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27 Schlosskirche St. Marien (heute Veranstaltungs- zentrum) Palais Waldersee (Anhaltische Landesbücherei) 26 eines mittelalterlichen Vorgängerbaus als Westflügel des Residenzschlosses der Fürsten und Herzöge von Anhalt-Dessau errichtet. Bauherr war Fürst Johann IV. von Anhalt mit seinen jüngeren Brüdern Georg III. und Joachim. Bei der Zerstö- rung 1945 blieb er als einziger Gebäude- teil des Schlosses schwer beschädigt er- halten und konnte ab 1990 sukzessive wiederhergestellt werden. Nur unweit entfernt findet man die ehe- malige Schloss- und Stadtkirche St. Ma- rien, in der Martin Luther mehrfach pre- digte. Der Bau geht auf Ulrich von Schmiedeberg zurück, der ihn 1506 bis 1523 an Stelle eines älteren Vorgänger- baues errichtete. Zwischen 1551 und 1554 entstanden der Westturm sowie der west- liche Halbgiebel des Schiffes unter Lud- wig Binder. 1945 wurde die Kirche mit- samt ihrer Ausstattung vernichtet und nach statischer Sicherung 1987 ab 1990 wiederaufgebaut. 1998 wurde das profa- nierte Gotteshaus als Veranstaltungsraum wiedereröffnet. Bis heute enthält die Fürst-Georg-Bi- bliothek als Teil der Anhaltischen Lan- desbücherei eine der umfangreichsten Sammlungen von Schriften der Refor- mationszeit, darunter auch antireforma- torische Polemiken. Die private dreibän- dige Lutherbibel des Fürsten Georg III. von Anhalt-Dessau stellt eine bibliophi- le Besonderheit dar, die eng mit dem Na- men Lucas Cranachs d. Ä. verknüpft ist. Der Wittenberger Drucker Hans Lufft hat sie 1541 auf Pergament gedruckt. Über einhundert detailreiche Holzschnitte der Cranachwerkstatt schmücken dieses Fürstenexemplar in Großfolio. In der Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä. wurden sie gemäß des fürstlichen Auftrags zu- sätzlich koloriert und mit Goldhöhungen versehen. Deshalb atmet die Prachtbibel wie nur wenige andere Schriften den Geist der Reformation. Cranach ergänz- te den Druck noch mit zusätzlichen Por- träts der beiden Reformatoren Luther und Melanchthon sowie aufwändig or- namentierten Wappentafeln. Alle drei Bände sind mit eigenhändigen Schrift- zeugnissen der wichtigsten Reformato- ren versehen. Sie machten das Werk für den fürstlichen Leser noch wertvoller. In- folge der Kriegswirren 1945 wurde das Prachtwerk auseinandergerissen. Einzig Band 3 verblieb in Dessau, während die ersten beiden Bände eine Odyssee an- traten, die erst 2011 beendet wurde. Seit- dem sind alle Bände wieder in Dessau vereint. Die Kunstwerke der Reformationszeit sind heute im Schloss Georgium als Sitz der Anhaltischen Gemäldegalerie im Gar- tenreich Dessau-Wörlitz ausgestellt. So- wohl hier als auch in der Johanniskirche Residenzschloss Dessau, Johannbau Dessau-Roßlau Dessau ist eng mit der Reformation und Martin Luther verbunden. Doch es war ein Weg mit Hindernissen, denn die ka- tholische Fürstenwitwe Margarethe von Münsterberg stellte sich mit ganzer Kraft gegen die Erneuerungsbewegung der Kirche. 1525 gründete sie den „Dessau- er Bund“ als Zusammenschluss katholi- scher Landesherren, die sich gegen die Weiterverbreitung von Luthers Lehre stark machten. Auch der dritte Sohn des Fürsten Ernst von Anhalt-Dessau, Fürst Georg III., genannt „der Gottselige“, hat- te der Reformation zu Beginn eher ab- lehnend gegenübergestanden, ehe er sich Ende der 1520er Jahre Luther und Me- lanchthon zuwandte und 1532 bis 1534 mit seinen Brüdern die Reformation in Anhalt-Dessau einführte, übrigens als Letzter der anhaltischen Fürsten. Fortan war Martin Luther regelmäßiger und gern gesehener Gastprediger in der Kir- che St. Marien in Dessau. 1545 wurde Ge- org III. von Anhalt-Dessau von Luther zum Bischof von Merseburg ordiniert. Er war damit der einzige deutsche Fürst, der offiziell das Amt eines lutherischen Geist- lichen bekleidete. Luther schätzte Ge- org III. sehr und sagte einmal über ihn: „Fürst Georg ist frömmer denn ich, wo der nicht in den Himmel kommt, werd ich wohl heraus bleiben“. Nach Luthers Tod erwarb Georg III. Hunderte von Lu- therbriefen und das vollständige Manu- skript der Übersetzung des Alten Testa- ments, erhalten in der Fürst Georg Bi- bliothek. Einen Einblick in die Geschichte Dessaus gibt das 2005 eröffnete Museum für Stadt- geschichte im Johannbau des einstigen Dessauer Residenzschlosses. Der Jo- hannbau wurde 1528 bis 1533 auf Resten Dessau-Roßlau

