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Die Gesellschaft läßt es zu, daß mehr Geld für Kuren ausgegeben werden, als für den Rettungsdienst, Die Gesellschaft läßt es zu, daß die Verwaltungskosten der Versicherun- gen ein Dreifaches an Milliarden ko- sten dürfen, als der Rettungsdienst. Hinzu kommt, daß die Planwirtschaft im Gesundheitssystem 1998 den ge- setzlichen Krankenversicherungen ein Plus von 1,1 Mrd. DM beschert hat. Die aktuelle Diskussion und Forderung im Gesundheitswesen nach mehr Wirt- schaftlichkeit, Transparenz, Kostensen- kung und Rationalisierung im Kranken- haus soll dabei nicht gestoppt werden. Die Diskusion soll nur Situationen defi- nieren und richtig bewerten, nämlich wieviel wert ist der Gesellschaft, Men- schen in Not zu helfen. Um den Intensiv- patiententourismus in seiner Intensität und Häufigkeit bemessen zu können, fehlen exakte Daten und Statistiken. Eine evaluierbare Datenbank liegt landesweit und bundesweit nicht vor. Aus eigener | Der Internist 9·99 M 256 Erfahrung (10 Jahre lang im Rettungs- dienst Notarzttätigkeiten) ist Intensivpa- tiententourismus mit nicht möglicher Abgabe des Patienten an Krankenhäu- sern selten bis kaum vorgekommen. Eine Dokumentation über dieses Problem ist in einem Buch des Instituts für Rettungs- dienst vom Deutschen Roten Kreuz ent- halten. Dort wurden in einer Studie von 1994 Übergabeschwierigkeiten in 2,6% der Fälle angegeben, größere Probleme sind auch dort nicht dokumentiert. Aber gerade diese Übergabeschwierigkeiten sind durch das Einrichten einer ZNA auszuschließen. Aus der Ursachenanaly- se entsteht die gesundheitspolitische, zielgerichtete Handlungsempfehlung für einen effizienten und effektiven Ausbau der Notfallpatientenversorgung als eine sehr wichtige menschliche Aufgabe. Be- triebswirtschaftliches Kleinkrämertum gepaart mit politischer Fehlsichtigkeit in diesen Versorgungsressourcen (Stellen- wert der Mitarbeiter, gerechte Tarifver- tragsabschlüsse, infrastrukturelle Vor- aussetzungen), wird mit volkswirtschaft- licher, patientenverachtender Mißwirt- schaft bestraft. Fazit Der Intensivpatiententourismus ist ein lösbares kleines Problem. Ein großes Problem ist: Das Rettungssystem muß finanziert und nicht bürokratisiert werden. Literatur 1. Koch B (1997) Die notärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Schriftenreihe zum Rettungswesen i Bd 14, Verlags- und Vertragsges. des DRK 2. Stratmann D (1996) Rettungsdienst und Feuerwehr – medizinische Aspekte. Städte- und Gemeinderat 6:199–202 3. Sefrin P (1996) Rettungsdienst in der finan- ziellen Zwangsjacke. Der Notarzt 12:39–42 Dr. Th. Windhorst Klinik für Allgemein- und Thoraxchirurgie, Städtische Kliniken Bielefeld Mitte, Teutoburger Straße 50, D-33604 Bielefeld A. Fischer Der Patient steht im Mittelpunkt Debatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung – „Gesundheitsreform 2000“/49. Sitzung des Bundestages am 30. Juni 1999 Wir legen heute einen Gesetzent- wurf vor, der lange bevor er die heute vorliegende und vom Parlament zu de- battierende Fassung bekam, für viel Aufregung gesorgt hat. Ich will ganz deutlich sagen: Es ist meine ganz tiefe Überzeugung, daß wir Strukturrefor- men im Gesundheitswesen vornehmen müssen und daß mit dem jetzt vor- liegenden Gesetzentwurf diejenigen Strukturreformen angegangen wer- den, die seit langem notwendig und zum Teil überfällig sind. Gerade wer unser Gesundheitssystem schätzt und bewahren will, der muß es verändern, und zwar durch Reformen innerhalb dieses Systems. Es gibt einen auffälligen Mangel an konstruktiven Vorschlägen bei denjeni- gen, die gegen dieses Gesetz opponieren und die Ansicht vertreten, es führe in die falsche Richtung. Wer das Gesetz nicht will, der soll uns sagen, was wir machen sollen oder ob wir einfach so weitermachen sollen wie bisher. Dann mag es vielleicht eine kurze Zeit des Aufatmens auf der Seite der Leistungs- erbringer gehen, weil es keine finanziel- len Beschränkungen gibt, aber nach einiger Zeit werden die Beiträge so sehr gestiegen sein, daß die Menschen kein Interesse mehr an einer solida- risch organisierten Krankenversiche- rung haben. Ich meine, daß wir dieses System mit Reformen für die Zukunft fit ma- chen müssen. Zu einer modernen Ge- sundheitsreform gehört als allererstes und oberstes Ziel, daß die Patienten im Mittelpunkt stehen und das Gesund- heitssystem nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet wird.

