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Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Institut für Popularmusik Betreuer: Dr. Harald Huber Alwin Miller Der Swing-Klarinetten-Stil am Beispiel von Buster Bailey, Edmond Hall und Artie Shaw Bakkalaureatsarbeit in der Studienrichtung Instrumental(Gesangs)pädagogik Im Rahmen der Lehrveranstaltung Seminar Theorie und Geschichte der Popularmusik 1 Wien, Jänner 2009

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Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Institut für Popularmusik

Betreuer:

Dr. Harald Huber

Alwin Miller Der Swing-Klarinetten-Stil

am Beispiel von Buster Bailey, Edmond Hall und Artie Shaw

Bakkalaureatsarbeit in der Studienrichtung Instrumental(Gesangs)pädagogik Im Rahmen der Lehrveranstaltung

Seminar Theorie und Geschichte der Popularmusik 1

Wien, Jänner 2009

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort Seite 3

1. Methode und Zielsetzung Seite 4

2.1 Biographie Buster Bailey Seite 5

2.2 Analyse: Coquette Seite 7

2.3 Analyse: I Know That You Know Seite 9

3.1 Biographie Edmond Hall Seite 10

3.2 Analyse: Jammin’ in Four Seite 11

3.3 Analyse: I Want To Be Happy Seite 12

4.1 Biographie Artie Shaw Seite 15

4.2 Analyse: Non Stop Flight Seite 16

4.3 Analyse: Rose Room Seite 18

Quellenverzeichnis Seite 21

Anhang A: Komplette Transkriptionen

Anhang B: Lead Sheets

Anhang C: Korrespondenz mit dem Kurator der Artie-Shaw-Sammlung

an der Universität von Arizona

Anhang D: mp3-CD

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Vorwort

Es gibt auf der einen Seite Jazzmusiker, für die der Jazz 1930 aufhört, und auf der

anderen Seite jene, für die der Jazz 1950 beginnt. Diese etwas zugespitzte

Formulierung trifft insofern nicht ganz zu, als dazwischen immerhin die kommerziell

erfolgreichste Phase des Jazz, die Big-Band-Ära, liegt. Wiewohl die "Hits" aus dieser

Phase heute noch geläufig sind, wird die eigenständige improvisatorische

Tonsprache dieser Zeit dieser Tage kaum noch studiert oder gar praktiziert. Ohne

diesen Zustand bewerten zu wollen, war meine persönliche Motivation für die

Erstellung dieser Arbeit deshalb, eine Lanze für diese Tonsprache zu brechen.

Darüber hinaus war es interessant und lehrreich, mich mit einer Reihe großartiger

Klarinettisten auseinanderzusetzen, nicht zuletzt weil ich selber viel und gern

Klarinette spiele.

Ich teile die maßgeblichen Klarinettisten der Swing-Ära gern in drei

„Generationen“ ein. Zunächst sind Edmond Hall, Barney Bigard und Buster Bailey zu

nennen, die um die Jahrhundertwende im Raum New Orleans geboren wurden und

bereits am klassischen New Orleans Jazz mitwirkten, bevor sie in den Swing

„hineinwuchsen“. Dann kommen Artie Shaw, Benny Goodman und Woody Herman

an die Reihe, alle um das Jahr 1910 geboren, die als Big-Band-Leader zeit ihres

Lebens ungeheure Popularität genossen. Zuletzt gibt es mit Buddy DeFranco, Stan

Hasselgard und Jimmy Giuffre eine dritte Generation von Klarinettisten, die ihr

Instrument in den modernen Jazz „einführten“. Eine gesonderte Position in dieser

Aufstellung hat Pee Wee Russell inne, seines Zeichens der wohl wichtigste und

beliebteste Klarinettist der Chicago-Dixieland-Szene.

Nachdem eine Berücksichtigung all dieser Musiker den Rahmen einer

Bakkalaureatsarbeit gesprengt hätte, habe ich mich bei der Recherche auf die Jahre

1935-45 beschränkt und willkürlich drei möglichst verschiedene Klarinettisten

ausgesucht. Zu jedem Klarinettisten gibt es eine kurze musikalische Biografie und

zwei Transkriptionsanalysen. Die Transkriptionen sind gegriffen, nicht klingend notiert

und befinden sich, wie auch Lead Sheets zu den Stücken und die ausgewählten

Aufnahmen selbst, im Anhang.

Wien, Jänner 2009

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1. Methode und Zielsetzung Ich setze bei dem/der LeserIn Grundkenntnisse der Jazztheorie voraus. Um allzu

trockenes Notenkletzeln zu vermeiden, suche ich bei den Analysen nach folgenden

Dingen:

1. Aufbau und Dramaturgie des Solos: Ich versuche festzustellen, wie sich die

Intensität der Musik im Verlauf der Improvisation ändert. Intensität ist hier nicht

als emotionaler Ausdruck zu verstehen, sondern setzt sich aus den

Parametern Länge der Phrase, rhythmische und melodische Aktivität,

Richtung der Phrase (aufwärts bedeutet Spannung), Tonlage bzw. einzelne

Spitzentöne, ungewöhnliche Töne oder Intervalle sowie Vortrag (Phrasierung,

Effekte) zusammen.

2. Melodische Struktur. Vertikale Linien, die sehr von Akkordzerlegungen geprägt

sind, werden gemeinhin mit traditionellem Jazz, lineare Melodieführungen, die

eher von Tonleitern geprägt sind, mit modernem Jazz assoziiert.

3. Tonmaterial: Ich versuche anhand der verwendeten Töne stil – bzw.

personentypische Elemente festzustellen.

Dies ist natürlich nur eine Auswahl der vielen Aspekte, die man in diesem

Zusammenhang gezielt behandeln könnte. Außerdem ist es oft unmöglich

festzustellen, ob eine gewisse Situation absichtlich, versehentlich oder intuitiv

zustande kommt. Weder ist allerdings dies das Ziel dieser Arbeit, noch, verschiedene

Musikerpersönlichkeiten zu vergleichen und gegeneinander aufzuwiegen. Der

Anspruch der Arbeit ist, dem Stil der Swing-Klarinettisten nachzufühlen und jenen an

persönlich wie stilistisch typischen Elementen festzumachen. Dadurch möchte ich

den Swing-Klarinettenstil für Interessierte einfacher zugänglich machen.

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2.1 William C. “Buster” Bailey (1902-1967) Bailey erlebte bereits die Blütezeit des New Orleans Jazz als Klarinettist der ersten

Garnitur: “Buster Bailey had studied extensively with concert-trained musicians while

growing up in Memphis and did not learn to play jazz until he acquired a solid

grounding in technique. One suspects that if the color barrier had not limited his

opportunities, he would have pursued a career on the concert stage rather than in

dance halls and nightclubs…1”. In seiner Jugend spielte der aus Memphis,

Tennessee stammende Afroamerikaner bereits mit W.C. Handys Orchester. 1919

zog er nach Chicago, wo er für Erskine Tate 1923 bei seinen ersten

Plattenaufnahmen mitwirkte und weiters mit King Olivers Creole Jazzband und der

Bluessängerin Bessie Smith arbeitete. Während er in Chicago lebte, nahm er beim

deutschen Klarinettisten Franz Schöpp Unterricht und lernte dort den jungen Benny

Goodman kennen: “Schoepp liked to have the student who was coming in for a

lesson play a few duets with the student who was finishing up, and it was through

such casual interchanges that Benny became acquainted with Buster Bailey and

Jimmie Noone”2. Goodman war voll des Lobes für seinen um eine Generation älteren

Kollegen: “Bailey, he said, ‘[is] unquestionnably the fastest man on his instrument,

and his tone is very good. He is probably the greatest technician of his race3”.

