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1 Der PISA-Schock. Über die Zukunft von Bildung und Wissenschaft im Land der "Kulturnation" Heiner Barz 1. PISA-Event und Sputnik-Schock Die Veröffentlichung der PISA-Studie zum Jahreswechsel 2001/2002 markiert einen Ein- schnitt in der bundesrepublikanischen Bildungspolitik. Ähnlich wie es in den 60er Jahren durch Dahrendorfs „Bildung ist Bürgerrecht“ und Pichts „Die Deutsche Bildungskatastrophezu einer Aufbruchsstimmung im Bildungswesen, zu einer intensiven öffentlichen Debatte und zu bildungspolitisch weitreichenden Weichenstellungen gekommen war, ereignet sich „seit PISA“ ein bildungspolitischer Umbruch von beachtlichem Ausmaß. Natürlich waren auch Dahrendorf und Picht nicht die alleinigen Verursacher der Bildungsreformen und der Bil- dungsexpansion der 60er und 70er Jahre aber ihre zunächst als Artikel in Zeitschriften ver- öffentlichten Thesen brachten den Zeitgeist auf den Punkt und präzisierten entscheidende Ar- gumente zur demokratietheoretischen und bildungsökonomischen Unterfütterung der pädago- gischen Diskussion. Analog dazu liefert PISA der neueren Bildungspolitik die Argumente Kritiker meinen: den Vorwand für die zunehmende Ausrichtung an Effizienz und Employability, für die zunehmende Standardisierung und Internationalisierung. Gleichzeitig geben die von der OECD koordinierten PISA-Studien mit ihrem am Grundbildungskonzept orientierten Kompetenzmodell ein neues, im Vergleich zum neuhumanistischen Bildungsideal geradezu epochal neues Bildungsverständnis vor und beanspruchen, mit ihrer Vorgehenswei- se ein transnational valides Testinstrumentarium prototypisch zu implementieren. Ohne dass ich heute hier näher auf die PISA-Studie eingehen kann, möchte ich doch einige Eckpunkte kurz in Erinnerung rufen. PISA testet in Abständen von jeweils drei Jahren viele zigtausende Schüler der teilnehmenden Länder, zuletzt (2009) waren das 66 Staaten. Anders als andere internationale Schulleistungsstudien wird dabei bewusst nicht auf eine lehrplanbe- zogene Validität anhand eines Abgleichs mit den nationalen Curricula Bezug genommen. PISA beansprucht lehrplan- und klassenstufenunabhängig Basiskompetenzen zu erfassen. Deshalb ist für die Stichprobenziehung auch nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klassenstufe entscheidend PISA testet vielmehr die 15jährigen, unabhängig davon, ob sie in die 8., 9. oder 10. oder eine noch höhere oder niedrigere Klassen gehen. Einbezogen werden

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Der PISA-Schock.

Über die Zukunft von Bildung und Wissenschaft im Land der "Kulturnation"

Heiner Barz

1. PISA-Event und Sputnik-Schock

Die Veröffentlichung der PISA-Studie zum Jahreswechsel 2001/2002 markiert einen Ein-

schnitt in der bundesrepublikanischen Bildungspolitik. Ähnlich wie es in den 60er Jahren

durch Dahrendorfs „Bildung ist Bürgerrecht“ und Pichts „Die Deutsche Bildungskatastrophe“

zu einer Aufbruchsstimmung im Bildungswesen, zu einer intensiven öffentlichen Debatte und

zu bildungspolitisch weitreichenden Weichenstellungen gekommen war, ereignet sich „seit

PISA“ ein bildungspolitischer Umbruch von beachtlichem Ausmaß. Natürlich waren auch

Dahrendorf und Picht nicht die alleinigen Verursacher der Bildungsreformen und der Bil-

dungsexpansion der 60er und 70er Jahre – aber ihre zunächst als Artikel in Zeitschriften ver-

öffentlichten Thesen brachten den Zeitgeist auf den Punkt und präzisierten entscheidende Ar-

gumente zur demokratietheoretischen und bildungsökonomischen Unterfütterung der pädago-

gischen Diskussion. Analog dazu liefert PISA der neueren Bildungspolitik die Argumente –

Kritiker meinen: den Vorwand – für die zunehmende Ausrichtung an Effizienz und

Employability, für die zunehmende Standardisierung und Internationalisierung. Gleichzeitig

geben die von der OECD koordinierten PISA-Studien mit ihrem am Grundbildungskonzept

orientierten Kompetenzmodell ein neues, im Vergleich zum neuhumanistischen Bildungsideal

geradezu epochal neues Bildungsverständnis vor und beanspruchen, mit ihrer Vorgehenswei-

se ein transnational valides Testinstrumentarium prototypisch zu implementieren.

Ohne dass ich heute hier näher auf die PISA-Studie eingehen kann, möchte ich doch einige

Eckpunkte kurz in Erinnerung rufen. PISA testet in Abständen von jeweils drei Jahren viele

zigtausende Schüler der teilnehmenden Länder, zuletzt (2009) waren das 66 Staaten. Anders

als andere internationale Schulleistungsstudien wird dabei bewusst nicht auf eine lehrplanbe-

zogene Validität anhand eines Abgleichs mit den nationalen Curricula Bezug genommen.

PISA beansprucht lehrplan- und klassenstufenunabhängig Basiskompetenzen zu erfassen.

Deshalb ist für die Stichprobenziehung auch nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten

Klassenstufe entscheidend – PISA testet vielmehr die 15jährigen, unabhängig davon, ob sie in

die 8., 9. oder 10. oder eine noch höhere oder niedrigere Klassen gehen. Einbezogen werden

2

sollen, das schreiben die PISA-Regularien vor, in jedem teilnehmenden Land Schüler aus

allen vorhandenen Schulformen in repräsentativer Verteilung. In den Testaufgaben stehen vor

allem drei Kompetenzbereiche im Mittelpunkt: Lesefähigkeit, Mathematik und naturwissen-

schaftliche Grundbildung. Pro Erhebungswelle stellt jeweils ein Kompetenzbereich den

Schwerpunkt. In der jüngsten, d.h. nach 2000, 2003, 2006 vierten PISA-Erhebung, deren Er-

gebnisse vor wenigen Wochen Anfang Dezember 2010 veröffentlicht wurden, wiederholt sich

also die Lesekompetenz als Schwerpunktsetzung.

Die erste PISA-Studie wurde im Jahr 2000 durchgeführt. Zum Jahreswechsel 2001/2002

brach dann mit der Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Schock über die Deutschen

herein. Was war geschehen? Die deutschen Schüler belegten in den verschiedenen internatio-

nalen Kompetenz-Rankings nur einen mittleren Platz, meist sogar einen Platz im unteren Mit-

telfeld. Leistungsspreizung wie kaum irgendwo sonst, hohe Anteile von Risikoschülern, de-

nen nicht einmal die unterste von Kompetenzstufe, sondern gleichsam die Kompetenzstufe 0

attestiert wurde. Die Koppelung von sozialer Herkunft und den gemessenen Leistungsdefizi-

ten war dabei in kaum einem anderen Land so deutlich wie in Deutschland. Schließlich trat

die Kluft zwischen Schülern mit Migrationshintergrund und Schülern ohne Migrationshinter-

grund massiv zutage. Die skandinavischen Länder, allen voran Finnland und ostasiatische

Staaten wie Japan oder Korea, bildeten dagegen die Spitzengruppe. Deutschland war entsetzt.

„Sind deutsche Schüler doof?“ titelte Der Spiegel1 und die PISA-Studie, die Suche nach Ur-

sachen und Gegenmaßnahmen beherrschte monatelang die Schlagzeilen und Titelblätter der

Magazine. Finnland wurde zum gelobten Land der Bildungspolitik und Lehrerverbände. Fin-

nische Schulen wurden zum Ziel zahlloser Pilgerreisen deutscher Delegationen und Experten-

gremien auf der Suche nach dem Geheimrezept für das unerwartet gute Abschneiden des

Landes der Mitternachtssonne. Später wird man sagen, der PISA-Schock hätte eine ähnlich

aufrüttelnde Wirkung gehabt, wie in den 50er Jahren der Sputnik-Schock.

Randbemerkungen zu beliebten Fehldeutungen

Über die Deutung der PISA-Ergebnisse hat es eine vieldimensionale und teilweise heftige

Auseinandersetzung gegeben. Interessanterweise sind sogar die führenden PISA-Forscher

selbst in wichtigen Fragen uneinig. Jedenfalls gehen die Ergebnisanalysen und die daraus re-

sultierenden Veränderungsvorschläge des „PISA-Erfinders“ und internationalen PISA-

Koordinators Andreas Schleicher öfters in eine andere Richtung als die der Verantwortlichen 1 Der Spiegel, „Sind Deutsche Schüler doof?“, http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-2001-50.html.

