DEUTSCH Perfekt 2005-12 Leseprobe

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  • 59perfektDEUTSCH12/05

    Wie wurden Sie Weihnachtsmann?

    Durch Zufall. Zwei Tage vor Heiligabend hattenBekannte immer noch keinen Weihnachtsmannfr ihre Kinder gefunden. Ich wollte ihnen helfen.Am Telefon gaben mir die Eltern die wichtigstenInformationen ber die Kinder. Diese Informatio-nen schrieb ich in ein goldenes Buch, das ich zumeiner Premiere mitnahm.

    Erinnern Sie sich noch an diese Premiere?

    Ja, ganz genau. Ich fand die Geschenke imGerteschuppen, eingepackt in groe Scke. Mitden Scken im Arm klingelte ich an der Haustr.Die Kinder ffneten und liefen ganz schnell insWohnzimmer. Dort sangen sie ein Weihnachts-lied, und der Vater filmte alles mit seinerVideokamera. Mir wurde ganz hei in meinemroten Mantel, weil das Feuer im Kamin brannte.Auch der groe, weie Bart machte mirProbleme. Er kratzt, und beim Sprechen hat manimmer die Haare im Mund. Ein Kind ein geistigbehinderter Junge wollte unbedingt auf meinenKnien sitzen und meinen Bart streicheln. Dabeisagte er: Du, Weihnachtsmann, ich mag dich,weil du immer so tolle Spielsachen mitbringst.

    Wie findet der Weihnachtsmann

    seine Arbeit?

    Hier in Hamburg bei der Agentur fr Arbeit. AbOktober sucht sie in Zeitungen und im FernsehenWeihnachtsmnner.

    Was mssen Weihnachtsmnner knnen?

    Sie mssen wirklich Spa an dieser Arbeithaben und drfen kein Problem mit Stress haben.Und sie mssen eine komplette Ausstattung kau-fen. Mantel, Stiefel, Bart, Handschuhe und golde-nes Buch kosten ungefhr 130 Euro.

    Von Job-Krise keine Spur: Weihnachtsmnner haben jetzt viel zu tun. Allein

    in Hamburg hat die Agentur fr Arbeit mehr als 100 rote Mnner im Angebot.

    GERD SCHARMANN hat mit MALTE CARSTENS gesprochen.die Spur, -en hier: sehr kleine Menge oder

    Rest

    durch Zufall zuflligder Heiligabend Abend des 24. Dezemberder Gerteschuppen, - kleines Haus, in dem Gerte

    stehen

    der Sck, e groe Tasche aus festemStoff oder Plastik

    krtzen hier: unangenehm auf der Haut sein

    geistig behindert behindert im Verstehen,Denken und Lernen

    nbedingt absolutstreicheln die Hand vorsichtig auf etwas

    hin und her bewegen

    die Ausstattung hier: Kleidung und alle Dinge,die man fr den Job braucht

    der Stiefel, - Schuh, der bis zum Knie gehtdie Tour, -en bestimmter Weg die Bescherung, -en Geben der Weihnachtsgeschenkeschffen eine schwierige Aufgabe mit

    Erfolg erledigen

    fstsetzen hier: offiziell erklren, was gltig ist

    das Honorar, -e Bezahlung fr die Arbeit freierBerufe (z. B. rzte)

    der Auftritt, -e von: auftreten = (auf einerBhne) vor Publikum sprechen

    der Erzieher, - Pdagogedie Rute, -n dnne, lange Teile eines Bau-

    mes: Sie wurde frher benutzt,um jemanden zu schlagen.

    strng autoritrdas Gedcht, -e Text in Versendarbieten vor Publikum zeigen

    Malte Carstens (28) stu-

    diert in Hamburg Pro-

    duktionsmanagement.

    Wichtig sind ihm seine

    Freundin und viel Sport.

    Die Weihnachtsmnner

    sind vor allem im Nor-

    den Deutschlands unterwegs.

    Anders im Sden: Dort kommt,

    meistens am 5. oder 6. Dezember,

    der Nikolaus, Nikolo (sterreich)

    oder Samichlaus (Schweiz).

    Weihnachtsmnner und Nikoluse

    findet man ber die Agentur fr

    Arbeit, ber Studenten-Vermitt-

    lungen und im Internet:www.weihnachtsmannbuero.dewww.weihnachtsmann-service.deIn sterreich:www.nikolo.atIn der Schweiz:www.chlaus.ch

    die Studnten- Job-Agentur fr StudentenVermittlung, -en

    Ist die Koordination der Termine schwierig?