Im Oktober 1924 ging Bailey nach New York, um nach Empfehlung Louis Armstrongs,

der ihn aus ihrer gemeinsamen Zeit mit King Oliver kannte, in Fletcher Hendersons

Orchester zu spielen. Bailey war von 1924 bis 1929 sowie 1934 und von 1935 bis

1937 in Hendersons Ensemble aktiv. Dieses Orchester erwies sich als bahnbrechend

für die Entwicklung vom sogenannten „traditionellen“ Jazz zum Swing: “By the winter

of 1934 the Fletcher Henderson orchestra had reached the end of the line and was

forced to disband. The hellishly ironic thing was that at the time of the breakup it

sounded absolutely wonderful. It was filled with great soloists like Red Allen, Buster

Bailey, Ben Webster and Hilton Jefferson. Charts like “Down South Camp Meting”

and “Wrappin’ It Up” forge together […] all the elements that characterized big band

writing for years to come.4”

1 Firestone, Ross: Swing, Swing, Swing; The Life And Times of Benny Goodman, Seite 26

New York, 1993 2 Firestone, Seite 26 3 Firestone, Seite 27 4 Firestone, Seite 114

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Dazwischen spielte er mit Noble Sissle, Edgar Hayes, der Mills Blue Rhythm Band

sowie Louis Russells Orchester und nahm mit Stuff Smith's Onyx Club Boys auf.

Kurz danach wurde er Teil des Sextetts des Bassisten John Kirby, das als „John

Kirby’s Onyx Club Boys“ bekannt wurde und sich eine Zeit lang großer Beliebtheit

erfreute. Bailey spielte von 1937 bis 1944 und mit Unterbrechungen bis 1947 mit

dieser Gruppe, die nach einer Phase großer Popularität wieder das öffentliche

Interesse verlor. Während dieser Zeit wirkte er überdies an verschiedenen All-Stars-

Aufnahmen, unter anderem mit Red Allen, J. C. Higginbotham, Miff Mole, Johhny

Guarnieri, Wild Bill Davison, oder Art Hodes mit.

Nach dem Zerfall der Onyx Club Boys spielte Bailey mit Wilbur de Paris (1946 bis

1949), Red Allen (1950 bis 1952), Big Chief Moore (1952 bis 1953), zwischendurch

bei einer Progy & Bess- Produktion im Orchester, schließlich ab 1954 wiederum mit

Allen, der lange Zeit das „Metropole Hotel“ in New York bespielte. Ab 1957 arbeite er

in der Henderson Reunion Band unter dem Kornettisten Rex Stewart, von 1961 bis

1963 spielte er wieder mit Wild Bill Davison, und 1963 bis 1964 mit den "Saints and

Sinners". Bailey verbrachte seine letzten Lebensjahre mit Louis Armstrongs All

Stars.5

Buster Bailey war in vielen verschiedenen musikalischen Umfeldern unterwegs. Am

Anfang seiner Karriere stand W. C. Handy, der den Blues populär machte, und der

originäre New Orleans Jazz unter King Oliver. Mit Fletcher Henderson erlebte er den

Übergang vom Dixieland zum Swing hautnah mit. Er wurde nie Mitglied einer der

berühmten Bigbands, sondern spielte mit heute eher unbekannten Ensembles und

blieb dann sehr lange bei den Onyx Club Boys, die nur aus drei Bläsern und kleiner

Rhythmusgruppe bestanden. Zwischendurch arbeitete er genauso mit Vertretern des

„Chicago Dixieland“, wie Wild Bill Davison und Miff Mole, um am Ende seines Lebens

wieder zu Louis Armstrong zurückzukehren, der ihn Jahrzehnte zuvor nach New York

zu Fletcher Henderson geholt hatte.

5 Kernfeld, Barry (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Jazz, Volume One, S. 105f. New York, 2002

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2.2 Analyse: Buster Bailey - Coquette (Johnny Green - Carmen Lombardo, Aufnahme 1941)6 Dieses Lied ist aus dem Jahr 1928. Johnny Green erlangte übrigens die größte

Berühmtheit (und wohl auch die meisten Tantiemen) als Co-Komponist von „Body

and Soul“, des derzeit am öftesten aufgenommenen Jazzstückes überhaupt7.

Sie hören John Kirby's Onyx Club Boys, auf die ich übrigens persönlich große Stücke

halte. Neben Bailey spielen Charlie Shavers (Trompete), Russell Procope

(Altsaxophon), Billy Kyle (Klavier), John Kirby (Bassgeige) und O'Neill Spencer

(Schlagzeug).

Die Improvisation ist in ihrem dramaturgischen Verlauf sehr logisch und schlüssig

aufgebaut. Die ersten zwei Phrasen orientieren sich insofern noch sehr stark an der

Melodie (das war vor allem im „traditionellen“ Jazz üblich), als sie genauso lang sind

und ähnliche Schwerpunkte haben wie die entsprechenden Melodiephrasen (siehe

Anhang B). Darüber hinaus zitiert Buster in Takt 3 die Melodie direkt. Ferner

entspricht die Richtung der Phrasen (die erste aufwärts, die zweite abwärts) der

harmonischen Periode I-V-V-I. Obwohl es schwer herauszufinden sein wird, ob

dieses Detail gewollt war, verleiht es den ersten acht Takten einen runden, in sich

geschlossenen Charakter. Diese klare Struktur wird im Folgenden zusehends

aufgelöst. Im Auftakt zu Takt 9 passieren gleich mehrere Dinge: erstens wird die

Tonlage deutlich höher, zweitens sorgt eine rhythmische Verschiebung für

zusätzliches Gewicht. Diese Phrase wird über die viertaktige harmonische Periode

hinaus auf insgesamt sechs Takte (T. 8-14) gestreckt. Am Ende der Figur steht die

Terz des Dominantseptakkordes, die im Takt 15 in fast theatralischer Manier

aufgelöst wird. Danach wird die Intensität mit einer fast durchgehenden Achtelkette

über mehr als vier Takte deutlich erhöht (T. 15-19), um auf die Krönung des Solos

vorzubereiten. Nachdem der A-Teil dieses Liedes nur aus Tonika und Dominante

besteht, gibt es im B-Teil zwei nicht diatonische Akkorde: V7/IV und V7/V. Buster

verwendet hier den ersten dieser Akkorde für den bereits erwähnten

Spannungsaufbau, den zweiten hingegen für den eindeutigen Höhepunkt zwischen

Takt 20 und 24. Sowohl auf die Lage als auch auf die rhythmische Aktivität bezogen

sticht diese Phrase unmissverständlich heraus. Gleichzeitig hat sie allerdings eine 6 “The Ultimate Jazz Archive”, Vol. 21, Membran Music, 2005 7 www.jazzstandards.com Oktober 2009

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stetig fallende Tendenz und leitet im Takt 24 sehr elegant den letzten A-Teil ein, der

nicht mehr ganz so spektakulär ist, aber als durchgehende Achtelkette dem B-Teil an

Intensität nicht um viel nachsteht. Ich finde es bemerkenswert, wie hier der

harmonische Verlauf des Stückes direkt Einfluss auf die Improvisation nimmt. Der

Höhepunkt fällt genau mit dem spannungsreichsten Akkord zusammen. Viel besser

kann man das meiner Ansicht nach nicht machen.

