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37 © 2007 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Mauerwerk 11 (2007), Heft 1 Die bauaufsichtliche Einführung der neuen Windlastnorm DIN 1055-4:2005-03 [1] bringt für viele Gebäudestandorte Wind- lasterhöhungen mit sich, die insbesondere den Nachweis von Schubwänden in Einfamilienreihenhäusern erschweren oder un- möglich machen können. Bemessungsmaßgebend wird hier oft- mals der Randdehnungsnachweis. Der Beitrag beleuchtet die Sonderstellung von Schubscheiben in Einfamilienreihenhäusern und den Hintergrund des Randdehnungsnachweises. In diesem Zusammenhang wird über einen Vorschlag zur Kompensation der Mehrbelastung durch konsequente Anwendung der Lastkom- binationsregeln in DIN 1055-100 [3] berichtet und abschließend eine Bemessungshilfe in Form eines Diagramms vorgestellt. 1 Einleitung Parallel mit der Erarbeitung der Normen des Eurocodes wurde in den 90iger Jahren des letzen Jahrhunderts auch die Umstellung der nationalen Normen des konstruktiven Ingenieurbaus auf das semiprobabilistische Sicherheits- konzept vorangetrieben. Gegenüber dem tradierten globa- len Sicherheitskonzept soll das neue Sicherheitskonzept die Unsicherheiten differenzierter abbilden und somit die Realitätsnähe der Bemessung vergrößern, indem die jewei- lige Streuung direkt ihren Ursachen, d. h. den Einwirkun- gen und den Widerständen getrennt, zugewiesen wird. Gleichzeitig erlauben die sog. Einwirkungskombinationen für die Nachweise der Tragsicherheit die Berücksichtigung der geringeren Wahrscheinlichkeit eines gleichzeitigen Auftretens mehrerer Einwirkungen, während für die Nachweise der Gebrauchstauglichkeit auf diesem Wege unterschiedliche Überschreitungswahrscheinlichkeiten realisiert werden können. Mit der bauaufsichtlichen Einführung von DIN 1053- 100:2006-08 [3] wird auch für den Baustoff Mauerwerk die- se Umstellung abgeschlossen. Auf der Einwirkungsseite hat ebenfalls eine Überarbeitung stattgefunden, welche die in den vergangenen Jahrzehnten gesammelten Erkenntnisse zur Auftretenswahrscheinlichkeit der Einwirkungen berücksichtigt. Für den Mauerwerksbau bedeutend ist vor allem die neue Windlastnorm DIN 1055-4:2005-03, die seit dem 1. Januar 2007 per Stichtagsregelung für das ganze Bundesgebiet Gültigkeit besitzt (Einführung durch die Bundesländer gem. Musterliste der Technischen Bau- bestimmungen [4] s. z.B. für Sachsen [5]). Niederschlag in der neuen Windlastnorm fanden dabei die je nach Standort unterschiedlichen Auftretenswahrscheinlichkeiten (Wie- derkehrperioden) der seit 1938 unveränderten Geschwin- digkeitsdrücke (vgl. Erläuterungen zu DIN 1055-4:1986-08 [6]) sowie differenziertere aerodynamische Beiwerte für einen stark erweiterten Bauformenkatalog. Für den Großteil der Gebäudestandorte in Deutsch- land ergeben sich durch die neue DIN 1055-4:2005-03 höhere Windbeanspruchungen gegenüber DIN 1055-4: 1986-08. Für klassische Mauerwerksbauten mit einer größeren Anzahl aussteifender Wände ist das i.d.R. uner- heblich. Der Nachweis kann zudem entfallen, wenn klar ist, daß das Gebäude ausreichend ausgesteift ist. Dagegen wird der Nachweis bei den sehr häufig gebauten, schmalen Einfamilienreihenhäusern (ERH) teilweise erschwert bzw. in manchen Fällen mit den neuen Windlasten unmöglich gemacht. Charakteristisch für diese Bauform sind der schmale Grundriß und die Aussteifung in Gebäudequer- richtung durch die beiden Treppenhauswände. (Die Fas- saden weisen gewöhnlich so große Öffnungen auf, daß die verbleibenden Wände nur einen sehr geringen Anteil an der Aussteifung der Gebäude haben.) Aufgrund der gerin- gen Länge und der stark exzentrischen Belastung der Aus- steifungswände durch die aufliegenden Deckenplatten bzw. der Auflagerung von (deckengleichen) Unterzügen am inneren Wandende (vgl. Bild 1) wird die Tragfähigkeit oftmals nicht durch ein Erreichen der Schubtragfähigkeit sondern durch den Randdehnungsnachweis bzw. ein Auf- Fachthemen Der Randdehnungsnachweis und seine Anpassung zur konsequenten Anwendung von DIN 1055-100 Jens Hoffmann Peter Schöps DOI: 10.1002/dama.200700306 Bild 1. Vertikale Belastung einer Aussteifungswand in einem Einfamilienreihenhauses (links Schubwand, rechts Schnitt durch ERH) N D N D E H

