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Plenarprotokoll 16/223 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 223. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009 Inhalt: Wahl der Abgeordneten Bärbel Höhn als stellvertretendes Mitglied des Vermittlungs- ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 87 d) (Drucksache 16/13105) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung luftverkehrsrecht- licher Vorschriften (Drucksache 16/13107) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: Zweite Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverord- nung; weitere Fragen zur Kabinettssitzung Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . . Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde (Drucksache 16/13102) . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 1 Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zu Kritik an ihrer Jugendpolitik durch das Bundes- jugendkuratorium und Konsequenzen Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24491 A 24491 B 24491 B 24491 C 24491 D 24492 D 24493 C 24493 D 24494 B 24494 C 24495 A 24495 A 24495 B 24495 C 24495 D 24496 A 24496 C 24496 C 24497 A 24497 B 24497 C 24497 D 24498 A 24498 B

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Plenarprotokoll 16/223

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

223. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009

I n h a l t :

Wahl der Abgeordneten Bärbel Höhn alsstellvertretendes Mitglied des Vermittlungs-ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 1:

a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung des Grundgesetzes(Artikel 87 d)(Drucksache 16/13105) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung luftverkehrsrecht-licher Vorschriften(Drucksache 16/13107) . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 2:

Befragung der Bundesregierung: ZweiteFlugplatz-Schallschutzmaßnahmenverord-nung; weitere Fragen zur Kabinettssitzung

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . .

Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24491 A

24491 B

24491 B

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24494 B

24494 C

24495 A

24495 A

Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . .

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . .

Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Hermann Gröhe, Staatsminister BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 3:

Fragestunde (Drucksache 16/13102) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 1Kai Gehring (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Haltung der Bundesregierung zu Kritik anihrer Jugendpolitik durch das Bundes-jugendkuratorium und Konsequenzen

Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär

BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24495 B

24495 C

24495 D

24496 A

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24496 C

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24497 C

24497 D

24498 A

24498 B

Page 2: Deutscher Bundestag - Internet Archive

II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009

Zusatzfragen Kai Gehring (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 4Monika Lazar (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Maßnahmen zur Verhinderung gewalttäti-ger Auseinandersetzungen mit autonomennationalistischen Gruppierungen beiDemonstrationen

Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär

BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Monika Lazar (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Fragen 16 und 17Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Berücksichtigung der in den Konjunktur-paketen I und II beschlossenen und mitdem geplanten Bürgerentlastungsgesetzverbundenen Steuererleichterungen in deraktuellen Steuerschätzung und Anteil anden für die Gemeinden ermittelten Min-dereinnahmen

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 22Gitta Connemann (CDU/CSU)

Beurteilung des geplanten Baus von Kohle-kraftwerken in Dörpen, Emden und im nie-derländischen Eemshaven

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 23Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Verhinderung eines Vertragsverletzungs-verfahrens wegen der verspäteten Umset-

24499 A

24500 A

24500 B

24501 A

24501 C

24503 D

24504 A

24504 C

zung der EU-Richtlinie über Energieeffi-zienz und Energiedienstleistungen sowiemögliche Sanktionen

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Zusatzfragen Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 24Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) Auswirkungen der Verzögerung beimEnergieeffizienzgesetz auf Energiekostenund KlimaAntwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Zusatzfragen Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 28Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Bedingungen für die Bereitstellung vonBürgschaften und Staatshilfen für OpelAntwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Zusatzfragen Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .Volker Schneider (Saarbrücken)

(DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . .

Mündliche Frage 29Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) Lieferung moderner Kampfpanzer desTyps Leopard 2 an das Emirat KatarAntwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Zusatzfragen Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . .

Mündliche Frage 30Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) Gespräche mit Pakistan über deutscheRüstungslieferungen

24504 D

24505 B

24505 D

24506 A

24506 C

24507 A

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24509 A24509 D

Page 3: Deutscher Bundestag - Internet Archive

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009 III

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Mündliche Frage 40 Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Ertüchtigung bzw. Neutrassierung derSchienenhinterlandanbindung einer festenQuerung über den Fehmarnbelt

Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär

BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 41 Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Etwaige Kostenbeteiligung des Bundes anQuerungsbauwerken für die feste Querungüber den Fehmarnbelt

Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär

BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 48Sevim Dağdelen (DIE LINKE)

Überprüfung der Einhaltung der vonMexiko akzeptierten Verpflichtungen zumSchutz von Menschenrechtsverteidigern

Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister

AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Mündliche Frage 51Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Mögliche Berufung von Friedrich Merzzum nächsten deutschen EU-Kommissar

24510 A

24510 A24510 D

24511 C

24512 A

24512 D

24512 D

24513 D

24514 B

Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister

AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatzfragen Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionder FDP: Haltung der Bundesregierung zuden kritischen Äußerungen von EU-Kom-missar Günter Verheugen über die Ban-kenaufsicht in Deutschland . . . . . . . . . . . . .

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . .

Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . .

Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Ortwin Runde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . .

Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Simone Violka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Mündliche Frage 2Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beteiligung der Atomwirtschaft an derFinanzierung der Öffentlichkeitsarbeit fürdas Atommülllager Asse

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin

BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24515 B

24515 C

24516 A

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Page 4: Deutscher Bundestag - Internet Archive

IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009

Anlage 3

Mündliche Frage 3Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Absprachen mit Vertretern des Bundeszum Zwecke der Finanzierung von Öffent-lichkeitsarbeit bei der SchachtanlageAsse II

Antwort Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin

BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 4

Mündliche Frage 5Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Einschätzung einer „potenziellen abstrak-ten Gefährlichkeit“ von durch Deutschlandaufzunehmenden Guantánamo-Gefange-nen laut Bundesministerium des Innnern

Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär

BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 5

Mündliche Frage 6Ulla Jelpke (DIE LINKE)

Verantwortbarkeit von Überstellungennach Italien im Rahmen des Dublin-Sys-tems

Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär

BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 6

Mündliche Frage 7Christoph Waitz (FDP)

Auswirkungen des Wegfalls des Verlust-vortrages für den Bestand und die Unter-nehmensgründung in den Bereichen Bio-und Nanotechnologie und Maßnahmen zurKapitalbeschaffung

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 7

Mündliche Frage 8Christoph Waitz (FDP)

Systemrelevante Konsequenzen einerInsolvenz der Hypo Real Estate

24531 D

24532 A

24532 C

24532 D

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 8

Mündliche Fragen 9 und 10Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP)

Haltung der Bundesregierung zu denÄußerungen von EU-Kommissar GünterVerheugen über die deutschen Banken unddie Bankenaufsicht

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 9

Mündliche Frage 11Dr. Volker Wissing (FDP)

Auswirkungen der wegen des Untersu-chungsausschusses zur Hypo Real Estatehohen Arbeitsbelastung der Bundesanstaltfür Finanzdienstleistungsaufsicht auf diePrüfung von Banken und Zahl der seitBeginn der 16. Legislaturperiode imBereich der Finanzaufsicht zusätzlichgeschaffenen Stellen

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 10

Mündliche Frage 12Dr. Volker Wissing (FDP)

Zahl der bei der Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht mit der Vorberei-tung und Bereitstellung von Akten für den2. Untersuchungsausschuss beschäftigtenMitarbeiter

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 11

Mündliche Frage 13Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)

Personelle Konsequenzen der Bundesregie-rung aus der Ankündigung der Bundes-anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zurteilweisen Einstellung der Bankenaufsicht

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24533 A

24533 B

24533 D

24534 B

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Page 5: Deutscher Bundestag - Internet Archive

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009 V

Anlage 12

Mündliche Frage 14Frank Spieth (DIE LINKE)

Verzicht auf die Rückzahlungsverpflich-tung von Bundeszuschüssen und Liqui-ditätshilfen für den Gesundheitsfondsangesichts möglicher Zusatzbeiträge vonVersicherten wegen krisenbedingter Fehl-beträge

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 13

Mündliche Frage 15Frank Spieth (DIE LINKE)

Höhe der bislang im Jahr 2009 vorgezoge-nen Bundeszuschüsse für den Gesundheits-fonds

Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin

BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 14

Mündliche Frage 18Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Verteilung der für Atomanlagen von denEnergieversorgungsunternehmen gebilde-ten Stilllegungs- und Entsorgungsrück-stellungen auf die einzelnen Anlagen inDeutschland und im Ausland

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 15

Mündliche Frage 19Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Verwendung der Stilllegungs- und Entsor-gungsrückstellungen der Energieversor-gungsunternehmen in den letzten Jahren

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 16

Mündliche Frage 20Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

24534 D

24535 A

24535 B

24535 C

Auswirkungen des Biokraftstoffanteils aufdie Benzin- und Dieselpreise sowie dies-bezüglich erstellte Rechnungen

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 17

Mündliche Frage 21Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Anwendung der Fördermöglichkeiten desEU-Klimapakets auf Kohlekraftwerke mitFertigstellung vor dem Jahr 2013

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 18

Mündliche Frage 25Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)

Teilnahme der Bundesregierung an denBilderberg-Konferenzen sowie Bewertungder jüngsten Ergebnisse in Griechenland

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 19

Mündliche Frage 26Sabine Zimmermann (DIE LINKE)

Bisherige staatliche Förderung der PallaCreativ Textiltechnik in St. Egidien undGrund für die Nichtbeantwortung einesoffenen Briefes der Beschäftigten an dieBundeskanzlerin

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 20

Mündliche Frage 27Sabine Zimmermann (DIE LINKE)

Folgekosten einer möglichen Insolvenz derPalla Creativ Textiltechnik

Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär

BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24535 D

24536 A

24536 B

24536 B

24536 C

Page 6: Deutscher Bundestag - Internet Archive

VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009

Anlage 21

Mündliche Fragen 31 und 32Markus Kurth (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Vorlage des Aktionsplans zur Umsetzungdes Übereinkommens über die Rechte vonMenschen mit Behinderungen

Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 22

Mündliche Frage 33Elke Reinke (DIE LINKE)

Veröffentlichung von Ausführungshinwei-sen der Bundesagentur für Arbeit zurAnwendung des § 16 f SGB II sowie Vor-lage einer Umsetzungsrichtlinie

Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 23

Mündliche Frage 34Elke Reinke (DIE LINKE)

Maßnahmen zur Anhebung der Regelsätzefür Kinder nach SGB II und SGB XIIunter Berücksichtigung der wirklichenBedarfsermittlung

Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 24

Mündliche Fragen 35 und 36Cornelia Hirsch (DIE LINKE)

Einbeziehung von Jugendlichen in der dua-len Berufsausbildung mit Bezug vonBerufsausbildungsbeihilfe in das Schul-starterpaket

Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 25

Mündliche Fragen 37 und 38Dr. Martina Bunge (DIE LINKE)

24536 D

24537 A

24537 B

24538 A

Verhinderung eines Fachkräftemangels inden sozialen Berufen und Verbesserung derArbeitsbedingungen

Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär

BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 26

Mündliche Frage 39Dr. Erwin Lotter (FDP)

Maßnahmen zur Vermeidung von Zug-verweisungen von Kindern und hilfs-bedürftigen Personen wegen fehlenderoder ungültiger Fahrausweise bei derDeutschen Bahn AG

Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär

BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 27

Mündliche Frage 42Gitta Connemann (CDU/CSU)

Haltung der Bundesregierung zum Baueines Ems-Kanals von Papenburg nachLeer und Beteiligung an einer Machbar-keitsstudie

Antwort Karin Roth, Parl. Staatssekretärin

BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 28

Mündliche Fragen 43 und 44Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)

Herstellung von Barrierefreiheit bei Bun-desbauten

Antwort Karin Roth, Parl. Staatssekretärin

BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 29

Mündliche Frage 45Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE)

Konkrete Zusagen der Bundesregierungzum Erhalt des Stahlstandortes Eisen-hüttenstadt

Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister

AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24538 C

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009 VII

Anlage 30

Mündliche Frage 46Ute Koczy (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Menschenrechtslage in der indonesischenProvinz West-Papua und Folgen für dieEntwicklungszusammenarbeitarbeit

Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister

AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 31

Mündliche Frage 47Ute Koczy (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Auswirkungen des Gold- und Kupfer-abbaus in West-Papua auf die Menschen-rechte der dortigen Ureinwohner

Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister

AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24540 C

24541 A

Anlage 32

Mündliche Frage 49Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Haltung der Bundesregierung zur Massen-tötung von Schweinen in Ägypten sowieAuswirkungen auf die koptische Minder-heit

Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister

AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 33

Mündliche Frage 50Wilhelm Josef Sebastian (CDU/CSU)

Haltung der Bundesregierung zur Ein-ladung Taiwans als Beobachter der dies-jährigen Weltgesundheitsversammlung

Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister

AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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223. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-

zung ist eröffnet.

Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt:Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dassder Kollege Volker Beck als stellvertretendes Mitgliedaus dem Vermittlungsausschuss ausscheidet. Als Nach-folgerin wird die Kollegin Bärbel Höhn vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann ist die Kollegin Höhn zum stellvertreten-den Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Grundgesetzes (Artikel 87 d)

– Drucksache 16/13105 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 16/13107 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Wirkommen daher gleich zu den Überweisungen. Interfrak-tionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den

Drucksachen 16/13105 und 16/13107 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nichtder Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Befragung der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: 2. Flugplatz-Schallschutzmaß-nahmenverordnung.

Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundes-minister für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAstrid Klug.

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi-nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Heute hat das Bundeskabinett auf Vor-schlag des Bundesumweltministers die zweite Verordnungzur Durchführung des novellierten Fluglärmgesetzes be-schlossen. Mit dieser Verordnung, der sogenannten Flug-platz-Schallschutzmaßnahmenverordnung, werden An-forderungen an die Qualität des baulichen Schallschutzesvon Wohnungen und schutzbedürftigen Einrichtungenim fluglärmbelasteten Umland von größeren Flugplätzenin Deutschland geregelt.

Fluglärm beeinträchtigt noch immer die Lebensquali-tät vieler Menschen in unserem Land. Ziel der neuenSchallschutzverordnung ist es, die Bürgerinnen und Bür-ger im Umfeld von Flughäfen besser vor Fluglärm zuschützen. Damit schafft die Verordnung Klarheit bezüg-lich des bei Gebäuden erforderlichen Schallschutzes.

Zur Erinnerung: Im Jahr 2007 haben wir nach langenund durchaus schwierigen Beratungen das Gesetz zumSchutz gegen Fluglärm novelliert. Das ursprünglicheGesetz stammt aus dem Jahr 1971. Nach den Vorgabendes novellierten Fluglärmgesetzes werden von den Län-dern neue Lärmschutzbereiche für etwa 50 größere zivileund militärische Flugplätze in Deutschland festgesetzt.Die umfangreichen Vorbereitungen dafür sind derzeit im

Redetext

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Parl. Staatssekretärin Astrid Klug

Gange. Die vom Bundesumweltministerium vorbereiteteerste Fluglärmschutzverordnung hat die Einzelheiten fürdie Festsetzung der Lärmschutzbereiche und das Berech-nungsverfahren bestimmt. Diese Verordnung ist imJahr 2008 in Kraft getreten.

Aufgrund des Fluglärmgesetzes selbst gelten in denLärmschutzbereichen abgestufte Baubeschränkungen undBauverbote für Wohnungen und schutzbedürftige Ein-richtungen. Für bereits vorhandene Wohnungen undschutzbedürftige Einrichtungen wurde ein Anspruch aufKostenerstattung für die Durchführung von baulichenSchallschutzmaßnahmen eingeräumt. Im Hinblick auf dieRegelung der Schallschutzanforderungen in der neuenVerordnung ist der Stand der Schallschutztechnik imHochbau zu beachten, niedergelegt beispielsweise in derDIN 4109. Dies bestimmt § 7 Fluglärmgesetz ausdrück-lich als maßgebliche Verordnungsermächtigung.

In der Verordnung sind drei verschiedene Fallkonstel-lationen unterschieden, für die jeweils spezifische An-forderungen gelten:

Erstens. Bei der Neuerrichtung von Wohnungen in ei-nem Lärmschutzbereich müssen die Bauwilligen, sofernsie aufgrund von Baubeschränkungen überhaupt bauendürfen – teilweise bestehen ja auch Bauverbote –, erhöhteSchallschutzanforderungen einhalten. Diese Anforderun-gen erschweren das Heranrücken von Wohnbebauung andie Flughäfen. Sie dienen der vorbeugenden Konfliktver-meidung ebenso wie die partiellen Bauverbote nach demFluglärmgesetz, durch die geregelt wird, wo gar nicht ge-baut werden darf.

Zweitens. Neben den Schallschutzanforderungen fürden Neubau regelt die neue Verordnung auch Art undUmfang der erstattungsfähigen Aufwendungen für dieschallschutztechnische Nachrüstung des Wohnungsbe-standes, wenn dieser von einem neuen Lärmschutzbe-reich erfasst wird. Entsprechendes gilt für bestehendeschutzbedürftige Einrichtungen wie Krankenhäuser, Al-tenheime oder Schulen. Die Kosten für den baulichenSchallschutz, vor allem für den Einbau von Schall-schutzfenstern, sind vom Flugplatzhalter zu tragen.

Aus meiner Sicht ist wichtig, zu betonen, dass dasSchutzniveau der Verordnung für die Nachrüstung desWohnungsbestandes dem Niveau entspricht, das bei an-deren Lärmquellen, etwa dem Neu- und Ausbau vonStraße und Schiene, seit vielen Jahren verbindlich ist.Diese Anforderungen und dieses Niveau haben wir über-tragen. Das entspricht im Mittel Innenpegeln von40 Dezibel tags und 30 Dezibel nachts. Die Schall-schutzmaßnahmen führen zu einer Minderung des Flug-lärms in der Wohnung und gewährleisten dort angemes-sene Wohnverhältnisse.

Drittens. Für die Anerkennung bislang durchgeführterfreiwilliger Schallschutzprogramme der Flughäfen istmit dieser Verordnung eine spezifische Anerkennungs-marge eingeführt worden. Danach sind Innenpegel von45 Dezibel tags und 35 Dezibel nachts möglich. Wenndiese Pegel nicht gewährleistet sind, muss nachgebessertwerden. Mit dieser Marge ist aber auch gewährleistet,

dass ein Austausch von Schallschutzfenstern, wie er inden letzten Jahren vorgenommen wurde, in den Fällenausgeschlossen ist, in denen dies unangemessen wäre.

Wir sind der Meinung, dass man bei einer Gesamtbe-wertung dieser Verordnung anerkennen muss, dass sieeinen fairen Kompromiss zwischen den Interessen dervon Fluglärm Betroffenen und den Interessen der Flug-hafenbetreiber darstellt; beide Seiten wurden entspre-chend berücksichtigt. Ich bin überzeugt, dass wir mit dervorliegenden Verordnung eine auf Dauer tragfähige Re-gelung zum Schallschutz realisieren. Mit der neuenFlugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung schafft dieBundesregierung die Voraussetzungen für eine spürbareVerbesserung der Wohnverhältnisse im Umland der gro-ßen Flugplätze in Deutschland. Zugleich wird damit fürdie betroffenen Menschen und für die Flughäfen diedringend erforderliche Rechtssicherheit bezüglich desUmfangs des baulichen Schallschutzes geschaffen.

Die Verordnung wird jetzt dem Bundesrat zur Zustim-mung zugeleitet. Wir appellieren an dieser Stelle an dieLänder, der Verordnung zuzustimmen, damit sie rasch inKraft treten und für einen verbesserten Schutz vor Flug-lärm sorgen kann.

Vielen Dank.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Ich bitte, zu-

nächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, überden soeben berichtet wurde.

Herr Kollege Kauch, bitte.

Michael Kauch (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-

rin, in § 3 Abs. 1 der Verordnung sind die Bauschall-dämmmaße vorgegeben. Die Tabelle umfasst Dämm-maße für Außenpegel unter 60 dB(A) am Tag und unter50 dB(A) in der Nacht. Laut Fluglärmgesetz sind beiLärmpegeln im Außenschallbereich unter 60 bzw.50 dB(A) überhaupt keine Lärmschutzmaßnahmen vor-gesehen. Plant die Bundesregierung hier, sozusagen imVorgriff auf eine weitere Novellierung, die Grenzwerteim Außenschallbereich, mit denen festgelegt wird, abwann Schallschutz zu bezahlen ist, abzusenken?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi-nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Die Bauschalldämmmaße in der Tabelle mit den ver-schiedenen Grenzwerten für die unterschiedlichen Be-lastungen am Tag, in der Nacht und je nach Entfernungzum Flughafen sind so ausgestaltet, dass der Innenpegelfür alle Betroffenen am Ende in etwa den gleichen Werterreicht. Auch für diejenigen, die weiter weg wohnen,sind entsprechende Maßnahmen zu treffen. Das gilt fürdiejenigen, die von Lärm mit weniger als 60 dB(A) be-troffen sind.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Weitere Fragen? – Herr Kollege Kauch.

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Michael Kauch (FDP): Ich habe eine Frage zu § 5 Abs. 4 der Verordnung.

Dort ist vorgesehen, dass die Kosten für Schallschutz-maßnahmen maximal 150 Euro pro Quadratmeter betra-gen, und zwar inklusive der Belüftungsmaßnahmen. Aufwelche Weise hat die Bundesregierung sichergestellt,dass diese Kostengrenze in jedem Fall ausreichend ist,um die Dämmmaße, die in § 3 der Verordnung genanntsind, zu erreichen?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi-nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Bisher galt hier eine Höchstgrenze von 130 DM jeQuadratmeter; jetzt sollen 150 Euro je Quadratmeter gel-ten. Hier wurden die Kostensteigerungen seit der letztenVerordnung eingerechnet, sodass an dieser Stelle der bis-herige Höchstwert beibehalten wird.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Gibt es weitere Fragen? – Herr Kollege Kauch.

Michael Kauch (FDP): Das ist dann aber wirklich die letzte Frage. – Frau

Staatssekretärin, im Fluglärmgesetz von 2007, dem dieFDP zugestimmt hat, gibt es eine Bestimmung, die wirkritisch gesehen haben, nämlich dass der Bund für dieje-nigen Flughäfen, die er selbst betreibt, niedrigere Anfor-derungen an den Schallschutz vorsieht als für diejenigen,die den Privaten, den Ländern oder den Kommunen ge-hören. Ganz konkret: Für Militärflughäfen gilt erst ab ei-nem deutlich höheren Schallpegel die Verpflichtung, denAnwohnern Schallschutzmaßnahmen zu bezahlen. Plantdie Bundesregierung hier eine Novellierung, um die An-wohner von Militärflughäfen mit denen von Zivilflughä-fen gleichzustellen?

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi-nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Das Fluglärmgesetz ist gerade novelliert worden undwird mit dieser Verordnung konkretisiert. Es ist richtig,dass an militärische Flughäfen – und zwar nicht nur andiejenigen, die im Eigentum des Staates stehen, sondernauch an andere – andere Anforderungen als an zivileFlughäfen gestellt werden. Das war im Wege des Kom-promisses damals nicht anders durchsetzbar. Es gibtkeine Planung, das Fluglärmgesetz an dieser Stelle zunovellieren.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Kauch, haben Sie noch eine Frage? –

Nein. Dann schaue ich in die Runde, ob weitere Fragenzu diesem Thema vorhanden sind. – Das ist nicht derFall.

Herr Staatsminister Gröhe, Sie beantworten Fragen zuanderen Themen der Kabinettssitzung. Gibt es Fragendazu? – Frau Kollegin Enkelmann möchte gern eineFrage stellen. Frau Enkelmann, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Heute Abend soll nach gutunterrichteten Kreisen ein

Spitzengespräch über Opel stattfinden. Nun haben sichTeile der Bundesregierung in den letzten Wochen zu die-sem Thema öffentlich sehr widersprüchlich geäußert. Ichbeziehe mich unter anderem auf die unsäglichen Vorstel-lungen des Wirtschaftsministers von und zu Guttenbergüber eine mögliche Insolvenz. Es gab auch noch andereIdeen, die in die Öffentlichkeit getragen worden sind.

Erstens. Gab es eine deutliche Zurückweisung dieserVorstellungen im Kabinett? Sie sind wirtschaftlich undpolitisch verantwortungslos.

Zweitens. Gibt es eine Verständigung im Kabinettdarüber, wie man in dieses Gipfeltreffen hineingeht?Gibt es Vorstellungen darüber, mit welchen Angebotendie Bundesregierung in ein solches Gespräch geht, umOpel zu retten?

Hermann Gröhe, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Frau Kollegin Enkelmann, die von Ihnen angespro-chenen Fragestellungen waren nicht Gegenstand derheutigen Beratungen des Kabinetts; insofern hat selbst-verständlich keine Zurückweisung der von Ihnen geäu-ßerten Bewertungen stattgefunden. Da Sie es für ange-messen hielten, das in der Regierungsbefragung zumAusdruck zu bringen, nutze ich meinerseits die Gelegen-heit, Ihre Bewertungen der Äußerungen des Bundeswirt-schaftsministers zurückzuweisen.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Gibt es noch weitere Fragen? – Frau Kollegin

Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Das Thema war also nicht Gegenstand der Kabinetts-

sitzung. Ich stelle fest: Die Bundesregierung geht ohneKonzept in diese Gespräche. Das ist nicht gut.

Zehntausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,zum Beispiel von Karstadt und Kaufhof, fürchten umihre Arbeitsplätze. Es gibt die Forderung, die Bundesre-gierung möge eine Bürgschaft für Arcandor überneh-men. War das Gegenstand der Kabinettssitzung?

Hermann Gröhe, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Frau Kollegin Enkelmann, ich muss die Gelegenheitwahrnehmen, die Vermutung zurückzuweisen, die Bun-desregierung sei unvorbereitet, weil dieses Thema nichtGegenstand der Kabinettssitzung gewesen sei. Selbst-verständlich gehen alle beteiligten Ressorts intensiv vor-bereitet in die Gespräche mit den Interessenten. Das istvöllig unabhängig davon, ob dazu am gleichen Tag eineKabinettsbefassung erfolgte.

Was nun die anderen Gesichtspunkte anbelangt, ha-ben Sie die Frage in den Raum gestellt, ob es ein Inte-resse an Bürgschaften gebe. Dieses Thema ist nur zumTeil für eine öffentliche Erörterung geeignet. Im Übrigen

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Staatsminister Hermann Gröhe

wird bei ordnungsgemäßer Antragstellung darüber nichtim Kabinett, sondern in den entsprechenden Gremien,beispielsweise im Bürgschaftsausschuss, beraten. Zudiesen Beratungen gibt es ebenfalls nur zu bestimmtenZeitpunkten des Verfahrens öffentliche Stellungnahmen.Einzelbürgschaftsanträge waren nicht Gegenstand derKabinettsberatung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Gibt es weitere Fragen? – Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Hat sich die Bundesregierung überhaupt mit den Aus-

wirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigt,nachdem sie über das offenkundig sehr wichtige ThemaSchallschutz beraten hat? Ich finde, über die Auswirkun-gen der Wirtschafts- und Finanzkrise musste in der Ka-binettssitzung geredet werden: Welche Auswirkungenhat die Krise auf die Beschäftigung? Wie kann die Re-gierung gegensteuern? Welche Vorschläge werden ge-macht? Schallschutz ist eine Maßnahme unter vielen,aber vielleicht nicht die zentrale.

Hermann Gröhe, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Frau Kollegin Enkelmann, das Bundeskabinett hatsich in seiner heutigen Sitzung mit dem Entwurf einesGesetzes über die Feststellung des zweiten Nachtrags-haushalts befasst. Das ist in ausdrücklicher Weise eineBefassung mit den Auswirkungen der Wirtschafts- undFinanzkrise. Der Entwurf des Nachtragshaushalts wirdnun dem Bundestag zugeleitet; über den eingebrachtenNachtragshaushalt wird eine Debatte stattfinden. DieBeschlussfassung geht Ihnen, wie gesagt, zu.

Im Übrigen hat das Bundeskabinett – das sage ich,ohne dass ich hier über einzelne Diskussionsverläufe be-richten darf – selbstverständlich die Anwesenheit desBundesbankpräsidenten Weber und ihres Vizepräsiden-ten Zeitler genutzt, um Fragen der Auswirkungen derWirtschaftskrise, Fragen der Auswirkungen auf die Kre-ditversorgung der deutschen Industrie und andere Fragenintensiv zu erörtern. Diese Fragen standen im Zentrumder heutigen Kabinettsberatung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Schmitt, bitte.

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): Ich bitte die Bundesregierung, die sich heute auch mit

wirtschaftlichen Zukunftsfragen beschäftigt hat und die,wie ich der Zeitung entnehmen konnte und wie mir derKollege Kasparick gerade bestätigt hat, ein Flughafen-konzept beschlossen hat, Auskunft darüber zu geben, in-wieweit sichergestellt ist, dass dieses Flughafenkonzept,das vor rund einem Jahr vorgelegt worden ist, ein deutli-ches Bekenntnis zu den großen internationalen Flughä-fen in unserem Land beinhaltet. Wird mit diesem Kon-zept sichergestellt, dass wir uns dazu bekennen, dassdiese Flughäfen bei Bedarf ausgebaut werden können

und müssen und dass das dafür erforderliche Verwal-tungsverfahren nicht erschwert wird?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Kasparick, bitte.

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Sie haben recht: Das Flughafenkonzept wurde heuteim Kabinett beschlossen. Wir haben – das ist wichtig –mit allen Beteiligten sehr intensiv diskutiert, also mitden Flughafenbetreibern, mit der deutschen Luftfahrt-industrie, mit den Ländern – sie sind für Flughafenpla-nungen in hohem Maße zuständig – und natürlich auchmit den einzelnen Ressorts; besonders intensiv beteiligtwaren das BMU, das Wirtschaftsministerium und unserHaus.

Wir waren am Anfang nicht sehr dicht beieinander;aber nach einem sehr intensiven Gesprächsprozess ist esgelungen, ein Konzept vorzulegen, das den berechtigtenInteressen der Häuser in Bezug auf Umwelt, Wirtschaftund Verkehr Rechnung trägt. Aus Sicht des Bundesver-kehrsministeriums ist es gelungen, genau den Punkt an-zusprechen, auf den Ihre Frage ausgerichtet ist, nämlichauf die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Luftver-kehrs, insbesondere auf die der Hubs, also der großenVerkehrsflughäfen.

Wir haben in Abstimmung mit dem Bundesumwelt-ministerium und dem BundeswirtschaftsministeriumFormulierungen gefunden, die deutlich machen, welcheRolle der Luftverkehr für die gesamtwirtschaftliche Ent-wicklung in Deutschland hat und dass es an den Flughä-fen Möglichkeiten der bedarfsbezogenen Erweiterunggeben muss, wodurch den Flughäfen Wachstum ermög-licht wird.

Allein der Flughafen Frankfurt hat über 70 000 Be-schäftigte. Flughäfen sind sehr große Arbeitgeber in derjeweiligen Region. Arbeitsmarktpolitisch freut uns be-sonders, dass die Flughäfen auch für gering qualifiziertePersonen Arbeitsplätze anbieten. Aus der Arbeitslosen-statistik wird ersichtlich, dass es insbesondere für geringQualifizierte schwer ist, einen Job zu bekommen. DieFlughäfen sind gerade in diesem Bereich ein wichtigerFaktor. Deswegen ist es gut, dass das Bundeskabinettheute in der Fortschreibung des Flughafenkonzeptes2000 das Flughafenkonzept 2009 mit der Perspektive2020 verabschiedet hat.

Wir sind zusammen mit den beteiligten Häusern derAuffassung, dass wir jetzt eine Grundlage haben, um dieFlughafeninfrastruktur, die wir haben – das Verhältniszwischen den großen Flughäfen und den Regionalflug-häfen ist ja immer ein Spannungsverhältnis gewesen –,mit den Ländern gemeinsam weiterzuentwickeln. Esgeht darum, Fehlinvestitionen und unnötige Konkurrenz-investitionen zu vermeiden und die Infrastruktur, die ins-besondere an den Schnittstellen vorgehalten werdenmuss, so nach vorne zu bringen, dass wir die starkenWirtschaftsregionen zukunftsfähig machen und umwelt-freundlich entwickeln können.

