24
35] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 35 und zum Gemeinbesitz der Wissenschaft geworden. Denn das ist das Eigent mliche der analytischen Geometrie, da sie das methodische Mittel besitzt, die Gr en- und Lageverh ltnisse des Raums in ein anderes Begriffsmaterial umzusetzen, ein Be- griffsmaterial, das Proklus in seiner Terminologie als rein dia- noetisches bezeichnen w rde: Zahlen und Zahlverh ltnisse. Und die weitere Geschichte der Geometrie zeigt immer noch deut- licher die Tendenz, das Raummoment durch die Zahl zu ersetzen. Das ist keine Preisgabe des Raumes selbst, ebensowenig als Proklus eine solche meinte. Es ist nur die Ersetzung seiner Bestimmungen durch andere, methodisch allgemeinere und daher begrifflich wie rechnerisch ganz anders verwertbare Bestim- mungen. Es ist genau das, was Proklus sich als Ideal der Geometrie denkt: hier hat das Geteilte seinen ad quaten Aus- druck im Ungeteilten, die Ausdehnung im Unausgedehnten, die formhafte Figur im Formfreien. Freilich ist das eine Erf llung seiner Forderung, wie er sie sich bei allem Idealismus nicht ertr umen mochte, wie er denn auch nicht ahnen konnte, welche Erweiterung das Raumproblem selbst durch sie erfahren sollte. Er konnte nur den nakten Punkt aufzeigen, an dem es noch eine Forderung zu erf llen gab. Und diesen Punkt verriet ihm nicht der mathematische Erfindersinn, sondern seine dialektische Konsequenz, welche in jeder Hinsicht, im guten wie im schlimmen Sinne, der Anfang und das Ende seiner Weisheit ist. 3. Die mathematischen Methoden. Wir kehren zum ersten Buch des Prologs zur ck. Nach dem ersten und prinzipiellsten Teil, der die μαθηματική ονσία festzustellen hatte, wendet sich Proklus zu der Frage nach den Erkenntnismitteln (δυνάμεις), mit denen die Mathematik operiert. Diese Frage ist notwendig geworden durch das, was als der Seinscharakter der Mathematik erkannt ist. Zu diesem n mlich geh rte es, da er sich nicht statisch, wie etwas Gegebenes, Ruhendes betrachten lie , sondern nur in seiner Bewegtheit, d. h. seinem „Hervorgehen", oder „Sich-Aufrollen" (πρόοδος, άνέλιξις). Das ist das Grundmoment in Proklus' Auffassung der Mathematik, da sie, von Anf ngen beginnend, absteigt zu weiteren und weiteren Konsequenzen, deren Reihe als Ge- schlossenes, Ganzes, den Inhalt der Wissenschaft in ihr aus- macht. So sind also die methodischen Erkenntnismittel, nach denen er jetzt fragt, nicht die von reflektierendem Standpunkt Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

  • Upload
    nicolai

  • View
    216

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

35] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 35

und zum Gemeinbesitz der Wissenschaft geworden. Denn dasist das Eigent mliche der analytischen Geometrie, da sie dasmethodische Mittel besitzt, die Gr en- und Lageverh ltnissedes Raums in ein anderes Begriffsmaterial umzusetzen, ein Be-griffsmaterial, das Proklus in seiner Terminologie als rein dia-noetisches bezeichnen w rde: Zahlen und Zahlverh ltnisse. Unddie weitere Geschichte der Geometrie zeigt immer noch deut-licher die Tendenz, das Raummoment durch die Zahl zu ersetzen.Das ist keine Preisgabe des Raumes selbst, ebensowenig alsProklus eine solche meinte. Es ist nur die Ersetzung seinerBestimmungen durch andere, methodisch allgemeinere und daherbegrifflich wie rechnerisch ganz anders verwertbare Bestim-mungen. Es ist genau das, was Proklus sich als Ideal derGeometrie denkt: hier hat das Geteilte seinen ad quaten Aus-druck im Ungeteilten, die Ausdehnung im Unausgedehnten, dieformhafte Figur im Formfreien. Freilich ist das eine Erf llungseiner Forderung, wie er sie sich bei allem Idealismus nichtertr umen mochte, wie er denn auch nicht ahnen konnte, welcheErweiterung das Raumproblem selbst durch sie erfahren sollte.Er konnte nur den nakten Punkt aufzeigen, an dem es nocheine Forderung zu erf llen gab. Und diesen Punkt verriet ihmnicht der mathematische Erfindersinn, sondern seine dialektischeKonsequenz, welche in jeder Hinsicht, im guten wie im schlimmenSinne, der Anfang und das Ende seiner Weisheit ist.

3. Die mathematischen Methoden.Wir kehren zum ersten Buch des Prologs zur ck. Nach

dem ersten und prinzipiellsten Teil, der die μαθηματική ονσίαfestzustellen hatte, wendet sich Proklus zu der Frage nach denErkenntnismitteln (δυνάμεις), mit denen die Mathematik operiert.Diese Frage ist notwendig geworden durch das, was als derSeinscharakter der Mathematik erkannt ist. Zu diesem n mlichgeh rte es, da er sich nicht statisch, wie etwas Gegebenes,Ruhendes betrachten lie , sondern nur in seiner Bewegtheit,d. h. seinem „Hervorgehen", oder „Sich-Aufrollen" (πρόοδος,άνέλιξις). Das ist das Grundmoment in Proklus' Auffassung derMathematik, da sie, von Anf ngen beginnend, absteigt zuweiteren und weiteren Konsequenzen, deren Reihe als Ge-schlossenes, Ganzes, den Inhalt der Wissenschaft in ihr aus-macht. So sind also die methodischen Erkenntnismittel, nachdenen er jetzt fragt, nicht die von reflektierendem Standpunkt

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 2: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

36 N. Hartmann [36

passiv zuschauenden und so erst analysierend eine Theoriebildenden. Das w rde nur eine Erkenntnis κατά άφαίρεσιν sein,wie wir sie ja ausdr cklich zur ckgewiesen sahen. Sondern eshandelt sich in ihnen um eine ζήτηοις (ig, 3), d. h. um einforschendes Fortschreiten der mathematischen Erkenntnis selbst.„Durch Forschung geht sie fort zu neuem Finden (εις την ενρεσιν)"Darin besteht ihre κίνησις. Darum ist sie mit Recht als διάνοιαbezeichnet, d. i. w rtlich „Durchdenken"; und deswegen auchsind ihre Methoden mit Recht δυνάμεις zu nennen (18, 8, 19,6u. a.). Denn sie sind die bewegenden und bauenden Kr fte,wie sie sich als Leistungen in jeder einzelnen Durchf hrung,bet tigen.

Die Art dieser Bewegtheit wird in gro en Z gen gezeichnet.Die Mathematik umfa t als die „mittlere" unter den Seinsartenein ungeheures Gebiet an Ausdehnung. „Von ganz oben be-ginnend, geht sie durch bis zu den sinnlichen Endstufen, ber hrtdie Natur (der Dinge) und tr gt viel bei zu den Beweisen derPhysiologie", d. h. der Naturwissenschaft, genau so, „wie sieandererseits von unten aufsteigend, sich der Erkenntnisweisedes νους n hert und an die Theorie der ersten Anf nge grenzt"(19, 20—24).

Innerhalb nun dieses weiten Spielraums beschreibt sie zweiWege, die einander entgegengesetzt sind und dennoch sichgegenseitig decken. Sie mu aber beide beschreiten, weil siedurch ihre Mittelstellung gleichzeitig von oben und von untenauszugehen gen tigt ist. Solange es sich nur darum handelte,ihren Seins char akter zu bestimmen, lie sich allenfalls von deraufsteigenden Richtung noch absehen; denn dialektisch kommtf r Proklus in erster Linie die absteigende in Frage. Hat dochdie Mathematik ihre Prinzipien oberhalb, und nicht unterhalbihrer selbst, im νους und nicht in der αι'σ&ησις. Aber sie kannsich nicht einfach bei der methodischen berlegung beruhigen,da diese Prinzipien ihr von der νόησις „gegeben" werden. Sieist selbst ein methodisch zusammenh ngendes Ganzes und mu ,wie sie ber alle ihre Leistungen sich die Rechenschaft desNachweises erbringt, auch ihren eigenen Prinzipien die Sicher-heit der Rechenschaft zu teil werden lassen — soweit freilichdas in ihrer Kompetenz steht. Im Vorhergehenden sahen wires durchweg betont — was dort vielleicht noch dunkel erscheinenmochte —, da die διάνοια nicht nur vom νους bestimmt sei,sondern auch sich selbst bestimme; wie das so anschaulich amGleichnis vom γραμματεΐον sich aussprach: χαί γράφον εαυτό

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 3: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

37l Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 37

και νπο νου γραφόμενον. Wenn aber die Mathematik ein solchesselbst konstituierendes Verh ltnis zu ihren eigenen Prinzipienhat, so kann das nichts anderes hei en, als da sie eineMethode besitzt, welche, von ihren spezielleren Leistungen aus-gehend, r ckw rts schlie t und so die aufw rtsgehende Hin-f hrung zu den Prinzipien bewerkstelligt. Ob sie dann dieendg ltige Sicherung dieser Prinzipien zu leisten vermag, isteine andere Frage. Aber soviel d rfen wir im Sinne desProklus wohl sagen, da das Problem ihrer Prinzipien in ihrselbst liegt, ebenso wie die Methode ihrer Gewinnung, w hrenddasjenige, was au erhalb ihrer Kompetenz f llt, nur die weitereBegr ndung nach oben zu betrifft. Proklus schlie t sich indiesem Punkt besonders eng an Plato an, der in der „Republik"die Mathematik sich ihre eigenen Prinzipien zwar selbst setzen,d. h. zugrundelegen, aber die letzte Rechenschaft ber sieschuldig bleiben l t. Die Ausdeutung der Platonischen An-sicht, als habe Plato hiermit die Mathematik ihrer eigenartigenBedeutung berauben wollen, bek mpft er aufs eifrigste (29, 14bis 32, 20), indem er so zugleich ein wertvolles Licht auf diefragliche Republikstelle wirft.