Der Patient steht im Mittelpunkt Debatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung – "Gesundheitsreform 2000"/49. Sitzung des Bundestages am 30. Juni

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● Die Gesellschaft läßt es zu, daß mehrGeld für Kuren ausgegeben werden,als für den Rettungsdienst,

● Die Gesellschaft läßt es zu, daß dieVerwaltungskosten der Versicherun-gen ein Dreifaches an Milliarden ko-sten dürfen, als der Rettungsdienst.

● Hinzu kommt, daß die Planwirtschaftim Gesundheitssystem 1998 den ge-setzlichen Krankenversicherungen einPlus von 1,1 Mrd. DM beschert hat.

Die aktuelle Diskussion und Forderungim Gesundheitswesen nach mehr Wirt-schaftlichkeit, Transparenz, Kostensen-kung und Rationalisierung im Kranken-haus soll dabei nicht gestoppt werden.Die Diskusion soll nur Situationen defi-nieren und richtig bewerten, nämlichwieviel wert ist der Gesellschaft, Men-schen in Not zu helfen. Um den Intensiv-patiententourismus in seiner Intensitätund Häufigkeit bemessen zu können,fehlen exakte Daten und Statistiken. Eineevaluierbare Datenbank liegt landesweitund bundesweit nicht vor. Aus eigener

| Der Internist 9·99M 256

Erfahrung (10 Jahre lang im Rettungs-dienst Notarzttätigkeiten) ist Intensivpa-tiententourismus mit nicht möglicherAbgabe des Patienten an Krankenhäu-sern selten bis kaum vorgekommen. EineDokumentation über dieses Problem istin einem Buch des Instituts für Rettungs-dienst vom Deutschen Roten Kreuz ent-halten. Dort wurden in einer Studie von1994 Übergabeschwierigkeiten in 2,6%der Fälle angegeben, größere Problemesind auch dort nicht dokumentiert. Abergerade diese Übergabeschwierigkeitensind durch das Einrichten einer ZNAauszuschließen. Aus der Ursachenanaly-se entsteht die gesundheitspolitische,zielgerichtete Handlungsempfehlung füreinen effizienten und effektiven Ausbauder Notfallpatientenversorgung als einesehr wichtige menschliche Aufgabe. Be-triebswirtschaftliches Kleinkrämertumgepaart mit politischer Fehlsichtigkeit indiesen Versorgungsressourcen (Stellen-wert der Mitarbeiter, gerechte Tarifver-tragsabschlüsse, infrastrukturelle Vor-aussetzungen), wird mit volkswirtschaft-

licher, patientenverachtender Mißwirt-schaft bestraft.

