ben einem Verwaltungsraum ein Aus-stellungsraum mit einer ständigen In-formationsausstellung zur Geschichteund zu wechselnden aktuellen Fragenund Problemen bezüglich des Stadt-gottesackers.Der Stadtgottesacker kann vom Fluraus über einen in der Umfassungs-mauer zur ehemaligen Gruft 93 neu-geschaffenen Zugang erreicht werden

und von hier aus über den Vorraum dieFeierhalle. Vom Flur aus erreicht manweiterhin WC-Anlagen, für Damenund Herren und für die Nutzung durchdas Personal bestimmt; ein Zugang er-folgt über die Treppenanlage zum Un-tergeschoss. Hier befinden sich Räumefür das Personal zum Umkleiden sowieWasch- und andere Sanitäreinrichtun-

gen. Im Untergeschoss sind außerdemArchiv und Heizung untergebracht. Ander Südfassade des Gärtnerhau ses be-fand sich früher ein kleiner Vorgarten,der wieder hergestellt wurde. VomGarten aus gelangt man über einen se-paraten Zugang über die vorhandeneTreppenanlage im Gebäude zu einerWohnung im Obergeschoss des Ge-bäudes.

Die denkmalpflegerisch instand ge-setzte Feierhalle und das in Strukturund Erscheinung erhaltene moderni-sierte Gärtnerhaus bilden eine wichti-ge Voraussetzung für das zukünftigeErlebnis des auch wieder als Begräb-nisstätte genutzten, - nunmehr insge-samt denkmalpflegerisch instand ge-setzten und wiederhergestellten Stadt-gottesackers zu Halle.

Die denkmalpflegerische Gesamtres-taurierung des Stadtgottesackers wurdeund wird getragen durch die Stadt Hal-le, durch die Bereitstellung von Mittelnaus Förderprogrammen des Bundesund des Landes Sachsen-Anhalt, durchSpenden sowie ganz wesentlich durchdie private Stiftung von Frau Dr. Witte.Ihre Stiftung ermöglicht nicht nur dieumfassende Instandsetzung des künst-lerisch reich ausgestatteten Stadt-gottesackers, sondern auch zukünftigsämtliche baulichen und restauratori-schen Werterhaltungsmaßnahmen amStadtgottesacker in Halle.

Helmut StelzerThomas Zaglmaier

Gärtnerhaus mit Torhaus nach der Instandsetzung

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Abbildunghistorische Zeichnung zur Planung des Gärtnerhauses

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Aufgang zur Feierhalle

Torturm, begleitet von den Grüften 94/1

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Seite 41Umfassungsmauer außen mit Haupteingang zum Stadtgottesacker, 1998

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martina
Eingangssituation bitte als neue Aufnahme,wie vereinbart nachreichen!
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Restauratorische und kunsthistorische Untersuchung der Arkatur und der Gruftmemorials

Im Vorfeld der baulichen Restaurie-rung der Bögen des Stadtgottes-ackers sind neben einer Steinscha-denskartierung Untersuchungen zurhistorischen Polychromie an derSchwibbogenarkatur und in den Me-morialräumen erfolgt.Die Untersuchungsarbeiten wurdenin Ateliergemeinschaft des Autorsund des Dipl.-Restaurators PeterSchöne durchgeführt.

Methodik und Dokumentation

Die Untersuchungen erfolgten durchmechanische Schichtentrennung mitdem Skalpell teils unter Verwendungoptischer Hilfsmittel.Zur dokumentarischen Aufbereitungwar es in Anbetracht sich wiederho-lender Schemata günstig, Formblät-ter zu erarbeiten, die eine übersicht-liche Befundpräsentation gewährlei-sten. Die Untersuchungsergebnissejedes Raumabschnittes wurden in je-weils separaten Heften für den In-nen- und Außenbereich zusammen-gefaßt. Sie enthalten ein Deckblattmit allen nötigen Vorinformationen,auf welchem durch schematischeDarstellungen die jeweilige Lageund räumliche Situation vorgestelltwird.Die Fassungsfolgen wurden tabella-risch mit Anmerkungen und origina-len Farbstreifen der verwendetenFarbkarte festgehalten. Die Befund-lage und -auswertung wurden in ei-nem kurzen Erläuterungsbericht zu-sammengefaßt.

