4
Der Schutzhund Rund 150.000 Mitglieder in den verschiedenen Hundesport- vereinen bilden Hunde zum Schutzhund aus. Diese kleine Broschüre vermittelt einen Einblick in die trieblichen Inhalte dieser Ausbildung und erklärt, warum ausgebildete Hunde in Konfliktsituationen größere Selbstbeherrschung zeigen. Ein Text von Antje Grzeschizek, Johanna Murawski, Ursula Zabel, Dr. Helmut Raiser, Dr. Franz Killmann, Uwe Junker, Dieter Klein, Hans-Heinrich Lohmann, Reinhard Wimann, Werner Zabel und Jürgen Rixen. Auch erhltlich als Videofilm bei www.der-gebrauchshund.de Präsentiert von

Der Schutzhund - s260bc6d4da8f2d87.jimcontent.com...sicherheitsprüfung, bei der sich der Hund gegenüber Autos, Radfahrern und Joggern neutral verhalten muss. Damit die Hunde aber

  • Upload
    others

  • View
    4

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Der Schutzhund - s260bc6d4da8f2d87.jimcontent.com...sicherheitsprüfung, bei der sich der Hund gegenüber Autos, Radfahrern und Joggern neutral verhalten muss. Damit die Hunde aber

DerSchutzhund

Rund 150.000 Mitglieder in den verschiedenen Hundesport-vereinen bilden Hunde zum Schutzhund aus. Diese kleineBroschüre vermittelt einen Einblick in die trieblichen Inhaltedieser Ausbildung und erklärt, warum ausgebildete Hundein Konfliktsituationen größere Selbstbeherrschung zeigen.

Ein Text von Antje Grzeschizek, Johanna Murawski, Ursula Zabel, Dr. Helmut Raiser,Dr. Franz Killmann, Uwe Junker, Dieter Klein, Hans-Heinrich Lohmann, Reinhard Wißmann,Werner Zabel und Jürgen Rixen. Auch erhältlich als Videofilm bei www.der-gebrauchshund.de

Präsentiert von

Page 2: Der Schutzhund - s260bc6d4da8f2d87.jimcontent.com...sicherheitsprüfung, bei der sich der Hund gegenüber Autos, Radfahrern und Joggern neutral verhalten muss. Damit die Hunde aber

Der Gebrauchshund ist ein leistungsfähigerArbeitshund. Er kann aufgrund seiner

Triebqualitäten und seiner Konstitution vom Menschenfür verschiedene Aufgaben ausgebildet und genutztwerden. Der Gebrauchshund ist ein Wert an sich. Ihnund seine genetischen Ressourcen zu erhalten gehörtzur Pflege des Kulturgutes.

Besonders die Schutzhundarbeit mit ihren dreiDisziplinen Fährte, Unterordnung und Schutzdienst isthervorragend geeignet, um durch Ausbildung, Sichtung,Selektion und Zucht einen Hundetyp zu erhalten, der alleEigenschaften eines Gebrauchshundes hat. Hunde, dieSozialverhalten, Intelligenz, Nervenstärke undentsprechende Triebveranlagung haben, um im Sport,aber auch als Diensthund Verwendung zu finden.

Somit gibt es also neben dem eigenen, persönlichen Spaßan der Beschäftigung mit dem Hund und der Fortsetzungder jahrtausendealten Symbiose Mensch/Hund aucheine für die Allgemeinheit nützliche Bedeutung der Schutz-hundprüfung.

Die Fährtenarbeit, bei der ein Hund der Spur einer Personfolgen muss, prüft die Leistungsfähigkeit des Geruchs-organs und auch die Konzentrationsfähigkeit des Hundes.

Bei der Fährtenarbeit erlebt der Hundeführer direktenKontakt mit der Natur und den faszinierenden Fähig-keiten seines Hundes. Bei der Ausbildung muss derHundeführer die Bodenbeschaffenheit, Witterung undWindrichtung berücksichtigen.

In der Unterordnung müssen Hund und HundeführerHarmonie und Teamgeist unter Beweis stellen. Vom Hundwerden hier Lernvermögen, Intelligenz, Konzentrations-fähigkeit, aber auch Sozialverhalten gefordert.