Der Randdehnungsnachweis und seine Anpassung zur konsequenten Anwendung von DIN 1055-100

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37© 2007 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Mauerwerk 11 (2007), Heft 1

Die bauaufsichtliche Einführung der neuen Windlastnorm DIN 1055-4:2005-03 [1] bringt für viele Gebäudestandorte Wind-lasterhöhungen mit sich, die insbesondere den Nachweis vonSchubwänden in Einfamilienreihenhäusern erschweren oder un-möglich machen können. Bemessungsmaßgebend wird hier oft-mals der Randdehnungsnachweis. Der Beitrag beleuchtet dieSonderstellung von Schubscheiben in Einfamilienreihenhäusernund den Hintergrund des Randdehnungsnachweises. In diesemZusammenhang wird über einen Vorschlag zur Kompensation der Mehrbelastung durch konsequente Anwendung der Lastkom-binationsregeln in DIN 1055-100 [3] berichtet und abschließendeine Bemessungshilfe in Form eines Diagramms vorgestellt.

1 Einleitung

Parallel mit der Erarbeitung der Normen des Eurocodeswurde in den 90iger Jahren des letzen Jahrhunderts auchdie Umstellung der nationalen Normen des konstruktivenIngenieurbaus auf das semiprobabilistische Sicherheits-konzept vorangetrieben. Gegenüber dem tradierten globa-len Sicherheitskonzept soll das neue Sicherheitskonzeptdie Unsicherheiten differenzierter abbilden und somit dieRealitätsnähe der Bemessung vergrößern, indem die jewei-lige Streuung direkt ihren Ursachen, d. h. den Einwirkun-gen und den Widerständen getrennt, zugewiesen wird.Gleichzeitig erlauben die sog. Einwirkungskombinationenfür die Nachweise der Tragsicherheit die Berücksichtigungder geringeren Wahrscheinlichkeit eines gleichzeitigenAuftretens mehrerer Einwirkungen, während für dieNachweise der Gebrauchstauglichkeit auf diesem Wegeunterschiedliche Überschreitungswahrscheinlichkeitenrealisiert werden können.

Mit der bauaufsichtlichen Einführung von DIN 1053-100:2006-08 [3] wird auch für den Baustoff Mauerwerk die-se Umstellung abgeschlossen. Auf der Einwirkungsseite hatebenfalls eine Überarbeitung stattgefunden, welche die inden vergangenen Jahrzehnten gesammelten Erkenntnissezur Auftretenswahrscheinlichkeit der Einwirkungenberücksichtigt. Für den Mauerwerksbau bedeutend ist vorallem die neue Windlastnorm DIN 1055-4:2005-03, die seitdem 1. Januar 2007 per Stichtagsregelung für das ganzeBundesgebiet Gültigkeit besitzt (Einführung durch dieBundesländer gem. Musterliste der Technischen Bau-bestimmungen [4] s. z.B. für Sachsen [5]). Niederschlag inder neuen Windlastnorm fanden dabei die je nach Standortunterschiedlichen Auftretenswahrscheinlichkeiten (Wie-

derkehrperioden) der seit 1938 unveränderten Geschwin-digkeitsdrücke (vgl. Erläuterungen zu DIN 1055-4:1986-08[6]) sowie differenziertere aerodynamische Beiwerte füreinen stark erweiterten Bauformenkatalog.

