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„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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DER TRINITARISCHE ANSATZ VON RAIMON PANIKKAR
Francis X. D’Sa, S.J. Die [trinitarische] Erfahrung,
auf die ich mich hier beziehen will, ist in ihren grundlegenden Zügen eine menschliche Invariante.1
0 Einführung
Es war nicht das einzige Mal, dass Karl Rahner sich auf folgende Weise äusserte: “Man wird die
Behauptung wagen dürfen, dass, wenn man die Trinitätslehre als falsch ausmerzen müßte, bei
dieser Prozedur der Großteil der religiösen Literatur fast unverändert erhalten bleiben könnte.”2
Vielleicht ist das bezeichnend für die Art und Weise, wie man sich bemühte, die klassische
trinitarische Lehre zu deuten. Das Verdienst von Raimon Panikkar besteht darin, dass seine
trinitarischen Bemühungen allen [Gläubigen] und nicht nur den Christen gleichsam den
‘Geschmack’ für das dreifaltige Geheimnis zu vermitteln beabsichtigen. Die traditionellen
trinitätstheologischen Systematisierungsweisen scheinen zu sehr sich auf Gott zu konzentrieren.
Hingegen ist Panikkar bemüht, die ganze Wirklichkeit trinitarisch zu verstehen.
In diesem Beitrag will ich skizzenhaft die Entwicklung von Panikkars trinitarischen
Überlegungen verfolgen. Die ‘Trinität’ oder noch präziser eine trinitarische Wirklichkeitssicht
(was er heute Cosmovision nennt) hat Panikkar seit eh und je fasziniert. In einem Gespräch hat
er mir gestanden, dass er seinen Studiengang mit Absicht geplant hat: ein Doktorat in der
Chemie (Cosmos), dann in der Philosophie (Anthropos) und schließlich und endlich in der
Theologie (Theos). Von Anfang an scheint das trinitarische Anliegen Panikkar beseelt zu haben.
Wie dem auch sei, ich stelle drei Etappen in seiner Entwicklung fest: (a) die ersten Versuche
gingen dahin, das frühkirchliche klassiche Trinitäts-Verständnis nicht von den griechischen
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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Kategorien von Person und Natur, sondern von einer Art Phänomenologie, die sehr von den
hinduistischen und buddhistischen Glaubenswelten beeinflusst ist, her auszulegen; (b) wesentlich
deutlicher und eigenartiger ist die zweite Etappe, die Panikkars “kosmotheandrische” Intuition
vorstellt und (c) die dritte Etappe, die den Höhepunkt seiner trinitarischen Überlegungen
darstellt, ist in seinem Buch The Fullness of Man zu finden.3 Dieses Buch behandelt Ideen
thematisch, die in vielen seinen Schriften ohne langen Kommentar vorkommen, die aber hier
sozusagen in einer organischen Einheit zu finden sind.
1. Advaita, Ontonomie und die trinitarische Dynamik der Wirklichkeit
Wenn ich meinem Verständnis der semantischen Achse, die die Schriften Panikkars wie ein roter
Faden durchzieht und in ihnen am Werk ist, Ausdruck verleihen darf, dann möchte ich dies auf
folgende Weise formulieren:
Die ganze Wirklichkeit ist von einer dreifachen Dynamik durchdrungen, die als
menschliche Invariante verschiedentlich erlebt und verschiedentlich zum
Ausdruck gebracht wird. Diese Wirklichkeit ist kein “es”, sondern eine
pluralistische Einheit von “Ich” und “Du” und “Wir”. Der Mensch hat gleichsam
seinen Sitz im “Du” aber steht in einem nicht-dualistischen Verhältnis zum “Ich”.
Bei der Entfaltung seiner Einsichten bedient sich Panikkar eines vom Vedanta geliehenen
Prinzips der Nicht-Zweiheit, nämlich des Advaita. Dazu formuliert er ein anderes aus seiner
eigenen Vertrautheit mit der altindischen Welt hervorgegangene Prinzip - gleichsam als
Ergänzung - das Prinzip der Ontonomie.
Panikkar lehnt jedwede Art von Dualismus und Monismus ab. Daher findet er im Advaita-
Prinzip eine Lösung, von dem er ständig Gebrauch macht. Damit will er auf keine Weise das
Advaita-System besonders das des Shankaras bejahen.4 Nur entdeckt er im Advaita-Prinzip eine
einmalige Einsicht in die pluralistische Natur der Wirklichkeit, die weder Dualismus noch
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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Monismus gelten lässt. Das Advaita-Prinzip, das ein ontologisches und kein erkenntnis-
theoretisches Prinzip ist, trägt, so Panikkar, nicht zur Uniformität, sondern zur Einheit in der
Vielfalt der Wirklichkeit bei.
Laut Panikkar ist die Wirklichkeit nicht eins und nicht zwei; das ist Advaita. Panikkar versteht
das Advaita-Priinzip als die dritte Alternative zwischen Monismus und Dualismus. Es gibt nicht
nur die Alternative des Monismus, und vdes Dualismus, sondern auch des Advaita. Advaita ist
die dritte Möglichkeit zwischen Uniformität and Vielfalt. Diese dritte Möglichkeit ist, wie
gesagt, eine ontologische Erfahrungs- und Verstehensweise.
Dies wird klar, wenn wir uns mit Panikkars Prinzip der Ontonomie vertraut machen [1978/8,
203]. Dieses Prinzip (nomos tou ontos) bezieht sich auf das innere und konstitutive Gesetz
jedweden Seins und zwar in einer solchen Art und Weise, dass das selbständige Wachsen von
jedem Sein in der Bezugsganzheit der Wirklichkeit gesichert ist. Ontonomie scheint mir sehr mit
dem indischen ®ta verwandt wenn nicht identisch zu sein. In der vedischen Metapher des
Weltopfers, wo jedes Wesen mit jedem anderen Wesen organisch verbunden ist, ist das Prinzip
von ®ta für die Harmonie aller Wesen verantwortlich [1977(1.), 347-349]. ®ta sorgt dafür, dass
kein Wesen mit einem anderen Wesen identisch noch von ihm getrennt ist [1977(1.), 350-351].
So auch das Gesetz der Ontonomie. Harmonie oder Einheit in der Vielfalt – das sind keine
statischen Metaphern, sondern sie stellen eine Dynamik vor, die jedes Wesen mit allen anderen
Wesen in Einklang bringt. Ontonomie halt die Polaritäten aufrecht, ohne entweder in einen
Monismus noch in einen Dualismus zu verfallen. Nur der Mensch, wie zu vermuten ist,
respektiert dieses Gesetz nicht und so entsteht Unordnung in der Welt. Dies wird klar, wenn wir
uns mit Panikkars Prinzip der Ontonomie vertraut machen [1978/8, 203]. Dieses Prinzip (nomos
tou ontos) bezieht sich auf das innere und konstitutive Gesetz jedweden Seins und zwar in einer
solchen Art und Weise, dass das selbständige Wachsen von jedem Sein in der Bezugsganzheit
der Wirklichkeit gesichert ist. Ontonomie scheint mir sehr mit dem indischen ®ta verwandt wenn
nicht identisch zu sein. In der vedischen Metapher des Weltopfers, wo jedes Wesen mit jedem
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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anderen Wesen organisch verbunden ist, ist das Prinzip von ®ta für die Harmonie aller Wesen
verantwortlich [1977(1.), 347-349]. ®ta sorgt dafür, dass kein Wesen mit einem anderen Wesen
identisch noch von ihm getrennt ist [1977(1.), 350-351]. So auch das Gesetz der Ontonomie.
Harmonie oder Einheit in der Vielfalt – das sind keine statischen Metaphern, sondern sie stellen
eine Dynamik vor, die jedes Wesen mit allen anderen Wesen in Einklang bringt. Ontonomie halt
die Polaritäten aufrecht, ohne entweder in einen Monismus noch in einen Dualismus zu
verfallen. Nur der Mensch, wie zu vermuten ist, respektiert dieses Gesetz nicht und so entsteht
Unordnung in der Welt.