Bis hierhin werden Sie sicherlich der Schutzhundarbeitsehr viel Positives abgewinnen können.Nun gibt es da noch die dritte Disziplin � den sogenannten Schutzdienst. Hier beißt der Hund einenMenschen. Dieses müsste, werden Sie wahrscheinlich

jetzt denken, doch sofort verboten werden. Ein Hundgebraucht anscheinend seine Zähne gegen seinen�Sozialkumpan� � also ist er aggressiv! Muss er nuneingeschläfert und der Halter bestraft werden?

Bitte betrachten Sie den Körperbau eines Hundes einmalbewusst. Zur Fortbewegung hat ein Hund vier Beine,das ist klar. Ebenso klar ist aber auch, dass ein Hundkeine Hände und Arme hat � die Werkzeuge derPrimaten, also auch des Menschen. Der Hund hat alsWerkzeug im Wesentlichen nur seinen Fang und seineZähne zur Verfügung. Mit ihnen durchtrennt er die

Zucht

Ausbildung

Sichtung

Selektion

Höchstleistungen in der Unterordnung erfordern nebendem Ausführen der Hörzeichen Sitz, Platz und Steh unddem Apportieren vorallem Harmonie beim Fuß-gehen.

Eine Hündin trägt einen Welpen zurück zum Wurf.

Was passiert beim Schutzdienst?

Fo

tos:

rgen

Rix

en

Page 3: Der Schutzhund - s260bc6d4da8f2d87.jimcontent.com...sicherheitsprüfung, bei der sich der Hund gegenüber Autos, Radfahrern und Joggern neutral verhalten muss. Damit die Hunde aber

Nabelschnur seiner Nachkommen, pflegt und hegt sie,transportiert Futter zu ihnen, ja trägt sie fort, wenn Gefahrdroht. Mit den Zähnen fängt und tötet er seine Beute,verteidigt sich und seine Nachkommen gegen Feinde.

Wenn wir also ein Urteil über einen Hund, der seineZähne gebraucht, fällen wollen, so müssen wirunbedingt versuchen zu verstehen, was vorher undwährenddessen in seinem Kopf vor sich geht.

Die Mehrzahl aller Verhaltensweisen des Hundes, aberauch des Menschen, lässt sich den vier großenMotivationen zuordnen, die den klassischen Triebenentsprechen. Dies sind:Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung, Angriff, Flucht.

Im Schutzhundbereich haben sich andere Begriffe etabliert:Nahrungsaufnahme (auch die Jagd) = BeuteverhaltenAngriff = AggressionsverhaltenFlucht = MeideverhaltenVerhaltensweisen der Fortpflanzung werden nicht genutzt.

Jeder dieser vier verschiedenen Motivationsbereiche hatspezifische Auslösereize, Verhaltensweisen undTriebziele. Diese werden im Schutzdienst � vomFortpflanzungstrieb abgesehen � gezielt angesprochen,gesteuert und befriedigt.

Der spezifische Reiz für Beuteverhalten � denken Siebitte an ein flüchtendes Kaninchen � ist eine Bewegungweg vom Hund. Ob das Beuteobjekt ein Kaninchen, einBall, ein Stock, der vom Hund apportiert wird, oder derso genannte Schutzdienstärmel ist, macht für dem Hundletztendlich keinen Unterschied. Ein flüchtendes Objektwird verfolgt. Das ist im Verhaltensrepertoire des Hundesso vorprogrammiert. Dieses Verhalten zu zeigen und zutrainieren gehört zum natürlichen Verhaltensrepertoiredes Hundes. Kann er es nicht üben und ausleben, fehltein wesentlicher Teil artgerechter Haltung.

Diese Erkenntnis führt zwangsläufig zu bestimmtenTrainingsmethoden. Für den Schutzhund ist der Ärmelseine Beute, sein Spielzeug, das ihm vom Schutzdienst-helfer regelmäßig überlassen wird und das er am Endedes Trainings vom Übungsplatz tragen darf.

Nun könnte man natürlich auf die Idee kommen, dassdiese Arbeit über den Beutetrieb gefährlich ist, weil derHund lernt, sich bewegende Objekte zu verfolgen.Das könnte ja z. B. auch ein Jogger oder ein weglaufendesKind sein, befürchten viele Laien.