Wenn aber einmal neben der absteigenden auch die auf-steigende Methode Geltung haben soll, so ist es nicht zu um-gehen, da diese letztere ihr gleichwertig dastehen und gleich-sam ihr methodisches Korrelat bilden mu . Denn man kannnicht dabei stehen, bleiben, eine Methode etwa in gewissenProblemen wirken zu lassen, in anderen aber au er Funktionzu setzen. Das erg be keine Korrelation der Methoden undfolglich berhaupt keinen systematischen Gesichtspunkt. Siem ssen beide einander durchdringen, d. h. sie m ssen beide dasganze Gebiet des mathematischen Inhalts umspannen und durch-ziehen. Anders w rde dieses seine Einheitlichkeit verlieren.Folglich darf auch die aufsteigende Methode nicht blo Hin-f hrung auf die obersten Grundlegungen sein, sondern muebenso in den unteren abgeleiteteren Teilgebieten ihre Aufgabezu erf llen haben. Sie mu also von unten an (κάτω&εν), vonder αΐσ&ησις ausgehen, um von ihr weiter und weiter hinaufzu-f hren, bis sie die ersten Anf nge erreicht, von denen aus-gehend die andere, absteigende Methode ihren Weg nimmt.

In dieser doppelten Methodik nun hat Proklus das Mittelin der Hand, der Mathematik den beiderseitigen Zusammenhang,den mit der νόησις und den mit der αϊσ'&ησις, zu wahren. Nachder Seite der ersteren zu hat das zwar keine Schwierigkeiten

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 4: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

38 N. Hartmann [38

mehr. Hier ist der Zusammenhang von vornherein zugestandenund gleichsam fixiert. Nach der Seite der αΐσ'&ησις dagegenist der Zugang nicht so frei. Denn das Problem der μαθη-ματική ονσία hat den Ausgang von ihr f r die Mathematik ab-gewehrt. Wenn nun das Mathematische gleichwohl jene zweiteMethode enthalten soll, die „von unten" beginnt, so scheintdamit jene Abwehr wieder aufgehoben.

Hier hei t es eben das Wesen jener Abwehr und den Sinndieser zweiten Methode genau erfa t zu haben, um sich zurechtzu finden. Dort handelte es sich um das κριτήριον und um dasGeben der Prinzipien; diese sind es, die nicht von αΐαϋ-ησις her-kommen k nnen. Aber in der Methodik des Aufsteigens han-delt es sich ja nicht um ein Herkommen von den Prinzipien.Sondern umgekehrt, es soll gerade erst auf sie hingef hrtwerden, um sie aus den Problemen selbst heraus notwendig zumachen. Hier wird eben mit dem Abh ngigen, Sekund renbegonnen, und zwar in dem vollen logischen Bewu tsein, daes das Sekund re ist. Aber wenn es von ihm aus als vomSekund ren nicht den „Weg nach oben" g be, und wenn inihm als unterster Stufe nicht schon der Antrieb zum Aufstiegin irgend einer Form enthalten l ge, so w re es ein eitlesBeginnen, das ganze, gro e Gebiet der Erkenntnis nachtr glichvereinigen zu wollen. Es w re dann von Hause aus zerrissenin heterogene Gattungen des Inhalts, und die Extreme st ndenin klaffendem Widerspruch. Darum mu in beiden Extremen,dem unteren wie dem oberen, der Ausgangspunkt einer einheit-lichen δνναμις liegen, welche imstande ist, als κίνηοις durch dasganze Zwischengebiet des mathematischen μέσος διάκοσμος hin-durch bis ins andere Extrem zu dringen.

Aus diesem Grunde legt Proklus gro es Gewicht darauf,den Ausgangspunkt der zweiten Methode genau zu bestimmen.Die reine νόησις hat es nur mit den ewigen Urbegriffen zu tun,aus deren Identit t sie selbst den Charakter der μονή gewinnt.Die αΐσ&ησις ist das Gegenst ck hierzu; sie „reiht sich an dasAu en" und ist keiner bleibenden Bestimmung f hig, weil siedie „Ursachen" des Erkannten nicht besitzt. Das Mathematischein ihrer Mitte ist auch in dieser Hinsicht ein echtes „Mittleres".Es „beginnt au erhalb der άνάμνησις, endigt aber in den innerenλόγοι, und geweckt wird es von dem (logisch) Sp teren,l uft aber auf das voraufgehende Sein der Begriffehinaus" (ανεγείρεται μεν από των υστέρων, κατάντη, δε είς την προη-γουμένην ούσίαν των είδων, 18, 19 ty·

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 5: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

39] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 30,

Die άνάμνησις ist von Plato her der Ausdruck f r daslogische Prius der Grundbegriffe. Proklus beruft sich wieder-holt und nachdr cklich auf diesen Begriff, besonders am Schludes ersten Buches, wo der „Menon" mit seiner Theorie desμαν&άνειν zitiert wird (45, 6—22). Wenn nun die Mathematikihrer zweiten δύναμις gem au erhalb der άνάμνησις beginnensoll, so hei t das nicht blo , da sie nicht im Gebiet derGrundbegriffe anhebt, sondern wohl auch au erhalb ihresGeltungsgebietes. Soll es aber das hei en, so ist Proklus hier-mit eigentlich schon zu weit gegangen. Die reinen Grund-begriffe sollten ja gerade hindurchdringen bis ins Endproblem,d. h. ins Sinnliche. Das „au erhalb" darf also wohl nicht strengausschlie end gefa t werden, sondern nur im Sinne der u er-sten Grenze. Als solche aber w rde es freilich einen tief be-zeichnenden Sinn gewinnen. Denn diese Grenze ist nicht einefest vorgezogene, sondern in der Arbeit der Forschung best n-dig sich verschiebende, man darf wohl sagen, vorr ckende.Was somit „au erhalb" in diesem Sinne liegt, ist das immernoch weiter hinausliegende Problem, sofern es seine Bestimmungdurch die Grundbegriffe noch nicht erfahren hat. Aus diesemUrproblem heraus mu es den Aufstieg geben, genau so wiees zu ihm hinab den Abstieg gibt. Das Bild des Au en undInnen, wie es hier vom System der Erkenntnis gebraucht ist,stellt dieses Urproblem den ένδον λόγοι als das Peripherischeentgegen, wodurch die aufsteigende Methode sich als zentri-petale im systematischen Sinne pr zisiert. Diejenige Hinf hrungauf die Prinzipien, die sie leistet, geht demgem nicht voneinem einzigen unteren Endpunkte aus, sondern — wenn mandas Bild festhalten will — gleichzeitig von unz hlig vielenPeripheriepunkten, die als solche alle ihren Radius zum Zentrumzu ziehen bestrebt sind.