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Heilmann, bitte.

Lutz Heilmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, Sie haben ge-

rade das Flughafenkonzept erläutert und die Rolle derLänderseite angesprochen. Meine Nachfrage wäre: In-wiefern sind Vertreter der betroffenen Kommunen einbe-zogen worden? Die Kommunen sind in dieser Hinsichtnicht ganz unerheblich. Mir fällt da insbesondere derFlughafen Lübeck-Blankensee ein; auch dieser Flugha-fen ist nicht unumstritten. Für mich wäre es interessant,zu erfahren, ob im Hinblick auf den Flughafen Lübeck,auf den Flughafen Kiel oder auf den Fliegerhorst Jagel– der auch zivil genutzt werden soll – die Kommunenmit einbezogen wurden. So ein Flughafen hat ja erhebli-che Auswirkungen auf kommunale Haushalte. Ich erin-nere daran, dass es in Lübeck viele Diskussionen da-rüber gegeben hat.

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Der Gesprächsprozess hat sich so organisiert, dass derBund mit den für die Planung von Flughäfen verantwort-lichen Instanzen – das sind die Bundesländer – gespro-chen hat. Die Bundesländer sind für die Infrastruktur-planung der Flughäfen zuständig. Sie haben natürlicheine Abschichtungsaufgabe zu erfüllen. Wenn man sichStandorte wie Frankfurt, Düsseldorf oder München an-schaut, wird einem klar: Natürlich muss innerhalb desentsprechenden Landes eine Verständigung darüber er-zielt werden – auch in Absprache mit dem Bund; derBund wird ja künftig noch stärker eine koordinierendeRolle einnehmen –, wie das Verhältnis zwischen denzentralen Flughäfen und den kleineren Flughäfen ausse-hen soll.

Wir haben uns darauf verständigt, mit dem Flugha-fenkonzept einen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessendie Entwicklung der Flugwirtschaft in Deutschland statt-finden soll. Noch einmal direkt formuliert: Wir, die Bun-desseite, haben nicht direkt mit den Kommunen verhan-delt, sondern mit den – für die Planung zuständigen –Ländern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Der Kollege Ramelow, bitte.

Bodo Ramelow (DIE LINKE): Herr Staatsminister, hat bei dem Gespräch mit Bun-

desbankpräsident Weber in der Kabinettssitzung dasThema Opel – Kaufverfahren, Bürgschaftsrahmen, Aus-wirkungen der Bürgschaften und der Bürgschaftsrisiken –eine Rolle gespielt? Hat das Kabinett mit Herrn Weber indiesem Zusammenhang die Schuldenentwicklung der öf-fentlichen Haushalte, die Auswirkungen der Konjunk-tursituation und das Verhältnis von Schuldenentwick-lung und Schuldenbremse erörtert?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Staatsminister, bitte.

Hermann Gröhe, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Herr Kollege Ramelow, ich möchte zunächst daraufhinweisen, dass die Regierungsbefragung dazu dient,Beschlüsse des Kabinetts zu erläutern, und nicht dazudient, unabhängig von Beschlüssen getätigte Meinungs-bildungsprozesse innerhalb einer Kabinettsdiskussion,die bewusst nicht öffentlich stattgefunden hat, öffentlichzu machen.

Der Beschluss, der zu diesem Tagesordnungspunktgefasst wurde, ist der Nachtragshaushalt. Dieser gehtdem Plenum zu, wird umfassend erläutert, und die Bun-desregierung steht dann selbstverständlich zur Befra-gung bereit.

Gleichwohl will ich Ihnen mitteilen, dass, wie ich derKollegin Enkelmann eben geantwortet habe, Opel bzw.konkrete, einzelne Bürgschaftsfragen während der ge-samten Kabinettssitzung – damit auch in dem Teil, zudem Sie jetzt konkret nachfragen – nicht Gegenstand derErörterungen waren.

Im Übrigen ist es so, dass der Bundesbankpräsidentausschließlich zu diesem Tagesordnungspunkt an derKabinettssitzung teilgenommen hat; das im Hinblick aufden Nachtragshaushalt. Der Nachtragshaushalt wird ge-bildet, um der steigenden Nettokreditaufnahme Rech-nung zu tragen. Verschuldung, Verschuldungsabbau, Til-gung, Schuldenbremse, all das sind Themen, mit denenwir uns diese Woche noch befassen werden. Dass dieseThemen Gegenstand der Erörterungen waren, könnenSie unterstellen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Schmitt.

Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

gen! Ich möchte noch einmal das Flughafenkonzept an-sprechen. Das tue ich allerdings nicht etwa deshalb, weilich in Sorge bin, da das Bundesumweltministerium dieEntscheidung mitträgt, dass nur noch Segelflugzeugelanden und starten dürfen. Vielmehr geht es mir um das,was damals im Mittelpunkt stand: dass sich der Bund zuden Flughäfen bekennt und die notwendigen Erweiterun-gen nicht nur begleitet, sondern auch unter zeitlichenGesichtspunkten fördert. Dann war eine Art vorgezoge-nes Planfeststellungsverfahren, das zusätzliche Analysennotwendig gemacht hätte, vorgesehen. Erst im An-schluss daran hätte ein Flughafen den Wunsch nach Er-weiterung äußern dürfen. Dies hätte zur Folge gehabt,dass für ein Planungs- und Erweiterungsverfahren we-sentlich mehr Zeit als nach dem Status quo erforderlichgewesen wäre.

Ich möchte erstens fragen, ob diese konkrete Rege-lung nach wie vor im Flughafenkonzept enthalten istoder ob die Passage, in der es hieß, dass eine Art vorge-schaltete Bedarfsanalyse stattfinden muss – eine solcheAnalyse hätte, wie gesagt, einen erheblichen zeitlichenAufwand zur Folge –, gestrichen wurde.

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Ingo Schmitt (Berlin)

Ich möchte eine zweite Frage stellen: Welche Rege-lungen sind im Flughafenkonzept zum Thema Nacht-flugverbot getroffen worden?

Danke schön.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Staatssekretär, bitte.

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Ich möchte das, was ich bereits vorhin gesagt habe,noch etwas deutlicher zum Ausdruck bringen. Im Flug-hafenkonzept wird die Bedeutung unserer großen Ver-kehrsflughäfen ausdrücklich betont. Wenn viele Playeram Tisch sitzen und man mit ihnen über ein solchesKonzept diskutiert, ist es wichtig, einen Ausgleich derberechtigten Interessen herbeizuführen. Es gibt nämlichkeine vorrangigen und keine nachrangigen, sondern nurgleichrangige Interessen, die man zu einem Ausgleichbringen muss.

Ich glaube, dass uns dies mit dem jetzt vorliegendenKonzept gelungen ist. Insbesondere auf die Frage „Wel-che Prioritäten sind im Rahmen der landesplanerischenGestaltung von Hubs und Regionalflughäfen zu setzen?“haben wir eine Antwort gegeben, die es den Ländern er-möglicht, dem Bund ihre Planungen frühzeitig mitzutei-len. Der Bund will in Zukunft eine Rolle spielen, diestärker auf Koordination ausgerichtet ist. Hierbei geht esinsbesondere um die Frage, wie sich die Großen gegen-über den Kleinen verhalten.

Was die Wachstumsmöglichkeiten der Flughäfen an-geht, wurde uns sowohl vonseiten der Industrie als auchdes Bundeswirtschaftsministeriums bestätigt, dass dieim vorliegenden Konzept gefunden FormulierungenWachstum ermöglichen. Das war auch unser Anliegen.

Was das Thema Nachtflug betrifft, bedeutet dies, dassdie Möglichkeit besteht, zusammen mit den zuständigenInstanzen, die man dafür braucht – beispielsweisegemeinsam mit den Fluglärmkommissionen, die esbekanntlich an den Verkehrsflughäfen gibt –, bedarfs-orientierte Lösungen zu finden, die die Aspekte des Um-weltschutzes und des Lärmschutzes sowie die wirt-schaftlichen Interessen so miteinander verbinden, dassdie Flughäfen Wachstumsmöglichkeiten haben und ihrewirtschaftliche Entwicklung nicht beschnitten wird.

Die eher weichen Formulierungen, die im Flughafen-konzept enthalten sind, sind hilfreich, weil sie uns vorOrt die notwendige Flexibilität ermöglichen; die Diskus-sionen, die diesbezüglich beispielsweise in Leipzig,Frankfurt und München geführt werden, sind bekannt.Wir haben verabredet, dass der Bund den Entscheidun-gen, die die Fluglärmkommissionen vor Ort nach Abwä-gung der Interessen treffen, in der Regel folgt. Wirjedenfalls sind der Meinung, dass wir mit dem Flugha-fenkonzept, das wir jetzt vorgelegt haben, einen großenSchritt nach vorne machen und die zentralen Wirt-schaftsstrukturen stärken.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Enkelmann, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin, mit Ihrer freundlichen Genehmi-

gung möchte ich gerne auf den § 106 Abs. 2 der Ge-schäftsordnung des Deutschen Bundestages hinweisen.Dort heißt es:

In Sitzungswochen findet eine Befragung der Bun-desregierung statt, bei der die Mitglieder des Bun-destages Fragen von aktuellem Interesse an dieBundesregierung im Rahmen ihrer Verantwortlich-keit, vorrangig jedoch zur vorangegangenen Sit-zung …, stellen können.

Ich darf also nicht nur Fragen nach Beschlüssen des Ka-binetts, sondern sehr wohl auch Fragen von öffentlichemInteresse stellen. Vor diesem Hintergrund frage ich nocheinmal: Mit welchem Konzept geht die Bundesregierungin die Gespräche heute Abend? Welches Ziel verfolgt dieBundesregierung? Inwieweit ist sie tatsächlich bereit,auch über Bürgschaften usw. nachzudenken?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Staatsminister, bitte.

Hermann Gröhe, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Frau Kollegin Enkelmann, ich habe gerade schon da-rauf hingewiesen, dass es in der Vergangenheit selbstver-ständlich auch öffentliche Positionierungen der Bundes-regierung gab, mit denen in Sonderheit die damit befass-ten Ministerien und nicht zuletzt der Wirtschaftsministerdeutlich gemacht haben, welche Fragen zu den konkretvorliegenden Angeboten noch zu stellen sind. Diese Fra-gen sollen in den vertraulichen Gesprächen behandeltwerden, die heute mit den Interessenten bezüglich ihrerAngebote an GM, dem die Entscheidung ja obliegt, ge-führt werden. Es sind dem Wesen nach Fragen, die sichauf die potenziellen Investoren beziehen und bei denenes nicht um eine politische Positionierung der Regierunggeht.

Die Fragen im Hinblick auf die Risikosicherung desSteuerzahlers, auf bestimmte Brückenfunktionen bei derFinanzierung sowie auf Arbeitsplatz- und Standortsi-cherheiten sind hier wiederholt erörtert worden. DerBundeswirtschaftsminister hat deutlich gemacht, wel-che Fragen nach den bisherigen Gesprächen noch offen-geblieben sind. Diese Gespräche werden heute mit demZiel fortgesetzt, der Bewertung der Punkte näherzukom-men, die ich angesprochen habe: Standorterhalt, Zu-kunftsfähigkeit des Konzeptes und in Sonderheit, welcheHilfen und Garantien erbeten werden und in welcherWeise potenzielle Investoren ein eigenes Risiko einge-hen.

Diese Fragen werden heute möglicherweise nicht ab-schließend beantwortet, aber hoffentlich einen weiterenSchritt der Klärung zugeführt. Das steht im Zentrum derheutigen Gespräche.

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Ramelow.

Bodo Ramelow (DIE LINKE): Herr Staatsminister, nachdem wir geklärt haben, dass

ich zulässigerweise – gedeckt durch die Geschäftsord-nung; die Kollegin Enkelmann hat Ihnen die entspre-chende Stelle gerade vorgelesen – nachfragen kann, wel-che Debatten heute im Kabinett aus aktuellem Anlassstattgefunden haben, hake ich jetzt noch einmal nach.

Ich bin durchaus der Meinung, dass man die ThemenInvestoren und Investorengespräche vertraulich abarbei-ten muss. Das ist auch nicht Gegenstand meines Nach-fragens, sondern es geht um die Brückenfinanzierung,die Sie gerade angesprochen haben. Mich interessiert, obin der Kabinettssitzung eindeutig klargestellt worden ist,dass es von keinem Kabinettsmitglied mehr verantwor-tungsloses Gerede am Wochenende geben darf, bei demdie Wörter „Zerschlagung“ oder „Insolvenz“ kurz in denRaum gestellt werden. Es gehört sich nämlich nicht, da-rüber am Wochenende immer wieder öffentlich zu spre-chen.

Die Brückenfinanzierung war heute Morgen auchschon Gegenstand im Wirtschaftsausschuss hier imHause. Also muss es im Kabinett im Rahmen der Erörte-rung ja die Festlegung gegeben haben, dass man ge-denkt, die gesamten staatlichen Bürgschaften für dieBrückenfinanzierung so auszustatten, dass dem Treuhän-der ein Beirat beigeordnet wird, in dem nicht die öffent-liche Hand, sondern eine privatrechtliche Institution dieFederführung hat.

Ich würde gerne nachfragen, ob es Gegenstand derErörterung in der Kabinettssitzung war, dass wir, wennwir schon so viel Geld des Steuerzahlers in die Handnehmen, auch eine Rückbindung im öffentlichen Inte-resse sichern müssen und das nicht an Pricewaterhouse-Coopers übergeben können. Ich habe nichts dagegen,dass sie mit in dem Beirat sitzen; aber ich bin doch derMeinung, dass die öffentliche Hand, wenn sie der Haupt-finanzierer der Brückenfinanzierung ist, auch in der Ver-antwortung steht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Staatsminister, bitte.

Hermann Gröhe, Staatsminister bei der Bundes-kanzlerin:

Herr Kollege Ramelow, ich weiß nicht, ob dies derOrt ist, jetzt über die Geschäftsordnung und darüber zudebattieren, in welcher Weise durch die zitierte Vor-schrift die Möglichkeit geboten wird, die Mitglieder derBundesregierung in ihrer jeweiligen Ressortverantwor-tung zu aktuellen Themen zu befragen, die Gegenstandder Kabinettserörterung waren, und in welcher Weise da-mit verbunden ist, dass Diskussionsprozesse im Kabinett– das ist die interne Meinungsbildung der Regierung –auf dem Fragewege hier gleichsam öffentlich gemachtwerden können. Ich glaube, dass das nicht notwendig ist.Insofern will ich zumindest bezweifeln, dass Ihre

Grundannahme, damit sei geklärt, dass Sie alles fragenkönnen, berechtigt ist.

Im Übrigen sage ich deutlich, was ich jetzt schonmehrfach ausgeführt habe: Das Thema Opel – da be-ziehe ich die von Ihnen angesprochenen Unterfragen mitein – ist nicht Gegenstand der Beratung des Bundeskabi-netts gewesen. Sie haben ja wieder auf die Frage abge-stellt, ob es Gegenstand der Beratung war, in welcherWeise das Bürgschaftsprogramm abgewickelt wird. Dieswar im Hinblick auf den Fall, um den es im Zusammen-hang mit der Investorensuche für Opel möglicherweisegeht, nicht Gegenstand der Kabinettserörterung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Behm, bitte.

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, dass ich noch das Wort bekomme; denn

ich bin eben erst aus dem Ausschuss herbeigeeilt.

Als Brandenburgerin möchte ich eine Frage zu demThema Schallschutzmaßnahmen an Flughäfen stellen.Trifft es zu, dass die vom Umweltbundesamt geleiteteFacharbeitsgruppe zur Schallschutzverordnung mehrheit-lich im Rauminneren ein Schutzniveau von 25 Dezibelin der Nacht und 35 Dezibel am Tag bzw. 30 Dezibel beischutzbedürftigen Einrichtungen empfohlen hat, aber dieneue Schallschutzverordnung nunmehr bis zu 48 Dezi-bel am Tag im Rauminneren erlauben soll? Das wärendeutlich schlechtere Werte, als sie bisher nach derSchallschutzvorschrift VDI 2719 und DIN gelten. Siesind auch deutlich schlechter als die Werte, die zum Bei-spiel beim Flughafen München zugrunde gelegt wordensind.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Behm, wir hatten diesen Themenbe-

reich tatsächlich schon abgeschlossen. Ich lasse aber dieFrage noch zu. Frau Staatssekretärin, bitte.

Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi-nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Sehr geehrte Frau Kollegin Behm, noch einmal zurErläuterung: Die Regelungen, die jetzt in der Verord-nung vorgesehen sind, schreiben vor, dass bei NeubautenInnenraumpegel zwischen 27 und 37 Dezibel erreichtwerden müssen. Bei Bestandsbauten – also dort, wo dieNachrüstung des Wohnungsbestands erforderlich ist –sind es zwischen 30 und 40 Dezibel, je nach Tag- oderNachtschutzzone. In den Fällen, wo bereits seitens derFlughäfen freiwillige Schallschutzmaßnahmen vorge-nommen worden sind, gibt es eine zusätzliche Margezwischen 35 und 45 Dezibel. Das ist keine Verschlechte-rung gegenüber dem Status quo. Es ist vielmehr eineVerbesserung; denn im Fluglärmgesetz sind drei statt derbisher zwei Schutzzonen vorgesehen.

In die Festlegung dieser Werte sind sehr viele Interes-sen mit eingeflossen. Dazu gehören die Interessen derAnwohner und der vom Fluglärm Betroffenen genausowie die Frage der Finanzierung durch die Flughafenbe-

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Parl. Staatssekretärin Astrid Klug

treiber. Die Regelungen sind am Ende als Ergebnis desInteressenausgleichs zustande gekommen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich beende die heutige Regierungsbefragung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Fragestunde

– Drucksache 16/13102 –

Die Fragen werden in der vorgegebenen Reihenfolgeaufgerufen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. ZurBeantwortung steht der Parlamentarische StaatssekretärDr. Hermann Kues bereit.

Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Kai Gehringauf:

Inwiefern teilt die Bundesregierung die Beurteilungen desBundesjugendkuratoriums bezüglich ihrer Jugendpolitik, nachdenen eine „hohe politische Priorität nicht erkennbar“ sei,sich ihre „Jugendpolitik als ein Flickenteppich unabgestimm-ter Maßnahmen, Programme und Aktivitäten unterschiedli-cher Ministerien“ erweise und „ein integrierendes Gesamt-konzept, das gemeinsame Ziele solcher Aktivitäten und eineaufeinander abgestimmte Gesamtstrategie enthalten würde,dagegen nicht“ existiere (Stellungnahme des Bundesjugend-kuratoriums, Mai 2009, Seite 3), und welche Konsequenzenzieht sie aus dieser kritischen Bewertung durch das von ihrberufene Sachverständigengremium?

Bitte schön.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend:

Herr Abgeordneter Gehring, zunächst einmal ver-weise ich darauf, dass das Bundesjugendkuratorium einBeratungsgremium der Bundesregierung ist. Dieses Gre-mium wurde am 2. Februar 2007 gebeten, praxisorien-tierte Vorschläge bei der Profilierung der Jugendpolitikvorzulegen. Ende März 2009 hat das Bundesjugendkura-torium daher die zitierte Stellungnahme „Zur Neuposi-tionierung von Jugendpolitik: Notwendigkeit und Stol-persteine“ beschlossen.

Das Bundesjugendkuratorium hat in seiner Stellung-nahme den querschnittsorientierten Ansatz der Jugend-politik hervorgehoben, den aktuellen Stand der Debattezu einer zukunftsorientierten Jugendpolitik reflektiert,die wichtigsten Handlungsfelder einer kohärenten Ju-gendpolitik aufgeführt und eine umfangreiche Darstel-lung der aktuellen politischen und fachlichen Diskursedazu vorgelegt. Die Bundesregierung dankt dem Bun-desjugendkuratorium ausdrücklich für das Papier undwird die darin enthaltenen Hinweise für die Entwicklungeiner kohärenten Jugendpolitik – soweit der Bund be-troffen ist – prüfen.

Allerdings hat die Bundesregierung in ihrer Antwortauf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen „Jugendliche in Deutschland: Perspektivendurch Zugänge, Teilhabe und Generationengerechtig-keit“ vom 23. März 2007 zu den Zielen und Inhalten der

Jugendpolitik auf Bundesebene bereits deutlich ge-macht, wo sie konkrete Handlungsziele für eine umfas-sende Jugendpolitik sieht, die hier nicht erneut im Ein-zelnen erläutert werden müssen. Danach bezieht sichJugendpolitik auf viele Themenfelder und ist als Quer-schnittspolitik angelegt. Auch die Stellungnahme desBundesjugendkuratoriums hebt gerade diesen quer-schnittsorientierten Ansatz hervor.

In den zwei Jahren, in denen diese Stellungnahme er-arbeitet wurde, sind darauf aufbauend und in Abstim-mung mit den zuständigen Ressorts der BundesregierungÜberlegungen zur Weiterentwicklung der Jugendpolitikangestellt worden. Dabei haben wir auch von dem konti-nuierlichen Beratungsprozess des Bundesjugendkurato-riums bezüglich dieser Thematik profitiert. Insofern istes auch nicht überraschend, dass Planungsüberlegungendes Bundesjugendministeriums zum Beispiel zur Arbeitmit benachteiligten jungen Menschen – dort haben wireinen ganz neuen Schwerpunkt gesetzt – eine gute Ab-stützung durch Vorschläge des Bundesjugendkurato-riums erfahren.

So wird zum Beispiel am 15. Juni 2009 in Berlin dieneue Initiative des Bundesjugendministeriums im Rah-men der Bundeskonferenz „JUGEND STÄRKEN –Neue Wege einer zukunftsorientierten Jugendpolitik“vorgestellt. Mit dieser Initiative entwickelt und erprobtdas Bundesjugendministerium neue Wege und Metho-den zur sozialen, schulischen und beruflichen Integra-tion junger Menschen mit schlechteren Startchancen.Diese Initiative soll nachhaltige Impulse für eine aktiveJugendpolitik insbesondere für diese Zielgruppen in dieLänder und Kommunen geben und die Politik des Bun-desjugendministeriums für benachteiligte junge Men-schen noch schlagkräftiger gestalten.

Die Aussagen des Bundesjugendkuratoriums zumSchutz von Jugendlichen vor Gewalt oder Gefährdun-gen, etwa durch Medien, sind für die Bundesregierungeine Bestätigung ihrer aktuellen Schwerpunktsetzung.Insbesondere die vielfältigen Nutzungsmöglichkeitenelektronischer, digitaler und interaktiver Medien stelleneine zunehmende Herausforderung für Eltern, Erzie-hende und auch Lehrpersonal dar. In allen Phasen spie-len die Eltern eine ganz wichtige Rolle. Sie können ausihrer Verantwortung nicht entlassen werden. Der Staatkann sie aber bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstüt-zen. Neben den gesetzlichen Regelungen zum Jugend-und Verbraucherschutz sind die Förderung von Medien-kompetenz und Medienerziehungskompetenz wichtigeBestandteile eines wirksamen Schutzkonzeptes.

Insofern kann die Bundesregierung die in der mündli-chen Frage zitierte Kritik des Bundesjugendkuratoriums,es handele sich bei der Jugendpolitik der Bundesregie-rung um einen „Flickenteppich unabgestimmter Maß-nahmen, Programme und Aktivitäten“, nicht nachvoll-ziehen. Sie bleibt bei dem von ihr eingeschlagenenzukunftsorientierten Kurs.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte.

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Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Zum Hintergrund

der Frage, die Sie gerade beantworten wollten, weise ichdarauf hin, dass gerade in der Stellungnahme des Bun-desjugendkuratoriums gesagt wird, die Ausführungen inder Antwort, die Sie auf unsere Große Anfrage zur Ju-gendpolitik gegeben haben, stünden – Zitat – „in schar-fem Kontrast zur gegenwärtigen Wirklichkeit von Ju-gendpolitik“. Deshalb bitte ich um Ihre Einschätzung zuzwei Vorschlägen, die das von der Bundesregierung be-rufene Sachverständigengremium „Bundesjugendkura-torium“ unterbreitet hat.

Erstens geht es um den Verbesserungsvorschlag desBundesjugendkuratoriums, die Einführung eines regel-mäßigen Jugendmonitorings zu prüfen. Mich interes-siert, ob die Bundesregierung dazu bereits Prüfungenvorgenommen und Überlegungen angestellt hat, ob einsolches Jugendmonitoring künftig sinnvoll ist, um dieWissensbasis für eine zukunftsfähige Jugendpolitik zuerhöhen und um Daten über die Ressourcenverteilunginnerhalb der jugendpolitischen Bereiche zu gewinnen,was angesichts des Kinder- und Jugendberichts vor al-lem im Jugendbereich sehr wichtig ist.

Zu dem zweiten Vorschlag des Bundesjugendkurato-riums frage ich Sie: Halten Sie es für richtig, eine ressort-übergreifende Zuständigkeit des BMFSFJ durch eineÄnderung der Geschäftsordnung der Bundesregierungzu erweitern?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend:

Zunächst einmal zu dem möglichen Mehrwert einesJugendmonitorings: Hinsichtlich dessen, was hier zu-sammengefasst dargestellt wird, ist für uns nicht unmit-telbar nachvollziehbar, was damit erreicht werden soll.Der bloße Hinweis auf lückenhaftes Wissen kann diesunseres Erachtens noch nicht rechtfertigen und schon garnicht Antworten auf die Fragen geben, was künftig nochgemacht werden soll, wer es machen soll und wer es tat-sächlich bezahlen soll.

Es existiert eine bestimmte Ordnung der Zuständig-keiten von Bund, Ländern und Gemeinden in Bezug aufdiese Themen und Fragestellungen. Im Grunde genom-men gibt es bereits eine intensive Berichterstattung. Wirschaffen es gar nicht, die vielen Anregungen, die bei-spielsweise im 11., 12. und 13. Jugendbericht vorgege-ben worden sind, von heute auf morgen umzusetzen;denn dies ist ein Prozess, in den die verschiedenen Ebe-nen einbezogen werden müssen und in dem auch anderemitentscheiden. Das entscheidet weder allein das Bun-desjugendministerium noch die Bundesregierung. Dasallein hilft nicht. Man muss sich schon konkrete Gedan-ken über die Instrumente machen. Im Übrigen glaubeich, dass die Stellungnahme des Bundesjugendkurato-riums arg theoretisch und textlastig ist. Sie ersetzt nichtpolitische Überlegungen.

Was die Zuständigkeiten angeht, verhält es sich so,dass das Bundesfamilienministerium innerhalb der Bun-desregierung durchaus eine koordinierende Funktioninnehat, was die Jugendpolitik angeht. Wenn Sie sich die

unterschiedlichen Sachbereiche ansehen – wir habenausdrücklich festgestellt, dass es sich um eine Quer-schnittsaufgabe handelt –, dann erkennen Sie, dass eineFülle von Ressorts betroffen ist – vom Arbeitsministe-rium über das Bildungsministerium bis hin zum Gesund-heitsministerium –, die dort in eigener Verantwortung tä-tig sind. Daher kann nicht alles ohne Weitereskonzentriert werden. Wenn man die Länder und diekommunale Ebene einbezieht, dann wird noch deutli-cher, dass es dort immer eine vielschichtige Struktur ge-ben wird und dass es daher darauf ankommt, dies kohä-rent zu gestalten. Ich glaube, es ist sachgerecht, dieunterschiedliche Vielschichtigkeit in den einzelnen Re-gionen zu berücksichtigen; denn wenn wir dies nicht hät-ten, fänden wir – je nach Region in Deutschland – keineunterschiedlichen Antworten. Deswegen halten wir ander föderalen Struktur fest.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums

ist hervorgehoben, dass eine stärkere Partizipation undeine Diskussion über das Wahlalter zu einer zukunftsfä-higen Jugendpolitik gehören. Deshalb frage ich Sie, obdie Bundesregierung die Einschätzung des Bundes-jugendkuratoriums teilt, nach der „die Überprüfung vonEinschränkungen des aktiven Wahlrechts mit Bezug aufdas Alter … ein zentrales Anliegen einer umfassend ver-standenen Jugendpolitik“ ist, und welche KonsequenzenSie daraus ziehen.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend:

Das ist eine konkrete Einschätzung der Wissenschaft-ler, die dem Bundesjugendkuratorium angehören. DieBundesregierung teilt nicht die Auffassung, dass dasWahlrecht geändert werden müsste.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortungder Fragen.

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit. Die Fragen 2 und 3 der Kollegin BrigittePothmer werden schriftlich beantwortet.

Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fra-gen steht der Parlamentarische Staatssekretär PeterAltmaier bereit.

Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Monika Lazar auf:Mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundes-

regierung darauf reagieren, dass, wie im Verfassungsschutz-bericht 2008 beschrieben, autonome nationalistische Gruppenbei Demonstrationen zunehmend gewalttätige Auseinander-setzungen suchen?

Bitte, Herr Staatssekretär.

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Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister des Innern:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Lazar,ich kann Ihnen zunächst bestätigen, dass die Bundes-regierung selbstverständlich alle gewaltbereiten extre-mistischen Gruppierungen beobachtet, und zwar mitbesonderer Aufmerksamkeit. Das gilt auch für die vonIhnen angesprochenen autonomen Nationalisten. Wasnun Ihre konkrete Frage im Hinblick auf die Maßnah-men angeht, die bei gewalttätigen Auseinandersetzungenergriffen werden: Dies fällt in die ausschließliche Zu-ständigkeit der Länder. Wie Sie wissen, beteiligt sich dieBundespolizei bisweilen an entsprechenden Einsätzen.Aber sie wird dann unterstellt. Das wird von den jeweili-gen Ländern entschieden und angeordnet. Zu deren Zu-ständigkeitsbereich äußert sich die Bundesregierung ge-nerell und grundsätzlich nicht.

