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~7- MAI 1922 KLINISCHE WOCHENSCH energetischen System anzusehen, der zu einem ,,hochdispersen Verteilungszustand" der Kolloide fiihrt. Ob dadurch wirk- lich bereits, wie BIERICH schreibt, ,,an Stelle der verschwom- menen, teleologischen Begriffe des formativen, entziindlieheli lind blastogelien Reizes einerseits und an Stelle des unbestimm- ten 13egriffes der Zeile andererseits" gut definierbare Vorstel- lungeli gewonnen werden, diirfte wohl noch recht zweifelhaft seili. Man kann welter gegen die Verwendung der Erfahruligen der Tierversuche auf die menschliche Pathologie noch den Einwand machen, dab beim Menschen doch nut ausnahmsweise die sch~digenden Stoffe in /ihnlicher Konzentration und in ~ihnlicher Zeitdauer einwirkteli, wie in den Versuchen, und dab z.B. unter den Teer- und Paraffiliarbeiterli die eineli naeh sehr langer Einwirkung nicht an Nrebs, andere dagegen nach kfirzerer Einwirkung an Krebs erkrankten. Und damit wiirde dann wieder die t(olistitutiolis- und Dispositionsfrage aufgeworfen werden. FlmanR hat schon die Meinung ans- gesprochen, dab beim Spiropterenkrebs der Ratten der In- zucht eine gewisse pr/idisponierende Rolle zuzukommen scheine; und sicherlich sind derartige Umst~ilide auch in der menschlichen Geschwulstpathologie bedeutungsvoll, aber doch nur in dem Sinne, dab sie zur Erld/irung herangezogen werden mfissen fiir die Beantwortung der Frage, warum unter den gleichen 13edingungen der eine frfiher, der andere spgter, der dritte gar nicht an Krebs erkralikt. DER OSMOTISCHE DRUCK, SEINE BEDEUTUNG UND SEINE REGULATION IM TIERKORPER. Yon Prof. Dr. EmL R~ISS in Frankfurt a. M. Begri//sbestimmung und Gesetze. Der osmotische Druck ist eine Vergleichsgr6Be. Eilie LSsung, fiir sich allein be- trachtet, hat keinen osmotischen Druck. Ein osmotischer Druck enfsteht, wenn zwei verschieden konzelitrierte LSsun- gen durch ein Medium volieinander getrennt sind, welches fiir das L5sungsmittel durchg/ingig, tiir die gel6ste Substanz aber ulidurchg/~ngig ist. Wenn wit z. B. ein Gef/iB durch eine fiir Zucker undurchl~ssige Membran in zwei Hglften teilen und die eine Seite mit Wasser, die andere Seite mit einer I proz. Zuckerl6sung in gleicher H6he fiillen, so diffundiert das Wasser durch die Membran ill die Zuckerl6sung hinein, so daB diese bei elitsprechender Versuchsanordnung bis zur HShe yon mehr als 7 m 1) ansteigt. Somit ist an die Stelle des osmotischen Drucks ein statischer Druckunterschied getreten. Die osmotisehe Wirksamkeit einer gel6steli Substanz h/ingt ab vonder in der Gewichtseinheit enthaltenen Zahl der Mole- k file. )kquimolekulare L6sungen haben den gleicheli osmotischen Druck. Bei gleichprozentigen L6sungen ist der osmotische Druck am so h6her, je kleiner das Molekulargewicht, je gr6Ber also die Zahl der Molekiile. AuBerdem h/ingt der os- motische Druck einer gelOsten Substanz ab voli ihrer Disso- ziierbarkeit, da jedes Ion die gleiche osmotische Wirkung hat wie das galize Molekiil. Daher haben die Elektrolyte, z. t3. verdlinlite Salzl6sungeli, einen nahezu doppelt so groBen osmotisehen Druck als sich aus ihrem Molekulargewicht er- rechnen 1/~Bt. Substanzen mit besonders hohem Molekular- gewicht und geringer Dissoziierbarkeit, wie die Eiweigk6rper, verursachen keilien mit den gew6hnlichen Methoden erkenn- baren osmotischen Druck. Die osmotischen Druckwerte, die aus diesen Gesetzen berechnet werden, gelten jedoch nur fiir den Fall ~dealer semipermeabler Membranen, d. h. solcher, die fiir~das L6sungs- mittel leicht durchl/issig, fiir die gel6ste Substanz abet vSllig undurchlgssig sind. Die meisten Membranen weichen yon diesem Idealzustand mehr oder minder ab. Die Art der Mem- bran ist also yon grundlegender ]3edeutung fiir~den zur tats~chlichen Auswirkung kommenden Druck. ~rfirde die ~) Der genaue Weft entspricht innerhalb der Temperaturen yon i3~2 ~ his i6,i ~ C einer Quecksilbers~iule yon 53,8 cm, d. i. 732 cm Wasser (PFEFFER, Osmotische Untero suchungen, Leipzig 1877). RIFT. I. JAHRGANG. Nr. 22 1083 Membran, in dem obenangefiihrten Beispiel,aus Glas bestehen, also auch ffir W'asser praktisch undurchl~ssig sein, so wgre eill osmotischer Druckuliterschied nur theoretisch vorhanden, denn tats~ichlich wfirden zu seiner Ausgleichung unendlich lange Zeiten erforderlich sein. Ws umgekehrt die Membran so dfinn, dab der Zucker fast ebeliso schnell durchtr~Lte wie Wasser, so wfirden die Bedingungen ffir einen gr6Beren Druek- unterschied nicht gegeben sein. Diese Tatsaehen sind auch biologisch yon groBer, bisher meist verkannter Wiehtigkeit, denn darauf beruht es, dab im Organismus fast nie der ganze reehnerisch ermittelte osmotisehe I)ruekuntersehied zweier L6sulige n zum Austrag kommt. Ein hochkonzentrierter Urin kann 1/ingere Zeit in der Blase liegen, ohne mi~ dem ]31ut in Beziehung zu treteli. Die dicke, kaum mehr zum Wasser- atistauseh bef~higte, Blasenwand lgl3t die theoretisch vor- handene Druckdifferenz in kurzer zeit nicht zum Austrag kommen. Sind dagegen zwei verschieden konzelitrierte Fliissigkeiteli nlir durch die tt/ille zarter Gewebszellen von- einalider getrennt, so wird auch dem I)urchtritt osmotisch wirksamer Substanzen nur weliig Widerstand entgegen- gesetzt, in diesem Falle k6nnen hohe I)ruckdifferenzen gar IIicht elitsteheli. Es ist also fiir den Flfissigkeitsaustausch im Organismus nicht gleichgiiltig, ob zwei verschieden kon- zentrierte L6sungen durch dicke Epithelschichten oder etwa durch die BOWmANsche Membran der Glomeruli voneinander getrelint sind. ldeate halbdurchl~issige tKembranen kommen im Tierk6rper kaum vor. Wit diirfen also im Organis- mus aus IKonzentratiolisdifferenzen nicht ohne weiteres osmotische Drucke yon einem Grade herleiten, dernur als h6chster Grenzwert z. t3. mittels der Niederschlagsmembranen in der PFEFFERschen Tonzelle erreicht wird. Der osmotisehe Druek als T~iebkraJt. Als man den osmo- tischen Druck im TierkSrper zu messen alifilig, iiberraschte zun/ichst am meisten der Gegensatz zwischen dem gleich- m~Bigen osmotischen Druck von Blur und Gewebss~fteli einerseits und den hiervon wesentlich abweichenden ulid schwankenden Werten, die man fiir Urin, fiir den Inhalt yon Magen und Darm sowie ffir einige andere Se- und Exkrete land. Man hielt diese grobeli Differenzen fiir den Ausdruck einer Eiiergiespannung und sah darin die haupts/iehliehe physiologische Bedeutung des osmotischeli Druekes. Man glaubte nun endlich die langgesuchte Triebkraft ffir verschie- dene bislang unerkls Vorggnge wie Driisensekretion, Darm- resorption, Harlibereitung u. a. gefunden zu haben. Man stellte mathematische Formeln auf, aus denen sich die Um- wandlung des osmotischen Drucks in die physiologischen Energieformen ergeben und das Geheimnis der Kraftquellen des Lebens erkl/iren sollte. Es ist nicht Zweck dieser kurzen Darlegungen, alle Theorien zu besprechen, die in jener Zeit elitstanden sind ulid deren Reste noch heute gelegelitlich auftaucheli. Nut an eiliigen Beispielen solleli die prinzipiellen Seiten der Frage beleuchtet werden. Vor allem war es die Harnbereitung oder mindestens Tefle dieses Vorganges, die man aus der Differenz des osmotischen Druckes zwischen Blur und Urin eliergetisch zu erklgren suchte. Es bedarf nicht des Experimentes, vielmehr zeigen schon einfache Uberlegungen, dab der osmotische Druck als alleinige oder nur Haupttriebkraft durchaus IIicht zur ErM/~rung der physiologischen Erscheinungen der Nieren- t~itigkeit genfigt. Folgen wir der fiblichen Vorstellung, dab in den Glomerulis prims eine sehr verdiinnte L6sung ab- geschieden wird, und dab diese hinterher -- etwa in den Harn- kali/~lcheli -- durch Osmose an gel6sten Substalizen ange- reichert wird, indem Wasser in die Blutbahn zurficktritt, so k6nliten wit die Bildung eines hypotonischen oder bestenfatls blutisotonischen Urins erkl/~ren, niemals aber die Abscheidung einer hypertonischen Fliissigkeit. Wenn man abet bedenkt, dab bei Menschen und hSheren Tieren der Urin je nach der zugefiihrten festen und flfissigen Nahrung bald hypotonisch, bald isotonisch, weitaus am h/iufigsten aber hypertonisch ist, so ergibt sich, dab hier andere Triebkr~ifte als der osmo- tisehe Druck am Werk sein miissen. Der Endeffekt, der Arbeit, welche die Niere bei Herstellung eines hypertonischen Urins leistet, besteht darin, dab sie dem Blur gel6ste Substanzen 72*