Belegungs - und Besitzstudien

Neben den restauratorischen Unter-suchungen erfolgte eine aus ver-schiedenen historischen Quellen erstellte Auflistung der Gruftbele-gungen. Die faksimilierten Quellen-auszüge wurden auf einem odermehreren Übersichtsblättern zusam-mengeführt und dem jeweiligen Dokumentationsheft beigefügt. Heraldische Studien hallescher Ge-schlechterwappen ergänzen die Un-tersuchung.

Kunsthistorische Studien zur Arkatur

Bisher war die kunsthistorische Be-trachtung überwiegend auf die Or-namentik und ihre Vorlagen gerich-tet. Jedoch schon die originelle tek-tonische Gliederung verdientbesondere Aufmerksamkeit. Der Ty-pus der weitspannenden Segment-bogenarkatur auf zierlichen Stützenwurde wohl in der ersten Hälfte desQuattrocento in Florenz entwickelt.Frühes Beispiel hierfür ist der 1435-40 von Bernardo Rossellinoerrichtete Chiostro degli Aranci, einkleiner eleganter zweistöckigerKreuzgang der Badiakirche in derVia del Proconsole. Eines der frühe-sten deutschen Beispiele einer Seg-mentbogenarkatur auf gedrungenenBalustersäulen, entstanden zwi-schen 1531 und 1537, findet sich imHof der „Neuen Residenz“ und imangrenzenden Domhof in Halle.Ein in den entscheidenden tektoni-

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schen Details und der Ornamentikverblüffend mit der Stadtgottes-ackerarkatur übereinstimmendesPendant ist der etwa zeitgleich ent-standene „Schöne Hof“ der Plassen-burg ob Kulmbach. Nach den Zer-störungen des durch den Condottie-re Albrecht Alcibiades angefachten„Markgräflerkrieges“ wurde die dop-peletagige kräftigere Rundbogenar-katur um 1560 von Caspar Fischerunter dem humanistisch gebildetenMarkgrafen Georg Friedrich von Hohenzollern errichtet. Die allesüberwuchernde Ornamentik istebenfalls wie die ältesten Bögen desStadtgottesackers in Art der Vorla-gestiche der „Kleinmeister“, wie dieDürerschüler Bartel Beham, HansSebald Beham, Georg Pencz undHeinrich Aldegrever genannt wer-den, gehalten. Insbesondere Alde-grevers „Vorlagewerk der Ornamen-tik“ lieferte entscheidende Anregun-gen für die Reliefornamentik desStadtgottesackers.Die hallesche Bürgerschaft unter-stand auch nach dem erzwungenenFortgang Kardinal Albrechts undEinführung der Reformation weiter-hin der landesherrlichen Hoheitmagdeburgischer Erzbischöfe ausder brandenburgischen Linie desHauses Hohenzollern. Der Baubeginn der Arkatur, nachDreyhaupt 1563, nach anderen An-gaben schon 1557, fällt unter dasEpiskopat bzw. die AdministrationSiegesmund II., der 1561 auf demLandtag zu Calbe die Reformationdes Erzstiftes endgültig besiegelte.Form- und Ornamentverwandtschaftbeider Architekturanlagen legen na-

55Der „Schöne Hof“ der Plassenburg ob Kulmbach

Ornamentik farbig vom Fond abge-setzt. Die barocken Inschriften inder Bogenblende wurden meist an-thrazit oder schwarz ausgelegt. Wie-derholt konnte festgestellt werden,daß die Gebälkblende im Ton abge-setzt war und durch materialillusio-nistisch gemalte Marmoräderungenaufgewertet wurde. Es fanden sich in den Bogenblenden,sofern nicht schon Inschriften einge-arbeitet waren, auch frei gemalteSchriftzüge in Frakturschrift. Ließ siesich auch nur fragmentarisch entzif-fern, so war es möglich, über dieKonkordanzen die biblische Origi-naltextpassage festzustellen. Die les-baren Partien wurden mittels Zei-chenfolie vom Original übertragenund mit beigegebenem Maßstab ko-piertechnisch verkleinert, umge-zeichnet und vervollständigt. Anhand historischer Vorlagen pfän-nerschaftlicher Wappen konntenfragmentarische Wappenmalereienan den Schlußsteinplafonds identifi-ziert und datiert werden. Das frühe 19. Jahrhundert bevorzug-te für die Außenfassung der Bögenmonochrome kühle Beigetöne inmagerer Ölfarbe, Töne, die wiederim materialillusionistischen Sinnedarauf abzielten, den Eindruck vonSandstein zu suggerieren. In den Bo-genblenden wurden Inschriften inschwarzer kalligraphisch gestoche-ner englischer Schreibschrift aufge-malt. Gelegentlich wurden dazu äl-tere eingetiefte Inschriften durchPutzspachtel überglättet. Die separate Neufassung einzelnerBögen führte aber stets zu gestalteri-schen Problemen, da sie der Kon-

he, daß, begünstigt durch weitläufi-ge verwandtschaftliche Bindung derfränkischen und der brandenburgi-schen Linie des Hauses Hohenzol-lern, wahrscheinlich ein künstleri-scher Austausch bestanden hat.