Es ist deutlich erkennbar, dass Buster noch stark in der Klarinettentradition des New

Orleans Jazz verwurzelt ist. Sein Improvisationsmaterial ist zu großen Teilen auf

Akkordzerlegungen aufgebaut. Dieses Element kommt vor allem in den Takten 16-20

und 28-30 zum Tragen. In den Takten 28 und 30 findet sich sogar eine sehr New-

Orleans typische Wendung, nämlich die Unspielung der Quint in Verbindung mit

einer Akkordzerlegung. "... figures based on arpeggios that embellished the third or

fifth of the chord."8 Im Gegensatz dazu gibt es allerdings auch eher lineare Passagen,

z.B. 1-7, 21-23. Hierin liegt auch der größte Unterschied zwischen den beiden A-

Teilen. Der erste ist sehr linear und tonikal geprägt, das heißt, Buster spielt keine

vollständigen Akkordzerlegungen und bedient sich auch bei der Dominante

vorwiegend des Tonmaterials der Tonika. Das ist besonders in den Takten 3 und 5

sowie an der letzten Achtel des Taktes 6 ersichtlich, wo er das c einem Ton der

Dominante (wie d, h, g, die sich alle anbieten würden), vorzieht. Im zweiten A-Teil

hingegen finden sich bereits einige senkrechte Strukturen, wie z.B. in den Takten 9

und 11f. Auch im restlichen Solo kann man einen deutlichen Wechsel von

akkordischen und linearen Passagen erkennen.

Auffallend ist, dass Buster sehr oft chromatische Übergänge von der Sekund zur

Terz sowie von der Quint zur Sext der jeweiligen Tonart verwendet. Fügt man diesen

sechs Tönen noch den Grundton hinzu, erhält man die merkwürdige Skala, die er in

den Takten 25 und 26 in Reinform präsentiert (und die mir noch nie zuvor begegnet

ist). Weiters findet man Elemente dieser Skala in den Takten 2, 7, 12, 16, 19 und 27.

Dieses Werkzeug macht meiner Ansicht nach einen großen Teil des Charmes des

Stils Buster Baileys aus und unterscheidet ihn wesentlich von den Dixieland-

Klarinettisten, denen er doch sehr ähnlich ist.

8 Martin, Patricia: “The Solo Style of Jazz Clarinetist Johnny Dodds 1923-1938” Seite 56 Louisiana State University, 2003

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2.3 Analyse: Buster Bailey - I Know That You Know (Vincent Youmans, Aufnahme 1937)9 Diese Aufnahme entstand unter der Leitung von Lionel Hampton, der in der Periode,

als er in Benny Goodmans Orchester beschäftigt war, mit verschiedenen kleineren

Formationen Schallplatten aufzunehmen pflegte. An dieser Aufnahme wirkten außer

Bailey und Hampton Johnny Hodges am Altsaxophon, Jess Stacy am Klavier, Alan

Reuss auf der Gitarre, John Kirby am Bass sowie Cozy Cole am Schlagzeug mit.

Das Lied selber wurde erstmals mit dem Broadway-Musical „Oh, Please!“ im Jahre

1926 bekannt. In den Dreißiger Jahren fand es sich im Repertoire zahlreicher

Bigbands10.

Busters Solo unterscheidet sich vor allem darin vom vorhergehenden, dass es keinen

sehr differenzierten Aufbau aufweist, sondern vor allem (bei Tempo 265) aus recht

virtuosen Achtelketten besteht. Interessanterweise spielt Buster am Anfang drei

sechstaktige Linien hintereinander (1-7, 8-13, 14-19). Nachdem es vermessen wäre,

zu behaupten, dass ihm einfach die Luft ausgegangen sei, bleibt der Grund für diese

zugegeben merkwürdige Gliederung unklar. Danach lässt er seine Finger laufen, bis

er dem Schlagzeuger Cozy Cole die Staffel in die Hand drückt.

Diesmal bedient sich Buster über weite Strecken, abgesehen von den ersten zwei

Takten, die er zum „Eingrooven“ verwendet, hauptsächlich einer arpeggierenden

Spielweise. Dies wird ab dem Takt 21 schlagartig anders, da er die

Akkordzerlegungen mit einem Mal durch horizontale Linien ersetzt. Besonders in den

Takten 26 bis 29 schafft er es, bei gleich bleibender rhythmischer Aktivität das

Energieniveau des Solos durch viele Tonwiederholungen auf Basis des Dreiklanges

I6 ohne Quint deutlich zu reduzieren. Meiner Ansicht nach ist das ein

ausgezeichneter Kniff, um einem Solo, das fast ausschließlich aus Achtelketten

besteht, einen logischen Verlauf zu geben. Übrigens bedient sich Buster in der

vorhergehenden Transkription in den Takten 21-23 eines ähnlichen Schmähs.

Die in der letzten Transkription beschriebene Skala kommt hier ebenfalls, am

augenscheinlichsten in den Takten 4, 16, 22ff. und 32f., vor. Generell schöpft Buster

einen großen Teil seines musikalischen Wortschatzes aus diesem Tonmaterial.

Weiters möchte ich auf die erste Blue Note hinweisen, auf die wir bei Buster Bailey

stoßen. Diese verbirgt sich im Takt 14 und wird passenderweise kurz nach dem 9 „The Ultimate Jazz Archive“, Vol. 21, Membran Music, 2005 10 www.jazzstandards.com

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Spitzenton des Solos (Auftakt zu Takt 14) angestrengt. Solcherlei Details bringen

mich zu der Ansicht, dass Leute wie Buster Bailey, Edmond Hall oder Artie Shaw

ganz genau wussten, welcher Ton an einer bestimmten Stelle einen bestimmten

Effekt erzielt.

Auffallend ist überdies, dass er in Takt 4 eine sehr ähnliche Linie wie in Takt 5 der

vorhergehenden Transkription spielt, und dass Takt 5 mit Takt 19 der anderen

Transkription ident ist. Solcherlei Überschneidungen werden sich auch bei den

anderen beiden Künstlern finden.

3.1 Edmond Hall (1901-1967) Edward Hall war Klarinettist in der bekannten Onward Brass Band in New Orleans.

Fünf seiner acht Söhne wurden Musiker. Während die meisten im Raum New

Orleans blieben, sollte Edmond ein überaus angesehener und erfolgreicher

Klarinettist werden. Robert, ebenfalls ein Klarinettist, blieb dem New Orleans Jazz

stilistisch wie geographisch treu, während Clarence, Gitarrist und Saxophonist, beim

Rhythm & Blues landete. Edmond spielte In seiner Jugend in verschiedenen

Gruppen im Raum New Orleans, 1921-23 reiste er mit Buddy Petit an der Golfküste

entlang, um schließlich 1928 mit der Alonzo Ross Bigband nach New York zu gehen.