Dessau-Roßlau - Michael Imhof Verlag - Startseite · D o rthe au n dc sK i – - hinter stehend die heilige Margareta mit gefalteten Händen und die heilige Bar-bara. Cranachs ursprünglich

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Schlosskirche St. Marien (heuteVeranstaltungs-zentrum)

Palais Waldersee(Anhaltische Landesbücherei)

26

eines mittelalterlichen Vorgängerbaus alsWestflügel des Residenzschlosses derFürsten und Herzöge von Anhalt-Dessauerrichtet. Bauherr war Fürst Johann IV.von Anhalt mit seinen jüngeren BrüdernGeorg III. und Joachim. Bei der Zerstö-rung 1945 blieb er als einziger Gebäude-teil des Schlosses schwer beschädigt er-halten und konnte ab 1990 sukzessivewiederhergestellt werden.Nur unweit entfernt findet man die ehe-

malige Schloss- und Stadtkirche St. Ma-

rien, in der Martin Luther mehrfach pre-digte. Der Bau geht auf Ulrich vonSchmiedeberg zurück, der ihn 1506 bis1523 an Stelle eines älteren Vorgänger-baues errichtete. Zwischen 1551 und 1554entstanden der Westturm sowie der west-liche Halbgiebel des Schiffes unter Lud-wig Binder. 1945 wurde die Kirche mit-samt ihrer Ausstattung vernichtet undnach statischer Sicherung 1987 ab 1990wiederaufgebaut. 1998 wurde das profa-nierte Gotteshaus als Veranstaltungsraumwiedereröffnet.Bis heute enthält die Fürst-Georg-Bi-

bliothek als Teil der Anhaltischen Lan-

desbücherei eine der umfangreichstenSammlungen von Schriften der Refor-mationszeit, darunter auch antireforma-torische Polemiken. Die private dreibän-dige Lutherbibel des Fürsten Georg III.von Anhalt-Dessau stellt eine bibliophi-le Besonderheit dar, die eng mit dem Na-men Lucas Cranachs d. Ä. verknüpft ist.Der Wittenberger Drucker Hans Lufft hatsie 1541 auf Pergament gedruckt. Übereinhundert detailreiche Holzschnitte derCranachwerkstatt schmücken diesesFürstenexemplar in Großfolio. In derWerkstatt Lucas Cranachs d. Ä. wurdensie gemäß des fürstlichen Auftrags zu-sätzlich koloriert und mit Goldhöhungenversehen. Deshalb atmet die Prachtbibelwie nur wenige andere Schriften denGeist der Reformation. Cranach ergänz-te den Druck noch mit zusätzlichen Por-träts der beiden Reformatoren Lutherund Melanchthon sowie aufwändig or-

namentierten Wappentafeln. Alle dreiBände sind mit eigenhändigen Schrift-zeugnissen der wichtigsten Reformato-ren versehen. Sie machten das Werk fürden fürstlichen Leser noch wertvoller. In-folge der Kriegswirren 1945 wurde dasPrachtwerk auseinandergerissen. EinzigBand 3 verblieb in Dessau, während dieersten beiden Bände eine Odyssee an-traten, die erst 2011 beendet wurde. Seit-dem sind alle Bände wieder in Dessauvereint.Die Kunstwerke der Reformationszeitsind heute im Schloss Georgium als Sitzder Anhaltischen Gemäldegalerie im Gar-tenreich Dessau-Wörlitz ausgestellt. So-wohl hier als auch in der Johanniskirche