Fazit

Der Intensivpatiententourismus ist einlösbares kleines Problem. Ein großesProblem ist: Das Rettungssystem mußfinanziert und nicht bürokratisiert werden.

Literatur1. Koch B (1997) Die notärztliche Versorgung

in der Bundesrepublik Deutschland.Schriftenreihe zum Rettungswesen i Bd 14,

Verlags- und Vertragsges. des DRK

2. Stratmann D (1996) Rettungsdienst undFeuerwehr – medizinische Aspekte.Städte- und Gemeinderat 6:199–202

3. Sefrin P (1996) Rettungsdienst in der finan-ziellen Zwangsjacke. Der Notarzt 12:39–42

Dr. Th. WindhorstKlinik für Allgemein- und Thoraxchirurgie,Städtische Kliniken Bielefeld Mitte,Teutoburger Straße 50, D-33604 Bielefeld

A. Fischer

Der Patient steht im MittelpunktDebatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichenKrankenversicherung – „Gesundheitsreform 2000“/49. Sitzung desBundestages am 30. Juni 1999

Wir legen heute einen Gesetzent-wurf vor, der lange bevor er die heutevorliegende und vom Parlament zu de-battierende Fassung bekam, für vielAufregung gesorgt hat. Ich will ganzdeutlich sagen: Es ist meine ganz tiefeÜberzeugung, daß wir Strukturrefor-men im Gesundheitswesen vornehmenmüssen und daß mit dem jetzt vor-liegenden Gesetzentwurf diejenigenStrukturreformen angegangen wer-den, die seit langem notwendig undzum Teil überfällig sind. Gerade werunser Gesundheitssystem schätzt und

bewahren will, der muß es verändern,und zwar durch Reformen innerhalbdieses Systems.

Es gibt einen auffälligen Mangel ankonstruktiven Vorschlägen bei denjeni-gen, die gegen dieses Gesetz opponierenund die Ansicht vertreten, es führe indie falsche Richtung. Wer das Gesetznicht will, der soll uns sagen, was wirmachen sollen oder ob wir einfach soweitermachen sollen wie bisher. Dannmag es vielleicht eine kurze Zeit desAufatmens auf der Seite der Leistungs-erbringer gehen, weil es keine finanziel-

len Beschränkungen gibt, aber nacheiniger Zeit werden die Beiträge sosehr gestiegen sein, daß die Menschenkein Interesse mehr an einer solida-risch organisierten Krankenversiche-rung haben.

Ich meine, daß wir dieses Systemmit Reformen für die Zukunft fit ma-chen müssen. Zu einer modernen Ge-sundheitsreform gehört als allererstesund oberstes Ziel, daß die Patienten imMittelpunkt stehen und das Gesund-heitssystem nach ihren Bedürfnissenausgerichtet wird.

Die Bedürfnisse von Patientinnen undPatienten haben sich verändert.

Manche Strukturen passen nicht mehrdarauf; manches ist an diesen Struktu-ren allerdings schon so lange kritisiert,daß ich, wie gesagt, der Meinung bin,daß wir diese Debatte endlich aufgrei-fen und eine wirkliche Lösung dafürfinden müssen. Ich will hier noch ein-mal ganz deutlich sagen, daß ich unserGesundheitssystem für gut und lei-stungsfähig halte. Es kann sich im inter-nationalen Vergleich sehen lassen (inErgänzung hierzu auch Tabelle 1). Ichwill auch ausdrücklich betonen, daßwir diese Reform durchführen, weil wirdieses System schätzen, das mit einersolidarischen Finanzierung im Rahmender gesetzlichen Krankenversicherungfür die notwendige Umverteilung zwi-schen Jung und Alt, zwischen Gesundenund Kranken, zwischen Familien undSingles sorgt. Wir wollen diese Finan-zierung genauso wie die paritätische Fi-nanzierung durch Arbeitgeber und Ar-beitnehmer erhalten. Wir wollen auchdas ganz wichtige Prinzip – darin un-terscheiden wir uns wirklich in vielerleiHinsicht positiv von anderen Ländern –erhalten, daß Leistungen unabhängigvom Einkommen gezahlt werden. Dashalte ich für ganz elementar.