Advaita und Ontonomie sind also zwei Seiten ein und derselben Münze. Advaita drückte sich
negativ, a-dvaita, nicht-dualistisch, aus und Ontonomie hebt den Harmonisierungs-Prozess der
Gesamt-Wirklichkeit hervor.
Wie reimt sich nun das Advaita-Prinzip mit der dreifachen Dynamik zusammen? Wenn wir von
der dreifachen Dynamik sprechen, dann meinen wir damit, dass es in der einen dreiförmigen
Dynamik drei Dimensionen am Werk sind, wir meinen aber nicht, dass jede dieser drei
Dimensionen eine je eigene, von den anderen zwei unabhängige Dynamik hat. Gemeint ist eher,
dass eine, jedoch pluralistische aus drei Dimensionen bestehende, Dynamik am Werk ist. Gerade
hier leistet das Advaita-Prinzip gute Dienste, indem es als die dritte Alternative von nicht-eins
und nicht-zwei, funktioniert. Dementsprechend ist auch die pluralistische Dynamik advaitisch.
Die aus den drei Dimensionen bestehende Dynamik kann nicht als eine noch als zwei
beschrieben werden.
2. Panikkars erste Trinitätsversuche
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die dreiface Dynamik der Wirklichkeit
irgendwie schon in den ersten in spanischer Sprache veröffentlichten Schriften Panikkars eine
entscheidende Rolle gespielt haben muss [1942(1.)] & [1961b(1.). Wie dem auch sein mag, die
ersten trinitarischen Überlegungen Panikkars sind in seinem bahnbrechenden aber vielfach
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missverstandenen Buch Der unbekannte Christus im Hinduismus zu finden, besonders der
Abschnitt “Advaita und Trinität” beinhaltet samenhaft alle trinitarische Gedanken, die dann
später reiche Früchte tragen. Sie stellen eine Art Ouvertüre zu der trinitarischen Symphonie5 dar,
die ihre Vollendung in seinem The Fullness of Man [1979(2.), 65] erreicht.
Die eigentlichen Trinitäts-Gedanken sind in The Trinity and the Religious Experience of Man
thematisiert worden.6 Sie beabsichtigen, thematisch eine Brücke zu den frühkonziliarischen
trinitarischen Aussagen zu schlagen. Schon hier erahnt man die ersten Schritte einer grossartigen
Entwicklung. Panikkar stellt diese Dynamik schon in den drei Spiritualitäten vom Karma-marga,
Bhakti-marga und Jñana-marga fest. Die erste hat mit der kultischen Handlung, die zweite mit
dem Personalismus and die dritte mit dem Bewusstsein oder Versenkung zu tun. Die kultische
Handlung entspricht der späteren kosmischen Dimension, der Personalismus der menschlichen
Dimension und, das Bewusstsein oderVersenkung der tiefen - oder “göttlichen” Dimension.
Diese drei Formen der Spiritualitäten, behauptet Panikkar, sind ein unveränderlicher
menschlicher Faktor in den meisten Religionen zu sehen [1970d(6.), 32].
Im ersten Stadium sind wenige Überlegungen, die die Beziehungen zwischen den drei
Spiritualitäten aufzeigen, ausser in den letzten Aussagen des Trinitätsbuches, wo vom
Theandrismus (heute aber vom Kosmotheandrismus) die Rede ist. Es geht Panikkar zuerst und
vor allem darum zu zeigen, dass diese Spritualitäten die eigentlichen Spiritualitäten der
verschiedenen Religionen sind und dass sie den drei Dimensionen der Trinität entsprechen.
Übrigens geht es im Kosmotheandrismus um the grundsätzliche Haltung, die uns befähigt, die
Grundvorstellung der meisten Religionen der Welt zu verstehen und zu teilen [1970d(6.), 32].
Bei seinen thematischen Trinitätsüberlegungen behauptet Panikkar, dass der Vater der
christlichen Tradition der tiefsten Dimension im Menschen gleicht und dem “totalen
Apophatismus entspricht” [1970d(6.), 77]. “Die Hingabe an den Vater mündet in einen
Apophatismus des Seins; sie ist eine Bewegung nach nirgendwohin, ein ständig offenes Gebet
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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hin zu dem grenzenlosen Horizont.” [1970d(6.), 77]. “Der Vater hat kein Sein: Der Sohn ist sein
Sein” [1970d(6.), 76]. Panikkar zitiert den heiligen Irenäus: “Der Sohn ist die Sichtbarkeit des
Unsichtbaren” [1970d(6.), 77], das offenbar auf das Johannesevangelium zurückgeht: “Wer mich
gesehen hat, hat den Vater gesehen” [1970d(6.), 78].
Der Sohn ist Gott von [Gott] und Licht vom [Licht] [1970d(6.), 80]. Obwohl Christ, sowohl als
Messias als auch Name von Jesus von Nazareth, zu verstehen ist, zieht Panikkar die
ursprüngliche hebräische Bedeutung vom “Gesalbten” vor, denn dieser “Christus, ob offenbart
oder verborgen, ist das einzige Band zwischen dem Geschaffenen und dem Ungeschaffenen, dem
Relativen und dem Absoluten, dem Zeitlichen und dem Ewigen, der Erde und dem Himmel.
Christus ist der einzige Vermittler. Alles, was zwischen diesen beiden Polen als Vermittlung,
Band, ‘Leitung’ wirkt, ist Christus, der einzige Priester des kosmischen Priestertums, die
Salbung par excellence” [1970d(6.), 82].
Hier fügt Panikkar eine wichtige Bemerkung hinzu, die in seinen späteren Schriften seine
Meister-Leistung darstellem wird: “Wenn ich dieses Band zwischen dem Endlichen und dem
Unendlichen mit dem Namen Christus bezeichne, setze ich keine Identifizierung mit Jesus von
Nazareth voraus” [1970d(6.), 83]. Weiter: “Der Grund, warum ich ihn ausdrücklich Christus
nennen möchte, liegt darin, dass Christus, phänomenologisch gesprochen, nach meinem
Verständnis die Grundmerkmale des Vermittlers zwischen dem Göttlichen und dem
Kosmischen, dem Ewigen und dem Zeitlichen usw. darstellt, jenen Vermittler, den andere
Religionen Ishwara, Tathagata oer auch Jahwe, Allah usw., nennen” [1970d(6.), 82]. “Die
Wesen sind, insofern sie am Sohn teilhaben, sie sind von, mit und durch ihn. Jedes Sein ist eine
Christophanie, eine Verkörperung Christi” [1970d(6.), 84].7
Der hinduistische besonders upanishadische Einfluss auf Panikkar wird bei seinen Geist-
Gedanken deutlich. Der Geist ist die göttliche Immanenz des Vaters, ebenso die göttliche
Immanenz des Sohnes[1970d(6.), 90]. “Der Geist ist die Kommunion zwischen demVater und
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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dem Sohn; er ist zugleich dem Vater wie dem Sohn immanent” [1970d(6.), 90]. “Das Selbst des
Vaters ist der Sohn, sein An-Sich ist der Geist. Aber der Sohn hat kein Selbst; er ist das Du des
Vaters; sein Selbst im Verhältnis zum Vater ist ein Du” [1970d(6.), 90]. “Es gibt nur den Geist
des Vaters und des Sohnes. Er ist der Gesandte. Er ist weder ein Ich, das zu einem anderen
spricht, noch ein Du, zu dem ein anderer spricht, sondern vielmehr das Wir zwischen demVater
und dem Sohn, dieses Wir, das auf eine besondere Weise zugleich die Gesamtheit des
Universums umfasst” [1970d(6.), 90].8
Schon in diesen Trinitätsüberlegungen weist Panikkar auf den Platz hin, den Buddhismus und
Hinduismus in seinem trinitarischen Verständnis einnehmen. Der Vater hat kein Sein, weil er in
der Zeugung des Sohnes ihm alles übergeben hat. Der Sohn ist das Sein des Vaters. “Das
Absolute, der Vater, ist nicht. Er besitz keine Ex-sistenz, nicht einmal ein Sein. Er hat sozusagen
alles in der Zeugung des ohnes hingegeben. Im Vater ist der Apophatismus (die kenosis oder
Entleerung) des Seins wirklich und allumfassend” [1970d(6.), 74]. An diesen Zusammenhang
stellt Panikkar die Frage: “Ist es nicht hier, in diesem wesentlichen Apophatismus der ‘Person’
des Vaters, in dieser kenosis des Seins in seinem eigenen Ursprung, wo die buddhistische
Erfahrung des nirvåna und shunyatå. (Leere) anzusiedeln wäre?” [1970d(6.), 75].