Der Osmotische Druck, Seine Bedeutung und Seine Regulation im Tierkörper

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~7- MAI 1922 K L I N I S C H E W O C H E N S C H

energetischen System anzusehen, der zu einem ,,hochdispersen Verteilungszustand" der Kolloide fiihrt. Ob dadurch wirk- lich bereits, wie BIERICH schreibt, ,,an Stelle der verschwom- menen, teleologischen Begriffe des formativen, entziindlieheli lind blastogelien Reizes einerseits und an Stelle des unbestimm- ten 13egriffes der Zeile andererseits" gut definierbare Vorstel- lungeli gewonnen werden, diirfte wohl noch recht zweifelhaft seili.

Man kann welter gegen die Verwendung der Erfahruligen der Tierversuche auf die menschliche Pathologie noch den Einwand machen, dab beim Menschen doch nut ausnahmsweise die sch~digenden Stoffe in /ihnlicher Konzentration und in ~ihnlicher Zeitdauer einwirkteli, wie in den Versuchen, und dab z.B. unter den Teer- und Paraffiliarbeiterli die eineli naeh sehr langer Einwirkung nicht an Nrebs, andere dagegen nach kfirzerer Einwirkung an Krebs erkrankten. Und damit wiirde dann wieder die t(olistitutiolis- und Dispositionsfrage aufgeworfen werden. F lmanR hat schon die Meinung ans- gesprochen, dab beim Spiropterenkrebs der Rat ten der In- zucht eine gewisse pr/idisponierende Rolle zuzukommen scheine; und sicherlich sind derartige Umst~ilide auch in der menschlichen Geschwulstpathologie bedeutungsvoll, aber doch nur in dem Sinne, dab sie zur Erld/irung herangezogen werden mfissen fiir die Beantwortung der Frage, warum unter den gleichen 13edingungen der eine frfiher, der andere spgter, der dritte gar nicht an Krebs erkralikt.

DER OSMOTISCHE DRUCK, SEINE BEDEUTUNG UND SEINE REGULATION IM TIERKORPER.

Y o n

Prof. Dr. E m L R~ISS in F r ank fu r t a. M.

Begri//sbestimmung und Gesetze. Der osmotische Druck ist eine Vergleichsgr6Be. Eilie LSsung, fi ir sich allein be- trachtet, hat keinen osmotischen Druck. Ein osmotischer Druck enfsteht, wenn zwei verschieden konzelitrierte LSsun- gen durch ein Medium volieinander getrennt sind, welches fiir das L5sungsmittel durchg/ingig, tiir die gel6ste Substanz aber ulidurchg/~ngig ist. Wenn wit z. B. ein Gef/iB durch eine fiir Zucker undurchl~ssige Membran in zwei Hglften teilen und die eine Seite mit Wasser, die andere Seite mit einer I proz. Zuckerl6sung in gleicher H6he fiillen, so diffundiert das Wasser durch die Membran ill die Zuckerl6sung hinein, so daB diese bei elitsprechender Versuchsanordnung bis zur HShe yon mehr als 7 m 1) ansteigt. Somit ist an die Stelle des osmotischen Drucks ein statischer Druckunterschied getreten.

Die osmotisehe Wirksamkeit einer gel6steli Substanz h/ingt ab v o n d e r in der Gewichtseinheit enthaltenen Zahl der Mole- k file. )kquimolekulare L6sungen haben den gleicheli osmotischen Druck. Bei gleichprozentigen L6sungen ist der osmotische Druck am so h6her, je kleiner das Molekulargewicht, je gr6Ber also die Zahl der Molekiile. AuBerdem h/ingt der os- motische Druck einer gelOsten Substanz ab voli ihrer Disso- ziierbarkeit, da jedes Ion die gleiche osmotische Wirkung hat wie das galize Molekiil. Daher haben die Elektrolyte, z. t3. verdlinlite Salzl6sungeli, einen nahezu doppelt so groBen osmotisehen Druck als sich aus ihrem Molekulargewicht er- rechnen 1/~Bt. Substanzen mit besonders hohem Molekular- gewicht und geringer Dissoziierbarkeit, wie die Eiweigk6rper, verursachen keilien mit den gew6hnlichen Methoden erkenn- baren osmotischen Druck.

Die osmotischen Druckwerte, die aus diesen Gesetzen berechnet werden, gelten jedoch nur fiir den Fall ~dealer semipermeabler Membranen, d. h. solcher, die fiir~das L6sungs- mittel leicht durchl/issig, fiir die gel6ste Substanz abet vSllig undurchlgssig sind. Die meisten Membranen weichen yon diesem Idealzustand mehr oder minder ab. Die Art der Mem- bran ist also yon grundlegender ]3edeutung fiir~den zur tats~chlichen Auswirkung kommenden Druck. ~rfirde die

~) Der genaue Weft entspricht innerhalb der Temperaturen yon i3~2 ~ his i6 , i ~ C einer Quecksilbers~iule yon 53,8 cm, d. i. 732 cm Wasser ( P F E F F E R , Osmotische Untero suchungen, Leipzig 1877).

