6
der Kriechtiere (Reptilia) Thüringens Rote Liste Kreuzotter, Vipera berus, Männchen im Kommentkampf, Pöllwitzer Wald. (Aufn. F. LEO, fokus-natur)

der Kriechtiere (Reptilia) Thüringens - thueringen.de · 56 Lebensraum von Blindschleiche, Anguis fragilis, Zauneidechse, Lacerta agilis argus, Glattnatter, Coronella a. austriaca,

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

der Kriechtiere (Reptilia) Thüringens

Rote Liste

Kreuzotter, Vipera berus, Männchen im Kommentkampf, Pöllwitzer Wald. (Aufn. F. leo, fokus-natur)

56

Lebensraum von Blindschleiche, Anguis fragilis, Zauneidechse, Lacerta agilis argus, Glattnatter, Coronella a. austriaca, und Ringelnatter, Natrix n. natrix, NSG „Dohlenstein und Pfaffenberg“ bei Kahla, August 1997. (Aufn. A. nöllert)

Die Ergebnisse phylogenetischer Forschun-gen der letzten beiden Jahrzehnte zeigen, dass die Wirbeltierklasse der Reptilien lediglich aus zwei Ordnungen besteht: Schuppenkriechtie-re (Squamata) und Brückenechsen (Rhyncho-cephalia).Panzerechsen (Eusuchia; 24 Arten) und Schild-kröten (Chelonia; 323 Arten) repräsentieren je-weils eigenständige Wirbeltierklassen. Eine Übersicht über die wichtigsten, diese Hypo-these stützenden Publikationen liefern collins et al. (2010: 253-254); gans & aDler (2010) publi-zierten eine Bibliografie mit 22.652 Literaturzi-taten zum Thema „Reptilien“.Derzeit sind weltweit 9.066 Reptilienarten be-schrieben (uetz et al. 1995-2011). Die Verbrei-tungszentren der rezenten Reptilienarten befinden sich in den tropischen und subtro-

pischen Klimazonen der Erde (vitt & calDWell 2009).In Deutschland kommen 14 Arten bodenstän-dig vor und im Freistaat Thüringen siedeln sechs autochthone Reptilienarten (vgl. günther 1996).

Die in Thüringen lebenden Reptilienarten zei-gen recht unterschiedliche ökologische An-sprüche. Sie besiedeln vor allem wärmebe-günstigte strukturreiche offene bis halboffene Trockenstandorte, Feuchtgebiete, lichte Wälder und wärmebegünstigte Saumstrukturen. Unter allen Wirbeltieren besitzen Reptilien wohl die „größten“ Wärmeansprüche (vgl. vitt & calD-Well 2009). Aus diesem Grund gehören zur Le-bensraumausstattung ungestörte Sonnenplät-ze in zumeist exponierter Lage mit einem sich

Einleitung

Rote Liste der Kriechtiere (Reptilia) Thüringens

3. Fassung, Stand: 10/2011

anDreas nöllert, christianna serFling, heiko uthleB und ulrich scheiDt

57

schnell erwärmenden und Wärme speichern-den Substrat als Bodenbedeckung (häufig tote pflanzliche Materialien; vgl. kühnel 1993). Tages- und Fluchtverstecke während der jährlichen Aktivitätsperiode liegen z. T. in unmittelbarer Nähe der Sonnenplätze. Die Eiablage von Zauneidechse, Lacerta agi-lis argus, und Ringelnatter, Natrix n. natrix, er-folgt an Lokalitäten bzw. in Substraten deren mikroklimatische Eigenschaften die erfolgrei-che Embryonalentwicklung ermöglichen. Dazu zählen verrottende organische Substrate (Zer-setzungswärme) wie „Mull“ in alten oder toten Baumstämmen, Dung- oder Komposthaufen bzw. sandige Materialien an sonnenexponier-ten Orten. Vier der sechs in Thüringen verbrei-teten Arten zeichnen sich durch Ovoviviparie aus: Blindschleiche, Anguis fragilis, Waldeidech-se, Zootoca v. vivipara, Glattnatter, Coronella a. austriaca, und Kreuzotter, Vipera b. berus. Die