ResidenzschlossDessau, Johannbau

Dessau-Roßlau

Dessau ist eng mit der Reformation undMartin Luther verbunden. Doch es warein Weg mit Hindernissen, denn die ka-tholische Fürstenwitwe Margarethe vonMünsterberg stellte sich mit ganzer Kraftgegen die Erneuerungsbewegung derKirche. 1525 gründete sie den „Dessau-er Bund“ als Zusammenschluss katholi-scher Landesherren, die sich gegen dieWeiterverbreitung von Luthers Lehrestark machten. Auch der dritte Sohn desFürsten Ernst von Anhalt-Dessau, FürstGeorg III., genannt „der Gottselige“, hat-te der Reformation zu Beginn eher ab-lehnend gegenübergestanden, ehe er sichEnde der 1520er Jahre Luther und Me-lanchthon zuwandte und 1532 bis 1534mit seinen Brüdern die Reformation inAnhalt-Dessau einführte, übrigens alsLetzter der anhaltischen Fürsten. Fortanwar Martin Luther regelmäßiger und

gern gesehener Gastprediger in der Kir-che St. Marien in Dessau. 1545 wurde Ge-org III. von Anhalt-Dessau von Lutherzum Bischof von Merseburg ordiniert. Erwar damit der einzige deutsche Fürst, deroffiziell das Amt eines lutherischen Geist-lichen bekleidete. Luther schätzte Ge-org III. sehr und sagte einmal über ihn:„Fürst Georg ist frömmer denn ich, woder nicht in den Himmel kommt, werdich wohl heraus bleiben“. Nach LuthersTod erwarb Georg III. Hunderte von Lu-therbriefen und das vollständige Manu-skript der Übersetzung des Alten Testa-ments, erhalten in der Fürst Georg Bi-bliothek.Einen Einblick in die Geschichte Dessausgibt das 2005 eröffnete Museum für Stadt-

geschichte im Johannbau des einstigen

Dessauer Residenzschlosses. Der Jo-hannbau wurde 1528 bis 1533 auf Resten

De s s a u - R o ß l a u

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Lucas Cranach d. Ä.: Georg der Bärtige, um 1534/39

Dresden, Residenzschloss

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St. Johanniskirche

Lucas Cranachd. J.: Das Abend-mahl, 1565

De s s a u - R o ß l a u

findet man die umfangreichste Samm-lung und den zugleich herausragendstenBestand von Werken beider Cranachs inSachsen-Anhalt. Mit dem Dessauer Fürs-tenaltar von 1510, dem Katharinenaltarvon 1516 und nicht zuletzt dem Dessau-er Abendmahl von 1565 vereint Dessau-Roßlau gleich drei Hauptwerke von Lu-cas Cranach d. Ä. und seinem Sohn LucasCranach d. J. Der Dessauer Fürstenaltar

– eigentlich ein Marienaltar – repräsen-tiert den frühen, katholischen Cranach.Er entstand noch ganz unter dem Ein-druck der 1508 erfolgten Reise in die Nie-derlande und in der künstlerischen Aus-einandersetzung mit Albrecht Dürer. DieAuftraggeber Kurfürst Friedrich der Wei-se und sein Bruder Herzog Johann vonSachsen sind auf den beiden Seitenflü-geln mit ihren jeweiligen Schutzheiligendargestellt. Für Friedrich den Weisen wardies der heilige Bartholomäus – eigentli-cher Schutzpatron der Gerber – für sei-nen Bruder Johann der Jünger und Apos-tel Jakobus d.Ä., Sohn des Zebedäus. ImZentrum umschweben betende Engel diejugendliche Mutter Maria, wobei ihrSohn zur heiligen Katharina blickt. DasJesuskind ist als Knabe dargestellt, der inder linken Hand einen Apfel und in derrechten einen Ring hält und damit Bezugnimmt auf die Vision der Katharina, dievon Jesus einen Ring angesteckt erhielt –als Zeichen, sich im Glauben zu ver-mählen. Der Altar gehört in eine Reihe sogenannter Fürstenaltäre, die zunächst in

den frühen Jahren vor allem für Witten-berg und Torgau entstanden. Der Des-sauer Fürstenaltar stand vermutlich ur-sprünglich ebenso in Wittenberg wie der1760 im Siebenjährigen Krieg in derSchlosskirche verbrannte Dreieinigkeits-altar. Infolge der Reformation wandelteLucas Cranach d. Ä. die Gestalt der Fürs-tenaltäre, indem er in den protestanti-schen Arbeiten verschiedene mittelal-terliche Bildprogramme zusammenfass-te. Anstelle der marianischen Motivikprägten nun das zentrale reformatori-sche Motiv des Abendmahls, aber auchKreuzigung und Auferstehung die In-halte. Heilige werden am Ende durchReformatoren ersetzt, und Altäre wan-deln sich zu Epitaphien. Die so genann-te Verlobung der heiligen Katharina stehtim Mittelpunkt des Katharinenaltars

