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Der Komponist Frank Zappa - media control · 2018. 1. 5. · 1 Einleitung Beinahe zwei Jahrzehnte nach seinem Tod ist Frank Zappa im Kos-mos der zeitgenössischen E-Musik eine Etablierung

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Der Komponist Frank Zappa

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Daniel Schröder (*1977) studierte Musikwissenschaft in Marburg und Jazz in Amsterdam. Sein Interesse für zeitgenössische Musik verdankt er vor allem sei-nen Bassklarinettenstudien bei Wolfgang Stryi (En-semble Modern). Mit seiner Band Dasch2 bewegt er sich seit einiger Zeit selbst in zappaesken Gefilden (quadratisch-rekords.de).

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Daniel Schröder

Der Komponist Frank ZappaÜber die Aktualität der »Neuen Musik«

verlagwissenschaft und kultur

büchner-

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Besuchen Sie uns im Internet:www.buechner-verlag.de

ISBN 978-3-941310-28-5 (Print)ISBN 978-3-941310-52-0 (ePDF)

Copyright © 2018 Büchner-Verlag eG, Marburg

Lektorat: Patrick Hilpisch, HöhnUmschlagmotiv: Oliver SchlemmerUmschlaggestaltung: Büchner-Verlag, Marburg

Das Werk, einschließlich all seiner Teile, ist urheberrechtlich durch den Verlag geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bibliografische Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Inhalt

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .7

2 Tanz um das Gesamtkunstwerk: Literatur über Zappa . . . . . 13

3 Der Komponist Frank Zappa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3.1 Zwischen E- und U-Musik: ein chronologischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21

3.2 Über das Komponieren: Elemente des Prozesses . . . . . . .26

3.3 Selbstexegese und -stilisierung: Edgard Varèse – The Idol of My Youth . . . . . . . . . . . . . . . .34

3.4 Ahead of Their Time: Musikalische Avantgarde und Fortschrittsglauben . . . . . .44

4 Ein ungehorsamer Schüler? Frank Zappa und Edgard Varèse: Ein Vergleich von Elementen ihrer Kompositionstechnik und -ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5 Dots on Paper – Chords from the Bible: zappa-typische Kompositionspartikel unter dem Mikroskop . . . . . . . . . . . . . .73

6 Weitere Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

6.1 ›Takt wechsle dich‹: 5(S)/8, 3(dr)/4, 8(a)/8, 2(zw)/ 4, 1(i)/8, 9(n)/4, 5(s)/4 3(k)/8, 1(y)/4 . . . . . . . . . . . . . . .85

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6 Der Komponist Frank Zappa

6.2 Mechanik vs. Natürlichkeit: Ein Abend mit Pierre Boulez und Frank Zappa . . . . . . . .90

6.3 Cage and beyond: Aleatorik, Indetermination und dirigierte Improvisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95

6.4 Der Europäer unter den Amerikanern? Zappa und Minimal Music . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .102

6.5 Prophet der Postmoderne?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .105

6.6 Synclavier, Xenochronie und Autopoiesis . . . . . . . . . . . .110

7 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

8 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

9 Diskographie der angesprochenen Veröffentlichungen . . .129

10 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Freundlichen Dank an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

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1 Einleitung

Beinahe zwei Jahrzehnte nach seinem Tod ist Frank Zappa im Kos-mos der zeitgenössischen E-Musik eine Etablierung widerfahren, wie sie ihm Zeit seines Lebens in dieser Form noch nicht vergönnt war: Stücke wie Revised Music For Low Budget Orchestra, Bob in Dacron oder G-Spot Tornado finden sich regelmäßig auf den Spielplänen, und selbst aufwendigere Projekte wie The Adventures of Greggery Pec-cary werden von ambitionierten Ensembles mit Enthusiasmus und Akribie auf die Bühne gebracht.1 Dass es sich dabei nicht um reine Zappa-Festivals handelt, wie etwa anlässlich seines 70. Geburtstags 2010 im Londoner Roundhouse, verwundert nicht, denn Zappas Neue Musik ist auch im ›normalen‹ Konzertbetrieb gut aufgehoben, da sie in der heutigen Zeit nicht mehr verschreckt oder als extrem wahrgenommen wird, sondern sich sehr gut in einem Programm, zum Beispiel mit Vertretern der klassischen Moderne, kombinieren lässt.