Für den Großteil der Gebäudestandorte in Deutsch-land ergeben sich durch die neue DIN 1055-4:2005-03höhere Windbeanspruchungen gegenüber DIN 1055-4:1986-08. Für klassische Mauerwerksbauten mit einergrößeren Anzahl aussteifender Wände ist das i.d.R. uner-heblich. Der Nachweis kann zudem entfallen, wenn klarist, daß das Gebäude ausreichend ausgesteift ist. Dagegenwird der Nachweis bei den sehr häufig gebauten, schmalenEinfamilienreihenhäusern (ERH) teilweise erschwert bzw.in manchen Fällen mit den neuen Windlasten unmöglichgemacht. Charakteristisch für diese Bauform sind derschmale Grundriß und die Aussteifung in Gebäudequer-richtung durch die beiden Treppenhauswände. (Die Fas-saden weisen gewöhnlich so große Öffnungen auf, daß dieverbleibenden Wände nur einen sehr geringen Anteil ander Aussteifung der Gebäude haben.) Aufgrund der gerin-gen Länge und der stark exzentrischen Belastung der Aus-steifungswände durch die aufliegenden Deckenplattenbzw. der Auflagerung von (deckengleichen) Unterzügenam inneren Wandende (vgl. Bild 1) wird die Tragfähigkeitoftmals nicht durch ein Erreichen der Schubtragfähigkeitsondern durch den Randdehnungsnachweis bzw. ein Auf-

Fachthemen

Der Randdehnungsnachweis und seine Anpassung zur konsequentenAnwendung von DIN 1055-100

Jens HoffmannPeter Schöps

DOI: 10.1002/dama.200700306

Bild 1. Vertikale Belastung einer Aussteifungswand in einem Einfamilienreihenhauses (links Schubwand, rechtsSchnitt durch ERH)

ND

ND

EH

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reißen des Querschnittes bis zum Schwerpunkt begrenzt.Im Vergleich zu gewöhnlichen Schubwänden spielt hierdie große Exzentrizität der einwirkenden Normalkrafteine dominierende Rolle, zumal es rechnerisch schon unteralleiniger Wirkung der Vertikallasten zu einem Aufreißendes Querschnitts in Scheibenrichtung kommen kann.

2 Der Randdehnungsnachweis

Neben dem Nachweis der Normalkrafttragfähigkeit („Bie-genachweis“) nach DIN 1053-100, Abschn. 8.9.1.2, der auchfür das genauere Verfahren herangezogen wird, ist fürWindscheiben auch der sog. Randdehnungsnachweis zuführen. Der Biegenachweis (Abminderungsfaktor Φ1) istmit dem nach DIN 1053-1 [7] bekannten Randspannungs-nachweis vergleichbar. Der Nachweis der Randdehnung istinhaltlich unverändert in die neue DIN 1053-100 übernom-men worden. Es ist dabei nachzuweisen, daß unterZugrun-delegung eines linear-elastischen Materialverhaltens dieRanddehnung auf der gezogenen Seite der Windscheibeden Wert εR = 10–4 nicht überschreitet. Der Nachweis ist aufGebrauchslastebene, d. h. mit den charakteristischen Wer-ten der Einwirkungen zu führen, weshalb auch von einer li-nearen Spannungsverteilung ausgegangen werden kann.Der Normtext sowie die zugehörige Skizze (s. auch Bild 2)legen dem nachweisführenden Ingenieur nahe, die Rand-dehnung mit Hilfe des Strahlensatzes aus der Stauchungdes gedrückten Scheibenrandes unter Berücksichtigung desAufreißens des Querschnittes zu bestimmen. Der Elasti-zitätsmodul für Mauerwerk darf hierfür zu Ek = 1000 fk an-genommen werden. Es ist offensichtlich, daß dieser Nach-weis nur bei rechnerisch gerissenem Querschnitt maßge-bend werden kann, was gleichbedeutend mit einer Exzentri-zität der resultierenden Normalkraft am Wandfuß e > b / 6ist.