Und wie nun bei Plato mit der άνάμνησις der Gedanke vomΙγερτικόν verkn pft ist, indem die Sinneseindr cke den Anlazur Selbstbesinnung auf das logisch Fr here geben, so l tauch Proklus das Mathematische von dem logisch Sp teren aus„geweckt werden" (έγείρεσ&αι). Und von diesen Anl ssen derSinne her besitzt die aufsteigende Methode Kraft, bis zu demlogisch „Voraufgehenden" durchzudringen. Das ist die Bedeu-tung der Sinnlichkeit f r das Mathematische, da es die Pro-bleme enth lt, welche seine Leistung notwendig machen. Unddarin hat der Zusammenhang der Mathematik mit ihr, wie erhier behauptet wurde, seine Rechtfertigung. Denn ist das

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 6: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

4<D N. Hartmann [40

Mathematische in seiner Pr gnanz einmal gewonnen, so kannes sehr wohl immanent in sich selbst operieren und auf alleBeziehungen nach au en verzichten. Aber gerade die Ge-winnung seines Problems ist nicht ohne den Anla des Sinnlich-Dinglichen zu vollziehen. Das ist systematisch so wahr wiehistorisch. Hat doch gerade die lteste Mathematik der Pytha-goreer die Zahl und das Raumgebilde nicht rein begrifflich,sondern in eins mit den Naturerscheinungen gedacht, zu derenBestimmung sie sie erdachte. Es ist hierbei nur genau aufdas strenge Einhalten des Wechselverh ltnisses zwischen derεγερσις und dem erzeugenden Denken zu achten. Die kleinsteVerschiebung desselben l t die Grundlagen der Mathematikwieder zur ck ins Sinnliche sinken, von dem sie soeben erstrein gemacht wurden. Proklus hat es sich angelegen sein lassen,diesen Punkt durch klare Gegen berstellung beider Momenteins Reine zu bringen. Die άνάμνησις, sagt er, geht vor sich„zwar erweckt von dem Erscheinenden, aber erzeugtvon innen, vom Denken selber, wie es sich zu sichselbst wende t" (ανεγειρόμενη μεν από των φαινομένων, προβαλλό-μενη δε ενδο'&εν απ αντης της διανοίας εις έαντην επιστρεφόμενης^45> ΐ°—I2J. Das έγερτικόν in diesem Sinne ist so wenig im-stande, das mathematische Denken seiner Reinheit zu berauben,da es vielmehr gerade als κα&αρτικον της διανοίας geltend zumachen ist (46, 22). So h ngt es mit der aufsteigenden δνναμιςzusammen.

Der Gedanke vom „Erwecken" ist aber keineswegs nurf r das Ausgangsstadium des Aufstieges charakteristisch; er istmit der ganzen Methodik des letzteren verbunden. Wie dasMathematische von den Sinnen „geweckt" wird, so wiederumdas Noetische vom Mathematischen. Dieses bringt das Denkenin die rechte Richtung (προεντρεπίζει, 2O,14, 28,5^, zieht eshinan (άνατείνει, 27,26) zur berschau des Seins. F r den Erotikerund Musiker sind Auge und Ohr die erweckenden Organe derάνάμνησις; f r den Philosophen aber kann die άνακίνησις, oderεγερσις, nur von den μα&ήματα ausgehen, „wie Plotin sagt",denn sie mu ihn zum όντως v f hren. So wird von diesenallen das sonst blinde Auge „zur Schau des Seins erweckt"(20, 21).

Aus diesem Grunde tr gt denn auch die εγερσις, gleichallen anderen methodischen Begriffen des Proklus, den Charakterdes Fortschreitens. Es ist ein durchgehender Zug aller Wissen-schaft, da immer die untergeordneten Probleme die h her

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 7: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

41 ] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 41

hinauf liegenden involvieren, weil sie sich selbst nicht durch-f hren k nnen ohne jene. Das ist das systematisch Metho-dische in dem Gedanken des Veranlassene, oder „Erweckens".Auch der Begriff der methodischen „Kraft", oder „Bewegung"ist deutlich in ihm enthalten. Und das ist gerade einer derwesentlichsten Z ge im Gesamtbilde der Erkenntnislehre desProklus. Denn an ihm h ngt dasjenige, was vom Gesichts-punkte der ουσία sich als die Unabh ngigkeit und Selbstsicher-heit der Prinzipien darstellt, was aber, von der Seite derMethode gesehen, als das „sich selbst Bewegende", oder Spon-tane dasteht.

F r das mathematische Erkennen hat nun das noch seinebesondere Bedeutung, weil dieses dank seiner Mittelstellungdurch den Charakter der „Ausrollung" oder „Entfaltung" ge-kennzeichnet ist. Ihr Wesen ist also die methodische Bewe-gung — nicht die im R ume, auch nicht die der Ver nderung,sondern die „lebendige" (ζωτική κίνησις, 18, 22 f.). Denn dieseist die Bewegung der aus sich selbst kommenden Entfaltung.Es ist die Bewegung der Forschung (ζήτησις), in der das Denkenunausgesetzt begriffen ist, und in welcher es den ganzen k rper-losen λόγων διάκοσμος durchmi t. Und an diesem Begriff derForschung, oder des Suchens, treten wieder jene beiden ein-ander entgegengesetzten methodischen Richtungen deutlich her-vor. Denn gerade das wissenschaftliche Suchen ist es, das nichteinseitig abw rts f hren kann, als handelte es sich in ihm umblo e Ableitungen aus Oberbegriffen. Sondern es mu „daseine Mal vom Vorhererkannten zum Gesuchten" fortschreiten,„dann aber wiederum von dem Gesuchten aus zu dem,was der Erkenntnisart nach voraufgeht" (τότε μεν απότων προγιγνωσκομένων επί τα ζητούμενα, τότε ok από των ζητου-μένων επί τα προηγούμενα κατά την γνώσιν, 18, 23f.).

Diesen beiden methodischen Richtungen entsprechen dannauch zwei methodische Leistungen, wie wir sie schon als δυνά-μεις gekennzeichnet fanden. Die Leistung der absteigenden istdas εις πλή&ος προάγειν τάς αρχάς, die der aufsteigenden —die mannigfaltigen Durchf hrungen εις τάς οικείας υποπέσεις(ΐ9> 9)· Im Sinne der letzteren hei t es von der Mathematik,sie habe das εν, das πλή&ος, sowie πέρας und Άπειρον — nichtals Prinzipien empfangen — sondern sie sich selbst alsPrinzipien vorangestel l t (αρχάς προεοτήσατο). Es sind „dieihr eigent mlichen Grundlegungen", die sie sich selbst zu Prin-zipien erhebt. Und eben diese sind es, die auch der νους von

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 8: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

42 N. Hartmann [42

oben her f r sie gew hrleistet. In dieser Identit t des End-punktes der einen mit dem Ausgangspunkt der anderen Methodeliegt die Gew hr f r die Rechtm igkeit ihrer Zweiheit undEntgegengesetztheit. Denn so ist die Einheit in ihnen bereitsfr her als die Zweiheit, d. h. sie stehen in Korrelation. Undam entgegengesetzten Ende der ganzen Problemlinie bildet dasUrproblem, das ζητονμενον, eine ebenso feststehende Einheitrdie sich gleich bleibt, wie weit auch sich die Grenze des wissen-schaftlich Erkannten fort und fort verschieben mag. Die ab-steigende Methode, die von den Prinzipien des νους herkommt,l uft hier auf dasselbe unersch pfliche Bathos neuer und neuerSpezialfragen hinaus, von dem die aufsteigende ausging, um

ber das μέσον der διάνοια zu den οικείοι υποπέσεις zu gelangen.Und weil die Endpunkte zusammenfallen, so fallen auch dieeinzelnen Stufen zusammen; d. h. auf jeder Stufe mu sich dasπροάγειν εις πλήθος inhaltlich decken mit dem σνμπτύοοειν desπλήφος (ig, 16); es ist das sich Decken der διάκρίσις mit derενωσις. Auch hierin sehen wir also den alten PlatonischenGedanken gewahrt, nach welchem συναγωγή und διαίρεσις diefundamentalen, schlechterdings ohne einander nicht denkbarenGrundmomente des dialektischen Verfahrens sind.

In dieser methodischen Korrelation sowie in der Identit tdes Problemgehalts liegt die tiefgreifende Bedeutung der mathe-matischen Erkenntnisart f r die angrenzenden Erkenntnisgebiete.Proklus schildert diese Bedeutung nach echt neuplatonischerAuffassungsweise in etwas bertriebener Art, indem er sie auchdirekt auf Politik, Ethik, Rhetorik, Theologie und Mystik sicherstrecken l t. Darin teilt er jenen Zug zur Vermengung derProbleme, der seinem Zeitalter eigen ist. Aber das darf unsnicht hindern, diejenige Einsch tzung der Mathematik ernst zunehmen, die er f r die Naturwissenschaft einerseits und f r dieeigentliche Philosophie andererseits geltend macht. Denn nachdiesen beiden Richtungen ist die Beziehung eine direkte und inden mathematischen Problemen selbst unmittelbar enthaltene.Die beiden durchgehenden Methoden, wie sie sich im mathe-matischen Denken entfalten, sind nicht in den Grenzen diesesletzteren gebunden, sondern reichen mit ihren Endgliedern berdasselbe hinaus — nach oben zu in das Gebiet der reinen Prin-zipien, in die Philosophie im engeren Sinne hinein, und nachunten zu in das Gebiet des Daseins, oder der Natur. So besitztdie Mathematik jene hinf hrende und recht eigentlich prop -deutische Bedeutung f r die Philosophie, wie sie von den Pytha-

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 9: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

43] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 43

goreern und namentlich von Plato her Gemeingut der syste-matischen Philosophie geworden ist, und wie sie noch heute indem Gedanken der Orientierung an der Mathematik als einGrundzug der Logik dastehen d rfte. Die Mathematik enth ltden rechtm igen Zugang zur Dialektik der reinen Prinzipien.Denn sie weist berall auf diese als auf ihre ersten ΰπο&έσειςzur ck. Darin sollte gerade das erziehende προευτρεπίζειν undάνατείνειν bestehen. Denn die Dialektik ist der οριγχος τωνμασημάτων (42, Ιθ).