Ab 1929 arbeitete er in verschiedenen Tanzorchestern, wie Billy Hicks and his

Sizzling Six, Claude Hopkins, oder Lucky Millinder. Außerdem nahm er mit Mildred

Bailey und Billie Holiday auf. 1939 spielte er erstmals mit Joe Sullivan im Cafe

Society in New York, wo er in der Folge „Hausklarinettist“ wurde. Hall bespielte das

Cafe Society durchgehend bis 1946 mit Joe Sullivan, Red Allen, Teddy Wilson sowie

mit eigenen Formationen. Ab 1942 spielte er außerdem ab und zu in Eddie Condons

„Town Hall Concerts“.

Edmond Hall verbrachte die späten vierziger Jahre in Boston, zog kurz nach San

Francisco, und spielte von 1955-1958 mit Louis Armstrongs All Stars. Danach war er

als freischaffender Klarinettist in Nordamerika und Europa unterwegs (u.a. Chris

Barber, Jimmy McPartland, Eddie Condon)

Auch Edmond Hall, der ein Jahr älter als Buster Bailey war, erlebte die Blüte des

New Orleans Jazz als aktiver Musiker mit. Er war ebenfalls während der Swing-Ära

auch als Dixieland-Klarinettist gefragt und landete in späteren Jahren bei den All

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Stars. Im Gegensatz zu Bailey spielte er nie lange in Bigbands, sondern bevorzugte

kleinere Ensembles. 11

3.2 Analyse: Edmond Hall - Jammin’ in Four (Meade Lux Lewis, Aufnahme 1941)

Diese Aufnahme ist eines jener vier Stücke, die das „Edmond Hall Celeste

Quartet“ jemals aufnehmen sollte. Diese merkwürdige Formation (Edmond Hall auf

der Klarinette, der große Charlie Christian auf der akustischen Gitarre, der Boogie-

Woogie-Großmeister Meade Lux Lewis auf der Celeste, sowie Israel Crosby am

Bass), kam zu einer von Hall geleiteten Aufnahmesession für Blue Note zusammen.

Die Aufnahmen wurden ein Klassiker, die einzelnen Musiker gingen dann allerdings

wieder ihres jeweiligen Weges fürbass: „These four players represented the very best

of their time, the unity on the recordings is truly astonishing; and to the best of my

knowledge, none of them ever played together again”12 Dieses Stück ist ein zwölftaktiger Blues der Körbchengröße A13, dementsprechend ist

Edmonds Solo in jeder Hinsicht sehr bluesorientiert. Er spielt, dem dreiteiligen

Bluesschema entsprechend, in den ersten Wiederholungen streng viertaktige

Phrasen. Allein ab Takt 86 lässt er sich zu einer längeren Linie hinreißen (bis Takt

91), da sich das Stück dem Höhepunkt im letzten Chorus nähert. Die Schwerpunkte

dieser Phrasen liegen klar auf den ungeraden Takten, die jeweils die

Harmoniewechsel markieren. Das verleiht diesem Blues einen abgeklärten,

selbstbewussten Charakter.

Der Höhepunkt des Bluesschemas liegt im neunten Takt der Form, auf der

Dominante. Edmond bringt auch das in seine Improvisation ein. Im Takt vor der

Dominante spielt er immer (!) eine aufwärts gerichtete Akkordzerlegung, an deren

Ende ein Spitzenton steht, worauf die Phrase wieder herabschwebt und sich in die

Tonika auflöst. Viel besser kann man die Aufgabe „Blues“ meiner Auffassung nach

nicht lösen.

Das Tonmaterial, das Edmond verwendet, besteht im Wesentlichen aus der D-Dur-

Pentatonik. Bemerkenswert ist, dass er diese Pentatonik auch auf der Dominante

verwendet und damit die bevorstehende Auflösung auf die erste Stufe vorwegnimmt.

11 The New Grove Dictionary of Jazz, Volume Two, S. 131 12 www.espressojazz.com Oktober 2009 13 Ältere Jazzmusiker unterteilen verschiedene Variationen des Bluesschemas in Typ A, Typ B etc.

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Die Jazztheorie bezeichnet die Quart in Dur als „Avoid-Note“. Edmond Hall ist

offenbar nicht dieser Meinung, wie er in den Takten 10, 71, 83 und 94 eindrucksvoll

demonstriert. Mehr noch, die „guide-tones“ von A7 werden mit der Ausnahme der

Septim in Takt 82 komplett ausgespart. Die Durterz der Dominante kommt in der

ganzen Improvisation nicht vor. Eine weitere „avoid note“ ist die große Septim in

einem Septakkord. Auch die kommt vor (Takt 6) und stört mein Hörempfinden

keineswegs.

Da wir bei der Abwesenheit des C# waren, möchte ich noch das C erwähnen, das im

Gegensatz dazu recht zahlreich vertreten ist, in den Takten 65 und 86-88 als Septim

der Tonika und in den Takten 10 und 94 als Kreuz Neuner der Dominante. Diese

zwei Noten sind bemerkenswerter Weise die einzigen Blue Notes in diesem doch

recht bluesig anmutenden Solo.

Darüber hinaus ist noch Edmonds Vortrag zu erwähnen, der wesentlich zu seiner

Unverkennbarkeit beiträgt: „Er hat einen scharfen, beißenden Ton, der oft im

Kontrast zur Geschmeidigkeit Benny Goodmans steht.14“ Will man subjektive

Ausdrücke wie „beißend“ vermeiden, muss man doch anmerken, dass Edmonds

Spielweise eine deutlichere Attacke aufweist als die seiner Kollegen, dass er ferner

ein äußerst schnelles Vibrato kultiviert und er überdies oft „growlt“, das heißt,

während des Spielens ins Instrument hineinsingt.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass Edmond Hall aus einem Minimum an Material

sehr viel an Effekt herausholt und dass er nicht umsonst als „der wichtigste Swing-

Klarinettist schwarzer Hautfarbe und - zusammen mit Benny Goodman - der

überragende Swing-Stilist dieses Instruments15“ gehandelt wird.

3.3 Analyse: Edmond Hall - I Want To Be Happy (Vincent Youmans – Aufnahme 1944)16 “I Want To Be Happy” war ursprünglich Teil des Musicals "No, No, Nanette", aus dem

auch der Klassiker "Tea for Two" hervorging. Als diese Aufnahme gemacht wurde,

zählte das Stück bereits 20 Jahre.17 Teddy Wilson, mit dem Edmond Hall damals im

14 Berendt, Seite 290 15 Berendt, Seite 290 16 "The Ultimate Jazz Archive“ Vol. 20, Membran Music, 2005 17 www.jazzstandars.com Oktober 2009

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Café Society spielte, ist am Klavier zu hören, des Weiteren Billy Taylor sr. an der

Bassgeige und Arthur Trappier am Schlagzeug.

Im ersten Chorus (Takt 1-32) interpretiert Edmond die Melodie des Liedes, die vor

allem von einer rhythmischen Verschiebung beherrscht wird. Das Muster "Viertel -

Halbe - Viertel - Halbe“ zieht sich durch das ganze Lied (siehe Anhang B). Edmond

behält diese Dreierverschiebung bei, verändert aber die Notenwerte insofern, als er

jeweils zwei Achteln, zwei Vierteln Pause und wieder zwei Achteln spielt.