Der Randdehnungsnachweis wird in der Praxis oft-mals als Gebrauchstauglichkeitsnachweis wahrgenom-men, was in DIN 1053-100 durch die Verwendung dercharakteristischen Werte der Einwirkungen noch unter-stützt wird. Zweifelsohne trägt der Nachweis auch zur Si-cherstellung der Gebrauchstauglichkeit von Mauerwerks-bauten bei. Tatsächlich hat der Randdehnungsnachweisaber auch einen Zusammenhang mit den Tragfähigkeits-nachweisen, da er der Sicherstellung des Haftscherver-bundes in der Lagerfuge der Schubwand bei alternieren-

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der Windrichtung dienen soll. Der damalige Obmann vonDIN 1053-1 und -2 schreibt in [8], S. 123, erläuternd dazu:

„... Dieser Grenzwert εR ist so gewählt, dass die übli-che Zugfestigkeit der Lagerfuge – auch wenn sie beimrechnerischen Spannungsnachweis nicht in Rechnung ge-stellt werden darf – noch nicht überschritten ist. Hierausfolgt, daß Bereiche des Querschnitts, die bei einer be-stimmten Windrichtung rechnerisch klaffen, tatsächlichnicht klaffen werden und deshalb bei entgegengesetzterWindrichtung dennoch voll in Rechnung gestellt werdendürfen, sofern sie dann überdrückt sind.“

Unter Berücksichtigung dieses Hintergrundes liegtder Ansatz nahe, im Falle der Maßgeblichkeit des Rand-dehnungsnachweises den Schubnachweis ggf. ohne denAnsatz einer Haftscherfestigkeit erfolgreich zu führen undsomit auf den Randdehnungsnachweis im Sinne der Ge-währleistung der Tragfähigkeit für seltene Bemessungssi-tuationen verzichten zu können. Es wäre dann jedochnoch die Gebrauchstauglichkeit nachzuweisen, was aberdann für eine häufige Bemessungssituation gem. DIN1055-100 erfolgen kann.

Was eine seltene und eine häufige Bemessungssituati-on ist, wird in DIN 1055-100 im Abschnitt 10.1 beschrie-ben, wobei die Teilsicherheitsbeiwerte für die Einwirkun-gen zu 1,0 gesetzt werden:– seltene (charakteristische) Kombinationen

(1)

– häufige Kombinationen

(2)

Ed,rar Bemessungswert einer Beanspruchung aus selte-ner Kombination

Ed,frequ Bemessungswert einer Beanspruchung aus häufi-ger Kombination

E[…] Beanspruchung aus der “Kombination von..“⊕ „in Kombination mit“∑ „Kombination der unabhängigen Einwirkungen

infolge von“Gk,j unabhängige ständige Einwirkung, bestehend aus

einem oder mehreren charakteristischen Wertenständiger Kraft- oder Verformungsgrößen

Qk,1 vorherrschende unabhängige veränderliche Ein-wirkung, bestehend aus einem oder mehreren cha-rakteristischen Werten veränderlicher Kraft- oderVerformungsgrößen

ψ jeweiliger Kombinationsbeiwert zur BestimmungrepräsentativerWerte veränderlicher EinwirkungenIndex 0 Beiwert für Kombinationswerte

veränderlicher EinwirkungenIndex 1 Beiwert für häufige Werte verän-

derlicher EinwirkungenIndex 2 Beiwert für quasi-ständige Werte

veränderlicher EinwirkungenIndex nach zugehörige veränderliche Ein-dem Komma wirkung

E E G Q Qd frequ k jj

k i k ii

, , , , , ,= ⊕ ⋅ ⊕ ⋅⎡

≥ >∑ ∑

11 1 1 2

1

ψ ψ⎣⎣⎢⎢

⎦⎥⎥

E E G Q Qd rar k jj

k i k ii

, , , , ,= ⊕ ⊕ ⋅⎡

⎣⎢⎢

⎦⎥⎥≥ >

∑ ∑1

1 01

ψ

J. Hoffmann, P. Schöps · Der Randdehnungsnachweis und seine Anpassung zur konsequenten Anwendung von DIN 1055-100

Bild 2. Zulässige rechnerische Randdehnung bei Wind-scheiben (entspr. Bild 3 in [3])b Länge der Windscheibe, σDk Kantenpressung auf Basis ei-nes linear-elastischen Stoffgesetze, εDk rechnerische Rand-stauchung, εRk rechnerische Randdehnung