Fassungsbefunde an der Arkatur

Ursprünglich stand die Arkatur alsEinheitsbauwerk in ungefaßtem Ma-terialton. Allenfalls eine mono-chrom bernsteinfarbene Lasur, diesich im Fugenbereich nachweisenließ, läßt wohl die Absicht erken-nen, Farbnuancen im Material aus-zugleichen, dem Stein ein „edleres“Aussehen zu verleihen und das Fu-genbild zurückzudrängen. Mit derTrennung in Einzelgrüfte, die späte-stens im Hochbarock ihren Ab-schluß gefunden haben dürfte, wur-den auch die Arkadenbögen indivi-duell gefaßt. Die Farbtönungendieser Zeit bewegten sich weiterhinim „Materialtonbereich“, und nur inwenigen Ausnahmefällen wurde die

Badia Florentina gegenüber dem BargelloBernardo Rossellino 1435-40Chiostro degli Aranci, Florenz p. 101

Page 58: Der hallesche Stadtgottesacker

struktion zuwiderliefen: Wurden dieden Bogen tragenden Pfeiler mitge-strichen, so „fehlten“ diese nun op-tisch bei den beidseits angrenzen-den Bögen. Um dies zu verhindern,„teilte“ man die Pfeiler manchmalohne Berücksichtigung der Orna-mentik mittig durch einen schwar-zen Trennstrich.

Fassungsbefunde zur Innenraumgestaltung der Gruftmemorials

Im Inneren der Gruftmemorials wur-den Erkenntnisse zu baulichen Ein-griffen und der farbigen Gestaltungzu den verschiedenen Zeiten ge-wonnen und gestalterische Elementewie Stuckprofile genau vermessen.Den Höhepunkt barocker Raumaus-gestaltung bildet die wertvolle Stuk-katur an der Decke des Memorial-raumes des 1710 gestorbenen Ge-lehrten Samuel Strykius (Nr 77). DieFormensprache der Stukkatur weistjedoch eher auf das ausgehende 17. Jahrhundert hin.Zur Übersicht wurden die Raumsi-tuationen mitsamt der Epitaphe unddes sonstigen Inventars, einschließ-lich der Gitter, nach graphischemSchema dokumentiert. Eine wissen-schaftliche und vollständige Inven-tarisation des durch Diebstahl undVandalismus dezimierten Bestandessteht jedoch noch aus.

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Bogen 77, Schlußstein Rekonstruktionsstudie des Monogramms von Samuel (v.) Strykius, 1715Wie in der ersten Hälfte des 18. Jh. üblich, überlagern und verflechten sich dieKursivversalien mit ihrem Spiegelbild.

Bogen 77, Bogenblende Rekonstruierter Spruch, Fassung von 1715 Bogennummer auf der dunklen Folgefassung, Ende 18. Jh./Anfang 19. Jh.

Bogen 83, Schlußstein Polycarp Friedrich v. Layser, 1767, undChristine Charlotte, geb. v. Dreyßig, 1780Freie Rekonstruktion des Allianzwappensanhand der Malereireste und der Wappentafel in der Dreyhauptschen Chronik.

Befund und Restaurierungsmethodik

An eine historisch getreue Umset-zung der Befunde ist bei derPrimärinstandsetzung der Gesamt-anlage nicht zu denken. Zumal dieFrage, welchem Befund aus künstle-rischen oder historischen Erwägun-gen der Vorzug zu geben ist, einerdenkmalpflegerischen Einzelent-scheidung obliegt. Die Innenräumewurden mit einem relativ dunklensteinbeigen Ton einheitlich gefaßt,um einen zu starken Kontrast mit dernaturbelassenen lediglich gereinig-ten und freigelegten Sandsteinarka-tur zu vermeiden. Die Dokumentationen sind nicht nurvon historischem Interesse, sondernwerden in Zukunft wichtige Ent-scheidungshilfen für eine weiter-führende Restaurierung, Rekonstruk-tion oder historisch fundierte künst-lerische Ausgestaltung einzelnerGruftmemorials sein.