Und ihre Bedeutung f r die Naturwissenschaft charakteri-siert Proklus in echt Pythagoreischer Weise: sie ist es, welchedie λόγων ευταξία aufdeckt, nach der das All erbaut ist (22, i8f.).In engem Anschlu an den „Tim us" l t er die Entstehungder Elemente άρι&μοΐς καΐ σχήμαοι (23, 5 f.) gesetzlich bestimmtsein, und wie diese, so auch die Bewegungen und das kosmischeGeschehen berhaupt. Proklus rechnet in dieser Schlu weisedie mathematisch verfahrenden Teile der Physik auch noch zurMathematik; sie sind die Grenzgebiete der letzteren, ihre απο-περατώσεις. Und da nun die angewandte Mathematik doch bloein Derivat der reinen ist, so schlie t er konsequent, da vonRechts wegen die Mathematik es ist, welche jene physikalischenDisziplinen „hervorgebracht hat": διό δη και εν τοις άποπερατώ-σεοιν εαυτής την τε μηχανικήν δλην προνβαλεν και την δπτικηνκαι κατοπτρικην οεωρίαν .. (ig, 25f.). Das προβάλλειν bezeichnetimmer das dialektische Hervorgehen-Lassen im Sinne der πρόοδος.Hier nun nimmt dieser Begriff einmal eine ganz einfache unddurchsichtige Bedeutung an: das Angewandte geht aus demPrinzipiellen hervor, das wissenschaftlich bestimmte Konkreteaus dem bestimmenden Raum. Dieses mu zugrundegelegtsein, wenn man den Weg aufw rts zu den ϋπο&έσεις machensollte. So ist es als das Problem, oder wie Proklus sagt, alsζητούμενον die Voraussetzung f r dasjenige, was seine eigene,als des wissenschaftlich Bestimmten, Voraussetzung werdenmu — wenn anders berhaupt sein Problem aus dem Zustandedes ζητούμενον sich erheben soll zu dem eines προβαλλόμενονder reinen mathematischen Bestimmungen. So findet denn auchvon hier aus die Korrelation der beiden Grundmethoden, wieProklus sie fordert, ihre Begr ndung. —

Die weiteren Bestimmungen, die ber den Erkenntnis-charakter und besonders die Methode der Mathematik abzu-geben w ren, sind in der Darstellung des Proklus vielfach ver-wischt, zum Teil fehlen sie ganz. In den bisher besprochenen

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 10: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

44 N. Hartmann [44

Punkten hatte er die kraftvolle Vorg ngerschaft der Platoni-schen und neuplatonischen Philosophie vor Augen. Und da ister auf seinem eigensten Gebiet; denn das gerade ist seineSt rke, verstreute F den zu sammeln und zum System zu-sammenzuschlie en. Aber mehr ins einzelne war die Methoden-forschung der Philosophie bei den positiven Wissenschaftennicht eingedrungen. Es h tte hier eben gegolten, entsprechendden Fortschritten der Mathematik selbst auch einen Anlauf inder Methodenforschung zu weiterem Vordringen zu machen.Proklus nun ist einem solchen freilich sehr nah. An manchenErl uterungen zu den Einzelfragen, so zu den Axiomen undAitemen Euklids (im 4. Buch des Kommentars) schl gt er neueWege ein, die alten Grundmomente entsprechend differenzierend.Aber in dem allgemeinen Abrisse ber die Methoden amSchl sse des ersten Buches kommt dennoch mancher wichtigePunkt zu kurz, w hrend mancher andere Punkt, an dem weitweniger sachlich-wissenschaftliches Interesse h ngt, ausf hrlichbehandelt wird. Wir k nnen gem unserer Aufgabe aus diesemAbschnitt nur das Wichtigste hervorholen, w hrend vieles f rsich genommen Interessante bergangen werden mu .

Die Alten hatten die mathematischen Wissensgebiete inverschiedentlich abweichender Form zu klassifizieren gesucht.Zu den είδη της μαθηματικής wurden in der Regel auch dieGebiete der angewandten Mathematik gerechnet. Die Pytha-goreer hatten in erster Linie die Wissenschaft vom ποσόν unddie vom πηλίκον unterschieden; beide sind wiederum entwederκα&' αυτό oder κατ' άλλο, d. h. rein oder angewandt. DieWissenschaft vom reinen ποσόν oder vom πλή&ος ist die Arith-metik, die vom reinen πηλίκον oder vom μέγε&ος — die Geo-metrie. Als angewandte Gebiete entsprechen ihnen Musik undSph rik (35, 22—36, 7). Mit geringer Abweichung hiervon istvon Geminus die Zweiteilung des αίσ·&ητόν und νοητόν voran-gestellt worden. Unter das letztere fallen alsdann die Arith-metik und Geometrie, unter das erstere Mechanik, Astrologie,Optik, Geod sie, Kanonik, Logistik, — von denen die ersterenvier Disziplinen gleichzeitig Anwendungsgebiete der beidenreinen Grundwissenschaften sind (38, 8ff.). In beiden Ein-teilungen ist der Arithmetik der Vortritt vor der Geometrieeinger umt; und Proklus schlie t sich dieser Gruppierung angem dem Aristotelischen Argument, da die Geometrie diekompliziertere Wissenschaft sei durch die hinzukommende ϋ·έσις.Der Punkt hat „Lage", w hrend die Zahleinheit ohne Lage

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 11: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

45] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 45

gedacht ist. Beide Disziplinen haben ihre gemeinsamen Grund-begriffe (κοινά), wie die methodischen der ενωσις und όιάκριοις,der ταντότης und Ιτερότης und andere, welche die allgemeineσυμπλήρωσις der Seele bilden (36, 13 ff.)· Sie haben aber auchihre besonderen Prinzipien. In den Beweisen, die ihrerseits jaganz und gar von den Prinzipien gew hrleistet werden, kommtalles darauf an, richtig im Auge zu behalten, wieweit sie vonden κοινά ausgehen und wieweit von den Ιδιότητες (33, i f.).Es gibt eine ganze Reihe analoger Probleme in der Arithmetikund Geometrie. Aber diese Analogie involviert nicht die Ein-heit des Beweises. Dieser hat ein verschiedener und auf ver-schiedenen Voraussetzungen basierender zu sein gem derVerschiedenheit des zu Beweisenden. Figuren und Zahlen habeneben nicht durchweg die gleichen Voraussetzungen, sondernverschiedene gem dem zugrundeliegenden γένος. Der Beweisaber — und mit ihm auch die Oberbegriffe — sind nur danndieselben, wenn auch das Bewiesene, das ονμβεβηκός κα&'αυτό dasselbe ist (33, 7—n). Der Unterschied von πλή&ος undμέγε&ος gibt diese Unterschiede im Beweise an die Hand. Denner bedeutet eben die Andersheit im ονμβεβηκός κα&' αυτό. Esist hier eine Abgrenzung der wissenschaftlichen Aufgaben, wiesie schon aus den obersten Grundbegriffen der διάνοια hervor-geht. Die Unendlichkeit der Probleme, die das mathematischeDenken zu durchlaufen hat, l t sich nur berschauen, sofernein solches Begrenzen durchgef hrt wird (36, 6f.). Darum be-zeichnet Proklus die Klassifikation der mathematischen Wissen-schaften als Leistung des πέρας — gegen ber der άπειροδννα-μος των ειδών άνέλιξις. Der dialektische Proze , das Aufrollendes Inhalts, ist an sich unendlich. Und dieses Unendlichkeits-moment ist freilich das erste und wichtigste, denn es ist dasErzeugen des Inhalts. Aber diese Vorherrschaft des άπειρονwird abgel st durch die des πέρας: πέρατος περιοχή (37, 13).Durch die letztere grenzen sich erst die Problemgebiete ab undergeben die besondere Behandlung des Besonderen; so gehtalle definierbare πραγματεία auf ein πεπεραομένον. Wie πέραςund άπειρον von der νόησις her unl sbar miteinander verkn pftsind und auf allen Gebieten einander durchdringen m ssen, sosind sie auch auf mathematischem Gebiet zwar einander ent-gegengesetzt, hindern sich aber nicht gegenseitig, sondern er-g nzen einander vielmehr. Daher ist der κόαμος των είδών^wie ihn das πέρας hervorbringt, und wie er die „ganze" Mathe-matik als διαιρημένη zeigt, keineswegs ein Widerspruch zu ihrem