R I F T . I. J A H R G A N G . Nr. 22 1083

Membran, in dem obenangefiihrten Beispiel, aus Glas bestehen, also auch ffir W'asser praktisch undurchl~ssig sein, so wgre eill osmotischer Druckuliterschied nur theoretisch vorhanden, denn tats~ichlich wfirden zu seiner Ausgleichung unendlich lange Zeiten erforderlich sein. Ws umgekehrt die Membran so dfinn, dab der Zucker fast ebeliso schnell durchtr~Lte wie Wasser, so wfirden die Bedingungen ffir einen gr6Beren Druek- unterschied nicht gegeben sein. Diese Tatsaehen sind auch biologisch yon groBer, bisher meist verkannter Wiehtigkeit, denn darauf beruht es, dab im Organismus fast nie der ganze reehnerisch ermittelte osmotisehe I)ruekuntersehied zweier L6sulige n zum Austrag kommt. Ein hochkonzentrierter Urin kann 1/ingere Zeit in der Blase liegen, ohne mi~ dem ]31ut in Beziehung zu treteli. Die dicke, kaum mehr zum Wasser- atistauseh bef~higte, Blasenwand lgl3t die theoretisch vor- handene Druckdifferenz in kurzer zei t nicht zum Austrag kommen. S i n d dagegen zwei verschieden konzelitrierte Fliissigkeiteli nlir durch die tt/ille zarter Gewebszellen von- einalider getrennt, so wird auch dem I)urchtr i t t osmotisch wirksamer Substanzen nur weliig Widerstand entgegen- gesetzt, in diesem Falle k6nnen hohe I)ruckdifferenzen gar IIicht elitsteheli. Es ist also fiir den Flfissigkeitsaustausch im Organismus nicht gleichgiiltig, ob zwei verschieden kon- zentrierte L6sungen durch dicke Epithelschichten oder etwa durch die BOWmANsche Membran der Glomeruli voneinander getrelint sind. ldeate halbdurchl~issige tKembranen kommen im Tierk6rper kaum vor. Wit diirfen also im Organis- mus aus IKonzentratiolisdifferenzen nicht ohne weiteres osmotische Drucke yon einem Grade herleiten, d e r n u r als h6chster Grenzwert z. t3. mittels der Niederschlagsmembranen in der PFEFFERschen Tonzelle erreicht wird.

Der osmotisehe Druek als T~iebkraJt. Als man den osmo- tischen Druck im TierkSrper zu messen alifilig, iiberraschte zun/ichst am meisten der Gegensatz zwischen dem gleich- m~Bigen osmotischen Druck von Blur und Gewebss~fteli einerseits und den hiervon wesentlich abweichenden ulid schwankenden Werten, die man fiir Urin, fiir den Inhal t yon Magen und Darm sowie ffir einige andere Se- und Exkrete land. Man hielt diese grobeli Differenzen fiir den Ausdruck einer Eiiergiespannung und sah darin die haupts/iehliehe physiologische Bedeutung des osmotischeli Druekes. Man glaubte nun endlich die langgesuchte Triebkraft ffir verschie- dene bislang unerkls Vorggnge wie Driisensekretion, Darm- resorption, Harlibereitung u. a. gefunden zu haben. Man stellte mathematische Formeln auf, aus denen sich die Um- wandlung des osmotischen Drucks in die physiologischen Energieformen ergeben und das Geheimnis der Kraftquellen des Lebens erkl/iren sollte. Es ist nicht Zweck dieser kurzen Darlegungen, alle Theorien zu besprechen, die in jener Zeit elitstanden sind ulid deren Reste noch heute gelegelitlich auftaucheli. Nut an eiliigen Beispielen solleli die prinzipiellen Seiten der Frage beleuchtet werden.

Vor allem war es die Harnbereitung oder mindestens Tefle dieses Vorganges, die man aus der Differenz des osmotischen Druckes zwischen Blur und Urin eliergetisch zu erklgren suchte. Es bedarf nicht des Experimentes, vielmehr zeigen schon einfache Uberlegungen, dab der osmotische Druck als alleinige oder nur Haupttr iebkraft durchaus IIicht zur ErM/~rung der physiologischen Erscheinungen der Nieren- t~itigkeit genfigt. Folgen wir der fiblichen Vorstellung, dab in den Glomerulis prims eine sehr verdiinnte L6sung ab- geschieden wird, und dab diese hinterher -- etwa in den Harn- kali/~lcheli -- durch Osmose an gel6sten Substalizen ange- reichert wird, indem Wasser in die Blutbahn zurficktritt, so k6nliten wit die Bildung eines hypotonischen oder bestenfatls blutisotonischen Urins erkl/~ren, niemals aber die Abscheidung einer hypertonischen Fliissigkeit. Wenn man abet bedenkt, dab bei Menschen und hSheren Tieren der Urin je nach der zugefiihrten festen und flfissigen Nahrung bald hypotonisch, bald isotonisch, weitaus am h/iufigsten aber hypertonisch ist, so ergibt sich, dab hier andere Triebkr~ifte als der osmo- tisehe Druck am Werk sein miissen. Der Endeffekt, der Arbeit, welche die Niere bei Herstellung eines hypertonischen Urins leistet, besteht darin, dab sie dem Blur gel6ste Substanzen

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entzieht, ohne ihm such die osmotisch entsprechende Menge Wasser zu rauben. Die Nierent~tigkeit erzeugt also einen osmofisehen Drnckuntersehied, und es ist nicht umgekehrt, wie man anfangs meinte, die Harnproduktion eine Folge osmofischer Kr~fte.

Bereehnung der Nierenarbeit . Es mug an dieser Stelle ein an sich geistreiehes Rechenexempel erws werden, das ausgedaeht war, um die GrSfie der energetischen Nieren- leistung zu ermitteln. Die Tatsache, dab bet der Harnbereitung ein DruckunterseMed erzeugt wird, ffihrte DRESER ~) auf den Gedanken, die Arbeitsleistung der Niere aus den osmotischen Wertdifferenzen yon H a m nnd 131ut zu berechnen. Er kam zu folgenden Resnltaten: Zur Herstellung yon 2oo ccm eines Urins vom Gefrierpunkt -- 2,3 ~ ans 131nt vom Gefrierpunkt

- - o,56~ mSsse die Niere eine Arbeit enisprechend etwa 37 mkg leisten. Daraus wiirde sieh die 24stflndige Arbeit der Niere auf etwa 2oo mkg berechnen. Mit der maximalen Kraft des menschlichen Muskels verglichen, wflrde die Leistung der Niere nach DRnSER mehr als das 6 fache beiragen. I)er ProzeB der "Wasseraussche~dung in den Nieren wird nach DReS~R durch die antagonistischen Wirkungen der Sekretion und derResorption reguliert. Der hierbei auftretende maximale Sekretionsdruck der Niere (im Beispiel ether durstenden Katze) betrfigt 49 m Wasser, der maximMe Resorptionsdruck mehr als 5o0 m Wasser. Der Blutdruck entspricht dagegen einer Wasser- sgule yon nut etwa 2,72 m, er k6nnte eine osmotische Diffe-. renz zwischen 131ut und Harn yon h6chstens o,o22 ~ hervor- bringen. Diese imposanten Zahlen DR~S~RS erkl/iren sich -- abgesehen yon anderen groben Fehlern in der Anlage der 13erechnungen -- hauptsgchlich aus der Voranssetzung, dab die t rennenden Membranen in idealer Weise semipermeabel seien, dab also die Nieren stets gegen den hSchstm6fl ichen osmotischen Druck anzuk/impfen haben. Da es aber solche, fiir das L6sungsmittel v611ig durchggngige nnd ffir die gel6sten Substanzen absolut undurchlgssige Membranen im KSrper nieht gibt, und gerade in den Nieren aus nahetiegenden phy- siologischen Grfinden nicht geben kann, sind auch alle diese Berechnungen mit ihren phantastischen Endresnl taten wertlos.