    Ungefhr eine Woche vor Heiligabend bekommtman die Jobs von der Arbeitsagentur. Jederbekommt zwischen acht und zwlf Jobs. Danntelefoniere ich mit den Familien und plane meineTour. Die Texte fr mein goldenes Buch sindganz wichtig. Manche Familien schicken mirkomplette Texte als E-Mail oder Fax. DieZeitplanung ist immer schwierig, weil vieleFamilien nachmittags in die Kirche gehen undzwischen drei und vier Uhr Bescherung machenmchten. Das schaffe ich natrlich nicht fr alle.

    Wie viel verdient denn der

    Weihnachtsmann?

    Die Agentur setzt die Honorarefest. Ein Auftritt dauert 15 bis 20Minuten. Pro Auftritt bekommeich 35 Euro. Wenn es lnger dau-ert oder wenn mehr Kinder in derFamilie sind, bekomme ich mehr.Natrlich habe ich auch Kosten, frTelefongesprche, Benzin und anderes. Aber frStudenten ist es ein guter Job.

    Was mag der Weihnachtsmann nicht

    an seinem Job?

    Manche Eltern wollen mich als Erzieher benut-zen. Aber da mache ich nicht mit. Ich will den Kin-dern eine Freude machen, aber keine Angst. EineRute habe ich deshalb auch nicht dabei. MancheEltern sind auch sehr streng zu mir und kritisierenmich, wenn ich nicht ganz genau den Text spre-che. Und manchmal tun mir die Kinder Leid,wenn sie lange Musikstcke und Gedichte dar-bieten mssen. Das kann dann Stress sein, und dasist das Gegenteil von Weihnachten.

    das ]rzgebirge Bergregion im Sden Sachsensund im Norden Tschechiens

    die Advntszeit Zeitraum von vier Wochen vorWeihnachten

    der ]ngel, - Figur, die in vielen Religionenden Menschen Nachrichten vonGott bringt

    der Brgmann, er hier: Bergarbeiter als Holzfigurder Drchsler, - Person, die beruflich drechselt(drchseln einen Gegenstand aus Holz mit

    Hilfe von Maschinen herstellen)

    der Schwbbogen, Weihnachtsschmuck aus Holz in Halbkreisform: Man steckt Kerzen

    darauf.

    der Urgrovater, erVater des Grovaters oder derGromutter

    erfnden neue Ideen haben und Neueskonstruieren

    das Spielzeug- hier: Ort, wo viele Spielsachen dorf, er verkauft werdentwa circadas KnsthandwerkBeruf, bei dem aus Handarbeit

    Kunst wird

    entstehen beginnen zu existierender Brgbau Suchen und Herausholen von Salz

    oder Metallen aus der Erde

    die Tnne, -n Gewicht: 1 Tonne = 1000Kilogramm

    das Jahrhndert, -eZeitraum von 100 Jahrenbbauen Salz oder Metalle aus der Erde

    holen

    der Lndesherr, -en aristokratischer Besitzer einerRegion im Mittelalter

    der Schtz, e Menge von Gegenstnden mithohem Wert (z. B. Gold und Silber)

    das Grne Gewlbe berhmtes Museum mit einerKunstsammlung und Schtzen

    aufblhen hier: gro und reich werdender Schntzer, - Person, die mit einem Messer

    Figuren aus Holz macht

    die Erzgebirger Pl. So nennen sich die Menschen im Erzgebirge. Normalerweise wrde man Erzgebirgler sagen

    berleben bleiben, weitermachendie Hlzgestaltung Holzkunst und Holzarbeiten

    Ich habe Respekt vorden Erzgebirgern. Vor

    15 Jahren hat fastniemand geglaubt,dass die Holzkunst

    berlebt.Gerd Kaden, Professor fr Holzge-staltung, Fachhochschule Zwickau

    Handwerk mit TraditionPierre Gler (links) und seinGrovater Werner (unten)

    Produktion imWohnzimmerFamilien bei derArbeit: 1915 (unten)und 1937 (links)

    FOTOS: R.SCHMID/HUBER;KRISTIN KAISER (2) PRIVAT (2)

    !!!!

  • 74 perfektDEUTSCH 12/05

    Als junger Mann wollte Werner Gler Sport-lehrer werden. Aber auf Wunsch seiner Muttermachte er eine Lehre in einerDrechslerei. So war daseben, sagt Werner Gler. Seit1963 leitet er den Familienbe-trieb in der dritten Generation.Sein Grovater Arthur drech-selte am Anfang Nudelhlzer,

    Lffel und anderes frdie Kche, spter auch

    Holzspielzeug. Vater Kurt konzentriertesich auf Pyramiden. Bald kamen Ru-

    chermnnchen und Nussknackerdazu.