Den Wunsch, als ›ernstzunehmender‹ Komponist wahrgenom-men zu werden, hatte Zappa bereits in der Frühzeit seiner Karriere gehegt. Und er unterstrich diese Ambition an exponierter Stelle in den ›relevant quotes‹ von Freak Out! durch eine berühmt geworde-ne Sentenz, entlehnt aus dem Manifest der International Composers’ Guild (ICG), einer Kooperative, die 1921 vom einige Jahre zuvor nach New York emigrierten Komponisten Edgard Varèse mitbegrün-det wurde: »The present-day composer refuses to die.«2

1 Bis Ende Juli 2011 verzeichnet die offizielle Zappa-Homepage für dieses Jahr neun internationale Konzertereignisse mit beinahe 40 unterschiedlichen Kompositionen.

2 Erstmals begegnet ist Zappa diesem Satz aller Wahrscheinlichkeit nach in den Li-ner Notes seiner ebenfalls berühmt gewordenen ersten Varèse Schallplatte (vgl. Kap.

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Die Bezugnahme auf Varèse sollte über die Jahre maßgeblich für die Wahrnehmung von Zappas Werken werden. Denn Zappa wur-de Zeit seines Lebens nicht müde, in Interviews und autobiographi-schen Selbstzeugnissen auf eine geistige Verwandtschaft zu Varèse hinzuweisen, der in seinen Erzählungen beinahe als eine Art musika-lischer ›Mentor‹ erscheint. Auch wenn sich die beiden Komponisten persönlich nie begegnet sind, ist Varèse zweifellos die Persönlichkeit, die den prägendsten Einfluss auf sein kompositorisches Schaffen aus-geübt hat.3 Die Verehrung beschränkte sich allerdings nicht nur auf ein imaginäres Lehrer-Schüler-Verhältnis. Vielmehr begegnet man Varèse ausgesprochen häufig, wenn es Zappa um die Definition des eigenen künstlerischen Standpunktes geht, seine Sicht auf sich selbst als Komponist und die Art und Weise, über Musik zu denken und zu sprechen.

Dementsprechend wird Varèse beim sich nun anschließenden Blick auf Zappas Schaffen ein zentraler Bezugspunkt sein. Wobei es dabei vor allem um eine Überprüfung geht, wie sich der Einfluss des großen Vorbilds tatsächlich darstellt. Denn beim stark im Wachs-tum begriffenen Schrifttum über Zappa ist vielerorts die Tendenz er-kennbar, werkbezogene Selbstaussagen des Musikers bis hin zum ver-meintlich Faktischen zu kolportieren, da offenbar nur die wenigsten Analytiker eine Partitur zur Hand hatten, um diese zu verifizieren. Mit dem Aufzeigen innermusikalischer Parallelen und Divergenzen zu Varèses Arbeiten werden nicht nur typische Elemente von Zap-pas E-Musik herausgearbeitet. Die auf diese Weise gewonnenen Er-kenntnisse sollen auch ein Schlaglicht darauf werfen, inwieweit es

3.3), wo dieser fälschlicherweise im Singular wiedergegeben ist. Im Original lautet er: »Dying is the privilege of the weary. The present day composers refuse to die.«, zitiert nach: Meyer, Felix und Zimmermann, Heidy: Edgard Varèse . Komponist, Klangfor-scher, Visionär. Mainz 2006, Kat. 53, S. 120.

