Deutsche Menschen - Walter Benjamin

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  • 7/23/2019 Deutsche Menschen - Walter Benjamin

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    D E U T S C H E

    M E N S C H E N

    Walter Benjamin

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    Von Ehre ohne RuhmVon Gre ohne GlanzVon Wrde ohne Sold

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    Vorwort

    Die fnfundzwanzig Briefe dieses Bandes umfassen den Zeitraum eines Jahr-

    hunderts. Der erste ist von 1783, der letzte von 1883 datiert. Die Reihenfolgeist chronologisch. Auerhalb ihrer ist das folgende Schreiben gestellt. Aus derMitte des hier umspannten Jahrhunderts stammend, gibt es den Blick auf dieAnfnge der Epoche Goethes Jugend frei, in welcher das Brgertum sei-ne groen Positionen bezog; es gibt ihn aber durch seinen Anla, GoethesTod auch auf das Ende dieser Epoche frei, da das Brgertum nur noch diePositionen, nicht mehr den Geist bewahrte, in welchem es diese Positionenerobert hatte. Es war die Epoche, in der das Brgertum sein geprgtes undgewichtiges Wort in die Waagschale der Geschichte zu legen hatte. Freilichschwerlich mehr als eben dieses Wort; darum ging sie unschn mit den Grn-derjahren zu Ende. Lange ehe der folgende Brief geschrieben wurde, hatte, imAlter von sechsundsiebzig Jahren, Goethe dieses Ende in einem Gesicht erfat,das er Zelter in folgenden Worten mitteilte: Reichthum und Schnelligkeitist, was die Welt bewundert und wornach jeder strebt. Eisenbahnen, Schnell-posten, Dampfschiffe und alle mgliche Facilitten der Communication sindes, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu berbilden und dadurch in derMittelmigkeit zu verharren ... Eigentlich ist es das Jahrhundert fr die f-higen Kpfe, fr leichtfassende praktische Menschen, die, mit einer gewissenGewandtheit ausgestattet, ihre Superioritt ber die Menge fhlen, wenn siegleich selbst nicht zum Hchsten begabt sind. La uns soviel als mglich ander Gesinnung halten, in der wir herankamen; wir werden, mit vielleicht noch

    Wenigen, die Letzten seyn einer Epoche, die so bald nicht wiederkehrt.

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    Karl Friedrich Zelter an Kanzler von MllerBerlin, den 31. Mrz 1832.

    Erst heute, verehrtester Mann, kann ich Ihnen fr die freundschaftlichsteTheilnahme danken, von welcher Art auch die Gelegenheit diesmal seyn mag.Was zu erwarten, zu frchten war, mute ja kommen. Die Stunde hat geschla-gen. Der Weiser steht wie die Sonne zu Gibeon, denn siehe auf seinen Rckenhingestreckt liegt der Mann, der auf Sulen des Hercules das Universum be-schritt, wenn unter ihm die Mchte der Erde um den Staub eiferten unterihren Fen.Was kann ich von mir sagen? zu Ihnen? zu allen dort? und berall? Wie Erdahinging vor mir, so rck ich Ihm nun tglich nher und werd ihn einholen,den holden Frieden zu verewigen, der so viel Jahre nach einander den Raumvon sechsunddreyig Meilen zwischen uns erheitert und belebt hat.Nun hab ich die Bitte: hren Sie nicht auf, mich Ihrer freundschaftlichenMittheilungen zu wrdigen. Sie werden ermessen, was ich wissen darf, daIhnen das niemals gestrte Verhltnis zweyer, im Wesen stets einigen, wennauch dem Inhalte nach weit von einander entfernten Vertrauten bekannt ist.Ich bin wie eine Wittwe, die ihren Mann verliert, ihren Herrn und Versorger!Und doch darf ich nicht trauern; ich mu erstaunen ber den Reichthum, dener mir zugebracht hat. Solchen Schatz hab ich zu bewahren und mir die Zin-sen zu Capital zu machen.Verzeihen Sie, edler Freund! ich soll ja nicht klagen, und doch wollen die altenAugen nicht gehorchen und Stich halten. Ihn aber habe ich auch einmal wei-

    nen sehn, das mu mich rechtfertigen.Zelter.