Auch ffir den Vorgang der -Darmresorp t ion hat man ver- sueht, den osmotischen Druck als Triebkraft hinznstellen. Der Uberdruck, den die Ingests gegeniiber 131ut und Lymphe besitzen, sollte die Aufnahme yon Nahrungsstofien ans dem Darmlnmen in die Gewebe herbeifflhren. Diese Anschaunng hat sich in der Physiologie merkw/irdig lange gehalten. Ein- fache Uberlegungen zeigen jedoch, dab osmotische Trieb- kr~ifte i iberhaupt nu t in zwei Fgllen zugunsten der Resorption wirksam sein k6nnen, ngmlich zur Aufnahme yon Wasser aus hypotonisehen LSsungen und zur Aufnahme yon Salzen und anderen gel6sten Substanzen ans hypertonischen L6sun- gen (in der Voraussetzung, dab die lViembranen auch Salze teilweise durchlassen). In allen anderen F4llen k6nnen os- motische Triebkrgfte unm6glich in Betracht kommen. Die Richtigkeit dieser theoretischen Gesichtspnnkte wurde dutch ausgedehnte Versuche yon H X l I ) ~ N t ~ ) und seitdem durch zahllose weitere Erfahrungen vollauf best/itigt. HEIDENHAIN hat eine in situ belassene Dfinndarmseblinge des Hundes an zwei Stellen zugebunden, dann eine bestimmte L6sung eingef/illt, nach verschiedenen Zeitabst~Lnden wieder entleert und den Inhal t nntersucht. Ieh gebe nachstehend einige Versuche t-IEIDtgNHAINS in vereinfachter Darstellnng wieder.

gemuchsre~he X I (S. 6Ol).

In die Darmschlinge warden eingeffihrt

Nach I5 Min. waren __ ro~o~or~

I Flfissigkeit NaCI

2t~0

Z ~

Ver c if I2occm o3 1 iI2ccm o2o ,, 12o ,, 0,5 % ,~ 85 ,, 0,37 ,, 0,66% ,, 12o ,, 0,74% . . . . 65 ,, 0,45 ,, 0,78% ,, 117 ,, Lo % 42 ,, o,5o,,[o,9o% ,, 12o ,, 1,46% ir ,, o,44,,] 1,2 %

~) Ober Diurese und ihre Beeinflussung durch pharmakologische Mitteh Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakoh 29, 303. 1892. 2) Arch. f. d. ges. Physiol. 56, 579. I894.

Versuchsreihe X V I (S. 61 I).

Von 8o ccm einer 1,98 ~ NaCI-L~Jsung NaCI-Gehalt der wtlrden resorbier t zurfickgeb1[eb.

Fliissigkeit NaC1 Flflssigkeit

Versuch I . in 2o Min. 0 ccm 0,62 g / 1,2~176 i

,, II . ,, 4 ~ ,, 17 , , o,89,, / x'x~176176 ,, III . 60 38 ., I,I8 0,960/0

Die erste Tabe!le zeigt eine Versuchsreihe, in welcher gleiche Mengen verschiedenprozentiger Kochsalzl6sungen gleichlange Zeit in der gleichen Darmschlinge. belassen wurden (Versuehsreihe XI). Man sieht, dab nm so mehr Wasser resorbiert wurde, je verdfinnter die L6sung war. Umgekehrt stieg zwar die resorbierte Salzmenge mit der Konzentration, aber nur bis zu einer gewissen Grenze, die in der Gegend der Isotonic der eingefiihrten L6sung lag (etwa o,9% NaC1). Aus der letzten Spalte der Tabelle sieht man, dab die im Darrnlumen zuriickgebliebene Fliissigkeit sich in allen F/illen dem osmotischen Druck des Blutes ngherte, indem hypotonische F!iissigkeiten eingedickt, hypertonische verdiinnt wurden. Es hatte also zwischen Darminhal t und Gewebe ein Austausch stattgefunden, der sich tells nach den Gesetzen des osmotischen DruckS, teils gegen sic richtete. Aus Versuehsreihe XVI sehen wir, wie sich die Resorption ether L6sung yon besfimmter Konzentration bet verschiedener Dauer ihres Aufenthalts im Darm gestaltet. Es ergibt sich, dab ans ether stark hypertonischen L6sung zungchst nur Salz aufgesaugt wurde, und dab die Resorption yon Wasser sich u m so schneIler vollzog, je mehr sich die L6sung dem osmoti- schen Druck des Gewebes n/iherte. Eine dentliche Wasser- resorption fund abet schon vorher start, kus diesen Versuchen geht zweifelsfrei hervor, dab zwar osmotische nnd Diffusions- vorg/inge im Darm stattfinden, dab sie aber ebensowohl der Resorption entgegenwirken Ms sie unterstii tzen kSnnen, t~s miissen also auger den osmotischen noch andere Krfifte wirksam seth, ia sogar m/issen diese die Hauptrolle spielen. Das 13estreben dieser Krgfte geht dahin, den Darminhal t in jedem Falle dem osmotischen Druck des Blutes hither zu bringen. Isotonische L6sungen liefern den aufsaugenden Zellen offenbar die besten 13edingungen ffir die Resorption der Gesamtl6sung (Wasser und osmotisch wirkende Substanzen). Weiehen die L6sungen yon der Isotonie in extremer Weise ab, so reagieren die resorbierenden Elemente derart, dab iiberhaupt keine Resorption mehr stattfindet, ja dab Flflssig- keit in das Darmlumen hinein ansgeschieden wird, solange. bis wieder eine magvolle Konzentrafion im Darmlumen hergestellt ist. Es gibt aber auch Substanzen, welche die Darmwand so sch/idigen, dab die Resorption l~ngere Zeit oder endg/iltig gelghmt wird (Sulfate, Fluornatrium, Sublimat, Arsen usw.). Und das alles geschieht, obwohl die physi- kalischen 13edingungen fiir eine Osmose in solchen F~llen nicht verschlechtert, ja sogar manchmM besonders giinstige geworden stud. Ist dagegen der Darminhalt dem 131ut iso- toniseh, fehlt also jede Grundlage fiir die Mitwirkung os- motischer Krgfte, gerade dann geht die Resorption am besten vonstatten. Das beweist schlagend ein Massischer Versuch H~IDENH.alNS: Hundeblntserum wurde in der Darmschlinge des Hundes v611ig resorbiert. Auch klinische Erfahrungen, (z. ]3. Rectalern~hrung), zeigen, dab isotonische L6sungen am besten resorbiert werden.

Es ist also durehaus sicher, dab der osmotische Druck als Tr iebkra# ffir die Resorption nicht erforderlich ist.

Es ist hier nicht der Ort, auf die verschiedenen I-tilfs- hypothesen einzugehen, mit denen man die Theorie vom osmotischen Druck als Triebkraft zu retten suehie. Sic treffen sgmtlich nur ffir gelegentliche 13edingungen zu, wie sie unter den weehselvollen Verh~ltnissen des mit den versehiedensten Nahrungsstoffen geiiitlten Darmes bin nnd wieder vorkommen. Aber sie k6nnen niemals die einseitig yore Darmlumen ins Gewebe mit groger Gesehwindigkeit sich ergiegende Fliissig- keitsstr6mung erkl/iren, die L6sungsmittel und gel6sie Sub- stanzen verschiedenster Art und Konzentration mit sich ffihrt. Man vergegenwgrtige sich nur einmal die Leistung, die der Organismus vollbringt, wenn 2 oder 3 1 BBier innerhalb weniger

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Stunden nicht nur v611ig aufgesaugt, sondern durch den ganzen K6rper durchgeleitet und zu den Nieren wieder ausgeschieden werden. Wie das alles mit der toten Kraft des osm0tischen Druckes erkl/irt werden soil, ist v611ig unerfindlich.