Viele Herausforderungen

Vor welchen Herausforderungen stehenwir, und was müssen wir deswegen ver-ändern? Die erste Herausforderung istder demographische Wandel.

Wir wissen alle, daß schon heute jedefünfte Person in unserem Land über60 Jahre alt ist.

Im Jahr 2030 wird es jede dritte sein.Jetzt liegt natürlich intuitiv die Vermu-tung nahe, daß damit auch die Ko-sten im Gesundheitswesen exponentiellsteigen. Schon ein früherer Sachver-ständigenrat im Gesundheitswesen hatuns eines Besseren belehrt: Diese Kor-relation liegt nicht zwangsläufig vor,denn der demographische Wandel ist jaunter anderem der Tatsache zu verdan-ken, daß die Menschen länger gesundsind und auch alte Menschen insgesamtgesünder sind. Wir können davon aus-gehen, daß sie das Gesundheitssystemzwar über einen längeren Zeiträum in

Diagnostik und der Arzneimittel alsauch bei den Behandlungsmethodenbietet. Ich sage ganz eutlich: DieserFortschritt soll, so er sinnvoll ist, denVersicherten der gesetzlichen Kranken-versicherung zur Verfügung stehen.Wirwissen, daß einige Neuentwicklungenteuer sind. Ich erwähne beispielsweiseneue Medikamente gegen die Krank-heit Aids.Wir wissen aber auf der ande-ren Seite, daß manche neue Verfahrenzu Kosteneinsparungen führen. Ichnenne den Bereich der minimalinvasi-ven Chirurgie, durch die die Liegezeitenin den Krankenhäusern deutlich ver-ringert werden.

„Ambulant vor stationär“

Wir brauchen für die im Bereich derDiagnostik eingesetzten Technologieneine ständige Überprüfung, ob derenEinsatz eigentlich sinnvoll ist. Wir ha-ben es sehr wohl auch mit dem Problemzu tun, daß die Vergütungsstrukturenim Gesundheitssystem falsche Anreizegeben und dazu führen, daß es Untersu-chungen gibt, die zwar für denjenigen,dem das betreffende Gerät gehört, be-triebswirtschaftlich zwingend notwen-dig sind, aber über deren medizini-schen Nutzen trefflich gestritten wer-den kann.

Für eine moderne Gesundheitspolitiksteht die Frage der Qualität ganzobenan.

Dabei geht es nicht nur darum, daß wiruns die Arbeit der einzelnen Institutio-nen im Gesundheitswesen anschauen.Es geht vor allen Dingen darum, dieQualität der Diagnose und des an-schließenden Behandlungsprozesses zuüberprüfen. Aus diesen Erkenntnissenmüssen Leitlinien für die Therapie ent-wickelt werden. Das ist meines Erach-tens eine wichtige Unterstützung so-wohl für die Behandelnden im Gesund-heitswesen als auch für die Behandel-ten, die informiert werden und damitbesser über die Behandlung mit ihrenÄrzten sprechen können. Wir müssenviel stärker das Qualitätsmanagementin Praxis und Klinik verankern. Ich willin diesem Zusammenhang ganz deut-lich sagen, daß auch die Positivliste einInstrument der Qualitätssicherung ist.

Ich meine, daß wir auf der Ebenedes Anreizsystems in unserem Gesetz

Anspruch nehmen, aber dafür nicht sostark, wie es früher bei anderen Krank-heiten der Fall war.

Wir haben es vor allen Dingen mitveränderten Krankheitsbildern zu tun;das heißt, wir haben mehr chronischeKrankheiten und Mehrfacherkrankun-gen.

Wir können davon ausgehen, daß derVersorgungsbedarf in Rehabilitationund Pflege stärker steigen wird als derin der Akutversorgung.