Gerhard Richwien

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50 100 cm

10 cm

0 1 2 3 4 5 m

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Schnitte und Untersicht des Gewölbes der Gruft 85

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flächen der städtischen Verdich-tungsräume.Besonders alte Friedhöfe stellen eineng verzahntes Mosaik von ökologi-schen Kleinststandorten dar, die ei-ner in der Regel sehr geringenStörung und keinem so starken Erho-lungsdruck wie Parkanlagen unter-liegen. So sind sie oft die einzigenOasen der Ruhe und werden häufigzu Orten der stillen Erholung undBesinnung.

Als garten- und landschaftsarchitek-tonische Anlagen werden sie erstseit dem Einzug der Vegetation inunsere Friedhöfe im 18. Jahrhundertbetrachtet. Für den Stadtgottesackerwurde 1818 ein Plan zur erneutenInstandsetzung und vor allem Ver-schönerung gefaßt, wozu die Grün-dung eines für diese Aufgaben zu-ständigen Vereins vorgeschlagenwurde. Als Ergebnis dieser Initiativewurden die Hauptwege angelegt,das Rondell in der Mitte geschaffen,mit Bäumen umpflanzt und mit Ru-hebänken ausgestattet. Weiterhinwurden Reihen im Grabfeld und dasBepflanzen der Gräber mit Blumeneingeführt. Diese Grundzüge derGestaltung des Grabfeldes sind bisheute erhalten.

Je nach Alter und Material weisendie Grabmale und Einfassungen ei-nen unterschiedlichen Erhaltungszu-stand auf. Viele sind umgestürztbzw. umgestürzt worden. Teilweise,besonders bei kompakten Steinen,ist nur ein Wiederaufrichten undNeuverdübeln notwendig. Zusam-mengesetzte Grabmale, teils von be-

Wie kaum ein anderer hallescherFriedhof spiegelt der Stadtgottes-acker ein Stück Friedhofkultur derletzten fünf Jahrhunderte wieder. Die historische Kontinuität, das Ne-beneinander unterschiedlichsterEpochen und Auffassungen zur Ge-staltung von Grabstellen mit ihrenGrabmalen verkörpern den Wert derGesamtanlage. Werden sonst übli-cherweise zu einem Zeitpunkt ange-legte, in Einteilung und Zeitge-schmack gleiche Grabfelder nacheinheitlicher Liegefrist abgeräumtund neu belegt, dokumentiert derStadtgottesacker ein Stück Stadt-und Friedhofsgeschichte.Trotz aller Schäden stellt die derzei-tig erhaltene Substanz an Grabma-len einen wertvollen Fundus fürzahlreiche Wissenschaftsgebiete,wie Bau- und Kunstgeschichte, Gar-tendenkmalpflege, Friedhofsge-schichte, Sepulkralkultur, Städte-bau, Germanistik, Stadtgeschichte,Universitätsgeschichte, Medizinge-schichte, Kirchengeschichte u.a.,dar.

Den innerstädtischen Friedhöfen er-wuchs in den letzten Jahrzehnten,neben den genannten Aufgaben undihrer eigentlichen Funktion als Orteiner würdigen Bestattung, eineneue wichtige Aufgabe: die der städ-tischen Grünanlage mit all ihren so-zialen, ökologischen und stadtge-stalterischen Funktionen. Aus natür-lichen und rechtlichen Gründenwiderstehen sie am ehesten konkur-rierenden Flächenansprüchen derStädte und werden damit oft zu denletzten ökologisch wirksamen Grün-

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Grabfeld - GartenarchitektonischedenkmalgerechteErhaltung und Pflege

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trächtlicher Höhe, mit aufgesetztenUrnen und relativ weichen oderauch spröden Gesteinen weisen da-gegen meist beträchtliche Schädenauf, die nur durch eine umfangrei-che Restaurierung zu beheben sind.Besonders wichtig war und ist es,beim Sichern von Bruchstücken dieZugehörigkeit festzustellen und sieentsprechend zu archivieren.Bei zahlreichen sehr alten Steinendroht mittlerweile die Schrift so zuverwittern, daß sie unlesbar wird.Als sehr problematisch erweist sichder Zustand und die Erhaltung derMetallgrabmale. Während solcheaus Zink die Zeiten relativ gut über-standen haben, hauptsächlich Beu-len, Verbiegungen und Bruchstellenaufweisen, sind die aus Eisen teilsnur noch in ihren Grundformen er-halten oder zumindest an den Ober-flächen durch Rost stark verändert.Gleiches gilt auch für eine Reiheschmiedeeiserner Grabeinfassun-gen.