Auch das upanishadische Brahman ist nicht ein Selbstbewusstsein, denn der Atman ist das
Bewusstsein des Selbst. Ähnlicherweise kann man sagen: “Der Sohn ist nicht ein Objekt, das
Erkannte des Vaters, sondern das Erkennen des Vaters, weil er das Sein des Vaters ist”
[1970d(6.), 75]. Im weiteren kommen diesen drei “Personen” der Trinität drei wesentlichen
Dimensionen der Spiritualität zu, die Panikkar als Apophatismus, Personalismus and göttliche
Immanenz bezeichnet [1970d(6.), 84].
Damit hat Panikkar den Grundstein für sein interreligiöses Verständnis der Trinität gelegt.
3. Die kosmotheandrische Vision oder der Dreiklang der Wirklichkeit
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Die dreifache Dynamik, die Panikkar in den Spiritualitäten der Religionen entdeckt hatte und die
dann in der dreifachen Dynamik des Vaters, des Sohnes und des Geistes bestätigt wurde, fand
eine “säkulare” Formulierung in seinem bahnbrechenden Beitrag “Colligite fragmenta: For an
Integration of Reality” [1977/7]. Mit diesem Dreiklang der Wirklichkeit [1993a(2.); englisches
Original [1993a(1.)] stellte er den Kosmotheandrismus vor. Mit anderen Worten: Die Dynamik,
die Panikkar in der christlichen Dreifaltigkeit am Werk sah, entdeckte er in der ganzen
Wirklichkeit, aber so, dass sie immer anders erlebt und immer anders formuliert wird und
werden kann.
Auffallend ist der Ausgangspunkt; er ist nicht mehr die christliche Trinität, sondern die normale
Alltagserfahrung. Jede Erfahrung zeigt drei Dimensionen: Die Dimension des Wahrnehmbaren,
die Dimension des Wahrnehmenden und die Tiefendimension. Das heisst nun, dass alles, was
wir erleben, wissen, denken, tun, usw. die Dreidimensionalität zeigt. Die erste Dimension, die
zur Wahrnehmungsebene gehört, ist eine quantifizierbare Dimension. Ohne sie wäre keine
Kommunikation möglich. Dies ist die kosmische oder materielle Dimension.
Dieser Dimension entspricht die wahrnehmende Dimension. Das ist die Bewusstseinsdimension
oder menschliche Dimension, weil sie in den menschlichen Wesen überwiegt. Diese zwei
Dimensionen ergänzen sich gegenseitig. Die beiden aber haben eine wichtige Gemeinsamkeit.
Weder das wahrnehmbare Dimension noch die wahrnehmende Dimension hat gleichsam ein
Ende. Die wahrnehmbare Dimension kann “unendlich” wahrgenommen werden und der
Wahrnehmende kann“unendlich” wahrnehmen. Es wird keine Zeit geben, wo das
Wahrzunehmende erschöpfend wahrgenommen wird; noch wird es eine Zeit geben, wo der
Wahrnehmende je behaupten könnte, dass er alles erschöpfend wahrgenommen habe. Was diese
Unendlichkeit sowohl beim Wahrnehmenden wie auch beim Wahrzunehmenden möglich macht,
ist die Tiefendimension, die wie eine Art Horizont fungiert. Je mehr wir uns dem Horizont
nähern, desto mehr tritt er in den Hintergrund zurück.
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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Jede dieser drei Dimensionen ist einzigartig. Jede ist unentbehrlich aber gleichzeitig kann keine
ohne die anderen sein. Sie sind alle gegenseitig von einander abhängig, obwohl keine zu den
anderen reduziert werden kann.
Diese dreifache Dynamik durchdringt nun jedes Wesen und die Gesamtwirklichkeit. Es gibt kein
Wesen, das von dieser Dynamik frei ist. Auch das Wissen und das Wesen der Menschen setzen
diese Dynamik voraus. Ohne sie könnten die Menschen nicht sein, ohne sie könnten sie die
Wirklichkeit nicht erkennen. Ohne sie wäre die Wirklichkeit heillos fragmentiert.
Nun behauptet Panikkar, dass diese dreifache Dynamik eine menschliche Invariante ist. Auch
wenn sie immer anders erlebt und ausgedrückt wird, kommt sie immer wieder in allen Kulturen
in verschiedenen Variationen vor.
3.1.Die kosmotheandrische Welt der Symbole
Alles ist kosmotheandrisch, alles besteht aus den drei kosmischen, menschlichen und götllichen
Dimensionen aber in verschiedenen Variationen. So z.B. überwiegt in einem Stein die kosmische
Dimension, im Menschen überwiegt die menschliche Dimension und in Gott die göttliche oder
Tiefen-Dimension. Das heisst aber nicht, dass die anderen Dimensionen fehlen. Das ist eine
Einheit in der Vielfalt; die Wirklichkeit, sagt Panikkar, ist pluralistisch. Hier ist das Advaita-
Prinzip am Platz.9
Aber vorher müssen wir die kosmotheandrische Wirklichkeit aus einer anderen Perspektive
erläutern. Die kosmische Dimension ist eine Dimenson der Wahrnehmung. Die
Wahrnehmungswelt ist unsere Brücke zur Welt der Dinge sozusagen. Aber die Dinge sind nicht
einfach Dinge, weil sie durch und durch kosmotheandrisch sind. Das heißt, jedes Seiende besteht
aus der kosmischen, menschlichen und göttlichen oder Tiefen-Dimension. Hier hilft Panikkars
Zugang zum Symbol-Verständnis.
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Ein Symbol symbolisiert für Panikkar das Symbolisierte [1979(1.), 7-8].10 Ein Symbol ist nicht
Symbol von etwas, sondern es ist ein Symbol von sich selbst. Das Symbol symbolisiert sein
eigenes Selbst sozusagen. Das Eigenwesen erscheint im Symbol. Der Leib ist das Symbol der
Person. Die Person erscheint nur, wenn überhaupt, durch den Leib und im Leib. Auch wenn Leib
und Person nicht zwei Seiende sind, sind sie nicht einfach identisch. Der Leib ist die
“Erschieinung” der Person, er bringt sie zum Erscheinen. Die Person drückt sich durch den Leib
und im Leib aus.
Im Bereich der Kosmotheandrik können wir all das so darstellen:
Die kosmische Dimension ist das Symbol, die Symbol-Dimension.
Die göttliche Dimension ist das Symbolisierte [Geheimnis].
Und die menschliche Dimension ist die Symbol entdeckende Dimension.
Symbol und Symbolisiertes sind nicht identisch, sie sind aber auch nicht verschieden, sie sind
nicht-eins und nicht-zwei, sondern durch eine advaita-Beziehung miteinander verwandt. Wenn
wir dies verstehen, werden wir Panikkars Behauptung, dass jedes Seiende eine Christophanie11
ist, auch verstehen. Jedes Seiende als Symbol, und nicht als Objekt oder Gegenstand,
symbolisiert ihre symbolisierte Tiefen-Dimension.