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Bei seltenen Kombinationen dürfen nicht umkehrbare,d. h. bleibende Auswirkungen auftreten. Sofern diese blei-benden Auswirkungen (Verlust der Haftscherfestigkeit)Auswirkungen auf die Tragfähigkeit haben (z. B. durchReduzierung der Schubfestigkeit wegen des Verlustes derHaftscherfestigkeit), ist dies bei der Tragfähigkeit zuberücksichtigen (Abschnitt 10.1von DIN 1055-100, Absatz(4) [2]), beispielsweise durch Nichtansetzen der Haft-scherfestigkeit (s. hierzu auch [9]).

Die beschriebene Vorgehensweise wurde von denMitgliedern des Arbeitsausschuss von DIN 1055-100 dis-kutiert und ein Vorschlag für eine A1-Änderung mit fol-gendem Wortlaut entworfen, der die in DIN 1055-100 ent-haltenen Lastkombinationsregeln konsequent anwendet:

„Bei Exzentrizitäten e > b/6 bzw. e > d/6 werdenrechnerisch klaffende Fugen vorausgesetzt. Bei Wind-scheiben mit e > b/6 ist zusätzlich nachzuweisen, dass dierechnerische Randdehnung aus der Scheibenbeanspru-chung auf der Seite der Klaffung εR = εD · a / c für selteneBemessungssituationen nach DIN 1055-100:2001-03, Ab-schnitt 10.4, Punkt (1a), den Wert εRd = 10–4 nicht über-schreitet (siehe Bild 3). Der Elastizitätsmodul für Mauer-werk darf hierbei zu Ed = Ek = 1000 fk angenommen wer-den. Der Nachweis darf für häufige Bemessungssituatio-nen nach DIN 1055-100:2001-03, Abschnitt 10.4, Punkt(1b) geführt werden, wenn auf den Nachweis der Haft-scherfestigkeit beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeitim Grenzzustand der Tragfähigkeit verzichtet wird.“

Für den praktischen Nachweis bedeutet dieser Ände-rungsvorschlag, daß die gewohnte Nachweisführung unterVerwendung der charakteristischen Werte der Einwirkun-gen (entspricht der seltenen Bemessungssituation imGrenzzustand der Gebrauchstauglichkeit) beibehaltenwerden kann, solange der Nachweis gelingt. Versagt er, istes möglich, den Randdehnungsnachweis mit nur 50 % descharakteristischen Wertes der Windbelastung zu führen(entspricht der häufigen Bemessungssituation im Grenz-zustand der Gebrauchstauglichkeit; ψ1 = 0,5 gem. Tab. A-2von DIN 1055-100Anhang A) und auf den Ansatz derHaftscherfestigkeit (fvk,0 = 0 in Gl. (36) von DIN 1053-100:2006-08) zu verzichten.

Die Schubfestigkeit reduziert sich dann im Fall desReibungsversagens auf den Reibungsanteil aus der Auf-last:

(3)

fvk0 abgeminderte Haftscherfestigkeit nach Tabelle 6der Norm, bei Windscheiben ist der Randdehnungs-nachweis nach DIN 1053-100, Abschnitt 8.9.1.2 zubeachten

μ– abgeminderter Reibungsbeiwert. Mit der Abminde-rung wird der Spannungsverteilung in der Lagerfugelängs des Steines berücksichtigt. Für alle Mörtel-gruppen darf μ– = 0,4 gesetzt werden

σDd Bemessungswert der zugehörigen Druckspannungim untersuchten Lastfall an der Stelle der maxima-len Schubspannung. Für Rechteckquerschnitte giltσDd = NEd / A, dabei ist A der überdrückte Quer-schnitt. Im Regelfall ist die minimale EinwirkungNEd = 1,0 · NGk maßgebend

f fvk vk Dd Dd= + ⋅ = + ⋅,0 0μ σ μ σ

Das trifft sowohl für das vereinfachte als auch das genaue-re Verfahren zu.