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 12: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

.46 N. Hartmann [46

Einheitscharakter, der aus der Einheit der άνέλιξις herstammt,und gem welchem dasselbe „Ganze" ein άδιαίρετον ist. DasDenken der Wissenschaft hat gleichen Teil am πέρας wie amάπειρον; aber ebendeswegen m ssen die Leistungen beider inihm unterschieden sein. Sofern „Denken" schon Bestimmungund Abgrenzung bedeuten soll, so „denkt" die Wissenschaftihre Problemkette „gem dem πέρας"; „erzeugen" abermu sie sie als ein lebendig aus sich kommendes und alsMannigfaltigkeit der λόγοι „gem dem Unendlichen" (άλλανοεί μεν αυτήν κατά το πέρας, γεννά δε ζωάς καΐ λόγους παν-τοίους κατά την απειρίαν, 37> 21—23)· So ist „denken" imengeren Sinne wissenschaftlicher Bestimmung immer Begrenzung,w hrend das dialektische „Ausrollen" im Sinne der ζωή nocheine prim rere logische Stufe bedeutet, die noch undifferenzierte,ununterschiedene Unendlichkeit, das gleichsam noch ungedachteKontinuum der Probleme. In diesem Sinne sagt Proklus inseiner Begriffssprache: Die bestimmten Wissensgebiete „tragendas Bild des νους, und nicht der ζωή".

Hiermit ist nun bereits eine fundamentale methodischeLeistung zur Sprache gekommen, die Leistung der Klassifikation.Es ist diejenige Methode, welche das statische Moment unterden Methoden ausmacht, — wie denn von alters her das πέραςdem άπειρον gegen ber als das ruhende Moment gilt, als das-jenige, was die festen, ruhenden Anhaltspunkte setzt f r alledenkende Bestimmung. Demgegen ber werden wir sogleichsehen, wie wiederum in anderen Methoden durchaus der Charakterder ζωτική κίνησις berwiegt; wie sich ja das auch nicht anderserwarten l t gem der Pr disposition, wie sie in den διττοίδυνάμεις des Aufstieges und Abstieges getroffen war.

Proklus unterscheidet n mlich im ganzen vier Methoden,die gemeinsam an der Grundmethode der Dialektik entspringen,und in denen das ganze Wissensgeb ude der Mathematik sichaufbaut: Die „analyt ische" oder hypothetische, die „di -retische" oder einteilende, die „horistische" oder defi-nierende und die „apodeiktische" oder beweisende (42, 20 f.und auch sonst oft). Alle vier sind ureigene Mittel des dialek-tischen Denkens (οικεΐαι) und haben in diesem ihren ΰριγχός(43, 9 f.). Von diesen Methoden sind uns die analytische unddie di retische schon bekannt, denn sie sind identisch mit jenerurspr nglichen Korrelation der aufsteigenden und absteigendenδύναμις, die auch ber das Mathematische hinaus ins Noetischereicht. Wie steht es aber mit den anderen beiden?

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 13: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

47] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 47

Man sollte meinen, da die systematische Disposition, vonder Proklus ausging, auch f r alle weitere Differenzierung derMethoden bestimmend bleiben m te. In dem Falle h tten wirdie vorliegende Vierteilung als Unterteilung der urspr nglichenZweiteilung anzusehen. Es m ten sich dann die apodeiktischeund horistische Methode als speziellere Unterarten der di re-tischen und analytischen auffassen lassen. Und das h tte sachlichsein gutes Recht. Denn die di retische Methode mu not-wendig Hand in Hand gehen mit der apodeiktischen; beruhtdoch alles Beweisen auf der bertragung allgemeiner Gesetz-m igkeit auf die besonderen, und zwar immer komplizierteren,Probleme. Diese setzen sich inhaltlich zusammen, indem dieBegriffe spezieller werden. Es ist die absteigende Methode, dieder zunehmenden Sonderung des Begriffsumfanges gem „ein-teilende", der zunehmenden Synthesierung des Begriffsinhaltsgem aber (die sich in ihr immer parallel der Sonderung voll-zieht) „apodeiktische" Methode ist. Denn der Beweis ist es, derjedesmal die Synthesis vollzieht, indem er das σνμβεβηκάς κα#'αυτό vom Obersatz her auf das Pr dikat des Schlu satzes ber-tr gt.1

Und was die definierende Methode anlangt, so haben wirin ihr noch von ihrem Entdecker Sokrates her den deutlichenCharakter des Aufstieges. Denn als ihr Mittel war dort die„Hinf hrung" (επαγωγή) gedacht, welche von den Beispielenausgeht und aus ihnen das Gemeinsame „zusammenschauend"(wie Plato sagte) bis an das genau umrissene Problem des strengallgemein verstandenen Begriffs heranf hrte. Um diese All-gemeinheit seiner Definition zu leisten, mu te dann freilich zu-vor eine Grundlegung gemacht werden. Und das ist der Punkt,in welchem die definierende Methode unl slich mit der ana-lytischen zusammenh ngt, in diese als die bergeordnete gleich-sam einm ndet. Freilich darf man dann auch nicht vor derKonsequenz zur ckschrecken, die Definition selbst zur νπό&εσιςzu rechnen, — wie sich ja eine solche Zurechnung auch ganz

*) In der Auffassung des σνμβεβηκός χαϋ·' αυτό und seiner Bedeutungf r den Beweis ist Proklus vollkommen einer Meinung mit Aristoteles.Und bei diesem gerade n hert sich das σ. χ. αντ. dem Sinne des Synthe-tischen. N heres dar ber bei A. G rland, Aristoteles u. d. Mathematik,Marburg 1899, S. 72 f., und Aristoteles und Kant, Gie en 1909, S. 22 u. 30.Damit stimmt es auch gut berein, da Proklus hier die absteigendeMethode als Synthesis charakterisiert (43, 18) was wohl in erster Linieder apodeiktischen Seite derselben gilt.

Cohen und Na to rp , Philosophische Arbeiten IV 4

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 14: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

48 N. Hartmann [48

deutlich in der Platonischen Philosophie herausgebildet hatte.Denn in ihr ging alles Definieren nicht anders als durch metho-disches Hypothesen-Machen und ebenso methodisches Nach-prüfen der Richtigkeit an den Folgen vor sich. Gilt das abervon den Definitionen überhaupt, so muß es von denen derMathematik nur in noch erhöhtem Grade gelten, an denen dochder ganze Aufbau einer streng gegliederten Wissenschaft hängt.Um so verwunderlicher ist es, daß ein grundsätzlicher Platonikerwie Proklus diesen hypothetischen Charakter der Definition über-sehen konnte.

Wir stehen hier an einem Punkte, in dem es Proklus nichtgelungen ist, seine eigene Grundrichtung durchzuführen. Ererkannte richtig, daß die analytische Methode der apodeiktischenebenso entgegengesetzt ist wie der diäretischen. Darum dürfenwir wohl mit Recht bei ihm Einteilung und Beweis als in eineGrundrichtung, die absteigende, gehörig betrachten, — wiewohler letzteres nicht klar hervorhebt und sich also wahrscheinlichauch dieses engeren Zusammenhanges nicht vollkommen be-wußt geworden ist. Aber den umgekehrten Zusammenhang derhoristischen und analytischen Methode, d. h. ihre gemeinsameRichtung des Aufstieges, hat er jedenfalls nicht erkannt — nichtnur nicht klar, sondern überhaupt nicht. Vielmehr setzt er diehoristische Methode in engeren Zusammenhang mit der diäre-tischen und apodeiktischen, d. h. mit der absteigenden Richtung.Wie er denn auch diesen dreien zusammen die analytischeMethode als ihr gemeinsames Gegenstück gegenüberstellt. Undzwar findet er für alle drei Fälle dieser dreifachen Gegenüber-stellung seine besonderen Gründe. So heißt es von der Methodedes Zugrundelegens einmal im Kommentar zum „Parmenides":sie ist entgegengesetzt der apodeiktischen Methode, weil sie ausdem Verursachten in die Ursachen auflöst, der horistischen, weilsie vom Zusammengesetzteren in das Einfachere, der diäretischen,weil sie vom Spezielleren in das Allgemeinere auflöst (S. 258 f.1).So bleibt denn bei Proklus das Wesen der Definition unerkannt,wie es ähnlich auch schon bei Aristoteles unerkannt gebliebenwar. Und das ist es, was ihn hindert, seinen groß angelegtenGrundgedanken der Dialektik, die fundamentale Korrelation derMethoden, weiter durchzuführen. Es läßt sich so wenigstens

x) Ed. Cousin, Paris 1823. — Vgl. hierzu Altenburg, S. 209 und 212,wo auch die historischen Gründe zum Teil angegeben sind, warumProklus im Problem der Definition nicht die & wiederzuerkennenimstande war, — worauf auch schon bei Cohen, Logik 485 hingewiesen ist.