3

für die PISA-Studie in der BRD.2 Obwohl keine Seite wirklich Deutungshoheit beanspruchen

kann, lassen sich doch Punkte benennen, die als eindeutige Fehldeutungen zu qualifizieren

sind. Beispiel 1: Der vermeintliche Aufwärtstrend in den Naturwissenschaften bei PISA 2006,

von den verantwortlichen Bildungspolitikern gerne als Erfolg ihrer Reformbemühungen ver-

bucht, lässt sich einfach darauf zurückführen, dass die Testaufgaben im naturwissenschaftli-

chen Bereich bei dieser Studie breiter angelegt waren und besser zu dem stark ökologisch und

von umweltbezogenen Fragen geprägten Unterricht in Deutschland passten.3

Beispiel 2: Die Glorifizierung von Finnland als Paradebeispiel erfolgreicher Bildungspolitik

par excellence, das in allen Bereichen beispielgebend sei, lässt sich spätestens dann nicht

mehr halten, wenn man sich die gerade auch für die deutsche Situation äußerst relevante Di-

mension der Integration von Migrantenkindern im Bildungssystem näher ansieht. Kennzeich-

nend für Finnland ist nicht nur ein äußerst geringer Anteil von Schülern mit Migrationshinter-

grund; kennzeichnend ist obendrein, dass Migrantenkinder in Finnland im Vergleich zu Kin-

dern ohne Migrationshintergrund in Finnland sehr viel schlechter abschneiden. Josef Kraus

(2005) weist darauf hin, dass der Rückstand von ausländischen Kindern im OECD-

Durchschnitt 36 Punkte hinter dem jeweiligen nationalen Mittelwert liegt, in Finnland jedoch

einen Abstand von 68 Punkten erreicht. Der Rückstand von Migrantenkindern in Deutschland

beträgt demgegenüber „nur“ 40 Punkte. 4

Beispiel 3: Das deutlich schlechtere Abschneiden von Jugendlichen mit Migrationshinter-

grund der zweiten Generation gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund der ersten

Generation bei PISA 2003 in Deutschland wurde vielfach als Beleg für die schlechtere Integ-

ration der jüngeren Generationen im Vergleich zu deren Elterngenerationen gedeutet. Passend

zum Stichwort „Parallelgesellschaft“ wurde dieser Befund als Indiz einer misslungenen schu-

lischen Anpassung gelesen. Dabei wurde allerdings die Zusammensetzung der

Migrantengruppen völlig außer Acht gelassen: In der sog. ersten Generation sind indessen

mehr Kinder von Spätaussiedlern und in der zweiten Generation mehr Kinder von Arbeits-

migranten vertreten.5 Betrachtet man diese Migrantengruppen, wie es statistisch geboten ist,

2 Vgl. Interview mit Andreas Schleicher (PISA-Koordinator der OECD) und Manfred Prenzel (PISA-

Koordinator der BRD), Pisa gegen Pisa, in: Die Zeit vom 17.2.2005, http://www.zeit.de/2005/08/C-Interview.

3 Vgl. Richard Münch, Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von

PISA, McKinsey & Co, Frankfurt a.M. 2009. „Der Test misst also weniger die tatsächlichen Kompetenzen der

Schüler, als vielmehr die Nähe seiner eigenen Fragen zu nationalen Lehrplänen und Unterrichtskonzepten.“

(Ebd., 44).

4 Josef Kraus, Der PISA-Schwindel. Unsere Kinder sind besser als ihr Ruf, Wien 2005.

5 Vgl. Petra Stanat/Michael Segeritz, Migrationsbezogene Indikatoren für eine Bildungsberichterstattung, in:

Rudolf Tippelt (Hg.), Steuerung durch Indikatoren, Opladen 2009, 141-156.

4

getrennt, dann „erzielt die zweite Generation erwartungsgemäß bessere Leistungen als die

erste Generation.“6

2. Was hat sich seit bzw. durch PISA geändert?

Es liegt eine gewisse Ironie in der Beobachtung, dass den Kultus- und Schulministerien der

Bundesländer im Zuge des PISA-Geschehens recht unterschiedliche Rollen7 zukommen.

Einmal waren sie die Verursacher, oder wenigstens Mitverursacher, da sie im Rahmen der

KMK die Beteiligung Deutschlands an der OECD-Studie beschlossen hatten. Zweitens sind

sie konzeptionell vorgesehene Nutzer, da Steuerungswissen entsteht, das ihnen zwecks An-

passung und Innovation des Bildungssystems zur Verfügung steht. Schließlich sind sie aber

auch Betroffene aufgrund des Legitimations- und Handlungsdrucks durch die nicht erwartete

massive öffentliche Rezeption.

Kerstin Martens und Klaus Dieter Wolf haben in einer Analyse des Prozesses, an dessen Ende

der Beschluss über die Durchführung der PISA-Studie stand, darauf hingewiesen, dass die

nationalen Akteure sich der OECD als supranationaler Organisation ursprünglich bedienten

um nationale Ziele durchzusetzen. Insbesondere sollte die OECD den nationalen Regierungen

helfen, die innenpolitischen Widerstände gegen neue Steuerungsinstrumente in der Bildungs-

politik zu schwächen. Allerdings hatte diese Kompetenzübertragung nicht nur intendierte,

sondern auch nicht intendierte Effekte, die sich gewissermaßen gegenüber ihren Initiatoren

verselbständigten:

„Die Analyse des PISA-Projekts zeigt, wie und warum die strategische Einbindung der

intergouvernementalen Ebene, die auf eine Manipulation innerstaatlicher Kräfteverhält-

nisse zugunsten nationaler Exekutiven abzielte, auf eine paradoxe Weise auf die Innen-

politik zurückwirkte und in der Folge neuen Governance-Formen und einem Verlust

staatlicher Kontrolle über die Bildungspolitik den Weg ebnete. […] Der grundlegende

Unterschied zwischen der ursprünglichen Beschäftigung der OECD mit Bildungsindika-

toren und PISA bestand darin, dass Erstere – wenn auch aus unterschiedlichen Beweg-

gründen – gezielt von […] Staaten initiiert worden war, während PISA als eine

unintendierte Folge aus einer der OECD aufgezwungenen Beschäftigung mit Bildungs-

indikatoren resultierte. […] Ähnlich unserer Annahme stellt dies auch den Ausgangs-

6 Ebd., 147.

7 Vgl. Klaus-Jürgen Tillmann/Kathrin Dedering/Daniel Kneuper/Christian Kuhlmann/Isa Nessel: PISA als bil-

dungspolitisches Ereignis. Fallstudien in vier Bundesländern. 1. Aufl. Wiesbaden 2008, 19.

5

punkt des auf das Verhältnis zwischen Regierungen und internationalen angewandten

principal-agent-Ansatzes dar, demzufolge principals (in diesem Fall die Regierungen)

gewissen agents (den internationalen Organisationen) begrenzte Kompetenzen übertra-

gen, obwohl sie wissen, dass diese auch eigene Interessen haben können.“8

Wie im berühmten Goethe-Gedicht vom Zauberlehrling wurden die Regierungen die Geister,

die sie bei der OECD geweckt hatten, offenbar in der Folge der PISA-Studien nicht mehr los.

Aber lassen wir einige Eckdaten der Reaktionen auf die erste PISA-Studie, die im Jahr 2000

durchgeführt wurde noch einmal Revue passieren:

Die Öffentlichkeit wurde über die ersten Ergebnisse am 4. Dezember 2001 informiert. Es

folgte die sofortige Verabschiedung eines „Handlungskataloges“ durch die KMK9 mit sieben

Handlungsfeldern:

1. Verbesserung der Sprachkompetenz in unterschiedlichen Feldern

2. Bessere Verzahnung von Vor- und Grundschule, frühzeitige Einschulung

3. Verbesserung der Grundschulbildung (Lesekompetenz, mathematisch-

naturwissenschaftliche Kompetenz)

4. Bessere Förderung bildungsbenachteiligter Kinder

5. Qualitätssicherung durch verbindliche Standards & Evaluation

6. Stärkung der diagnostischen und methodischen Kompetenz der Lehrkräfte

7. Ausbau schulischer und außerschulischer Ganztagsangebote

Man könnte diese Sofort-Agenda ergänzen durch das Handlungsfeld Bildungsmonitoring,

also die regelmäßige Sammlung, Zusammenstellung und Aufbereitung von Indikatoren zum

Bildungswesen, die inzwischen im zweijährigen Turnus als Bildungsbericht unter dem Titel

„Bildung in Deutschland“ von einer „Arbeitsgruppe Bildungsberichterstattung“ vorgelegt

werden, zuletzt 2010, davor 2003 (erste Befunde, gleichsam als Beta-Version), 2006, 2008

mit jeweils anderem Schwerpunktthema (Migration, Übergänge, Demografie).

Ein weiteres Handlungsfeld liegt in der Einführung von Bildungsstandards: 2003 kam es zur

Vorlage konkreter Entwürfe durch die KMK (Bildungsstandards für Deutsch, Mathematik

8 Kerstin Martens/Klaus Dieter Wolf, PISA als trojanisches Pferd: Die Internationalisierung der Bildungspolitik

in der OECD, in: Sebastian Botzem/Jeanette Hofmann/Sigrid Quack/Gunnar Folke Schuppert/Holger Straßheim

(Hgg.), Governance als Prozess. Koordinationsformen im Wandel, Baden-Baden 2009, 357-376; hier: 361.

9 Vgl. Pressemitteilung der KMK vom 6.12.2001, http://www.kmk.org/presse-und-aktuelles/pm2000/pm2001

/296plenarsitzung.html.