Diese Befürchtung ist aber, wie die Praxis zeigt, unbe-gründet. Denn es treten beim Schutzdiensttraining sehrspezifische verhaltensauslösende Reize auf, die es indieser Form in keiner anderen Situation gibt. Speziell beidem Beuteobjekt �Schutzdienstarm� handelt es sich umeine Attrappe, die im Alltagsgeschehen nicht vorkommt.Ein damit trainierter, wesensfester Hund würde daherniemals zubeißen, wenn etwa ein Kind wegläuft oderseine Arme vor Freude hochwirft.

Schlüsselreize

Hinzu kommt, dass eine Förderung und Nutzung desBeuteverhaltens die natürliche Beißhemmung des Hundesnicht außer Kraft setzt. Der gut sozialisierte Hund verletzteinen Artgenossen nämlich normalerweise sogar währendernsthafter Auseinandersetzungen nicht. Übrigensnutzen z. B auch die Führer von Rettungshunden oderauch Polizisten mit ihren Rauschgiftspürhunden denBeutetrieb � viele sagen auch Spieltrieb � des Hundesfür ihre Arbeit. Der Rauschgiftspürhund z. B. sucht seinBeuteobjekt, welches im Training immer mit einemRauschgift gefüllt wird und so nach der Droge riecht,und wird, wenn er es aufgespürt hat, mit Futter odereinem Spiel belohnt.

Nun stellen sich dem Hund während einer Schutzhund-prüfung auch Widerstände entgegen. Das Verfolgen undFesthalten des Schutzdienstärmels ist eine Beute-handlung. Dies wird ja � wie wir schon festgestellthaben � mit einem Junghund auch so trainiert.In einer Schutzhundprüfung wird dem Hund der Ärmelaber nicht überlassen � er muss ihn loslassen. Einvollkommen normaler biologischer Ablauf ist, dass derHund auf diese Frustration bzw. Konfliktsituation mitaggressivem Verhalten reagiert. Bei einem Menschenwürden wir sagen: Er ärgert sich, ist gefrustet, wird sauer.

Ziel biologisch sinnvoller Aggression ist es nun aberkeineswegs, einen Gegner oder Konkurrenten � in diesemFall den Helfer mit dem Schutzärmel � zu verletzen odergar zu töten. Jedem Lebewesen steht ein ganzes

Ausstattungdes Hundeplatzes

Kleidung des Helfers,Geschlecht (seltenFrauen, nie Kinder!)

Ausstattungdes Hundeplatzes

Kleidung des Helfers,Geschlecht (seltenFrauen, nie Kinder!)

Schutzärmel(Aussehen,Geruch undGeschmack)

Schutzärmel(Aussehen,Geruch undGeschmack)

Verhalten undHörzeichen desHundeführers

Verhalten undHörzeichen desHundeführers

Page 4: Der Schutzhund - s260bc6d4da8f2d87.jimcontent.com...sicherheitsprüfung, bei der sich der Hund gegenüber Autos, Radfahrern und Joggern neutral verhalten muss. Damit die Hunde aber

Repertoire ererbter Verhaltensweisen zur Verfügung, dasaggressive Auseinandersetzung so regelt, dassBeschädigungen der Kontrahenten möglichst vermiedenwerden. So hat der Schwächere die Möglichkeit derDefensive und Flucht. Dem Unterlegenen bietet sich dieMöglichkeit des Beschwichtigungsverhaltens und derUnterwerfung, die, jedem Hundebesitzer bekannt, beiintaktem Instinktverhalten sofortige Beißhemmungbeim Überlegenen auslöst.

Vor allem lehren uns aber die ritualisierten Zweikämpfezwischen vergleichbar starken Konkurrenten, dass esoffenbar in der Evolution � sinnvollerweise � einen hohenSelektionsdruck auf Entwicklungen gegeben hat, dieBeschädigungskämpfe verhindern: Der Sieger wird durchDrohgebärden, Imponiergehabe und, wenn es wirklichdazu kommt, nach strengen Kampfregeln ermittelt.