Blindschleiche, Anguis fragilis, Männchen, Geroda, 26.05.2011.(Aufn. A. nöllert)

Zauneidechse, Lacerta agilis argus, Männchen, NSG „Windknollen“, Jena, 24.05.2010. (Aufn. h. DittMAnn)

Waldeidechse, Zootoca v. vivipara, Männchen, Meusebach, Sep-tember 1993. (Aufn. A. nöllert)

in dünnen, durchsichtigen Eihüllen befindli-chen Embryonen werden gewöhnlich in ent-sprechenden Substraten versteckt „geboren“. Bei der Blindschleiche können das z. B. auch die Nester von Ameisen sein. Als Winterquartiere dienen mikroklimatisch geeignete Verstecke unterschiedlichster Prägung, häufig in sonnen-exponierter Lage.Zwischen den unterschiedlichen Teillebens-räumen finden Wanderungen über z. T. rela-tiv große Distanzen statt: z. B. Ringelnatter zwi-schen Sommerlebensraum und Winterquartier; Kreuzotter-Männchen während der Paarungs-zeit (vgl. schieMenz et al. 1996; kaBisch 1999). Ver-schiedene Teillebensräume (Sonnen-, Geburts- und Überwinterungsplätze) werden häufig traditionell, über viele Jahre genutzt (z. B. ritter & nöllert 1993; schieMenz et al. 1996)

Als Gefährdungsursachen für Reptilienpopula-tionen sind u. a. zu nennen: der Verlust von wär-mebegünstigten Saumstrukturen (auch durch natürliche Sukzession und die Ausbreitung von „aggressiven“ Neophyten), die Vernich-tung von Trockenstandorten und Feuchtgebie-ten, Straßenverkehr, ständige Beunruhigung an Sonnenplätzen, Auswirkungen von Biozid- und Schwermetall-Akkumulationen(?) sowie (immer noch!) direkte Verfolgung und Tötung aus völliger Unkenntnis der Verhaltensweisen einheimischer Reptilienarten. Vorschläge zur Optimierung von Reptilienlebensräumen (v. a. Kreuzotter) in Thüringen finden sich bei conra-Dy & rees (2007).

58

Die letzte Darstellung der Verbreitung der in Thüringen siedelnden Reptilienarten auf der Basis von Messtischblatt-Quadranten der TK 1:25.000 stammt von schieMenz & günther (1994),

Rote Liste

Art Gefährdung Bemerkungen

Glattnatter Coronella austriaca laurenti, 1768 3 §§ EU

Kreuzotter Vipera berus (linnaeus, 1758) 2 §

Ringelnatter Natrix natrix (linnaeus, 1758) 3 §

Ringelnatter, Natrix n. natrix, Pärchen (Weibchen links), Geroda, 20.04.1994. (Aufn. A. nöllert)

auf Messtischblatt-Basis von günther (1996); Bössneck (2008) legt eine Reptilienfauna der Stadt Erfurt vor.Als Grundlagen für die Rote Liste dienen vor allem die an der TLUG Jena/Weimar geführte Arten-Datenbank sowie eine Vielzahl unveröf-fentlichter faunistischer Gutachten die im Auf-trag der Naturschutzverwaltungen des Frei-staates Thüringen erstellt wurden.

In die Rote Liste wurden drei Arten (50 %) auf-genommen. Im Unterschied zur 2. Fassung wur-de die Glattnatter in die Kategorie 3 herabge-stuft.

Für die Mitarbeit an dieser Liste bedanken wir uns bei den Mitgliedern des Vereins „Amphi-bien- und Reptilienschutz in Thüringen e. V.“ (ART).