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 15: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

4p] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 49

nicht sagen, da Proklus es zu dem gebracht habe, was er mitdiesem Gedanken urspr nglich erstrebte: ein System derMethoden. Dieser feine Systematiker, der die di retischeMethode sonst mit so erstaunlicher Meisterschaft handhabt, hatsie in ihrer Anwendung auf die Begr ndung und Gruppierungder methodischen Leistungen selbst dennoch nicht ersch pfendzu verwerten gewu t. Anders h tte ihm der Versuch einesSystems der Methoden sehr wohl gelingen k nnen. Es h ttesich bei richtiger Einsch tzung der hypothetischen Methodezeigen m ssen, da nicht nur je zwei von den vier Methodeneiner einheitlichen Grundmethode angeh ren, sondern da auchdie beiden Unterteile der letzteren sich je paarweise erg nzenund so zwei parallele Unterkorrelationen bilden. Wir sahenschon, wie in der dianoetischen Methodik ein statisches Momentsich dem urspr nglicheren kinetischen, als die Leistung des πέραςzu der des dialektischen άπειρον, gegen berstellte. Die di re-tische Methode entstand an dieser Gegen berstellung. Sie istalso der analytischen Methode nicht einfach, sondern doppeltentgegengesetzt: einmal als absteigende Richtung der auf-steigenden, und dann als statisches (feste Grenzen setzendes)Moment dem kinetischen (dialektisch fortschreitenden). Willman nun zu dieser doppelten Entgegensetzung die fehlendenzwei Mittelglieder einschalten, so mu man zwei Methoden be-grifflich ansetzen, von denen die eine kinetisch und zugleichabsteigend, die andere aber an sich statisch gedacht und gleich-wohl ihrer Leistung nach aufsteigend wirksam sein m te. Derersten dieser Anforderungen entspricht aufs genaueste dieapodeiktische Methode, die ganz offenbar mit der analytischendas kinetische Moment gemeinsam hat, mit der di retischenaber die absteigende Richtung; so da sie zugleich beiden ent-gegengesetzt und doch analog ist. Der zweiten Anforderungaber w rde die horistische Methode entsprechen — nicht freilichso, wie Proklus sie sich denkt, wohl aber so, wie er sie gemseinen eigenen Platonischen Grundlegungen h tte denken m ssen,n mlich als eine Art der νπό&εοις. Nur w re sie von derυπόΰεσις im allgemeinen Sinne dann dadurch unterschieden ge-wesen, da in ihr mehr die Festlegung und „Umgrenzung" derResultate hervorgehoben w re, wie ja bereits ihr Name dassagt. Sie w rde also innerhalb der aufsteigenden Richtung dasMoment des πέρας oder der στάσις methodisch bezeichnen undso das der άπόδειξις doppelt entgegengesetzte Methodengliedbilden.

4*

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 16: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

5O N. Hartmann [50

Solche Konsequenzen zu ziehen, die Proklus selbst nichtzu ziehen vermochte, ist insofern kein unhistorisches und frucht-loses Gesch ft, als man sich an ihnen die systematische Kraftund Tragweite klarmachen mu , die in den methodischenGrundz gen liegt, wie sie Proklus in Form der aufsteigendenund absteigenden Methode geliefert und in seiner Weise immer-hin vorz glich bestimmt hat. Da aber er selbst dieselben nichtauszunutzen wu te, sondern in der Durchf hrung auf halbemWege stehen blieb, ist eben die Schuld seines nicht einheitlichenAusgehens vom Platonismus, sondern zugleich von Aristoteles'Schule. Hier ist es der charakteristische Zug seines Zeitalters,das ihn aus seiner geraden Bahn herausbringt, das kompila-torische Interesse, welches auf philosophischem Boden so vielwie Eklektizismus ist. Denn gerade an mangelnder Durch-f hrung der νπό'&εσις scheitert er.

Aber wenn es auch bestehen bleiben mu , da er dieseDurchf hrung „nach unten" zu nicht geleistet hat, so mu dochhervorgehoben werden, da er „nach oben" zum Prinzip denvollen „Zusammenschlu zur Einheit", den σύνδεσμος der mathe-matischen Methoden, gefunden und mit aller Kraft betont hat.Hierbei hat er sich nicht durch eklektischen Anschlu an andereDenker irremachen lassen. So lehnt er energisch die Ansichtdes Eratosthenes ab, da der σύνδεσμος der Mathematik in„Analogie" bestehe. Denn das Prinzip der Analogie ist ihmnur eines unter den κοινά der Mathematik. Es kann sich aberin dieser Frage nicht um Heraushebung eines Prinzips aus derZahl mehrerer handeln, sondern es mu diejenige Gemeinschaftaller an die Spitze gestellt werden, welche der nat rliche Zu-sammenschlu aller Methoden ist. Eine solche ist nach Prokluszun chst nur die Einheit der ganzen Mathematik (ή μία καΐ δλημα^ηματική^ 44ι 2f-)i n mlich „sofern sie die Prinzipien allerspezielleren Wissenszweige einheitlich in sich enth lt und dieGemeinschaft, sowie den Unterschied derselben betrachtet." Undzu dieser Einheit zun chst f hrt der Aufstieg (άνοδος) den„methodisch Lernenden". Weiter hinauf aber noch ist dieDialektik ein σύνδεσμος των μαΰημάτων, der ΰριγχός aller Mathe-matik. Diese vollendet erst das Ganze und wendet das Denkenzum νους hinauf gem ihrer eigenen Methode. Und dieserselbst wiederum, δ νους αυτός, ist dann an dritter Stelle Ein-heit, und zwar die abschlie ende und oberste, in welche alledialektischen Methoden einm nden, und der diese alle einheit-artig umfa t, indem er das πλή&ος zur ε'νωσις zusammenschlie t.

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 17: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

51] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik ζΐ

In ihm findet also die Zur ckwendung (επιστροφή) alles dialek-tisch Hervorgegangenen (προβαλλόμενον) zur urspr nglichen Ein-heit statt, aus deren Urkraft, wie wir sahen, die διάνοια ihre„ursprungartigen Antezipationen" machte. Diese Einheit bindet„von oben her" die ganze Durchf hrung der mathematischenλόγοι und ist das Endziel und das H chste des aufw rts f hren-den Weges und damit zugleich der erkennenden Energie ber-haupt (44, 3-23)· —

Auf den genannten vier Methoden beruht nun das ganzeLehrgeb ude der Mathematik. Und in ihnen definieren sichdie spezielleren methodischen Begriffe, die sich in den Durch-f hrungen bilden m ssen. Aber Proklus gibt die Durchf hrungdieser Art nicht in Form einer Herleitung der Methodenbegriffeauseinander, sondern verf hrt, wie berhaupt im weiteren,schon mehr kommentierend, indem er einfach der Gebrauchs-weise Euklids dieselben entnimmt und sich damit begn gt, anihnen die Unterschiede und gemeinsamen Z ge kritisch zu be-leuchten. Sein Zweck ist hier (im 2. Buch des Prologs) schonnicht mehr der, ein System der Methoden herzustellen, sondernblo , die strittigen Punkte klarzustellen und nach Ma gabe derAnwendbarkeit zu definieren.

Das Ganze der Geometrie ist eine στοιχείωοις. Zu einersolchen hat Euklid sie zusammengef gt. Und eine solche zusein, ist ihr Ziel, sofern sie Lehrgegenstand ist (71, 5ff.). Esfragt sich nun, was das ist, στοιχείωσις (Elementaraufbau).Proklus geht hierzu zun chst auf den Begriff des στοιχεΐον selbstein. Als ein solches gilt ihm dasjenige, dessen Theorie sichauf die Wissenschaft des brigen erstreckt, und wovon unsdie Aufl sung der Probleme herkommt (72, 3—6). So geh renalle diejenigen Theoreme unter diesen Begriff, welche den Sinndes Prinzips f r das Folgende haben (αρχής λόγον έχοντα προςτα Ιφεξής, J2t n). Das Vorbereitende ist immer Element desVorzubereitenden; und in diesem Sinne ist vieles f reinanderElement (72, 24 ff.). In etwas anderer Bedeutung wiederum istnur das Element, was als Einfacheres dem Zusammengesetzterenvoraufgeht, oder was „das Ursprungartigere gegen ber demzum Endproblem Geh rigen ist" (τα άρχοειδέστερα των εν απο-τελέσματος λόγφ τεταγμένων, 73» 8f.), — wie z. B. die Aitemedurchweg Elemente der Theoreme sind. Proklus sieht es alsein u erst schwieriges, aber wichtiges Gesch ft an, die στοι-χείωσις richtig durchzuf hren. Die Geometer h tten alle danachgestrebt, aus ihrer Wissenschaft ein System zu machen, aber

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 18: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

52 N. Hartmann [52

lange nicht allen sei es gelungen. In dieser Hinsicht geradeist ihm Euklid musterg ltig.