Ich will aber hinzufügen, dass wir neben der polizeili-chen Reaktion selbstverständlich gefordert sind, auf die-ses Phänomen gesellschaftspolitisch zu reagieren. Wirsind präventiv gefordert, positive Einflussfaktoren wieerlebte Toleranz und Offenheit, berufliche und persönli-che Anerkennung und Wertschätzung, Zivilcourage, In-tegration und Teilhabe zu fördern und zu unterstützen,um damit zentrifugalen Kräften entgegenzuwirken. Sieselbst wissen aufgrund Ihres eigenen Engagements, dasses eine Fülle von Initiativen und Programmen gibt, diehierzu von der Bundesregierung eingerichtet wordensind. Ich nenne beispielhaft das Programm „Vielfalt tutgut“ im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Fragen zu den Bundesprogrammen hätte ich an

Herrn Staatssekretär Kues stellen müssen, der mir wahr-scheinlich gut hätte antworten können. Da Sie aber jetztmein Gesprächspartner sind, stelle ich eine andere Frage.Es ist sicherlich sinnvoll, die gesamten Debatten ausBundessicht zu betrachten. Mich würde interessieren, obdiese konkrete neue Erscheinung der autonomen Natio-nalisten auch in der Innenministerkonferenz, in der dasBMI vertreten ist, eine Rolle spielt. Mir geht es um dieneue Gewalt, aber auch um Parolen, die in den letztenJahren nicht so häufig zu hören waren. Ich erwähneexemplarisch zwei, die ich gehört habe. Eine Parole, dieimmer wieder bei diesen Demonstrationen gerufen wird,lautet: „Nationaler Sozialismus jetzt!“ Das ist sehrgrenzwertig. Eine andere Parole ist: „Nie wieder Krieg –nach unserem Sieg“. Das betrifft ja den Verfassungs-schutz, für den die Länder, aber auch der Bund zuständigsind. Deshalb würde mich Ihre diesbezügliche Einschät-zung interessieren. Wird die Entwicklung von der Bun-desseite beobachtet, und versucht man, im Benehmenmit den Ländern die Gremien dafür zu sensibilisieren?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister des Innern:

Frau Kollegin Lazar, ich habe eingangs gesagt, dasswir diese Aktivitäten sehr genau beobachten. Es handelt

sich um rund 400 autonome Nationalisten. Es gibt da-rüber hinaus ein Umfeld. Dies wird von den Verfas-sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder be-obachtet. Die Erkenntnisse, die darüber gewonnenwerden, werden ausgetauscht. Ich bitte allerdings umVerständnis dafür, dass ich Einzelheiten über das hinaus,was im Verfassungsschutzbericht dargelegt ist, an dieserStelle nicht erörtern kann. Sie wissen, dass es dafür diezuständigen Gremien des Deutschen Bundestages gibt.Der Bundestag hat sich vorbehalten, derartige Fragenspeziell im Parlamentarischen Kontrollgremium zu be-handeln. Im Übrigen beschäftigt sich die Innenminister-konferenz, wie Sie wissen, regelmäßig mit Fragen, diemit dem politischen Extremismus in Zusammenhang ste-hen. Ich bitte um Verständnis, dass ich an dieser Stellenicht in der Lage bin, über die Tagesordnung der nächs-ten IMK, die nicht vom Bundesinnenministerium aufge-stellt wird – die IMK ist eine Einrichtung der Länder;das Bundesinnenministerium ist dort nur Gast –, zu refe-rieren.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielleicht können Sie mir verraten, ob es ein Wunsch

des Bundesinnenministeriums wäre, bei der nächsten In-nenministerkonferenz auch diese Teilbereiche anzuspre-chen; denn Sie können wahrscheinlich auf die Tagesord-nung Einfluss nehmen.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister des Innern:

Frau Kollegin Lazar, ich kann Ihnen jedenfalls verra-ten, wenn Sie es nicht ohnehin schon wissen, dass es eindringender Wunsch des Bundesinnenministeriums ist,dass bei Demonstrationen und bei der Ausübung desgrundgesetzlich geschützten Rechts auf Demonstrations-freiheit, Gewalttätigkeiten – egal ob von rechts oder vonlinks – nach Möglichkeit gar nicht vorkommen bzw.diese eingedämmt und bekämpft werden. Das ist ein An-liegen des Bundesinnenministeriums. Wir haben in derletzten Zeit eine Reihe von Vorfällen erlebt, die Anlassgeben, die Frage zu stellen, ob alle notwendigen Vorkeh-rungen getroffen worden sind, um beispielsweise denSchutz von unbeteiligten Bürgerinnen und Bürgern, De-monstranten, aber auch Polizisten sicherzustellen. Überdiese Fragen wird selbstverständlich in den zuständigenGremien geredet.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Frage 5 des Kollegen Volker Beck sowie die

Frage 6 der Kollegin Ulla Jelpke werden schriftlich be-antwortet.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-riums der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragensteht die Parlamentarische Staatssekretärin NicoletteKressl zur Verfügung. Die Fragen 7 und 8 des KollegenChristoph Waitz werden schriftlich beantwortet. Die Fra-gen 9 und 10 des Kollegen Dr. Jürgen Koppelin werdenaufgrund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien ebenfalls schrift-

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

lich beantwortet. Außerdem werden die Fragen 11und 12 des Kollegen Dr. Volker Wissing und die Frage 13der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch schriftlich beantwortet.

Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Frank Spieth wer-den ebenfalls schriftlich beantwortet.

Ich rufe nun die Frage 16 der Kollegin BrittaHaßelmann auf:

Inwieweit sind die in den Konjunkturpaketen I und II be-schlossenen Steuererleichterungen und die mit dem geplantenBürgerentlastungsgesetz verbundenen Steuererleichterungenin die aktuelle Steuerschätzung eingegangen?

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister der Finanzen:

Sehr geehrte Frau Kollegin Haßelmann, ich beant-worte Ihre Frage wie folgt: Die finanziellen Auswir-kungen der in den Konjunkturpaketen I und II beschlos-senen Maßnahmen und die mit dem geplanten Gesetzzur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vor-sorgeaufwendungen, das wir auch „Bürgerentlastungs-gesetz Krankenversicherung“ nennen, verbundenen Ef-fekte – letztere nach dem Stand des Regierungsentwurfs,weil der Abschluss der parlamentarischen Beratungennoch aussteht und die entsprechenden finanziellen Aus-wirkungen nicht bekannt sein konnten – wurden in dieaktuelle Steuerschätzung einbezogen.

Als Folge der drei hier angesprochenen Rechtsände-rungen wurden bei der Steuerschätzung für die Kassen-jahre 2009 bis 2013 folgende Mindereinnahmen auf ge-samtstaatlicher Ebene – darauf bezog sich Ihre Frage –ermittelt: im Jahr 2009 durch das Konjunkturpaket Iminus 2,6 Milliarden Euro, durch das Konjunktur-paket II minus 4,9 Milliarden Euro, in der Summe minus7,5 Milliarden Euro; im Jahr 2010 durch das Konjunk-turpaket I minus 5,7 Milliarden Euro, durch das Kon-junkturpaket II minus 5,6 Milliarden Euro, durch dasBürgerentlastungsgesetz minus 8,1 Milliarden Euro, inder Summe minus 19,4 Milliarden Euro; im Jahr 2011durch das Konjunkturpaket I minus 5,9 Milliarden Euro,durch das Konjunkturpaket II minus 6,1 Milliarden Euro,durch das Bürgerentlastungsgesetz minus 10,5 Milliar-den Euro, in der Summe minus 22,5 Milliarden Euro; imJahr 2012 durch das Konjunkturpaket I minus 3,9 Mil-liarden Euro, durch das Konjunkturpaket II minus6,2 Milliarden Euro, durch das Bürgerentlastungsgesetzminus 10,6 Milliarden Euro, in der Summe minus20,7 Milliarden Euro; im Jahr 2013 durch das Konjunk-turpaket I minus 1,4 Milliarden Euro, durch das Kon-junkturpaket II minus 6,3 Milliarden Euro, durch dasBürgerentlastungsgesetz minus 11,3 Milliarden Euro, inder Summe minus 19,0 Milliarden Euro.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte erst die Antwort auf meine zweite Frage

abwarten.

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister der Finanzen:

Ich beantworte die Fragen gern zusammen, aber manmuss es mir sagen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich wusste das auch nicht.

Dann rufe ich auch die Frage 17 der Kollegin BrittaHaßelmann auf:

Wie hoch ist der Anteil dieser Steuererleichterungen anden in der Steuerschätzung für die Gemeinden ermitteltenMindereinnahmen, differenziert nach den Steuererleichterun-gen im Konjunkturpaket I, im Konjunkturpaket II und demgeplanten Bürgerentlastungsgesetz?

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister der Finanzen:

Frau Präsidentin, das wussten wir beide nicht, aberwir können ja flexibel reagieren.

Gegenüber der jeweils letzten Steuerschätzung – No-vember 2008 für 2009, Mai 2008 für 2010 bis 2012 – er-geben sich nach der Mai-Steuerschätzung 2009 folgendeMindereinnahmen für die Gemeinden: 2009 insgesamtminus 7,6 Milliarden Euro, davon durch Steuerrechtsän-derungen minus 2,4 Milliarden Euro, davon wiederumdurch das Konjunkturpaket I minus 0,7 Milliarden Euro,durch das Konjunkturpaket II minus 0,7 MilliardenEuro, durch das Bürgerentlastungsgesetz keine Verände-rung, durch die Gesamtheit der drei Gesetze also minus1,4 Milliarden Euro; 2010 insgesamt minus 10,7 Milliar-den Euro, davon durch Steuerrechtsänderungen minus4,7 Milliarden Euro, davon wiederum durch das Kon-junkturpaket I minus 1,7 Milliarden Euro, durch dasKonjunkturpaket II minus 0,8 Milliarden Euro, durch dasBürgerentlastungsgesetz minus 1,2 Milliarden Euro,durch die Gesamtheit der drei Gesetze also minus 3,7 Mil-liarden Euro; 2011 insgesamt minus 12,1 Milliarden Euro,davon durch Steuerrechtsänderungen minus 5,0 Milliar-den Euro, davon wiederum durch das Konjunkturpaket Iminus 1,7 Milliarden Euro, durch das Konjunktur-paket II minus 0,9 Milliarden Euro, durch das Bürger-entlastungsgesetz minus 1,5 Milliarden Euro, durch dieGesamtheit der drei Gesetze also minus 4,1 MilliardenEuro; 2012 insgesamt minus 12,2 Milliarden Euro, da-von durch Steuerrechtsänderungen minus 4,3 MilliardenEuro, davon wiederum durch das Konjunkturpaket Iminus 1,0 Milliarden Euro, durch das Konjunktur-paket II minus 0,9 Milliarden Euro, durch das Bürger-entlastungsgesetz minus 1,5 Milliarden Euro, durch dieGesamtheit der drei Gesetze also minus 3,4 MilliardenEuro.

Das war nicht der Windbericht, sondern die Übersichtüber die Steuermindereinnahmen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Jetzt haben Sie vier Zusatzfragen.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank auch Ih-

nen, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung meiner

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Britta Haßelmann

beiden Fragen. Dadurch wurde ja noch einmal deutlich,dass in der Frage der Steuermindereinnahmen neben derKrise – wir haben ja hier schon über wegbrechende Ge-werbesteuereinnahmen und andere Dinge diskutiert –auch bestimmte Beschlussfassungen im Deutschen Bun-destag erhebliche Auswirkungen auf die drei EbenenBund, Länder und Kommunen haben.

Mich würde interessieren, ob innerhalb der Bundes-regierung und speziell im Bundesministerium der Finan-zen aufgrund der massiven Einbrüche an Steuereinnah-men bzw. der Steuermindereinnahmen darüber diskutiertwird, Gesetzesinitiativen hinsichtlich einer Mindest-finanzausstattung der kommunalen Ebene – diese inte-ressiert mich jetzt besonders – auf den Weg zu bringen.

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister der Finanzen:

Frau Kollegin Haßelmann, Sie wissen sicherlich, dasses nicht möglich ist, die massiven positiven Wirkungen,die ja zum Beispiel durch das im Konjunkturpaket II ent-haltene kommunale Investitionsprogramm zu erwartensind, in die Steuerschätzung, die ich gerade dargestellthabe, einzurechnen. Ich weise deshalb darauf hin, dassdurch die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionenhier im Parlament durch das Konjunkturpaket II schonMaßnahmen auf den Weg gebracht wurden, die – davongehen wir aus – ganz deutliche Entlastungen für dieKommunen bringen werden. Beispielsweise werden dieMöglichkeiten für Investitionen in die Region, die dasKonjunkturpaket II eröffnet, nach unserer Überzeugungganz massiv das regionale Handwerk und Unternehmenmit regionalem Bezug stärken. Auf die Art und Weisewerden ganz sicher, auch wenn das jetzt natürlich nochnicht abschätzbar ist, auch Steuermehreinnahmen gene-riert.

Bezüglich des föderalen Finanzierungssystems sindderzeit keine Gesetzesinitiativen von unserer Seite vor-gesehen. Auch Sie wissen ja, dass wir das aufgrund derKürze der in dieser Legislaturperiode noch zur Verfü-gung stehenden Zeit kaum schaffen würden und solcheInitiativen unter das Prinzip der Diskontinuität fallenwürden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre weiteren Zusatzfragen.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-

rin, sicherlich werden wir am Freitag im Rahmen derFöderalismusreform II über die Frage der Finanzbezie-hungen zwischen Bund und Ländern und auch über dievon Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen diskutieren.

Ich habe deshalb nach der Mindestfinanzausstattunggefragt, weil wir aufgrund der Krise doch sehr kurzfris-tig, wie auch in vielen anderen Bereichen, zu Gesetzes-initiativen vonseiten der Bundesregierung Stellung neh-men oder gar Gesetze beschließen müssen. Aufgrund derKrise sehen Sie sich ja veranlasst, in vielen BereichenÄnderungen vorzunehmen. Deshalb habe ich gezieltnach der Mindestfinanzausstattung gefragt.

Der Ansatz Ihres Ministeriums, das Ganze makro-finanztechnisch zu sehen – ähnliche Ausführungen ha-ben Sie ja schon einmal in Bezug auf die Konjunkturpro-gramme gemacht –, ist aufgrund der Zahlen aus denKommunen unseres Erachtens nicht haltbar; ich nennezum Beispiel die 220 Millionen Euro Mindereinnahmenin Köln und verweise auf die ähnliche Situation in Stutt-gart, München etc. Alle Städte berichten ja von massivenRückgängen bzw. Einbrüchen bei den Steuereinnahmen.

Deshalb frage ich noch einmal: Gibt es, auch im Hin-blick auf den Beginn der nächsten Legislaturperiode,eine irgendwie geartete Initiative Ihres Hauses, in Bezugauf eine verlässliche Finanzausstattung der Kommunenaktiv zu werden? Eine Betrachtung der Gesamtfinanzsi-tuation nach dem Motto: „Ihr werdet davon in ein paarJahren etwas haben“ kann keiner der kommunalen Spit-zenverbände nachvollziehen.

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister der Finanzen:

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich teile Ihre Einschät-zung, dass das kommunale Investitionsprogramm keinepositiven Auswirkungen auf die Finanzsituation derKommunen hat, nicht. Die momentanen Zahlen lassendas noch nicht erkennen. Nachdem der Bund die 10 Mil-liarden Euro an die Kommunen weitergeleitet hat, habennun auch die Länder die entsprechenden Umsetzungs-regelungen fertig. Nach meinen Erkenntnissen – da be-ziehe ich mich zum Beispiel auf meinen Wahlkreis, derja auch eine Reihe von Kommunen umfasst – ist es so,dass die Gemeinderäte jetzt die Beschlüsse gefasst ha-ben, dass die Aufträge ausgeschrieben werden, zum Teilauch schon vergeben worden sind, sodass wir sehr sichersind – das haben die kommunalen Spitzenverbände deut-lich gemacht –, dass dies nicht erst in ein paar Jahren,sondern noch im Laufe dieses Jahres greifen wird.

Zusätzlich – Ihre Frage war ja sehr umfangreich; ichmöchte noch zwei Punkte herausgreifen – weise ich da-rauf hin, dass beispielsweise die Regelung des kommu-nalen Finanzausgleichs nicht in der Hand des Bundesliegt – das wissen Sie sicherlich auch – und dass derBundestag hier kein Gesetz beschließen kann, in dem diekommunale Lastenverteilung geregelt wird.

Ich will bezüglich der Mindestfinanzausstattung aufeinen dritten Punkt hinweisen: Es ist so, dass in den letz-ten Jahren beispielsweise durch die Hinzurechnung vonMieten und Pachten bei der Gewerbesteuerberechnungauch deutlich stabilisierende Elemente für die Finanz-ausstattung der Kommunen auf den Weg gebracht undbeschlossen worden sind. Obwohl es von sehr vielenWirtschaftsverbänden massive Versuche gibt, die hier-durch entstehenden Kosten im Rahmen der Gegenfinan-zierung der Unternehmensteuer wieder zu reduzieren, istdies nicht Gegenstand der momentan laufenden Gesetz-gebungsverfahren. Mir ist es ein großes Anliegen, daraufhinzuweisen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Bitte, Ihre weitere Frage.

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Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke für die Be-

antwortung, Frau Staatssekretärin. Nachdem Sie ja deut-lich gemacht haben, dass es zur Mindestfinanzausstat-tung keine Überlegungen gibt und auch im Rahmen derBeschlüsse zur Föderalismuskommission II am Freitagkeine Berücksichtigung der Kommunen zu erwarten ist,ist meine Frage, ob es Überlegungen in Ihrem Haus oderin der Bundesregierung gibt, endlich ein Konnexitäts-prinzip zu verankern, das heißt, dass wir endlich festle-gen, dass wir uns verpflichten, Bundesgesetze, durch dieauf der kommunalen Ebene Mehrkosten entstehen, dannauch finanziell zu unterlegen bzw. den Kommunen dieKosten zu erstatten.

Ich frage das deshalb, weil wir am Montag die Anhö-rung zum Kinderschutzgesetz hatten und die Bundes-familienministerin abschließend gesagt hat, das Gesetzhätte keinerlei finanzielle Auswirkungen. Das bestreitenalle Ebenen außer der Bundesebene. Nun ist das Gesetzseit heute – Gott sei Dank – vom Tisch. Mich würde den-noch interessieren – das haben wir ja auch bei anderenGesetzesvorhaben –, ob Sie beabsichtigen, das Prinzipder Konnexität, wie auch in manchen Landesverfassun-gen vorgesehen, auf Bundesebene zu verankern.

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister der Finanzen:

Frau Kollegin, ich kann jetzt inhaltlich nichts zu demGesetz unter der Federführung des Familienministe-riums sagen. Sonst würde ich mich womöglich vergalop-pieren, weil ich ja auch bei der Anhörung nicht dabeiwar.

Ich will aber anhand der Tatsache, dass es ab 2014 dasRecht der Eltern auf einen Betreuungsplatz für ihreKinder geben wird, beispielhaft deutlich machen, dasswir inzwischen indirekt durchaus Verantwortungen desBundes haben, Aufgaben der Kommunen finanziell mitzu unterstützen. Durch Veränderungen aufgrund der Er-gebnisse der Föderalismuskommission I sind ja dieDurchgriffsmöglichkeiten des Bundes auf die Kommu-nen eingeschränkt worden. So besteht zum Beispiel derRechtsanspruch auf diesen Betreuungsplatz gegenüberden Ländern. An diesem anerkanntermaßen sehr großen,auch finanziell wichtigen Schritt für die Kommunenwird sich der Bund zukünftig nicht nur über ein Investi-tionsprogramm, sondern durch entsprechende Umsatz-steueranteile dauerhaft, Jahr für Jahr an den Kosten fürdie Gewährleistung dieses Rechtsanspruchs mit über700 Millionen Euro jährlich, und zwar unbegrenzt, be-teiligen. Ich sage dies, um deutlich zu machen, dass esdieser Bundesregierung immer ein wichtiges Anliegenwar, zu sagen: Wenn der Bund Aufgaben für wichtig hält– dazu zählt, dass der Rechtsanspruch auf einen Betreu-ungsplatz durchgesetzt wird –, dann muss es für derenErledigung eine finanzielle Unterstützung des Bundesgeben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Frage.

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, Ihrer Antwort entnehme ich,

dass es keinerlei Überlegungen innerhalb der Bundes-regierung und auch nicht in Ihrem Haus gibt, das Prinzipder Konnexität zu verankern, das dann greifen würde,wenn Bundesgesetze auf den Weg gebracht werden, diefinanzielle Auswirkungen auf die kommunale Ebene ha-ben. Da am Freitag im Rahmen der Debatte zur Födera-lismusreform das Durchgriffsrecht geändert wird, frageich: Gibt es Planungen in Ihrem Haus, ein solches Prin-zip zu verankern?

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister der Finanzen:

Sehr geehrte Frau Kollegin, in den am Freitag imRahmen der Föderalismusreform zu verabschiedendenGesetzen wird es nicht enthalten sein. Alle Planungenüber die Legislatur hinaus werden der dann herrschen-den parlamentarischen Mehrheit und den sie tragendenFraktionen vorbehalten sein. Insofern ist es ein wenigschwierig, im Moment über zukünftige Planungen Aus-kunft zu geben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin für die Beantwortungder Fragen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beant-wortung steht der Parlamentarische StaatssekretärHartmut Schauerte bereit.

Die Fragen 18 und 19 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl sowie die Fragen 20 und 21 des Kollegen Hans-Josef Fell werden schriftlich beantwortet.

Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten GittaConnemann auf:

Wie beurteilt die Bundesregierung den geplanten Bau vonKohlekraftwerken in Dörpen/Emsland, Emden und in Eems-haven/Niederlande, und lehnt die Bundesregierung dieseStandorte ab, oder befürwortet sie diese?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Fragewie folgt: Die Bundesregierung spricht sich grundsätz-lich nicht für oder gegen konkrete Kraftwerksstandortein Deutschland aus. Sie geht davon aus, dass die Inves-torenentscheidung für einen bestimmten Kraftwerkstypund den Standort vor allem unter ökonomischen Ge-sichtspunkten getroffen wurde, sodass dadurch dieStromverbraucher in der Region und auch anderswo voneiner vergleichsweise preiswerten Stromproduktion pro-fitieren würden.

Hinsichtlich der Umweltverträglichkeit entscheidendie Genehmigungsbehörden unabhängig auf Basis recht-licher Vorgaben. Für alle dem europäischen Emissions-handel unterliegenden Anlagen, zu denen alle mit fossilenBrennstoffen betriebenen Kraftwerke gehören, werdenab 2013 die erlaubten CO2-Gesamtemissionen durcheine gemeinsame Entscheidung von Europäischem Par-

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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte

lament und Ministerrat genau vorgegeben. Deswegenbleibt das Einhalten der Klimaziele garantiert, unabhän-gig davon, ob an einem bestimmten Standort ein Kraft-werk errichtet wird oder nicht.

Der Einsatz hocheffizienter Kraftwerke bewirkt viel-mehr, dass alte, ineffiziente Kraftwerke weniger genutztoder sogar vom Netz genommen werden können und da-durch eine preiswertere Stromproduktion unter Einhal-tung der Klimaziele – ich sage sogar: der verbessertenKlimaziele – erreicht sowie die Umweltbelastungen hin-sichtlich anderer Schadstoffe reduziert werden kann. –So weit meine Antwort.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vielen Dank. – Frau Kollegin, Sie können fragen.

Gitta Connemann (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,

Sie haben gerade erklärt, dass sich die Bundesregierungnicht für oder gegen konkrete Kraftwerksstandorte inDeutschland ausspricht. Das überrascht mich nicht. Ichfrage mich aber: Kann oder will sie es nicht?

Aus meiner konkreten Erfahrung zurzeit vor Ort weißich, dass von einigen politischen Vertretern immer wie-der behauptet wird bzw. der Eindruck suggeriert wird,dass der Bund konkrete Standortentscheidungen beein-flussen bzw. verhindern könnte. Deswegen meine Nach-frage: Kann der Bund – und wenn ja, wie – auf eine kon-krete Standortentscheidung Einfluss nehmen, wie zumBeispiel in Dörpen, Eemshaven oder Emden?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin, ich kenne diese Debatten, die vor Ortgeführt werden. Ich kann ganz eindeutig und ohne jedenZweifel sagen: Der Bund kann es nicht, weil er keineKompetenz dazu hat. Das liegt an der eindeutigen Zu-ständigkeitsregelung in unserem föderalen Aufbau. Dasist am Ende eine Entscheidung der Länder und der Kom-munen sowie der dort verfassungsgemäß eingerichtetenzuständigen Behörden.

Gitta Connemann (CDU/CSU): Vielen Dank für die Klarstellung, Herr Staatssekretär. –

Sie haben deutlich gemacht, in diesem Zusammenhangkeine konkrete Aussage treffen zu dürfen. Sie sprechensich aber grundsätzlich für die Notwendigkeit des Bausvon Kohlekraftwerken aus, übrigens auch aus umwelt-politischen Gründen. Meine Nachfrage: Sprechen Siedamit nur im Namen der CDU/CSU-geführten Ministe-rien oder auch der SPD-geführten Häuser?

Diese Nachfrage resultiert aus meiner derzeitigenWahrnehmung vor Ort, dass entgegen der Aussagen vonHerrn Bundesumweltminister Gabriel, der sich vehe-ment dazu bekannt hat, den Bau von Kohlekraftwerkenzu unterstützen, vonseiten seiner Parteikollegen der Ein-druck erzeugt wird, als ob dies nur eine CDU/CSU-ge-tragene Meinung sei.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Ich kann Ihnen auch hier eine eindeutige und klareAntwort geben: Die Notwendigkeit des Baus von Kohle-kraftwerken ist die gemeinsame Überzeugung der Bun-desregierung, einschließlich des Bundesumweltminis-teriums. Ich halte Versuche – wenn das denn der Fallwäre –, parteipolitische Spielchen zu betreiben, fürschädlich. Wir betreiben hier eine gemeinsame, gesamt-staatliche Aufgabenwahrnehmung. Auch wenn es vorOrt Probleme gibt – das ist nicht ganz ungewöhnlich –,bleibt dies die Antwort der gesamten Bundesregierung.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Vielen Dank, Herr Staatssekretär!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Höhn, bitte.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, vor anderthalb Wochen haben in

Emden ungefähr 5 000 Menschen gegen das geplanteKohlekraftwerk demonstriert. Ministerpräsident Wulffaus Niedersachsen hat in diesem Zusammenhang gesagt,er wolle das Kohlekraftwerk in Emden nicht gegen denWillen der Bevölkerung in dieser Region bauen lassen.Wie sieht das die Bundesregierung? Kann sie die Hal-tung von Herrn Wulff unterstützen, und meint auch dasBundeswirtschaftsministerium, dass man es nicht gegendie Position der Menschen in dieser Region bauensollte? Sehen Sie den Protest von 5 000 Menschen alsZeichen für den Willen der Bevölkerung, dass diesesKraftwerk nicht gebaut werden soll?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin Höhn, auch hier ist die Trennung derZuständigkeiten zu beachten. Wir genehmigen solcheVorhaben nicht; das machen die Länder und die Gemein-den. Wie sie sich dazu stellen, liegt in ihrer eigenen Ver-antwortung. Das hat die Bundesregierung nicht zu kom-mentieren.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Bärbel Höhn auf:

Wie beabsichtigt die Bundesregierung ein Vertragsverlet-zungsverfahren der EU-Kommission wegen der schon seitmehr als einem Jahr verspäteten Umsetzung der Richtlinieüber Energieeffizienz und Energiedienstleistungen zu verhin-dern, und welche Sanktionen könnten Deutschland in einemsolchen Vertragsverletzungsverfahren schlimmstenfalls dro-hen?

Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin Höhn, die Bundesregierung unterrich-tet die Europäische Kommission im Rahmen des Ver-tragsverletzungsverfahrens fortlaufend über Fortschrittebei der Umsetzung der Richtlinie über Energieeffizienzund Energiedienstleistungen. Dabei hat die Bundesregie-rung die Europäische Kommission insbesondere über die

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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte

im Rahmen des Integrierten Energie- und Klimapro-gramms der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmenzur Steigerung der Energieeffizienz, über die Einrich-tung der Bundesstelle für Energieeffizienz und über denVerfahrensstand zum Energieeffizienzgesetz informiert.

Im Falle einer bislang nicht beschlossenen Klageerhe-bung durch die Europäische Kommission wegen nichtvollständiger Umsetzung der Richtlinie droht nach gel-tender Rechtslage noch nicht unmittelbar eine finanzielleSanktion, sondern es ergeht zunächst ein Feststellungs-urteil durch den Europäischen Gerichtshof nach Art. 226des EG-Vertrages. Erst danach kann die EuropäischeKommission das Vertragsverletzungsverfahren nachArt. 228 des EG-Vertrages einleiten, das dann zu finan-ziellen Sanktionen führen kann. Die mögliche Sanktio-nierung für die Zeit zwischen Ersturteil und Zweiturteilnach Art. 228 des EG-Vertrages bzw. dem Ende des Ver-stoßes besteht in der Zahlung eines Pauschalbetrages.Außerdem ist zusätzlich ein Zwangsgeld ab dem Zweit-urteil möglich. Finanzielle Sanktionen würde der Euro-päische Gerichtshof gegebenenfalls auf Vorschlag derEuropäischen Kommission beschließen. Die Europäi-sche Kommission berechnet die Sanktionen, die sie fürangemessen hält, nach den Parametern Schwere, Dauerdes Verstoßes sowie erforderliche Präventionswirkung,um einen erneuten Verstoß zu verhindern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, es geht um die Energieeffizienz-

Richtlinie. Die Bundesregierung hätte die Richtlinieschon vor einem Jahr umsetzen müssen.

Die Verbraucher hätten geringere Kosten zu tragen,wenn Sie stärker auf Energieeffizienz gesetzt hätten;auch das ist ein Aspekt von Energieeffizienz. Deshalbfrage ich Sie: Warum sind Sie bei der CCS-Technik sounglaublich schnell – ein Gesetzentwurf zur CCS-Tech-nik liegt vor, bei dem es um Subventionen für großeEnergiekonzerne geht; diesen wollen Sie noch in dieserLegislaturperiode durchpeitschen, weil Sie die CCS-Technik in Deutschland einführen wollen –, aber bei derEnergieeffizienz so langsam, obwohl Sie den Menschendurch eine Steigerung der Energieeffizienz besser helfenkönnten, weil die Energiekosten dann geringer wären?Warum haben Sie die Richtlinie, die schon vor einemJahr hätte umgesetzt sein sollen, immer noch nicht um-gesetzt?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Wir arbeiten sehr intensiv auf dem Gebiet der Ener-gieeffizienz. Wir haben mit einer Reihe von gesetzlichenMaßnahmen und freiwilligen Vereinbarungen sehr großeFortschritte gemacht. Wir haben in Deutschland einenAblaufplan. Ich darf einige Zahlen nennen: 52 Prozentder Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und46 Prozent der Unternehmen mit mehr als 200 000 EuroEnergiekosten pro Jahr erfüllen bereits heute freiwillig

diese Richtlinie komplett. Wir sind also gut vorange-kommen. Wir sind auf dem Wege, diese Erfolge weiterauszubauen.

Wenn wir mit der Mehrheit dieses Parlaments be-schließen, die CCS-Technologie einzuführen – das wärerichtig, und das wollen wir –, dann ist das keine falscheEile, sondern konkret die Wahrnehmung von Verantwor-tung zur langfristigen Sicherstellung unserer Energiever-sorgung und zur Herstellung von bezahlbarer Energie.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staats-

sekretär, die Bundesregierung hat die Energieeffizienzimmer für ganz wichtig erklärt. Zum Beispiel haben Siein Meseberg 2007 ein Klimapaket beschlossen, nachdem durch eine bessere Energieeffizienz 56 MillionenTonnen CO2 pro Jahr bis 2020 eingespart werden sollen.Das entspricht immerhin einem Viertel der insgesamtvorgesehenen Emissionsminderung. Wie viele von die-sen 56 Millionen Tonnen CO2 haben Sie mit den vielenfreiwilligen Maßnahmen, die Sie eben angesprochen ha-ben – Sie haben gesagt, Sie seien auf einem richtig gutenWeg –, jetzt schon eingespart?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Die konkrete Zahl der bis jetzt erreichten Einsparun-gen kann ich Ihnen hier nicht nennen. Ich bin nicht ent-sprechend vorbereitet. Ich sage Ihnen aber gerne zu, dassIhnen die Antwort auf diese Frage schriftlich nachge-reicht wird.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Bärbel Höhn auf:

In welchem Umfang hat die bereits mehr als ein Jahr dau-ernde Verzögerung des Energieeffizienzgesetzes dazu geführt,dass Verbrauchern und Wirtschaft vermeidbare Energiekostenentstanden sind und das Klima durch vermeidbare Treibhaus-gasemissionen belastet wurde?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Zu dieser Frage liegen der Bundesregierung keine Er-hebungen vor. Zur Umsetzung der Richtlinie 2006/32/EG wurden jedoch zahlreiche Maßnahmen und Gesetzeim Rahmen des Integrierten Energie- und Klimapro-gramms der Bundesregierung beschlossen. Die damitverbundene Steigerung der Energieeffizienz senkt ten-denziell die Energiekosten. Außerdem werden Treib-hausgasemissionen in Deutschland dadurch gemindert.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen.