3 Zappa berichtetet jedoch von einem kurzen Telefongespräch, das er mit Varèse führte, und von einem Billet, auf dem der weltbekannte Komponist seinem gerade siebzehnjährigen Bewunderer den Wunsch nach einem Treffen leider abschlägig be-antwortete; das kleine Stück Papier nahm später in Zappas Studio einen unangefoch-tenen Ehrenplatz ein . Vgl. hierzu: Miles, Barry: Frank Zappa – A Visual Documentary by Miles. London 1993, S. 9.

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Einleitung 9

sich auf kompositorischer Ebene womöglich um einen Varèse-My-thos handelt, den Zappa durch sein emphatisches Bekenntnis aufzu-bauen wusste.

Als Ausgangspunkt meiner Untersuchung dienen mir in erster Linie eine Vielzahl von Zappas Statements über seine Musik, über weitere Komponisten, die ihn beeinflussten, sowie technische und strukturelle Details, die Zappa in Interviews erläuterte. Dahinter steht immer der unausgesprochene Fragenkomplex: Wenn es etwas gibt, das Zappa inspiriert hat, wie äußert es sich dann in seiner Ar-beit tatsächlich? Welchen Gesetzmäßigkeiten folgen die Werke seiner verehrten Vorbilder, und ist davon etwas in Zappas Partituren festzu-stellen? Wenn nicht, wie funktionieren Zappas Stücke dann?

Eine wichtige Rolle spielen dabei zudem nicht nur die von Zap-pa gehuldigten Komponisten, sondern auch die, von denen er sich – meist polemisch – abgrenzte, deren Konzepte er möglicherweise nicht verstand oder deren Denken unwissend in sein Werk einfloss. Im Sinne einer Standortbestimmung Zappas als Komponist zeitge-nössischer ›klassischer‹ Musik soll deshalb immer wieder punktuell die Perspektive geweitet werden, um vergleichend Bezug auf Kom-ponisten und Strömungen zu nehmen, die man der musikalischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts zurechnet. Eine Analogie aus der Theorie des Zeichnens soll die Methodik dieses Vorgehens kurz illus-trieren: Möchte man das Bild eines bestimmten Gegenstandes zeich-nen und beginnt mit diesem selbst als dem Ersten, was man aufs Papier bringt, könne immer nur ein Bild entstehen, welches aus dem eigenen, bereits gespeicherten Repertoire an Bildern abgerufen wird. Um also einer bloßen Reproduktion der eigenen Vorstellung entge-genzuwirken, müsse man zunächst das ›Drumherum‹ des zu zeich-nenden Gegenstands festhalten, damit aus dem In-Relation-Setzen dessen wirkliche Konturen zu Tage treten.

Es sollen mir also Übereinstimmungen, Differenzen und Vermi-schungen mit Konzepten anderer zeitgenössischer Komponisten die Hand führen, um zumindest eine grobe Skizze des musikalischen Gesichts des Komponisten Frank Zappa zu zeichnen. Da das Drum-herum unüberschaubar vielfältig, der Umfang dieses Buches hinge-

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gen begrenzt ist, muss der Begriff der Skizze durchaus wörtlich ge-nommen werden. Um im Bild zu bleiben: Mein Zappa-Porträt wird überwiegend in Schwarz-Weiß gehalten sein, mit einigen Graustu-fen, die Fülle von Anhaltspunkten unterbindet jedoch eine übergro-ße Farbigkeit im Detail. Ebenso nehme ich in Kauf, dass durch die skizzenhafte Ausführung des Gesamtbildes Zappas Nase womöglich ein wenig zu groß gerät. Fern läge mir jedoch, zunächst die Nase genauestens zu untersuchen, um mittels den aus diesem Entwurf ge-wonnenen Erkenntnissen anschließend die Ohren zu zeichnen.