Diese Idee zieht er konsequent durch (Takte 9, 15, 17, 29, 31, 33).

Nachdem durch diese Diminution der rhythmischen Verschiebung das Stück

klar definiert ist, kann Edmond den Medodiechorus insgesamt freier gestalten.

Im ersten A-Teil lässt er recht viel Raum, im zweiten spielt er etwas mehr, im

B-Teil hingegen hält er sich wiederum mehr an die Melodie. Der letzte A-Teil

ist wieder etwas lebhafter und leitet schließlich in das Klaviersolo über.

Dieser erste Chorus ist meiner Auffassung nach ein sehr schönes Beispiel dafür, wie

man eine Melodie mit vielen langen Notenwerten auch als InstrumentalistIn für alle

Beteiligten (also auch für etwaige ZuhörerInnen) attraktiv gestalten kann.

In der vorhergehenden Transkription habe ich festgestellt, dass Edmond sehr gern

die Tonika antizipiert. Hier ist das bei allen drei Gelegenheiten eines Quintfalls auf

die Tonika der Fall. (Takte 10, 18, 34). Eine recht interessante Stelle befindet sich In

der zweiten Hälfte des B-Teils, wo Edmond zunächst den B-Neuner des V7/II anspielt

(was damals noch überhaupt nicht üblich war, Takt 26), und dann einerseits die

große Sept in einem Dominantseptakkord an einer prominenten Zählzeit anspielt und

andererseits die Terz des darauffolgenden Akkordes in später bebop-typischer

Manier umspielt (Takte 27f.)

Der Chorus nach dem Klaviersolo fällt ganz und gar der Improvisation anheim,

wenngleich der B-Teil diesmal dem Bass überlassen wird. Allerdings fällt es hier

schwer, etwas zum dramaturgischen Ablauf zu sagen, da es keine dezidierten

Höhepunkte bzw. Ruhephasen gibt. Edmond spielt über einen großen Tonumfang

verteilt, mäandert aufwärts und abwärts, vor allem sind die verschiedenen

Notenwerte in diesem Chorus sehr gut vermischt, das heißt, es gibt keine übermäßig

langen Achtelketten. Er vermeidet es auch, Phrasen oder Rhythmen zu wiederholen

(Ausnahme: die Auftakte zu Takt 69, 75, 83, die recht ähnlich sind). Darüber hinaus

verwendet er ein sehr einfaches Tonmaterial. In der Tonika beschränkt er sich mit

wenigen Ausnahmen auf die Töne f, a, c, und d, während er über die Dominante im

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„Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien

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Wesentlichen die Töne des C7/9 Fünfklanges verwendet. Unter den Stellen, die aus

diesem Muster herausstechen, sind u.a. der V7/V als Vorhalt auf der Dominante in

Takt 71, die Blue Note in Takt 76 (im dritten Chorus spielt er die gleiche Blue Note an

der gleichen Stelle, Takt 139), die beiden aufeinander folgenden Dreiklänge mit

Approaches in Takt 91f., und das erste Mal, dass im Takt vor dem Quintfall das

Tonmaterial der Dominante verwendet wird (Takt 98). Trotz dieser Kargheit handelt

es sich um ein durchaus gutes, inspiriertes Solo. Wie bei Jammin' in Four finde ich es

auch hier bemerkenswert, wie Edmond Hall aus einem Minimum an Zutaten durch

überzeugtes und akkurates Timing, seinen charakteristischen Klang und durch kleine

"Schmankerln" wie die eben beschriebenen ein sehr gutes Solo zubereitet.

Im dritten Chorus schließlich findet eine Steigerung auf unterschiedlichen Ebenen

statt. Zunächst steigert Edmond die rhythmische Aktivität, indem er erstens mit einer

Fünf-Achtel-Verschiebung (Takte 132-134) beginnt, zweitens im Takt 144

Achteltriolen und Sechzehntel verwendet und drittens mehr und vor allem

dramatischere Synkopen spielt. Das bringt uns zum nächsten Steigerungselement,

der Tonlage. Die höchsten Töne, die Edmond in diesem Stück spielt, befinden sich

allesamt im dritten Chorus (drei f’’’ in den Takten 138, 139 und 149 sowie ein e’’’ in

Takt 161), und drei dieser vier Spitzentöne sind Synkopen, liegen also zwischen den

Zählzeiten und sind betont. Diese Töne werden zusätzlich durch ausgiebiges

„Growlen“ und Edmonds schnelles Vibrato herausgestellt. Das dritte

Steigerungselement betrifft das Tonmaterial. Im B-Teil verwendet Edmond alle

verfügbaren nicht diatonischen Akkordtöne (das Es in Takt 149, das Fis in Takt 154,

und das H in Takt 155). Das verleiht seinem Spiel mehr Vielfalt und Farbe.

Außerdem verwendet er zweimal die große Septim eines Dominantseptakkordes als

Durchgangston (Takte 150 und 155).

Der letzte A-Teil wirkt enttäuschend, wenn man das Notenbild betrachtet, steht den

vorhergegangenen Passagen an Intensität allerdings um nichts nach. Ich vermute,

dieser verblüffende Effekt kommt dadurch zustande, dass er weniger Noten, dafür

aber mehr Synkopen spielt. (Erster A-Teil: 8,9% Synkopen, zweiter A-Teil: 6,25%

Synkopen, B-Teil: 14,9% Synkopen, dritter A-Teil: 22,6% Synkopen)

Dadurch gelingt es ihm, mit weniger Noten ein größeres rhythmisches Interesse zu

erzeugen und einer sehr guten Aufnahme einen würdigen Schluss zu geben.

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4.1 Artie Shaw (Arthur Jacob Arshawsky) 1910 – 2004 Shaw, ein Spross jüdischer Emigranten (wie übrigens auch Benny Goodman), spielte

in seiner Jugend in einer Tanzmusikgruppe in seiner Heimat Connecticut Saxophon.

Er spezialisierte sich allerdings bald auf das Klarinettenspiel. 1927-29 arbeitete er als

musikalischer Leiter und Arrangeur für das Orchester des Geigers Austin Wyle. Im

selben Jahr, 1929, ging er mit Irving Aaronsons Orchester nach New York, wo er in

den darauffolgenden Jahren als Studiomusiker arbeitete. 1936 stellte er seine erste

eigene Band zusammen, deren etwas unübliche Besetzung aus Rhythmusgruppe,

Klarinette und Streichquartett bestand. Nachdem dieser Formation kein langes

Leben bestimmt war, gründete Shaw im darauf folgenden Jahr eine Bigband. ,

“Dropping the string section that had given his music much of its individuality, he

began building a new orchestra along more conventional swing band lines. Shaw

claimed, with some bitterness, that he was planning to have ‘the loudest goddam

band in the world’, but what evolved was far more subtle and interesting than that18”.

Mit „Begin the Beguine“ landete er sofort einen Hit, der sein Durchbruch wurde und

damit die Fans in eine Goodman- und eine Shaw-Anhängerschaft spaltete.