Da bei kurzen Schubwänden ohnehin meist dasSteinzugkriterium maßgebend wird, können mit dem Vor-gehen die belastungserhöhenden Auswirkungen von DIN1055-4:2005-07 i. w. kompensiert werden. Gleichzeitigwird der Randdehnungsnachweis nicht vollkommen auf-gehoben, so daß auch bei einer derartigen Handhabungnicht mit einer unbeschränkten Rißbildung in der Lager-fuge gerechnet werden muß. Der Charakter des Randdeh-nungsnachweises ist ein Nachweis im Grenzzustand derGebrauchstauglichkeit mit Auswirkungen auf den Grenz-zustand der Tragfähigkeit, was bei diesem entsprechend zuberücksichtigen ist.

3 Bemessungshilfe

Der Nachweis einer Windscheibe erfordert neben der Prü-fung der Querkrafttragfähigkeit immer die Abarbeitung wei-terer Einzelnachweise, wie den der Randdehnung, der Nor-malkrafttragfähigkeit und der Begrenzung des Klaffens derLagerfuge (Begrenzung der Exzentrizität nach Abschnitt 5.4der DIN 1053-100 auf d/3). An dieser Stelle wird daher eineBemessungshilfe für die Anwendung in Verbindung mitDIN 1053-100 angeboten, mit der diese Einzelnachweise zu-sammengefaßt durchgeführt und das Ergebnis aus einemBemessungsdiagramm abgelesen werden kann. Es muß le-diglich der folgende Algorithmus abgearbeitet werden:

1. Bestimmung des Bemessungswertes der einwirkendenNormalkraft und Überführung in den normierten WertnEd

(4)

NEd Bemessungswert der Normalkraftl Länge der Wandscheibed Wanddickefd Bemessungswert der Mauerwerksdruckfestigkeit

2. Bestimmung der bezogenen Exzentrizität

(5)

e0 Exzentrizität der Normalkraft am Wandkopfh lichte WandhöheVEk charakteristischer Wert der einwirkenden Hori-

zontalkraftγQ Teilsicherheitsbeiwert für den Wind (Gleichung

für γQ = 1,5; 1,0 und ggf. 0,5 auswerten)

3. Vergleich mit Bild 3.a. Liegt die bezogene Exzentrizität für γQ = 1,5 im grau

unterlegten Bereich, sind alle drei Nachweise erfüllt.b. Liegt die bezogene Exzentrizität für γQ = 1,5 ober-

halb der Kurve für den Biegenachweis, ist dieserNachweis nicht erfüllt.

c. Trifft weder a. noch b. zu, dann ist die Prozedur fürγQ = 1,0 zu wiederholen. Liegt dieserWert im grauenBereich, dann sind ebenfalls alle drei Nachweise er-

e

l

e

l

V h

N lEk Q

Ed= +

⋅ ⋅⋅

nN

l d fEdEd

d=

⋅ ⋅

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füllt. Liegt der Wert dagegen oberhalb der Kurve fürdas Klaffen (e/l = 1/3), dann ist dieser Nachweisnicht erfüllt.

d. Sollte der Wert in dem schraffierten Bereich liegen,dann könnte die Tragfähigkeit mit dem Vorschlagzur A1-Änderung und dementsprechend einem Ver-zicht auf den Ansatz einer Haftscherfestigkeit beimNachweis der Querkrafttragfähigkeit geführt wer-den. Der Bemessungspunkt für γQ = 0,5 sollte dannim Diagramm unterhalb der Kurve für die Randdeh-nung liegen.

Die Nachweise sind wie gewohnt sowohl mit der minima-len als auch mit der maximalen Auflast zu führen. Ledig-lich für das Klaffen bis zur Wandmitte genügt der Nach-weis mit der minimalen Auflast. Für den Wandkopf gilt

Der Bemessungspunkt mit dieser Abszisse muß

ebenfalls im grauen Diagrammbereich liegen. Generellsind bei exzentrischer Lasteinleitung am Wandkopf beideLastrichtungen nachzuweisen, da die Nachweise je nachBeanspruchungsrichtung erheblich unterschiedlich aus-fallen können.

e

l

e

l= 0 .