Ringelnattern, Natrix n. natrix, beim Schlupf aus den kalkhaltigen Eihüllen; an den Jungtieren ist der Eizahn sichtbar. (Aufn. F. leo, fokus-natur)

Glattnattern, Coronella a. austriaca, verlassen unmittelbar nach dem Absetzten der Eier die durchsichtigen Eihüllen; die Dottersack-reste sind noch im Ei zu erkennen. (Aufn. t. Pröhl, fokus-natur)

59

Lebensraum von Blindschleiche, Anguis fragilis, Waldeidechse, Zootoca v. vivipara, Ringelnatter, Natrix n. natrix und Kreuzotter, Vipera b. berus im Pöllwitzer Wald bei Neuärgerniß. (Aufn. F. leo, fokus-natur)

Im Gebiet der Drei Gleichen siedeln individuenreiche Populationen von Blindschleiche, Anguis fragilis, Zauneidechse, Lacerta agilis argus, und Glattnatter, Coronella a. austriaca. Es ist ein wertvoller Reptilienlebensraum Thüringens, 16.08.1992. (Aufn. A. nöllert)

60

Literatur

Bössneck, u. (2008): Fauna des Stadtgebietes von Erfurt, Teil III: Kriechtiere (Reptilia). – VERNATE 27: 109-133

collins, J. t., s. l. collins & t. W. taggart (2010): Amphibians, Reptiles and Turtles in Kansas. – Eagle Mountain, Utah, USA, 312 S.

conraDy, D., & u. rees (2007): Entwicklung lichter Waldlebensräume am Beispiel der Leitart Kreuzot-ter (Vipera berus L.). – Naturschutzreport Heft 24: 66-87

gans, c., & k. aDler (Eds., 2010): Comprehensive Literature of the Reptilia. – Biology of the Reptilia Vol. 22., Society for the Study of Amphibians and Reptiles, Ithaca, New York, USA, 1.366 S.

günther, r. (Hrsg.; 1996): Die Amphibien und Reptilien Deutschlands. – Jena, Stuttgart, Lübeck, UlmkaBisch, k. (1999): Natrix natrix (linnaeus, 1758) – Ringelnatter. – In: W. BöhMe (Hrsg.): Handbuch der

Reptilien und Amphibien Europas. Band 3/IIA: Schlangen II, Serpentes II: Colubridae 2 (Boiginae, Natricinae). – Wiebelsheim: 513-580

kühnel, D. (1993): Die Ringelnatter (Natrix natrix) in Berlin – Untersuchungen für ein Artenhilfspro-gramm in einem urbanen Ballungsraum. – Mertensiella 3: 211-226

ritter, a., & a. nöllert (1993): Beobachtungen an einem Winterquartier der Ringelnatter Natrix n. na-trix (linnaeus, 1758) im östlichen Mecklenburg-Vorpommern. – Mertensiella 3: 189-198

schieMenz, h., h.-J. Biella, r. günther & W. völkl (1996): Kreuzotter – Vipera berus (linnaeus, 1758). – In: r. günther (Hrsg.): Die Amphibien und Reptilien Deutschlands. – Jena, Stuttgart, Lübeck, Ulm:

710-728schieMenz, h., & r. günther (1994): Verbreitungsatlas der Amphibien und Reptilien Ostdeutschlands

(Gebiet der ehemaligen DDR). – Rangsdorfuetz, P., J. hošek & J. hallerMann (1995-2011): The Reptile Database. – http://www.reptile-database.org,

last updated Sept. 17th2011vitt, l. J., & J. P. calDWell (2009): Herpetology. – 3rd Edition, Amsterdam, Boston, Heidelberg et al., 697 S.

Andreas Nöllert, Mönchsgasse 10A, D-07743 Jena-LöbstedtE-Mail: [email protected] Serfling, BÖSCHA GmbH, Heinrich-Hertz-Straße 10, D-07629 HermsdorfE-Mail: [email protected] Scheidt, Naturkundemuseum Erfurt, Große Arche 14, 99084 ErfurtE-Mail: [email protected] Uthleb, Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie, Abt. Naturschutz, Göschwitzer Straße 41, D-07745 JenaE-Mail: [email protected]