“Comparison between the two clarinet-playing leaders was inevitable. Musicians

weighed their respective merits on the instrument, often concluding that Benny was

the better jazz player but that Artie had the lovelier tone and greater skill in the higher

register and was harmonically more interesting. Egged on by Rockwell O’Keefe,

Artie’s booking agency, which billed him as the “King of the Clarinet”, the fans divided

into rival camps, arguing the superiority of one or the other with the same white-hot

vehemence usually reserved for favourite baseball teams or heavyweight

contenders.19” Die beiden “Rivalen” scheinen das glücklicherweise nicht so gesehen

zu haben. Benny Goodman sagte über Shaw: “He knows his instrument well, has

extreme development in both registers and an amazing harmonic sense20”,

1939 kehrte Shaw dem Musikgeschäft kurzfristig den Rücken: “I was going through a

peculiar transition from musician to ‘celebrity’ […] A celebrity was not something I

was not equipped to be. By mid-1939 the pressures were enormous and had been

building for some time… Progressively I moved away from my musicians. I couldn’t

seem to communicate with anyone. I found it impossible to articulate the problems at

18 Firestone, Seite 231 19 Firestone, Seite 232 20 Firestone, Seite 232f.

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16

that time. I can’t tell you how lonely I was. But I was determined to get out, to relieve

the tension.21 “

1940 nahm Shaw während der Arbeiten für den Kinofilm “Second Chorus” das Lied

“Frenesi” auf, das ein Hit wurde und ihn schlagartig wieder ins Geschäft brachte. Aus

seinem neuen Orchester ging eine kleine Formation, die „Gramercy Five“, hervor, die

mit unüblichen Stilmitteln, z.B., dem Einsatz eines Cembalos, experimentierte.

1942-1943 war Shaw Mitglied der Marine und bespielte die Pazifikfront. Danach

tourte er mit eigenen Bigbands, bis er sich 1954 zur Ruhe setzte. In den Achtziger

Jahren stellte er eine letzte Band unter der Leitung des Klarinettisten Dick Johnson

zusammen, die er fallweise dirigierte.

Artie Shaw war achtmal verheiratet (ich sehe bei allem Respekt nicht ein, warum er

sich über ein Übermaß öffentlicher Aufmerksamkeit wunderte), und schrieb unter

anderem eine Autobiographie („The Trouble With Cinderella“) sowie eine

Klarinettenschule.22

Er war ein Jahrzehnt jünger als Bailey oder Hall und wuchs überdies nicht in New

Orleans, sondern in New England auf. Seine musikalischen Wurzeln lagen nicht in

New Orleans, sondern in den Tanzorchestern seiner Jugend. Dementsprechend war

seine Arbeit auf das Format der Bigband ausgerichtet.

4.2 Analyse: Artie Shaw - Non Stop Flight (Artie Shaw, Aufnahme 1938)23 Als Komponist dieses Stückes wird Artie Shaw selber aufgeführt. Im musikalischen

Kurzfilm "Artie Shaw And His Orchestra" aus dem Jahr 1939 präsentiert er das Lied

mit den Worten: „And now one of our own compositions24“, die andeuten, dass es

sich um ein "Head Arrangement", also um ein in einer Big Band mehr oder weniger

gemeinsam komponiertes oder gewachsenes Stück, handeln könnte. Berühmte

Beispiele von Head Arrangements sind etwa „Jumpin’ At The Woodside“ oder

„Woodchopper’s Ball“.

Die Dramaturgie dieses Solos dreht sich vor allem um die Breaks am Anfang, in der

Mitte und am Schluss. Der erste Höhepunkt befindet sich auf der ersten Zählzeit in

Takt 5, beim Einsatz der Band. Artie spielt hier ein aufsteigendes F-Dur-Arpeggio das 21 Firestone, Seite 277f. 22 „The New Grove Dictionnary Of Jazz“, Vol. 3 23 „Artie Shaw: Aufnahmen von 1936-1946“, Phonodor, 1999 24 http://www.weirdwildrealm.com/f-musical-shorts10.html , Oktober 2009

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„Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien

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auf dem Grundton landet. Da er sonst nicht mit Dreiklangszerlegungen arbeitet, hat

diese Phrase eine umso stärkere Signalwirkung. Es kommt mir so vor, als wollte Artie

trotz des Band-Einsatzes unbedingt die Aufmerksamkeit bei seiner Klarinette halten.

So einen Effekt könnte man sich tatsächlich in so mancher Band zunutze machen.

Anschließend daran geht Artie die ersten acht Takte recht ruhig an. Die nächste

aufsteigende Phrase in Takt 13 und 14 steigert die Spannung wieder merklich, nicht

zuletzt weil er auf der Non landet, die (ob man es glaubt oder nicht) zu dieser Zeit

noch ein sehr spannungsreicher Ton war. Die Spannung wird in Takt 16 durch eine

sehr hohe Linie, die allerdings wenig rhythmische Aktivität aufweist, noch gesteigert

und entlädt sich schließlich im Mittelbreak durch einen flüssigen Lauf in extremer

Lage. Es wird schwer für Artie werden, dieses Energieniveau noch zu überbieten.

Nachdem die nächsten acht Takte, wie im ersten Teil, wieder recht ruhig verlaufen,

baut er in Takt 30 und 31 durch eine Synkopenkette (mit Synkopen ist er sonst

nämlich recht sparsam) wieder Spannung auf, die darauffolgende Phrase beendet er

in Takt 34 wieder mit einem Spannungston. Schlussendlich übertrifft er seinen

virtuosen Mittelbreak mit einem Glissando über eine kleine Non abwärts in Takt 35

und lässt sein Solo mit mehr oder weniger der selben Phrase ausklingen, mit der er

es eingeleitet hat. (T 36). Dieses Glissando ist übrigens recht einfach zu spielen,

wenn man das f’’’ als überblasenes a’’ greift, verfehlt seine Wirkung aber trotzdem

nicht.

Die Melodieführung ist im Grunde linear. Akkordzerlegungen spielen eine eher

untergeordnete Rolle (Takte 4, 20, 26), bei Artie stehen lange melodische Linien im

Vordergrund (z.B. Takte 9-15, 25-29). Diese Linien haben interessanterweise fast

alle einen sanft absteigenden Charakter. Die beiden Ausnahmen sind der bereits

erwähnte "Appell" in Takt 5 sowie die ebenfalls oben beschriebene Phrase in den

Takten 13 bis 15. Diese einheitliche Kontur verleiht Arties Improvisation meines

Erachtens einen sehr entspannten, abgerundeten Charakter.

Betrachtet man die Töne, die er in dieser Improvisation verwendet, findet man die

eher bescheidene Anzahl von 2 „blue notes“. (ich spreche natürlich aussschließlich

von der b3 und b7.)25 Die erste – eine kleine Septim – steht an prominenter Stelle am

Einser in Takt 6, die zweite – eine kleine Terz – ist eher unscheinbar in Takt 8

positioniert. Alle anderen leiterfremden Töne entfallen auf chromatische Durchgänge,

Approaches und Umspielungen. Ich finde es bemerkenswert, dass die chromatische

25 Berendt, S. 217

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Verbindung von der Sekund zur Terz von Artie anscheinend sowohl als Durchgang

(Takte 2, 13, 14) als auch als motivisches "Füllmaterial" (Takt 3, 26, 27) sehr

geschätzt wird. Dieses Werkzeug wird auch von Buster Bailey gerne benützt (siehe

Seite 8).