Es ist leicht zu sehen, da es hierbei besonders auf denPunkt ankommt, das Richtige zum Element des Richtigen zumachen. Und da hei t es, sich zuerst ber die ersten Anf ngewirklich klar sein, um sie richtig von dem Folgenden zu unter-scheiden und zugleich sie richtig in Zusammenhang zu bringen.Denn der Lehrplan der Geometrie kann einheitlich und durch-sichtig nur ausgef hrt werden, wenn die absteigende Methodein ihm zur leitenden gemacht wird. Auf den apodeiktischenCharakter kommt es in ihm am meisten an — gem derForderung der Genauigkeit und Unwiderleglichkeit der Theo-reme. Und diese Richtung verlangt eben durchgehend dieμετάβασις von den πρώτα und άρχοειδή zum ζητουμενον (74, i/f.).

Demgem disponiert Proklus die „gesamte konomie"der geometrischen λόγοι in der Weise, da er besonders denCharakter der Folgerichtigkeit betont. Denn es handelt sichin ihr um eine Art der Ordnung, welche ,im wesentlichen die„Kontinuit t" des wissenschaftlichen Ganges bedeutet, sowohlin Hinsicht ihrer Beweisf hrungen als besonders auch ihresforschenden Fortschreitens, d. h. „ihrer Entdeckungen"; wiedenn Proklus an dem Lehrgeb ude Euklids neben οικονομίαund τάξις gerade an erster Stelle die συνέχεια των ευρέσεωνals bewunderungsw rdig hervorhebt (6g, 24).

Die Wissenschaft der Geometrie baut sich εξ ΰποΰέσεωςauf und beweist von definierten Prinzipien aus „das Folgende"(75, 6—8). Somit hat sie, wenn sie ihren absteigenden Wegbeginnt, schon einen aufsteigenden vorausgesetzt, den sie frei-lich nicht in die systematische Darstellung mit aufnimmt. Denndie νπο&έσεις entstehen in analytischer Methode, diese mu alsoder apodeiktischen vorausliegen. Aber der Geometer kann nichtdamit beginnen, da er eine Herleitung seiner Axiome gibt.Er w rde dazu aus der Mitte heraus beginnen m ssen unddamit den Einheitscharakter einer methodischen Grundrichtungpreisgeben. Vielmehr ist es notwendig, da er die Prinzipienseiner Wissenschaft gesondert (χωρίς) einf hrt und ebenso ge-sondert die von ihnen ausgehenden συμπεράσματα. Auf dieseWeise kann er freilich nicht von den Prinzipien Rechenschaftablegen, sondern nur von ihrem έπόμενον — und zwar auf Grundder Prinzipien.

Es ist aber auch nicht erforderlich, da er diese Rechen-schaft gebe. „Denn keine Wissenschaft beweist ihre eigenen

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 19: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

53] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 53

Prinzipien, noch macht sie hinsichtlich ihrer eine Erkl rung,sondern sie ist sich einfach ihrer selbst gewi , und zwar sindsie ihr noch mehr einleuchtend als das Folgende. Sie wei siedurch sie selbst, das Folgende aber nur durch jene." Und ebensoverf hrt auch der Naturforscher, der Mediziner, kurz ein jeder,der eine Wissenschaft oder eine Kunst betreibt (75, 10—22).

Das ist wieder ein ganz Platonischer Zug in Proklus, dader Mathematiker ber seine eigenen Prinzipien nicht Rechen-schaft schuldig ist, sondern sie einfach anzuwenden hat. Dasbedeutet nat rlich keineswegs, da ber diese Prinzipien etwakeine Rechenschaft mehr m glich w re. Diese kommt nur vonanderer Seite: „Eine Wissenschaft nur ist unhypothetisch, dieanderen aber empfangen von ihr her ihre Prinzipien" ^75, pf.).Diese eine ist die Dialektik, die „bis zu dem άγα&όν" als demάννπό&ετον aufsteigt (31, 15) und die daher Kraft hat, Begr n-dung zu geben, wie sie von den Spezialwissenschaften nichtgegeben werden kann. Und aus diesem Grunde hat das apo-deiktische Verfahren der Mathematik auf diese nur durch Dia-lektik begr ndeten Prinzipien als auf etwas anderes, von allemFolgenden Verschiedenes, hinzublicken, n mlich als auf etwas,was berhaupt nicht in der „beweisenden" Kompetenz der Er-kenntnis liegt, sondern im Gegensatz zu ihr, und vor ihr, ent-steht. „Wenn aber jemand die Prinzipien und das aus denPrinzipien in eins vermengt, so verwirrt dieser die ganze Er-kenntnis und r hrt zusammen, was nicht zueinander geh rt.Denn Prinzip und aus ihm Folgendes sind von Natur geschiedenvoneinander" (75, 22—26). Dieser methodische Grundsatz rein-licher Scheidung ist eine blo e Folge der Entgegensetzung vonanalytischer und apodeiktischer Methode. Er ist aber ebenso,wie er Folgerung ihrer Entgegensetzung ist, auch zugleich not-wendige Vorbedingung ihrer Durchf hrung und Anwendung.So weit folgt Proklus noch genau seinem urspr nglichen Gedankenvon der Korrelation der Methoden.

Hieran anschlie end macht er aber eine Unterscheidungin dem methodischen Charakter der geometrischen Prinzipien,durch welche die νπό&εσις eingeschr nkt wird. Diese Einteilungstammt von Euklid und letztlich von Aristoteles her. Sieunterscheidet gesondert nebeneinander ΰπσ&έοεις, αΐτήματα undαξιώματα (76, 5 f.). Da diese drei voneinander verschiedensind, wird an dem verschiedenen Verh ltnis des Lernenden zuihnen gezeigt. Verschieden aber ist dieses Verh ltnis, weil sienicht die gleiche einleuchtende Kraft besitzen.

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 20: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

54 N. Hartmann [54

Am meisten hat ihrer das Axiom. Dieses ist dem Lernen-den „verst ndlich" (γνώρψον) und zugleich „an sich selbstgewi " (κα&' αυτό πιστόν), — wie der Satz, da , was ein- unddemselben gleich ist, auch einander gleich ist. Dagegen sollnun die νπόΰεσις zwar aus sich selbst gewi , aber nicht ver-st ndlich sein, — wie z. B. der Satz, da der Kreis eine so-undso beschaffene Figur sei. Das Aitem schlie lich ist wedereinleuchtend noch gewi , wird aber dennoch angenommen, weiles f r das Folgende n tig ist, — wie der Satz, da alle rechtenWinkel gleich sind (76, 4—21). Es ist klar, da hiernach denAxiomen die erste Stelle zukommt, jedenfalls besitzen sie mehrErkenntniskraft als die νηόΰεσις; wie denn auch anderweitig(58, 7f.) erkl rt wird, sie seien diejenigen Prinzipien, die berden Bereich einer Wissenschaft hinausreichen und so f rmehrere zugleich als Prinzipien dienen.

Nun ist kein Zweifel, da diese Einteilung nicht jenerweiten, Platonischen Bedeutung der ύπσ&εσις entspricht, imSinne welcher es hie , man m sse die παραδείγματα f r Zahlenwie f r Figuren, f r λόγοι wie f r κινήσεις zugrunde legen (νπο-ΰετέον, 17, 11), oder noch bestimmter, die Wissenschaft derGeometrie sei Ιξ νπο&εοεως und beweise deshalb von definiertenPrinzipien aus das Folgende (75, 6—8). An solchen Stellenist es klar, da Proklus alle &ρχαί ihrem methodischen Charakternach als νπο&εοεις hinstellt, ohne Unterschied ihres Geltungs-gebiets. Und nach der allgemeinen Methodik des Zugrunde-legens, wie er sie sonst anwendet, mu ein Prinzip um so mehrνπό&εοις sein, je allgemeinere Geltung es hat. Die scheinbareEinschr nkung, die dagegen am Begriff der νπόΰεσις in derEinteilung der Prinzipien gemacht wird, ist wohl demgegen bernur als eine Konzession an die Euklidische und AristotelischeTerminologie anzusehen, wie Proklus ja auch selbst zu ver-stehen gibt. Und er f gt hinzu, es gebe Andere (die Stoiker),die jedes einfache Urteil ein Axiom nennen, so da f r diesealso auch die ύπο&έσεις Axiome w ren, und wieder Andere,die umgekehrt auch die Axiome zu den ύπσ&έσεις rechneten.In beiden F llen sind dann alle Prinzipien υποπέσεις (77, 2—6).