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Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stelle gerne eine Frage dazu. Gestern stand in der

Financial Times, dass die Bundesregierung plant, dieenergieintensiven Wirtschaftsbereiche zu unterstützen,weil sie höhere Energiekosten zu tragen haben, zum Bei-spiel aufgrund der CO2-Zertifikate. Der Kollege Pfeiffervon der CDU/CSU-Fraktion hat gesagt, dass man in die-ser Wahlperiode ein entsprechendes Paket verabschiedenwill. Sie wollen die Wirtschaft also unterstützen, weil siehohe Energiepreise zu tragen hat. In dem Artikel wirdauch erwähnt, dass es schon Gespräche mit dem BMUund dem Bundeswirtschaftsministerium gegeben hat.Stimmt das? Sollen in dieser Legislaturperiode Subven-tionen für energieintensive Betriebe beschlossen werden,um diese zu unterstützen?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Höhn, Sie wissen, dass es bei uns einige ener-gieintensive Betriebe gibt, die ganz eindeutig vor derEntscheidung stehen, ob sie die Produktion einstellen,Arbeitsplätze abbauen oder insgesamt schließen müssen.Das ist eine in jedem Falle mehr als ärgerliche Entwick-lung für die energieintensiven Unternehmen, die sich imWettbewerb befinden, zum Beispiel mit Unternehmen inFrankreich, denen der Strom für die energieintensiveHerstellung der Güter und Waren erheblich günstiger ge-liefert wird. Unsere Stromkosten in diesen Bereichensind doppelt so hoch wie in Frankreich. Deswegen über-legen die Bundesregierung wie die Koalitionsfraktionen,wie sie einen Arbeitsplatzabbau, der gerade in dieserSituation doppelt ärgerlich ist, vermeiden können. Wirsuchen Lösungen, etwa eine befristete Energieverbilli-gung für einige wenige Produktionsverfahren, die beson-ders energieintensiv sind.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Frage.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welche Bereiche soll das betreffen? Das würde mich

jetzt sehr interessieren. Sie haben gesagt: wenige. Wiehoch sollen die Subventionen sein, und wann sollen siebeschlossen werden? Ich finde das interessant: Sie schla-fen ein Jahr bezüglich der Energieeffizienz – dabei gehtes um hohe Preise für Verbraucher –, und jetzt wollenSie ganz schnell einen bestimmten Bereich subventio-nieren. Ich hätte gern konkret gewusst: welche Bereiche,wie schnell und in welcher Höhe?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin, das hat nicht den Zusammenhang, denSie in Ihrer Frage unterstellen. Die Energieeffizienzan-strengungen und hohe Energiekosten trotz aller wahrge-nommenen Effizienzen – gehen Sie bitte davon aus, dasswir uns bei diesen Unternehmen die Fortschritte bei derEffizienz ansehen – haben nicht unmittelbar etwas mit-einander zu tun. Selbst bei sparsamster Energieverwen-dung im Rahmen aller Effizienzprogramme generellwird es Bereiche geben, in denen die Wettbewerbsfähig-

keit von energieintensiven Betrieben bei gleichbleiben-der Höhe des Strompreises so bedroht ist, dass esgerechtfertigt ist – dies haben Sie in rot-grünen Regie-rungszeiten am laufenden Bande getan; Sie werden sichdaran erinnern –, eine Hilfe zu geben. Das geschiehtnicht zulasten der Strompreise der übrigen Stromver-braucher.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Wie teuer soll das jetzt sein? Ab wann wollenSie wen fördern?)

– Das steht noch nicht fest. Wir sind im Prozess, festzu-stellen, was nötig ist, wie es gehen kann, wann es gehenkann und um wie viel Geld es geht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Frage 25 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch sowie

die Fragen 26 und 27 der Kollegin Sabine Zimmermannwerden schriftlich beantwortet.

Ich rufe deshalb die Frage 28 der Kollegin SevimDağdelen auf:

Welche Bedingungen stellt die Bundesregierung für dieBereitstellung von Bürgschaften und Staatshilfen gegenüberden drei konkurrierenden Angeboten zur Übernahme derAdam Opel GmbH?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin Dağdelen, ich antworte wie folgt:Eventuelle staatliche Unterstützungen sind an beihilfe-und haushaltsrechtliche Voraussetzungen geknüpft,welche die Bundesregierung vor deren Bereitstellungsorgfältig prüfen wird. Da die vorgelegten Konzepte derbisher bekannt gewordenen Interessenten an einer Fort-führung oder industriellen Übernahme von Opel sichstark unterscheiden, können wir zum gegenwärtigenZeitpunkt nicht sagen, welche Bedingungen konkret ein-zufordern sind.

In jedem Fall wird es darauf ankommen, dass das vonGeneral Motors zu wählende Investorenkonzept einetragfähige Lösung für die Adam Opel GmbH enthält. Zuden weiteren Voraussetzungen gehören die hohe Wahr-scheinlichkeit, dass die staatlichen Mittel nicht verlorengehen sowie dass die Mittel nicht zur Muttergesellschaftins Ausland abfließen können. Die Abstimmungspro-zesse über entsprechende Abschottungsmechanismen,zum Beispiel im Rahmen eines Treuhandmodells, sindnoch nicht abgeschlossen.

Lassen Sie mich eine Ergänzung anfügen: In diesemStand des Verfahrens ist eine öffentliche Erörterung, zuwelchen Bedingungen welche Hilfen an wen gegebenwerden, als durchaus problematisch anzusehen. Denndies betrifft einen Kernbereich der Verhandlungen, dienun geführt werden müssen. Eine vorherige öffentlicheFestlegung ist für die Erzielung eines im Interesse desdeutschen Steuerzahlers liegenden optimierten Ergebnis-ses eher schwieriger denn nützlich.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen, bitte.

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Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich kann Sie nur da-

rin unterstützen, dass es nicht besonders sinnvoll ist, un-terschiedliche Aussagen – besonders vor dem Hinter-grund, dass es heute Abend zu diesem Thema einGipfeltreffen geben wird; bekanntlich hat die Bundesre-gierung dazu mehrere Gipfeltreffen abgehalten – zu denVerhandlungen zu machen. Könnten Sie vielleicht an Ih-ren Minister die Bitte von mir und auch anderen Abge-ordneten herantragen, dass man nicht von Insolvenzenreden sollte, während man von anderen Übernahmean-gebote und Konzepte verlangt? Denn solche Äußerun-gen lösen in der Öffentlichkeit Verunsicherung und Ver-ängstigung aus, vor allen Dingen bei den Beschäftigten.

Ich möchte etwas zu den Bedingungen nachfragen.Laut Presseberichten hat der Ministerpräsident von Nord-rhein-Westfalen, Herr Rüttgers, erklärt, es sei bei denVerhandlungen klar, dass man einem Konzept, das denAbbau von Arbeitsplätzen in Bochum in Nordrhein-Westfalen beinhalte und so keine Zukunft für Opel dortvorsehe, nicht zustimmen könne. Am vergangenen Sonn-tag gab es eine Konferenz der Vertrauensleute derIG Metall, auf der nochmals bestätigt wurde, dass dieNRW-Landesregierung und die Bundesregierung einemKonzept, das einen Abbau von mehreren Tausend Ar-beitsplätzen in Bochum vorsehe, ihre Zustimmung ver-weigern wollten.

Natürlich haben Sie bei den Verhandlungen wichtigerechtliche Voraussetzungen zu beachten. Ich möchte Siefragen: Hat die Bundesregierung in den Verhandlungenbisher die Position eingenommen, dass es keinen Ar-beitsplatzabbau geben solle?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Ihre Frage beinhaltet zwei Elemente. Das erste Ele-ment war, dass der Minister zu Guttenberg, der in dieserschwierigen Fragestellung bisher eine ganz hervorra-gende Arbeit geleistet hat,

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das kommt auf die Perspektive an!)

in schädlicher Weise von Insolvenz gesprochen habe. Ichhalte es für absolut zielführend, hilfreich und notwendig,bis zum Ende der Verhandlungen zwei Dinge festzuhal-ten:

Erstens. Kein Investor darf so behandelt werden, dasser meint, er müsse aufgeben und habe keine Chance.Zweitens. Es liegt im zentralen Interesse des deutschenSteuerzahlers und der Beschäftigten bei Opel, dass wirzur Findung der besten und am Ende auch bezahlbarstenLösung alle Investoren – am liebsten hätten wir noch deneinen oder anderen Investor zusätzlich – so lange wiemöglich in einem Bieterwettbewerb halten.

Das zweite Element in diesem Zusammenhang ist:Sie werden den Druck auf alle Beteiligten, die jetzt ihreLösungsvorschläge präsentieren, nur so lange aufrecht-erhalten und damit den höchstmöglichen Ertrag für dendeutschen Steuerzahler und Zukunftsfestigkeit für dieOpel-Beschäftigten erreichen können, wenn Sie eine In-

solvenz nicht einfach kategorisch ausschließen. In demFall würden Sie sich um eine Gestaltungsmöglichkeitbringen, die hilfreich sein kann, um ein besseres Ergeb-nis zu erzielen.

Deswegen halte ich es für ausgesprochen sinnvoll,hilfreich und konstruktiv, auch in dieser Phase zu sagen:Ja, eine geordnete Insolvenz ist auch eine Lösung, dieunsere Rechtsordnung in solchen Fällen vorsieht. – Nurso erreichen wir den bestmöglichen Verhandlungserfolg.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Ich habe immer gelernt: Wenn man etwas verkaufen

und einen privaten Investor finden möchte, dann verkün-det man nicht sofort, dass man eine Insolvenz in Be-tracht zieht.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Insolvenz heißt doch nicht Zerschlagung!)

Normalerweise geht man anders vor, um Interessentenzu gewinnen. Das, was Sie für konstruktiv, sinnvoll undhilfreich halten, kommt bei den Opelanern in meinemWahlkreis ganz anders an. Diese sind eher verunsichertund sagen: Das Gerede über die Insolvenz kann man ge-rade in dieser Zeit absolut nicht gebrauchen.

Ich möchte gerne auf die neuesten Meldungen einge-hen, dass nach dem heutigen Beschluss des Aufsichtsra-tes der US-Autokonzern General Motors die Werke, diePatente und sämtliche Rechte an Technologien von GMEurope an Opel übertragen hat.

Ich möchte Sie nach dem derzeitigen Stand der De-batte über das Treuhandmodell fragen, weil es in denvergangenen Wochen mehrere Vorschläge von den Opel-Händlern, von den Bundesländern mit Opel-Standortenund auch von den Vertretern der Beschäftigten gab, dasUnternehmen durch Staatsbeteiligungen zu retten, soferndie für die Fortführung des Unternehmens erforderlichenPatente, die Rechte und die Technologie an Opel abge-geben werden.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Soweit ich in dieser hochkritischen Situation der Ver-handlungen überhaupt noch etwas Weitergehendes sagenkann, will ich darauf hinweisen, dass für die Bundesre-gierung und erst recht für den Bundeswirtschaftsministereine staatliche Beteiligung der Bundesrepublik, wie sieein solches Modell vorsieht, nicht infrage kommt. Wirsind zufrieden, dass wir mit dieser Grundkonstruktionimmerhin eine Situation erreicht haben, die vor vier Mo-naten noch undenkbar gewesen wäre, dass wir nämlichjetzt drei, möglicherweise sogar vier ernsthafte, seriöseBewerber haben, die bereit sind, die industrielle Führer-schaft und die industrielle Verantwortung zu überneh-men und sich an dem noch zu findenden Konstrukt, ei-nem neuen Unternehmen deutschen oder europäischenZuschnitts, zu beteiligen, sodass im Moment die Forde-rung nach Verstaatlichung eher zurückstehen kann. Dass

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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte

Sie aus Ihrer Programmatik heraus generell für Staatsbe-teiligungen sind, ist klar, aber das kann nicht unser Ratsein in dieser schwierigen Situation.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Mitarbeiter-beteiligung! Sie haben doch nur Geld für dieBanken! Sie haben nur Geld für die Reichen!Nur für die Reichen!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Schneider, bitte.

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, Letzteres möchte ich zunächst

einmal zurückweisen. Primäres Ziel sollte – das gilt hof-fentlich für alle Fraktionen in diesem Hause – der Erhaltvon möglichst vielen Arbeitsplätzen sein. Ich erlaubemir, noch einmal nachzufragen – Frau Dağdelen hatteSie eben ausdrücklich danach gefragt, und Sie habenkeine Antwort auf die Frage gegeben –, inwieweit in Ih-ren Überlegungen die Frage eine Rolle spielt, ob und inwelchem Umfang Stellen abgebaut werden, und insbe-sondere, welche Bedeutung verschiedene Konzepte ha-ben, die ausschließlich im Zusammenhang mit Bochumdiskutiert worden sind.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Sie haben recht; diese Frage habe ich vorhin nicht be-antwortet. Ich hole das gerne nach und bedanke mich,dass Sie mir Gelegenheit dazu geben.

Für uns ist natürlich der Erhalt von Arbeitsplätzen einganz zentrales Beurteilungskriterium. Aber genausowichtig ist die Frage nach der Zukunftsfähigkeit desdann gefundenen Zuschnitts. Zum gegenwärtigen Zeit-punkt sagen alle Investoren, eine Rettung von Opel seiohne eine Veränderung in der Beschäftigungsintensitätnicht möglich. Eine solche Veränderung wäre übrigensauch bei einer Staatsbeteiligung sehr wahrscheinlich un-vermeidlich.

Die Frage ist, wie viele Arbeitsplätze wo und mit wel-cher Begründung abgebaut werden. Auch die Betriebs-räte sehen, dass es ohne Arbeitsplatzabbau keine Lösunggeben kann. Das wissen die Belegschaften. Da ein vor-läufiges Angebot vorliegt – vorläufig, es ist ja alles nochnicht endgültig –, das zu einem ganz erheblichen, wiewir sagen: deutlich überproportionalen, Arbeitsplatzab-bau in Bochum führen würde, ist zu diesem Punkt einekonkrete Nachverhandlung erforderlich, die noch nichtabgeschlossen ist. Bei der Rettung des Opel-Konzernswerden also europaweit und auch in Deutschland einigeArbeitsplätze abgebaut werden müssen. Ein anderes Mo-dell gibt es nicht, von keinem der Beteiligten.

Natürlich werden wir, sobald wir in diesem Zusam-menhang nach der Bereitstellung von öffentlichen Mit-teln gefragt werden, auch Wert darauf legen, dass dieseArbeitsplatzveränderung – so will ich es einmal nennen– sachgerecht, fair und sozialverträglich im Rahmen dervorhandenen Möglichkeiten abläuft. Ganz werden wirsie nicht verhindern können.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Schäfer, bitte.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Noch eine Nach-

frage, Herr Staatssekretär. Mich würde interessieren: In-wieweit sind der Gesamtbetriebsrat und die Betriebsrätean den einzelnen Standorten an den Verhandlungen kon-kret beteiligt? Wird auf ihren Rat gehört? Inwieweit sindsie in dieses Verfahren involviert?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Ich bin ganz sicher, dass der sehr engagiert und sehrumsichtig arbeitende Gesamtbetriebsratsvorsitzende, vondem man manches Mal den Eindruck hatte, er sei derje-nige, der am meisten von der Führung, den Notwendig-keiten und den Problemen dieses Unternehmens wisse,involviert ist. Inwieweit das schon zu diesem Zeitpunktdes Verfahrens für Betriebsräte der einzelnen Standortezutrifft, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ich kann nur noch einmal sagen: Alle Investoren ge-hen von einem erheblichen Kapazitätsabbau und damitArbeitsplatzabbau aus. Im Gespräch ist eine Größenord-nung von etwa 10 000 Arbeitsplätzen. Das ist aber nichtneu. Ich hoffe, dass es uns gelingt, dass es – das ist un-sere Zielvorgabe – weniger als 10 000 Arbeitsplätzewerden. Es gibt Anhaltspunkte, dass das gelingen kann.Ich hoffe natürlich, dass in Deutschland deutlich weni-ger Arbeitsplätze abgebaut werden. Wenn Sie darübermit Belegschaftsmitgliedern sprechen, sehen Sie, dassallen Beteiligten klar ist: In diesem Prozess geht es umeine gerechte Verteilung der Belastungen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Winfried

Nachtwei auf:Trifft es zu, dass – wie der Spiegel am 18. Mai 2009 be-

richtet – die Bundesregierung die Lieferung von modernenKampfpanzern des Typs Leopard 2 an das Emirat Katar ge-nehmigt hat, und, wenn ja, wie begründet die Bundesregie-rung die Entscheidung, Kriegswaffen in Staaten außerhalb derNATO und EU und in die Krisen- und Spannungsregion zuliefern?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Herr Kollege Nachtwei, die Bundesregierung übt beider Kontrolle von Rüstungsexporten eine verantwor-tungsvolle Politik aus. Entscheidungen werden im jewei-ligen Einzelfall nach einer sorgfältigen Prüfung unterBerücksichtigung aller vorliegenden Umstände getrof-fen. Grundlage dafür sind die Politischen Grundsätze derBundesregierung aus dem Jahr 2000 – Sie werden sichvielleicht daran erinnern –

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

und der Verhaltenskodex der Europäischen Union vom8. Juni 1998 bzw. der entsprechende Gemeinsame Stand-punkt, der am 8. Dezember 2008 durch den Rat verab-schiedet wurde.

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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte

Die Bundesregierung hat über eine mögliche Liefe-rung von Leopard-2-Panzern an das Emirat Katar auf derGrundlage der Politischen Grundsätze aus dem Jahr2000 entschieden. Die Verhandlungen im Bundessicher-heitsrat unterliegen bekanntlich der Geheimhaltung.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, aus Ihrer Antwort, die Bundesre-

gierung habe „auf der Grundlage von …“ entschieden,schließe ich, dass sie positiv entschieden hat.

Jetzt meine Zusatzfrage. Sie haben die Rüstungs-exportrichtlinien angesprochen. In den Rüstungsexport-richtlinien aus dem Jahr 2000 steht, dass Rüstungs-exporte an sogenannte sonstige Staaten – an Staatenaußerhalb von NATO, EU und an nicht gleichgestellteLänder wie zum Beispiel Neuseeland und Australien –grundsätzlich nicht genehmigt werden,

es sei denn, dass … besondere außen- und sicherheits-politische Interessen der Bundesrepublik Deutsch-land unter Berücksichtigung der Bündnisinteressenfür eine … Genehmigung sprechen.

Meine konkrete Frage: Welche erheblichen außen-und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepu-blik Deutschland und des Bündnisses sprechen für denExport von Leopard-2-Panzern nach Katar?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Herr Nachtwei, Sie haben in Ihrer ersten Einlassungerklärt, dass Sie aufgrund meiner Antwort davon ausgin-gen, dass diese Rüstungsexporte genehmigt seien. Diesist eine Annahme Ihrerseits, die ich weder bestätige nochverneine.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das erfahren wir dann in anderthalbJahren im Rüstungsexportbericht!)

Sie sind nicht berechtigt, mich so zu interpretieren, alshätte ich sagen wollen: Dieser Vorgang ist positiv ent-schieden.

Damit erübrigen sich auch die weiteren Fragen. Dennansonsten würde ich mich spekulativ über einen Vorgangäußern – außerdem müsste ich Gründe nennen, die dafürsprechen –, von dem ich sagen muss: Ich kann ihn nichtbestätigen und werde ihn nicht dementieren.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte, wie es in diesem Hohen Hause üblich ist,

die sicherheitspolitischen Implikationen eines möglichenExportes ansprechen. Immerhin – Angehörige meinerAltersgruppe erinnern sich daran – hat die Bundesrepu-blik in den 70er- und 80er-Jahren einen Beitrag zur mili-tärischen Ausstattung des Irans und des Iraks geleistet.

Heute wissen wir – im SIPRI-Bericht wurde dies voreinigen Wochen wieder einmal deutlich –, dass der Naheund Mittlere Osten die Weltregion ist, in die die meistenRüstungsexporte gehen. Hinzu kommt, dass Katar, auchwenn die Situation dort zurzeit relativ stabil ist, Kon-flikte mit Nachbarstaaten hat. Meine Frage: Könnten dieSpannungen und Aufrüstungsprozesse in dieser Regiondurch einen möglichen Rüstungsexport nach Katar, undzwar unabhängig von diesem konkreten Fall, nicht be-fördert werden?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Herr Nachtwei, ich verstehe Ihre Sorgen. Wir nehmendiese Ihre Sorgen sehr ernst. Die Richtlinien sind nichtdeswegen so gut, weil sie zur Zeit der Regierungsbeteili-gung der Grünen formuliert worden sind. Vielmehr be-achten wir sie auch aus eigenem Antrieb.

Ich kann nur sagen: Nach den Politischen Grundsät-zen der Bundesregierung werden Kriegswaffenexportein Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen ver-wickelt sind oder in denen solche drohen bzw. in denenbestehende Spannungen und Konflikte durch den Exportausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden, nichtgenehmigt. Die Bundesregierung beachtet diese Grund-sätze bei ihren Einzelentscheidungen stets.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Schäfer, bitte.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Danke. – Herr Kollege Schauerte, sehen Sie denn eine

Situation der Bedrohung für Katar, mit der eine Liefe-rung des Leopard 2 begründet werden könnte? Bestehtalso Ihrer Meinung nach eine akute militärische Bedro-hung?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Herr Kollege, es gibt keine Regelung, die besagt, dasswir zu beurteilen haben, ob sich ein Land bedroht fühltoder nicht. Wir definieren unsere Rüstungsexporte imRahmen unserer Richtlinien aufgrund unserer eigenenBeurteilung und unseres eigenen Interesses. Deswegenist es politisch ausgesprochen problematisch – ja, eswäre sogar fehlerhaft –, öffentlich zu spekulieren, obund von wem Katar bedroht sein könnte. Wenn wir un-sere Rüstungsexportgeschäfte auf diese Art und Weiseabwickeln und über alle Länder der Welt ein Zeugnisaussprechen wollten, ob und von wem sie bedroht seinkönnten, werden wir uns über kurz oder lang in heftigs-ten außenpolitischen Turbulenzen befinden. Wir ent-scheiden nach unseren Richtlinien, und diese Entschei-dungen nehmen wir sehr ernst.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Winfried

Nachtwei auf:Trifft es zu, dass die Bundesregierung mit Vertretern der

pakistanischen Regierung und der pakistanischen StreitkräfteGespräche über deutsche Rüstungslieferungen in die Krisen-

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

und Kriegsregion führt und auch die Ausfuhr von hochmoder-nen U-Booten und anderen Kriegswaffen noch immer in Er-wägung gezogen wird?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Die Antwort lautet: Bei Treffen der Bundesregierungmit Vertretern der pakistanischen Regierung und der pa-kistanischen Streitkräfte kommen regelmäßig auch Fra-gen der nationalen und regionalen Sicherheit zur Spra-che. Dabei hat die pakistanische Seite auch Interesse andeutschen Rüstungslieferungen nach Pakistan signalisiert.Über etwaige Anträge deutscher Firmen auf Ausfuhrge-nehmigung entscheidet die Bundesregierung jeweils imEinzelfall auf der Grundlage der Politischen Grundsätze,die ich bereits erwähnt habe.

Im Rahmen der Antwort auf die Große Anfrage mitdem Titel „Rüstungsexporte an Pakistan“, Bundestags-drucksache 16/7969 vom 4. Februar 2008, hat die Bun-desregierung ausführlich zu einem möglichen U-Boot-Geschäft mit Pakistan Stellung genommen. – Dabeimöchte ich es zunächst einmal bewenden lassen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfragen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Financial Times Deutschland hat am 20. Mai

dieses Jahres berichtet, dass von Pakistan deutscheRüstungsgüter wie Dingo, Hubschrauber, Aufklärungs-systeme und Nachtsichtgeräte gewünscht werden. Inwie-weit beabsichtigt die Bundesregierung, diesen Export-anfragen nachzukommen?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Dies sind Spekulationen in der Financial TimesDeutschland vom 20. Mai 2009. Wie Sie wissen, werdensolche Spekulationen und Fragestellungen in dem zu-ständigen Gremium behandelt und nicht öffentlich de-battiert.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meines Wissens gilt die Financial Times Deutschland

ja wohl als ein einigermaßen seriöses und wenig speku-latives Blatt.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Ja.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe noch eine zweite Frage vor dem Hinter-

grund, dass ich als Mitglied des Verteidigungsausschus-ses mit zuständig für die Parlamentsarmee Bundeswehrbin, dort eine ganz andere Transparenz erfahre und im-mer wieder erschüttert darüber bin, wie die Bundes-regierung in Sachen Rüstungsexporte mit dem Parlamentumgeht. Ich kann mich jetzt auf die Vergangenheit be-ziehen, die wenigstens im Rüstungsexportbericht mehr

als ein Jahr später offengelegt wird, sodass wir das we-nigstens nachträglich kommentieren können.

Ich habe dem Rüstungsexportbericht von 2007 ent-nommen, dass in 2007 der Export von deutschen Kriegs-waffen und Rüstungsgütern im Wert von ungefähr164 Millionen Euro an Pakistan genehmigt wurde. Imselben Zeitraum erhielt Pakistan aus der BundesrepublikMittel der Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von20 Millionen Euro. Wir alle wissen, wie die Verhältnissein Pakistan sind und wie krass dort die Unterentwicklungist.

Meine Frage ist folgende: Ist diese Relation, dieseskrasse Missverhältnis, mit Ihrem Anspruch einer weit-sichtigen Friedens- und Sicherheitspolitik vereinbar, wiesie von Ihrem Kollegen, Staatsminister Erler, in seinemvorzüglichen Buch Mission Weltfrieden überzeugenddargestellt worden ist?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Ja, das ist vereinbar, und die Entscheidungen sind ingroßer Verantwortung getroffen worden. Zu solchen Ent-scheidungen führen nicht Motive, die nur einen Punktberühren. Sie wissen, dass es sehr viele komplizierte Zu-sammenhänge gibt, und es wird auch nicht immer nur imengen Sinne national entschieden, sondern hin und wie-der werden die Entscheidungen auch in gemeinsamerVerantwortung mit befreundeten Nationen und im Bünd-nis getroffen.

Ich gehe davon aus, dass es diese Kombination, wo-nach im Hinblick auf die vermeintlichen und tatsächli-chen Sicherheitsbedürfnisse dieser Länder miteinanderGeschäfte gemacht werden und gleichzeitig Entwick-lungshilfe für andere Zwecke, also unmittelbar an dieMenschen gerichtet, geleistet wird, häufiger gibt, als dasdurch Ihre auf diesen Punkt zugespitzte Frage gezeigtwird. Dieses Verfahren gibt es nicht nur in Bezug auf dieRüstung.

Ich will ein anderes Beispiel erwähnen: Das große,starke China erhält noch immer Entwicklungshilfe vonDeutschland. Auch hier kann man Fragen stellen. Hiermüssen aber sehr unterschiedliche Ebenen berücksich-tigt werden. Insoweit kommt es zu solchen Parallelent-scheidungen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Schäfer, bitte.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, ich habe verstanden, dass Sie zu

den konkret anhängigen möglichen Lieferungen – zumBeispiel von U-Booten und dem Panzerfahrzeug Dingo –nichts sagen wollen. Es handelt sich allerdings nicht nurum Spekulationen der Financial Times Deutschland.Neulich war der pakistanische Verteidigungsminister mitkonkreten Ansinnen und Wünschen in Berlin.

Meine Frage lautet: Ist nach Ihrer Auffassung unterstrikter Beachtung der Grundsätze aus dem Jahr 2000 an

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Paul Schäfer (Köln)

umfangreiche Waffenlieferungen an Pakistan zu denken,oder ist das aus Ihrer Sicht a priori auszuschließen?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Ich muss mich entschuldigen. Ich habe Ihre Fragenicht richtig verstanden. Können Sie sie bitte wieder-holen?

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Kann an intensive Waffengeschäfte mit Pakistan ge-

dacht werden, wenn man die Politischen Grundsätze ausdem Jahr 2000 strikt beachtet – Sie kennen die darinfestgehaltenen Kriterien –, oder schließen sich solcheGeschäfte dann kategorisch aus?

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Damit sind wir wieder im spekulativen Bereich. Es tutmir leid, dass ich keine andere Antwort geben kann.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Das Verhältnis zu Pakistan kann man doch bewerten.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Nein, nicht öffentlich. Es ist ja ein theoretischer Vor-gang, und die Bundesregierung bewertet nicht öffentlichdie Frage, ob nach den Grundsätzen eine Lieferung nachPakistan erfolgen kann. Das würde zu außenpolitischenIrritationen und Erklärungsnotwendigkeiten führen. Da-mit würden wir niemandem helfen. Wir berichten in dervorgesehenen Art und Weise über erfolgte Rüstungs-geschäfte. Es ist zwischen Parlament und Regierung ver-abredet, dass das nach Ablauf eines Jahres geschieht,und das wird ohne Zweifel korrekt erfolgen. Währendder Vorverhandlungen sind weitergehende Kommentie-rungen und Bewertungen schädlich für alle Beteiligten,egal wie die Entscheidung ausgeht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.

Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortungder Fragen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Arbeit und Soziales auf. Die Fragen 31 und 32des Kollegen Markus Kurth, die Fragen 33 und 34 derKollegin Elke Reinke sowie die Fragen 35 und 36 derKollegin Cornelia Hirsch und die Fragen 37 und 38 derKollegin Dr. Martina Bunge werden schriftlich beant-wortet.

Ich rufe deshalb den Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungauf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamenta-rische Staatssekretär Kasparick zur Verfügung.

Die Frage 39 des Kollegen Dr. Erwin Lotter wirdschriftlich beantwortet.

Deshalb rufe ich die Frage 40 des Kollegen RainderSteenblock auf:

Inwieweit wird sich die Bundesregierung an eventuell an-fallenden Kosten einer von etlichen schleswig-holsteinischenOstseebädern geforderten und von der Deutschen Bahn AGbereits in Aussicht gestellten Ertüchtigung der bestehendenTrasse oder einer kompletten Neutrassierung der Schienenhin-terlandanbindung einer festen Querung über den Fehmarnbelt,wegen welcher die Kieler Landesregierung nach Aussagenvom Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Wirt-schaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein, Jost deJager, bereits in Verhandlungen mit dem Bundesminister fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee,stehe, beteiligen, und welche Auswirkungen hätte eine solcheErtüchtigung bzw. Neutrassierung nach Ansicht der Bundes-regierung auf die Kosten der deutschen Hinterlandanbindungaller Voraussicht nach insgesamt?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Lieber Kollege Steenblock, herzlichen Dank für IhreFrage zur Fehmarnbelt-Querung. Ich rufe kurz in Erin-nerung, dass wir 2007 ein Memorandum of Understan-ding mit den Dänen unterzeichnet haben. 2008 habenwir einen Staatsvertrag unterschrieben. Im Sommer 2008hat die DB AG als Eigentümerin der Schieneninfrastruk-tur den Auftrag für die Vorplanung vergeben. Wie Siewissen, hat der Bund die Rolle des Finanziers. Denn dieDB AG ist seit 1995 für Vorplanung, Durchführung undAusschreibungen bis hin zu Abrechnungen zuständig.

Jetzt geht es an der Strecke darum, dass in der Vorpla-nung geprüft werden muss, welche Varianten für dieHinterlandanbindung in dem Sinne zielführend sind,dass die Haushalte – insbesondere der Bundeshaushalt –nicht über Gebühr belastet werden. Wie Sie wissen, istvereinbart worden, dass die Brücke selbst von den Dä-nen finanziert wird und wir nur für den in Deutschlandliegenden Teil – also die Hinterlandanbindung – zustän-dig sind.

In Bezug auf die Vorzugsvarianten, die zurzeit geprüftwerden, muss man nach den Geboten der Wirtschaftlich-keit und Sparsamkeit handeln. Wir müssen gleichzeitigdie Belange von Umweltschutz und Lärmschutz beach-ten. Jetzt liegt ein erstes Zwischenergebnis vor, das auchder Landesregierung in Schleswig-Holstein und den be-troffenen Regionen vorgestellt worden ist. Dieses Zwi-schenergebnis besagt, dass wir bis auf einige Ausnah-men mit der bestehenden Trasse arbeiten können.

Zur Vorplanung gehört – das ist ein normales Verfah-ren bei großen Projekten –, dass man Varianten verglei-chen, also Alternativen untersuchen muss. Im Rahmenvon Planfeststellungen muss mit Einwänden und gege-benenfalls daraus folgenden Klagen gerechnet werden.Deswegen müssen im Vorfeld eines Planfeststellungs-verfahrens Trassenvarianten geprüft werden. Um demRechnung zu tragen, wird im Rahmen der Planungsstu-die auch eine autobahnparallele Trassenführung im Be-reich Lübecker Bucht untersucht.