Das gleiche gilt ffir a11e iibrigen F~lle, wo man komplexe physiologische Vorg~nge ant die Triebkraft des osmotischen Druckes zuriickfiihren wollte: ffir die Bildung der Ductus- und der Gewebslymphe, ffir die Entstehung des Speichels, der Magensalzs~ure, der Galle, fiir die Ausscheidung der Driisensekrete nach auBen u. a. m. Man dart hinzuffigen, dab gleiches Versagen alien anderen Spekulationen beschieden sein muB, die grobe physikalische Krs wie Oberfliichen- spannung, H-Ionenkonzentration, Quellungsdruck, 3/Iembran- potentiate usw. ffir die zweekmgifiigen komplexen Funkt ionen yon Zellen oder ganzen Geweben ohne Rflcksicht auf deren feinere Konstrnkt ion verantwortlich machen woHen.

Isotonie. Die wahre Bedeutung des osmotischen Drucks ist eine ganz andere. Sie liegt in erster Linie in seiner Konstanz. Der osmotische Druck ist eine jener Bedingungen des inneren Milieus) welche ffir die Gewebe des h6her organisierten Indi- viduums lebensnotwendig stud. Der normale Ablaut der Zel!- vorg~nge ist bet h6heren Tieren an einen bestimmten osmotischen Druclc gebunden, dernur innerhalb enger Grenzen schwankt (Iso- toni@ Blur, Blutplasma, Blutserum, Gewebslymphe, Lumbal- fliissigkeit, Kammerfliissigkeit des Auges; Sperma, Frucht- wasser usw. haben unter normalen Verh~ltnissen einen nahezu konstanten and untereinander fast gleichen Wert des os- motischen Drucks. Geringe Abweichungen yon dem Niveau, auf welches die hochdifferenzierte Zelle eingestellt ist, kommen bet einer ganzen Reihe yon physiologischen Teil- vorg/ingen vor and wirken -- nicht als Triebkraft, -- sondern als Reiz, welcher die spezifische Funkt ion der Zelle ausl6st. Nur unter ~:rankha/ten Verh~ltnissen k6nnen Blut- und Ge- webssgfte erhebliehere Differenzen yon dem normalen os- motischen Druck anfweisen. Dann pflegen aber fast immer St6rungen der Zellt/itigkeit einzutreten, wie wit das beispiels- weise bet Urgmie sehen (s. spgter).

Osmoregulation. DaB der normale K6rper mit so groBer Z~higkeit die Isotonie seiner verschiedenen I3estandteile festzuhalten vermag, erscheint zun~chst wunderbar. Die Erkl/~rung kann nur in dem Vorhandensein eines /~uBerst feinen Regulationsmeehanismu8 liegen. Wir miissen uns vorstellen, dab ein auch nur im geringsten vom normalen abweichender osmotischer Druck sofort einen Reiz auf die Zellen ansfibt; dieser osmotische Reiz 16st komplizierte Re- flexv0rg~Lnge aus, die mittels Zu- oder Abfuhr yon Wasser oder osmotisch wirksamen Bestandteilen den normalen oslnoti- schen Druck wiederherstellen, und zwar sowohl loka1 in ke- st immten Gewebsbezirken and Organen wie im Gesamt- organismus.

In Analogie mit anderen Regulationsmechanismen ist es wahrscheinlich, dab es sowohl periphere wie zentrale Rege- lungen des osmotischen Druckes gibt, and dab diese unter- einander und mit anderen Vorg~ngen in Verbindung stehen durch direkte ReizSbertragung, durch Nervenverbindung, durch Hormone und vielleicht durch weitere noch unbekannte Vorrichtungen. Die periphere Regulation k6nnte von jeder Zelle ausgehen. F~s spr icht zun/ichst nichts dagegen, dab ]ede K6rperzelle imstande ist, ant eine #.nderung des osmo- tischen Druckes der umspfilenden oder in sie eindringenden Gewebsfltissigkeit zu reagieren. Denn die F/~higkeiten zur Quellung oder Schrumpfnng kommen jedem Protoplasma zu. Und es ws m6glich, dab der hierbei entstehende Reiz sich dutch die gew6hnliche Innervat ion eines jeden Gewebes fort- pflanzt. Neuere Untersnchungen sprechen aber in dem Sinne, dab Ifir die periphere osmotische Sensibiliti~t besondere Organe vorgebildet stud. Als solche werden die Vater-Pacinischen K6rperchen (Lamellenk6rperchen) angesehen. Ihrem Ban zufolge k6nnfen sie auch, ~4e man frflher annahm, als beson- ders geeignet zur Empfindung yon Elastizit~itsverfinderungen (Drucksinn) erscheinen. Allein es ist nicht recht verst~ndlich, warum sie dann z. B. im Mesenterium so besonders reichlich enthalten stud. Die neuere Auffassung als ,,Schwellsinnorgane"

R I F T . i. J A H R G A N G . Nr. 22 i085

[ScHAD~I)] entspricht ebenfalls der histologischen Struktur dieser K6rperchen sehr gut. Die zahlreichen ineinande,.r- geschachtelten Lamellen k6nnen als besonders rein abgestUfte halbdurchl~ssige Membranen wirken, die jede Konzentrations- /inderung mit einer ~nderung des interlamellaren Flfissigkeits- volumens beantworten, so dab eine Vermehrung oder Ver- minderung des statischen Drucks entsteht, welche sich auf den Innenkolben fibertr~igt und durch dessen Verbindung mit dew. sympathischen Nervensystem den t~eiz weiterleitet. (Auf die ganz /iuBerliche 7~hnlichkeit mit einem Osmometer bestimmter Form m6chte ich dabei keinen Wert legen.)