40 Mauerwerk 11 (2007), Heft 1

Der Kurve für die Randdehnung in Bild 3 liegt ein Ela-stizitätsmodul für Mauerwerk von Ek = 1 000 fk zugrunde.

4 Beispiel

Zur Illustration der Bemessungshilfe soll im folgenden ei-ne Wandscheibe (Bild 4) aus Mauerwerk – der Stein-festigkeitsklasse 12, ausgeführt in Mauermörtel der Mör-telgruppe IIa – und den weiteren Eingangswerten nachTabelle 1 und den Belastungen entsprechend Tabelle 2 un-tersucht werden.

Für die maximale Auflast lassen sich alle drei Nach-weise bereits mit einem Teilsicherheitsbeiwert von 1,5 fürdie horizontalen Lasten führen. Unter minimaler Auflastsind zusätzlich die Randdehnung und das Klaffen für denTeilsicherheitsbeiwert 1,0 nachzuweisen. Auf den Nach-weis der Randdehnung unter häufiger Bemessungssituati-on kann verzichtet werden, da er nicht maßgebend wird.Somit darf bei der Schubbemessung auch die Haftscherfe-stigkeit angesetzt werden.

Da die Exzentrizität am Wandkopf mit 0,1 l im grauenBereich des Diagramms liegt, sind hier alle drei Nachwei-se erfüllt.

Zur Verdeutlichung des maßgebenden Nachweisessind in Bild 5 und Bild 6 die normierten Traglastdiagram-me mit den Einzelnachweisen für beide Beanspruchungs-richtungen dargestellt.

Bei einer negativen Exzentrizität von e/l = -0,1 ist zubeachten, daß der Biegenachweis am Wandkopf eine ma-ximale Auflast von nEd = 0,8 ergibt.

Um dem Eindruck entgegenzuwirken, daß durch Ver-zicht auf den Ansatz der Haftscherfestigkeit bei der Be-stimmung der Querkrafttragfähigkeit sich der Randdeh-nungsnachweis gänzlich erübrigt, ist in Bild 7 ein gleichar-tiges Traglastdiagramm für die drei Einzelnachweise beiVerdopplung der Ausmitte der einwirkenden Normalkräf-te am Wandkopf dargestellt.

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Bild 3. Bemessungshilfe für die Nachweise Randdehnung,Biegung und Klaffen

Bild 4. Definitionen für die An-wendung der Bemessungshilfe

Tabelle 2. Beispiel für die Bemessungshilfe

Kenn- NGk NQk NEd VEk eo nEd e/l

größe ψ · γQ

[kN] [kN] [kN] [kN] [m] 1,5 1,0 0,5

max. 80 34,3 159 17,0 –0,25 0,080 0,260 0,207 –0,153

min. 80 0 80 17,0 –0,25 0,040 0,419 0,313 –0,206

max.dto.

–0,25 0,080 0,060 0,007 –0,047

min. –0,25 0,040 0,219 0,113 –0,006

Tabelle 1. Eingangswerte für die Aussteifungswand

h l d fd[m] [m] [m] [N/mm2]

2,5 2,5 0,24 3,33

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41Mauerwerk 11 (2007), Heft 1

Es ist zu sehen, daß sowohl der Biegenachweis als auchder Randdehnungsnachweis maßgebend werden können.Für kleine Auflasten kann auch der Nachweis des Klaffens(Begrenzung der Exzentrizität auf d/3) maßgebend werden.