    Man kennt den berhmten Brief, den Lessing nach dem Tod seiner Frau anEschenburg schrieb: Meine Frau ist tot: und diese Erfahrung habe ich nunauch gemacht. Ich freue mich, da mir viel dergleichen Erfahrungen nichtmehr brig sein knnen zu machen; und bin ganz leicht. Auch tut es mirwohl, da ich mich Ihres, und unsrer brigen Freunde in Braunschweig, Bei-leids versichert halten darf. Das ist alles. Diesen groartigen Lakonismus

    hat auch der soviel lngere Brief, den Lichtenberg, nicht viel spter und ausverwandtem Anla, an einen Jugendfreund gerichtet hat. Denn so ausfhr-lich er ber die Lebensumstnde des kleinen Mdchens ist, das Lichtenbergin sein Haus nahm, so weit er in ihre Kindheit zurckgreift, so unvermitteltund erschtternd ist, wie er ohne ein Wort von Krankheit und Krankenlager

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    mittendrin abbricht, als htte der Tod nicht nach der Geliebten allein, sondernauch nach der Feder gegriffen, die ihre Erinnerung festhlt. In einer Umwelt,die in ihren Tagesmoden vom Geist der Empfindsamkeit, in ihrer Dichtungvom genialischen Wesen erfllt war, prgen unbeugsame Prosaisten, Lessingund Lichtenberg an der Spitze, preuischen Geist reiner und menschlicher ausals das fredericianische Militr. Es ist der Geist, der bei Lessing die Wortefindet: Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Aberes ist mir schlecht bekommen und Lichtenberg die grausame Wendung ein-gibt: Die rzte hoffen wieder. Mich dnkt aber es ist alles vorbei, denn ichbekomme kein Gold fr meine Hoffnung. Die in Trnen gebeizten, in Entsa-gung geschrumpften Zge, die aus solchen Briefen uns ansehen, sind Zeugeneiner Sachlichkeit, die mit keiner neuen den Vergleich zu meiden hat. Im Ge-genteil: wenn irgend eine, so ist die Haltung dieser Brger unverbraucht undvon dem Raubbau unbetroffen geblieben, den das neunzehnte Jahrhundert in

    Zitaten und Hoftheatern mit den Klassikern trieb.

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    Georg Christoph Lichtenberg an G. H. AmelungGttingen, Anfang 1783.

    Mein allerliebster Freund,Das heie ich frwahr deutsche Freundschaft, liebster Mann. Haben Sie tau-send Dank fr Ihr Andenken an mich. Ich habe Ihnen nicht gleich geantwor-tet, und der Himmel wei, wie es bei mir gestanden hat! Sie sind, und mssender erste sein, dem ich es gestehe. Ich habe vorigen Sommer, bald nach Ihremletzten Brief, den grten Verlust erlitten, den ich in meinem Leben erlittenhabe. Was ich Ihnen sage, mu kein Mensch erfahren. Ich lernte im Jahre1777 (die sieben taugen wahrlich nicht) ein Mdchen kennen, eine Brgers-tochter aus hiesiger Stadt, sie war damals etwas ber dreizehn Jahre alt; einsolches Muster von Schnheit und Sanftmut hatte ich in meinem Leben nochnicht gesehen, ob ich gleich viel gesehen habe. Das erste Mal, da ich sie sah,befand sie sich in einer Gesellschaft von fnf bis sechs andern, die, wie dieKinder hier tun, auf dem Wall den Vorbeigehenden Blumen verkaufen. Sie botmir einen Strau an, den ich kaufte. Ich hatte drei Englnder bei mir, die beimir aen und wohnten. God almighty, sagte der eine, what a handsome girlthis is. Ich hatte das ebenfalls bemerkt, und da ich wute, was fr ein Sodomunser Nest ist, so dachte ich ernstlich, dieses vortreffliche Geschpf von einemsolchen Handel abzuziehen. Ich sprach sie endlich allein, und bat sie, mich imHause zu besuchen; sie ginge keinem Burschen auf die Stube, sagte sie. Wiesie aber hrte, da ich ein Professor wre, kam sie an einem Nachmittage mitihrer Mutter zu mir. Mit einem Wort, sie gab den Blumenhandel auf, und war