von 1516. Links ist Maria mit dem Je-suskind dargestellt, daneben die heiligeDorothea und rechts Katharina – da-hinter stehend die heilige Margareta mitgefalteten Händen und die heilige Bar-bara. Cranachs ursprünglich himmel-blaues Mariengewand wurde späterschwarz übermalt, vermutlich um demGeschmack protestantischer Fürsten ge-fälliger zu sein. Das 1565 entstandene sogenannte Dessauer Abendmahl von Lu-cas Cranach d. J. vereint die Porträts derwichtigsten mitteldeutschen Reforma-toren und verschiedener Mitglieder desFürstenhauses Anhalt, darunter Luther,Melanchthon und Fürst Georg III., dieals Jünger Christi dargestellt sind. Un-schwer ist die Szenerie im Georgenbaudes Dessauer Schlosses zu erkennen. Ent-standen ist das Gemälde im Auftrag desFürsten Joachim von Anhalt, der einFreund Cranachs d. Ä. und Luthers warund sogar die Patenschaft bei LuthersTochter Margarete übernahm. Das Ge-mälde zierte einstmals die repräsentati-ve, kriegszerstörte Schloss- und Stadt-kirche von St. Marien und befindet sichheute mit zwei weiteren Arbeiten in derJohanniskirche.

Zweimal hielt sich Martin Luther inDresden auf. Die erste Reise unternahmLuther 1516 in seiner Eigenschaft alsDistriktsvikar im Rahmen einer Visita-tion. Sie führte ihn Anfang Mai in dasAugustiner-Eremitenkloster nahe dengroßen Elbwiesen in der damaligenKlostergasse. Der zweite Aufenthalt1518 erfolgte auf Einladung Hierony-mus Emsers (1478–1527), Sekretär vonHerzog Georg dem Bärtigen, der Lutherfreundschaftlich aufnahm. Emser, soheißt es, sei zunächst kirchlichen Re-formen nicht abgeneigt gewesen undhatte sich von Luther wirksame Refor-men erhofft. Der predigte am 25. Juli1518 in der Schlosskirche des DresdnerResidenzschlosses. Das ist insofernspannend, da Luthers Predigt in Dres-

den ein Jahr nach seinem Anschlag derberühmten 95 Thesen in Wittenberg er-folgte. Der Herzog war nicht zugegen,ließ sich aber später von der Predigt be-richten und hätte nach eigenem Bekun-den viel Gold gegeben, dass die Predigtnie stattgefunden hätte. Luther hattesich darin mit der offiziellen katholi-schen Heilslehre auseinandergesetzt,die an die Stelle der GerechtigkeitFurcht und Ergebenheit vor aller Ob-rigkeit setzte. Im Anschluss daran dis-putierten Luther, dessen Nachfolger alsDistriktsvikar Johann Lang, der Priordes Altendresdener Augustinerklosters,der Leipziger Theologe Weißbach undEmser in dessen Haus über LuthersThesen, die Reform der WittenbergerUniversität und die Philosophie des

Dresden

31

Zu Eisenach hatte Luther eine besonde-re Beziehung, wie er 1520 in einem Briefan den kurfürstlich-sächsischen Hofpre-diger Georg Spalatin bemerkte: „in Ei-senach sitzt nämlich fast meine ganzeVerwandtschaft, und ich bin daselbst beiihr bekannt und [auch] heute wohlange-sehen, da ich dort vier Jahre lang denWissenschaften oblag; keine andere Stadtkennt mich besser“. Neben seiner Schul-zeit und der denkwürdigen Zeit auf derWartburg 1521 hielt sich Luther 1529 an-lässlich der Fahrt zum Marburger Reli-gionsgespräch und 1540 in Eisenach auf.Bewegt man sich heute durch die Stra-ßen der Stadt, so ist die Erinnerung anLuther allgegenwärtig, prägen doch dieDiakonissen des Eisenacher Mutterhau-ses mit ihrer charakteristischen Schwes-terntracht das Stadtbild. Unweit diesesMutterhauses liegen Nikolaitor und Ni-kolaikirche in unmittelbarer Nachbar-schaft zueinander. Ersteres wirkt mit sei-nem großen Bogen wie ein Willkom-mensgruß der Stadt. Von den ehedemfünf Stadttoren blieb nur dieses erhal-ten, das den dahinter liegenden drei-eckigen Karlsplatz nach Osten hin ab-schließt. Als Martin Luther 1498 nach Eisenachkam, hatte die Stadt ihre große Blüte be-reits hinter sich. So hat der Ort vor allemin der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun-derts unter dem Stillstand des wirt-schaftlichen Lebens gelitten. Die Gebäu-de wie Rathaus, Türme, Tore und Stadt-mauern wiesen große Schäden auf, und1466 klagte der Stadtschreiber JohannBiermast, dass Eisenach in „Notdurft undSchulden“ in Armut gerate. In der Erin-nerung nannte Luther es unter anderem„Pfaffennest und geistlichen Stapelort“,was kein Wunder war: Auf rund 3500Einwohner kamen sieben Klöster, dreiKirchen, mehrere Kapellen und Klausen,