4. Die Fülle des Menschen
Bis jetzt war ich der Meinung, dass damit Panikkars Verständnis der Trinität seinen Höhepunkt
erreicht hatte. Ich musste mich aber des Besseren belehren lassen, als mir das Manuskript von
The Fullness of Man in die Hände fiel.12 In diesem Stadion der Entwicklung der trinitarischen
Gedanken Panikkars geschieht eine Verschmelzung der ersten zwei Stadien: der christlichen
Trinität und des Dreiklanges der Kosmotheandrik. Die christlichen Überlegungen von den drei
“Personen”, die bei den kosmotheandrischen Uberlegungen in den Hintergrund getreten waren,
werden hier wieder thematisch, ja sie stehen sogar im Mittelpunkt. Jedoch geschieht dies nun auf
interreligiöse Art und Weise.
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Panikkar zählt drei anthropologische Zugänge von “Individuum”, “Person” und “Adhyatma” auf
[1994b(2.), 84-105]. Der erste bezieht sich lediglich auf das geschichtliche Individuum Jesus,
seine eigenartigen Werke und Worte in seinem spezifischen Kontext. Die Frage hier heißt, “Was
ist der Mensch?” Das ist der Bereich der Exegese mit seinen speziellen Methoden. Genau da
steckt aber der Haken, denn ein Individuum als solches ist eine Abstraktion. Ein solches
Individum gibt es nicht. In der Tat gibt es den Menschen als Person und Person besteht aus
Beziehungen.
Der Bereich von Person, den Panikkar bespricht, ist der zweite Zugang. Für ihn ist eine Person
ein Knotenpunkt im Netzwerk der Beziehungen [1994b(2.), 91]. Sein ist sowohl personal wie
auch relational. Das alles aber setzt im Falle von Person nicht nur das Bewusstsein und
Selbstbewusstsein, sondern auch eine Beziehung, eine Kommunion, von “Ich und “Du”, voraus.
Konkret impliziert das im Falle von Personsein Teilnahme am Selbst-Bewusstsein des anderen
[1994b(2.), 95-96]. Eine solche Beziehung zwischen dem Ich und dem Du ist eine nicht-
dualistische, d.h. advaitische Beziehung 1994b(2.), 98]. Daraus entwickelt man eine
“Christologie”. Man beschreibt die Person Jesus. Die herkömmlichen Christologien, wie
unterschiedlich auch immer sie sein mögen, gehören hierher. Dabei geht es ihnen darum, die
trinitarischen Beziehungen zu den Personen von “Vater” und “Geist” festzustellen und sie
zeitgemäß auszulegen, ja sogar in ein persönliches Verhältnis zu Jesus zu treten.13 Die
eigentliche Frage hier heißt, “Wer ist der Mensch?”
Ist der erste Zugang individualistisch, so steht der zweite Zugang (von Person) in Beziehung zur
ganzen Wirklichkeit. Der dritte anthropologische Zugang ist der Adhyatma Zugang, der mit dem
Selbst-Bewusstsein, oder wie Panikkar es ausdrückt, mit dem dritten Auge zu tun hat. Das ist der
Bereich des Ganzheitlichen, aber eben aus der Perspektive des Subjekts [1994b(2.), 98-99].
Adhyatma (adhi-atma) ist upanischadischer Brauch und bedeutet soviel wie “was den Atma
angeht”, “der Bereich des Atma”. Der Atma ist der innerste und tiefste Kern, das Wesen des
Menschen, das zum “göttlichen” (Brahman) Bereich gehört. Dies ist der Bereich des
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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Widerfahrnisses, wo einem etwas widerfährt. Panikkar geht es darum das, was Jesus (auf der
“Wer bin ich?” Ebene) widerfahren ist, zu erleben. Es geht also um das mystische Erleben von
Jesus, denn Christophanie hat mit der mystischen Erfahrung von Jesus Christus zu tun. Darin
unterscheidet sich Christologie von Christophanie. Diese vernachläßigt wohlgemerkt nicht die
Christologie; sie transzendiert sie, dass heißt, sie setzt sie voraus und geht über sie hinaus. Der
Bereich der Christophanie nennt Panikkar den “Adhyatma”. Die Frage auf dieser Ebene lautet,
“Wer bin ich?” und sie wird hier nicht auf objektive oder auf persönliche Weise, sondern auf der
Ebene des selbstbewussten Subjekts behandelt [1994b(2.), 84-105].
Mystisch heißt für Panikkar das Erleben vom letzten Geheimnis, in den Bereich vom letzten
Geheimnis bewusst eintreten [1994b(2.), 68]. Panikkar bedauert, dass mystische Erfahrung in der
Geschichte der Kirche suspekt geworden und auf die Seite gedrängt worden ist.
Die drei Zugänge bezeichnet Panikkar auf folgende Weise. Man könnte sich auf den
geschichtlichen Menschen Jesus konzentrieren und rufen, “er ist der Weg” [1994b(2.), 105];
oder sich auf die Person Jesus konzentrieren und bekennen, “Du bist die Wahrheit” [1994b(2.),
105]; oder noch tiefer eindringen und dort “Christus” entdecken und sich die Einsicht aneignen,
“Du bist das Leben!” [1994b(2.), 105]. Diese dritte Erfahrung, meint Panikkar, ist eine mystische
Erfahrung, wodurch Jesus den Christus erlebte. Das letzte “Du” aber lässt Panikkar nicht in
Ruhe. Daher unternimmt er eine Art Phänomenologie und entdeckt den Unterschied zwischen
den Erfahrungsebenen von Sein und Haben im Bewusstseins-Zustand.
Das “alltägliche” Ich ist laut den hinduistischen Traditionen der “Ahamkara”, der ein Pseudo-Ich
ist und der auf der Ebene des Habens funktioniert. Dieses Pseudo-Ich ist das “Mich” (in
Panikkars Sprache). Der eigentliche Kern der Person ist der Atma (das Selbst). Das wirk-liche,
d.h. wirkende Ich von diesem ‘Mich’ (Ahamkara) ist nicht ein Ich. Denn Was ich bin, ist
sicherlich nicht identisch mit dem, was ich habe. “Das ‘Mich’ habe ich und damit habe ich alles
andere. Das ‘ich’ habe ich nicht, ich bin (es).” [1994b(2.), 111].
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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“Ja”, sagt Panikkar, “ich habe ein ‘Mich’ aber ich bin nicht identisch mit meinem Mich. ‘Mein’
‘ich’ geht über dieses ‘Mich’ hinaus.” [1994b(2.), 112]. Unser ich (Panikkar nennt es das kleine
Ich) ist weder relevant noch endgültig. All das ist hinduistisches Gedankengut.
Um das ein wenig zu klären: das alltägliche Ich ist ein Pseudo-Ich (Ahamkara); was ich wirklich
bin, ist nicht identisch mit dem, was ich habe. Dieser Ahamkara, der nach den indischen
Religionen sterben muss, ist nicht das, was ich bin. Auf der Seins- und Bewusstseinsebene bin
ich aber ich bin kein Ich. Auf der Seins- und Bewusstseinsebene bin ich, meint Panikkar, ein
“Du”, ein Du von dem eigentlichen Ich, Gott (Brahman). Mein Atma-Bewusstsein ist ein Du.
Das wirk-liche, d.h. wirkende Ich ist Gott und ich bin sein Du. Ich und Du sind weder separat
noch identisch; sie stehen in einer advaitischen, d.h. nicht-dualistischen Beziehung zueinander.
Dies ist der Kern der Panikkar’schen phänomenologisichen Betrachtung und ist nur eine
Vorbereitung auf das, was nun folgt.