    Die verschiedenen Generatio-nen haben ihre Spuren hinter-lassen in der Werkstatt so

    manche Maschine ist mehr als 60 Jahre alt. Eine Kreissgehat Werner Gler selbstgebaut. Denn in der DDR gab

    es nicht immer das zu kaufen,was man gerade brauchte.

    Das ist vorbei. Leicht

    hat es Werner Gler aber immer noch nicht: Esgibt inzwischen viel zu viel gute Ware auf dem

    Markt. Um die Zukunft des kleinen

    Familienbetriebs macht sich Wer-ner Gler groe Sorgen. Sohn Udomchte sein Geld lieber als Holz-kunsthndler verdienen. Enkel Pier-re will die Firma zwar weiter-

    fhren. Aber Gler findet, dass das noch eine zugroe Verantwortung ist fr den 23-Jhrigen: Wirleben in wirtschaftlich sehr schwierigen Zeiten.Ich htte ein schlechtes Gewissen, wenn ich michjetzt zur Ruhe setzen wrde.

    Pierre ist froh darber, dass der Grovater ihnnoch untersttzt. Wichtig ist, dass wir keineSchulden machen, sagt er. Er glaubt an dieZukunft des Betriebs. Die Familie hat auf teureMaschinen verzichtet, Handarbeit ist ihr sehrwichtig. Auch hat Werner Gler in guten Zeitenkeine Leute eingestellt. So muss er jetzt nieman-dem kndigen.

    Nachwuchs gibt es genug fr das Holzkunst-handwerk, aber kaum Jobs: Drei von vier Lehr-lingen meiner Klasse haben ihre Stelle verloren,

    Das Geschft mit der Holzkunst

    Erich Honecker konnte

    auf seine Erzgebirger bauen. Was

    er am meisten brauchte, war Geld

    aus dem Westen. Die exportier-

    ten Produkte der Schnitzer und

    Drechsler brachten der DDR jedes

    Jahr bis zu 15 Millionen Euro.

    Die Nussknacker, Rucher-

    mnnchen und Pyramiden waren

    beliebt im Ausland. Im sozialisti-

    schen Inland war die Religion ein

    Problem: Ins westliche Ausland

    wurden Maria, Josef und das

    Jesuskind exportiert. Aber DDR-

    Brger bekamen Pyramiden mit

    Waldarbeitern.

    Etwa drei Viertel der Holzkunst

    ging ins Ausland, so wollte es der

    Staat. Fr Spieluhren leistete sich

    die DDR teure Schweizer Uhrwerke.

    Die eigenen Brger hatten es

    schwer, an die Produkte zu kom-

    men. Sie waren froh, wenn sie im

    Advent einen Nussknacker kaufen

    konnten. Die Qualitt war oft

    schlecht.

    Heute kann jeder Drechsler und

    Schnitzer verkaufen,

    wohin er will. Doch nun

    ist es fr die rund 250 Betriebe

    schwierig, ihre Ware loszuwerden.

    Immer weniger Menschen arbei-

    ten in der Branche. Zurzeit sind es

    noch etwa 1800, viele davon pro-

    duzieren nur noch einige Monate

    im Jahr Nussknacker, Rucher-

    mnnchen und Pyramiden.

    Sorgen machen der Branche seit

    der Wende Plagiate. Die meisten

    davon kommen aus Asien. Sie

    sind viel billiger aber auch

    schlechter.

    Nussknacker mitLederhosen mache

    ich erst, wenn ich zuverhungern drohe.

    Werner Gler, Drechslermeister

    Wie vor hundert JahrenWinterzauber im Erzgebirge

    West-Mark fr Ost-Nussknacker

  • perfektDEUTSCH12/05

    sagt Pierre. Viele Freunde aus der Schulzeit sindschon lange weggezogen.