6

und 1. Fremdsprache für den mittleren Abschluss). Sie wurden am 4. Dezember 2003 in Bonn

verabschiedet und die Länder wurden verpflichtet, die Bildungsstandards ab Schuljahr

2004/05 als Basis der fachspezifischen Anforderungen zu übernehmen. Weiter wurden im

Jahr 2004 die Bildungsstandards für die Grundschule (Jg. 4) in Deutsch und Mathematik ver-

abschiedet, für den Hauptschulabschluss in Deutsch, Mathematik und Englisch und für den

Mittleren Abschluss in den naturwissenschaftlichen Fächern (verbindlich ab Schuljahr

2005/06). Die Idee der Bildungsstandards sieht dabei eine Umpolung von der Input- zur

Outputsteuerung vor, d.h. es wird weniger der Weg und der Inhalt vorgegeben, der in einzel-

nen Fächern und Schuljahren zu absolvieren ist. Vielmehr wird das Resultat definiert und mit

messbaren Indikatoren verknüpft.

Schließlich ist auch der am 4. Juni 2004 erfolgte Beschluss zur Gründung des von den Län-

dern gemeinsam getragenen „Instituts zu Qualitätsentwicklung im Bildungswesen – Wissen-

schaftliche Einrichtung der Länder“ an der Humboldt-Universität Berlin (u.a. soll hier ein

Aufgabenpool zur Standardüberprüfung entwickelt werden) nicht ohne die Post-PISA-Debatte

denkbar.

Nachdem inzwischen fast 10 Jahre seit der ersten PISA-Publikation vergangen sind, kann man

also durchaus eine starke Dynamik in der Schulpolitik feststellen. Der Ausbau der Ganztags-

schulen durch das 4 Mrd. schwere „Investitionsprogramm Bildung und Betreuung“ (IZBB)

der rot-grünen Bundesregierung, die Einführung von Bildungsstandards, die Etablierung eines

regelmäßigen Bildungsmonitorings, das Zentralabitur, das inzwischen in vielen Bundeslän-

dern etabliert wurde, Lernstandserhebungen und Vergleichsarbeiten, Schulzeitverkürzung mit

„G 8“ (achtjähriges statt neunjähriges Gymnasium), frühe Sprachstandsdiagnostik und

Sprachförderungsprogramme – das sind nur die vielleicht prominentesten Stichworte zu den

seither eingeführten Neuerungen. Ebenso ist der Hochschulbereich im Umbau begriffen, ver-

anlasst und vorangetrieben vor allem durch den sog. Bologna-Prozess und die Umstellung der

Hochschulpolitik auf Akkreditierung statt Genehmigung von Studiengängen oder die sog.

Exzellenzinitiative. Studiengebühren, Bildungsgutscheine und „Bildungsgipfel“ stellen ein

Novum in der bundesrepublikanischen Bildungsentwicklung dar. Nicht zuletzt soll der sog. U

3-Bereich (frühkindliche Bildung und Betreuung für die unter 3-jährigen) quantitativ und qua-

litativ stark ausgebaut werden.

Im Folgenden will ich kursorisch auf Hintergründe, Umsetzungen und Auswirkungen dieser

Maßnahmen eingehen. Dabei sollen auch die Argumente von Skeptikern und Kritikern zur

7

Sprache kommen, für die die bereits initiierten Veränderungen entweder nicht weit genug

oder sogar in die völlig falsche Richtung gehen.

3. PISA-Müdigkeit und PISA-Kritik

Ob die bildungspolitische Betriebsamkeit nach PISA sich unter dem Strich freilich als Segen

oder als Fluch für die deutsche Bildungslandschaft ausgewirkt hat, ist noch nicht abschließend

zu beurteilen. Ich werde darauf zurückkommen. Fest steht indessen, dass mit PISA und der

Vorläuferstudie TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) der Globalisie-

rungsprozess unbestreitbar die Schule erreicht hat. Fest steht außerdem, das wurde inzwischen

in etlichen Analysen der PISA-Konzeption und ihres Bildungs- und Kompetenzverständnisses

herausgearbeitet, dass durch die PISA-Dominanz in Bildungsforschung und Bildungspolitik

eine „inhaltliche Neuausrichtung des Bildungsverständnisses von epochalem Charakter“10

auf

den Weg gebracht wurde. Kritiker sprechen sogar von einem Missbrauch von „Bildung“ als

positiv besetztes Signalwort – um etwas ganz anderes, zumindest ein radikal anders akzentu-

iertes Verständnis dessen, was Schule und Ausbildung leisten sollten, zu implementieren.

Indem die PISA-Forscher Bildungsdefizite von und Bildungsbenachteiligung sprechen, ma-

chen sie sich die gerade in Deutschland in Richtung auf ein humanistisches Persönlichkeits-

ideal gehenden Konnotationen des Bildungsbegriffs zunutze. Unter der Hand jedoch meinen

sie etwas ganz anderes.11

Auch findet sich in den PISA-Publikationen ein fast inflationärer Gebrauch des Konstrukts

„Literacy“, was man als Lesefähigkeit oder Lesekompetenz übersetzen kann. Damit ist aber

bei PISA nur gemeint: Wissen aus Texten entnehmen. Leseverständnis im Sinne von Informa-

tionslesen, Gebrauchsanweisungen verstehen, Busfahrpläne entziffern. Oder auch „Lesen um

zu Lernen“.12

Soweit sich Einblick in die Aufgaben nehmen lässt – das PISA-Konsortium

veröffentlicht nur Beispielaufgaben, also ähnliche Aufgaben wie die tatsächlich verwendeten

Aufgaben, um diese für die weitere Verwendung nicht zu verbrennen – ermittelten Kritiker,

dass nur 12% literarische Texte eingesetzt werden. Literarische Texte, ein auf Hermeneutik,

Selbstverständigung oder Welterkenntnis zielendes Erschließen von künstlerischen Dimensi-

onen ist nicht Gegenstand von PISA: „Spezifisch ästhetische Leseweisen kommen im PISA-

10

Rudolf Messner, PISA und Allgemeinbildung, in: Zeitschrift für Pädagogik 3 (2003), 400-412; hier: 401. 11

Ebd.

12 Daniel Müller, Das Bildungsideal der OECD. Zur Kritik der normativen Grundlagen der PISA-Studie, in:

Kieler Berichte – Neue Folge, Beiträge aus dem Institut für Pädagogik 13 (2006), 11.

8

Lesetest nicht vor“.13

Damit wird ein Ausschnitt, nämlich die sachlogische Literacy als Gan-

zes der schulischen Bildung missverstanden bzw. ausgegeben. Mit der Beschränkung auf die

drei Kompetenzbereiche erfolgt eine systematische Ausklammerung von Geschichte, Sprache,

Ästhetik und Kritikfähigkeit.

Der PISA-Kritiker Messner bilanziert demzufolge in seinem Aufsatz „PISA und Allgemein-

bildung“ schon 2003, dass mit PISA eine „„kulturrevolutionäre„ Neuakzentuierung schuli-

scher Bildung [erfolge]. An die Stelle bisher in schulischen Bildungskontexten – wenigstens

ideell – dominierenden sprachlich-literarisch-ästhetischen Intellektualität (die eigentliche

‚Literalität„), tritt unter dem Zeichen des davon entliehenen Namens (‚Literacy„) nun eine

sachstrukturell-kognitive Intelligenz.“14

Diese Kritik am Bildungsverständnis, das problematische Verkürzungen aufweist, ist inzwi-

schen vielfach aufgegriffen, präzisiert und weiter detailliert worden.

Die neue Bezugnahme auf den Kompetenzbegriff anstelle des Bildungsbegriffs wird bei-

spielsweise in der an meinem Institut von Tabea Raidt vorgelegten Dissertation nachgezeich-

net.15

Dass das bildungspolitische „Wording“ sich grundsätzlich verändert hat, wird in einem

eingehenden Vergleich der baden-württembergischen Bildungspläne von 1994 und 2004 be-

sonders deutlich. Tabea Raidt zeigt etwa am Beispiel einer detaillierten Analyse der Lehr-

planangaben zu Musik in der Grundschule16

auch die Problematik der angesprochenen Ent-

wicklung. Die Problematik nämlich, dass die jüngeren Fortschritte der Bildungspolitik in Sa-

chen Qualitätssicherung, Orientierung an Effizienz und anwendungsbezogenen Kompetenz-

modellen durchaus janusköpfig sind. Ihnen steht jedenfalls ein Verlust an kultureller Einwur-

zelung und an identitätsstiftender materialer Bildung gegenüber. Im genannten Beispiel zum

Thema „Musik in der Grundschule“ bot der ältere Bildungsplan aus dem Jahr 1994 im Ver-

gleich zu dem des Jahrs 2004 noch deutlich konkretere Hinweise:

„Er enthält den Umgang mit und das Einüben von Liedern, Regeln und Inhalten des

Musizierens, musikalische Begriffe und Zeichen, Verläufe und Strukturen von Musik-

stücken, Stimmbildung und die Fähigkeit zum musikalischen Hören. Zwar werden im

Bildungsplan 2004 Bereiche wie das darstellende Spiel, das Musikhören, die Umset-

13

Messner, PISA und Allgemeinbildung, aaO. (Anm. 10), 403. 14

Messner, PISA und Allgemeinbildung, aaO. (Anm. 10), 407 f.

15 Tabea Raidt, Bildungsreformen nach PISA. Paradigmenwechsel und Wertewandel, Dissertation, Düsseldorf

2010.