In seiner bewußten Pilgerfahrt zum Zentrum seines Seins ist Panikkar sich bewußt, dass er sich
weder mit seinem Körper oder seinem Denken oder mit dem, was er heute ist noch gestern war
noch morgen sein wird, identisch. Hier begegnet er einer profunden Wahrheit der Erfahrung des
Endlichseins, worin er “die am Rande stehende Berührung zwischen Transzendenz und
Immanenz entdeckt”. Er sieht ein, dass wir Teilnehmer an und integrer Teil von dem Fluß, den
wir Wirklichkeit nennen, sind. “Ich bin der Punkt der Tangente, in der sich die zwei Polen [von
Welt und Gott] begegnen. Ich stehe zwischen den beiden” 1994b(2.), 111].
Die Sache ist subtil und bedarf der Klärung. Panikkar sagt:
“…was ich bin, ist sicherlich nicht identisch mit dem, was ich habe. Das ‘Mich’
habe ich und damit habe ich alles andere. Das ‘Ich’ habe ich nicht, ich bin (es).
Was ich bin, ist weder Kreatur noch Schöpfer. Ich weiß nicht, was ich bin. Ich
weiß, dass, ich irgendwie die Grenzen transzendiert habe, obwohl ich begrenzt bin:
das Bewusstsein, dass ich begrenzt bin, zeigt, dass ich unendlich bin. Ich bin weder
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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begrenzt, denn ich weiß, dass ich ein solcher bin, noch unendlich, denn ich bin mir
meiner Begrenztheit bewußt.”
Dennoch:
“Was dieses “Ich” angeht, das irgendwie von meinem ‘mich’ untrennbar ist, kann
ich nichts aussagen, außer vielleicht das, dass, obwohl es ‘mich’ bleibt, es nicht
‘mich’ ist.”
In diesem Zusammenhang behauptet Panikkar: “Das Ich ist voraus und höher als die Erkenntnis,
wer oder was ich bin” [1994b(2.), 111]. Aber dieses immer vorausgehende Ich ist in der Tat ein
Du, das wie ein Feld von dem Ich ist, das nicht vergegenständlicht werden kann. Damit kann
Panikkar seine Gedanken zu Ende führen: “Kurz: mir ist es gelungen, das ‘mich’ als ein ‘Du’
von dem Ich zu erleben.” Denn Gott kann nicht ein Du sein. Gott ist das Ich und ich ein Du
[1994b(2.), 113]. “Aber in schwierigen Augenblicken von Leiden und Prüfung in meinem Leben
wurde ich spontan dazu geführt, Dich, Vater, Gottheit anzurufen – und noch öfters Christus,
meine ^Ω†adevatå” [1994b(2.), 113].14
Offenbar geht Panikkars Phänomenologie von seinem Vorverständnis der indischen besonders
hinduistischen Überlieferungen aus und sie wird von seinem christlichen Glauben ergänzt . Denn
hier fährt er fort. Dieser Christus ist der Vermittler zwischen dem Unendlichen und mir. Es ist
der Christus, der im tiefsten Zentrum unseres Seins wohnt. Es ist derselbe Christus, zu dem sich
Paulus bekennt: “Es ist nicht mehr ich, der ich jetzt lebe, sondern Christus lebt in mir.” (Gal
2:20) Das Du, das ich bin ist das Wohnen von Christus im tiefsten Zentrum meines Seins.
Nach diesen einleitenden aber notwendigen Überlegungen untersucht Panikkar drei wichtige
Aussagen von Jesus Christus. Er unternimmt etwas zu tun, was keine Christologie je gewagt hat
zu tun, nämlich die Texte so auszulegen, dass sie uns am Schluß möglicherweise in Berührung
mit dem mystischen Erleben von Jesus bringen könnten. Hier erinnert uns Panikkar an
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Folgendes: “Christus ist nicht gekommen, Lehren zu erteilen als Leben mitzuteilen, (Joh 10:10)
sein eigenes Leben und das Leben des Vaters” [1994b(2.), 153].
Die Schlüssel-Metaphern in diesem Zusammenhang sind: kosmotheandrische perichoresis,
koinonia, Filiation (English: filiation), die eine menschliche Invariante ist, creatio continua, die
Panikkar einsichtsvoll als incarnatio continua auslegt, und kenosis. Christologie gibt sich mit
Christus (“Du bist der Sohn Gottes!”) und mit dem, was er sagte und lehrte, ab. Panikkars
Christophanie ist eine Einübung in die mystische Erfahrung von Jesus Christus und eine
Teilnahme an der gleichen transzendenten Erfahrung und an der tiefen Einsicht, die Jesus hatte”
[1994b(2.), 136]. “Du bist mein Vater insofern Du mich hervorbringst: Du bist nicht anderes als
Vater, der sich mit keiner anderen Aktivität abgibt als das Hervorbringen” [1994b(2.), 136]. In
diesem Zusammenhang zitiert Panikkar den Hl. Thomas von Aquin: “Mit dem selben Akt, mit
dem Gott den Sohn hervorbringt, bringt er auch die Welt hervor” [1994b(2.), 136].
Das Interessante an dieser Überlegung ist Folgendes: Das Hervorbringen ist gleichsam das “Ich”
von allem. Dieses Ich (interkulturell als das Brahman der Upanishaden oder die Leere des
Buddhismus gesehen) bringt das “Du”, den Sohn, den Christus hervor, in dem und durch den wir
unsere Kindschaft (filiation) entdecken können. Panikkars brilliante Auslegungen von
entscheidenden Texten (wie “Abba, Vater!” und “Ich und der Vater sind eins”) überzeugen uns,
dass auch wir wirkliche und nicht nur adoptive Kinder dieses Abba sind. Christophanie ist eine
andauernde Einladung, einzusehen, dass wir in den ewigen Prozess eingetaucht sind, in dem das
Ich den Sohn duzt und der Geist uns dazu drängt, “Abba, Mutter!’ auszurufen. Der Prozess des
Hervorbringens ist ein andauerndes Duzen. Wie Jesus bin auch ich ein Du des Vaters. Auf der
Adhyatma-Ebene machen Ich (Vater) und Du (Sohn) zwei Pole ein und derselben Wirklichkeit
aus, wobei zwischen ihnen ein nicht-dualistisches, ein advaitisches Verhältnis herrscht
[1994b(2.), 148]. Im Gegensatz zu der Christologie macht uns Christophanie auf die
Aufforderung des Geistes aufmerksam, auszurufen: “Ich und der Vater sind eins” (aber wie
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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Panikkar dies qualifiziert) “sofern mein Ich verschwindet und mein Ich verschwindet, in dem
Maße ich mich unter denen teilen lasse, die zu mir kommen und mich “essen” [1994b(2.), 151].
Panikkars dritter und letzter Text “Es ist gut, dass ich gehe” lässt die Wahrheit des Geistes
erkennen. Unsere Meditation findet im Kontext unserer dreieinen Beschaffenheit statt. Wie ein
indischer Raga kehren wir immer wieder zu der gleichen Thema zurück aber immer auf neue und
erfrischende Art und Weise. Unser Thema: “Das ist genau, was die Erfahrung der Trinität ist: wir
wissen, dass wir in eine kosmotheandrische perichoresis eingefügt sind…” [1994b(2.), 141].
Erst wenn Jesus weggeht, kommt der Geist, der uns in die ganze Wahrheit einführen wird. Sein
Wegang bedeutet seine Gegenwart auf neue Weise. Jedes Seiende ist eine Christophanie, eine
Manifestation dieser Gegenwart. Jedoch heißt Gegenwart nicht immer historische und zeitliche
Gegenwart. Die Inkarnation als trinitarische Vision von der Schöpfung befreit uns von solchen
Fesseln.15 Genauso wie die creatio eine creatio continua ist, so ist auch die Inkarnation eine
incarnatio continua. Unsere Würde besteht gerade darin, dass wir einmalige Teilnehmer sind an
der creatio continua, d.h. incarnatio continua. Und “wenn ich nichts für mich wünsche, dann bin
ich alles und habe alles. Ich bin eins mit dem Ursprung, insofern auch ich mich wie ein Ursprung
benehme, indem ich alles, das ich empfangen habe, wieder zum Fließen bringe – genauso wie
Jesus” [1994b(2.), 152]. (154) Panikkar erinnert uns an die Eucharistie, die ein Werk des Geistes
ist und spricht von der Auferstehung als “die wahre Anwesenheit der Abwesenheit” [1994b(2),
164]. “Das Ich wird sterben und auf diese Weise Platz für den Geist schaffen: Das ist Leben und
Auferstehung” [1994b(2), 170].