Darauf sollten wir, wie ich meine, nichtso reagieren,daß wir die Geldzufuhr zumGesundheitswesen exponentiell steigern.Der entscheidende Punkt ist vielmehr,die Versorgungsstrukturen so zu verän-dern, daß Krankheitsbilder, die häufigerauftauchen, zum Beispiel chronischeoder Mehrfacherkrankungen, angemes-sen behandelt werden können.

Die Herausforderung der Stundeist, eine stärkere Zusammenarbeit zwi-schen einzelnen Ärzten, zwischen Ärz-ten verschiedener Fachrichtungen so-wie zwischen dem ambulanten und sta-tionären Bereich herbeizuführen. Esgeht also um die gute Zusammenarbeitaller Beteiligten im Gesundheitswesen.Dafür wollen wir mit diesem Gesetz dieWeichen stellen. Die Maßnahmen, diedafür im Gesetz vorgesehen sind, sinddie bessere Verzahnung des ambulantenund stationären Sektors, die Stärkungder Stellung des Hausarztes als Lotsendurch das Gesundheitssystem und dieVerbesserung der Rahmenbedingun-gen, damit integrierte Versorgungs-strukturen gefunden werden könnenund flexibler bei der Finanzierung vonGesundheitsleistungen, die in verschie-denen Sektoren erbracht werden, vorge-gangen werden kann. Das Stichwort lau-tet hier, daß das Geld der Leistung fol-gen soll und nicht umgekehrt. Wir wol-len auch die Rehabilitation durch eineReihe von Maßnahmen stärken, die indiesem Gesetzespaket vorgesehen sind.

Aus der Tatsache, daß wir auch inder Zahnmedizin verstärkt auf Prophy-laxe und Zahnerhalt setzen wollen,können Sie ersehen, daß für uns dieFrage der Vorbeugung ganz zentral ist.

Die zweite Herausforderung, vorder wir stehen, betrifft den medizini-schen Fortschritt, der uns in kurzen Ab-ständen neue Erkenntnisse und neueMöglichkeiten sowohl im Bereich der

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auch zu Recht vorgesehen haben, durchandere Vergütungsstrukturen die An-reize für einen sinnvollen Einsatz auf-wendiger Medizintechnik zu setzenund diese durch entsprechende Anwen-dungsleitlinien zu unterstützen.

Die dritte Herausforderung, vorder wir stehen, besteht darin, daß sichdie Haltung der Menschen zu allen so-zialen Sicherungssystemen und damitauch zum Gesundheitssystem verän-dert hat. Die Menschen wollen nichtlänger Objekt staatlicher Fürsorge sein,sondern sie wollen aktiv mitgestalten.Wir wissen, daß Heilungsprozesse nurdann gelingen können, wenn Patientin-nen und Patienten dabei eine aktiveRolle spielen. Deswegen ist die Stär-kung der Patientinnen und Patienten,sowohl was ihre Information als auchwas ihre Rechte anbelangt, ein wichti-ger Ansatz dafür, daß wir mit den Mit-teln im Gesundheitswesen sinnvoll um-gehen können.

Zweifelsohne einer der umstritten-sten Bereiche in unserem Gesetztespa-ket sind die von uns vorgesehenen Re-formen im Krankenhausbereich. Wirwollen – das ist der Gedanke, der hinterdiesem Gesetzespaket steht, eine Ver-sorgung, die den Grundsatz „ambulantvor stationär“ konsequent umsetzt. Wirkönnen feststellen:

Deutschland hat eine deutliche höhereAnzahl von Krankenhausbetten alsvergleichbare Länder.