Analyse: Artie Shaw - Rose Room (Art Hickman - Harry Williams, Aufnahme 1939)26 Das Lied “Rose Room” ist ein relativ altes Lied. Art Hickman brachte das Stück 1917

erstmals zur Aufführung, als er im „Rose Room“ des St. Francis Hotels in San

Francisco spielte. 1919 wurde das Stück aufgenommen und im Anschluss ein großer

Schlager. Duke Ellington verwurstete die Harmonien später zu "In A Mellotone"27.

Die Aufnahme, die ich ausgewählt habe, klingt in A-Dur. Da Artie eindeutig in C-Dur

greift (in Takt 3 hört man den Bruch zwischen tiefem und hohem Register recht

deutlich), liegt die Vermutung nahe, dass er A-Klarinette gespielt haben könnte. Da

es allerdings nicht überliefert ist, dass Artie jemals A-Klarinette gespielt hätte, und die

Partitur, die in der Artie-Shaw-Sammlung der University of Arizona aufbewahrt wird,

in Bb-Dur ist (siehe Anhang C), muss davon ausgegangen werden, dass beim

Überspielen der Aufnahme auf CD ein Fehler aufgetreten ist und die Aufnahme

ursprünglich ein Alzerl schneller war.

Am Anfang dieses Solos orientiert sich Artie ganz klar an der Melodie. Erst ab Takt

13 beginnt er sich freier zu bewegen. Das ist insofern auch nötig, als Artie den ersten

Chorrus spielt und danach ein halber auskomponierter Chorus des Saxophonsatzes

und ein Trompetensolo folgt. Damals war dieses Lied bereits ein alter Hadern und

musste wohl nicht mehr zu ausführlich vorgestellt werden. Auf diesen eher

zurückhaltenden ersten Teil folgt in den Takten 16 und 17 ein virtuoser Mittelbreak,

der ob seiner rhythmischen und melodischen Aktivität ein erster Höhepunkt ist.

Danach spielt Artie einige ruhigere Takte mit abwärts gerichteten Linien, bevor er

sich mit einem grandiosen Auftakt zu einem Spitzenton aufschwingt (Takt 22) ehe

wieder eine beruhigende Phase mit einer absteigenden Linie folgt. (Takt 22-24). In

den Takten 25 bis 28 wiederholt er dieses Spiel noch einmal, um mit einer 26 „Artie Shaw: Aufnahmen von 1936-1946“, Phonodor, 1999 27 www.jazzstandards.com , Oktober 2009

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„Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien

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überraschend schlichten, bescheidenen Phrase zu den Saxophonkollegen

überzuleiten. (T 30-32)

Dieser wiederholte Spannungsauf- und Abbau korreliert genau mit dem

harmonischen Verlauf des Stückes. Der furiose Mittelbreak mündet in das c’’ in Takt

18, das genau mit dem Wechsel von V7 auf V7/V zusammenfällt. Während sich die

Akkorde in Richtung der Tonika bewegen, löst sich auch die Spannung in Arties Spiel.

Alsbald bereitet er sich mit einem schnellen und stiel ansteigenden Auftakt auf V7/IV,

einen weiteren nicht diatonischen Akkord, vor, um die Spannung mit dem Eintreffen

des IV wieder aufzulösen. In den Takten 25 bis 28 setzt er den selben Kniff mit der

Progression IVm – I ein. Hier erzeugt er die Spannung, indem er den IVm in Takt 25

sehr deutlich vorwegnimmt. Ähnliche Antizipationen haben sich bereits bei

"Coquette" und "Jammin' in Four" gefunden.

Die melodische Struktur ist in der ersten Hälfte eher linear, was damit zu tun haben

könnte, dass Artie vorrangig die Melodie präsentiert. In der zweiten Hälfte hingegen

spielt er wesentlich akkordischer. Das einzige eindeutige Tonleiternfragment befindet

sich in Takt 26. Dennoch vermeine ich an manchen Stellen eine gewisse lineare

Kontur hinter den Arpeggi zu erkennen. In den Takten 18 bis 20 verwendet Artie zwei

fallende Akkordzerlegungen und eine fallende Linie. Die jeweils obersten Töne dieser

Bestandteile ergeben eine von der Sept des V7/V über die Terz des V7 zu dessen

Grundton, d.h. vom c’’ über das h’’ zum g’’ und weiter auf das e’’, abfallende Linie.

Eine vergleichbare Konstruktion befindet sich in den Takten 14 und 15. Hier verläuft

die Linie vom a'' über das e'' zum c'' und a' im Takt 15. Ich finde, dass diese

„darüberliegenden“ Strukturen Arties Klarinettenspiel einen reifen, überlegenen

Charakter verleihen, ohne Effekt heischend zu sein.

Habe ich vorher behauptet, Artie entferne sich im zweiten Teil von der Melodie, so

gilt das mit der Einschränkung, dass in der Melodie analog zum ersten Teil in Takt 20

der Neuner der Tonika sowie in Takt 24 den Neuner der Subdominante angespielt

wird (siehe Anhang B) und Artie diese beiden sehr charakteristischen Töne auch in

seinem Solo verarbeitet. Auch dieses Minimum an Melodiebezug verleiht dem Solo

einen gewissen Umriss und kann dem/der ZuhörerIn ein befriedigendes Hörerlebnis

des bereits Bekannten vermitteln.

Da diese Solo keine Blue Notes beinhaltet, weist es eindeutig keinen Blues-

Charakter auf. Das ist ein großer Unterschied zu etwa Edmond Hall, der seine

Improvisationen gern mit der einen oder anderen Blue Note garniert. Ein anderer

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grundlegender Unterschied ist, dass Arties Improvisation im Vergleich zu Buster und

Edmond auf um nicht zu sagen „weiter entwickeltes“, „elaboriertes“ Tonmaterial

zurückgreift. Während sich die anderen beiden im Wesentlichen auf die

Akkordzerlegungen der zugrunde liegenden Harmonie mit einzelnen

Spannungsnoten stützen, glaube ich bei Artie mit Fug und Recht von „Upper

Structure Triads“ sprechen zu können, wiewohl sich der Begriff erst viel später

etabliert hat. In Takt 7 beispielsweise spielt er den V7/IV mit einen A-Moll-Dreiklang,

der in diesem Fall aus Grundton, Terz, und Dreizehner besteht, aus (Takt 7 ist

übrigens mit Takt 7 der vorherigen Transkription ident). Der V7/V wird ebenfalls mit

einem A-Moll-Dreiklang verfeinert, der hier wiederum aus Quint, Sept und Neuner

aufgebaut ist (Takte 14, 18, und mit Einschränkung 2 sowie 30). Der V7/II schließlich

wird mit einem h-Quartendreiklang verwirklicht, der sich aus Grundton, Quint und

Neuner zusammensetzt. Auffallend ist, dass die nicht diatonischen „guide

tones“ dieser drei Sekundärdominanten völlig ignoriert werden. Arties „upper

structure triads“ rekrutieren sich ausschließlich aus diatonischen Tönen, wobei das a

und e eindeutig vorherrschen. Durch diese Vorgehensweise erhält jeder Akkord

entsprechend seiner Funktion eine eigene Klangfarbe, ohne dass man sich mit einer

Skala über sämtliche Akkorde zu quälen versucht.