16 Ebd., 125 ff.

9

zung von Musik in Bewegung oder Bilder und das Gestalten einer grafischen Partitur in

Niveaukonkretisierungen beschrieben […].

[ABER:] Im Gegensatz zum Bildungsplan 2004 enthält der Bildungsplan 1994 auch das

Wecken von ‚Freude an musikalischer Tätigkeit‟ […] Zwar enthält der Bildungsplan

2004 auch die ‚Freude‟, doch in einer eher funktionalisierenden Form: die Schüler/-

innen sollen ‚aus praktischem musikalischem und künstlerischem Tun Freude und Zu-

versicht in die eigene Leistungsfähigkeit entwickeln‟.“17

Musikalische Bildung, Musik Hören und Verstehen oder sogar Musik selber machen wird im

neuen Lehrplan also verkürzt auf das Mittel zum Zweck der allgemeinen Leistungssteigerung.

Wobei die eigentlich relevanten Leistungsbereiche der Grundschule ja in vielen Bundeslän-

dern schon durch die verbindliche sog. Grundschulempfehlung auf Mathematik und Deutsch

festgelegt sind. [Ich kann mir an dieser Stelle eine kleine Nebenbemerkung nicht versagen:

„Grundschulempfehlung“, dieses Wort ist ein Etikettenschwindel par excellence insofern es

sich de facto um eine Zuweisung der Kinder am Ende der 4. Klasse auf diejenige weiterfüh-

rende Schulform handelt, über die der Notendurchschnitt und die Klassenkonferenz ohne

nennenswerte Berücksichtigung von Elternwünschen entscheidet].

Ob die von PISA geprüften Kompetenzbereiche wirklich entscheidend für die Zukunftsfähig-

keit unserer Nation sind, wird ebenfalls oftmals in Frage gestellt. Weitere Kritik an PISA

wendet sich gegen die millionenschwere „Testeuphorie“, die mittlerweile unter den Bezeich-

nungen Lernstandserhebungen oder Vergleichsarbeiten fast flächendeckend die ganze Schul-

karriere unserer Schüler in allen Schulformen durchziehen. Wenn es denn so wäre, wie PISA

diagnostiziert, dass die Schwäche der deutschen Schüler vor allem im eigenständigen Denken

liege, dann wird jedenfalls diese Schwäche mit genormten Tests nicht beseitigt sondern viel-

mehr perpetuiert. Statt die vielversprechenden Ansätze der Schulreformdiskussion der 90er

Jahre, nämlich Deregulierung und Schulautonomie fortzusetzen, führt die Testwelle zu mehr

Zentralisierung und Erstarrung in einer Fixierung auf die immer engmaschigeren, genormten

schriftlichen Prüfungen (wohlgemerkt: ohne dass damit das Abitur zwischen Bremen und

Bayern vergleichbar würde!). „Teaching for Testing“ ist das Resultat – eine nichtintendierte

Nebenwirkung, die gleichwohl am Beispiel des US-amerikanischen Bildungssystems, das sich

schon früher auf diesen Weg machte, gut dokumentiert ist. Dort18

finden sich jedenfalls viele

17

Ebd., 126.

18 Vgl. Georg Lind, Amerika als Vorbild? Erwünschte und unerwünschte Folgen von Tests, in: Pädagogik 10

(2010), 40-45.

10

Analysen die den „Kollateralschaden“ (collateral damage) durch eine forciert einseitige Test-

kultur auf die Art des Unterrichtens und der Schülerrekrutierung längst genau rekonstruieren.

Viele Kritiker fordern dann auch statt kurzatmigem Output-Denken, geduldig an nachhaltigen

Schulreformen zu arbeiten. Statt Ranking und Benchmarking sei didaktische Neubesinnung

notwendig. Schulinterne Evaluationsprojekte sind wichtiger als großflächige Leistungsver-

gleiche.

4. Blick zurück: Bildungsreform, Bildungsexpansion, Bildungsstagnation, Bildungshype

Jede Generation hat ihre Vorbilder, ihre Helden und ihre Mythen. Das gilt auch für Generati-

onen von Bildungsforschern. Weil man in der um Nüchternheit bemühten Welt der Wissen-

schaft schnell Probleme bekommt, wenn man schwer operationalisierbare Begriffe wie My-

thos oder Held verwendet, könnte man es auch vorsichtiger so formulieren, dass jede Genera-

tion von Bildungsexperten Themen hat, die sie mit Vorliebe bearbeitet. In den 60er Jahren

erlebte die Bildungsforschung eine erste Blüte im Zusammenhang mit dem Thema Bildungs-

reform.

Während Picht vor allem bildungsökonomisch argumentierte, stand in der ebenfalls äußerst

einflussreichen Buchpublikation von Ralf Dahrendorf „Bildung ist Bürgerrecht“ von 1965 die

Forderung nach Einlösung des Chancengleichheitspostulats im Zentrum. Dahrendorf fasste

die Befunde der damals von ihm mit in Gang gebrachten bildungssoziologischen Forschung

zum Thema Bildungsbenachteiligung zusammen. Aus den nachweisbaren strukturellen Be-

nachteiligungen der Mädchen, der Landbevölkerung, der Katholiken und der Kinder aus unte-

ren sozialen Schichten bzw. aus Arbeiterfamilien resultierte die Forderung nach einer nicht

nur formalen sondern realen Demokratisierung des Bildungssystems, das wirkliche Chancen-

gleichheit zu ermöglichen habe. Als zentrale Intentionen der von diesen beiden Autoren maß-

geblich mit auf den Weg gebrachten Bildungsreform lassen sich die Mobilisierung der „Be-

gabungsreserven“ wegen des wachsenden Qualifikationsbedarfs der modernen Industriege-

sellschaft auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft, die Forderungen nach Demokratisie-

rung und Chancengleichheit, sowie der Abbau frühzeitiger Schülerselektion benennen. Er-

reicht werden sollten diese Ziele u.a. durch die Mitwirkung aller Beteiligten, durch Wissen-

schaftsorientierung in allen Schularten, die Humanisierung des pädagogischen Umgangs und

die Reform der Schulstrukturen durch Integration unterschiedlicher Bildungsgänge. Freilich

arbeitete – wie wir insbesondere nach den neuere Forschungen zum George-Kreis von Ulrich

11

Raulff wissen – ein ganzes Netzwerk von Schulreformern, Bildungspolitikern, Soziologen,

Pädagogen bis hin zu Unternehmensführern und Publizisten an der Umsetzung dieser Ziele.19

In den 70er und 80er Jahren stand dann das Thema Bildungsexpansion ganz oben auf der

Agenda. Die eigentliche Bildungsexpansion begann nach dem Zweiten Weltkrieg: Gymnasien

und höhere Sekundarschulen wurden weiter geöffnet, die Schülerschaft hinsichtlich der sozia-

len Herkunft heterogener, wobei die Determinierung des Bildungsweges durch die Schichtzu-

gehörigkeit zwar abgeschwächt, insbesondere hierzulande jedoch weiter gegeben ist.20

Die

politischen Ziele des Abbaus der Chancenungleichheit sollten realisiert werden durch einen

massiven Ausbau des Bildungswesens und einen deutlichen Anstieg der Bildungsbeteiligung

in allen Bevölkerungsschichten. So kam es zu einer Expansion des Schulwesens in allen Be-

reichen: seit Beginn des Bildungsexpansionsschubs in den 1960ern hat sich die Pflichtschul-

zeit für alle verlängert. Hinsichtlich niedriger und mittlerer Bildungsniveaus wurde Berufsbil-

dung zum Regelfall – entsprechend stieg die Zahl der Absolventen mit qualifiziertem Beruf-

sabschluss. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht stellt sich die Bildungsexpansion als eine kon-

tinuierliche Höherqualifizierung der Bevölkerung dar. Bis in die 1960er Jahre hinein waren

die typischen Erwerbstätigen ungelernte Arbeitskräfte; diese stellten noch in den 1950er-

Jahren mehr als zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung. 2006 bilden sie nur noch ein

kleines, relativ stabil bleibendes Segment des Arbeitsmarktes im Umfang von 19 Prozent der

Deutschen.21

Irgendwann in den 90er Jahren entdeckten Berufsbildungsforscher, dass die gesellschaftliche

Bildungseuphorie gebrochen und der Bildungstanker zum Stillstand gekommen sei – Bil-

dungsstagnation wurde diagnostiziert.22

Denn die Verteilung auf die Schularten bzw. der

Schulabschlüsse hat sich nicht mehr dramatisch geändert. 23

Berufsbildungsforscher weisen auf das Problem hin, dass das zukünftige qualifikationsspezi-

fische Arbeitskräfteangebot mit den Anforderungen des Hochtechnologiestandortes BRD

nicht mehr wird mithalten können. Aufgrund des demografischen Wandels wären dem be-

19

Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2010.

20 Vgl. Rudolf Tippelt, Bildung und sozialer Wandel. Eine Untersuchung von Modernisierungsprozessen am

Beispiel der Bundesrepublik Deutschland seit 1950, Weinheim 1990.

21 Vgl. Statistisches Bundesamt (Hg.), Datenreport 2008. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland,

Bonn 2008, 202.

22 Z.B. Alexander Reinberg/Michael Hummel, Fachkräftemangel bedroht Wettbewerbsfähigkeit der deutschen

Wirtschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage 24 (2004), 3-10.