Deswegen muß man sehr wohl die Fragestellen, ob wir in unserem Kranken-hausbereich nicht eine veränderteStruktur brauchen. Dabei müssen wirüber die Überkapazitäten reden, die wirdort aufgebaut haben. Zur Zeit fließtein Drittel aller Ausgaben der gesetzli-chen Krankenversicherung in denKrankenhausbereich. Obwohl es in denletzten Jahren auch von denjenigen, diesich jetzt über das, was wir machen, soaufregen, reichliche Versuche gegebenhat, in diesem Bereich Kosten zu redu-zieren, ist der Anteil der Ausgaben hierin den letzten Jahren zu Lasten der übri-gen Bereiche in der gesetzlichen Kran-kenversicherung ständig gewachsen.

Die Ausgaben der GVK für die Kranken-hausbehandlungen sind von 59 Milliar-den DM in 1991 auf 85 Milliarden DM in1998 gestiegen.

Das ist immerhin ein Wachstum von 44Prozent in acht Jahren. Das bedeutet,daß ein immer größerer Anteil derGKV-Ausgaben durch den stationärenSektor gebunden wird. Das führt natür-lich zu einer erheblichen Kritik alleranderen, die im Gesundheitswesen ar-beiten, weil sie den Eindruck haben,daß die Bereiche in dieser Hinsicht un-gleich behandelt werden. Trotzdem –auch das wissen wir – ist der Kranken-hausbereich sehr sensibel, wenn mandort Veränderungen anstrebt. Das istder Grund, aus dem wir vorhaben, dievorgesehenen Reformschritte sehr be-hutsam einzuleiten. Wir haben stattdramatischer Schnitte lange Über-gangszeiten vorgesehen, weil die Betei-ligten Zeit brauchen, um sich auf Ver-änderungen einzustellen.

Ich will es hier ganz deutlich sagen:Aufgabe der Verantwortlichen vor Ort –das bedeutet insbesondere der Kran-kenhausträger und der Krankenhaus-leitungen – ist es, daß sie die für die Er-füllung der Aufgaben notwendige Per-sonalausstattung vorhalten und den be-stehenden Gestaltungsspielraum sinn-voll nutzen. Das heißt aber auch, daßfür eine patientenfreundliche Betreu-ung, die auch die berechtigten Interes-sen der Beschäftigten berücksicht, diekrankenhausinternen Strukturen aufden Prüfstand gehören: die Hierarchie,die Mitbestimmung und die Einbezie-hung des Pflegepersonals. Darübermuß diskutiert werden und nicht nurdarüber, daß wir mehr Geld benötigen.

Mit diesem Gesetz setzen wir dieRahmenbedingungen für einen solchenProzeß. Wir werden alle Anstrengungenfür eine Verbesserung der Ablauforgani-sation in den Krankenhäusern unterstüt-zen. Ich meine, daß gerade unsere Vor-schläge zur Verzahnung des ambulantenund des stationären Bereichs und die an-gestrebten Maßnahmen zur Qualitätsssi-cherung bei der Pflege dazu beitragen,das Abteilungsdenken und die hierarchi-schen Strukturen zu überwinden.

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Einige Worte zu Ostdeutschland

Wir wollen eine Angleichung derLebensverhältnisse in Ost undWest, und wir wollen dies auch imGesundheitswesen. Das heißt, daßdie Krankenkassen in Ostdeutsch-land auch über das Jahr 2001 hin-aus – nur bis zu diesem Zeitpunkthatte die frühere Regierung ent-sprechende Zahlungen vorgesehen– mit beachtlichen Ausgleichszah-lungen der Krankenkassen im We-sten rechnen können. Wir habenuns damit dauerhaft von einer Dis-kussion verabschiedet, die von derehemaligen Regierung über die Re-gionalisierung von Sozialversiche-rungsbeiträgen geführt wurde, undzwar in der Form, daß sich diejeni-gen, denen es gutgeht, von denjeni-gen abkoppeln, die eine Unterstüt-zung brauchen. Mit dem vorliegen-den Gesetz koppeln wir die Ausga-ben in Ostdeutschland nicht mehran die ostdeutsche Lohnentwick-lung, sondern an die gesamtdeut-sche. Das ist über den materiellenAspekt hinaus ein wichtiger sym-bolischer Akt für die Gesundheits-politik in Ostdeutschland. Wir ha-ben außerdem vorgesehen, daß dieFestsetzung der Transferzahlungenvon West- nach Ostdeutschland aufeine Obergrenze entfällt. Statt des-sen erfolgen Zahlungen, wie es imRahmen des RSA notwendig ist.