dazu Spitäler und über 300 Geistliche.Selbst Martins Großonkel Konrad Hut-ter war mit der Kirche verbunden undKüster an St. Nikolai. Dorthin scheintLuther trotz seiner anderen zahlreichenVerwandten stärkeren Kontakt gehabt zuhaben. Doch konnten Hutter und seineFrau ihn nicht aufnehmen, da beiden dasGeld dafür fehlte, so dass Martin sich sei-nen Lebensunterhalt wohl zumindestteilweise als Kurrendesänger verdienenmusste.

Nikolaikirche

Matthäus Merian d. Ä.: Eisenach um1647 (aus: Topo -graphia Germaniae)

Eisenach

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Georg der Bärtige –Reiterstandbild amGeorgentor

Residenzschloss,Schlosskapelle –wiederhergestelltesSchlingrippen -gewölbe

Aristoteles. Tatsächlich sollte Luther da-bei aber schon ausgehorcht werden, in-dem man ihm seine Äußerungen überden Bann vorhielt und sich mit seinerPredigt, die er im Schloss gehalten hatte,auseinandersetzte. Luther galt schon da-mals im Herzogtum als verdächtig, zu-mal bei Herzog Georg von Sachsen. Des-sen Schwägerin Katharina Herzogin zuSachsen begann sich Ende 1523 für Lu-thers Lehren zu interessieren. Heimlich,denn ihr Hofmeister war ein Aufpasserdes antilutherischen Schwagers Georgin Dresden. Der wachte auch strengüber die finanzielle Ausstattung der brü-derlichen Hofhaltung in Freiberg. Georgvertrat die Auffassung, dass man in Frei-berg ‚unordentlich Hof hielte‘ und inDresden sparsamer haushalte. Die heu-tige Dresdner Schlosskapelle entstand

unter dem Anhänger der lutherischenReformation Kurfürst Moritz erst 1551bis 1553 nach dem Vorbild der Torgau-er Schlosskapelle. Bereits 1548 hatte Kur-fürst Moritz den ersten kurfürstlich-sächsischen Kapellmeister nach Dresdenberufen. Als Wirkungsstätte herausra-gender Instrumentalisten und Kapell-meister wie etwa Heinrich Schütz (1585–1672) oder Johann Adolph Hasse (1699–1783) entwickelte sich die Dresdner Hof-kapelle zu einem musikalischen Zen-trum von europaweiter Bedeutung undStrahlkraft. Mit der Konversion Augustsdes Starken zum katholischen Glaubenim Jahr 1697 verlor die Kapelle ihre Be-deutung. Nach ihrem Abriss 1737 undder Kriegszerstörung des Schlosses 1945wurde der Raum erst 1988/89 in seinerKubatur und 2010 bis 2013 mit seinemspätgotischen Schlingrippengewölbewiederhergestellt. Die Schlosskapelle St.Georg, in der Luther predigte, befandsich im ersten und zweiten Oberge-schoss des alten Westflügels, etwa süd-lich des Hausmannsturmes. Das 1404von Markgraf Wilhelm I. gestiftete Au-gustinerkloster befand sich in Alten-dresden (der heutigen Inneren Neu-stadt) zwischen der Klostergasse unddem späteren Jägerhof. Es wurde 1545abgebrochen.