23 Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Be-

richt mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I, Bielefeld 2008.

12

ständigen Anstieg der Qualifikationsanforderungen nur deutlich besser qualifizierte geburten-

schwache Jahrgänge gewachsen. Diese Höherqualifizierung der jüngeren Generation sei aber

nicht zu erwarten, da „aus der Bildungsexpansion von einst […] zwischenzeitlich in weiten

Teilen Stagnation geworden ist.“ 24

Projektionen weisen auf einen weiteren strukturellen Anstieg der Qualifikationsanforderungen

im Beschäftigungssystem hin, während die Nachfrage nach Arbeitskräften ohne Berufsausbil-

dung voraussichtlich weiterhin abnehmen wird.25

Stagnation an den Schulen: Diese Annahmen erscheinen vor dem Spiegel der demografischen

Entwicklung folgenreich. So kam es von den 60ern bis zu den 90ern im Zusammenhang mit

dem sogenannten „Pillenknick“ nahezu zu einer Halbierung der jüngeren Kohorten. Es ist von

einer weiteren Abnahme bis deutlich unter den Tiefststand der 70er Jahre auszugehen. Zeit-

gleich sank die Zahl der Schulabgänger von 1985 bis 2000 deutlich ab: von 940.000 auf

700.000, davon bei den Abiturienten von 209.000 auf 176.000.26

Der durch die demografische

Entwicklung limitierte Umfang des qualifizierten Arbeitskräftenachwuchses wurde durch die

Bildungsexpansion weitgehend aufgefangen. Da die Bildungsexpansion sich seither nur noch

sehr abgeschwächt fortsetzt ist dieser Ausgleich zukünftig nicht mehr zu erwarten. Die Zahl

der 8.-Klässler am Gymnasium nahm von 30% 1990 auf 33% im Jahr 2005 nur noch gering-

fügig zu. Bei den Realschülern lassen sich sogar leichte Abnahmen verzeichnen (1990: 29%,

2005: 27%).

Stagnation an den Hochschulen: Im Vergleich zu anderen Ländern und gemessen an seinem

wirtschaftlichen Entwicklungsstand hat Deutschland eine ausgesprochen niedrige Quote von

Studierenden und Hochschulabsolventen. Auch diese Quote ist seit den 1980ern kaum ange-

stiegen. 27

Jedenfalls wird der Quasi-Automatismus der Höherentwicklung des Qualifikationsniveaus in

Zweifel gezogen: „Diese Befunde widersprechen einem weit verbreiteten Vorurteil: Jüngere

seien – was die formalen Abschlüsse anbelangt – besser qualifiziert als Ältere. Diese Ein-

24

Alexander Reinberg/Michael Hummel, Zur langfristigen Entwicklung des qualifikationsspezifischen Arbeits-

kräfteangebots und -bedarfs in Deutschland. Empirische Befunde und aktuelle Projektionsergebnisse, in: Mittei-

lungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 35 (2002), 580-600; hier: 580.

25 Vgl. z.B. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), Zukunft von Bil-

dung und Arbeit. Perspektiven von Arbeitskräftebedarf und -angebot bis 2015, in: Materialien zur Bildungspla-

nung und Forschungsförderung 104 (2002).

26 Vgl. Reinberg/Hummel, Arbeitskräfteangebot und -bedarf, aaO. (Anm. 23).

27 Vgl. OECD, Bildung auf einen Blick. OECD-Indikatoren 2003, Paris 2003; Autorengruppe Bildungsberichter-

stattung, Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im

Anschluss an den Sekundarbereich I, Bielefeld 2008.

13

schätzung basiert offensichtlich auf der Vorstellung einer quasi naturwüchsig anhaltenden

Bildungsexpansion. Die Annahme, dass besser qualifizierte jüngere Generationen an die Stel-

le schlechter qualifizierterer älterer treten werden, trifft heute jedoch nicht mehr zu.“28

Quasi zeitgleich begann der bis heute anhaltende Bildungshype mit der Verklärung von Bil-

dung zu einer neuen Erlösungsreligion. Im Zuge der Verschränkung der beiden dominanten

Erfahrungscluster des postsowjetischen Zeitalters, nämlich Globalisie-

rung/Mobilität/Wettbewerb und Qualitätssicherung/Evaluation/Controlling wurde mit tatkräf-

tiger Hilfe der OECD und der von ihr koordinierten PISA-Studien eine gleichsam chiliasti-

sche Bildungsreligion etabliert. Bildung ist die heilige Kuh des jüngsten Zeitalters. Bildung ist

das gesellschaftliche Totem, individuell oft ungeliebt aber allseits geachtet und überall propa-

giert. Unbewiesen aber allseits gefördert. Bildungsausgaben gelten als Zukunftsinvestitionen,

Bildungsgipfel garantieren steigende Bildungsanstrengungen, Bildungseinrichtungen sind von

den aktuellen Kürzungsimperativen der Staatshaushalte ausgenommen, ja ihnen werden sogar

wachsende Zuschüsse in Aussicht gestellt. Welche Kosten, Reibungsverluste und

Hospitalismuseffekte womöglich mit der immer lückenloser curricular domestizierten Welt-

aneignung, mit der immer engmaschiger abgeprüften Lernbulimie verbunden sein können, ist

heute erst wenigen Bildungsskeptikern bewusst.

Neben den Diagnosen und Forderungen zur Hebung des allgemeinen Bildungs- und Qualifi-

kationsniveaus der Bevölkerung, fanden auch immer wieder Ungleichheiten in den Bildungs-

chancen die Aufmerksamkeit der Bildungsforscher. Auch hier lassen sich charakteristische

Veränderungen in den letzten Jahrzehnten erkennen. War es in den 60er Jahren die „katholi-

sche Arbeitertochter vom Lande“, die der Bildungsforschung als Inbegriff der kumulierten

Bildungsbenachteiligung galt, so hat die Bildungsforschung der 2000er Jahre insbesondere die

Schüler männlichen Geschlechts und die Migrantenkinder als neue Bildungsverlierer identifi-

ziert und den „muslimischen Jungen aus der Trabantenstadt“ als symbolische Kunstfigur für

die sozialstrukturelle Beschreibung von Bildungsungleichheiten und für die Initiierung bil-

dungspolitischer Reformbestrebungen entdeckt.

5. Kritische Gegenströmungen mit einem Exkurs zur Ökonomiephobie der deutschen

Kulturnation

28

Reinberg/Hummel, Arbeitskräfteangebot und -bedarf, aaO. (Anm. 23), 594.

14

Unter den Reformgegnern findet man im Wesentlichen drei Gruppen. Von Altphilologen und

Neuhumanisten wird die unverzweckte Persönlichkeitsbildung schmerzlich vermisst, Bildung

sollte - so das Credo - Selbstzweck sein und nicht den Gesetzen des Marktes unterworfen

werden. Spät-Aufklärer und Freunde der Dialektik der Aufklärung sehen die Ideale von Rati-

onalität und Selbstreflexion, von Wissen ohne Anwendungsbezug auf dem Altar der Human-

kapital-Theorie geopfert. Demgegenüber wittert die dritte Gruppe, bestehend aus Altlinken

und Kritikern des Neo-Liberalismus, eine neue Qualität der gezielten Einflussnahme der kapi-

talistischen Klasse und ihrer Schergen, wie Bertelsmann Stiftung und McKinsey & Co.

In der bundesdeutschen Diskussion über die aktuellen Entwicklungen im Bildungssystem

spielen also auch und vor allem Argumente eine wichtige Rolle, die sich mit dem Einfluss

ökonomischer Denkweisen und wirtschaftsnaher Verbände und Stiftungen beschäftigen. Am

einflussreichsten hat vielleicht der Bamberger Soziologe Richard Münch in seinem Buch

„Globale Eliten - lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA,

McKinsey & Co“29

eine ökonomiekritische Sicht vertreten.

Nach meinem Eindruck spiegelt sich hierin das alte Schisma von Geld und Geist – gleichsam

eine deutsche Erbsünde. Insbesondere die Tradition des deutschen Geisteslebens trägt gerade

auch in den Zeiten seiner größten Blüte, also in den Zeiten von Goethe und Schiller, von

Kant, Fichte und Hegel ein geradezu wirtschaftsfernes, wo nicht wirtschaftsfeindliches Ge-

präge. Wer sich mit anspruchsvollen geistigen Problemen, wer sich mit Kunst, Literatur oder

Bildung beschäftigt, hält Fragen des wirtschaftlichen Auskommens für unwichtig und befasst

sich höchstens widerwillig damit. Bestenfalls nebenher geht man einem „Brotberuf“ nach. Die

leicht despektierliche Ausblendung von wirtschaftlichen Aspekten gipfelt oft in einer ostenta-

tiven Abwertung: „Geld ist rund und rollt weg, aber Bildung bleibt” formulierte z.B. Heinrich

Heine (1830).30

Er brachte damit ein Denken auf den Punkt, in dem die Sphäre des Geistes

und die Sphäre der Wirtschaft fast unversöhnliche Gegenwelten darstellen. Die deutsche Bil-

dungsdiskussion ist von mancherlei unnötigen Dichotomien geprägt. Während andere Länder,

etwa Großbritannien, Frankreich oder die skandinavischen Länder seit Anfang der 70er Jahre

– oft mit Unterstützung konservativer Parteien – konsequent auf ein Gesamtschulmodell setz-

ten, liefern sich in der BRD Befürworter und Gegner der Gesamtschule seit 40 Jahren erbitter-

te Grabenkämpfe. Während andere Länder Marketing, Fundraising und Sponsoring auch im

29

Münch, Globale Eliten, lokale Autoritäten, aaO. (Anm. 3).