Ffir die zentrale Regulation des osmotischen Druckes haben neuere Untersuchungen sehr wichtige Unterlagen ge- l iefert Am Boden des IV. Ventrikels, in der Rautengrube, liegt nahe dem yon CLAUDE BERNARD entdeckten Zuckerstich die Stelle des yon ~CKHARD gefundenen Salzstiches. Ihre Zerst6rung verursacht erh6hte Ausscheidung yon Kochsalz und Wasser (Hyperchlorurie and Polyurie) mit oder ohne Erh6hung des Blutkochsalzspiegels, ]Es gelingt iedoch auch, eine isolierte Vermehrung der Salzausscheidung zu erzielen [JuNGMANN and MEYER~)]. Die genaue Stelle des Salz- und Wasserstiches liegt nach den Untersuchnngen yon AscI~xEt(3), ferner v0n BRIJGSCt~, DRESEL and LEwY4), in Ganglienzellen der Formatio reticularis an der medialen Seite des Corpus restiforme, dorsal vom Facialis- und Seitenstrangkern, in der N~he des Parotis-Sekretionszentrums. Von den Kernen der Formatio reticularis gehen Verbindungen nach oben zum Zwischenhirn, rind zwar zum Boden des III . Venfrikels, dem Hypothalamus (Corpora mammillaria, Tuber cinereum und Infundibulum). Auch die hier befindlichen Zentren beeinflussen, ebenso wie die Sekretion der mit ihnen in Verbindung sfehen- den Hypophyse, die Wasser- und Kochsalzansscheidung in spezifischer Weise. Wir kennen also eine gauze Reihe yon Regulationsstellen ffir den Wasser- und Salzstoffwechsel. Wenn dieser auch yon maBgebender Bedeutung f/it das Zu- standekommen der osmofischen Bilanz sein muB, so k6nnen wit doch nicht ohne weiteres die S a l z - u n d Wasserzentren mit Zentren des osmofischen Drucks identifizieren, solange eine direkte ]3eeinflussung des letzteren nicht nachgewiesen ist. Nut die gegenseitigen Beziehungen zwischen Wasser- und Salzzentren oder etwa ein besonderes iibergeordnetes Zentrum k6nnte die Regulation des osmotischen Druckes erkl/iren. Deshalb ist es yon Wichtigkeit, dab LESCHI~E 5) bet polyurischem Diabetes mellitus dutch Konzentrations- versuche eine Eindickung des Bluies mit ErhShung des osmo- tischen Drucks herbeifflhren konnte, und dab er in solchen F~Lllen histologische Ver~nderungen in der Zwischenhirnbasis gefunden hat. Wir diirfen es somit als wahrscheinlich betrach- ten, dab wir in diesen und vielleicht in noch h6heren Gehirn- teilen wirkliche Zentren des osmotischen Drucks besitzen. Die Wege, auf denen diese Zentren den osmotischen Druck beeinflussen, diirften zu allen Organen ffitiren, die mit der Ausscheidung bzw. Zuriickhaltung yon Wasser und gel6sten Substanzen betraut stud. Wit kennen die sympathischen Bahnen, die im Splanchnicus zu den Nieren laufen nnd die auf ihrem ganzen Wege, sogar noch innerhalb der Nieren [JuNGMANN6)], JUNOMANN und SEYDERHELMT)] Reize emp- fangen k6nnen, welche die Harnkonzentrat ion beeinflusseh. Auch der Bauchsympathicus beteiligt sich an der Nieren- innervation lAsHeR and JosTS)]. AuBerdem gibt es aber auch parasympathische Verbindungen [AsHER and PeARCXg),

10 )ZZAYERLrOFI;R ), die im Vagus verlaufen und mit den sym- pathischcn in kompliziertestem Wirkungsverhgltnis stehen. Zweifellos stehen aber die medull/~ren und cerebralen Zentren

i) ] )ie physikalische Chemie in der inneren Medizin, Verlag vonSteinkopff, x921 , S. 430. 2) Arch. f. experim. PathoL u. Pharmakol. 73, 49. 1913 nnd 3o.KongTeg f. inn. Med.19~3 S. 211. ~) Arch. f. d. ges. Physiol. 146. 4) Zeitschr. f. experim. Pathol . u. Ther. 21~ 358. x92o. ~) Dtsch. m d. Wochenschr. i92o , Nr. 35 u. 36. e) Arch. f. r Pathol . u. Pharmakol . 77, i22. I914 . ~) Zi t . nach j U N G M A N N , 32. Kongref; f. inn. Med. I92o , S. I46. 8) Zeitschr. f. Biol. 64 (N. F. 46), 44x. I914. 9) Zeitschr. f. Biol. 63 (N. F. 43), 83. I914.

10) Ebenda 68 (N. F. 50), 3I. z918.

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auch in Verbindung mi{ der extrarenalen Wasser- und Salz- ausscheidung und dem intermedigren Wasserweehsel. Es braucht nur daran erinnert zu werden, dab die Stdle des Salzsfiches in der Medulla oblongata ganz nahe dem Sekretions- zentrum der Parotis liegt. Es ist yon Interesse, dab die h6ehste Endstafion dieses Regulationsapparates, die wir bisher kennen, das Zwischenhirn, nahe beieinander verschiedene ~hnliche vegetat ive Zer~tren beherbergt, namenflich ein solcbes ffir die Zuckerausscheidung, terrier ffir die Wi~rmeregulation [Tuber cinereum, ISEXSCmalD*)], fiir den GefgBtonns, die SchweiBsekretion usw. Phylogenetisch ist das Zwischenhirn eine relafiv sehr alte Gehirnanlage, die sehon bei den niederen Wirbeltieren stark entwickelt ist. Bei den h6heren Sgugern und namenflich beim Menschen sind den Zwischenhirnzentren wahrscheinlich noch weitere Einrichtungen in den h6heren Gebieten des GroBhirns fibergeordnet.

Es ist leieht, sich auf Grund dieses Tatsachenmaterials eine Vors te lhng yore Zustandekommen der~Osmoregulation zu machen, wobei mindestens 4--5 Stationen iibereinander- bzw. ineinandergeschachtelt sind. Die Einzelheiten des Vorgangs m6gen zungchst der Phantasie eines jeden iiber- lassen bleiben.

Phylogenet~sche u n d ontogene~ische E n t w i ck l un g der Homo~- osmie. Die Eigenschaft, einen best immten osmotisehen Druck unabh~ingig yon der Umgebung festzuhalten, ist nicht allen Tieren eigen, sondern erscheint an einer best immten Stelle der phylogenetisehen Reihe. Das lgBt sich am seh6nsten bei den im Wasser lebenden Tieren nachweisen. In den Klassen der Coelenteraten, Wfirmer, Echinodermen, Mo!lusken nnd Arthropoden entspricht der osmotische Druek der K6rper- flfissigkeiten noch dem des Milieus, in dem sie leben, also dem Meer- oder Sfil3wasser (poikilosmofische Tiere), wie folgende Tabelle an einigen Beispielen zeigt*).

Tabege 1.

8

$ "5

o Z

A Blut A Milieu

Mollusken : Anodonta cygnea, Teichmuschel

Arthropoden: Homarus vulgaris, Hummer

Wirbelfiere: Fische. Selachier

Torpedo marmorata (electrica), Zitterrochen . . . . . . . .

(Grenze)

Teleostier Crenilabrus pavo, Lippfisch. Barbus fluviatilis, FluBbarbe

Amphibien: Rana esculenta, Wasserfrosch

Sggugetiere : Rind . . . . . . . . . . . Menseh . . . . . . . . . .

- - 0 , 2 o

- - 2,29 ~

2 , 2 6 ~

-- 0,75 ~ _ 0,47 o bis

- - 0,56 ~

-- 0,460 .

- - 0,59 ~ - - 0,56 ~

SiiBwasser _ 0,03 o

1V~eerwasser _ 2 , 3 o

SfiBwasser __ 0 , 0 3 o

Tabelle 2. Ubergangszustand yon Poikilosmge ~u Homoiosmie:

Pleuronectes platessa, Scholle (Teleosfier) an verschiedenen Orten.