    Jedes Jahr gehen Erzgebirger aus ihrer Heimatweg. Seit 1990 ist jeder Achte gegangen. Vondenen, die bleiben, ist jeder Fnfte arbeitslos. EinGrund dafr ist das Ende des Uran-Bergbaus imJahr 1990. Rund 45 000 Kumpel hatten im Erzge-birge und in Thringen seit Ende des ZweitenWeltkriegs Uran gefrdert. Nur in den USA und inKanada wurde mehr Uran gefrdert.

    das Nudelholz, er Gert aus Holz, das man beimBacken braucht

    das Ruchermnnchen, Holzfigur, in der man etwas- brennen lassen kann, was

    gut riecht

    der Nssknacker, - hier: Holzfigur, mit der manNsse aufmachen kann

    Spuren hinterlssen etwas zurcklassen, das deut-lich zeigt, dass jemand dawar

    die Kreissge, -n Werkzeug zum Schneiden vonHolz oder Metall

    DDR kurz fr: Deutsche Demokratische Republik

    der Hlzkunsthndler, Person, die mit Kunstgegen-- stnden aus Holz handeltdas schlechte Gefhl, an etwas schuld zuGewssen seinsich zur Ruhe setzen in Rente gehenSchlden machen Geld von einer Person oder

    Bank leihen

    verzchten hier: nicht kaufeneinstellen hier: eine Arbeitsstelle gebender Nachwuchs Kinder; hier: junge Leute, die

    einen Beruf im Holzkunst-handwerk lernen mchten

    der Lehrling, -e Person, die in der Berufs-ausbildung ist

    der Kmpel, - hier: Arbeiter im Bergbaufrdern hier: abbauender Kurort, -e Ort, wo sich kranke Menschen

    erholen knnen

    die Hlde, -n groe Menge Abfall in Formeines kleinen Berges

    umgeben sein auf allen Seiten habenradonhaltig mit Radon = radioaktives Gasder Gebrgsbach, e kleiner Fluss in den Bergenins Schwrmen enthusiastisch ber etwas kommen sprechenursprnglich hier: natrlich, nicht vom

    Menschen gendert

    der Artikel, - hier: Gegenstand, Wareder Soldat, -en Person, die in Uniform fr ein

    Land kmpft

    die Blaskapelle, -n kleines Orchester, in dem esnur Trompeten und hnlicheInstrumente gibt

    die Lederhose, -n Hose aus Leder: Sie wird vorallem in Teilen Bayerns undsterreichs getragen.

    der Gmsbart, e mehrere Haare der Gmse: Sie werden vor allem in TeilenBayerns und sterreichs aufHte gesteckt.

    (die Gmse, -n Tier, das in den europischenBergen lebt)

    zu verhngern drohen kurz vor dem Tod sein, weilman nicht genug zu essen hat

    WEST-MARK FR OST-NUSSKNACKERErich Honecker Staatschef der DDR

    (1976 - 1989)

    bauen auf vertrauenbeliebt populrdie Spieluhr, -en mechanisches Instrument, das

    selbst Musik spielt; auch:Spieldose

    sich leisten hier: viel Geld ausgebendas Uhrwerk, -e alle Teile im Inneren einer

    Uhr, die dafr sorgen, dass siefunktioniert

    loswerden hier: verkaufen knnendie Wnde politischer Neuanfang 1989

    Viele Lichter, viele LiederWeihnachten in der St. Annen-Kirchein Annaberg-Buchholz

    Doch das Ende des Uran-Berg-baus hat auch seine guten Seiten.Der Kurort Schlema war vieleJahre lang von grauen Haldenumgeben, heute gibt es dort wie-der einen Kurpark, wie in den1920er-Jahren. Die Gste kommenwegen des radonhaltigen Wassers.

    Sie glauben, dass es gut fr die Gesund-heit sei. Auerdem fasziniert sie dasErzgebirge mit seinen groen Wl-dern, Seen und vielen Gebirgsbchen.

    Wenn sich jetzt eine dicke Schneedeckeber das Land legt, kommt auch DrechslerPierre Gler ins Schwrmen: Es ist eine sehrursprngliche Schnheit. Auch wegen derPyramiden, Schwibbgen und all den Holzfi-guren, die in der Weihnachtszeit natrlichnicht fehlen drfen.

    Die Menge der Produkte in den Holzkunst-lden ist gro:Etwa 10 000verschiedeneArtikel soll esgeben. Vieleder Gegenstn-de zeigen denWunsch nachIdylle undRuhe. Manche sind aber auch Kitsch. Vor kur-zer Zeit wollte ein Amerikaner eine Figur kau-fen, die aussehen sollte wie ein Soldat imIrak.

    Von Werner Gler wollte jemand Nuss-knacker, die aussehen wie Musiker einerbayeri-schenBlaskapelle mitLederhosen und Gamsbart.Das mache ich erst,wenn ich zu verhun-gern drohe, sagtder 68-Jhrige.Die Erzgebirgerhaben ihrenStolz.