Zu den Kosten der Varianten können wir im Momentnoch nichts sagen, da die Untersuchungen noch nicht ab-geschlossen sind. Wir rechnen damit, dass wir diesbe-züglich Ende des Jahres etwas klarer sehen. Insgesamtgilt natürlich das Bundesschienenwegeausbaugesetz.Von daher liegen der Finanzierung der Investition klareRegelungen zugrunde.

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage? – Bitte schön.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Bei der Beantwor-

tung der Frage ist mir nicht ganz klar geworden, wie dieTrassenentscheidung tatsächlich aussieht. Sie haben ge-sagt, wahrscheinlich könne man, vielleicht von einigenAusnahmen abgesehen, die bisherige Trasse nutzen. Siewissen sicherlich, dass es in der Region eine sehr um-fangreiche Diskussion darüber gibt, dass die autobahn-parallele Trasse aus Tourismusgründen die geeigneterewäre. Sie haben gesagt, Sie untersuchten das, die beste-hende Trasse sei jedoch die geeignetere. Sie können abernichts über die Kosten der Varianten sagen. So habe ichSie jetzt verstanden.

Nun entscheiden wir wahrscheinlich in der nächstenWoche über den Staatsvertrag. Halten Sie es nicht füreine schwierige Situation für die Abgeordneten desDeutschen Bundestages, wenn sie über einen Vertragentscheiden müssen und die damit verbundenen Kostenüberhaupt nicht kennen?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Nein, das ist nicht der Punkt. Der Staatsvertrag regeltdie Gesamtkosten und deren Aufteilung zwischen Däne-mark und Deutschland. Insofern ist darüber nicht zu ent-scheiden.

Im Moment werden die Varianten untersucht, übri-gens nicht vom Bund, sondern von der Deutschen Bahn.Wenn diese Untersuchung abgeschlossen ist, kann maneine Aussage darüber treffen, welche Kosten die auto-bahnparallele Trasse und der Ausbau der bestehendenTrasse, abgesehen von wenigen Ausnahmen, verursa-chen. Das alles muss im Rahmen des Staatsvertrages lie-gen; das ist völlig klar. Man kann jetzt nicht zu Variantenkommen, die den Rahmen sprengen, die der Staatsver-trag vorgibt. Aber wir müssen die Untersuchung abwar-ten, bevor wir sie bewerten können.

Neben dem Tourismus lassen sich natürlich auch Na-turschutz- und Lärmschutzaspekte geltend machen. Dasin Deutschland geltende Planfeststellungsverfahren siehtvor, dass alle Interessen, die mit einem großen Baupro-jekt verbunden sind, miteinander abgeglichen werdenmüssen. Dazu gehören auch touristische Belange.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Nachfrage? – Bitte.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, dieser Staatsvertrag hängt selbst-

verständlich mit den Kosten zusammen; denn in diesemVertrag verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutsch-land, die Kosten für die Hinterlandanbindung zu tragen.Diese Kosten sind anscheinend nicht zu quantifizieren.Für uns Abgeordnete wäre es aber sehr interessant, zuwissen, worüber wir eigentlich abstimmen; denn dieVerwendung der Steuermittel, die die Bürgerinnen undBürger in erheblichem Umfang zahlen müssen, liegt in

unserer Verantwortung. Deshalb frage ich noch einmalnach den Kosten.

Der Bundesrechnungshof hat gerade ein neues Gut-achten veröffentlicht – Sie kennen es –, in dem er davonausgeht, dass die konventionelle Variante, also nicht dieautobahnparallele Neutrassierung der Bahnstrecke,wenn man die normalen Kostensteigerungen berücksich-tigt, 1,7 Milliarden Euro kosten werde. Meine Frage:Haben Sie in etwa eine Vorstellung davon – ohne dasjetzt auf die letzte Zahl hinter dem Komma zu quantifi-zieren –, was eine Trassenverlegung kosten würde?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Ich muss es noch einmal sagen, damit es klar wird:Wir folgen den Annahmen des Bundesrechnungshofs imjetzigen Planungsstadium nicht; denn sie sind hoch spe-kulativ. Wir brauchen, wenn man das genau bewertenwill, eine gewisse Planungstiefe; wir brauchen die Er-gebnisse. Wir rechnen im Sommer dieses Jahres damit.

Klar ist aber: Der Rahmen des Staatsvertrages darfnicht verletzt werden. Die Hauptbaulast trägt Dänemark.Wir sind für die Hinterlandanbindung zuständig. DiePflicht der Bundesregierung ist, die kostengünstigste Va-riante zu wählen. Wir können nicht eine Variante wäh-len, die den Bund in Zeiten knapper Ressourcen überGebühr belastet. Sie können sicher sein, dass wir daraufsehr achten werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zu Frage 41 des Kollegen Steenblock:

Ist der Bund unter bestimmten Bedingungen bereit, einenTeil der eventuell für Querungsbauwerke im Zuge der Schie-nenhinterlandanbindung einer festen Querung über den Feh-marnbelt anfallenden Kosten, die nach dem Eisenbahnkreu-zungsgesetz die Kommunen zu tragen hätten, zu übernehmen,und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Bitte, Herr Staatssekretär.

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Grundlage ist § 13 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes.Danach trägt der Bund ein Drittel. Mehr ist mitArt. 104 a Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, eine Nachfrage.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzlichen Dank für diese klare Antwort. Das heißt,

dass Verhandlungen nur über Trassen und nicht überKosten für den Bund anstehen.

Weil bei der Finanzierung der Trassen Mittel für dieTranseuropäischen Netze, TEN, immer eingerechnetwerden, stellt sich mir folgende Frage: Ursprünglich istdieses Projekt, was die Schienenstrecken angeht, alsHochgeschwindigkeitstrasse, die von Kopenhagen bisnach Bremen oder nach Hannover führt und an dieHochgeschwindigkeitsnetze in Deutschland angebun-den wird, bei der Europäischen Union beantragt. Die

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Rainder Steenblock

konkreten Planungen sehen nun nur noch ein Regional-streckenniveau und zum Teil einen eingleisigen Betriebmit einer maximalen Geschwindigkeit von 160 km/hvor. Das hat nichts mehr mit einer Hochgeschwindig-keitstrasse zu tun. Der BUND hat am Montag eine Klagedagegen in Brüssel eingereicht, da nach seiner Auffas-sung die Voraussetzungen für die Gewährung der TEN-Mittel gar nicht mehr gewährleistet sind. Wie beurteiltdie Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass mit denSteuergeldern, wie Sie selber gesagt haben, verantwor-tungsvoll umgegangen werden muss, die Möglichkeit,dass die eingeplanten EU-Mittel gar nicht mehr zur Ver-fügung stehen, weil eine ganz andere Trasse, als bei derEU beantragt, gebaut wird?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Sie werden verstehen, dass ich keine Stellungnahmezu einem Vorgang abgebe, bei dem kürzlich eine Klageeingereicht wurde. Nur so viel: Unsere Grundlage sinddas Memorandum of Understanding, der Staatsvertrag,und das, was mit den Dänen verabredet ist. Wir wolleneine kombinierte Straßen-Schienen-Verbindung mit ei-ner zweigleisigen, elektrifizierten Eisenbahnstrecke undeiner vierstreifigen Straße. Das Ziel ist die Eröffnung imJahr 2018. Bis dahin soll die bestehende Strecke so aus-gebaut werden, dass 160 km/h erreicht werden können.Die Öresund-Brücke selbst soll eingleisig bleiben. Dassind die verabredeten Vorhaben.

Sie wissen sicherlich, wie es sich mit Großprojektenverhält. Wir sind erst bei den Vorplanungen. Wir habendie erste Tranche in Höhe von 14,8 Millionen Euro andie Deutsche Bahn ausgereicht, damit man mit den Vor-planungen im Juni 2008 beginnen konnte. Wenn die Vor-planungen und das Planfeststellungsverfahren, in dasalle Interessen einfließen, die zu berücksichtigen sind,abgeschlossen sind und wenn man zu einem baurechtlichrelevanten Beschluss kommt, dann schaut man sich dieFinanzierung noch einmal genau an. Dann ist zum Bei-spiel der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundesta-ges zu beteiligen. Insofern sehe ich der Klage des BUNDmit großer Gelassenheit entgegen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Nachfrage.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine letzte Nachfrage, Herr Staatssekretär, weil Sie

das gerade angesprochen haben. Natürlich sind wir inder Planungsphase. Aber finden Sie nicht Planungenaberwitzig – Sie kennen die Region –, wonach für denZubringer vom Festland zur Insel eine eingleisige Bahn-strecke und eine zweispurige Autostraße bzw. Autobrü-cke vorgesehen sind – viele deutsche und ausländischeTouristen besuchen die Insel; die existierende Brücke istsehr stark befahren –, während auf der viel weniger be-fahrenen Strecke von der Insel nach Dänemark eine vier-spurige Autobahn und eine zweigleisige, elektrifizierteEisenbahnstrecke gebaut werden sollen? Wie kann mandem deutschen Steuerzahler erklären, dass der vielbefah-rene Zubringer eingleisig bzw. zweispurig, die Strecke

nach Dänemark aber zweigleisig bzw. vierspurig für7 Milliarden Euro, die hauptsächlich die Dänen tragen,gebaut wird?

Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:

Wir befinden uns jetzt in der Vorplanung, das heißtdie Deutsche Bahn AG; die eigentlichen Planungen ha-ben noch gar nicht begonnen. In diesem Rahmen werdenverschiedene Varianten untersucht, unter anderem unterKostengesichtspunkten. Die Ergebnisse werden wir imHerbst dieses Jahres haben. Erst dann werden wir ent-scheiden können.

Die Frage, die Brücke eingleisig zu führen und denZubringer breiter zu bauen, ist nicht zuletzt eine Frageder Finanzierungslasten.

(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Man sollte erst dann entscheiden,wenn man das weiß!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es tut mir leid, Herr Kollege Steenblock, Ihr Frage-

recht ist ausgeschöpft.

Die Frage 42 der Kollegin Gitta Connemann und dieFragen 43 und 44 des Kollegen Dr. Ilja Seifert sollenschriftlich beantwortet werden. Vielen Dank, HerrStaatssekretär.

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswär-tigen Amts. Zur Beantwortung der Fragen steht derStaatsminister Dr. Gernot Erler zur Verfügung.

Die Frage 45 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmannund die Fragen 46 und 47 der Kollegin Ute Koczy sollenebenfalls schriftlich beantwortet werden.

Wir kommen zur Frage 48 der Kollegin Dağdelen:Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um

die Einhaltung und Umsetzung der von Mexiko akzeptiertenVerpflichtungen gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat zuüberprüfen, bei denen es um die Implementierung effektivererSicherheitsmaßnahmen für die Menschenrechtsverteidigergeht, damit zukünftige Angriffe gegen Menschenrechtsvertei-diger verhindert werden und in Fällen von Ermordung, Dro-hung und Angriffen gegenüber Menschenrechtsverteidigernstrafrechtlich ermittelt wird und die Täter bestraft werden, so-wie Mexiko darin zu unterstützen, die Empfehlungen durchkonkrete und effektive Aktionen umzusetzen?

Bitte schön, Herr Staatsminister.

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti-gen Amt:

Mexiko hat im Februar 2009 in der vierten Sitzungdes UPR-Verfahrens, also des universellen periodischenStaatenüberprüfungsverfahrens, vor dem Menschen-rechtsrat der Vereinten Nationen in Genf seinen nationa-len Menschenrechtsbericht vorgestellt und sich den Fra-gen und abgegebenen Empfehlungen der Mitglieder desUN-Menschenrechtsrats konstruktiv und aufgeschlos-sen gestellt. Hierbei wurden von Deutschland und ande-ren Mitgliedern des UN-Menschenrechtsrats Fragen ins-besondere zu der schwierigen und häufig gefährdetenSituation von Menschenrechtsverteidigern gestellt. Die

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Staatsminister Dr. h. c. Gernot Erler

mexikanische Regierung wurde aufgefordert, die Aktivi-täten von Menschenrechtsverteidigern besser zu schüt-zen.

Im Anschluss an diese Sitzung wurden gegenüberMexiko wie gegenüber allen anderen Ländern, die demUPR-Verfahren unterliegen, Empfehlungen abgegeben,in denen auch die Situation von Menschenrechtsverteidi-gern ausdrücklich erwähnt ist. Gegenüber EU-Vertreternhat die mexikanische Regierung im März 2009 angege-ben, 83 der abgegebenen 91 Empfehlungen zu akzeptie-ren und in acht Fällen, bei denen eine gesetzliche Umset-zung wegen der Komplexität eine eingehendere Prüfungerfordert, einen Vorbehalt einzulegen. Es liegen keineInformationen vor, ob die Empfehlungen zu Menschen-rechtsverteidigern uneingeschränkt angenommen wer-den. Die mexikanische Regierung zeigte sich jedoch beidiesem Gespräch, auch zu diesem Thema offen. Im Rah-men des UPR-Verfahrens haben die Länder die Gelegen-heit, noch einmal gegenüber dem Menschenrechtsrat derVereinten Nationen Stellung zu nehmen, ob sie die Emp-fehlungen annehmen oder zurückweisen. Diese Ausspra-che wird für Mexiko im Juni während der elften Sitzungdes Menschenrechtsrats stattfinden. Hierbei wird sichMexiko auch zu den Empfehlungen zu den in Mexiko tä-tigen Menschenrechtsverteidigern äußern.

Menschenrechtsfragen, insbesondere die Lage derMenschenrechtsverteidiger, sind Gegenstand des intensi-ven bilateralen Dialogs der Bundesregierung mit Me-xiko. Auf europäischer Ebene hat sich die Bundesregie-rung dafür eingesetzt, dass ein verstärkter strukturierterMenschenrechtsdialog mit Mexiko im Rahmen der stra-tegischen Partnerschaft zwischen der EuropäischenUnion und Mexiko begonnen wird. Menschenrechtsfra-gen waren bislang schon Gegenstand des auf Grundlagedes EU-Globalabkommens mit Mexiko geführten politi-schen Dialogs.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ich möchte gerade

auch vor dem Hintergrund der Gespräche nachfragen,die ich als stellvertretende Vorsitzende der deutsch-me-xikanischen Parlamentarier- und Parlamentarierinnen-gruppe mit pbi und den Menschenrechtsverteidigerinnenund Menschenrechtsverteidigern vor Ort in Mexikoführe.

Von den acht Empfehlungen, die im Rahmen desPrüfverfahrens vor dem UN-Menschenrechtsrat formu-liert wurden und die Mexiko noch nicht akzeptiert hat,beziehen sich fünf auf die Anwendung der Militärge-richtsbarkeit, also Fuero Militar, und zwar auf Fälle, indenen militärisches Personal wegen Menschenrechtsver-letzungen gegen Zivilisten angezeigt wurde, wobei dieErmittlungen der Militärgerichtsbarkeit in derartigenFällen stets zu Straflosigkeit führen. Meine Frage – dieIhnen zugeschickte Frage haben Sie, mit Verlaub, HerrStaatsminister, nicht besonders gut beantwortet – lautet:Was gedenkt die Bundesregierung im Hinblick auf die

gegenüber Mexiko erhobene Forderung zu tun – nebenden Gesprächen, die ohnehin kontinuierlich geführt wer-den –, vom Militär begangene Menschenrechtsverlet-zungen, besonders die Fälle von Folter, erniedrigenderund grausamer Behandlung, vor zivilen Gerichten zuverhandeln, auch wenn die Soldaten die Menschen-rechtsverletzungen im Einsatz begangen haben? Ichkann auch fragen: Wie will die Bundesregierung im Falleiner Annahme Mexiko darin unterstützen, die Empfeh-lungen durch konkrete und auch effektive Maßnahmenumzusetzen?

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti-gen Amt:

Frau Kollegin Dağdelen, ich hatte schon ausgeführt,dass das UPR-Verfahren noch nicht abgeschlossen ist,sodass durchaus die Möglichkeit besteht, in der nächstenAussprache mit Mexiko auf diese Empfehlungen zu-rückzukommen, auch auf die acht, die von Mexiko imAugenblick noch nicht akzeptiert werden.

Ich habe zudem ausführlich dargelegt, dass wir auchbilaterale Möglichkeiten und den verstärkten strukturel-len Menschenrechtsdialog mit Mexiko regelmäßig nut-zen, um Fragen im Zusammenhang mit den Menschen-rechtsverteidigern und ihrer Behandlung in Mexikoanzusprechen. Ich kann noch anfügen, dass unsere Bot-schaft vor Ort in Mexiko sich regelmäßig mit diesen Fra-gen beschäftigt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Nachfrage.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Eine Vorbemerkung

und eine Vorvorbemerkung. Die Vorvorbemerkung: Inmeinem Namen wird das „g“ nicht gesprochen, wie dasder Herr Präsident richtigerweise macht. Herr Erler, wirhaben doch schon seit ein paar Jahren in den Fragestun-den miteinander zu tun!

Die Vorbemerkung: Natürlich wird es im Juni wegendes UPR-Verfahrens noch eine Zusammenkunft geben.Deshalb frage ich schon jetzt: Was gedenkt die Bundes-regierung zu tun? Mit welcher Position geht sie da hin-ein? Sie geht ja nicht ohne Position, ohne Vorüberlegun-gen in ein solches Gespräch in Genf.

Jetzt zu meiner zweiten Nachfrage. Die jüngste Ver-fassungsreform in Mexiko enthält viele positive As-pekte. So soll etwa in die Verfassung aufgenommen wer-den, dass die Unschuldsvermutung gilt. Leider enthältsie aber nur eine vage Definition des organisierten Ver-brechens, welche mit der UN-Konvention, also der Kon-vention von Palermo, nicht übereinstimmt. Das betrifftzum Beispiel die Arraigo, eine Form der Präventions-und Untersuchungshaft, die einen willkürlichen Charak-ter hat. Wie gedenkt die Bundesregierung mit der wäh-rend der Sitzung vor dem UN-Menschenrechtsrat be-kräftigten Verpflichtung Mexikos, die Menschenrechteeinzuhalten und die nationalen Gesetze und Regelungenan die internationalen Abkommen anzugleichen, in denbilateralen Beziehungen umzugehen, wenn Mexiko eine

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Harmonisierung an die internationalen Abkommen inden Fällen des organisierten Verbrechens und der Ar-raigo ablehnt?

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti-gen Amt:

Frau Dağdelen – ich hoffe, dass ich das „g“ jetzt end-gültig unhörbar gemacht habe –,

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Su-per! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Gehtdoch!)

natürlich müssen wir den zweiten Auftritt Mexikos inGenf abwarten, weil wir erst dann genau wissen werden,wie Mexiko die Tatsache erklärt, dass es Vorbehalte ge-gen acht der Empfehlungen hat. Sie haben korrekter-weise dargestellt, dass es dabei überwiegend um dieMenschenrechtsverteidiger geht.

Neben den Möglichkeiten, die ich schon aufgezeigthabe – bilaterale und multilaterale Gelegenheiten, etwaEU-Mexiko-Dialog –, steht uns nur noch das Aufgreifenvon Einzelfällen offen, um deutlich zu machen, was un-sere Position ist. Ich erinnere daran, dass das vor einigerZeit geschehen ist. Sie sind sicherlich über das tragischeSchicksal der indigenen MenschenrechtsverteidigerManuel Ponce Rosas und Raúl Lucas Lucía informiert,die am 20. Februar verschleppt worden sind. Hierzu hates nicht nur eine scharfe Verurteilung durch die EU-Prä-sidentschaft gegeben, sondern am 16. April auch eineReise von ständigen Vertretern aus EU-Ländern in dieProvinz Guerrero – wir haben daran teilgenommen –,mit dem Ziel, sich vor Ort sehr deutlich zu diesem Fallzu äußern und darauf zu drängen, dass eine Aufklärungstattfindet. Das sind die Möglichkeiten, die wir haben, indem Sinne tätig zu werden, wie Sie es hier angesprochenhaben und ganz offensichtlich auch wünschen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Frage 49 des Abgeordneten Volker Beck und die

Frage 50 des Abgeordneten Wilhelm Josef Sebastiansollen wiederum schriftlich beantwortet werden.

Ich rufe als letzte Frage der Fragestunde die Frage 51des Kollegen Manuel Sarrazin auf:

Trifft es zu, dass Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel be-reits sondiert hat, ob Friedrich Merz der nächste deutsche EU-Kommissar werden wird?

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti-gen Amt:

Herr Kollege Sarrazin, der Europäische Rat ist im De-zember 2008 übereingekommen, dass der Prozess derErnennung der künftigen Kommission, insbesondere dieBenennung ihres Präsidenten, unverzüglich nach denWahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 ein-geleitet wird. Gemäß der annotierten Tagesordnungstrebt der tschechische EU-Vorsitz an, beim Europäi-schen Rat am 18./19. Juni 2009 Einvernehmen über dieDesignierung des künftigen Kommissionspräsidenten zuerzielen. Beschlüsse zu den übrigen Kommissaren ste-hen derzeit nicht an.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage? – Bitte schön.

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,

nun ist es ja so, dass im deutschen Blätterwald HerrMerz vonseiten der CDU für ein entsprechendes Amt insSpiel gebracht und nach Einschätzung der CDU-Seite– ich weiß nicht, ob sich das auch auf die Kriterien, diedie Verträge beinhalten, bezieht – als kompetenter Kan-didat auserkoren wurde. Kann ich aus Ihrer Aussageschließen, dass sich die Bundesregierung derzeit nichtdamit befasst, ihren Vorschlag für die Vorschlagsliste,die an den Präsidenten der Kommission, so er denn fest-steht, zur Auswahl zu übermitteln ist, zu unterbreiten?

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti-gen Amt:

Ja, das schließen Sie richtig, Herr Kollege Sarrazin.Ich habe hier nicht zufällig noch einmal das verabredeteVerfahren angesprochen. Sie wissen ja, dass sich dieBundesregierung in EU-Angelegenheiten immer ganzbesonders verfahrenstreu verhält. Das ist auch hier derFall.

Was Sie jetzt ansprechen, ist eine völlig andere Sache.Ich kann natürlich nur bestätigen, dass es schon entspre-chende Pressemeldungen gibt. Ich muss aber fairerweisesagen, auf Parteienebene gibt es nicht nur bei der CDU,sondern auch bei der SPD Diskussionen über Persona-lien. Diese Diskussionen sind aber nicht identisch mit ei-ner offiziellen Sondierung – danach hatten Sie konkretgefragt –, ob jemand bereit wäre, zukünftig das Amt ei-nes EU-Kommissars zu übernehmen. Eine solche findetnicht statt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Nachfrage? – Bitte.

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. – Jetzt lässt sich vermuten, ob der Vor-

schlag der SPD dem der CDU gleichwertig ist. Es gibtaber einen Unterschied: Die CDU/CSU – das ist Ihnenvielleicht bekannt – hat in ihrem gemeinsamen Wahlauf-ruf geschrieben, dass abhängig von dem Ergebnis derEuropawahlen die Person des deutschen Kommissars be-nannt werden sollte. Ich denke, dass Ihnen als Vertreterder Bundesregierung keine Anzeichen dafür vorliegen,dass die Europawahlen schon gelaufen sind, obwohlmanche CDU-Vertreter ja so tun. Auch die CDU weißnatürlich, dass die Europawahlen noch bevorstehen.

Ich möchte nun aber die Bundesregierung fragen, obsie Anzeichen dafür hat, dass die Person Angela Merkel,also die Bundeskanzlerin, in irgendeiner Form involviertwar und es Rücksprache mit ihr gab, welcher Vorschlagvonseiten der CDU in der Öffentlichkeit benannt werdenwürde.

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti-gen Amt:

Nein, solche Anzeichen liegen uns nicht vor.

Sevim DaðdelenSevim Dağdelen

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Staatsminister Dr. h. c. Gernot Erler

Ich habe gesagt: Wir haben gemeinsam ein Verfahrenverabredet. Wir werden uns an dieses Verfahren halten.Nur in dem Fall, dass es doch schon vorher eine Verstän-digung zwischen den beiden Koalitionspartnern übereinen deutschen Kandidaten gibt, würden wir davonabweichen. Ansonsten halten wir uns an den vorgezeich-neten Fahrplan. Wir werden uns darüber verständigen,wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Es gibt aber derzeitnoch keine Beratungen oder Beschlüsse über Personen,die als EU-Kommissare infrage kämen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank, Herr Staatsminister.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amEnde der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis15.35 Uhr. Wir setzen die Sitzung mit dem Zusatzpunkt„Aktuelle Stunde“ fort.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 15.24 bis 15.35 Uhr)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sit-

zung wieder.

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion der FDP

Haltung der Bundesregierung zu den kriti-schen Äußerungen von EU-KommissarGünter Verheugen über die Bankenaufsicht inDeutschland

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Dr. Jürgen Koppelin von derFDP.

(Beifall bei der FDP)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

einigen Tagen sagte der EU-Kommissar Verheugen in ei-nem Interview mit der Süddeutschen Zeitung:

Deutschland war Weltmeister in riskanten Bankge-schäften. Nirgendwo auf der Welt … haben sichBanken mit größerer Bereitschaft in unkalkulier-bare Risiken gestürzt, allen voran die Landesban-ken. Das hat jetzt dramatische Folgen für den deut-schen Steuerzahler. … In der Kommission wird dieRolle der deutschen Finanzaufsicht kritisch beur-teilt.

Leider hat Günter Verheugen recht. Das haben auchwir als Freie Demokraten gesagt. Es ist gut, dass eineähnliche Stimme auch einmal aus einem anderen politi-schen Lager kommt.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Der war doch früher mal bei euch!)

– Das ist doch lange her. Da waren auch Sie woanders.

(Heiterkeit bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Das können Sie ja nachher ausführen.

Günter Verheugen hat vielleicht mehr Detailkennt-nisse; denn er kennt seine SPD-Pappenheimer natürlichviel besser, als wir sie kennen. Dazu, dass Sie jetzt aufIhren Wahlplakaten schreiben: „Finanzhaie würden FDPwählen“ – das können Sie gerne machen; man bekommtsogar viel Sympathie dafür –, kann ich nur sagen: DieserHai auf dem Plakat hat viele Zähne. Nun fangen wir ein-mal in dieser Aktuellen Stunde an, diesem Hai die Zähnezu ziehen.

(Beifall bei der FDP)

2002 hat die FDP gefordert, die Bankenaufsicht untereinheitliche Kontrolle der Bundesbank zu stellen. RatenSie einmal, was Sie als Sozialdemokraten gemacht ha-ben: Sie haben es abgelehnt. Wir haben gefordert, dassdie KfW unter die Bankenaufsicht gestellt wird. Was ha-ben die Sozialdemokraten gemacht? Sie haben dies ab-gelehnt.

(Rainer Brüderle [FDP]: Unglaublich!)

Stattdessen sind Sie – damals noch unter Hans Eichel alsFinanzminister – über die KfW bei der IKB-Bank einge-stiegen. Das war eine Riesenpleite zum Schaden desdeutschen Steuerzahlers. Anschließend wurde sie – aufVorschlag der Sozialdemokraten – an eine sogenannteHeuschrecke verkauft, wie Herr Müntefering sagenwürde.

Wir haben Ihnen immer gesagt: Es ist nicht Aufgabeeiner staatlichen Förderbank, sich an Risikogeschäftenzu beteiligen. Wo haben Sie gebremst? Sie sind seit elfJahren in der Verantwortung. Es ist null geschehen. Siewaren nicht da.

(Rainer Brüderle [FDP]: So ist es!)

Im Zusammenhang mit der Hypo Real Estate hat dieBundesbank erhebliche Mängel festgestellt. Entspre-chende Berichte gingen an das Bundesfinanzministe-rium. Wo landeten sie? In der Ablage. Nichts ist gesche-hen. Da fragt man sich doch: Was ist denn da los? Mankann nur immer wieder sagen: Verheugen hat recht.

Wo waren denn die SPD-Finanzminister Lafontaine,Eichel und Steinbrück, wenn es darum ging, die deut-sche Bankenaufsicht zu stärken? Fehlanzeige über Fehl-anzeige! Sie waren nicht da. Insofern hat Verheugenrecht. Sie hatten in den letzten elf Jahren überhaupt keinInteresse, die deutsche Bankenaufsicht zu stärken.

(Beifall bei der FDP)

Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel; Kollege Rundewird sich an diesem Beispiel sicher erfreuen. Nehmenwir die HSH Nordbank. Die Schwierigkeiten sind all-gemein bekannt; aufgrund der knappen Redezeit will ichdas nicht weiter ausführen. Kollege Runde – auch Siewaren in der Verantwortung; Sie waren Regierungschefin Hamburg –, Sie werden der deutschen Bevölkerungsagen müssen, wie es dazu kam, dass von der HSHNordbank 20 Tochterfirmen in der Karibik, in Steuer-

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Dr. h. c. Jürgen Koppelin

oasen, gegründet wurden. Den Kunden der HSH Nord-bank wurde empfohlen, das Geld in die Karibik hinüber-zuschaufeln.

(Ortwin Runde [SPD]: Nicht zu meiner Zeit!)

Wann hat die Gründung dieser Unternehmen – insge-samt waren es 160 Beteiligungen der HSH Nordbank –stattgefunden? Ich habe nicht recherchiert, ob Sie da-mals im Amt waren.

(Ortwin Runde [SPD]: Nein, da war ich nicht im Amt!)

Das werden Sie uns erklären können.

Eines weiß ich: Der damalige Finanzminister desLandes Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, Sozialdemo-krat, saß im Aufsichtsrat. Heute ist er SPD-Chef inSchleswig-Holstein. Wo sind denn die Herrschaften ge-wesen? Warum haben sie in ihrer Amtszeit nicht aufge-passt und gesagt: „Es kommt überhaupt nicht infrage,dass in der Karibik von der HSH Nordbank Firmenbetei-ligungen übernommen werden und dass ihr euer Gelddahin verlagert“? Null ist geschehen. Da sind die Sozial-demokraten abgetaucht. Herzliche Grüße an Ihren Fi-nanzhai!

(Beifall bei der FDP)

Das hätten Sie stoppen können. Sie haben doch die Mög-lichkeit dazu gehabt. Nicht Freie Demokraten saßen inden Aufsichtsgremien – das kann ich Ihnen sagen –, son-dern Sie. Sozialdemokraten haben in allen Aufsichtsrä-ten gesessen, aber sie haben nichts getan, was die Ban-kenaufsicht anbelangt.

Deswegen hat Herr Verheugen recht: „Deutschlandwar Weltmeister in riskanten Bankgeschäften.“ Leider– das muss man sagen – saßen viele Sozialdemokraten inden Aufsichtsgremien und haben nichts getan. Sie habendie Banken diese Geschäfte machen lassen. Das warenkeine von der FDP, sondern Sozialdemokraten.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde, man muss dem EU-Kommissar Verheugenfür seine deutlichen und klaren Worte wirklich dankbarsein. Wir haben die heutige Aktuelle Stunde auch bean-tragt, um zu kritisieren, dass der BundesfinanzministerHerrn Verheugen öffentlich in unangemessener Weise– entschuldigen Sie diesen harten Ausdruck – angemis-tet hat. So geht man nicht miteinander um. Man musssich mit Kritik beschäftigen; aber dieser Finanzministerist ja nicht in der Lage, sich mit Kritik zu beschäftigen.Er ist nur in der Lage, verbal auszuteilen. Das ist dochdas Problem.

Zu Ihrem Plakat sage ich: Ich weiß nicht, was Finanz-haie wählen. Eines aber weiß ich: Finanzhaie haben sichin den letzten elf Jahren bei den Sozialdemokraten sehrwohl gefühlt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Gunther Krichbaum von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Si-

cherlich hätte ich mir vor einiger Zeit auch nicht träumenlassen, dass ich als Christdemokrat eines Tages zwischenSozialdemokraten vermitteln muss.

Doch zunächst zu Ihren Äußerungen, Herr Koppelin.Sinn und Zweck der heutigen Aktuellen Stunde, die Sieangestoßen haben, haben sich mir nicht ohne Weitereserschlossen.