Schließlich und endlich artikulieren die Kapitel über Christische Erfahrung die Folgen und
Konsequenzen der Christophanie. Der Christus der Christophanie ist, z.B., der Christus, der war,
ist und sein wird in der ganzen Schöfpung, d.h. in jedem Seidenden und nicht nur in Jesus.
“Jesus ist Christus aber Christus kann nicht völlig mit Jesus identisch sein” [1994b(2), 191].
Daher brauchen die anderen Überlieferungen ihn mit seinem griechischen Namen nicht zu
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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rufen [1994b(2), 197]. Ähnlicherweise öffnet uns die Christophanie die Augen auf die
Ökosophie, damit “wir auf die Weisheit der Erde hinhören”; die Geschichte und
Geschichtsdenken nicht verabsolutieren (und dementsprechend einsehen: “Die Inkarnation als
geschichtliches Ereignis kann nicht als eine universell menschliche Tatsache betrachtet werden
kann” [1994b(2), 215]; und “Auch das Christentum eine kulturelle Konstruktion ist” [1994b(2),
216]. Vor allem muss man sich merken: “Christophanie ist das Symbol des mysterium
conjunctionis von der göttlichen, menschlichen und kosmischen Wirklichkeit ist” [1994b(2),
225].
Die Tragweite dieser Behauptung darf uns nicht entgehen. Wir haben die Wirklichkeit des
Symbols schon besprochen. Symbol ist etwas Ganzheitliches, weil es Sein, Bewusstsein und
Selbstbewusstsein einschließt. Christophanie ist die Offenbarung, Offenwerdung des Christos in
der Schöpfung und in jedem Seienden; und dies nicht nur im Bereich des Raum-zeitlichen,
sondern und vor allem auch im Bereich des Adhyatma, dessen Eigenart aus der Teilnahme an der
Kommunion besteht. Christophanie ist eine Offenbarung des Grund-Symbols Christus, das alles
in sich aufnimmt und zur Erfüllung, d.h. zur Fülle führt.
5. Zusammenfassung Panikkars Trinitätsverständnis
Fassen wir Panikkars trinitarische Gedanken zusammen. Panikkars erste Trinitäts-Überlegungen
beschäftigten sich mit den neutestamentlichen Aussagen und den Bekenntnissen der
Frühkonzilien. Dort versuchte er der Symbolik (und nicht der Begrifflichkeit)16 der Aussagen
konsequenter nachzugehen. Bei diesem Vorgang kommt Panikkar darauf, dass die Betonung bei
der “Aneignung” der Trinität nicht auf “Gott” allein sein darf, und dass die dreifache Dynamik
oder, wie er selber es ausdrückt, der Dreiklang der Wirklichkeit ernst genommen werden muss.
So entwickelt sich seine kosmotheandrische Intuition, die allen drei Zentren der Wirklichkeit,
der kosmischen, menschlichen und Tiefen-Dimension ohne Diskriminierung Gerechtigkeit
fahren lässt.
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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Die Gefahr bei dieser Betrachtung liegt darin, dass sowohl die persönliche wie Adhyatma-eigene
Aneignungsweisen übersehen werden. Dieser Gefahr beugt Panikkar dadurch vor, dass er in
seinem The Fullness of Man alle Stränge harmonisch zusammenwebt. In diesem dritten Stadion
wird sogar etwas Neues vorgeschlagen: Teilnahme an der mystischen Erfahrung von Jesus
Christus, denn auch jeder von uns durch den Geist getrieben ausrufen kann, “Ich und der Vater
sind eins!” Die Begründung dafür liegt darin, dass auch wir, die wir in die kosmotheandrische
perichoresis eingetaucht sind, wirkliche Kinder Gottes sind. Panikkars Fazit: “Der Mensch ist
mehr als nur ein ‘Mensch’; er ist ein [kosmo-]theandrisches Mysterium!” [1970d(6.), 112].
6. Panikkars Prinzipien zur Rechtfertigung seiner Auslegung
Panikkar selber hat einige Prinzipien, die seiner Auslegung zugrunde liegen, entworfen. Aus
Platz-Mangel Gründen werde ich sie hier in verkürzter Form (auch wenn meist in seinen eigenen
Worten - Trinität) [1970d(6.), 28-32] wiedergeben.
1. Jeder Christ, der seinen Glauben lebt und eine persönliche Erfahrung des Mysteriums Christi gemacht hat, wird sich weigern, die christliche Wirklichkeit auf den Bereich seiner individuellen Erfahrung einzugrenzen, auch wenn eine solche Erfahrung noch so wertvoll und wesentlich erscheinen mag.
2. Noch weniger wird er die Einschränkung dieser Wirklichkeit auf einen begrenzten Ausdruck des Christentums akzeptieren, wie es in irgend einer bestimmten geschichtichen Periode in Erscheinung trat.
3. Je mehr eine Person ihren Glauben subjektiv lebt, je mehr sie ihn assimiliert und sich zu eigen macht, ein desto größeres Bewußtsein seiner Objektivität und desto mehr Ehrfurcht vor ihr wird sie bekommen und gleichzeitig einen Rest entdecken, der sich nicht assimilieren läßt. Es besteht, was den Glauben angeht, eine positive and strenge Korrelation zwischen einer ganz echten Subjektivität und einer ganz wahrhaften Objektivität.
4. Die Unterscheidung zwischen Wesen und Form ist heute für jedes religiöse und insbesondere für das christliche Bewußtsein von großer Bedeutung. Sein Anspruch der Katholizität und Universalität erfordert, dass es sich von jeder kulturellen Einkleidung dissoziiert.
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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5. Der Glaube der Christen müßte sich freimachen von der “christlichen religion”, wie sie tatsächlich existiert und in der Freiheit bleiben, um die Befruchtung herbeizuführen, die sich auf alle Religionen auswirken würde, ebenso auf die alten wie auf die modernen.
6. Der christliche Glaube lebt jedoch in der Zeit und im Herzen der Menschen und verlangt daher die “Inkarnation” in einer konkreten historischen Gestalt. Das von uns so genannte Christentum ist aber nur eine unter anderen möglichen Formen, den christlichen Glauben zu leben und zu verwirklichen. Wir haben kein Recht, diese besondere soziologische Form mit dem christlichen Glauben an sich gleichzusetzen.
7. Die Dynamik der Geschichte lässt sich von einem bestimmten Punkt an nicht aufhalten. Noch weniger ist es möglich, ganz von vorne, ab ovo, wiederanzufangen. Die Formen oder aktuellen Ausdrucksweisen des Christentums, sowie der Theologien, können hinfällig werden, aber wir können uns ihrer nicht entledigen oder sie durch andere ersetzen, die uns in der heutigen Lage vielleicht angemessener erscheinen, ohne die Rechte der Überlieferung, das heißt das historische Band zwischen der Vergangenheit und Zukunft, zu berücksichtigen. Die Kontinuität darf nicht zerissen werden; die Entwicklung muss harmonisch verlaufen, die Bereicherung in einer progressiven Form und die Wandlung auf natürliche Weise geschehen.
8. Ich möchte diese Aufgabe der Vertiefung und Entkonditionierung des Glaubens so angehen, dass ich vor allem einer Methode strenger religiöser Gültigkeit folge, ohne einen sektiererischen Gesichtspunkt zugunsten irgend einer Partei einzunehmen. Wenn wir durch die Entkonditionierung des Christentums zur praktischen Verwirklichung seiner Katholizität beitragen, fördern wir die Entwicklung aller Religionen hin zur Harmonie.