Fangort A Blur A M e e r w a s s e r

Kiel . . . . . . . -- 0,655 ~ -- I,O9 ~ Ostsee . . . . . . -- o,719 ~ -- 1,3 ~ Kattegat . . . . . -- 0,73 ~ -- 1,66 ~ Helgoland . . . . - - 0,79 ~ - - 1,9 o

Erst innerhalb des Stammes der Wirbeltiere vollzieht sich allmghlich der Ubergang yon der Poikilosmie zur Homoios- mie. Wghrend die Selachier (Elasmobranchier, Plagiostomen), deren inneres Skelett noch aus Knorpel besteht und zu denen

1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 76, 2o2. I9X4. *) Zu den Tabellen vergleiche: Hamburger , Osmotiseher Druck und Ionenlehre. x9oa--x9o 4 bei J . F. Berg-mann, desgl. I9x2 Allg. Med. Verl. Anst. - - Botazzi, Osmot. Druck und elektr. LeiffXhigkeit der einzelEgen, pfianzlichen und tierischen Organismeu. Ergebn. d. Physiologie Jahrg. 7, 19o7, S. I 6 x - 4 o 2 . H{Jber, Physikal. Chemie d. Zelle u. d. Gewebe, 3. Aufl. I gx i .

z. lB. die Haifische geh6ren, den osmotisehen Druck des Seewassers besitzen (ira Golf yon Neapel • = --213 ~ und mit diesem gndern, haben bereits die Teleosfier, die 14nochen- fische, einen osmofischen Druck, der (ira gleichen Golf) nut der I~tglfte desjenigen des Seewassers entspricht und yon der Umgebung ziemlich unabh~ingig ist. Aber eine v611ige Unabh~ngigkeit ist es aueh nieht, denn die Teleosfier der Zuidersee, deren Salzgehalt an verschiedenen Stellen sehr ungleieh ist, wandern yon Gegenden, deren osmofischer Druck ihnen nicht paBt, in Scharen ab. Die Seholle ha t schon einen eigenen osmofischen I)ruck, gndert ihn aber innerhalb gewisser Grenzen entspreehend dem Salzgehalt verschiedener Meeresgegenden (Tabelle 2). Diese Tatsaehen diirften zu den Griinden ~geh6ren, die fiberhaupt den getrennten Aufent- half yon SfiB- und Seewassertieren bedingen. Erst bei h6heren Vertebraten, die neben Kiemen schon eine Lungenatmung besitzen, wird die I~onstanz und Unabh~ugigkeit des osmo- fisehen Druckes eine vollkornmene, so dab diese Tiere, auch wenn sie im Wasser leben, den gleichen osmotischen Druck des Blutes besitzen wie ihnen nahestehende Landtiere.

Der osmotische Druck ist also ffir gewisse h6here Tier- klassen eine konstante Gr6Be, deren Aufrechterhaltung ffir den normalen Ablaut der Lebensvorggnge unumggnglich n6fig ist, /ihnlieh wie d i e Eigentemperatur, wie der Gehalt an Wasser, EiweiBk6rpern, Blutzucker, wie der Part iardruek des Sauerstoffes nsw. Dabei ist es interessant, dab diese I~onstanten in der Tierreihe keineswegs gleiehzeifig auftreten. So besitzen z. B. die Kaltblfiter noch keine Eigentemperatur, wghrend der osmofische Druek z. ]3. beim Froseh einen konstanten Wert, entsprechend einer 0,6 proz. NaC1-L6sung, aufweist.

Ira groBen Uberblick geht aber doch die Entwicklung dieser Eigensehaften, die das Lebewesen yon seiner Umgebung rnehr und mehr losl6sen, mit der Ausbildung der entspreehen- den t t i rnzentren (s. oben) parallel.

Nieht nur phylogenefisch, sondern auch ontogenetisch lgBt sich die allms Entwicklung der Homoiosmie und ihrer St6rungen dartun. Die Beobachtungen hierfiber sind allerdings noch wenig zahlreich. I-IAGNER 1) hat an der SALGE- sehen Klinik gezeigt, dab der mensehliche Sgugling seinen osmotisehen Druck nieht mit der gleichen Z~higkeit wie der Erwaehsene~einzuhalten und gegen Einflfisse verschiedener Ern/ihrungZsowie andere Einwirkungen aufrechtzuerhalten vermag. Ahnliches wurde an jungen S~ugetieren beobaehtet. Aneh die merkwfirdigen Wanderungen mancher Fische dfirften sieh zum Tell hierdurch erkl~iren. Wghrend der ausgewachsene Lachs vom osmotischen Druck der Umgebung ziemlich-unabh~ngig ist -- den n e r kann im Flug wie im Meet leben, -- sind seine Eier, die er nut im FIuB ab!egt, gegen osmofische Einfliisse sehr empfindlich. Bringt man Lachs- eier in Meerwasser, so gehen sie regelm/~Big zugrunde. Um- gekehrt verhalten sieh wahrscheinlich die Aale, die zum Laichen aus den Flfissen in betrgchtliehe Meeres.tiefen yon besonders hohem Salzgehalt wandern.

Auch beim erwachsenen Menschen kann, wie schon kurz erw~hnt wurde, unter gewissen pathologlschen Verhdl tnissen die Fghigkeit zur Aufrechterhaltung des normalen osmofischen Drucks EinbuBe erleiden oder ganz verloren gehen. Das kommt besonders bei Erkrankungen der Nieren vor. Bei chronischen Nierenschgdigungen, die mit einer Ausscheidungsst6rung und daher mit einer Anb~ufung yon Stoffweehselprodukten in den Geweben einhergehen, sehen wir allmghlieh den os- mofischen Druck des Blutes etwas ansteigen. Wir finden dann h~nfig Gefrierpunktswerte yon e t w a - o,62 ~ (start des Normalwertes yon - -o ,56~ Ant diese m~Bige s kSnnen sieh offenbar die K6rperzellen noch umstellen, denn die Lebensfghigkeit bleibt dabei zuweilen noch einige Jahre erhalten, l Wenn jedoch die Niereninsuffizienz eine absolute wird oder sehr schnell eintritt, also bei akuter Urdmie vom asthenischen Typus, sehen wir eine pl6tzliche gewaltige Zunahme des osmofischen Drucks, so dab die Gefrierdepression des Blutes bis auf - -o ,75 ~ und noch welter ansteigt. DaB

1) Zeit~chr. f, Kinderheilk, 8~ 50. I913~

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27. MAI ~ 9 2 2 K L I N I S C H E W O C H E N S C H

in diesen Fs der osmotische Regulationsmechanismus des KSrpers versagt, geht unter anderem aus folgendemhervor ; ieh konnte zeigen, dab bei Ur~mien solcher Art aueh dutch ausgiebige Verdfillnungsmal3nahmen (AderlaB, grol3e Wasser- zufuhr auf jedem mSglichen Wege) die Verminderung der Hyperosmie meist nieht gelillgt:). Die Zellen haben ihre Reaktionsfs gegen osmotische Reize verloren. Mit der hierdurch bedingten unaufhaltsamen Vers des osmotischen Innelldrucks ist das menschliche Leben sehlieB- lich nicht mehr vereinbar.

Schlufl. Wenn wit die Hauptbedeutung des osmotisehen Druckes ftir h6here Organismen in seinem konstanten Niveau erblicken, so soll damit nicht in Abrede gestellt werden, dab Abweichungen vom isosmotischen Punkt unausgesetzt vor- kommen, ja dab sie integrierende Zvischenstadien bei vielen komplexen Vorgs sind. Abet man hat ihre Rolle nicht so zu deuten, dab vie im Membranversuch, ein Druckunter- schied physikalisch ausgeglichell wird und dab die hierbei entstehenden statisehen KrXfte nun eine sinnreiche Anfgabe erftillen. Die Kr~ifte der unbelebten Natur wirken ohne be- stimmtes Ziel. Der Wind treibt sein Spiel~mit Blfiten und Bls unbekfimmert um eillen zweckm~Ll3igen Erfolg. Er unterscheidet nieht, wohin der Samen einer ms Blfite verweht wird. Nur die sinnreiehen Einrichtungen der Pflanze bewirken, dab die wenigell Keime, die zufs auf

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eine weibliche Fruchtanlage fallen, einen Reiz vermitte]n. Erst hierdurch werdell die komplizierten Kr~fte feingebauter Zellkonstruktionen ausgel6st,', welche die wunderbaren Er- scheinungen der IZeimung, des Wachstums, der Reifung vollbringen. Ebenso wirken im Gewebe h6herer Tiere Ab- weichungen vom normalen osmotischen Druck gleieh vielen s Zustandss als Reiz und veranlassen eine Reaktioll. Durch diese werdell viel kompliziertere Kr~fte, die an die hochorganisierte Struktur der Zelle gebullden sind, in Bewegung gesetzt. Erst hierdureh wird der an sieh ziel- lose osmotische Druckunterschied entweder in eine zweck- m~Bige physiologische Funkt ion umgewandelt oder unsch~d- lich gemaeht, und der normale Druck, also auch die osmotisehe Reizschwelle, viederhergestellt.