Es wird bei der Durchführung derMaßnahmen zur Sanierung desGrabfeldes ein sensibles Miteinan-der zwischen dem Priorität ge-nießenden Denkmalschutz und Na-turschutzaspekten notwendig sein.

Um diesem komplizierten Netzwerkvon Betrachtungsweisen gerecht zuwerden, wurde 1994 begonnen, einFriedhofspflegewerk für den Stadt-gottesacker zu erarbeiten. Aus Ko-stengründen liegt es bisher nur alsRahmenzielstellung vor. Abgeleitetvon dem Begriff Parkpflegewerk, istes ein Instrument zur Erhaltung und

Restaurierung historischer Gärten,Parks, Anlagen und Plätze sowie von Friedhöfen usw. Es umfaßt je-weils ein verbindliches Programmfür die Pflege und Unterhaltung desObjektes im Hinblick auf seine hi-storischen Eigenschaften. Weil esFehlentwicklungen und Verlusten

vorbeugen kann, ist es auch dannnützlich, wenn keine akuten Eingrif-fe geplant sind und der Fortbestandnicht akut gefährdet ist.

Im Rahmen dieser Arbeit wurde einneues Grabmalverzeichnis erstellt,in welchem Informationen aus ver-schiedenen alten Sterberegisternund Büchern ausgewertet, zusam-

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mengetragen und unter einer neuenlaufenden Nummerierung registriertwurden. Parallel dazu sind alleGrabmale in einer Fotodokumentati-on von 1995/96 erfaßt worden. MitHilfe eines Planes, auf der Grundla-ge einer Vermessung des Stadtver-messungsamtes, ist es jetzt möglich,Grabstätten schnell und sicher zuidentifizieren, ihre Lage zu bestim-men und den Zustand der Grabmaleanhand der zugehörigen Fotos abzu-fragen.

Die historische Entwicklung desStadtgottesackers wurde weiter auf-gearbeitet, die Bewertung zur Sub-stanz, der künstlerischen und kultur-historischen Bedeutung vorgenom-men und der Baumbestand und dieKrautschicht dokumentiert. Als Er-gebnis wurde ein denkmalpflegeri-sches Leitkonzept erstellt und Hand-lungsempfehlungen ausgesprochen.

Folgende Grundsätze und Ziele fürdie Behandlung der Grabflächenwurden aufgestellt:

. Erhaltung aller Grabmale bis zu einem Zeitpunkt, in dem sie in Form und Oberfläche nicht mehr als solche erkennbar sind.

. Bestattung auf Grabstellen bei Erhaltung des vorhandenen Grab-mals. Sofern es die zur Verfügungstehenden Flächen zulassen, istein Einordnen neuer Liegeplatten, die in Material, Farbe und Ober-fläche auf das vorhandene Grab-mal abgestimmt sein müssen, möglich.

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. Um aufgrund der teilweise sehr engen und mehrfachen Belegung seit ca. 400 Jahren den Denkmal-bestand nicht unnötig zu gefähr-den und die Eingriffe in die Vege-tation so gering wie möglich zu halten, sollten nur noch Urnenbe-stattungen erlaubt werden.

. Die gärtnerische Pflege wird auf ein notwendiges Maß zur Erhal-tung des Friedhofes beschränkt bleiben. Die teilweise, besondersin Abteilung I sehr ausgeprägte geschlossene Pflanzendecke (Efeu, artenreiche Krautschicht) ist zu erhalten. Weiterhin sind Moose, Flechten und Farne an Mauern, Grabsteinen, Wegebe-grenzungssteinen, in Brunnen undan ähnlichen Standorten, soweit

nicht eine Zerstörung der Denk-malsubstanz zu erkennen ist, zu dulden.

. Innerhalb der Quartiere ist der Bestand an Hochstämmen zurück-zudrängen. Dazu wird aller Wild-wuchs, toter und stark geschädig-ter Baumbestand entfernt und kei-ne erneute Bepflanzung mit Bäu-men innerhalb der Quartiere vor-genommen. Die Linden entlang des Wegekreuzes werden so gut wie möglich erhalten. Eine Nach-pflanzung sollte erst erfolgen, wenn die Ausfallquote so hoch ist,daß eine komplette zeitgleiche Neupflanzung möglich ist.