Nun komme ich zu dem, was amstärksten kritisiert wird und angesichtsdessen sich alle Beteiligten trotz ihrerwiderstreitenden Interessen – da wol-len sie gar nicht mehr zugeben, daß ihreInteressen nicht konfliktfrei vereinbarwären – im Protest zusammenfinden,zum Globalbudget.

Sprachlich ist das Globalbudget sicher-lich keine Meisterleistung. Es verbirgtsich aber zunächst einmal nichts an-deres dahinter als die Forderung nachBeitragssatzstabilität.

Das ist nicht meine Erfindung undnicht die Erfindung der neuen Bundes-regierung. Dies ist vielmehr vor zehnJahren in das SGB V aufgenommenworden. Meiner Erinnerung nach war

ich damals nicht Ministerin für Ge-sundheit. Die Beitragsstabilität ist alsoin der Gesundheitspolitik ein schonlange anerkanntes Ziel. Es geht dochnicht um eine Schikane aller Beteilig-ten.Wir alle haben in den letzten Jahrenschmerzhaft erfahren müssen – unteranderem, weil Sie die Sozialversiche-rungsbeiträge ins Unermeßliche habensteigen lassen –, wie schädlich die ar-beitsmarktpolitischen Folgen sind,wenn die Sozialversicherungsbeiträgenicht stabil gehalten werden.

Wir wissen inzwischen – das kön-nen Sie nicht leugnen –, daß wir die So-zialversicherungsbeiträge senken müs-sen. Diese Anforderung stellen wir andie Gesundheitsreform noch nicht ein-mal. Wir wollen zunächst einmal nurstabile Beitragssätze, weil wir wissen,daß auch das Gesundheitswesen ein ar-beitsmarktpolitisch sensibler Bereichist. Deswegen müssen wir diesen Mit-telkurs fahren. Allen, die mit Blick aufdie Arbeitsplätze im Gesundheitswesenmeinen, man müsse die Beitragssätzesteigen lassen, will ich sagen: Dies wäreein Eigenton. Dies würde auf dem Um-weg über die Lohnnebenkosten wiederzu einer Belastung derjenigen führen,die dies fordern. Wir wollen auch, daßim Rahmen des Globalbudgets die Gel-der zwischen den Sektoren flexiblereingesetzt werden können. Jetzt sagenalle: Das ist uns zu riskant; wir fürchtenuns vor dem, was bei den Verhandlun-gen herauskommt; wir glauben, daß dieKassen alles diktieren werden. – Heißtdas im Klartext, daß Sie bei sektoralenBudgets bleiben wollen? Ich dachte, diewären immer kritisiert worden. Es istdoch in der Gesundheitspolitik eine ur-alte Debatte, daß gerade die strengeTrennung der finanziellen Sektoren da-zu führt, daß die Leistungen die Sekto-rengrenzen nicht überwinden können.Wir müssen auf der Finanzierungsseitedieselbe Flexibilität haben, die wir inder alltäglichen Arbeit, der Zusammen-arbeit von den Beschäftigten im Ge-sundheitswesen wollen. Deshalb brau-chen wir dieses Globalbudget.

Lassen Sie mich abschließend nochauf das Argument der Arbeitsplätze

nung nicht, daß diese Kritik eine per-sönliche Dimension bekommt. Vor al-len Dingen geht es nicht, daß die Aus-einandersetzung, die sich aufgrund derunterschiedlichen Interessen in derGesundheitspolitik ergibt, auf demRücken von Patientinnen und Patientenausgetragen wird.