Wenn man hierzu die im Parmenideskommentar h ufigwiederkehrende Behauptung nimmt, die Methode der νπόΰεσιςumschlie e alle anderen Methoden und mit ihnen den ganzenBereich der Prinzipien, so ist es klar, da es sich f r Proklusum keine prinzipiell-philosophische Ausschlie ung zwischenAxiom und υπόοεσις handeln kann, und da er, wo er tats ch-

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 21: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

55] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 55

lieh von einer solchen spricht, nicht die allgemeine νπό&εσιςmeint, sondern ihr bereits eine von dieser wesentlich verschie-dene Bedeutung gibt.

Wie nun die Prinzipien Unterschiede zeigen, so auch dasihnen Folgende. Dieses zeigt zwei Grundtypen: Theorem undProblem. Das Theorem ist der Lehrsatz. In ihm kommt esauf die Behauptung und ihren Beweis an, also auf das συμβε-βηκός και?' αυτό. Das Problem dagegen ist die geometrischeAufgabe, und zwar im wesentlichen Konstruktionsaufgabe. Indieser mu nicht nur der Beweis einer Behauptung, sondernvielmehr diese selbst noch gefunden werden. Das Finden ge-schieht im Konstruieren (γίγνεσθαι, γένεσις1). Proklus neigtaber dazu, diesen Unterschied nicht allzusehr auf die Spitze zutreiben. Denn auch die Probleme bed rfen des Beweises. Siehaben also auch etwas von der Natur des Theorems in sich;wie denn berhaupt die ganze Geometrie ein vorwiegend „theo-retisches" Gebiet ist und nicht ein poietisches. Das πρόβλημαaber w re, streng genommen, wenigstens sofern es γένεσις ein-schlie t, der ποίησις analog, wie sie auf anderen Gebieten (z. B.Mechanik) stattfindet (77, 7—20).

Die γένεσις aber ist es ja auch gerade, mit der es seineSchwierigkeiten hat auf geometrischem Gebiet. Denn ein άίδιονkann doch kein Werden haben. Proklus begegnet dem so: essei besser zu behaupten, „da alles dasselbe ist (Theorem wieProblem), da wir aber die γένεσις derselben nicht dem Tun,sondern der Erkenntnis nach ansehen (ου ποιητικώς, αλλά γνωστι-χώς), gleich als ob wir das ewig Seiende werdend nehmen, soda wir auch behaupten werden, alles w rde theorematischund nicht problematisch genommen" (78, 3—8). Nach andererMeinung sind Theoreme und Probleme geschieden, weil indiesen das Gesuchte erst hergestellt, in jenen aber als schonbestimmt angenommen wird. Proklus gibt beiden Meinungenrecht. Denn die Probleme der Geometrie sind eben andereals die der Mechanik; aber ohne Konstruktion, d. i. ohneπρόοδος zur νλη ist auch in ihr nicht durchzukommen; nur istdiese eine νλη νοητή. „Indem die λόγοι in diese eintreten undsie gestalten, sagt man mit Recht, da sie den γενέσεις gleichen.Denn wir sagen, da die Bewegung unserer διάνοια und dieErzeugung der λόγοι in ihr eine γένεσις der in der φαντασίαbefindlichen Figuren ist . . ." (78, 20—24).

*) Da γένβαις bei Proklus vielfach die Bedeutung von „Konstruktion"hat, ist gezeigt bei Altenburg, S. 190 f.

Cohen und Na tor p, Philosophische Arbeiten IV S

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 22: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

j6 N. Hartmann [56

Da also ein Unterschied zwischen Theorem und Problemda ist, soll nicht in Zweifel gezogen werden. Aber das ber-wiegende (το πλεονάζον) in der Geometrie ist die Theorie. Denndie Probleme haben alle an der Theorie teil, aber nicht um-gekehrt die Theoreme am Charakter der γένεοις. Denn allesden Prinzipien Folgende wird durch den Beweis ergriffen (διαποδείξεως λαμβάνεται). So ist das Theorem das κοινότερον (79,4—p). Und dieses Ergriffenwerden durch den Beweis ist des-halb nicht unbedingt an die konstruierende γένεσις gebunden,weil es ja (auch bei Euklid) Theoreme gibt, die ohne sie aus-kommen. Diese bringen „von sich selbst" (αντό&εν), d. h. ausihrem rein theorematischen Charakter heraus, den Beweis f rdas ζητούμενον. Dazu macht Proklus noch die Ansicht geltend,das Problem nehme nicht nur die Pr dikate der νλη auf, sondernauch immer zugleich das Gegenteil von ihnen (wobei unter νληdie Figur verstanden ist, um die es sich jedesmal handelt). DasTheorem dagegen nimmt das Gegenteil nicht auf, sondern nurdie Pr dikate, die es selbst geltend macht. Diese sind in ihmdas κα&' αυτό σνμβεβηκός. Die Einzeichnung eines gleichseitigenDreiecks in den Kreis ist Problem, weil man auch ein nichtgleichseitiges einzeichnen kann. Da aber im gleichschenkligenDreieck die Winkel an der Basis gleich seien, ist Theorem; dennes ist unm glich, da sie auch in irgendeinem Falle ungleichseien (79, 11—80, 2). „Worin also das Symptom (das zu Be-weisende) ein streng Allgemeines (κα&ολικόν) ist und der ganzenνλη anhaftet, das, mu man sagen, sind Theoreme; worin esaber kein Allgemeines ist und nicht auf jeden Fall dem ϋπο-κείμενον zukommt, mu man als Problem setzen" (80, 5—9).Daher k nnen auch nur die Theoreme in Urteilsform gekleidetwerden (80, 24). Und so ist denn auch die Bedeutung des Be-weises eine verschiedene in beiden F llen. Am Problem ist erτης γενέσεως χάριν da und beweist nichts als die Richtigkeit derKonstruktion (81, 14). Am Theorem aber beweist er die All-gemeinheit eines Urteils.

Es ist interessant zu sehen, wie auch in diesen Durchf h-rungen die allgemeine Grundmethode — wenigstens der Tendenznach — sich durchsetzt. Die Geometrie ist wesentlich be-weisende Wissenschaft. Darum ist f r sie bezeichnend dertheorematische Charakter. Und alles, was diesen nicht reinzeigt, sinkt zum sekund ren Moment herab. Das Theorem h ngtzwar ebenso am Raumbegriff wie das Problem, es entwickeltund beweist seine M glichkeiten. Aber es ist an ihm doch die

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 23: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

57] Des Proklus Diad. philos. Anfangsgr. der Mathematik 57

eigentliche, methodische Leistung, w hrend letzteres blo Ex-plizierung ist. F r die wissenschaftliche Leistung mu es aberwesentlich nur auf die erstere ankommen. Denn nicht in derKonstruktion, sondern in der Einheit der methodischen Grund-richtung vollzieht sich die Einheit der Wissenschaft als einesGanzen. Nur so ergibt ihr Ganzes ein System, indem in jedemPunkte die aufsteigende Methode mit der absteigenden sichdecken kann. Denn wie die ersten Grundlegungen in ihr sichalle durch analytische Methode begr nden, so die letzten Konse-quenzen alle durch apodeiktische. In dieser hat jene ihr Korrelatund ihre Kontrolle. So berwiegt zugleich der Gesichtspunktder allgemeinen „mathematischen ουσία" ber den der speziellerengeometrischen νλη. Jener involviert die gro e Methodenkorre-lation, dieser nur das Prinzip der konstruierenden γένεαις. Undso wichtig die letztere f r das Gebiet der Geometrie ist, so istdoch sie es nicht, die Genauigkeit und Unwiderleghchkeit ge-w hrt. Das kann nur eine durchgehende Methode leisten, welchedie Anf nge mit dem Endproblem verkettet. In einer solchengr ndet sich der eigentliche Wissenschaftscharakter der Geo-metrie. Diesen Charakter teilt sie mit aller reinen Mathematik,vor allem mit der Arithmetik.

So ist die Einheit des „mathematischen Seins" auch in dembesonderen Seinsgebiet der Geometrie der ma gebende Gesichts-punkt. Sie erstreckt somit wirklich, gem der systematischenDisposition des Proklus, ihre unendlich sich entrollende dialek-tische Kraft ber alle besonderen Gebiete und Stufen hinab bisin das „ u erste", das seinerseits schon unterhalb der Mathe-matik berhaupt liegt, jenes selbe „ u erste", von welchem alsdem έξω της άναμνήσεως der analytische Aufstieg zu den υπο-πέσεις beginnt.

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM

Page 24: Des Proklus Diadochus philosophische Anfangsgründe der Mathematik nach den ersten zwei Büchern des Euklidkommentars dargestellt (Philosophische Arbeiten) || 3. Die mathematischen

Brought to you by | Heinrich Heine Universität DüsseldorfAuthenticated | 134.99.128.41

Download Date | 11/9/13 11:00 AM