Trotz ihres quantitativen Ausnahmecharakters – sechs E-Musik-Alben4, die unter Zappas Regie aufgenommen wurden, stehen circa achtzig Veröffentlichungen5 gegenüber, die dem Rock-, Pop- oder Jazzbereich, also der U-Musik6, zuzuordnen sind – ist Zappas Neue Musik nicht aus dem kompositorischen Kontext seines Gesamtwer-kes zu lösen, da sich in ihr vielfach zappa-typische Organisations-weisen musikalischen Materials widerspiegeln, die als Konstanten in seinem mehr als dreißigjährigen Schaffen anzusehen sind. Deshalb sollen gerade Zappas Arbeiten aus der Frühzeit mit den Mothers of In-vention mit einbezogen werden, wenn sie für die Formulierung seiner Kompositionsästhetik wichtig waren.

Das In-Relation-Setzen mit musikalischen Strömungen des 20. Jahrhunderts und den jeweiligen Komponisten, die diese geprägt ha-

4 Orchestral Favorites (1979), London Symphony Orchestra Vol . I & II (1983/1987), The Perfect Stranger (1984), The Yellow Shark (1993) und Everything Is Healing Nicely (1999/posthum).

5 Den zweiundsechzig zu Lebzeiten veröffentlichten Alben folgten in den Jahren 1994–2010 siebenundzwanzig posthume Produktionen, die vom Frank Zappa Fa-mily Trust unter seinem Namen veröffentlicht wurden. Quelle: wikipedia .org/wiki/Frank_Zappa_discography (Stand: 27 September 2011).

6 Die Begriffe E- und U-Musik sollen hier ausschließlich als bipolare Konstruktion von Bereichen verwendet werden, die eine bessere Verständigung ermöglichen. Gera-de die Tendenz zur Auffächerung in verschiedene musikalische Richtungen, die Ver-schmelzung von Stilen und Genres sowie musikalische interkulturelle Assimilation, welche die zeitgenössische Musik seit spätestens Mitte der 1960er Jahre kennzeichnet, zeigt, wie unhaltbar die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik geworden ist. Bei einem Komponisten wie Zappa, der sich völlig unbekümmert musikalisch mal hier mal dort aufhält, erscheinen derartige Kategorisierungen gänzlich unbrauchbar.

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Einleitung 11

ben oder mit diesen assoziiert sind, ist nicht ganz unproblematisch, da es eine Handhabe mit musikalischen Topoi voraussetzt: Bezüg-lich des Themenfeldes ›Aleatorik und Indetermination‹ beispielswei-se werde ich vornehmlich auf die Ideen John Cages eingehen und diese als repräsentativ behandeln, was den individuellen Ausfor-mungen der Arbeiten anderer Komponisten wie Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen natürlich keineswegs gerecht wird. Aus prak-tischen Gründen erweist sich eine derartige Setzung jedoch durch-aus als sinnvoll, da mit Cages Arbeiten der späten 1950er Jahre die extremste Ausformung dieses Bereichs formuliert wurde und somit eine griffige, gut zu handhabende Position vorliegt, gegenüber der ich Zappas Kompositionsansatz abgrenzen kann, ohne dabei nur ei-nen ›worst case‹-Vergleich zu betreiben. Zudem hat gerade Zappa bei seiner Bezugnahme auf andere Komponisten vielerorts bewusst auf musikalische Klischees und Manierismen zurückgegriffen, weshalb sich die Fokussierung auf musikalische Gemeinplätze somit als dem Gegenstand äußerst adäquat erweisen könnte.

Die zum Vergleich herangezogenen Komponisten, Kompositi-onstechniken und musikalischen Strömungen können wie folgt ka-tegorisiert werden:

1. solche, auf die Zappa selbst direkt als Einfluss hinweist: Edgard Varèse, Igor Strawinsky, oder die von ihm zumindest lobend er-wähnt werden: Pierre Boulez und Conlon Nancarrow7; )

2. solche, die Zappa ablehnte: Dodekaphonie, die ›Minimalisten‹ Philip Glass und Steve Reich, Serielle (elektronische) Musik (in diesem Falle auch: Pierre Boulez), Karlheinz Stockhausen;

3. solche, die aufgrund korrelierender oder divergierender Ansätze mit Zappa in Verbindung gebracht werden können: Earle Brown, John Cage, György Ligeti, Butch Morris, Wolfgang Rihm, Ar-nold Schönberg, Aleatorik, dirigierte Improvisation, musikalische Postmoderne.