7. Eine Stellungnahme aus indischer Sicht
Eine Stellungnahme aus indischer Sicht mag angeberisch klingen, gemeint ist nur, dass die
Stellungnahme den spezifischen indischen Kontext, der überwiegend von der Vielfalt der
Religionen und weitverbreiteter Armut gekennzeichnet ist, als Hintergrund für die folgenden
Überlegungen nehmen wird.
„Der trinitarische Ansatz von Raimon Panikkar“, in: Bernhard Nitsche (Hg.), Gottesdenken in interreligiöser Perspektive. Raimon Panikkars Trinitätstheologie in der Diskussion (Frankfurt/M: Lambeck & Paderborn: Bonifatius, 2005), 253-267.
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Im Allgemeinen kann ich ohne Weiteres behaupten, dass Panikkars trinitarisches Unterfangen
mir aus dem Herzen spricht. Die Gründe für meine Bejahung vom Panikkars Ansatz sind
folgende:
Heute ist die Zeit der Interkulturalität, wo Kultur als Interkultur und Religion als Interreligion
erlebt werden muss. Denn ob wir es wollen oder nicht, befinden wir uns in einer Epoche, wo die
Kulturen und Religionen sich gegenseitig beeinflüssen. Keine Kultur und keine Religion kann
sich diesen Einflüssen entziehen. Daher ist es an der Zeit, dass wir das Geschehen der
Interkulturation ernst nehmen und ihn anerkennen. Das heisst, erstens, dass monokulturelle
Sprechenweisen nicht mehr genügen und dass wir, was immer die Religion zu der wir gehören,
von unserer Religion so sprechen lernen, dass auch Angehörige anderer Religionen uns
verstehen. Panikkars trinitarische Darstellungversuche gehören in diesen Bereich.
Zweitens: Panikkar ist nicht nur der anderen Religionen kundig, sondern seine Bemühungen
sind stets von einem hermeneutischen Bewusstsein - er nennt es diatopische Hermeneutik
[1978/3, 55] - das die Religionen als Religionen ernst nimmt. Ohne hermeneutisches
Bewusstsein werden die Religionen zu Zentren von Sonderinformationen reduziert, wie vielfach
die Religionswissenschaftler es tun. Noch mehr, Panikkar hat durch seine bahnbrechende
Auslegungen von religiösen Texten Zugänge entwickelt, die zwischen den Religionen und
Kulturen Brückenbauarbeiten möglich machen.
Drittens: Panikkar hat Recht: Der christliche Glaube kann unmöglich durch eine Kultur allein
katholisch werden, dass er daher mit der heutigen christlichen Religion nicht gleichzusetzen ist,
dass er deswegen sich von ihr frei zu machen hat, dass es trotzdem Not tut, für eine Kontinuität
zu sorgen. Das betrifft die asiatischen Kirchen im allgemeinen und die indische Kirche im
besonderen. Der christliche Glaube wird erlebt und immer noch ausgedrückt vom Standpunkt der
anthropischen Geschichte. Das ist wichtig. Nun haben die asiatischen Kirchen die Aufgabe, ihn
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auch aus der Perspektive der Welt der karmischen Geschichte auszudrücken.17 Solche kleinen
Bausteine tun für die Brückenbauarbeit zwischen Religionen not.
Viertens: Es geht nicht darum, die Aussagen von Nicäea, Ephesus und Chalkedon in unsere
Sprachen zu übersetzen, und sie verständlich zu machen. Es geht darum, die christliche
Wirklichkeit neu in unseren Kulturen zu erleben. Wie Panikkar schon betonte, können wir nicht
ab ovo anfangen. Wir beginnen im Kontext unserer jeweiligen Kulturen. Damit wir keinen Bruch
erleiden, brauchen wir einen interreligiösen und einen intrareligiösen Dialog. Der intrareligiöse
Dialog als Zentripetale wird uns einen Horizont für die Glaubensaussagen eröffnen und der
interreligiöse Dialog als Zentrifugale wird diesen Horizont erweitern [1978(5.)].
Fünftens: Das religiöse und säkulare Bewusstsein ist viel komplexer geworden als das der
Kirchenväter vom Osten und vom Westen. Unsere Welt ist wie von Sinnen und will lieber Welt
vernichtende Waffen als Welt heilende Mittel erzeugen. Die Weltwirtschaft und die Armut von
Millionen aber Millionen von Menschen ist eine Sache, die in der Zeit der Kirchenväter
unbekannt war und die die Welt eher teilt als sie sie einigt.
Sechstens: Die grosse Herausforderung unserer Zeit ist die technokratische (und militärische)
Entwicklung. Panikkars kosmotheandrische Vision macht Platz für eine menschlichere
Wissenschaft, die imstande ist, die Friedens- und Gerechtigkeitsanliegen in ihr Selbstverständnis
einzubauen [1993c(1.)].
Siebtens: Panikkars interkulturelle Trinität, nämlich die kosmotheandrische Vision kann als
Treffpunkt der Religionen und sämtlicher Bewegungen zum Wohl der Menschheit und des
Kosmos dienen. Während das traditionelle Verständnis der Trinität wesentlich beim Göttlichen
bleibt, durchdringt die kosmotheandrische Dynamik die gesamte Wirklichkeit.
Achtens: Höchst willkommen ist Panikkars Christophanie, die eine trinitarische Spiritualität
vermittelt. Für Panikkar ist die Trinität weder ein theologischer noch ein spiritueller Luxus; der
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chirstophanische Zugang zur Trinität, wie Panikkar ihn versteht, und wie wir ihn ausgelegt
haben, hat mit Weg, Wahrheit und Leben zu tun.
Neuntens: Christophanie offenbart eine Welt der Symbole, die eine Ökosophie [1999b(1.), 125-
134] fördert und pflegt; sie ist die Antwort auf die Objektivierungs- und
Instrumentalisierungstendenzen moderner Technokratie. Christophanie offenbart eine Welt von
Personen, wo Personsein durch bewusste, personale Beziehungen zur Geltung kommt. Das ist
die Antwort auf die Individualismus-Tendenzen unserer Zeit. Schließlich offenbart
Christophanie die “Christus”-Ebene, worin man seine Einheit mit dem höchsten Geheimnis
entdeckt und dadurch der Anwort auf die Sinnfrage “Wer bin ich?” begegnet. Damit wird der
weitverbreiteten Sinnlosigkeit des Lebens der Boden gezogen. Christophanie hat nichts zu tun
mit einem Gott, der mit der Welt nicht zu tun hat; andererseits vermeidet Christophanie einen
Gott, der ein deus ex machina ist. Christophanie nimmt nicht nur die drei Zentren der
Wirklichkeit, Gott, Welt und Mensch ernst. Mit Hilfe von der Ontonomie und dem Advaita ist es
verständlich, wie unser eigentlicher Wesenskern an allen drei Zentren der Wirklichkeit teilhat.
In dieser trinitarischen Offenbarungsschau wird die verdinglichte Welt in eine Welt von
lebenden Symbolen verwandelt und die Welt von “Individuen” in eine Gemeinschaft von
Personen transformiert und die Trennung zwischen der Welt von Menschen und der Welt vom
letzten Geheimnis aufgehoben.
Am Ende muss nur sachlich festgestellt werden: Wer in einem monokulturellen Brunnen
aufgewachsen ist, wird mit Panikkar nicht viel anfangen können. Wer hingegen die Kraft und die
Freude der interkulturellen Welt erlebt hat, wird in Panikkar die Morgenröte eines neuen
Zeitalters sehen.
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1 PANIKKAR, [1970d(6.), 9].
2 KARL RAHNER, Bemerkungen zum dogmatischen Traktat “De Trinitate”, in: Schriften zur Theologie Bd. IV, Einsiedeln u.a. 1964, 105.