Auch beim Schutzhund lassen sich Drohgebärden undImponiergehabe beobachten: Das Verbellen des Helfersist z. B. streng reglementiertes Aggressionsverhalten. Dergesamte Schutzdienst ist letztlich nichts anderes als einritualisierter Kampf zwischen Hund und Schutzdienst-helfer um den Ärmel.

Die kulturelle Evolution des Menschen hat hier diebiologische kopiert � in Form ritualisierter Kampfsport-arten verschiedenster Art. Die Erfahrung zeigt übrigens,dass gerade solche Menschen, die in ihrer Freizeit einenbesonders aggressionsbetonten �Zweikampfsport�ausüben (z. B. Boxen und Karate, aber auch Tennis!),ihre aggressiven Energien in �Alltagssituationen� nichtnur besonders gut kontrollieren können, sonderndarüber hinaus auch durch ein vergleichsweise fried-fertiges Verhalten auffallen. In der kontrollierten Schutz-hundausbildung kann man exakt die gleichenPhänomene beobachten.

Eine Ausbildung zum Schutzhund stellt aber noch weitereAnforderungen an das Tier. Es verbleibt nämlich aus denMotivationssystemen noch der dritte Triebbereich: dasMeideverhalten. In Verlauf einer Schutzdienstprüfungmuss der Hundeführer an seinen verbellenden Hundherantreten und ihn mit einem einzigen Hörzeichen dazubringen, vom Aggressionsverhalten ins Meideverhaltenzu wechseln. Der � aus dem Hundesportlerjargonstammende � Begriff Meideverhalten ist der klassischenMotivation Flucht zuzuordnen. Der Hundesportler meintdamit allerdings nicht, dass der Hund sprichwörtlichflüchtet. Mit Meideverhalten meint er, dass der Hund ein� für ihn angenehmes � Verhalten unterlässt.In diesem Fall wird vom Hund verlangt, dass er aus demsehr lustvollen Aggressions- in ein weniger lustbetontesUnterordnungsverhalten wechselt. Er gehorcht � auch indieser Konfliktsituation.

Zusammenfassend kann man also über die Ausbildungeines Schutzhundes sagen, dass die überwiegende Zeitdes Trainings darauf verwandt wird, dem Hund dieWechsel zwischen den Motivationen zu lehren.Die Schutzhundprüfung lässt zwar auch erkennen, obdie Triebbereiche Beute- und Aggressionsverhaltenausreichend vorhanden sind. In erster Linie werden aberGehorsam und die Nervenstärke bzw. Selbstbeherrschungdes Hundes in Belastungssituationen überprüft.

Das ist der auch der Grund, weshalb ausgebildete Schutz-hunde nicht durch Beißunfälle auffällig werden.Unkontrollierbare Hunde haben bei einer Schutzhund-prüfung keine Chance. Sie werden � und so schließt sichder Kreis � nicht in der Zucht eingesetzt.

Nachkommen von Hunden, die eine Schutzhundprüfungerfolgreich absolviert haben, lassen sich vielfältigeinsetzen � sind eben echte Gebrauchshunde. Sie kannman zu Rettungshunden, Drogenspürhunden, Leichen-spürhunden oder Diensthunden zum Wohle des Menschenerfolgreich ausbilden und verwenden.Übrigens: Der Name �Schutzhund� ist ein Überbleibselaus den Anfängen von vor rund 100 Jahren.Heutzutage wird kein Hund von Zvilpersonen zum�Schutzhund� im wahrsten Sinne des Wortes ausgebildet.

Eine der Schutzhundprüfung vorgeschaltete sog.Begleithundprüfung stellt sicher, dass nur solche Hundeeine Schutzhundausbildung beginnen können, dienormales Sozialverhalten, Nervenstärke sowie Gehorsambewiesen haben. Die Begleithundprüfung besteht auseinem reinen Unterordnungsteil und einer Verkehrs-sicherheitsprüfung, bei der sich der Hund gegenüberAutos, Radfahrern und Joggern neutral verhalten muss.

Damit die Hunde aber eine Chance haben, Begleithund-und Schutzhundprüfung zu bestehen, beginnt die Arbeitder Hundesportler mit planvoller Zucht undverantwortungsvoller Sozialisierung der Welpen undJungtiere. Denn was Hänschen nicht lernt �