7 Auf den Einfluss Anton Weberns muss leider an anderer Stelle eingegangen werden.

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Wichtig für die Beschäftigung mit Zappas Arbeiten ist es zudem, ein Augenmerk auf die technischen Möglichkeiten zu richten, die ihm seit Beginn des digitalen Zeitalters Anfang der 1980er Jahre zur Verfügung standen, und welche Konsequenzen diese für den musika-lischen Produktionsprozess und seine Werkästhetik hatten.

Auf diesem Wege möchte ich mich der für dieses Buch zentralen Frage widmen, in welchem Grad und in welcher Form es sich bei Zappa eigentlich um einen zeitgenössischen Komponisten handelte, beziehungsweise was in seinen Kompositionen zeitgenössischen Ten-denzen zugerechnet werden kann und was nicht. Dabei muss zudem immer bedacht werden, dass es sich bei Zappa sozusagen um einen ›auditiven‹ Eklektizisten handelte, der danach strebte, ohne Grund-lage einer universitären Ausbildung die von ihm für gut befundenen Elemente seiner verehrten Vorbilder mit den ihm zur Verfügung ste-henden technischen Mitteln in seine Kompositionen zu integrieren. War daran etwas innovativ? Was hat zu seiner Zeit bereits merkwür-dig gerochen? Hat sich Zappa tatsächlich geweigert zu sterben?

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2 Tanz um das Gesamtkunstwerk: Literatur über Zappa

Writing about music is like dancing about architecture…8

Obwohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Zappas Wer-ken in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen hat, fällt die Bestandsaufnahme deutschsprachiger Fachliteratur eher ernüch-ternd aus. Neben einer größeren Anzahl von Interviews, Plattenbe-sprechungen, posthumen Würdigungen und kleineren Notizen in Musikzeitschriften wie auch der Tagespresse existieren nur drei mir bekannte Artikel, die wissenschaftlichen Anspruch für sich deklarie-ren können: Zum einen der immer noch sehr lesenswerte Aufsatz von Sieghart Döhring9, in dem die Bühnenperformances der Mothers of Invention unter musikdramatischen Gesichtspunkten beleuchtet werden; eine (den subversiven Geist Zappas vielleicht ein wenig zu sehr in den Mittelpunkt rückende) Untersuchung von Zappas Col-lagetechnik durch Ronald Hitzler10 und der erst kürzlich erschiene-ne, äußerst gelungene Text von Matthias Kassel11, der einen direkten Blick auf Zappas Verhältnis zu Varèse wirft und dessen Publikation in einem prunkvollen Sammelband über Varèse auch ein Schlaglicht

8 Elvis Costello in einem Interview mit Timothy White, in: A Man out of Time Beats the Clock. Musician magazine Nr. 60 (Oktober 1983), S. 52.

9 Döhring, Sieghart: Popmusik und Gegenkultur – Untersuchungen zu Frank Zappa, in: Brinkmann, Reinhold (Hg.): Avantgarde . Jazz . Pop . Tendenzen zwischen Tonalität und Atonalität . Mainz 1977, S. 107–119.

10 Hitzler, Ronald: Collagen eines Schelms . Zum ästhetischen Stil des Francis Vincent Zap-pa, in: Jazzforschung/jazz research, Bd. 17, Basel 1983, S. 111–133.

11 Kassel, Matthias: Frank Zappa und das Idol seiner Jugend, in: Meyer, Felix und Zim-mermann, Heidy: Edgard Varèse . Komponist, Klangforscher, Visionär. Mainz 2006, S. 443–451.