3 Da The Fullness of Man noch einige Monate brauchen wird, bis es das Tageslicht sieht, werde ich die Fußnoten-Hinweise vom italienischen Original La pienezza dell’uomo. Una cristofania [1994b(2.)].
4 PANIKKAR, A Self-Critical Dialogue, in: J. PRABHU (Hg.), The Intercultural Challenge of Raimon Panikkar, New York 1996, 274: “Using the word advaita or non-duality we do not refer to indian philosophical systems; we refer to a negation of monism without ‘falling’ into dualism. Advaita is not a weakened monism or relative dualism, but an independent and third possible experience of reality.”
Oder wieder PANIKKAR, [1979(1.), 282]: “…an advaitin is one who has realized the absolute nonduality of Being, Reality, the Ultimate, the Absolute – whatever the name we choose to indicate the Ineffable. There is no place for dualism, but there is none for monism either. Dualism cannot be ultimate, because where there are two, there is a relation between them that stands above and is more final than both. Monism cannot be ultimate either because it denies the problem’s very assumption; in a pure monism there is no room even for factors like illusion, falsehood, time, a lower level of truth and speech.”
5 PANIKKAR selber verwendet diese Metapher von der inner-trinitarischen Symphonie [1979(2.), 65].
6 Die deutsche Version [1970d(6.)] wurde aufgrund der spanischen Ausgabe [1970d(4.)] ausgearbeitet aber mit der englischen Erstausgabe ([1970d(1.)] verglichen und teilweise neu redigiert.
7 Der Ausdruck Christophanie kommt, wenn ich mich nicht ire, zum ersten Mal hier vor.
8Um Missverständnisse zu vermeiden, ergänzt Panikkar: “Streng genommen, läßt sich nicht einmal sagen, dass der Vater ein Ich sei, wenn man darunter eine Art ‘absolutes Subjekt’ versteht.” Ibid.
9 PANIKKAR, [1978/8, 202-203]: “This is the proper locus for advaita, by which I understand that intuition opening up a world-view in which the diversities are neither absolutized (dualism: God-World, Matter-Spirit) nor ignored (monism: pure materialism, pure spiritualism), neither idolized
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(pantheism: all is mysterious and divine) nor reduced to mere shadows (monotheism: one principle, monarch and many subjects).”
10 Siehe [1979(1.), 7-8].
11 Siehe Fußnote 23 oben.
12 Das Original ist in der Italienischen Sprache [1994b(2.)] und wurde ins Spanische übersetzt [1994b(3.)].
Was die grundsätzliche Kritik, die CAMILIA GANGASINGH MACPHERSON (A Critical Reading of the Dvelopment of Raimon Panikkar’s Thought on the Trinity Lanham u.a 1996) und R. V. SINNER (Reden vom dreienigen Gott in Brasilien und Indien, Tübingen 2003) an Panikkars Trinitätsauslegung üben, betrifft, ist ein Doppeltes darauf zu sagen: Einmal auf der Ebene deren Voraussetzungen und dann konkret auf die trinitarischen Gedanken Panikkars.
Beide setzen manches voraus, das mir als ein Symptom einer monokulturellen Sichtweise vorkommt. Erstens ist ihre Überbetonung der anthropisch verstandenen Geschichte ein Merkmal der (westlich) christlichen Tradition (Auslegung) des Christus-Ereignisses auffallend. Diese Art von Geschichtsdenken ist den asiatischen Religionen fremd. Der Standpunkt von MACPHERSON UND SINNER würde bedeuten, dass diese Religionen keinen Zugang zu Christ haben [können], es sei denn, dass sie sich irgendwie die jüdisch-griechisch- römische Auslegung der Offenbarung aneignen. Zweitens nehmen die beiden AutorInnen an, dass die bis heute geltende (und herrschende) jüdisch-griechisch- römische Auslegung der Offenbarung in Jesus Christus die einzige massgebende Auslegung ist. Dies kann nicht überzeugen angesichts der Tatsache, dass jede Sprache geschichtlich bedingt ist und daher nur eine kleine Perspektive bietet. Diese Perspektive, umfassend wie immer sie auch sein mag, bedient sich der Symbol-Sprache, die sich auf die Heilsbotschaft konzentriert. So sind z.B. Vater, Sohn und Geist keine Beschreiung der Trinität, sondern Symbole, die auf die dreieine Heilsbotschaft hinweisen. Einerseit bedient sich Panikkar dieser Symbole über die jüdisch-griechisch- römische Auslegung der Offenbarung in Jesus Christus hinauszugehen (intrareligiöses Anliegen). Andererseits bemüht sich Panikkar auch über das “christliche” Verständnis der Trinität hinauszugehend ihre interkulturelle Revelanz aufzuzeigen (interreligiöses Verständnis).
Was Panikkars Trinitätsüberlegungen angeht, scheinen MACPHERSON und SINNER keinen Zugang zu Panikkars La pienezza dell’uomo oder La plenitud del homre gehabt zu haben, Bücher, die seine letzten Trinitätsgedanken darlegen und die eine umgehende Antwort auf solche Kritik liefern. KAJSA AHLSTRAND’S Fundamental Openness. An enquiry into Raimundo Panikkar’s theological vision and its presuppositions, Uppsala 1993, sah das Tageslicht, bevor Panikkar seine
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mystischen Überlegungen über die Christophanie (The Fullness of Man) veröffentlichte. AHLSTRAND bespricht Panikkars mystische Bemerkungen zu seiner Christophanie (192-3) aber das ist zu skizzenhaft der Sache Gerechtigkeit fahren zu lassen.
13 Kurz und gut: Christologie beschäftigt sich mit Doktrin, mit Lehre über Jesus. In diesem Zusammenhang stellt Panikkar die Frage, “Basiert sich der christliche Glaube auf einem geschichtlichen Buch oder auf persönlicher Erfahrung?” [1994b(2.), 80]. Jesus, meint Panikkar, kam, um Leben zu schenken, nicht Lehren zu teilen. Es gilt dieses Leben, sich anzueignen und es zu leben.
14 Ferner: “An ^Ω†adevatå is the most human way of carrying us close to this experience . We need to find the divine icon with which we can communicate.” [1994b(2.), 137].
15 PANIKKAR, [1970d(6.), 13]: “Wiederholen wir noch einmal, dass es nicht darum geht, ‘den Gott der Geschichte’ zu verteidigen, sondern zu verstehen, dass die “Geschichte Gottes” in die Geschichte des Menschen und des Kosmos eingebunden ist und dass jegliche Geschichte Überwunden werden muss. Ich erkläre ausdrücklich, dass die Befreiungvon der Geschichte nicht bedeutet, die Wirklichkeit des historischen Ereignisses zu leugnen oder sich vom Kampf für die Befreiung der Völker fernzuhalten. Aber wir dürfen darin nicht ersticken. Wir sind weder Sklaven des Schicksals, noch liegt das Schicksal in unserer Hand. Wir selbst sind die Hände des Schicksals – eines Schicksals, das höher ist als wir, in dem das Göttliche ebenfalls mitbetroffen ist. Darin besteht die Würde des Menschen.”
KAJSA AHLSTRAND’S Fundamental Openness. An enquiry into Raimundo Panikkar’s theological vision and its presuppositions, Uppsala 1993, , sah das Tageslicht, bevor Panikkar seine mystischen Überlegungen über die Christophanie (The Fullness of Man) veröffentlichte. AHLSTRAND bespricht Panikkars mystische Bemerkungen zu seiner Christophanie (192-3) aber das ist zu skizzenhaft der Sache Gerechtigkeit fahren zu lassen.
16 In letzter Zeit hat Panikkar immer mehr das Symbol im Gegensatz zum Begriff betont; das Symbol is ganzheitlicher, während der Begriff sich überwiegend auf die Ratio stützt.
17 Siehe , F.X.D’SA, Karmische und Anthropische Geschichte, in: Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft 87:3 (2003), 163-180.