30 Heinrich Heine, Reisebilder. Dritter Teil. Die Bäder von Lucca. Kap. II. Historisch-kritische

Gesamtausgabe der Werke (7), hrsg. v. Manfred Windfuhr, Hamburg 1986.

15

Bildungsbereich seit langem praktizieren, diskutiert man in Deutschland noch heute, ob die

Freiheit von Forschung und Lehre oder die pädagogische Unabhängigkeit von Schulen durch

Kooperationen mit der Wirtschaft auf dem Spiel stehen. Die Welt der Bildung und die Welt

der Finanzen sind in Deutschland jedenfalls nur sehr schwer zusammenzubringen.

Denn: Es gibt eine gerade in Deutschland bis heute tief verwurzelte Abscheu und oft auch

eine gründliche Ignoranz gegenüber wirtschaftlichem Denken gerade unter Geisteswissen-

schaftlern. Manifestiert z.B. in den „fünf Einsprüchen“ einer Reihe von Erziehungswissen-

schaftlern (Erstunterzeichner: Gruschka, Herrmann, Radtke, Rauin, Ruhloff, Rumpf, Winkler)

aus dem Jahr 2005 unter dem Titel „Das Bildungswesen ist kein Wirtschaftsbetrieb“, der von

über dreihundert Pädagogen und Erziehungswissenschaftler unterzeichnet wurde.31

Auch

wenn in diesen Thesen z.T. durchaus reale Probleme benannt werden, geht der Tenor doch

eindeutig in Richtung auf die Fortschreibung der apodiktischen Frontstellung von Erziehungs-

und Wirtschaftswissenschaft, wenn es etwa heißt:

„Wir wenden uns gegen die Illusionen einer alle politischen Parteien übergreifenden

Bildungspolitik, die das Bildungssystem nach betriebswirtschaftlichen Mustern in den

Griff zu bekommen sucht“ (Wortlaut des 1. Einspruchs).32

Die Suche nach neuen Steuerungsmodellen, weil sich die überkommenen Strukturen als inef-

fizient und unflexibel erwiesen haben, wird hier in Bausch und Bogen abgelehnt und damit

einem Strukturkonservativismus das Wort geredet, in dem der Staat als Transfermassen-

Umverteiler fungiert. Qua staatlicher Machtvollkommenheit sollen dem Wirtschaftskreislauf

Ressourcen entzogen und für Bildung und Unterricht verwendet werden. Obwohl sprachlicher

Duktus und imperialer Gestus der Apologeten der Ökonomisierungskritik nicht eben Beschei-

denheit signalisieren, bleiben die Analysen in Bezug auf konkrete wirtschaftliche Gestaltungs-

fragen im Bildungsbereich merkwürdig einsilbig. Letztlich mündet alles in die Formel: Vater

Staat soll‟s richten.

Während man andernorts die Umstellung von einer marktersetzenden oder -korrigierenden

auf eine marktvorbereitende und -schaffende Politik diskutiert und die Bedeutungszunahme

wirtschaftlicher Kategorien unumkehrbar scheint, fordern nicht wenige, die in Bildungsein-

31

Andreas Gruschka/Ulrich Herrmann/Frank-Olaf Radtke/Uwe Rauin/Jörg Ruhloff/Horst Rumpf/Michael Wink-

ler, Das Bildungswesen ist kein Wirtschaftsbetrieb! Fünf Einsprüche gegen die technokratische Umsteuerung des

Bildungswesens, wiederabgedruckt in: Ursula Frost (Hg.), Unternehmen Bildung. Die Frankfurter Einsprüche

und kontroverse Positionen zur aktuellen Bildungsreform, Sonderheft zur Vierteljahrsschrift für wissenschaftli-

che Pädagogik (2006), 12-19. 32

Ebd.

16

richtungen arbeiten oder die sich als Intellektuelle zu stellvertretendem Protest aufgerufen

fühlen, den Erhalt ineffizienter überkommender Strukturen. Ökonomisierung wird hier oft

zum Synonym für Entdemokratisierung und entfremdeten Kapitalismus33

:

Generell sehen diejenigen, denen es um eine Stigmatisierung ökonomischer Rationalität geht,

„die Gefahr, dass die Orientierung an wissenschaftlichem Wissen hinter privatwirtschaftliche

Partikularinteressen zurücktritt“.34

Als Ursache und Movens für die sog. Ökonomisierung sieht etwa Radke weniger die Wirt-

schaft sondern „ein strategisches Projekt der Politik selbst“.35

Luhmanns Systemtheorie, Fou-

caults Analysen der Gouvernementalität und andere anspruchsvolle Referenzrahmen werden

herangezogen um das Bildungswesen gegenüber Veränderungen zu immunisieren. Die alte

Universität wird zur heilen Welt, die durch die bösen Unternehmensberater bedroht ist. Die

alte universitäre Verwaltungsbürokratie wird zur „Dienerin der Professoren“ – wohingegen

„unter dem Regime von McKinsey & Co“ die eigentliche akademische Lehre leidet und statt-

dessen „ein umfangreiches Angebot an Sprache-, Kommunikations- und Trainingskursen zur

Selbstvermarktung“36

eingeführt wird. Selbst die kameralistische Buchführung erscheint ge-

genüber den Zumutungen der neuen Kosten- und Leistungsrechnung, gegenüber schlimmen

Dingen wie „Humankapital“, „Bildungsmarkt“ oder „Käufer und Verkäufer“ im milden Glanz

verklärter Vergangenheit. Wenngleich vor allem in den einschlägigen Fach- und Standesorga-

nisationen derartige Positionen viel Gehör finden, werden sie nicht von allen geteilt, die sich

aus bildungssoziologischer oder erziehungswissenschaftlicher Perspektive mit dem „New

Public Management“ beschäftigen. Den Vorwurf der Ökonomisierung weist beispielsweise

Heinz-Elmar Tenorth scharf zurück:

„Gefangen in den alten Formeln, zeigen sich die Kritiker blind gegenüber der tatsächli-

chen Praxis und den Möglichkeiten der aktuellen Bildungsreform; vereint in einem selt-

samen Bündnis der alten Privilegierten, vor allem in den Universitäten, mit denjenigen,

die sich in ihrem gemütlichen Alltag aufgeschreckt finden, wozu Evaluation ohne Zwei-

33 Vgl. Ingrid Lohmann/Rainer Rilling (Hgg.), Die verkaufte Bildung. Kritik und Kontroversen zur

Kommerzialisierung von Schule, Weiterbildung, Erziehung und Wissenschaften, Opladen 2002; Heiner Keupp,

Die Zerstörung der deutschen Universität und der Schule. Oder: Über die Ökonomisierung der Bildung, in: PÄD

Forum: unterrichten erziehen 3 (2008), 152-159. 34

Andrea Liesner, Bildungsökonomie – Gefahren aus bildungskritischer Sicht, in: Gerhard Mertens/Ursula

Frost/Winfried Böhm (Hgg.), Handbuch der Erziehungswissenschaft Bd. 1, Paderborn 2008, 909-917; hier: 914.

35 Frank-Olaf Radke, Ökonomisierung, in: Sabine Andresen/Rita Casale/Thomas Gabriel/Rebekka Horla-

cher/Sabina Larcher Klee/Jürgen Oelkers (Hgg), Handwörterbuch Erziehungswissenschaft, Weinheim 2009,

621-636; hier: 625.

36 Richard Münch, Unternehmen Universität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 45 (2009), 10-16; hier: 11; 13.

17

fel beiträgt, machen sie sich zum Wortführer einer Politik, die den notwendigen Umbau

unseres Bildungssystems hemmt.“37

Einschlägige Expertisen, Gutachten oder programmatische Konzepte stammen denn auch

zumeist aus Nachbardisziplinen wie der Bildungsökonomie, dem Bildungsrecht oder aus der

Bildungspolitik. Die Erziehungswissenschaft kann indessen die Befassung mit Themen an der

Schnittstelle zur Ökonomie nicht weiter

a. ausblenden, d.h. so tun, als hätte man damit nichts zu tun

b. verteufeln, d.h. die Ökonomisierung bejammern oder attackieren

c. ausschließlich anderen überlassen.

Es ist an der Zeit, dass das Thema der Bildungsfinanzierung seinen Platz auf der Agenda er-

ziehungswissenschaftlicher Diskussionen findet. Die Relevanz von Methoden und Instrumen-

ten, die ihren angestammten Platz in den Wirtschaftswissenschaften haben, wurde inzwischen

ja vielfach entdeckt. Inzwischen gibt es endlich auch im deutschsprachigen Raum für eigent-

lich alle Bildungsbereiche eine intensivierte erziehungswissenschaftliche Debatte um Bil-

dungscontrolling, Qualitätssicherung oder auch um Bildungsmanagement und Bildungsmar-

keting. Diese Interfaces zwischen Erziehungswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft be-

kommen der pädagogischen Diskussion durchaus gut – weil sie viele Fragen versachlichen

helfen.