(Lachen des Abg. Ortwin Runde [SPD])

Nach Ihrem Redebeitrag weiß ich aber sehr wohl, dasses Ihnen im Kern nur darum geht, den HRE-Unter-suchungsausschuss etwas zu promoten, dem aus IhrerSicht bislang offenbar die mediale Aufmerksamkeitfehlt. Dem soll offenbar auch diese Veranstaltung heutedienen.

Es ist doch so: Wir haben in Deutschland und Europanicht zu wenig Aufsicht. Wir haben Aufsichtsräte, dieBaFin, die Bundesbank, die EZB und Ratingagenturen.Die Vergangenheit hat aber sicherlich gezeigt, dass wirdie Zahnräder besser ineinandergreifen lassen müssen.Das heißt, dass die Aufsicht effizienter werden muss, alssie bislang war. Zu sehr hat sich in der Vergangenheit dereine auf den anderen verlassen.

Herr Koppelin, Sie haben die Repräsentanz in denAufsichtsräten beschrieben. Bitte sehr, da sitzen wirdoch alle in einem Boot. Deswegen dürfen Sie der Voll-ständigkeit halber ruhig erwähnen, dass bei der BayernLB ein Herr Zeil von der FDP im Aufsichtsrat sitzt,

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Seit kurzem erst!)

dass bei der Landesbank Baden-Württemberg Justiz-minister Goll im Aufsichtsrat sitzt, dass bei der Landes-bank Hessen-Thüringen Herr Dieter Posch von der FDPim Aufsichtsrat sitzt.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das gibt es doch gar nicht! – Weitere Zurufe von der FDP)

Bitte sehr, diese Liste ließe sich fortschreiben. An dieserStelle kann ich nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, solltedie großen Steine lieber in der Hosentasche lassen, alsdamit um sich zu werfen.

(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Er sitzt erst seit wenigen Wochen da!)

Vielmehr geht es doch um Folgendes. Sie haben einenBlick auf die Historie geworfen. Man muss auch hier derWahrheit die Ehre geben. In der Vergangenheit war esgerade Finanzminister Eichel – das muss man zu seinerEhrenrettung sagen –, der darauf hingewiesen hat, dasswir ein Mehr an Aufsicht brauchen. Die Wahrheit andieser Stelle ist, dass er in der Vergangenheit an demWiderstand unserer angelsächsischen Freunde, unserer

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Gunther Krichbaum

britischen Partner, und unserer Partner in den USA ge-scheitert ist. Das ist doch die Wahrheit.

An dieser Stelle muss man darauf hinweisen, dass voreinem Jahr ein Brief Furore gemacht hat, in dem auf ge-nau diese Umstände hingewiesen wurde. Er wurde inden Zeitungen abgedruckt. Dort hieß es: Finanzmärktedürfen uns nicht regieren; wir brauchen eine bessere undeffizientere Aufsicht. Das war ein Brief von politischenPersönlichkeiten aus ganz Europa, der Furore gemachthat und an Aktualität mit Sicherheit nichts eingebüßt hat.Wie gesagt, es ist über ein Jahr her. Von daher kann manauch hier auf Herrn Verheugen verweisen. Ihm hätte essicherlich gut zu Gesicht gestanden, dieses Schriftstückwieder herauszuziehen. Dann hätte er gesehen, dassdiese Punkte in Deutschland sehr wohl beachtet wurden.

Nein, es gibt in der Tat Forderungen für die Zukunft.Deswegen muss der Blick an dieser Stelle nach vornegerichtet sein. Wir brauchen ein höheres Maß an Effi-zienz in der Aufsicht. Gerade das muss auch in Deutsch-land verbessert werden. Deswegen plädieren wir seitensder CDU/CSU-Fraktion dafür, dass wir die Kompeten-zen von Bundesbank und BaFin in diesem Bereich zu-sammenlegen, um eine bessere und wirksamere Banken-aufsicht zu erreichen. Die Kompetenzen müssen einStück weit mehr auf die Bundesbank verlegt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen ein europäisches Ratingsystem. Auchdas wird von unserer Fraktion ausdrücklich begrüßt. Ge-nerell muss sich gerade im Sinne der Verbraucher mehrTransparenz auf dem Markt ergeben. Wir brauchen einenTÜV für Finanzmarktprodukte. Die Verbraucher müssensich darauf verlassen können, dass sie wissen, was sietatsächlich einkaufen, gerade dann, wenn es sich wie beiFinanzprodukten um unsichtbare Waren handelt.

Wir sollten anstreben – wenngleich das dem künfti-gen Kommissionspräsidenten vorbehalten bleibt –, eineneigenen Kommissar für diesen Bereich einzusetzen. Dasheißt, in der Struktur der Europäischen Kommissionmuss ein Kommissar für die Finanzmarktaufsicht undfür die Regulierung vorgesehen sein. Wir müssen aufdem Weg der G 20 weitergehen. Gerade jetzt, da das Ei-sen heiß ist, sollten wir durchsetzen, dass die Standards,die wir schon immer seitens Deutschlands durchsetzenwollten, internationale Standards werden. Wir solltenunsere amerikanischen und britischen Freunde jetzt da-von überzeugen.

Ich denke, wenn wir das beherzigen – auch ausgehendvon der heutigen Mitteilung der Kommission in diesemZusammenhang; meine Redezeit erlaubt es mir nichtmehr, mich dazu zu äußern –, sind wir auf einem sehrguten Weg. Aber der Blick muss bei alledem nach vorngerichtet sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch

von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ich denke, es gibt keinen Zweifeldaran, dass die Bankenaufsicht in Deutschland komplettversagt hat. Aber es gibt auch keinen Zweifel daran, dassdie Bundesregierung dafür die Verantwortung überneh-men müsste. Leider tut sie das nicht. Wäre es nicht ander Zeit, dass die Bundesregierung öffentlich ihr Versa-gen eingesteht und personelle und strukturelle Schluss-folgerungen zieht?

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre die Voraussetzung für einen Neuanfang in derBankenaufsicht.

Doch wir erleben das nicht und auch keinen Neuan-fang. Im Gegenteil: Die Aufklärer der Bankenkrise wer-den mit allen Mitteln behindert. Herr Sanio, der Chef derBankenaufsicht, hat vor ein paar Tagen erklärt, dass erwegen der vielen Arbeit, die seine Behörde mit dem Un-tersuchungsausschuss des Bundestages habe, teilweisedie Bankenaufsicht einstelle. Das ist doch wirklich einSkandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Mann, der bisher alle Bankenkrisen verschlafenhat und immer erst dann reagiert, wenn die Banken kurzvor dem Bankrott stehen, will nun das Parlament erpres-sen und unter Druck setzen? Das dürfen wir uns nichtgefallen lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es kommt mir fast so vor, als wäre Herr Sanio mittler-weile der Mehdorn der Bankenaufsicht. Es ist unerträg-lich, dass die Bundesregierung solche personifiziertenSicherheitsrisiken weiter herumwurschteln lässt.

Doch nicht nur die Bankenaufsicht hat versagt. Vor al-lem das Finanzministerium hat seine Kontrollfunktionnicht wahrgenommen. Jeder Lidl-Supermarkt in Deutsch-land wird stärker kontrolliert als die Banken. Wie wir wis-sen, ist alles noch viel schlimmer. Es fehlte nicht nur einegute Kontrolle der Banken, sondern die Bundesregierungselbst hat sinnvolle Kontrollen beseitigt und den Weg fürdie Finanzkrise mit freigemacht. Ich darf aus dem Koali-tionsvertrag von CDU, CSU und SPD zitieren. Darinheißt es:

Die Mindestanforderungen der BaFin

– also der Finanzdienstleistungsaufsicht –

an das Risikomanagement der Banken … sollenschlank ausgestaltet werden.

„Schlank“ ist in diesem Zusammenhang ein anderesWort für „kastriert“.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Allerdings hätte auch eine kastrierte Bankenaufsicht we-nigstens im Vorfeld der Bankenkrise laut aufschreienkönnen. Doch dazu fehlte ihr der Mut. – Ich merke, ei-nige der Herren fühlen sich direkt angesprochen.

Die Regierung versucht, durch blinden Aktionismusvon ihrem Versagen abzulenken. Früher wurden vor denWahlen jeden Tag Autobahnabschnitte eingeweiht. Heute

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Dr. Gesine Lötzsch

wird jeden Tag eine marode Bank gerettet. Doch waskommt nach den Wahlen?

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der Sozialis-mus kommt dann!)

Dann kommt der Katzenjammer. Denn wer soll die Mil-liarden bezahlen, die für die Rettung der Banken ausge-geben wurden? Ich bin mir sicher: CDU, CSU und SPDbereiten die nächste Wahllüge vor. Heute heißt es ausdem Regierungslager noch: Steuern senken – natürlichin erster Linie für Unternehmen. Doch nach der Bundes-tagswahl wird es wieder eine Anhebung der Mehrwert-steuer oder anderer Massensteuern geben. So war dasauch 2005; ich sage das voraus. Wir als Linke werdenuns dem entschieden entgegenstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung gibt nun vor, den Bankensektorstrenger regulieren zu wollen. Doch gegenwärtig erlebendie Menschen nur, dass die Bundesregierung Milliardenvon Euro in marode Banken steckt.

Eine kleine Gruppe von Politikern und Bankmana-gern entscheidet über die Vergabe von Milliarden vonEuro, ohne dass sie vom Bundestag wirksam kontrolliertwerden kann. Das ist wirklich ein unhaltbarer Zustand.

(Beifall bei der LINKEN)

Die FDP versucht mit dieser Aktuellen Stunde aller-dings den Eindruck zu erwecken, als ob die Schuld ander Bankenkrise allein bei der Bundesregierung liegenwürde. Doch das stimmt nicht ganz.

(Ortwin Runde [SPD]: „Nicht ganz“!)

Die Banken in unserem Land haben ein enormes Erpres-sungspotenzial. Ihre Lobbyisten sitzen nicht nur im Bun-destag, sondern auch in wissenschaftlichen Einrichtun-gen, in Zeitungs- und Fernsehredaktionen.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Gut, dass OskarLafontaine rechtzeitig aus dem Aufsichtsratraus ist!)

Wer die Banken kontrollieren will, der muss ihnen,meine Damen und Herren von der FDP, ihr Erpressungs-potenzial nehmen. Dazu müssen die systemrelevantenBanken in Deutschland verstaatlicht und demokratischkontrolliert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gibt es aus Sicht der Linken keine sinnvolle Alter-native.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentari-

sche Staatssekretär Karl Diller das Wort.

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesministerder Finanzen:

Meine Damen und Herren! Die bisherigen Debatten-beiträge der Opposition erinnern mich an den Anfang

meiner parlamentarischen Tätigkeit im Deutschen Bun-destag, als ich mich gefragt habe: Wozu dienen eigent-lich Aktuelle Stunden? Die Antwort, die mir damals einAltvorderer gegeben hat, war: Du musst in fünf Minutenmöglichst massiv die Regierung beschimpfen. – Nichtsanderes hat hier stattgefunden. Das war völlige Inhalts-leere. Sie haben lediglich die Regierung beschimpft.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das haben wir nicht gemacht!)

Deswegen möchte ich ein paar Fakten nennen. FrauDr. Lötzsch beklagt, dass wir die Banken nicht genügendbeaufsichtigt haben. Die ganze Zeit war die politischeDiskussion aber eine andere: Die Bundesregierung istaufgefordert worden, dafür zu sorgen, dass die Bankenin der Bundesrepublik Deutschland weniger stringent alsbisher beaufsichtigt werden, weil sich alle, von denVolksbanken und Raiffeisenbanken bis hin zu den Ge-schäftsbanken, über die Bankenaufsicht und ihre Strin-genz beklagt haben.

Im Übrigen, Frau Dr. Lötzsch, besteht die Bankenauf-sicht nicht nur aus der BaFin, sondern in erster Linie ausder Bundesbank; das haben Sie der Öffentlichkeit ver-schwiegen. Außerdem haben Sie verschwiegen, dasssich in jeder Sitzungswoche dieses Bundestages ein par-lamentarischer Ausschuss drei Stunden lang Zeit nimmt,um über die Kreditvergabe, die Garantievergabe und diestillen Einlagen an Banken zu beraten. Auch Ihre Frak-tion ist in diesem Ausschuss vertreten, hat das Wort undkann ihre Bedenken oder Anregungen vortragen.

Der Tagesordnungspunkt heißt: „Haltung der Bundes-regierung zu den kritischen Äußerungen von EU-Kom-missar Günter Verheugen über die Bankenaufsicht inDeutschland“. Ich darf für die Bundesregierung erklä-ren: Wir können diese Aussage des Herrn KollegenVerheugen nicht nachvollziehen.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ist das im Ka-binett abgestimmt?)

Die deutsche Bankenaufsicht bewegt sich mit den ihr zurVerfügung stehenden Instrumentarien voll und ganz imRahmen der europäischen Richtlinien. Wir haben die eu-ropäischen Richtlinien bezüglich der Bankenaufsichteins zu eins umgesetzt, was immer der politische Willeder Koalitionsfraktionen war.

Dass sich andere Aufsichtsbehörden in anderen Län-dern besser geschlagen haben, wird gern behauptet. Ichzitiere das von Herrn Verheugen genannte Beispiel:

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Italien!)

Andere Länder in Europa stehen besser mit ihrenBanken da. Italien zum Beispiel. Da gibt es keineSchrottpapiere!

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: DerMann hat keine Ahnung! – Leo Dautzenberg[CDU/CSU]: Wahrscheinlich nur von der Tos-kana aus gesehen!)

Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Den Mann kann man nur zurückziehen!)

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24520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 27. Mai 2009

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Parl. Staatssekretär Karl Diller

Denn Italien hat am 8. und 10. Oktober 2008 die rechtli-chen Grundlagen für staatliche Unterstützungsmaßnah-men geschaffen. Die Banca d’Italia und das dortige Fi-nanz- und Wirtschaftsministerium haben jetzt folgendeMöglichkeiten: die Rekapitalisierung von Banken durchErwerb von neu auszugebenden Aktien; Garantien fürBankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit von biszu fünf Jahren, befristet auf Emissionen bis Ende 2009;weitgehende Liquiditätsgarantien für italienische Ban-ken; Tausch oder Absicherung von nicht-EZB-fähigenWertpapieren, die von italienischen Banken gehaltenwerden, gegen Wertpapiere, die zur Beschaffung von Li-quidität bei der EZB hinterlegt werden können; Absiche-rung der Spareinlagen über die gesetzliche Einlagensi-cherung hinaus für einen Zeitraum von 36 Monaten.

Das sind handfeste Maßnahmen, die sich völlig im in-ternationalen Rahmen bewegen. Diese Maßnahmensprechen aber gegen die Behauptung, eine italienischeSuperaufsicht habe dort Probleme verhindert. Problemegab es offensichtlich; sonst hätte die italienische Regie-rung nicht zu solchen Maßnahmen gegriffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen ist das, was Verheugen mitgeteilt hat, frei er-funden und nicht nachzuvollziehen.

Gerade im Vergleich mit anderen Staaten, beispiels-weise Großbritannien und den USA, ist die staatlicheUnterstützung des Bankensektors in Deutschland bisherrelativ moderat. In den USA wurde unter anderem derInvestmentbankenstatus faktisch abgeschafft. Dort sindStaatshilfen für beinahe alle Großbanken notwendig.Eine erhebliche Zahl regionaler Bankinstitute musste be-reits geschlossen werden. In Großbritannien sind dieProbleme erheblich größer. Das zeigt sich an Pleiten di-verser Banken und daran, dass Staatshilfen für beinahealle Großbanken geleistet worden sind.

Gelegentlich wird in der Diskussion auch die Fragegestellt: Ist die spanische Aufsicht nicht besser als un-sere? Der Glanz des Beispiels Spanien ist allerdings inder Zwischenzeit durch Pleiten spanischer Banken sowiedurch offensichtlich generell und systematisch überzo-gene Bewertungen von Sicherheiten zur Erlangung vonHypothekenkrediten erheblich verblasst.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Immobilien-blase, ja!)

Die BaFin hat übrigens bei einer eingehenden Unter-suchung festgestellt, dass die spanische Aufsicht überdeutlich weitergehende Kompetenzen zur Regulierungdes Bankensektors verfügt als die BaFin selbst.

Damit auch die BaFin bessere Befugnisse hat, legtedie Bundesregierung kürzlich den Gesetzentwurf zurStärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsauf-sicht vor. Mithilfe des neuen Gesetzes sollen die Bankenzu einem sorgfältigeren Management ihrer Risiken ange-halten werden. Wir alle sind als Abgeordnete des Deut-schen Bundestages gefragt, der BaFin das notwendigeEingriffsinstrumentarium zu verschaffen und dabei nichtvor Kritik aus der Wirtschaft zurückzuschrecken.

Auch nicht zutreffend ist die Behauptung von HerrnVerheugen, dass Deutschland „Weltmeister in riskantenBankgeschäften“ sei. In Wahrheit entfallen auf die USA66 Prozent und auf Großbritannien 9 Prozent der Ver-luste von Banken. Erst dann folgen Deutschland mit6,7 Prozent und die Schweiz mit 6 Prozent.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das muss man doch mal in Rela-tion setzen!)

Heruntergebrochen auf einzelne Banken führen eindeu-tig amerikanische Banken das Feld der Verlustbringeran. Ganz vorne mit dabei ist übrigens die schweizerischeUBS. In der Mitte liegen britische und ganz am Schlussdeutsche Banken. Das ist wahrlich nicht schön, aberweltmeisterlich im negativen Sinne sind wir bestimmtnicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick

von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Debatte lässt mich ein bisschen sprachlos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

Alles ist richtig gelaufen. Wir haben alles richtig ge-macht. Alles ist gut. – Das kann es ja wohl nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Nach Auskunft der Bundesregierung haben wir beider IKB zu erwartende Verluste von 11 Milliarden Euro. –Alles ist richtig gelaufen. Bei der Sachsen LB sind Risi-ken in Höhe von 2,75 Milliarden Euro auf die Steuerzah-ler übertragen worden, was die dort über Jahre hinweggeleisteten Sanierungsbemühungen in kurzer Zeit zu-nichtemachen wird. – Alles ist gut gelaufen.

(Rainer Brüderle [FDP]: Alles wird gut!)

WestLB: Wir diskutieren darüber, ob nicht sogar ein-zelne Bundesländer ihre Tragfähigkeit überschritten ha-ben. Denken Sie an die Äußerung von Herrn Rüttgers,der sagte, das Land Nordrhein-Westfalen könne das beider WestLB vielleicht nicht mehr schultern. – Alles istrichtig gelaufen.

Ja lebe ich denn in einem anderen Land? Selbst HerrSanio gibt inzwischen zu, dass der Finanzaufsicht ein-zelne Fehleinschätzungen unterlaufen sind. Doch dieBundesregierung will das noch nicht erkannt haben. EinDesaster nach dem anderen ist herausgekommen. Ichglaube, es ist an der Zeit, endlich zuzugeben, dass Fehlergemacht worden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der FDP sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

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Dr. Gerhard Schick

Es wird, wenn Fehler zugegeben werden, gar nicht sosein, dass alle sagen: Um Gottes willen! – Im Grunde ge-nommen warten alle darauf, dass die Politik reagiert,sich nüchtern daranmacht, die Fehler aufzuarbeiten, undeine Kurskorrektur vornimmt. Dieses Kopf-in-den-Sand-Stecken muss endlich aufhören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Simone Violka [SPD]: Dafür hatten wir dieAnhörung!)

– Das Gesetz ist in der Anhörung nicht besonders gutweggekommen. Sie waren wohl nicht lange in der Anhö-rung dabei – jedenfalls habe ich Sie nicht gesehen –;deshalb will ich sagen: Die Experten hatten durchauskritische Anmerkungen.

Wenn Sie die Kritik von Herrn Verheugen nicht nach-vollziehen können, empfehle ich Ihnen, sich die Faktennoch einmal anzuschauen. Vielleicht ist „Weltmeister“der falsche Begriff. Entscheidend ist nicht, glaube ich,ob andere noch schlimmer waren, entscheidend ist auchnicht das Ranking, entscheidend ist vielmehr, zuzuge-ben, dass Fehler – auch in Deutschland – es den deut-schen Banken ermöglicht haben, in außerordentlich gro-ßem und selbst für unser Land sehr gefährlichemAusmaß Risikopapiere aufzukaufen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin[FDP])

Die Bankenaufsicht ist nicht in der Lage gewesen, das zuverhindern; das wissen wir inzwischen. Die FAZ schriebim Februar 2008:

Nur unter der Voraussetzung, „dass es grundsätzlichnie zu Marktstörungen kommt“, gehe die Strategieder sächsischen Landesbanker auf, warnte dieBaFin.

Es sei ferner schon im April 2005 klar gewesen, dass dasrichtig bitter werden könne. – Und dann kauft wenigeMonate später dieselbe Landesbank von dieser Art Pa-piere noch einmal nach und erhöht ihr Risiko. Die BaFinsitzt im Verwaltungsrat; aber nichts wird gebremst. Allesrichtig gelaufen? Wachen wir auf und geben wir zu: Hierist Korrekturbedarf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Ich dachte, wir seien weiter. Hat nicht in einem Be-richt im Finanzausschuss das BMF schon zugestanden,dass in Spanien in Bezug auf die Zweckgesellschaftenmanches besser gelaufen ist? Drei Anläufe hat es ge-braucht. Beim ersten Mal hieß es: Es kann gar nicht sein,dass die Spanier etwas anders gemacht haben. – Beimzweiten Mal hieß es: Nein, überhaupt nicht. – Erst beimdritten Nachhaken haben Sie es zugestanden. Jetzt fallenSie wieder dahinter zurück. Dabei wissen wir, dass esbesser gewesen wäre, wenn die Aufsicht bei den Zweck-gesellschaften knackiger zugegriffen hätte. Das hätteSchaden verhindert. Wir sollten uns das eingestehen undfür die Zukunft Regelungen treffen, die dafür sorgen,dass so etwas nicht mehr vorkommen kann. Das ist dieAufgabe, die es jetzt zu leisten gilt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das in den Wahlkampf zu ziehen und zu sagen: „Anallem sind nur die Sozialdemokraten schuld“, ist aberallzu billig, Herr Koppelin.

(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zustimmung beiAbgeordneten der SPD)

Sie wissen, dass die Reden von damals anders waren. Anvielen Stellen – denken Sie an die REITs-Gesetzgebung,denken Sie aber auch an andere Regulierungsfragen,zum Beispiel an die Regulierung der Hedgefonds, auchinternational; lassen Sie uns ruhig in die Protokolleschauen – haben die Freien Demokraten damals kriti-siert: zu viel Bürokratie, zu viel Regulierung, zu vielAufsicht.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da wart ihr auch ein bisschen schuld!)

Wir müssen ehrlich sein und in aller Ruhe schauen,was falsch gelaufen ist und wie man es korrigieren kann.Dafür ist der Untersuchungsausschuss wichtig, HerrKrichbaum.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sie können ja Herrn Verheugen als Gast einladen!)

Ich würde allen Parteien raten, sich an der Aufklärung indiesem Ausschuss zu beteiligen und dafür zu sorgen,dass so ein Desaster, in dieser Größenordnung, nie wie-der vorkommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Das ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, und zwarnicht nur der Opposition. Ich erwarte, dass die Koali-tionsfraktionen an der Aufklärungsarbeit mitwirken.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Dafür haben wir den Untersuchungsausschuss!)

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns in die-ser Lage, wo die Arbeitslosigkeit steigt, wo die Men-schen Angst um ihren Job haben, wo sie 30, 40 Prozentihrer privaten Altersvorsorge verloren haben, dass wirAufklärungsarbeit leisten, die Fehler analysieren undKonsequenzen daraus ziehen. Nach der heutigen Debattehabe ich allerdings den Eindruck, dass die Bereitschaftdazu noch nicht da ist; die wird aber nötig sein.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stundehat den Titel „Haltung der Bundesregierung zu den

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Leo Dautzenberg

kritischen Äußerungen von EU-Kommissar GünterVerheugen über die Bankenaufsicht in Deutschland“.Das Bundesfinanzministerium hat zu seinen Vorhaltun-gen eine Presseerklärung veröffentlicht – ich weiß nicht,ob sie die Haltung der gesamten Bundesregierung wider-spiegelt –, in der es heißt – ich zitiere –, Verheugen of-fenbare „eine überraschende Unkenntnis der Fakten-lage“. Außerdem empfahl man dem EU-Politiker – er istimmerhin EU-Kommissar –, die Rolle der „aggressivenDeregulierungspolitik“ der EU-Kommission und derenVerantwortung für den Ausbruch und die Folgen derFinanzkrise nicht zu vergessen.

(Jörg-Otto Spiller [SPD]: Richtig!)

Meine Damen und Herren, genauso überzogen, wiedie Kritik von Verheugen war, ist auch diese Entgegnungdes Bundesfinanzministeriums hinsichtlich der Fakten-lage.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ja, genau! Endlich sagt es mal einer!)

Es ist nämlich nicht so, dass eine „aggressive Deregulie-rungspolitik“ betrieben worden ist. Vielmehr wurden,auch von deutschen Interessen geprägt, im Rahmen derFinanzmarktgesetzgebung auf europäischer Ebene neueRegulierungen geschaffen, die später natürlich in natio-nales Recht umgesetzt werden sollten.

Da Herr Verheugen die Bankenaufsicht in Deutsch-land kritisiert hat, muss ich sagen: Als EU-Kommissarhätte er sich stärker dafür einsetzen können, dassBasel II in den Vereinigten Staaten von Amerika schnel-ler umgesetzt wird, als das bisher der Fall war. Bisher istBasel II in den Vereinigten Staaten nämlich noch nicht inallen Bereichen umgesetzt worden. Aus europäischerund unserer nationalen Sicht ist auch dies eine Verpflich-tung.

Meine Damen und Herren, heute geht es um dieFinanzaufsicht, vor allen Dingen um die Bankenaufsicht.Man sollte in diesem Zusammenhang keine vorschnellenSchlussfolgerungen ziehen. Man muss konstatieren: DieZusammenarbeit zwischen BaFin und Bundesbank beider Bewältigung der Finanzkrise, soweit sie deutscheFinanzinstitute betraf, war gut. Beide Institutionen unter-stützten unsere Anstrengungen im Rahmen des Finanz-marktstabilisierungsgesetzes und des -ergänzungs-gesetzes und haben auch ihre Unterstützung für dasdemnächst anstehende Finanzmarktstabilisierungsfort-entwicklungsgesetz signalisiert. Was die Systematik derMaßnahmen angeht, mussten wir kaum etwas ändern.Andere Länder hingegen, nicht zuletzt die USA undEngland, haben ihre Methoden zur Bewältigung derFinanzkrise mehrfach geändert und immer wieder Neuesversucht.

Jetzt geht es im Grunde darum, die Finanzmarktauf-sicht auf europäischer Ebene neu zu strukturieren. Hier-bei stehen sich zwei Modelle gegenüber. Einige – dieserWeg wird auch von den Großbanken befürwortet – wol-len eine zentralistische europäische Aufsicht.

(Ortwin Runde [SPD]: Ja! Das hätten die gerne!)

Das kann aber nicht unsere Vorstellung von Aufsichtsein. Von deutscher Seite wurde der Vorschlag gemacht,einen Leadsupervisor einzurichten. Das Land, in dem dieMuttergesellschaft eines Konzerns ihren Sitz hat, solltebei der Aufsicht die Führerschaft übernehmen und durchdie nationalen Aufsichten in den Ländern, in denen derKonzern außerdem vertreten ist, ergänzt werden. Beidesmuss zusammengeführt werden.

Stellen Sie sich einmal vor, in der Finanzkrise, in derwir uns gegenwärtig befinden, hätte es eine zentralisti-sche und noch nicht abgestimmte europäische Aufsichtgegeben. Wie hätte man die ordnungspolitischen Maß-nahmen national umsetzen wollen? Über welche Ebenenhätte dies in Deutschland geschehen sollen, wenn nichtnach wie vor über die nationalen Aufsichtsbehörden?

An dieser Stelle ist die Europäische Kommission ge-fordert, den Bestrebungen des Europäischen Parlamen-tes Rechnung zu tragen. Die Auffassungen, die dasEuropäische Parlament zum Thema Finanzaufsicht ver-tritt, entsprechen eher unseren Vorstellungen als diePositionen der Europäischen Kommission, die eher inzentralistischen Bahnen denkt. Eine zentralistische euro-päische Aufsicht ist nicht unsere Zielsetzung.

Man muss allerdings darüber nachdenken, ob wir alsAusfluss der Regelungen auf europäischer Ebene in Zu-kunft auch auf nationaler Ebene eine eindeutige Zustän-digkeit brauchen. Sollte die EZB auf europäischer Ebeneim Hinblick auf die Bankenaufsicht in Zukunft die zen-trale Rolle spielen, wäre es logisch, diesen Schritt aufnationaler Ebene nachzuvollziehen und die Bankenauf-sicht bei der Bundesbank, die bisher lediglich sinnvolleErgänzungen vorgenommen hat, anzusiedeln. Diese Pro-zesse werden in den nächsten zwei, drei Jahren stattfin-den.

Begleiten wir diesen Prozess konstruktiv und nichtmit gegenseitigen Vorwürfen. Ich glaube, dann sind wirfür den Finanzmarkt und die Bürger in Deutschland gutaufgestellt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach[CDU/CSU]: Endlich hat jemand gesprochen,der Ahnung hat!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Volker Wissing von

der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Volker Wissing (FDP): Besten Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Lieber Kollege Dautzenberg, es istkonstruktiv, wenn die Opposition im Deutschen Bundes-tag aufarbeitet, wo die Schwächen der deutschen Finanz-aufsicht liegen.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja, unbestritten!)

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Dr. Volker Wissing

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten das von diesemParlament, weil sich Gleiches nicht wiederholen darf.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. LeoDautzenberg [CDU/CSU] und WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben einen Finanzminister, der für das Ausland,wenn es also um andere Staaten geht, immer Ratschlägeparat hat. Den Engländern erklärt er, wie man Konjunk-turpakete macht, den Schweizern, Luxemburgern undLiechtensteinern gibt er Nachhilfestunden in SachenSteuerehrlichkeit, und über Ouagadougou macht er sichgerne lustig.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Und die Kavallerie!)

Wenn dann die kleinste Kritik gegen ihn selbst auf-kommt, gerät er außer Rand und Band. Er weist allesvon sich und lässt seinen Staatssekretär hier verkünden,die deutsche Finanzaufsicht, die einen Scherbenhaufenvor sich findet, ein Desaster, habe alles richtig gemacht.Das haben Sie hier ernsthaft erklärt. Das ist nicht dieWahrheit.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Günter Verheugen hat nicht ohne Grund gesagt, dassDeutschland Weltmeister in riskanten Bankgeschäftenwar. Er hat das auch nicht aus der Luft gegriffen, er hateinfach Fakten verglichen und festgestellt: Die Bankenanderer Länder halten weniger Giftpapiere als deutscheInstitute.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

Nach elf Jahren Bankenaufsicht in der Hand derSozialdemokraten erleben wir jetzt die größte Sozialisie-rung privater Spekulationsverluste, die die Bundesrepu-blik Deutschland je gekannt hat.

(Beifall bei der FDP)

Sie können hier nicht fragen, was das mit der SPD zu tunhat. Das hat sehr viel mit Ihnen zu tun. Man kann darausnämlich den Schluss ziehen, dass für alle, die sich an denprivaten Finanzmärkten verzockt haben, die SPD eineinziger Glücksfall ist.

Wie konnte es dazu kommen, dass es ausgerechnet inDeutschland so viele toxische Wertpapiere gibt? Dafürgibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat dieFinanzaufsicht davon nichts mitbekommen – dann ist sienicht fähig, die Finanzmärkte angemessen zu überwa-chen – oder aber sie hat, um die Worte von Verheugen zubenutzen, die Dinge einfach laufen lassen, was schlicht-weg unverantwortlich ist.