5 Zusammenfassung

Mit dem vorliegenden Beitrag wurden Herkunft und Hin-tergrund des Randdehnungsnachweises gemäß DIN 1053-1und -100 erläutert. Die Sicherstellung des ungeschädigtenVerbundes führt jedoch bei den heute üblichen kurzen Aus-steifungswänden oft zu Nachweisschwierigkeiten. Bei die-sen Wänden ist die Querkraftbeanspruchung nicht immerdas vorherrschende Problem. Durch die Berücksichtigungder häufigen anstatt der seltenen Bemessungssituation gem.DN 1055-100 bei gleichzeitigem Verzicht auf den Ansatzder Haftscherfestigkeit beim Nachweis der Querkrafttrag-fähigkeit wird heute üblichen Gebäudegeometrien Rech-nung getragen. Einer übermäßigen Rißbildung beugt derRanddehnungsnachweis dennoch bei sehr großen Exzentri-zitäten der einwirkenden Normalkräfte am Wandkopf vor.

Es wurde ferner der Einfluß der Exzentrizität amWandkopf auf die Maßgeblichkeit der zu führendenNachweise verdeutlicht. Abschließend erfolgte die Vor-stellung einer Bemessungshilfe zur Unterstützung derNachweisführung sowie zur Visualisierung der maßgeben-

den Gleichungen. Die praktische Anwendung konnte an-hand eines Beispieles erläutert werden. Mit der vorge-schlagenen Änderung des Randdehnungsnachweises wirdauch in Zukunft das hohe Sicherheitsniveau im deutschenMauerwerksbau erhalten bleiben, wobei gleichzeitig dengegenwärtigen Entwicklungen im Bereich des Eigenheim-baus Rechnung getragen wird und wirtschaftliche Lösun-gen weiterhin ausgeführt werden können.

Literatur[1] DIN 1055-4:2005-03: Einwirkungen auf Tragwerke. Teil 4:

Windlasten. DIN e.V./Beuth Verlag: Berlin 2005.[2] DIN 1055-100:2003-01: Einwirkungen auf Tragwerke. Teil

100: Grundlagen der Tragwerksplanung, Sicherheitskonzeptund Bemessungsregeln. DIN e.V./Beuth Verlag: Berlin 2001.

[3] DIN 1053-100:2006-08: Mauerwerk. Teil 100: Berechnungauf der Grundlage des semiprobabilistischen Sicherheitskon-zepts. DIN e.V./Beuth Verlag: Berlin 2006.

[4] Muster-Liste der Technischen Baubestimmungen – FassungFebruar 2006. Berlin: Deutsches Institut für Bautechnik2006, http://www.dibt.de/de

[5] Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums desInnern über die Liste der eingeführten Technischen Baube-stimmungen (LTB) v. 31.05.06. SächsAmtsblatt, Sonderdruck02/2006.

[6] DIN 1055-4:1986-08: Lastannahmen für Bauten. Teil 4:Verkehrslasten, Windlasten bei nicht schwingungsanfälligenBauwerken. DIN e.V./Beuth Verlag: Berlin 1986.

[7] DIN 1053-1:1996-11: Mauerwerk. Teil 1: Berechnung undAusführung. DIN e.V./Beuth Verlag: Berlin 1996.

[8] Mann, W.: Zahlenbeispiele zur Bemessung von druck- undschubbeanspruchten gemauerten Wänden nach DIN 1053Teil 2. In: Mauerwerk-Kalender 11 (1986), Hrsg. von P. Funk.Ernst & Sohn: Berlin 1986, S. 109-126.

[9] Jäger, W.: Bauaufsichtliche Einführung der DIN 1053-100.Mauerwerk 10 (2006) H. 5, S. 208 – 216.

[10] Graubner, C.-A., Kranzler, T.: Stellungnahme zu den Aus-wirkungen der A1-Ergänzungen zur DIN 1053-100 auf Trag-fähigkeitsnachweis unbewehrter Aussteifungswände ausMauerwerk. Unveröffentlichtes Manuskript. TU Darmstadt,November 2006.

Autoren dieses Beitrages:M.Sc. Jens Hoffmann, Dipl.-Ing. Peter SchöpsTechnische Universität Dresden, Fakultät ArchitekturLehrstuhl für Tragwerksplanung, D-01062 DresdenE-mail: [email protected]

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Bild 5. Bezogene Schubtraglast für e/l = -0,1 und h/l = 1 Bild 7. Bezogene Schubtraglast für e/l = 0,2 und h/l = 1

Bild 6. Bezogene Schubtraglast für e/l = 0,1 und h/l = 1