Auch wenn es lange gedauert hat: in den letzen Jahren bewegt sich etwas: Expertenkommissi-

onen, Gutachten, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Parteien und ihre Stiftungen widmen

sich der Frage, wie die Finanzströme im Bildungssystem eigentlich aussehen. Man hat be-

merkt, dass es nicht ausreicht, nur immer neu höhere Bildungsbudgets zu fordern. Die Dis-

kussion hat sich ausdifferenziert, insofern die Stimmen derjenigen, die auf chronische Unter-

finanzierung in allen Bildungsbereichen hinweisen, heute ergänzt werden durch kritische

Einwände der Bildungsökonomik, die nachzuweisen bestrebt ist, dass die Verteilungsmecha-

nismen mindestens genauso wichtig sind wie die schiere Höhe der Budgets. Begrifflichkeiten,

die vor 10 Jahren noch kaum einer kannte, werden zum Standardvokabular in Bildungspolitik

und Bildungsmanagement: Anreizsysteme, Leistungsorientierte Mittelvergabe, Zielvereinba-

rungen, Innovationsfonds etc.

37 Heinz-Elmar Tenorth, Milchmädchenrechnung. Warum der Vorwurf der Ökonomisierung des Bildungswe-

sens falsch ist, in: Die Zeit 41 (2005), 89.

18

6. Praktische Gegenströmungen: Reformschulbewegung und Projekte kultureller Bil-

dung

6.1 Reformpädagogik

Reformpädagogische Konzepte scheinen heute gleichzeitig in der Defensive wie in der Offen-

sive. Gemessen am aktuellen Mainstream der bildungspolitischen Diskussion, der seit Jahren

eindeutig und nachhaltig von PISA, von flächendeckenden Lernstandserhebungen und ein-

heitlichen Bildungsstandards, von Leistungssteigerung und Verkürzung der Schulzeit domi-

niert wird, befinden sich Ansätze etwa der Montessoripädagogik oder der Waldorfschulen

deutlich im Hintertreffen. Dem stehen das seit Jahren steigende Angebot an Privatschulen und

die deutliche Zunahme der Schülerzahlen gegenüber; seit Mitte der 90er Jahre hat die Zahl

der Privatschüler um knapp 50% zugenommen. Neben der Reformpädagogik alter Prägung

tauchen inzwischen auch neue Akteure als Schulträger auf: Die Phorms Management AG mit

dem erklärten Ziel, mit Bildung Geld zu verdienen (Berlin, München, Frankfurt a.M., Köln).

Der Sudbury-Ansatz, berühmtestes Beispiel die Hamburger Schulgründung mit Beteiligung

der deutschen Pop-Ikone Nena. Vielerorts kommen Kinder aus den „Waldkindergärten“ ins

schulpflichtige Alter und „aktive Naturschulen“ werden gegründet.

In der Erziehungswissenschaft war nach einer Phase aktiver Sympathie verbunden mit promi-

nenten Namen wie Flitner, Nohl oder Röhrs ein deutlich zurückgenommenes Interesse an re-

formpädagogischen Ansätzen zu verzeichnen. Kennzeichnend waren seit den 80er Jahren eher

dekonstruktivistische Bemühungen in Richtung Entmystifizierung, Ideologiekritik oder Ab-

schied vom romantischen Kindbild (Oelkers, Tenorth, Ullrich). Erst in jüngster Zeit finden

sich indessen nennenswerte Versuche, Schulwirklichkeit und Bildungserfolg der reformpäda-

gogisch geprägten Einrichtungen mit dem Instrumentarium der empirischen Sozialforschung

zu überprüfen. Neben einem aktuellen DFG-Projekt zu „Lehrer-Schüler-Beziehungen an

Waldorfschulen“38

liegt eine neue Studie zu „Bildung und Lebensgestaltung ehemaliger Wal-

dorfschüler“39

vor. Auch zu den Bildungskulturen von Montessori-40

und Jena-Plan-Schulen41

38

Heiner Ullrich/Bernhard Stelmaszyk/Davina Höblich/Gunther Graßhoff/Dana Jung: Autorität und Schule. Die

empirische Rekonstruktion der Klassenlehrer-Schüler-Beziehung an Waldorfschulen. Wiesbaden 2007

39 Heiner Barz/Dirk Randoll: Absolventen von Waldorfschulen. Eine empirische Studie zu Bildung und Lebens-

gestaltung. Wiesbaden 2007.

40 Vgl. Harald Ludwig: Montessori-Pädagogik im Spiegel aktueller empirischer Forschung. Vortrag beim Kon-

gress der DGfE in Dresden am 18. März 2008. Online verfügbar unter:

http://www.waldorf-absolventen.de/files/Ludwig_Emp_Waldorfpaed.pdf

41 Hans Günter Lambrich: Soziale Beziehungen als Grundlage für soziales Lernen. Fallstudie in einer

Jenaplanschule. In: Heiner Ulrich/Till Sebastian Idel/Katharina Kunze (Hrsg.): Das Andere Erforschen. Empiri-

sche Impulse aus Reform- und Alternativschulen. Wiesbaden 2004. S. 79-92

19

entstanden in den letzten Jahren empirische Forschungsarbeiten. Und ich bin auch sicher, dass

die Reformpädagogik ihre jüngste Krise, verbunden mit den Namen Odenwaldschule und

Hartmut von Hentig, ohne dauerhaften Schaden überstehen wird – auch wenn manche Kriti-

ker wie Jürgen Oelkers sie gerne ganz von der Bildfläche verschwinden sehen würden.

6.2 Kulturelle Bildung an Schulen

„Wer viel Theater spielt wird gut in Mathematik“ (Enja Riegel) - „You can change your life

in a dance class” (Royston Maldoom). Mit derartiger Programmatik versuchen Anhänger der

kulturellen Bildung – fast ein bisschen verzweifelt – eine Brücke zu bauen, um ihr Anliegen

PISA-konform zu formulieren. Und somit in Zeiten, in denen die Quartilsabstände von Kom-

petenzstufen, Employability und Soft Skills die Rhetorik der Bildungsdebatten dominieren,

eher defensiv darauf hinzuweisen, dass das Musische, Künstlerische, Kunsthandwerkliche

doch nicht ganz aus der Schule verschwinden dürfe. Elemente praxisorientierter kultureller

Bildung, zum Beispiel musische Fächer wie Tanz oder Gesang fristen an den Schulen schon

länger ein Schattendasein. In den letzten Jahren lassen sich zwei gegenläufige Tendenzen

feststellen: Einerseits werden die Freiräume für echte Kulturprojekte in den Schulen durch die

Fixierung auf die vermeintlichen Kerncurricula immer enger. Andererseits wird der Aspekt

der kulturellen Bildung verstärkt diskutiert – auch als eine mögliche Antwort auf die deut-

schen PISA-Ergebnisse. „Auf Bildungsseite hat der PISA-Schock dazu geführt, Standards zu

überdenken und neue Wege der Förderung von Kreativität und Zukunftsfähigkeit zu suchen.

Hier muss sich die kulturelle Kinder- und Jugendbildung einbringen. Sie verfügt über wert-

volle Potentiale, Kreativität und zukunftsfähige Kompetenzen zu vermitteln.“42

Tanz- und

Gesangsprojekte mit Jugendlichen im schulischen Rahmen werden weniger als Selbstzweck

sondern verstärkt auch als Mittel zu Persönlichkeitsbildung gesehen. „Die Entwicklung von

kommunikativer Kompetenz und Kreativität von Kindern und Jugendlichen ist ein wichtiges

Element der Zukunftsgestaltung.“43

Nicht zuletzt wird in musische Schulfächer die Hoffnung

gelegt, dass diese Transferwirkungen auf eine allgemeine Verbesserung von schulischen Leis-

tungen haben könnten. Bisher gibt es aber erst wenige empirische Studien zur Wirksamkeit

von musischen und kulturellen Projekten mit schulpädagogischem Hintergrund. Brauchen wir

42

KMK, Empfehlung der KMK zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung. Beschluss der KMK vom

01.02.2007, Bonn, http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2007/2007_02_01-

Empfehlung-Jugendbildung.pdf.

43 Deutscher Städtetag, Kommunale Positionen zur Bildungsreform, Positionspapier des Deutschen Städtetages,

Köln 2006, http://www.staedtetag.de/imperia/md/content/veranstalt/2007/51.pdf.

20

kulturelle Bildung in der Schule als Bestandteil eines umfassenden Bildungsverständnisses?

Kann Gesangs- und Instrumentalunterricht gemäß der vieldiskutierten These „Mozart macht

schlau“ als Mittel zur Ausbildung von Schlüsselqualifikationen dienen? Sollte er das über-

haupt? Derartige Fragen versuchen wir in Begleitforschungsprojekten zu „Jedem Kind seine

Stimme“ (JeKiSti, Neuss) und „Take-off. Junger Tanz. Tanzplan Düsseldorf“ (Tanzhaus

NRW) zu bearbeiten.

7. Fazit

In einer Bilanz der gegenwärtigen Situation der bildungspolitischen Diskussion kann man

nicht unbedingt nur vom Wünschbaren ausgehen. Genauso relevant sind die Tendenzen, deren

Fortführung man fürchten muss. In diesem Sinne werden die folgenden Szenarien in Befürch-

tungen, Hoffnungen und realistische Erwartungen gegliedert.