    den ganzen Tag bei mir. Hier fand ich, da in dem vortrefflichen Leib eineSeele wohnte, grade so wie ich sie lngst gesucht, aber nie gefunden hatte.Ich unterrichtete sie im Schreiben und Rechnen, und in anderen Kenntnissen,die, ohne eine empfindsame Geckin aus ihr zu machen, ihren Verstand immermehr entwickelten. Mein physikalischer Apparat, der mich ber 1500 Talerkostete, reizte sie anfangs durch seinen Glanz und endlich wurde der Ge-brauch davon ihre einzige Unterhaltung. Nun war unsere Bekanntschaft aufsHchste gestiegen. Sie ging spt weg, und kam mit dem Tage wieder, und denganzen Tag ber war ihre Sorge, meine Sachen, von der Halsbinde an bis zurLuftpumpe in Ordnung zu halten, und das mit einer so himmlischen Sanft-

    mut, deren Mglichkeit ich mir vorher nicht gedacht hatte. Die Folge war, wasSie schon mutmaen werden, sie blieb von Ostern 1780 an ganz bei mir. IhreNeigung zu dieser Lebensart war so unbndig, da sie nicht einmal die Treppehinunterkam, als wenn sie in die Kirche und zum Abendmahl ging. Sie warnicht wegzubringen. Wir waren bestndig beisammen. Wenn sie in der Kirche

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    war, so war es mir als htte ich meine Augen und alle meine Sinnen wegges-chickt. Mit einem Wort sie war ohne priesterliche Einsegnung (verzeihenSie mir, bester, liebster Mann, diesen Ausdruck) meine Frau. Indessen konnteich diesen Engel, der eine solche Verbindung eingegangen war, nicht ohne diegrte Rhrung ansehen. Da sie mir alles aufgeopfert hatte, ohne vielleichtganz die Wichtigkeit davon zu fhlen, war mir unertrglich. Ich nahm siealso mit an Tisch, wenn Freunde bei mir speisten, und gab ihr durchaus dieKleidung, die ihre Lage erforderte, und liebte sie mit jedem Tage mehr. Meineernstliche Absicht war, mich mit ihr auch vor der Welt zu verbinden, woransie nun nach und nach mich zuweilen zu erinnern anfing. O du groer Gott!und dieses himmlische Mdchen ist mir am 4ten August 1782 abends mitSonnen-Untergang gestorben. Ich hatte die besten rzte, alles, alles in derWelt ist getan worden. Bedenken Sie, liebster Mann, und erlauben Sie mir, daich hier schliee. Es ist mir unmglich fortzufahren.

    G. C. Lichtenberg.

    Man mu, um sich recht in den Geist des olgenden Briees zu versetzen, nicht nurdie ganze Drigkeit eines mit wenig mehr als seinen Schulden und vier Kindernausgestatteten Pastorenhaushalts im Baltischen vor Augen haben, sondern auch dasHaus, in das er gerichtet war: Immanuel Kants Haus am Schlograben. Da andniemand tapezierte oder herrlich gemalte Zimmer, Gemldesammlungen, Kup-erstiche, reichliches Hausgert, splendide oder einigen Wert nur habende Meublen, nicht einmal eine Bibliothek, die doch bei mehreren auch weiter nichts als Zim-