Ein anderes sehr charmantes Element dieser Improvisation sind die beiden doppelt

chromatischen Umspielungen in den Takten 23 und 27. Diese beiden Stellen weisen

zu einer Zeit, als der Swing auf dem Zenit war, bereits in eine modernere Richtung.

Alles in allem handelt es sich um ein gut strukturiertes und in jeder Hinsicht

ausgesprochen eloquentes Solo.

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„Bailey, Hall, Shaw“ Bakkalaureatsarbeit Alwin Miller Universität f. Musik und darst. Kunst Wien

21

Quellenverzeichnis Kernfeld, Barry (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Jazz, Volume 1-3.

New York, 2002

Firestone, Ross: Swing, Swing, Swing; The Life And Times of Benny Goodman

New York, 1993

Joachim-Ernst Berendt: Das Jazzbuch

Frankfurt/Main, 1991

The Ulitmate Jazz Archive: "Swing to Bebop – Modern Jazz”

Vol.21, Disc 2: Charlie Shavers

“The Ultimate Jazz Archive”, Vol. 2, Membran Music, 2005

Martin, Patricia: “The Solo Style of Jazz Clarinetist Johnny Dodds 1923-1938” Louisiana State University, 2003 “The Complete Edmond Hall / James P. Johnson / Sidney De Paris / Vic Dickenson Blue Note Sessions” Disc 1, Mosaic MD4-109

„Artie Shaw: Aufnahmen von 1936-1946“, Phonodor, 1999 www.jazzstandards.com

www.espressojazz.com

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Buster Bailey - I Know That You KnowVincent Youmans

Transkription Alwin Miller

G7 C7

6

F6

D7

10

G7 C7

14

F

D7

3

18

G7

C7

22

F6

G7 C7

26

F/C D7 G7 C7

30

F6 Gm7 C7 F6

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Meade Lux LewisTranskription: Alwin Miller

© Alwin Miller

Edmond Hall - Jammin' in Four 1941

D

Em7 A7 D

5

D7

G7 D

9

A7

12

D

A7

62

D Em7 A7 D D7

66

G7 D

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70

A7

D A7

74

D

Em7

A7

D D7

78

G7 D

82

A7

D A7

86

D Em7 A7 D D7

90

G7

D

94

A7

D

2

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Edmond Hall - I Want To Be HappyVincent Youmans

Transkription Alwin Miller

F

C7

9

C7 F

13

C7

17

F

21

F7 Bb

25

F

D7

G7

C7

29

F

C7

33

F

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37

69

F C7

73

F

77

C7

81

F 85

F7 G7

C7

93

F C7

97

F Vin

101

2

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133

F C7

137

F

141

C7

3

145

F

149

F7 Bb

153

F D7 G7

C7

157

F

C7

161

F

3

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Artie Shaw - Non-Stop Flight 1938

© Alwin Miller

Klarinette in B Solo Break

3

4

F

C7 F 3 3

8

G7

C7

12

F

F7

Bb

16

Db

F Gm7 C7

Break

3

20

F C7

F

24

G7 C7

28

F

F7

Bb

32

Db

F Gm7

C7

35

F

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© Alwin Miller

Art Hickman,Harry Williams

artie shaw - rose room 1939

D7

G7

C

3

3

5

C7

F 3

9

Fm

C

13

A7 D7

16

G7

3 3 3 3 3 3 3 3

18

D7

G7 C

22

C7 F

3

26

Fm C

A7

30

D7

G7 C

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Non Stop Flight Artie Shaw

Eb6

Bb7

Eb6

4

F7

Bb7

9

Eb5

Eb7

Ab6 B7

13 1. Eb6 F7 Bb7 Eb6

Bbsus

2.17

Eb6 Gbº7

F7b9 Bb7 Eb

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Alwin B. Miller

Von: [email protected]: Dienstag, 08. September 2009 23:52An: Alwin B. MillerBetreff: Re: AW: AW: artie shaw research

Alwin,

It's possible that the source recording wasn't transferred at the correct speed.This could cause a problem with the key. But of course they might have played everything down a half-step. I simply don't know the history of the recording that well...

Keith

Quoting "Alwin B. Miller" <[email protected]>:

> Hi,>> well, that would explain it.> What exactly do you mean by "flat"?> Thanks,> Alwin>> -----Ursprüngliche Nachricht-----> Von: Keith Pawlak [mailto:[email protected]]> Gesendet: Dienstag, 08. September 2009 22:25> An: Alwin B. Miller> Betreff: Re: AW: artie shaw research>> Alwin,>> The score is in Bb. I haven't heard that many different source > recordings of this tune. But perhaps the recording is flat.>> Keith Pawlak> Music Curator> University of Arizona> School of Music> P.O. Box 210004> Tucson, AZ 85721> office:(520)626-5242> http://web.cfa.arizona.edu/music/index.php/research-activities>>> Quoting "Alwin B. Miller" <[email protected]>:>>> Dear Mr Pawlak,>>>> thank you for your quick response,>> I really appreciate it that you took the time.>>>> My A clarinet theory stems from the key of the recording, which is A >> major (does this correspond with your score??).>> First I thought it was recorded in Ab major (the usual key of that >> tune) and speeded up, but in the second bar of the solo form (see the >> transcription which is enclosed), I think I can hear the "gap" from >> chalumeau to clarino register between the notes A# and B.>> And I'd be really astounded to hear that Artie played such a >> beautiful solo in A major.>>>> What do you think?>> With many thanks>> and kind regards,

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>> Alwin Miller>>>>>> -----Ursprüngliche Nachricht----->> Von: Keith Pawlak [mailto:[email protected]]>> Gesendet: Sonntag, 06. September 2009 00:26>> An: Alwin B. Miller>> Betreff: Re: artie shaw research>>>> Alwin,>>>> I actually wasn't aware that Shaw ever used an A clarinet. I do know >> that the Rose Room chart is scored for a Bb clarinet. Whether he >> choose to use an A clarinet on the recording is something I'm unaware >> of. I also have never seen an indication on any of the scores in the >> collection for an A clarinet.>>>> Hope this helps. If there is any other information I could provide >> let me know.>>>> Keith Pawlak>> Music Curator>> University of Arizona>> School of Music>> P.O. Box 210004>> Tucson, AZ 85721>> office:(520)626-5242>> http://web.cfa.arizona.edu/music/index.php/research-activities>>>>>>>> Quoting "Alwin B. Miller" <[email protected]>:>>>>> Dear Mr Pawlak,>>>>>>>>>>>> I got your email adress from the homepage of the>>>>>> Artie Shaw collection (university of Arizona).>>>>>> Perhaps you could help me with the following problem:>>>>>>>>>>>> I'm currently writing a bachelor paper about>>>>>> different swing clarinetists. There is>>>>>> a question about Artie Shaw which has pretty much stumped me:>>>>>>>>>>>> In his 1939 record of "Rose Room", Shaw evidently uses>>>>>> an A clarinet. Do you have any information about why>>>>>> or how often he played the A instead of the Bb clarinet?>>>>>> As far as I'm informed, this was not common practice among>>>>>> jazz musicians of that time.>>>>>>>>>>>> It is a shame that can't visit the Collection in person. Moreover,>>>>>> very little jazz-specific material is available in my homecountry>> (Austria),>>>

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>>> which makes research a lot more difficult.>>>>>>>>>>>> Thank you!>>>>>> Kind regards,>>>>>> Alwin Miller