. Die geplante Ausstattung be-schränkt sich auf die für eine Be-

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wirtschaftung des Friedhofs un-verzichtbaren Elemente und wird so unauffällig wie möglich gestal-tet sein.

Auf der Grundlage dieser Zielstel-lung wurde durch das Grünflächen-amt eine Friedhofssatzung speziellfür den Stadtgottesacker erarbeitetund am 24.03.1999 durch den Stadt-rat der Stadt Halle (Saale) beschlos-sen.

In den letzten Jahren konnte eineReihe von Maßnahmen durchgeführtwerden, die der Bestandserhaltungdienten. So wurden in den vier Ab-teilungen alle umgestürzten Grab-male wieder aufgestellt und loseSteine befestigt. Weiterhin wurdeGehölzwildauswuchs gerodet sowietote und bruchgefährdete Äste ausden Baumkronen entfernt.

In der Abteilung IV konnten, nachInstandsetzung der Wege und Stütz-mauern sowie dem Setzen einigerneuer Grabeinfassungen, wieder er-ste Urnenbeisetzngen, durchgeführtwerden.

Damit ist der Anfang zum Erhalt desGrabfeldes getan. Die Sanierung desgesamten Grabmalbestandes stelltaber noch eine ehebliche Aufgabefür die nächsten Jahre dar.

Matthias Därr

Seite 61:Historische Aufnahme vom Grabfeld 1. Hälfte 20. Jahrhundert

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Page 64: Der hallesche Stadtgottesacker

Zum Wirken der Stiftung „BauhütteStadtgottesacker“ e. V.

Im Herbst 1989 folgten Wochenen-de für Wochenende viele Bürger derStadt Halle den Aufrufen des Ar-beitskreises Stadtgottesacker mitzu-helfen, den chaotischen Zuständenauf dem Stadtgottesacker in Halle zuLeibe zu rücken. Zunächst wurdedas auf dem Gräberfeld wucherndeGrün entfernt. Während dieser Ar-beiten konnte eine Vielzahl von Tei-len der Grabanlagen aufgefundenund sichergestellt werden.

Durch mutwillige Zerstörung ent-standen im Nordteil des Stadtgottes-ackers erhebliche Schäden im Dach-bereich. Um einen weiteren Verfalldieser Bauwerksteile zu verhindern,wurden spontan mit Genehmigungdes Rates der Stadt Halle Dachziegelaus Abrißhäusern geborgen und indie Dachflächen des Stadtgottes-ackers eingebaut. Da Bauholz nichtausreichend zur Verfügung stand,wurde in großen Mengen Dielen-holz aus Abrißhäusern des Charlot-tenviertels geborgen und für dieTonnengewölbe der wiederherge-stellten Gruftbögen verwendet.

Mit dem Ziel, die Restaurierung desDenkmals zu unterstützen und denStadtgottesacker wieder zu einemOrt lebendiger Geschichte erstehenzu lassen, wurde unter Beteiligungvon Bürgern aus ganz Deutschlandam 1. März 1990 die Stiftung„Bauhütte Stadtgottesacker“ e. V.gegründet. Der Verein sieht seineKernaufgabe in der Förderung derWiederherstellung des Stadtgottes-ackers durch Spenden und vielfälti-ge Initiativen.

Im Ergebnis einer breiten Öffentlich-keitsarbeit wurden Spenden in einerGesamthöhe von fast einer halbenMillion Mark auf das Konto des Ver-eins überwiesen. Für Sicherungs-und Restaurierungsarbeiten hat dieDeutsche Stiftung Denkmalschutzbislang 60 TDM zur Verfügung ge-stellt.

Aus den Spendenmitteln der„Bauhütte Stadtgottesacker“ e. V.wurden mit Ausnahme der GrüfteNr. 80 und 81 sämtliche Gitter re-stauriert. Darüber hinaus wurde dasGitter der Gruft Nr. 84 teilfinanziert,das im Ergebnis einer Diplomarbeitder Burg Giebichenstein - Hoch-schule für Kunst und Design Halleentstanden ist. 1)

Ein weiterer Schwerpunkt der Ver-einsarbeit ist die Wiederherstellungder in der Nordwest-Ecke durchKriegsschäden fehlenden 5 Grüftemit den Nummern 12 bis 16. Vondiesen Grüften ist fast keine Ori-ginalsubstanz mehr erhalten. Diebei der Gruft Nr. 12 angestrebte Re-konstruktion des Originals durchStudenten der Burg Giebichensteinerwies sich als sehr schwierig. 2)