Dr e s d e n

Lutherhaus

Marktplatz undStadtkirche St. Georgen

Lutherhaus, Detail

E i s e n a ch

Lutherdenkmal amKarlsplatz

Gestiftet worden war das Benediktine-rinnenkloster St. Nikolai zwischen 1172und 1190 wohl an Stelle einer älterenKaufmannskirche von Landgraf Lud-wig III. Mit der Klostergründung wurdedie Kirche neu errichtet. Ihre Kapitelle er-innern an die der Wartburg, und so ver-mutet man die Heranziehung derselbenSteinmetze. Statt ihres schlichten, zuletztgotischen Äußeren erhielt das Gotteshaus1886/87 durch Hubert Stier mit seinernunmehr romanischen Gestalt eine völ-lig neue Architektur, während das Inne-re über die Jahrhunderte seine romani-sche, originale basilikale Anlage, so wieLuther sie einstens erlebte, bewahrt hat.1555 fand hier die erste evangelische Pre-digt statt.Unweit von St. Nikolai erinnert Adolfvon Donndorfs überlebensgroßes Bron-

zedenkmal auf dem Karlsplatz an denReformator, beziehungsreich mit Talarund Bibel in der Hand. Anlässlich seines400. Geburtstages am 10. November 1883

entstanden, wurde es am 4. Mai 1895 ein-geweiht. Tags zuvor hatte Bachs h-Moll-Messe in der Georgenkirche den Auftaktzu den Feierlichkeiten gegeben, bevorsich die Festgemeinde am Morgen des 4.Mai nach einer Andacht in der Geor-genkirche durch die Karlstraße zumKarlsplatz aufmachte. Der hohe Mar-morsockel trägt am Fuß die Inschrift:„Errichtet am Erinnerungstage von Lu-thers Ankunft auf der Wartburg. 3. Mai1895“. Die Bronzereliefs nehmen Bezugauf den jungen Luther, versinnbildlichenden vor Ursula Cotta singenden Kur-rendeschüler, zeigen Junker Jörg auf derJagd und als Übersetzer des Neuen Tes-taments. Rückwärtig sind Georgenkir-che und Denkmalsockel durch LuthersChoral „Ein’ feste Burg ist unser Gott“verbunden.Zwischen 1498 und 1501 lebte Luther imHause am heutigen Lutherplatz 8. Ursu-la Cotta, Ehefrau des Vierherrn Konrad/Kunz Cotta, hatte Martin Luther beimKurrendesingen in Eisenach entdeckt,womöglich gar vor ihrem Haus, undnahm ihn bei sich auf. Unter einem ge-meinsamen Dach lebten auch die ElternUrsula Cottas – Heinrich Schalbe und sei-ne Frau. Schalbe war von 1495 bis 1499Eisenacher Bürgermeister. Den BruderCaspar Schalbe, etwas jünger als Luther,führte dieser zur nahen Schule. Ganzzweifelsfrei steht bis heute nicht fest, obdas im 15./16. Jahrhundert entstandene,aus zwei Teilen zusammengezogene Ge-bäude das Haus ist, in dem Luther tat-sächlich logierte, oder ob es vielmehrKonrad Cottas Brüdern gehörte. Sicherist, dass es heute als schönstes und zu-gleich ältestes Haus der Stadt gilt. Dasehemalige Zugangsportal des steinernenUnterbaues zeigt die Initialen „HL“ fürHans Leonhard, dem das Haus nach 1561gehörte. 1898 eröffnete der GastwirtAdolf Lukaß darin die Gaststätte „Lu-therkeller“, wobei schon damals die bei-den kleinen Zimmerchen im südlichenHausteil als Luther-Kammern besichtigt

werden konnten. Auswirkungen desZweiten Weltkriegs (1944) führten zuschweren Zerstörungen der Nordfassa-de, die ab 1946 behoben wurden. Seit1956 dient das Gebäude als Luther-Ge-denkstätte. Luther ging es zu Beginn seiner Eise -nacher Schulzeit schlecht. In den Tisch-reden etwa findet sich der Hinweis, dasser Brot von Haus zu Haus gebettelt ha-be. Der 15-Jährige lebte damals in derPfarrschule St. Georg, wo für ärmereSchüler Kammern bereitstanden. DiePfarrschule St. Georg sucht man heutevergeblich, da sie im 16. Jahrhundert ab-gerissen wurde. Sie lag östlich des mit-telalterlichen Landgrafen- oder Steinho-fes, jenes „zwuschen [!] sente Jorgen un-de der barfußer clostir“ errichteten Ge-bäudes, das zunächst erste Landesresi-denz war. Einzig das Residenz- oder