Zukunft 1: Was man fürchten muss

a) Das Gesamtschulthema bleibt in Deutschland verbrannte Erde, sogar in der kleinen Lö-

sung als 6jährige Grundschule wird sie es schwer haben – nachdem die schwarz-grüne

Koalition in Hamburg im Jahr 2010 daran spektakulär gescheitert ist. Eher schon in der

Version der Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen zu Sekundarschulen, Mittel-

schulen, Regionalschulen könnte sich der Trend einer Art „Gesamtschule light“ fortset-

zen, der sich in Deutschland in den letzten 10, 20 Jahren verstärkt beobachten lässt.

b) Der Bildungs- und Kulturföderalismus bleibt uns erhalten. Die Föderalismusreform von

2006 hat jedenfalls am grundlegenden Dilemma der 16 unterschiedlichen Bildungssys-

teme nichts geändert – und so bleibt der Umzug einer Familie mit schulpflichtigen Kin-

dern in ein anderes Bundesland nach wie vor mit unkalkulierbaren Risiken behaftet.

Entgegen ihrem Anspruch auf klarere Kompetenzgrenzen ist darüber hinaus auch nach

der Reform der föderalen Gewaltenteilung für den Normalbürger noch immer kaum

nachvollziehbar, wo und wann der Bund dann doch auch in Bildungsfragen mitregieren

darf (Beispiele: .

Zukunft 2: Was man hoffen kann

a) Es finden sich schon heute Stimmen, die eine unreflektierte Bildungseuphorie zu relati-

vieren suchen. So spricht etwa der Soziologe Wolfgang Sofsky vom „Größenwahn der

21

Pädagogen“ und fragt, warum Bildung heute maßlos überschätzt wird.44

„Dazu passt,

dass unsere Gesellschaft Bildung und Elite nicht mehr in eins setzt. „Schauen Sie„, wi-

dersprach der Kulturtheoretiker Boris Groys kürzlich in der ‚Süddeutschen Zeitung„

dem kulturbeflissenen Interviewer, ‚Fussballer, Rapper und Models gehören zum Bei-

spiel auch zur Elite. Sie verdienen viel Geld und haben ein Elitebewusstsein.„ Man kön-

ne sich, so Groys weiter, ‚leicht eine Gesellschaft vorstellen, in der die Elite ausschließ-

lich aus Ungebildeten besteht. Bildung kostet sehr viel Zeit und Kraft. Sie lenkt eigent-

lich vom Erfolg ab.„“45

b) Zu hoffen ist ebenfalls, dass die vorsichtigen Ansätze zur Schulautonomie, zur selbstbe-

stimmten Steuerungsmöglichkeit für Bildungseinrichtungen sich in die Zukunft hinein

fortsetzen. Es gibt aus der international vergleichenden Schulforschung jedenfalls Hin-

weise46

, dass hierin ein zentraler Schlüssel für ein leistungsfähiges Schulsystem liegen

könnte.

Zukunft 3: Was man erwarten darf. Welche Zukunftsszenarien sind also realistisch?

a) In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat es in der BRD einen quantitativen und qualita-

tiven Ausbau des privaten Sektors des Bildungswesens gegeben. Der Anteil der Schüler

an privaten Schulen ist gestiegen und innerhalb der privaten Schulen machen zwar die

katholischen Schulen noch immer den größten Anteil aus – aber die Neugründungen

kommen stärker aus dem Bereich der klassischen Reformpädagogik (Montessori, Wal-

dorf) oder aus dem Feld der Freien Alternativschulen.

b) Auch dürfte es zu einem weiteren Vordringen ökonomischer Konzepte in Bildungsein-

richtungen und in die Bildungssteuerung kommen: Bildungscontrolling, Bildungsmar-

keting, Bildungsökonomie werden sich als mehr und mehr selbstverständliche Bestand-

teile des Schulwesens und der Bildungsdiskussion etablieren. Da die Verbindung von

wirtschaftlichen Kategorien und pädagogischen Ambitionen gerade in Deutschland im-

mer wieder strittig ist, möchte ich hierzu eine abschließende Bemerkung machen.

44

Vgl. Wolfgang Sofsky, Größenwahn der Pädagogen. Warum Bildung heute maßlos überschätzt wird, in: Die

Welt vom 24.10.2008, http://www.welt.de/kultur/article2616826/Warum-Bildung-heute-masslos-ueberschaetzt-

wird.html.

45 Joachim Güntner, Flache Lektüren für digitale Gehirne, in: Neue Zürcher Zeitung vom 7.12.2009,

http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/flache_lektueren_fuer_digitale_gehirne_1.4121007.html.

46 Vgl. Ludger Wößmann: Familiärer Hintergrund, Schulsystem und Schülerleistungen im internationalen Ver-

gleich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 21-22. 33-38.

22

Es wird darauf ankommen, dass den Akteuren des Bildungsdiskurses klar ist: Die ökonomi-

sche Betrachtungsweise kann die pädagogische nicht ersetzen. Die ökonomische Sicht ist aber

mehr und mehr zu einem unverzichtbaren Korrektiv der pädagogischen geworden. Beide Per-

spektiven schließen sich streng genommen aus – weil ihre Begrifflichkeiten, ihre Denkansätze

und Erfolgsmaßstäbe gänzlich unterschiedlichen Referenzsystemen entstammen. Aber beide

Perspektiven ergeben zusammen genommen erst ein vollständiges Bild des Bildungs- und

Erziehungssystems. Das erinnert an den Welle-Teilchen-Dualismus in der Physik – wo man

nach jahrhundertelangen ideologielastigen Auseinandersetzungen sich inzwischen auch mit

einer Art friedlicher Koexistenz der unvereinbaren Theoriemodelle arrangiert hat. Auch Goe-

thes Farbenlehre mit ihrer phänomenologischen Betrachtung der Wirkung der Farben auf‟s

Gemüt („Taten und Leiden des Lichts“) wurde mittlerweile von prominenten Physikern als

notwendige Ergänzung von Frequenzmessung und Spektralanalyse rehabilitiert.47

Licht und

Farbwahrnehmungen sind nicht bloß mit physikalischen Messgeräten beschreibbare und in

Datensätzen abbildbare Phänomene. Licht und Farbe sind aber ebenso wenig nur in den

menschlichen Gemütsregungen real. Also nicht: Entweder oder. Sondern: Sowohl als auch!

Ein kreativer Kopf der Wissenschaftstheorie, Paul Feyerabend, hat daraus vor ca. 25 Jahren

die sog. Inkommensurabilitätsthese entwickelt, die besagt, dass widerstreitende Erklärungs-

modelle sich bisweilen nicht nur gegenseitig ausschließen sondern sich gegenseitig erst zu

einem vollständigeren Bild der Wirklichkeit ergänzen.48

Je nach Fragestellung kann es ange-

messen sein, einmal der Teilchentheorie und einmal der Wellen-Theorie den Vorzug zu ge-

ben. Welle-Teilchen-Dualismus heißt das deshalb in der jüngeren Physik. Also auch nicht:

entweder Newton oder Goethe – sondern fallweise: Newton und Goethe!49

Vielleicht brau-

chen wir ähnliches in der Bildungsforschung, nämlich einen Ökonomie-Pädagogik-Dualismus

oder eine Inkommensurabilitätsthese für wirtschaftliche und pädagogische Perspektiven auf

Bildung. Nicht entweder Wagenschein oder Wößmann, sondern fallweise Wagenschein oder

Wößmann – um einmal zwei bedeutende Vertreter der pädagogisch-didaktischen bzw. bil-

dungsökonomischen Betrachtungsweise zu nennen. Damit wäre gleichzeitig übergriffigen

Ansprüchen beider Fachkulturen ein Riegel vorgeschoben. Die Wirtschaftswissenschaft kann

zwar berechnen, inwiefern sich Qualitätssicherungssysteme auf die Leistungsfähigkeit eines

47

Z.B. Carl Friedrich Weizsäcker, Einige Begriffe aus Goethes Naturwissenschaft, in: Goethe, Johann Wolfgang

von, Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 13: Naturwissenschaftliche Schriften I, München 1981, 539-555. 48

Vgl. Heiner Barz, Paul Feyerabends pluralistische Wissenschaftstheorie, in: ders, Anthroposophie im Spiegel

von Wissenschaftstheorie und Lebensweltforschung, Weinheim 1994, 83-127. 49

Vgl. Heiner Barz, Goetheanismus als notwendige Ergänzung des naturwissenschaftlichen Paradigmas, in: ders,

Anthroposophie im Spiegel von Wissenschaftstheorie und Lebensweltforschung, Weinheim 1994, 159-163.

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Bildungssystems auswirken – aber sie kann wenig zu einer bildungstheoretischen Neuformu-

lierung der Allgemeinen Didaktik beitragen. Umgekehrt kann die Pädagogik zwar aus neuen

anthropologischen Reflexionen oder – so eher die Tendenz des letzten Jahrzehnts – aus neu-

rowissenschaftlichen Befunden ihr Methodenarsenal neu bestücken – ohne die Überprüfung

an harten Effizienzkriterien bleibt sie aber mehr oder weniger in Glaubenssätzen stecken. In

anderen Worten: Statt Furcht vor feindlicher Übernahme bietet friedliche Koexistenz die

Hoffnung für ein künftig konstruktives Verhältnis von Wirtschaft und Pädagogik.