Wie eine feine analytische Wage, v ie ein kompliziertes Uhrwerk zum tadellosen Funktionieren auf konstante Tempe- ratur und bestimmten Trockenheitsgrad der Umgebung angewiesen ist, so bedarf die Zelle des h6heren Tieres zur normalen Erffillung ihrer vie]seitigen Aufgaben eines bestimm- ten osmotischen Drucks, ebenso vie sie an eine bestimmte Temperatur, Sauerst0ffspallnung, Wasserstoffionenkonzen- tration, Oberfls usw. gebunden ist. Nur niedere Organismen, von deneI1 die Natur geringere Dienste verlangt, k6nnen dieser ]3edingungen entraten, wie ein grobes Werk- zeug den Unbilden der Wit terung zu trotzen vermag.

ORIGINALIEN. PSEUDOSKLEROSE (WESTPHAL-STROMPELL)

m i t Cornea l r ing (Kayse r -F l e i s che r ) u n d doppelsei t iger S c h e i n k a t a r a k t , die n u r bei se i t l icher B e l e u c h t u n g

s i ch tba r ist u n d die der n a c h V e r l e t z u n g d u t c h Kupfe r - spl i t ter e n t s t e h e n d e n K a t a r a k t ~ihnlich ist2).

V o n

E. SIEMERLING und H. OLOF~. Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik KieI.

(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. SIEMERLING.)

Die ursprfinglich yon C. WESTPHAL alS PseudosMerose oe- schriebene und als Neurose aufgefaBte Erkrankung (1883) hat im Lahfe der Jahrzehnte eine interessante Wandlung i l l der neurologischen Klassifikation durchgemacht. Der Begriff der Neurose ist ganz gefallen. Trotz der oft ~uBer]ich vor- handellen s mit der multiplen Slderose ist sie von dieser Erkrankullg weir abgerfickt und hat sich mehr der Schfittell~hmung und der progressiven lentikul/tren Dege- neration (WILsoN) gens Sie stellt sich heute dar Ms eille eigenartige Stoffwechselerkrankung, die wahrscheinlieh auf eine juvenile Lebercirrhose aus bisher unbekannter Ursache zuriickzuffihrell ist, :nit Rfiekwirkung auf das Zentralnerven- system und bestimmte Abschnitte des optischen Apparates (wie Cornea).

Der Ausbau der klinischen Symptome hat eine wesenfliehe FSrderung durch STROMPELLS Beobachtungen erfahren. Mit der zugrundeliegenden Lebererkrankung befal3ten sich Ar- beiten y o n W6LSCH, SALUS, I~UMPEL U.a. 19o2 brachte die bedeutungsvolle Elltdeckung roll dem Cornealring durch KAYSER und FLEISCHER: Griinlich brauner Pigmentring ill der Peripherie der Cornea ill der DESCEMETschen Membran. Durch die anatomischen Untersuchungei1 yon H6SSLIN und ALZHEIMER, A. WESTPIIAL, STOCKER, SPIELIV[EYER erfuhr das Krankheitsbild eine wesentliche Bereicherung und Erweite- rung. Nach SPIELMEYERS Untersuehungell gibt es bei Pseudo- slderose und der WILSONschen Krankheit keine trennenden

1) Vgl. REISS, Kochsalzstoffwechsel und Wassergehalt des Blutserums. 26. Kongre~ f. inn. Med. i9o9, S. I5O. 2) Nach einem am i6. Februar 1922 in der medizinischen Gesellschaft zu Kiel gehaltenen Vortrag n i t Vorstellung. Sitztmgsber, in der Miinela, reed. ~Vochenschr, 1922 , Nr. xo $. 39o.

histopathologischen Momente, sondern es handelt sich um ein und denselben KrankheitsprozeB.

Die neueren Forschungen fiber die nach Grippe und En- cephalitis entstehenden Folgeerkrankungen des Zen• nervensystens mit dem Charakter des amyostatischen Sym- ptomenkomplexes (STROMPELL) oder des dystonischen Syn- droms (STX~TZ) und dell dabei erhobenen anatomischen Be- funden werfell ein interessalltes Licht auch auf die Pseudo- sklerose.

Der Kranke, um den es sich handelt, befindet sich schon seit t917 in poliklinischer Beobachtung (Prof. RUNGE). 43j{ihriger Arbeiter. Die Mutter hat 4real an Ikterus gelitten, ein Bruder an Veitstanz. Im Alter yon Io--12 Jahren hatte er Ikterus. Keine luische Infektion. Friiher war er 7 Jahre Brauereib6ttcher und hat damals t~glich 4 1 Bier getrunken. Jetzt kein Alkoholabusus. ' Starker Raueher. 1916 Beginn des Zitterns in den Hs 1917 Zittern des Kopfes, Zittern der H~nde, besonders rechts allm~ihliche Zunahme des Zitterns, Status: im Februar i922. Starkes Wackeln und Schfitteln des Kopfes, 12o Oszillationen in der Minute. Bei extremen Stellungen des Kopfes, besonders beim Beugen nach ri~ckw~rts hSrt das Wackeln auf, ebenso in v611iger Ruhelage des Kopfes. Starrer Gesichtsausdruck. Sprache langsam, abet nieht artikulatorisch gest6rt. Schilddrtise nicht vergr6Bert. An den Ar- men in der Ruhe leichtes Zittern des ganzen Armes, bei Bewegungen z.B. nachVorw~rtsstrecken derArme starke Zunahme des Schfittelns, f6rmliches Flfigelschlagen und Sehwimmbewegungen (STRoMPELL). StoBende Zuekungen im Pectoralis major. Bei komplizierten Bewegungen, z. B. Auskleiden, Essen, Schreiben, sehr starkes Schfit- teln. In den unteren Extremit~ten vim geringeres Zittern. Kein Romberg. Keine Pro- und Retropulsion. Hypotonie an oberen und unteren Extremit~iten sehr ausgesprochen. Abdominalreflexe fehlen. Sehnenreflexe gut erhalten. Im Blutbild nichts besonderes. WaR. im Blur negativ. An der Haut keine Ache, keine besondere Pigmentierung. Psychisch: gleichm~Bige, ruhige Stimmung. Geht seiner Beschs nach. Keine Demenz. Lumbalpunktion: Druck 9O--lOO. Zellen 17, Nonue positiv. Herr Prof. SCHITTEX- HELM und Herr Dr. HARPUDER hatten die Freundlichkeit in der medizinischen Klinik eine Untersuchung vorzunehmen und danke ich beiden bestens. Aus dem Befund ist folgendes zu erw~hnen: Hem: Grenzen nicht erweitert, lk. I Querfingerbreit innerhalb der Medioclavicularlinie.

T6ne: An der Herzspitze bei Exspirationsstellung ein leises akzidentelles Ger~usch w~hrend der Systole, das bei Inspirations- stellung nieht zu h6ren ist. Keine besondere Akzentuation.

Leib: weich, eindrfickbar, keine Resistenzen, kein Druckschmerz. Leberrand querfingerbreit unterhalb des Rippenbogens f/~hlba~. Milz nicht zu tasten.