Creutznacherhaus an der Ecke zur Unte-ren Predigergasse erinnert heute noch andie umgebende Bebauung. Es entstand1539 für den Kaufmann Conrad Creutz-nacher und wurde unter Herzog JohannErnst (1566–1638), dem Begründer der äl-teren Linie des Hauses Sachsen-Eisenach,mit den bereits bestehenden Gebäudenseiner Residenz verbunden. Das Renais-sanceportal des massiven zweigeschos-sigen steinernen Unterbaues von 1559wird wiederum Hans Leonhard zuge-schrieben. Der obere giebelständige Teilist in Fachwerk ausgeführt und mit ge-schweiften Andreaskreuzen und spätgo-tischen „Nasen“, Rauten- und Leitermo-tiven geschmückt. Die Pfarrschule St. Ge-org besuchte Martin Luther wie bereitserwähnt von 1498 bis 1501. Ein besonde-rer Grund für den Wechsel von Magde-burg nach Eisenach muss nicht vorgele-gen haben, da ein häufigerer Schul-wechsel für Lateinschüler in dieser Zeitnichts Ungewöhnliches war. Wenngleichwenig aus Luthers Schulzeit bekannt ist,so doch die Anekdote vom SchulrektorTrebonius, der jeden Morgen vor Unter-richtsbeginn vor den Schülern das Barett

gezogen haben soll. Schließlich, so Tre-bonius, könnte ja unter den Eleven einkünftiger Gelehrter oder Rat sein. Mit Wi-gand Güldenapf, mit dem Luther auchspäter in Verbindung blieb, hat sich derName eines Lehrers erhalten. Impulse er-fuhr der junge Martin auch durch seineGasteltern und deren frommes „Kollegi-um Schalbense“, ein Kreis von Bürgernund Mönchen des nahen Franziskaner-klosters. Und auch mit dem Vikar des

E i s e n a ch

3332

Ehemalige Predigerkirche

E i s e n a ch

Georgenkirche, Lutherrose

Georgenkirche Altar und Tauf-stein von 1503

Meniushaus

Marienstiftes Johannes Braun, der sichbesonders der Eisenacher Schüler an-nahm, hatte Luther Kontakt.In unmittelbarer Nachbarschaft zur eins-tigen Pfarrschule von St. Georg findetsich die gleichnamige Stadtkirche St. Ge-

orgen. Lutherrose und Bachsiegel schmü-cken das Gittertor zu Werner Marchs1898 bis 1902 erbauter neobarocker Ein-gangshalle. Damals entstand auch der 62Meter hohe Kirchturm, der weithin sicht-bar das Stadtbild prägt. Der Kernbau derKirche soll auf Landgraf Ludwig III. unddas Jahr 1181 zurückgehen. Erste ur-kundliche Hinweise nennen das Jahr1196. Hier soll Ludwig IV. zum Ritter ge-schlagen und 1221 mit Elisabeth von Un-garn, der späteren heiligen Elisabeth, ge-traut worden sein. Die ältesten Teile da-tieren heute ins 13. Jahrhundert. WegenBaufälligkeit wurden 1515 große Teile ab-gebrochen und neu errichtet. Am 9. und

10. April sowie am 2. Mai 1521 hat Mar-tin Luther vor und nach dem WormserReichstag hier gepredigt. Tags zuvor hat-te Kaiser Karl V. die Reichsacht über Lu-ther verhängt, nachdem dieser seine The-sen nicht widerrufen wollte. Als die Kir-che 1525 während des „Pfaffensturms“so schwere Schäden aufwies, dass siegroßenteils abgerissen wurde, mussteLuther etwa 1540 seine Predigten in dernoch vorhandenen, erst 1599 niederge-legten Franziskanerkirche halten. 1561konnte St. Georgen schließlich als pro-testantische Predigtkirche geweiht wer-den. Denkwürdig ist neben Luthers Pre-digten die Taufe Johann Sebastian Bachsam 23. März 1685 in einem Taufbeckenaus dem Jahr 1503. ArchitektonischesBindeglied zwischen beiden ist auch dieKreuzigungsgruppe auf dem Altar mitChristus am Kreuz im Zentrum, flan-kiert von der trauernden Maria unddem Jünger Johannes, entstanden um1500. Die Kanzel mit ihren Tugendalle-gorien entstand 1676, die Orgel mit ih-rem prächtigen Barockprospekt 1719 beiFriedrich Frank. Die so genannten Land-grafensteine im Chorraum gelangtenerst 1952 bei der Profanierung der Rein-hardsbrunner Schlosskapelle nach Ei-senach.Bei seinem letzten Aufenthalt in Eisen-ach vom 7. bis 27. Juli 1540 wohnte Mar-tin Luther mit Philipp Melanchthon imHaus von Justus Menius (1499–1558), dernach seiner Teilnahme am Marburger Re-ligionsgespräch (Ziel: Versuch der Beile-gung des Abendmahlsstreites) seit 1529in Eisenach als Superintendent wirkte.Eine Tafel am Gebäude der heutigenStadtkirchnerei, Obere Predigergasse 1,weist darauf hin. Menius hatte in Erfurtund Wittenberg studiert, wurde 1522 Vi-kar in Mühlberg (Kreis Gotha), 1525 Pfar-rer in Erfurt und 1528 Privatdozent inGotha. Als Visitator wirkte er im ernes-tinischen und albertinischen Thüringenim Auftrag der Reformation. Menius giltals bedeutender Mitreformator Thürin-