    mermeublierung ist; erner wird darin nicht an geldsplitternde Lustreisen, Spazier-ahrten, auch in sptern Jahren an keine Art von Spielen us. gedacht. Trat manhinein, so herrschte eine riedliche Stille ... Stieg man die Treppe hinau, so ... gingman links durch das ganz einache, unverzierte, zum Teil ruchrige Vorhaus in eingreres Zimmer, das die Putz-Stube vorstellte, aber keine Pracht zeigte. Ein Soa,etliche mit Leinwand berzogene Sthle, ein Glasschrank mit einigem Porzellan,ein Bureau, das sein Silber und vorrtiges Geld beate, nebst einem Wrmemesserund einer Konsole ... waren alle die Meublen, die einen Teil der weien Wnde de-ckten. Und so drang man durch eine ganz einache, armselige Tr in das ebenso r-mliche Sans-Souci, zu dessen Betretung man beim Anpochen durch ein rohes He-

    rein! eingeladen wurde. So vielleicht auch der junge Studiosus, der dies Schreibennach Knigsberg brachte. Kein Zweiel, da es wahre Humanitt atmet. Wie allesVollkommene aber sagt es zugleich etwas ber die Bedingungen und die Grenzendessen, dem es derart vollendeten Ausdruck gibt. Bedingungen und Grenzen derHumanitt? Gewi, und es scheint, da sie von uns aus ebenso deutlich gesichtet

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    werden, wie sie au der andern Seite vom mittelalterlichen Daseinsstande sich abhe-ben. Wenn das Mittelalter den Menschen in das Zentrum des Kosmos stellte, so ister uns in Stellung und Bestand gleich problematisch, durch neue Forschungsmittelund Erkenntnisse von innen her gesprengt, mit tausend Elementen, tausenden Ge-setzlichkeiten der Natur verhaet, von welcher gleichalls unser Bild im radikalstenWandel sich befindet. Und nun blicken wir zurck in die Auflrung, der die Natur-gesetze noch an keiner Stelle im Widerspruch zu einer alichen Ordnung der Naturgestanden haben, die diese Ordnung im Sinne eines Reglements verstand, die Un-tertanen in Kasten, die Wissenschaen in Fchern, die Habseligkeiten in Kstchenaumarschieren lie, den Menschen aber als homo sapiens zu den Kreaturen stellte,um durch die Gabe der Vernun allein von ihnen ihn abzuheben. Derart war dieBorniertheit, an welcher die Humanitt ihre erhabene Funktion entaltet und ohnedie sie zu schrumpen verurteilt war. Wenn dieses Aueinanderangewiesensein deskargen eingeschrnkten Daseins und der wahren Humanitt nirgends eindeutiger

    zum Vorschein kommt als bei Kant (welcher die strenge Mitte zwischen dem Schul-meister und dem Volkstribunen markiert), so zeigt dieser Brie des Bruders, wietie das Lebensgehl, das in den Schrien des Philosophen zum Bewutsein kam,im Volke verwurzelt war. Kurz, wo von Humanitt die Rede ist, da soll die Engeder Brgerstube nicht vergessen werden, in die die Auflrung ihren Schein war.Zugleich sind damit die tieeren gesellschalichen Bedingungen ausgesprochen, audenen Kants Verhltnis zu seinen Geschwistern beruhte: der Frsorge, die er ihnenangedeihen lie und vor allem des erstaunlichen Freimuts, mit dem er ber seineAbsichten als Testator und die sonstigen Untersttzungen sich vernehmen lie, dieer schon bei Lebzeiten ihnen zuwandte, so da er keinen, weder von seinen Ges-

    chwistern noch ihren zahlreichen Kindern, deren ein Teil schon wieder Kinder hat,habe Not leiden lassen. Und so, setzt er hinzu, werde er ortahren, bis sein Platzin der Welt auch vakant werde, da dann hoffentlich etwas auch r seine Verwan-dten und Geschwister brig bleiben werde, was nicht unbetrchtlich sein dre.Begreiflich, da die Neffen und Nichten, wie in diesem Schreiben auch spter anden verehrten Onkel sich schrilich ... anschmiegen. Zwar ist ihr Vater schon imJahre 1800, vor dem Philosophen, gestorben, Kant aber hat ihnen hinterlassen, wasursprnglich seinem Bruder zugedacht war.