Deshalb wurde mit Zustimmung al-ler an der Restaurierung des Stadt-gottesackers Beteiligten der Ent-schluß gefaßt, die noch fehlendenGrüfte mit neu gestalteten Ornamen-ten durch die Bildhauerklasse derBurg Giebichenstein ausstatten zulassen. Jüngstes Beispiel ist der fer-tiggestellte Bogen der Gruft Nr. 13,der im Ergebnis der Diplomarbeit1997 bis 1998 des Studenten

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Marcus Golter entstanden ist. (Abbildung)Die Neuanfertigung der Grüfte 13bis 15 wurde teilweise aus Spenden-mitteln des Vereins finanziert.

Peter Dahlmeier

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2) Arbeit der Bildhauerklasse Prof. Göbels unter Mitwirkung von Dirk Brüggemann (Dipl. 1993)Thema: „Rekonstruktion des Gruftbogens Nr. 12

nach historischen Fotovorlagen“

1) Diplomarbeit des Fachbereiches Metall: 1994Thema: „Neugestaltung eines Schmiedegitters

für den Gruftbogen Nr. 84“Bearb.: Pavel MeyrichBetr.: Frau Prof. Ohme

Gruft 13Teile des bildhauerisch bearbeiteten Schwibbo-gens auf dem Hof der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design Halle,

inzwischen von Marcus Golter auf dem Stadtgottesacker eingebaut.

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Der Stadtgottesacker -erneut Bestattungs-stätte, damit bleibenderOrt ewiger Ruhe undBeschaulichkeit

Die Stadt kann seit dem 13.01.2001die Tradition fortsetzen, verdienst-volle Bürger mit einem Begräbnis aufdem Renaissancefriedhof zu ehren.

Bereits in der Begräbnisordnung derStadt Halle des Jahres 1887 war vor-sorglich festgelegt, dass Nutzungs-rechte auf dem Stadtgottesacker nurbis zum 1. Januar des Jahres 1984verliehen werden.Die ursprüngliche Form der Beiset-zung in offenen Gruftbögen wurdebereits 1862 wegen Belastung derLuft untersagt.Nach dem Beschluss der Stadtver-ordnetenversammlung vom10.07.1950 waren Erdbestattungenaus stadthygienischen Gründennicht mehr möglich.Aufgrund des Ablaufs der Nutzungs-rechte im Jahre 1984 konnten Urnen, um die Ruhefrist einzuhal-ten, nur noch bis 1964 beigesetztwerden.

1991 hat die Stadt mit der systemati-schen Sanierung des denkmalge-schützten Friedhofs begonnen. Dank großzügiger Spendenmittelkonnten die Bauarbeiten in den letz-ten Jahren verstärkt werden.Nach der Sanierung der Feierhalleund der Schaffung neuer Funktions-räume im Verwaltungs- und Wohn-gebäude waren die Voraussetzungengegeben, wieder Trauerfeiern undUrnenbeisetzungen durchzuführen.Die Stadt wollte den historischenFriedhof nicht nur als Denkmal er-halten, sondern er sollte wieder alsBegräbnisstätte dienen. Da der Platzauf dem von Gruftbögen umgebenen

Grabfeld begrenzt ist, wurden in 3verfügbaren Gruftbögen Kolumbari-en (Urnennischen) nach dem Bei-spiel des Bogens 85 eingebaut. Jenach Bedarf werden weitere folgen.

In den Grabfeldern können Nut-zungsrechte der freien Gräber er-worben werden. Auch Grabstättenmit vorhandenem Denkmal könnenneu vergeben werden in Verbindungmit einem Patenschaftsvertrag zurErhaltung des Grabmals.Falls Nachkommen der hier Bestat-teten die Nutzungsrechte der Fami-liengrabstätten neu erwerben möch-ten, können sie ihr Interesse beimGrünflächenamt der Stadt Halle an-melden. (Postanschrift: Marktplatz 1, 06100 Halle)

Der Stadtrat hat für den Stadtgottes-acker eine spezielle Friedhofssat-zung beschlossen. Sie wurde imAmtsblatt vom 13. Januar 2000 ver-öffentlicht und trat am darauffolgen-den Tag in Kraft. Neben Ordnungs-und Bestattungsvorschriften enthältsie Regeln für Grab- und Grabmal-gestaltung zur Wahrung des Denk-malschutzes. Für die Nutzung desFriedhofes und der Feierhalle gilt die Friedhofsgebührensatzung derStadt Halle (Saale) in der aktuellenFassung.