gens und als entschiedener Förderer desSchulwesens. Während Luthers Verwei-len in Eisenach im Zusammenhang mitder Doppelehe des Landgrafen Philippvon Hessen stand, befanden sich der Wit-tenberger Universitätsprofessor und ne-ben Luther bedeutendste MitreformatorPhilipp Melanchthon (1497–1560) undMenius auf dem Weg zum Religionsge-spräch in Hagenau. Während seines Auf-enthaltes 1540 hat Luther mehrfach in derFranziskanerkirche gepredigt.Der mehrflügelige Bau des ehemaligen

Dominikanerklosters am Predigerplatzist zugleich eines der ältesten Bauwerkeder Predigermönche in Thüringen. AmSonntag Misericordia Domini 1240 wur-de der seit den 1230er Jahren errichteteund Johannes dem Täufer und der 1235heiliggesprochenen Elisabeth geweihteKomplex den Erfurter Dominikanernübergeben. Hier soll Martin Luther dieSchule besucht haben – das vermittelt ei-ne alte, steinerne Tafel und führt damitdie Eisenach-Touristen regelmäßig an derNase herum. Einzig Johann SebastianBach hat hier zwischen 1692 und 1695 dieSchulbank gedrückt, denn erst nach derReformation wurde 1544 die Lateinschu-le St. Georgen eingerichtet. Im Vorgän-gerbau am Markt, südlich der Georgen-kirche, absolvierte hingegen Luther seineSchulzeit, die ihm neben lateinischerGrammatik und Sprache Mathematik, Re-ligion und Musik vermittelte. Das Singen– in der Kurrende, bei Messen und Trau-erfeiern – gehörte wie bei Bach zum fes-ten Pflichtprogramm an der Schule vonSt. Georgen. Bereits 1525 war die eigent-liche Kirche zweckentfremdet als Korn-boden benutzt worden, nachdem am24./25. April alle Geistlichen aus Eise nachausgewiesen worden waren. Den im Maiin Eisenach marodierenden Bauernhau-fen leistete die Bevölkerung keinerlei Un-terstützung – ihre Anführer wurden ganzin der Nähe des Predigerklosters bei derMünze hingerichtet. 1899 wurde im ehe-maligen Kirchenraum wie im 1512 er-

bauten Refektorium das Thüringer Mu-

seum eingerichtet. Der Museumsteil derPredigerkirche vereint 300 sakrale Ein-zelwerke des 12. bis 16. Jahrhunderts ausThüringen und den angrenzenden Re-gionen, darunter Schnitzplastiken, Altä-re, Bildtafeln und Steinbildwerke.

WARTBURG

Die vielschichtige Bedeutung der Wart-burg reicht vom nachweisbaren Aufent-halt namhafter Minnesänger wie Walthervon der Vogelweide, der heiliggespro-chenen Landgräfin Elisabeth, die von1211 bis 1228 hier lebte, über LuthersAufenthalt als Junker Jörg und dessen Bi-belübersetzung des Neuen Testamentsins Deutsche 1521/22 bis hin zum Na-tionalsymbol des 19. Jahrhunderts mitdem Wartburgfest der deutschen Bur-schenschaften von 1817. Der Sage nachgründete Landgraf Ludwig der Springer1067 die Anlage mit dem Ausruf „WartBerg, Du sollst mir eine Burg werden!“.Der Bau der Burganlage mit ihren beidenHöfen erfolgte jedoch erst unter den bei-den Nachfolgern. Landgraf Hermann I.zog neben dem Dichter Walther von der

E i s e n a ch

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