(Beifall bei der FDP – Dr. h. c. HansMichelbach [CDU/CSU]: Der Wissing sprichtjetzt für Regulierung!)

Herr Diller, Sie können sich jetzt aussuchen, welcheVariante Sie für Herrn Steinbrück lieber hätten. Feststeht aber: Es ist ein Versagen der Finanzaufsicht. Genaudas ist ein Versagen des Bundesministers der Finanzen.

(Beifall bei der FDP)

Es ist nämlich eine ureigene Aufgabe des Finanzminis-ters, für eine funktionsfähige Finanzaufsicht zu sorgen.Das hat Steinbrück nicht getan.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Leider wahr!)

Es gibt das Beispiel HRE. Bereits Anfang 2008 klin-gelten bei der Finanzaufsicht die Alarmglocken. Bereitsdamals wurden Liquiditätsberichte erst im Wochen- undspäter im Tagesrhythmus angefordert. Es wurde geprüftund auch berichtet, aber Peer Steinbrück hat nichts ge-tan. Obwohl die Alarmglocken bereits Anfang des Jah-res 2008 deutlich läuteten, dauerte es sage und schreibebis September 2008, ehe der Finanzminister das Läutenüberhaupt einmal als leises Klingeln wahrnahm.

Neun Monate sind in einer Finanzmarktkrise eineextrem lange Zeit, in der die Bundesregierung tatenloszugesehen hat, anstatt etwas zu unternehmen. Jetzt redenSie sich damit heraus, dass Sie sagen: Wir wussten An-fang des Jahres 2008 ja nicht, dass Lehman Brothersausgerechnet am 15. September 2008 in Insolvenz gerät.Sie behaupten, dass die Schieflage der Hypo Real Estateerst dadurch entstanden ist.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ein Märchen!)

Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden Ihnen in dem Untersuchungsausschuss dezi-diert nachweisen, dass die Schieflage der Hypo RealEstate bereits lange vorher bestanden hat. Dann sind Sieentlarvt.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nina Hauer [SPD]: Alle Zeu-gen sagen etwas anderes!)

Wie schlecht es um die deutsche Finanzaufsicht inDeutschland tatsächlich bestellt ist, wird auch durch diejüngsten Ankündigungen von Herrn Sanio verdeutlicht,der sagt: Wenn ein Untersuchungsausschuss Akten vonder Finanzaufsicht möchte, dann kann die deutscheFinanzaufsicht Banken nicht mehr beaufsichtigen, dannmüssen wir unsere Tätigkeit einstellen, weil es die deut-sche Finanzaufsicht so aufhält, Fotokopien für einen Un-tersuchungsausschuss zu machen, dass sie mitten in derFinanzmarktkrise keine Institute mehr prüfen kann. – Esist ein erschreckendes Bild, das sich hier bietet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der FDP sowie des Abg. LeoDautzenberg [CDU/CSU])

Es ist für die Bevölkerung beängstigend, dass Siesich, anstatt einmal selbstkritisch darüber nachzudenken,was hier dringend verbessert werden muss, hier hinstel-len und sagen: Es ist alles gut gelaufen! Weiter so!Prima!

(Dirk Niebel [FDP]: Unglaublich!)

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Dr. Volker Wissing

Der Präsident der BaFin hat nicht etwa gesagt, dass sieeinen personellen Engpass haben und eine Lösung brau-chen, nein, er hat gesagt: Jetzt werden wir die Bankennicht mehr prüfen.

Ich weiß nicht, ob das eine Art Trotzköpfchen-Prinzipist. Jedenfalls offenbart es ein erschreckendes Bild deut-scher Finanzaufsicht, und es bestätigt die Auffassungvon Günter Verheugen auf dramatische Weise, dass daslaxe Amtsverständnis, das in der deutschen Finanzauf-sicht herrscht, in engem Zusammenhang zur Finanz-marktkrise steht. Es ist unverantwortlich, von den Steuer-zahlerinnen und Steuerzahlern zu erwarten, dass sie mit100 Milliarden Euro bürgen, aber selbst nicht bereit zusein, aufzuarbeiten, wo die Schwächen der deutschenFinanzaufsicht liegen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben gesagt, Verheugen liege völlig falsch. Heutehat der EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevyerklärt, die Krise habe die Schwächen der Finanzaufsichtoffenbart. Die Finanzminister hätten häufig erst über dieMedien von Schwierigkeiten der Banken erfahren.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: McCreevy hat aber etwas anderes betrieben!)

Es ist traurig und peinlich für ein Land wie die Bundes-republik Deutschland. Aber genau so einen Finanzminis-ter haben wir auch.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Ortwin Runde von der

SPD-Fraktion.

Ortwin Runde (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

ich hörte, auf welche Äußerungen von GünterVerheugen sich die Aktuelle Stunde bezieht, habe ichmich mit dem Interview befasst, um bewerten zu kön-nen, ob Verheugen wieder auf dem Weg zu Ihnen, zurFDP, ist oder ob er ein richtig guter Sozialdemokrat ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – LeoDautzenberg [CDU/CSU]: Was ist ein guterSozialdemokrat?)

In dem Interview habe ich eine Reihe von interessantenPunkten gefunden.

Verheugen beruft sich auf den früheren Kommis-sionspräsidenten Jacques Delors, der gesagt hat: „Mankann nicht erwarten, dass die Menschen einen Marktlieben.“ Das verstehe ich als ein Motiv von Verheugenseinerzeit, die FDP zu verlassen, die immer auf dieSelbstregulierung der Märkte gesetzt hat.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Wo haben Sie das denn hineininterpretiert?)

Weiter hat er gesagt:

Ich predige seit Jahren, dass Deutschland einen ge-setzlichen Mindestlohn braucht.

Das klingt ursozialdemokratisch.

(Simone Violka [SPD]: Hört! Hört!)

Bezogen auf den Bereich Finanzmärkte und Finanz-produkte sagt er:

Man muss sich gerade neue Finanzprodukte sehrgenau anschauen. Ich hätte nichts dagegen, wennhochriskante Papiere künftig einer Zulassung be-dürften.

Wenn Sie diese drei Positionen Verheugens mit unter-stützten, dann wären wir in der Gestaltung der Gesell-schaft ein gutes Stück weiter.

(Beifall bei der SPD)

Dass auch ein Parteifreund wie Verheugen, der aufder Brüsseler Ebene mit Kommissaren wie Neelie Kroesund Charlie McCreevy zusammenarbeitet, sozusagen aneinem Schwarzen-Peter-Spielchen teilnimmt, will ichihm nicht verübeln. Zur Wahrheit gehört aber auch, dassohne das Regulierungsdumping in Irland die Aktivitätender Sachsen LB oder der Hypo Real Estate mit der Deut-schen Pfandbriefbank nicht möglich gewesen wären.Dass EU-Kommissar Charlie McCreevy in der Vergan-genheit ein großer Regulierer gewesen wäre, konnte ichnicht feststellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aus nationaler Sicht habe ich, was die Regulierungder Finanzmärkte durch die Europäische Union und de-ren Aktivitäten angeht, ein sehr zwiespältiges Bild. Auchwas den gemeinsamen Auftritt Barrosos und McCreevyskürzlich angeht, als sie sagten, bei den riskanten Finanz-derivaten sollten die Banken lediglich 5 Prozent der Ri-siken in ihren eigenen Büchern behalten statt, wie vonvielen gefordert, 10, 15 oder gar 20 Prozent, weiß ichnicht, ob auf dieser Ebene die richtigen Lektionen ausder Krise gelernt worden sind. Deswegen halte ich es,bezogen auf die Finanzmarktkrise, sehr viel stärker mitmeinem Hamburger Mitbürger Helmut Schmidt, der dasagt: Wir brauchen für die Finanzmärkte endlich so et-was wie Regeln.

Jede Finanzmarktaufsicht ist davon abhängig, dass esklare Regelwerke gibt. Wir sind uns auch darin einig,dass sie international ausgerichtet sein sollten; sie müs-sen für alle Produkte und für alle Länder gelten. Es darfdann eben keine Steueroasen geben. Wie wurden siedoch gleich von Herrn Westerwelle bezeichnet? Erin-nern wir uns einmal daran, wie Ihre Verteidigung derSteueroasen aussah.

(Dirk Niebel [FDP]: Da muss die Kavallerie ran!)

Dann müssen eben alle Produkte reguliert werden, damitdas Casino geschlossen wird. Auf der Grundlage solcherRegelwerke kann in der Folge effiziente Finanzmarkt-kontrolle stattfinden.

In der heutigen Anhörung wurde vorgetragen, dasswir die BaFin als die Behörde, die die Einhaltung von

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Ortwin Runde

Regelwerken zu kontrollieren hat, mit entsprechendenZugriffsrechten ausstatten müssen, sodass sie, bezogenauf einzelne Institute, die Risiken eingegangen sind, ent-sprechende Eigenkapitalunterlegung festlegt.

In Bezug auf das Verhältnis der deutschen Aufsichtzur europäischen Aufsicht stimme ich Herrn Dautzenbergim Übrigen voll zu: In einer Situation, in der die einzel-nen Länder die Risiken voll übernehmen müssen, kön-nen wir nicht zu einer zentralen Einheit bei der Finanz-aufsicht kommen. Mein Vertrauen in die europäischeEbene und die Europäische Kommission ist hinsichtlichder Finanzmarktregulierung nicht so groß, als dass ichgegenwärtig Aufsicht dorthin abgeben wollte. Wir wärennicht gut beraten, diese Aufsicht an die europäischeEbene abzugeben.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Hans Michelbach

von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un-

sere Bürger erwarten glaubwürdige Antworten auf dieFinanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Gerade in der Krisehat die Politik eine besondere Verantwortung; sie solltekeine Bühne für Showkämpfe sein, weder in Berlin nochin Brüssel. Ich halte es nicht für klug und angebracht,dass Herr Verheugen durch seine Kritik an der deutschenFinanzaufsicht gerade jetzt Öl ins Feuer gießt und mitseinen öffentlichen Äußerungen den FinanzplatzDeutschland geradezu beschädigt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Angriffe von Herrn Verheugen sind als sachwid-rig zurückzuweisen. Deutschland war nicht Weltmeisterin riskanten Bankgeschäften, und die deutsche Banken-aufsicht hat die Dinge nicht einfach laufen lassen.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was hat sie denn getan?)

Ich wende mich gegen jede Geschichtsfälschung undgegen falsche Verdächtigungen. Die Wahrheit ist doch:Die Finanzkrise ist das Ergebnis von Fehlentwicklungenin vielen unterschiedlichen Bereichen, die erst in ihremZusammenwirken diese fatalen Folgen hatten.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Und völlig unvorhersehbar waren!)

Ihren Ursprung nahm die Krise, wie wir wissen, ineinem recht kleinen Segment für riskante Kredite amUS-amerikanischen Hypothekenmarkt. Die Verwerfun-gen am amerikanischen Immobilienmarkt entwickeltenihre tatsächliche Brisanz und Reichweite aber erst durchdas Zusammenspiel mit anderen Ereignissen, die daraufaufgebaut haben. Da war die konstruierte Niedrigzinspo-litik der US-amerikanischen Zentralbank, die damit dieSuche nach renditeträchtigen Anlageformen anheizte.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Warum ist es denn Deutschland?Warum sind es die Landesbanken?)

Da war etwa die Tatsache, dass Hypothekenbanken Kre-ditforderungen in großem Maße überhaupt verkaufendurften. Das machte sie nachlässig dabei, die Zahlungs-moral der Schuldner zu kontrollieren. Da war der zustarke Verkauf der Kredite als Wertpapiere, durch die dieHypothekenbanken die Belastung ihrer Eigenkapital-basis vermindern und immer mehr schnellere Kreditevergeben konnten. Da war die Ausgründung in Zweck-gesellschaften und die Undurchschaubarkeit des Verbrie-fungssystems.

Das sind die wirklichen Ereignisse; sie müssen fach-lich und fachkundig beurteilt werden, wollen wir dasverbessern, was notwendig ist.

Wir müssen selbstkritisch feststellen: Das alles warinternational nicht eingeschränkt und konnte damit vonder Bankenaufsicht auch nicht korrigiert werden. Jederkonnte kaufen und verkaufen, was er wollte. Herr Kol-lege Wissing, ich wundere mich, dass Sie heute gleich-zeitig von Regulierung und Deregulierung sprechen.Was denn nun? Wir müssen uns schon entscheiden, wo-hin wir in Zukunft wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Ja, wohin denn?)

Wollen wir in die Richtung, die der Kollege Dr. Schickin vielleicht zu scharfer Form angesprochen hat, oderwollen wir Vernunft walten lassen, um unsere Bankenam Finanzplatz Deutschland auf internationaler Ebenezu unterstützen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Poli-tik gilt zunächst, ein erfolgreiches Krisenmanagement zubetreiben und aus der Krise zu lernen. Vergangenheits-bewältigung allein bringt uns nicht weiter. In dieser Aus-nahmesituation hat die Bundesregierung ein gutes Krisen-management betrieben. Tatsache ist: Die Bundesregierunghat über Nacht ein nachhaltiges Lösungskonzept imSinne der sozialen Marktwirtschaft entwickelt und um-gesetzt.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Man müsste über Nacht doch nurdann etwas tun, wenn man vorher nichts getanhätte!)

Wer diese Fakten leugnet, ist entweder falsch informiertoder sorgt gezielt für politischen Flurschaden. Noch niewurde ein deutscher EU-Kommissar von einer Bundes-regierung so hart kritisiert und als sachunkundig darge-stellt, wie es heute der Kollege Diller getan hat.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Dannschlagen Sie doch mal einen neuen Kommis-sar vor!)

Nun müssen wir Schritte hin zur systemischenNeustrukturierung der nationalen, aber auch der interna-tionalen Finanz- und Bankenmärkte sowie der Finanz-aufsicht gehen. Hieran müssen wir ohne Scheuklappen

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Dr. h. c. Hans Michelbach

und Ideologie gehen. Wir müssen vernünftige Wege be-schreiten. Dazu ist notwendig, dass wir, die Politik, eineneue Vertrauensbasis für den deutschen Finanzplatz her-stellen. Wir dürfen keine Verdächtigungen aussprechenund wechselseitig Schuldzuweisungen vornehmen. Dasist der falsche Weg. Dafür steht für Deutschland und ins-besondere für die deutsche Volkswirtschaft viel zu vielauf dem Spiel. Gerade wenn solche Diskussionen undDebatten wie jetzt angezettelt werden, müssen wir HerrnVerheugen, dem EU-Kommissar aus Deutschland, deut-lich sagen: Das war eine völlig falsche Aussage. – Dafürsollte er sich entschuldigen. Noch besser wäre, wenn wireinen neuen deutschen EU-Kommissar bekämen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ortwin Runde [SPD]: Von der SPD! Sollen wir das machen?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Jörg-Otto Spiller von der

SPD-Fraktion.

Jörg-Otto Spiller (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Staatssekretär Diller, Sie haben vorhin einpaar Bemerkungen zur Funktion von Aktuellen Stundenaus Sicht der Opposition gemacht und gesagt, es kommefür sie nur darauf an, kein gutes Haar an der Regierungzu lassen. Herr Kollege Diller, ich möchte das ein Stückweit modifizieren. Es hat auch etwas Gutes, wenn eineOppositionsfraktion eine Aktuelle Stunde nutzt, um et-was von eigenen alten und überzogenen Vorstellungenabzurücken.

(Beifall bei der SPD)

Die FDP hat uns über Jahre gepredigt, der Marktdürfe nicht durch zu viele Aufsichtsregeln oder staatli-che Eingriffe gestört werden. Herr Wissing und HerrKoppelin, Sie haben sich zwar nicht zu einer staatlichenPlankommission bekannt – so weit sind Sie nicht gegan-gen –, aber es war ziemlich nah dran.

(Heiterkeit bei der SPD)

Herr Koppelin, Sie reden überhaupt nicht mehr von derKrise der Banken, sondern von der Krise der Bankenauf-sicht.

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Die haben wir auch!)

Ich behaupte sicherlich nicht, dass sich die Aufsichtsbe-hörden in irgendeinem Land dieser Erde bei der Banken-aufsicht mit Ruhm bekleckert hätten. Das haben sie inder Tat nicht. Aber dass Sie aus der Bankenkrise ein Be-hördenversagen machen, ist schon ein bisschen dicke.Die Behörden haben sich nicht wirklich bewährt; das istwahr. Daraus müssen wir Konsequenzen ziehen. DassBundesbank und BaFin präventiv so gewirkt hätten, wieman es sich gewünscht hätte, kann man nicht behaupten.Sie bedürfen einer Stärkung.

Aber dass die FDP, die sich, wie ich finde, aus guterTradition zur Eigenverantwortung von Unternehmen be-kennt, überhaupt nicht mehr darüber redet, dass in einemUnternehmen bzw. in einer Bank das Risikomanagementvöllig scheitert, dass Wirtschaftsprüfer überhaupt nichtmehr auf die Idee kommen, den Finger in die Wunde zulegen, und Aufsichtsräte alles geschehen lassen,

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Reden Sie jetzt von der KfW?)

ist erstaunlich.

(Beifall des Abg. Ortwin Runde [SPD])

Wenn es dazu kommt, dass Sie, Herr Wissing, eine diffe-renziertere Haltung zu der Rolle von Aufsicht und Markteinnehmen, dann ist das ein Fortschritt. Insofern hat essogar etwas Positives, wenn Sie neuerdings etwas andersüber solche Fragen reden als noch vor ein, zwei Jahren.

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Absurd!)

Wir haben heute Vormittag eine Anhörung im Finanz-ausschuss zur Stärkung der Bankenaufsicht gehabt, dievon der Bundesbank und von der BaFin ausgeübt wird.Alle Sachverständigen haben zunächst einmal bekräftigt,dass es vernünftig ist, dass man nicht nur darauf wartet,bis auf internationaler Ebene alle Verabredungen getrof-fen worden sind, die wirklich sicherstellen können, dassdas Ausweichen von einer Bank auf ein Tochterunter-nehmen in einem anderen Land nicht zu einer völlig un-geregelten Entwicklung von Risiken führt. Vielmehrmuss man jetzt im Rahmen der nationalen Entschei-dungsmöglichkeiten, die wir haben, unsere Bankenauf-sicht, die Bundesbank und die BaFin, mit besseren In-strumenten ausstatten, als sie sie bisher zur Verfügunghat.

Es bleibt aber natürlich dabei: Es war ein großer Er-folg, auch ein Erfolg unseres Bundesfinanzministers,dass der G-20-Gipfel in London, verglichen mit früherenGipfeln, in unerwarteter Deutlichkeit ein Bekenntnis zuinternational verabredeten Regeln für die Finanzmärkteabgelegt hat. Das war vor wenigen Jahren undenkbar,auch deshalb, weil dem ein überzogener Liberalismus inder Brüsseler Kommission entgegenstand. Deutschland,die Partner in der EU und auf internationaler Ebene wer-den diesen Weg beschreiten müssen, aber wir werdennicht darauf warten können, bis alles schon verabredetist. Deswegen hoffe ich, dass Sie, Herr KollegeDr. Wissing, und Sie, Herr Kollege Koppelin, nachdemSie einen Ansatz zur Erkenntnis gemacht haben, die Re-gierung und die Koalition unterstützen werden, wenn siezur Stärkung der Bankenaufsicht in Deutschland dasKreditwesengesetz und das Gesetz zur Aufsicht über dieVersicherungen ändern.

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Wenn Sie den Fi-nanzminister auswechseln, haben wir schonviel erreicht!)

Vielleicht kommt Ihnen dabei sogar noch eine gute Idee.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Otto Bernhardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich will gleich zu Beginn meiner Rede feststel-len, dass die Art und Weise, wie der deutsche EU-Kom-missar Kritik an wichtigen Einrichtungen der Bundesre-publik Deutschland geübt hat, unangemessen ist. Soäußert man sich nicht öffentlich als EU-Kommissar.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das fand ich nicht!)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein italienischer oderein französischer Kommissar sich in einer ähnlichenForm äußern würde. Das sagt nichts über den Inhalt aus.Auf den komme ich noch. Ich finde es nicht gut, dieAuseinandersetzung in der Öffentlichkeit in dieser Formzu führen. Ich sage es deutlich: Das ist letztlich ein An-griff auf die Deutsche Bundesbank, die BaFin und dasFinanzministerium. Das ist nicht die Aufgabe eines EU-Kommissars.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP])

– Sie haben recht, auch der Finanzminister ist bei diesemVorgehen nicht frei von Verantwortung. Ich habe ihn andieser Stelle verschiedentlich kritisiert.

Der entscheidende Punkt, unabhängig von allenStilfragen, ist nur: Abgesehen von ganz wenigen Wis-senschaftlern, die leider keiner ernst genommen hat, hatkeine Bankenaufsicht in der Welt rechtzeitig mitgeteilt,was auf uns zukommt.

Das heißt, das vorhandene Instrumentarium hat nichtausgereicht, um zu erkennen, was dort heranrollt. DieDeutschen waren da nicht besser als die anderen, aber– um es klar zu sagen – sie waren auch nicht schlechter.

Bevor ich weiter auf diesen Aspekt eingehe, sage ich:Als die Krise da war, hat das Management in Deutsch-land zwischen Bundesbank, BaFin und Finanzministe-rium hervorragend funktioniert. Auch das muss man andieser Stelle einmal hervorheben.

Die Frage ist jetzt: Was können wir tun, um der Ban-kenaufsicht für die Zukunft das notwendige Instrumenta-rium an die Hand zu geben, damit sie solche Krisenrechtzeitig erkennt? Einen kleinen Schritt haben wirschon getan; ich verweise auf die heutige Anhörung imFinanzausschuss zur Finanzmarktaufsicht. Wir werdenan verschiedenen Punkten etwas ändern.

Sie wissen, dass wir von der Union seit langem einengrößeren Schritt wollen, den wir in der Großen Koalitionaber nicht durchsetzen können. Wir wollten von Anfangan – ich habe das von diesem Rednerpult aus schon vorfünf oder sechs Jahren erklärt – die gesamte Bankenauf-sicht bei der Bundesbank konzentrieren. Ich glaube, dieErfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass dasnach wie vor der richtige Weg ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Aber: Wer sich einmal anschaut, was heute von Bun-desbank und BaFin geleistet werden muss, der wird mirzustimmen, wenn ich sage: Wir können nicht jetzt einegrundlegende Reform durchführen. Die können wirwirklich erst dann auf den Weg bringen, wenn die Krisehinter uns liegt, vielleicht im Jahr 2011. Die Mitarbeiterdort jetzt auch noch mit Grundsatzreformen zu überzie-hen, wäre sicher der falsche Weg.

Wir müssen noch bei einem anderen Punkt ansetzen,und das ist schwierig. Wir müssen unserer Bankenauf-sicht die Möglichkeit geben – ich sage sogar: die Ver-pflichtung –, in Zukunft auch Geschäftsmodelle zu prü-fen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Letztlich sind doch gerade die Landesbanken an ihremGeschäftsmodell kaputtgegangen. Sie haben sehr vielGeld eingekauft, noch mit Staatsgarantien, hatten aberkeine vernünftigen Anlagemöglichkeiten und stürztensich dann – das gilt zumindest für die meisten – in diesesGeschäft.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja, zunächst ertragreich!)

Heute ist es nicht Aufgabe der Bankenaufsicht, Ge-schäftsmodelle zu prüfen. Herr Sanio sagt sehr deutlich,er sei nicht davon begeistert, diese Aufgabe zu bekom-men. Ich gebe ihm recht; es ist sehr schwierig. Ich bleibeaber dabei: Wenn eine Bank wie die Hypo Real Estateauf der einen Seite Kredite mit einer Laufzeit von17 Jahren vergibt und auf der anderen Seite den über-wiegenden Teil davon kurzfristig deckt, braucht mankein Banker zu sein, um zu wissen, dass das nicht funk-tionieren kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir müssen unserer Bankenaufsicht hierzu ein neues In-strumentarium geben.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Letztlich sind die meisten dieser Banken an ihrem Kon-zept gescheitert.

Nun zurück zur Bankenaufsicht: Was in den letztenMonaten dort geleistet wurde, soll man auch von diesemRednerpult aus einmal anerkennen. Man arbeitet dortunter den politischen Rahmenbedingungen, die wir hiersetzen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Insofern sitzen die Schuldigen auch hier. Ich finde es einbisschen unfair, die Mitarbeiter dort, die zum Teil keinWochenende mehr kennen, plötzlich auch noch global– ich komme auf meine Eingangsbemerkung zurück –von Brüssel aus zu beschimpfen. Das ist nicht der rich-tige Weg. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, die Ban-kenaufsicht in Deutschland zu verbessern. Wer meint:

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Otto Bernhardt

„Nur so weiter! Wir brauchen keine Veränderung!“, derhat nicht begriffen, was sich in den letzten Monaten er-eignet hat. Wir brauchen grundlegende Veränderungen.Die Union wird daran mitarbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Simone Violka von der

SPD-Fraktion.

Simone Violka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucher! Eine Aktuelle Stunde gibtauch die Gelegenheit, viel zu lesen, nicht nur auf der ei-genen Seite, sondern auch beim Antragsteller der Aktuel-len Stunde. Auf der Internetseite der FDP findet sich in-zwischen ein Argumentationsleitfaden zur Finanzkrise.Es ist spannend, was da so steht:

Staatliche Eingriffe setzen Rahmen falsch.

… Am Beginn der Krise standen staatliche Ein-griffe in den US-Immobilienmarkt: Jahrzehntelangwar es erklärtes Ziel der Politik in den USA, auchnicht kreditwürdigen Personen zu Wohneigentumzu verhelfen.

Letzteres unterschreibe ich sogar. Fakt ist nur: KeineBank in den USA war durch irgendein Gesetz gezwun-gen, das zu tun.

Das wissen Sie auch; denn noch im November letztenJahres hat Otto Graf Lambsdorff erklärt, die amerikani-sche Regierung habe es versäumt, klare Regelungen zurKreditvergabe festzulegen. Ja, was denn nun? Verstehtdie FDP Deregulierung als staatlichen Eingriff? So stehtes bei Ihnen.

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Was?)

Vor dem Hintergrund, dass es, wenn so etwas Ähnlicheswie Basel II auch in den USA gegolten hätte, schon imVorfeld möglich gewesen wäre, das Desaster abzuwen-den, ist mir ein bisschen mehr Regulierung lieber alsdiese Form von Deregulierung, die uns nun in die Krisegeführt hat.

Es geht noch weiter:

Wir Liberale wissen: Kein Markt funktioniert ohneklare Regeln, …

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Deshalb hat er ja versagt!)

Deshalb tritt die FDP seit Jahrzehnten für Transpa-renz der Finanzmärkte ein.

Nachzulesen ist das für jeden zum Beispiel im Bundes-tagswahlprogramm der FDP von 1990. Da mussten Sieaber lange suchen, um so einen Satz bei Ihnen zu finden.Im Bundestagswahlprogramm von 1990 steht außerdemnoch die Forderung: „Die Macht der Banken und Versi-cherungen zu begrenzen“.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das stammte damals von der LDPD!)

Im Bundestagswahlprogramm der FDP von 2005 findetsich jedoch ein ganz anderer Satz:

Ferner muss der politische Einfluss im Bankensek-tor reduziert werden. Das vergrößert die Chancendes Bankenstandortes Deutschland.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]:Genau richtig! – Dr. Volker Wissing [FDP]:Der politische Einfluss, genau!)

Wenn man sich dann einmal anschaut, was Ihr Vorsit-zender zur gleichen Zeit, also zwischen 2005 und 2008,veröffentlicht hat – er sagte zum Beispiel: Die Eingriffedes Staates sollen zugunsten von mehr marktwirtschaft-lichen Elementen und mehr Eigenverantwortung zurück-geführt werden; Deutschland braucht eine grundlegendeKurskorrektur in Richtung mehr Deregulierung; die FDPsteht für Entstaatlichung statt Verstaatlichung, für einefreie und faire Gesellschaft –, wird einem klar, wofürFDP in Wirklichkeit steht: das F für „für“, das D für„Deregulierung“, das P für „prinzipiell“. FDP ist alsogleich „Für Deregulierung prinzipiell“.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: „Provinziell“ hatten Sie gesagt oder „privat“?)

Schauen wir nun einmal, was die FDP hinsichtlich derBankenaufsicht fordert. Sie wollen die gesamte Kompe-tenz hierfür auf die Deutsche Bundesbank bei gleichzei-tiger Abschaffung der politischen Einflussnahme über-tragen – laut Westerwelle eine „Stiftung Warentest fürden Finanzmarkt“. Es ist also zwar Ihre Auffassung, dasssich der Staat prinzipiell aus der Kontrolle heraushaltensoll, aber jetzt nutzen Sie jede Gelegenheit, zu suggerie-ren, der Staat sei mangels Kontrolle an der Misereschuld. Das ist paradox, zeigt aber, welche moralischenGrundregeln Sie befolgen, wenn es um Stimmenfang imWahljahr geht. Bei moralischen Fragen setzt die FDP jaauf Deregulierung und setzt diese Forderung auch schonseit Jahren konsequent in die Praxis um.

Ja, es wurden viele Fehler gemacht, und das weltweit.Es gab Fehler im Bankenmanagement, bei den immerverwirrender werdenden Finanzangeboten, aufgrund zuhoher Renditeforderungen, bei der Kontrolle, aber ebenauch bei zu gutgläubigen Anlegerinnen und Anlegern,die oftmals den Grundsatz nicht befolgten: Kaufe nur,was du verstehst. – Wichtig ist es jetzt, Vertrauen wie-derherzustellen, nicht nur zwischen den Banken, sondernvor allen Dingen auch bei den Sparerinnen und Sparern.Das gelingt aber nur, wenn man bereit ist, die gesamteBandbreite der verschiedenen Fehlerquellen aufzuarbei-ten und daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Es gehtvöllig am Thema vorbei, wenn man jetzt den SchwarzenPeter einer einzigen Institution zuschiebt und so tut, alswäre nichts passiert, wenn diese eine Stelle anders ge-handelt hätte. Da verwechselt man Ursache und Wir-kung.

Wir brauchen klare internationale Regeln und vor al-len Dingen auch Sanktionsmöglichkeiten sowie stärkereBefugnisse bei der Bankenaufsicht ohne rechtliche Er-

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Simone Violka

messensspielräume. Da bin ich schon gespannt, wie sichdie FDP bei diesen Punkten positionieren wird.

(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das machen wir schon!)

Ich weiß noch genau, wie sich gerade die FDP, als nochvor der Krise Peer Steinbrück hier an diesem Pult gefor-dert hat, dass man auf internationaler Ebene mehr Re-geln aufstellen und einfordern sowie den Markt besserregulieren soll, positioniert hat.

(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Da war dieKanzlerin in Heiligendamm! – Heinz-PeterHaustein [FDP]: Wer regiert seit vier Jahren?)

Da war das für sie alles Teufelswerk. Jetzt hat die FDPplötzlich erkannt, welche Stimmung in der Bevölkerungherrscht, und versucht jetzt entgegen all ihren Aussagenaus den vergangenen Jahren, auf den Zug aufzuspringen.

Ich glaube, die Menschen im Land sind intelligent ge-nug,

(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ja, genau!)

zu merken, dass das ein Scheinkampf ist und dass Sie so-fort zu Ihrer Politik der Deregulierung zurückkehren, so-bald Sie die Stimmen der Wähler erhalten haben.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde hat der

Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion das Wort.

Florian Pronold (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich habe vor 13 Jahren eine Lehre bei derSparkasse Deggendorf begonnen, zusammen mit DjangoAsül, den vielleicht einige von Ihnen aus Funk und Fern-sehen kennen. Eine der ersten Grundregeln, die ich ge-lernt habe, lautete: Je höher das Renditeversprechen ei-nes Produktes, umso größer das Risiko.

Das Zweite war: Man soll schon verstehen, was manda kauft.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! – Zuruf von der SPD: Oder verkauft!)