Ich denke, daß die Behandlung eineskranken Menschen der ungeeigneteZeitpunkt und der ungeeignete Ort ist,um über politische Differenzen zusprechen.

Ich erwarte, daß das von allen Beteilig-ten respektiert wird, und ich erwarteauch, daß es nicht zu Verunsicherungs-kampagnen kommt. Wir werden überdie Details dessen, was wir vorgelegthaben, noch viel zu reden haben, und eswird dafür reichlich Gelegenheit geben.Ich bin trotzdem ganz sicher, daß aucham Ende dieses Diskussionsprozessessich an den Grundlinien nichts geän-dert haben wird.

Denn Patientennähe, Kooperation,hohe Qualität und Wirtschaftlichkeitsind einfach die Gebote der Stunde beieiner modernen Gesundheitspolitik.

Andrea Fischer (*1960)Bündnis 90/ Die GrünenBundesministerin für Gesundheit

eingehen, da man dies sehr ernst neh-men muß. Ich will noch einmal daraufhinweisen: Bei einer Steigerung derGrundlohnsumme kommt jedes Jahrmehr Geld in das System. Es handeltsich hier nicht darum, daß weniger aus-gegeben wird; hier wird nicht gekürzt,vielmehr wird der Zuwachs der Ausga-ben begrenzt. Deswegen sind einige derkursierenden Zahlen zu der Frage, wieviele Arbeitsplätze abgebaut werdenwürden, völlig überdimensioniert undhaben überhaupt nichts mit der Realitätzu tun. Ich habe es eben schon einmalgesagt: Wenn wir zu Lasten der Beiträgeim Rahmen des Systems der gesetzli-chen Krankenversicherung eine expan-sive Gesundheitspolitik betreiben, wirduns das arbeitsmarktpolitisch über dienegativen Folgen der höheren Lohnne-benkosten wieder einholen.

Wachstumsmarkt

Selbstverständlich ist der Gesundheits-markt ein Wachstumsmarkt, aber die-ses Wachstum muß sich nicht aus-schließlich im Bereich der gesetzlichenKrankenversicherung abspielen. Wirhaben uns entschieden – und das schonvor sehr langer Zeit – daß wir im Rah-men der gesetzlichen Krankenversiche-rung nur das Notwendige, Ausreichen-de, Zweckmäßige und das, was wirt-schaftlich vertretbar ist, vorsehen wol-len. Das Wachstum findet sehr stark inden Bereichen statt, die darüber hin-ausgehen. Dabei geht es – das wissenwir alle – um Wellness, Fitneß, um Ku-ren, die jenseits dessen liegen, was me-dizinisch unbedingt notwendig ist. Hierliegen die großen Wachstumspotentia-le. Die Forderung dieses Wachstumspo-tential ausschließlich im Rahmen dergesetzlichen Krankenversicherung aus-zuschöpfen, geht in die Irre.

Ich will zum Abschluß Folgendessagen: Die heutige Lesung ist ja die er-ste Lesung. Das heißt, wir haben ein gu-tes halbes Jahr vor uns, in dem über die-sen Gesetzesentwurf weiter debattiertwird. Ich stelle mich dieser Kritik, undich weiche ihr nicht aus. Ich denke, ichhabe das in den letzten Wochen hinrei-chend bewiesen. Ich finde, es ist nor-mal, daß in einer Demokratie die Men-schen unterschiedlicher Meinung seinkönnen. Aber es geht nach meiner Mei-

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Tabelle 1

Gesundheitskosten international.Gesamtausgaben in %der Wirtschaftsleistung (BIP)

USA 13,6Deutschland 10,5Frankreich 9,8Niederlande 8,6Schweden 8,6Österreich 8,0Italien 7,8Dänemark 7,6Spanien 7,4Japan 7,2Großbritanien 6,9Luxemburg 6,8

Ausgewählte Länder, Stand 1998Quelle OECD