Uwe Albrecht

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Gruft 59 nach der Instandsetzung mit neuer Kolumbarien-Ausstattung

Page 67: Der hallesche Stadtgottesacker

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Page 68: Der hallesche Stadtgottesacker

Der Stadtgottesacker.Geschichtlicher Überblick

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vor 1529 Nutzung des Begräbnisplatzes auf dem außer-halb der Stadtmauer gelegenen Martinsberg als Pestfriedhof

1529Schließung der Begräbnisplätze in der Stadt Halle und Einrichtung des allgemeinen Gottesackers

1557 bis etwa 1590 Errichtung der Grabbogen-Anlage unter Leitung des Baumeisters und SteinmetzenNickel Hoffmann

1615Verwüstung des Stadtgottesackers durch einenstarken Sturm, daraufhin Verstärkung der Um-fassungsmauer mit Stützpfeilern

1669Einrichtung des Bogens 50 als Pulverniederlagefür die halleschen Kaufleute

1673ein Gesetz des Rates regelt die Besitzverhältnis-se der Grabbögen als Familien- oder Erbbegräb-nisse

1721Erweiterung des Stadtgottesackers nach Norden(sogenannter Soldaten-, Militär- oder Marien-gottesacker)

1818Gestaltung des inneren Gräberfeldes des Stadtgottesackers: Anlegen von Wegen, Auf-stellen von Ruhebänken, Einbau einer Tür inBogen 38, um Wasser aus dem unweit gelege-nen Schimmeltorteich holen zu können; ab dieser Zeit wurde auch das Bepflanzen der Gräber mit Blumen üblich

1822durch die offenen Grüfte in den Memorial-räumen entstehen erhebliche Geruchsbelästi-gungen, vorläufige Sperrung des Stadtgottes-ackers; vermutlich auch in diesem Zusammen-hang Einbau des eisernen Tores in den südli-chen Eingang der Westseite sowie Zumauerndes nordwestlichen Eingangs des Stadtgottes-ackers und Nutzung als Grabstätte (Bogen 9a)

1830Bogen 90 wird fortan als Leichenhaus genutzt;Umfunktionierung des Bogens 29 als Durch-gang zum sogenannten Soldaten-, Militär- oderMariengottesacker

1835/36Erweiterung des Stadtgottesackers nach Osten(sogenannter Neuer Stadtgottesacker), Umfunk-tionierung des Bogens 50 als Durchgang

1862wegen Belastung der Luft Untersagung von Beisetzungen in den offenen Grüften, diesemüssen entweder luftdicht überwölbt oder der Sarg mit einer fünf Fuß starken Erdschicht bedeckt werden

1877Umgestaltung der nördlichen Friedhofs-erweiterung, des sogenannten Soldaten-, Militär- oder Mariengottesackers, zum Park

1887Begräbnisordnung der Stadt Halle legt fest, dass Nutzungsrechte auf dem Stadtgottesackernur bis 1984 Gültigkeit haben

1910Tieferlegen der Wege an den Grabbögen, da das Erdreich im Laufe der Jahrhunderte so zugenommen hatte, dass die Pfeiler der Bögen meist bis zur Hälfte zugedeckt gewesensein sollen

1911Umgestaltung des Bogens 83 zum Kolumbarium

31. März und 6. April 1945 durch Bombenangriffe schwere Beschädigungdes Stadtgottesackers

1949Untersagung von Erdbestattungen auf dem Gräberfeld des Stadtgottesackers, Schließungdes sogenannten Neuen Gottesackers

1950aus städtebaulichen und stadthygienischenGründen wird der Stadtgottesacker für Beiset-zungen ganz geschlossen, bis 1976 aber nochGenehmigungen für Urnenbeisetzungen in denBögen, bis 1991 auf dem Gräberfeld

1969 - 1975 Umgestaltung der außerhalb der Grabbogen-Anlage gelegenen Begräbnisplätze zum Stadt-park

1984Nutzungsrechte für die Gräber auf dem Stadt-gottesacker enden

1991 - 2003/04 bauliche und restauratorische Instandsetzungdes Stadtgottesackers

Stadtgottesacker Blick von außen auf die restaurierte nördlicheUmfassungsmauer

Blick auf die restaurierte Nordseite (S. 67)

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HALLE Die Stadt der Denkmale

Der Stadtgottesacker in Halle, Hans von Volkmann, Kolorierte Federzeichnung (Rückseite), Aquarell (Titelseite)