Das waren zwei wirkliche Grundregeln. – Natürlichauch beim Verkaufen, das ist auch klar.

Wir haben in dieser Finanzkrise feststellen können,dass nicht nur die Anleger, sondern auch die Entschei-dungsträger in den Banken und den Aufsichtsräten zumSchluss bekennen mussten: Sie wussten nicht, was siedort eigentlich gekauft haben.

Das ist schon eines der Kernprobleme von Aufsichtund Entscheidungsfindung, mit eine Ursache für dieseFinanzkrise.

Ein zweiter Bereich, der mit der ganzen Materie hierzu tun hat, ist die Frage, welche Rahmenbedingungendie Aufsicht gehabt hat. Denn Aufsicht kann nur imRahmen dessen ausgeübt werden, was vorgeschrieben

ist. Viele sprechen vom Finanz-TÜV. Selbst wenn manfür sein Auto eine noch so gute TÜV-Prüfung hat, hin-dert das niemanden daran, mit dem Auto gegen denBaum zu fahren. Das hängt nicht davon ab, ob darauf einTÜV-Siegel ist.

Deswegen ist schon die spannende Frage, wie mandenn die Regeln für Finanzmärkte und Bankenaufsichtdefiniert, damit das, was jetzt passiert ist, nicht noch ein-mal passieren kann, und deswegen interessiert schon dieVergangenheit. Was ist denn schiefgelaufen, was diesenicht in Deutschland, sondern weltweit stattfindendeFinanzkrise hervorgerufen hat? Was hätte man erkennenmüssen, was hätte man erkennen können, und was mussman jetzt tun, damit das Entsprechende nicht wieder vor-kommt?

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Herr Wissing, Sie haben in Ihrer Rede ein spannendesWort gesagt – so fand ich –, das war „Selbstkritik“.Selbstkritik hätten Sie hier aber als FDP üben müssen.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Auch dem Finanzminister würdees manchmal gut anstehen!)

Denn ich erinnere mich, seit ich im Finanzausschuss bin,an all die Fragestellungen, die mit verbesserter Regulie-rung zu tun haben, die mit mehr Aufsicht zu tun haben.Wir haben hier zum Beispiel mehrmals Ratingagenturenangehört, und da haben wir uns darüber unterhalten, obein Modell von Ratingagenturen sinnvoll ist, bei dem sieohne jegliche Aufsicht sind, private Institutionen, dieüber das Schicksal und Wohl von Papieren und Staatenentscheiden und vielleicht selber sogar vorher noch Rat-schläge geben, wie Papiere geschneidert werden, die siespäter selber objektiv „raten“. Als wir das als Sozial-demokraten thematisiert haben, da hat die FDP ge-schrien: Nein, nein, der freie Markt, der regelt das! Dasklappt doch alles wunderbar!

Als Hans Eichel, als Peer Steinbrück für internatio-nale Regulierung der Finanzmärkte eingetreten sind, ha-ben Sie von „Bürokratie“ gesprochen, die dort auf denfreien Markt wieder herniederprasselt.

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das waren dochgemeinsame Anträge! Interfraktionelle An-träge! Das wissen Sie doch genau! – Gegen-rufe von der LINKEN)

Wir haben in diesem Haus mehrmals über die Frage vonHedgefonds, die Frage von REITs – daran werden Siesich sicherlich noch gut erinnern – und von anderen Din-gen gesprochen. Immer hieß es: Je mehr an Aufsicht, jemehr an Regulierung, umso mehr Bürokratie ist das.

(Zurufe der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Die FDP hat immer die geistige Brandstiftung für dasgemacht, was jetzt passiert, und versucht jetzt, denFeuerwehrmann zu geben.

(Widerspruch des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])

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Florian Pronold

Es würde einfach zur Ehrlichkeit dazugehören, dass manauch sagt: Was haben wir denn in den letzten Jahren indiesem Hohen Haus gesagt, und was davon bleibt dennnoch übrig im Wissen um die aktuelle Finanzkrise?

Wenn es jemanden gibt, der nicht das Recht hat, mitdem Finger auf andere zu zeigen, dann ist es die FDP.Das ist in dieser Debatte absolut sicher.

(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Ihr wart überall dabei!)

– Sie waren überall dabei. Das gestehe ich Ihnen zu, dassdie FDP überall dabei war. – Ach, ich? – In der Landes-bank von Bayern war die SPD meines Wissens nicht mitdabei, aber das ist egal. Darum geht es nicht. Die Frageist doch: Warum passierte es nicht nur an dieser Stelle,sondern überall?

Nicht an den Worten, sondern an den Taten sollt ihrsie erkennen. Die spannende Frage der Zukunft wird da-

her sein: Wird sich die FDP daran beteiligen, die Mana-ger an die Kette zu legen, oder wird sie weiterhin dafürplädieren, dass man sie an der langen Leine laufen lässt?Ich wette alles, was ich habe, auf Letzteres.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Donnerstag, den 28. Mai 2009,9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 16.50 Uhr)

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Anlagen zum Stenografischen Bericht

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

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Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 27.05.2009

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

27.05.2009

Barth, Uwe FDP 27.05.2009

Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

27.05.2009

Benneter, Klaus Uwe SPD 27.05.2009

Dr. Bisky, Lothar DIE LINKE 27.05.2009

Dreibus, Werner DIE LINKE 27.05.2009

Eichhorn, Maria CDU/CSU 27.05.2009

Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

27.05.2009

Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 27.05.2009

Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 27.05.2009

Gloser, Günter SPD 27.05.2009

Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

27.05.2009

Irber, Brunhilde SPD 27.05.2009

Klose, Hans-Ulrich SPD 27.05.2009

Lafontaine, Oskar DIE LINKE 27.05.2009

Leutert, Michael DIE LINKE 27.05.2009

Möller, Kornelia DIE LINKE 27.05.2009

Multhaupt, Gesine SPD 27.05.2009

Raidel, Hans CDU/CSU 27.05.2009*

Roth (Augsburg), Claudia

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

27.05.2009

Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 27.05.2009

Schily, Otto SPD 27.05.2009

Dr. Schwanholz, Martin SPD 27.05.2009

Stiegler, Ludwig SPD 27.05.2009

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung der OSZE

Anlage 2

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage derAbgeordneten Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 2):

In welchem Umfang sind Gelder aus der Energiewirtschaftdirekt oder indirekt – beispielsweise über das Deutsche Atom-forum – für Öffentlichkeitsarbeit, Besucherbetreuung oderÄhnliches an die Betreiber der Schachtanlage Asse II geflos-sen – Angaben bitte differenziert nach Betrag und Zahler –,und wie bewertet die Bundesregierung die Beteiligung derAtomwirtschaft bei der Finanzierung der Öffentlichkeitsarbeitfür das Atommülllager Asse?

Die Kernkraftwerk betreibenden Unternehmen habenzwischen 1997 und 2002 die Besucherführungen im For-schungsbergwerk Asse vertraglich vereinbart mit jähr-lich 200 000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer unterstützt.Diese waren aus finanziellen Gründen 1992 vom damali-gen Betreiber GSF (heute Helmholtz-Zentrum Mün-chen) eingestellt worden. Ziel der Besucherführungenwar es, die interessierte Öffentlichkeit über Lagerung ra-dioaktiver Abfälle in Deutschland zu informieren. Eineentsprechende Vereinbarung wurde 1997 mit Zustim-mung des damals zuständigen Bundesministeriums fürBildung und Forschung zwischen dem InformationskreisKernenergie und dem damaligen Betreiber GSF getrof-fen. Die damals bereitgestellten Mittel wurden, entspre-chend der Vereinbarung, ausschließlich für die Durch-führung von Besucherführungen eingesetzt.

Anlage 3

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage derAbgeordneten Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 3):

Inwieweit waren Vertreter des Bundes an Absprachen odersonstigen Vorgängen beteiligt, die zum Ziel hatten, die Atom-wirtschaft direkt oder indirekt in die Finanzierung von

Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

27.05.2009

Wicklein, Andrea SPD 27.05.2009

Winkelmeier, Gert fraktionslos 27.05.2009

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

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Besucherführungen oder sonstigen auf die Asse bezogenenMaßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit einzubeziehen?

Die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für dieDurchführung von Besucherführungen in der Schachtan-lage Asse II durch die Kernkraftwerk betreibenden Un-ternehmen fand mit Zustimmung des damals zuständi-gen Bundesministeriums für Bildung und Forschungstatt.

Anlage 4

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Fragedes Abgeordneten Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 5):

Wie begründet die Bundesregierung, auch vor dem Hinter-grund der Stellungnahme des ehemaligen US-BundesanwaltesEric Tirschwell vom 19. Mai 2009, die in der Presse zu fin-denden Aussagen aus dem Bundesministerium des Innern(zum Beispiel Focus, Ausgaben 20/2009 und 21/2009), vonden von den USA für unschuldig gehaltenen Gefangenen ausGuantánamo, um deren Aufnahme die USA die Bundesrepu-blik Deutschland gebeten hätten, gehe eine „potenzielle ab-strakte Gefährlichkeit“ aus, und welche Informationen sindbisher von den USA nicht geliefert worden, die eine zügigePrüfung einer Aufnahme ermöglichen würden?

Die US-Regierung hat der Bundesregierung EndeApril Unterlagen zu einzelnen Guantánamo-Häftlingenübergeben. Die darin enthaltenen Informationen reichenfür eine Entscheidung bislang nicht aus. Ich bitte aller-dings um Verständnis, dass die Gespräche zwischenDeutschland und den USA vertraulich sind und ich zuIhrer Frage im Übrigen keine näheren Angaben machenkann. Dies ist auch im Interesse der betroffenen Perso-nen.

Allerdings hat Herr Minister Schäuble mehrfach deut-lich gemacht, welche Kriterien bei einer Anfrage aus denUSA anzuwenden wären: Ist es hinreichend sicher, dassvon den Häftlingen keine Gefahr ausgeht? Könnte es sein,dass sie sich während ihrer Zeit in Guantánamo erst oderweiter radikalisiert haben? Warum können nicht die Her-kunftsländer oder die USA die betroffenen Personen auf-nehmen? Gibt es einen Bezug, den die Personen zuDeutschland haben, das heißt aus welchem Grund wirdeine Anfrage an Deutschland gestellt?

Diese Haltung entspricht im Wesentlichen auch derLinie der Innenminister der EU, die sie während des JI-Rats am 6. April beschlossen haben: Die JI-Minister sindsich einig, dass die primäre Verantwortlichkeit für dieSchließung von Guantánamo bei den USA liegt. JederMitgliedstaat entscheidet selbst über die Einreise undden Aufenthalt früherer Gefangener.

Eine Aufnahme kommt nur von Personen mit demStatus „cleared for release“ in Betracht, das heißt dassseitens der USA keine Bedingungen an den Aufnahme-staat gestellt werden dürfen, wie zum Beispiel eine per-manente Überwachung.

Aufgrund des Wegfalls der Grenzkontrollen im Schen-genraum ist ein Informationsaustausch und Transparenzzwischen den Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung.

Aufnahmebereite Staaten werden im Rahmen ihrer Ent-scheidung die Sicherheitsinteressen anderer Mitglied-staaten berücksichtigen.

Anlage 5

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frageder Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksa-che 16/13102, Frage 6):

Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung Über-stellungen im Rahmen des Dublin-Systems nach Italien nochfür verantwortbar, nachdem der italienische MinisterpräsidentSilvio Berlusconi Flüchtlingslager in Italien mit Konzentrations-lagern verglichen hat – sodass erhebliche Zweifel daran bestehen,dass Italien seinen Verpflichtungen nach der EU-Aufnahme-richtlinie nachkommt – und Italien zudem mit der Abschie-bung von aufgegriffenen Bootsflüchtlingen direkt nach Li-byen – ohne den Betroffenen zuvor die Möglichkeit einesAsylgesuchs gegeben und ohne deren Schutzbedürftigkeit undFlüchtlingseigenschaft geprüft zu haben – eindeutig gegen dieGenfer Flüchtlingskonvention, gegen die Europäische Men-schenrechtskonvention und gegen europäische Flüchtlings-richtlinien verstoßen hat?

Die Bundesregierung geht davon aus, dass Italien dieVerpflichtungen aus europäischem und internationalemFlüchtlingsrecht sowie aus den einschlägigen Menschen-rechtskodifikationen einhält. Für eine Aussetzung vonÜberstellungen von Asylbewerbern aus Deutschlandnach Italien gemäß der Dublin-VO besteht keine Veran-lassung.

Anlage 6

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragedes Abgeordneten Christoph Waitz (FDP) (Drucksa-che 16/13102, Frage 7):

Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen desWegfalls des Verlustvortrages durch die Unternehmensteuer-reform 2008 für den Bestand und die Unternehmensgründungvon forschungs- und entwicklungsintensiven Unternehmen inden Bereichen Bio- und Nanotechnologie, und mit welchenMaßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung diesen Unter-nehmen die Kapitalbeschaffung für Forschungstätigkeit künf-tig zu erleichtern?

Im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 wur-den die Verlustabzugsbeschränkungen für Körperschaf-ten effektiver und gestaltungssicherer ausgestaltet. Da-nach kann es bei Beteiligungserwerben von mehr als25 Prozent zu einem teilweisen, bei mehr als 50 Prozentzu einem vollständigen Wegfall bislang nicht genutzterVerlustvorträge kommen.

Die Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur Moder-nisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligun-gen (MoRaG) Regelungen auf den Weg gebracht, durchdie die Bereitstellung von privatem Wagniskapital fürjunge und mittelständische Unternehmen gefördert wird.Die Regelungen sollen vor allem Unternehmen im Tech-nologie- und Hochtechnologiebereich, zum Beispiel auchauf dem Gebiet der Biotechnologie, zugutekommen. DieRegelungen sehen auch eine Ausnahme von § 8c KStG

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vor, wonach der Verlust einer solchen Zielgesellschaft beiÜbernahme von Anteilen durch eine Wagniskapitalbetei-ligungsgesellschaft und unter weiteren Voraussetzungenauch durch einen anderen Erwerber erhalten bleibt, so-weit bei der Zielgesellschaft stille Reserven vorhandensind. Die Regelung wird allerdings derzeit noch von derEuropäischen Kommission geprüft und ist aus diesemGrund noch nicht in Kraft getreten (Suspensivklausel).

Anlage 7

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragedes Abgeordneten Christoph Waitz (FDP) (Drucksa-che 16/13102, Frage 8):

Welche systemrelevanten Konsequenzen erwartete dieBundesregierung im Falle einer Insolvenz der Hypo Real Es-tate Holding AG insbesondere unter Berücksichtigung derTatsache, dass nach § 30 Abs. 1 des Pfandbriefgesetzes Pfand-briefe nicht Teil der Insolvenzmasse werden können?

Die großen Industriestaaten haben zugesagt, keinesystemrelevante Bank in die Insolvenz gehen zu lassen.Dies gilt auch für die HRE.

§ 30 Abs. 1 Pfandbriefgesetz (PfandBG) sieht vor,dass im Falle der Insolvenz einer Pfandbriefbank die imDeckungsregister eingetragenen Werte nicht in die In-solvenzmasse der Pfandbriefbank fallen. Aus den imDeckungsregister eingetragenen Werten sind die An-sprüche der Pfandbriefgläubiger zu befriedigen. Diesegesetzlich geschaffene Absicherung der Pfandbriefgläu-biger verleiht dem Pfandbrief sein Sicherheitsniveau.

Die Regelung ist allgemein bekannt, sodass Gläubigerder HRE sehr genau wissen, dass ihnen diese Wertenicht zur Verfügung stehen. Über die Gesamtbeträge, diezur Deckung verwendet werden, müssen die Pfandbrief-banken nach § 28 PfandBG quartalsweise in öffentlichzugänglicher Form informieren. In der Regel stellen diePfandbriefbanken diese Information auch auf ihrerHomepage zur Verfügung. Es ist also allgemein und öf-fentlich bekannt, in welchem Umfang die im Deckungs-register eingetragenen Werte nicht der Insolvenzmasseder Pfandbriefbank zur Verfügung stehen.

Anlage 8

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fra-gen des Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin(FDP) (Drucksache 16/13102, Fragen 9 und 10):

Teilt die Bundesregierung die Meinung von EU-Kommis-sar Günter Verheugen über die bisherige deutsche Bankenauf-sicht (Süddeutsche Zeitung vom 18. Mai 2009)?

Teilt die Bundesregierung die Auffassung von EU-Kom-missar Günter Verheugen, dass „Deutschland Weltmeister inriskanten Bankgeschäften“ war (Süddeutsche Zeitung vom 18.Mai 2009)?

Zu Frage 9:

Es ist nicht nachvollziehbar, worauf sich diese Aus-sage von Herrn Verheugen stützt. Vom Instrumentarium

her bewegt sich die deutsche Aufsicht im Rahmen dereuropäischen Richtlinien.

Im Vergleich mit anderen Staaten, besonders UK undUSA ist die staatliche Unterstützung des Bankensektorsin Deutschland bisher relativ moderat. In den USAwurde unter anderem der Investmentbankenstatus fak-tisch abgeschafft, es sind Staatshilfen für beinahe alleGroßbanken notwendig, eine erhebliche Anzahl von re-gional tätigen Instituten musste geschlossen werden. ImVereinigten Königreich sind die Probleme auch erheb-lich größer, wie sich an den Pleiten diverser Banken undden Staatshilfen für beinahe alle Großbanken zeigt.

Zu Frage 10:

Nein, die Behauptung ist falsch.

Häufig wird diese Behauptung mit sogenannten Leve-rage-Kennzahlen belegt. Danach betrage die Bilanz-summe deutscher Banken meist ein höheres Vielfachesals der entsprechende Quotient anderer Länder, insbe-sondere in den USA.

Eine derartige Betrachtung für sich allein ist nichtzielführend, da sie nicht die Höhe des eingegangenen Ri-sikos berücksichtigt. Das ist aber erforderlich, um die Ei-genmittelunterlegung im Rahmen der europäischen Vor-gaben durch die Bankenrichtlinie bestimmen zu können.

In Wahrheit entfallen auf die USA 66 Prozent der Ver-luste, auf Großbritannien rund 9 Prozent, erst dann fol-gen Deutschland mit 6,7 Prozent und die Schweiz mit6 Prozent.

Heruntergebrochen auf einzelne Banken führen ein-deutig amerikanische Banken das Feld an, ganz vornemit dabei die UBS, in der Mitte britische Banken unddann ganz am Schluss die deutschen Banken.

Anlage 9

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragedes Abgeordneten Dr. Volker Wissing (FDP) (Druck-sache 16/13102, Frage 11):

Wie viele Banken können nach Ansicht der Bundesregie-rung aufgrund der Arbeitsbelastung der Bundesanstalt für Fi-nanzdienstleistungsaufsicht mit der Vorbereitung des Untersu-chungsausschusses zur Hypo Real Estate Holding AG nichtbzw. eingeschränkt geprüft werden, und wie viele zusätzlicheStellen hat die Bundesregierung im Bereich der einzelnen, fürdie Finanzaufsicht zuständigen Institutionen in der Zeit vomBeginn der 16. Legislaturperiode bis zum 15. September 2008bzw. nach dem 15. September 2008 jeweils neu geschaffen?

Angesichts der aktuellen Finanzmarkt- und Wirt-schaftskrise begleitet die Bankenaufsicht die Institutederzeit sehr eng. Allein dies ist mit einem permanent er-höhten Personaleinsatz verbunden. Ungeachtet dessenunternimmt die Bankenaufsicht alle Anstrengungen, umden Anforderungen des Untersuchungsausschusses frist-gerecht nachzukommen. Im gleichen Maße behandelt sieAnfragen aus dem parlamentarischen Raum, deren An-zahl seit Einsetzung des Untersuchungsausschusses er-neut extrem gestiegen ist. Die angespannte Personal-

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situation verschärft sich derzeit weiter aufgrundzusätzlicher IFG-Anfragen (Bild-Zeitung).

Die damit einhergehenden Arbeiten binden in derBankenaufsicht derzeit erhebliche Kapazitäten. DieseArbeiten wirken sich abhängig von den jeweiligen Be-weisbeschlüssen mehr oder weniger stark auf die Auf-sicht insgesamt aus. Ich möchte jedoch betonen, dass dieaufsichtlichen Handlungen bei Kriseninstituten und auf-sichtsintensiven Banken zu keinem Zeitpunkt einge-schränkt wurde, da die BaFin bei der Arbeitsverteilungrisikoorientiert vorgeht.

In den Jahren 2006 bis 2008 hat die BaFin insgesamtzusätzlich 79,5 Stellen davon 7,5 Ersatzplanstellen er-halten. Davon entfielen 12 auf die Bankenaufsicht,18 auf die Versicherungsaufsicht, 15 auf die Wertpapier-aufsicht, 4 auf den Querschnittsbereich Internationales,2 auf Querschnittsbereich Risiko- und Finanzmarktana-lysen, 14 auf den Querschnittsbereich Risikomodellie-rung, 1 auf den Bereich Enforcement und 6 auf die Ab-teilung Z.

Im Jahr 2009 – nach dem abgefragten Stichtag vom15. September 2008 – ergaben sich zusätzlich 97 Stellen,davon 18 für die Bankenaufsicht, 19 für die Versiche-rungsaufsicht und 60 für die Querschnittsbereiche unddie Innere Verwaltung.

Im Bereich der Bankenaufsicht verfügte die Bundes-bank zum Ende des Jahres 2005 über 1 063 Stellen.Diese Anzahl verringerte sich bis zum Ende des Jahres2008 auf 1 009 Stellen, was einem Rückgang von rund5 Prozent entspricht. Im Jahr 2009 beträgt die Anzahlcirca 993 Stellen. Am stärksten fiel der Rückgang imBereich der Laufbahngruppe des mittleren Dienstes aus.Veränderungen beim Personal sind nicht zuletzt dem Be-streben der Bundesbank geschuldet, ihre gesetzlichenAufgaben mit größtmöglicher Effizienz zu erfüllen. Des-halb war mit diesen Stellenkürzungen keine Verringe-rung der aufsichtsrechtlichen Tätigkeiten verbunden.

Anlage 10

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragedes Abgeordneten Dr. Volker Wissing (FDP) (Druck-sache 16/13102, Frage 12):

Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstaltfür Finanzdienstleistungsaufsicht sind explizit mit der Vorbe-reitung bzw. Bereitstellung von Akten für den 2. Untersu-chungsausschuss beschäftigt, und wie viele dieser Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter nehmen schwerpunktmäßig Aufgabenim Bereich der Bankenaufsicht wahr?

Mit den Beweisbeschlüssen waren nach Auskunft derBaFin bis zu 44 Prozent der Aufseher des Geschäftsbe-reiches Bankenaufsicht – 112 Mitarbeiter – befasst. Teil-weise wurden diese Mitarbeiter ausschließlich für dieseArbeiten freigestellt. Die mit dem Untersuchungsaus-schuss verbundenen Tätigkeiten können in großen Teilennur von Kollegen mit bankaufsichtlichem Fachwissenausgeführt werden.

Zusätzlich haben 70 Kollegen aus anderen Geschäfts-bereichen der BaFin den Bereich Bankenaufsicht imRahmen ihrer fachlichen Möglichkeiten oder bei rein ad-ministrativen Tätigkeiten unterstützt.

Auch andere Geschäftsbereiche wie zum Beispiel dieVersicherungs- und Wertpapieraufsicht sind originär voneinigen Beweisbeschlüssen betroffen. Auch hier kommtes zu einem signifikanten Personaleinsatz.

Bis zur vollständigen Übersendung der Unterlagenfür alle Beweisbeschlüsse wird sich dieser Arbeitsauf-wand noch erheblich steigern.

Anlage 11

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frageder Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)(Drucksache 16/13102, Frage 13):

Wie bewertet die Bundesregierung die Ankündigung derBundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die Kontrolleder Banken teilweise einzustellen, und welche personellenKonsequenzen hat die Bundesregierung aus dieser Ankündi-gung gezogen?

Das Bundesministerium der Finanzen sieht die erheb-liche Belastung, die der Direktion Bankenaufsicht derBaFin derzeit zusätzlich auferlegt wird. Dennoch ist esnicht akzeptabel, dass in manchen Bereichen derzeit dielaufende Aufsicht eingestellt bzw. nur noch sehr einge-schränkt ausgeübt wird. BaFin wurde aufgefordert, um-gehend organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, so-dass die laufende Aufsicht im Bereich Bankenaufsichtvollumfänglich gewährleistet wird. BaFin wurde gebe-ten, kurzfristig über zu treffende Maßnahmen zu unter-richten.

Anlage 12

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragedes Abgeordneten Frank Spieth (DIE LINKE)(Drucksache 16/13102, Frage 14):

Ist die Bundesregierung vor dem Hintergrund der neuenZahlen des Schätzerkreises und des daraus ersichtlich höherenRisikos, dass die Versicherten für krisenbedingte Fehlbeträgein den kommenden Jahren Zusatzbeiträge zahlen müssen, be-reit, auf die Verpflichtung zur Rückzahlung von Bundeszu-schüssen und Liquiditätshilfen an den Gesundheitsfonds zuverzichten, um so nicht nur für die Wirtschaft, sondern auchfür die gesetzlich Krankenversicherten einen Schutzschirmaufzuspannen?

Der Schätzerkreis hat sich in seiner Sitzung am30. April 2009 lediglich mit der Einnahmen- und Ausga-benentwicklung des Jahres 2009 beschäftigt. Insofernsind Rückschlüsse auf die Finanzentwicklung der GKVin den Folgejahren derzeit verfrüht. Im Übrigen hat derGesetzgeber die Frist zur Rückzahlung von Liquiditäts-darlehen, die 2009 gewährt werden, im Rahmen desKonjunkturpakets II bereits von Ende 2010 auf Ende2011 verlängert. Außerdem ist hinsichtlich der Rückzah-lung der Liquiditätsdarlehen durch den Gesundheits-

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fonds zu berücksichtigen, dass der Bundeszuschuss andie gesetzliche Krankenversicherung neben der Erhö-hung durch das Konjunkturpaket II sowohl im Jahr 2010als auch im Jahr 2011 um jeweils weitere 1,5 MilliardenEuro ansteigt. Unter diesen Bedingungen sieht die Bun-desregierung keine Notwendigkeit, die geltenden gesetz-lichen Regelungen zu ändern.

Anlage 13

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragedes Abgeordneten Frank Spieth (DIE LINKE)(Drucksache 16/13102, Frage 15):

Wie hoch sind die Mittel aus dem Bundeszuschuss, dienach § 11 Abs. 5 des Haushaltsgesetzes in diesem Jahr bislangvorgezogen wurden und den Gesundheitsfonds stützten – bittenach Monat aufschlüsseln –, um Liquiditätsdarlehen zu ver-meiden?

Der Gesundheitsfonds hat bisher folgende vorgezoge-nen Bundeszuschüsse erhalten: am 15. Februar zur Ab-rechnung des Monats Januar: 48 Millionen Euro, am15. März zur Abrechnung des Monats Februar: 734 Mil-lionen Euro, am 15. April zur Abrechnung des MonatsMärz: 853 Millionen Euro und am 15. Mai zur Abrech-nung des Monats April: 584 Millionen Euro.

Die vorgezogenen Beträge wurden mit später fälligenregulären Raten verrechnet, sodass der insgesamt vorge-zogene Bundeszuschuss deutlich geringer ausfällt. Erbeträgt derzeit 1,5 Milliarden Euro.

Anlage 14

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf dieFrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 18):

Wie verteilen sich die von den Energieversorgungsunter-nehmen gebildeten Stilllegungs- und Entsorgungsrückstellun-gen für Atomanlagen auf die einzelnen Atomanlagen inDeutschland und im Ausland, und, falls unbekannt, welcherechtliche Handhabe hat die Bundesregierung, um die jeweili-gen Anteile in Erfahrung zu bringen?

Der Bundesregierung liegen keine Angaben zur Ver-teilung der von den Energieversorgungsunternehmen ge-bildeten Stilllegungs- und Entsorgungsrückstellungenauf die einzelnen Anlagen vor.

Bekannt ist die Gesamthöhe der Rückstellungen, dievon den Energieversorgungsunternehmen nach dem Atom-recht für die Stilllegung und den Rückbau von Kernkraft-werken sowie für die Entsorgung von radioaktiven Be-triebsabfällen und bestrahlten Brennelementen gebildetworden sind. Da die Energieversorgungsunternehmenfür die Verfügbarkeit der Mittel bis auf die Konzern-ebene einstehen, ist die Gesamthöhe der auf Konzern-ebene handelsrechtlich gebildeten Rückstellungen rele-vant. Diese wird durch die hierfür zuständigenWirtschaftsprüfer regelmäßig überprüft und testiert. Zu-sätzlich erfolgt eine steuerrechtliche Prüfung der Rück-stellungen durch die Steuerbehörden.

Zur Höhe der von der E.ON AG, der RWE AG, derEnBW AG sowie der Vattenfall Europe AG für Kern-kraftwerke in Deutschland gebildeten Rückstellungenverweisen wir auf die Antwort zur schriftlichen FrageNr. 5/69 vom 8. Mai 2009.

Anlage 15

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf dieFrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 19):

Für welche Rückbau- und Entsorgungsvorhaben wurdendie Stilllegungs- und Entsorgungsrückstellungen der Energie-versorgungsunternehmen in den letzten Jahren verwendet– bitte mit Angabe der Höhe –, und welche aktuellen Angabenliegen der Bundesregierung zu den jeweiligen Gesamtkostenfür Rückbau und Entsorgung der stillgelegten bzw. in Stillle-gung befindlichen deutschen Atomkraftwerke vor?

Wie schon bei der Beantwortung der mündlichenFrage Nummer 18 dargestellt, liegen der Bundesregie-rung keine Angaben zur Verteilung der von den EVU ge-bildeten Stilllegungs- und Entsorgungsrückstellungenauf einzelne Anlagen vor. Die insgesamt gebildetenRückstellungen der Energieversorgungsunternehmen sindfür die Entsorgung der radioaktiven Abfälle sowie fürdie Stilllegung und Demontage der Kernkraftwerke vor-gesehen. Zu den Entsorgungsrückstellungen zählen unteranderem Kosten für Wiederaufbereitung, Transport,Konditionierung, Verpackung, Zwischenlagerung vonabgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfäl-len sowie die Kosten für Errichtung und Betrieb derEndlager.

Hinsichtlich der von Ihnen nachgefragten abgeschlos-senen und laufenden Rückbau- und Entsorgungsvorha-ben in Deutschland verweise ich auf den Bericht derBundesrepublik Deutschland für die dritte Überprü-fungskonferenz im Mai 2009 zum „Gemeinsamen Über-einkommen über die Sicherheit der Behandlung abge-brannter Brennelemente und über die Sicherheit derBehandlung radioaktiver Abfälle“, veröffentlicht durchdas Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit.

Anlage 16

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf dieFrage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Fra-ge 20):

Welche Erfahrungen liegen der Bundesregierung vor, inwelchem Umfang – ausgedrückt in Eurocent – sich ein Pro-zentpunkt Beimischungsanteil von Biokraftstoffen auf dieBenzin- und Dieselpreise auswirkt, und welche diesbezügli-chen Rechnungen hat die Bundesregierung von unabhängigenInstitutionen erstellen lassen?

Berechnungen des unabhängigen Energie-Informations-dienstes – EID – legen nahe, dass sich die Tankstellen-preise in Deutschland in einer Durchschnittsbetrachtungsehr gut durch Bewegungen der Produktpreise am Rot-

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terdamer Spotmarkt sowie durch allgemeine Kostenän-derungen erklären lassen. Da nach diesen Berechnungensich auch die Tankstellenmargen in relativ engen Bahnenbewegen, dürften sich bislang auch die Kosten der Bio-kraftstoffbeimischung in den Preisen vollständig wider-spiegeln. Sofern man dieses Szenario auch für dieZukunft zugrunde legt, würde der Kosteneffekt der Bei-mischung von einem Prozentpunkt an Biokraftstoffenauf den Tankstellenpreis dann grundsätzlich von der Ent-wicklung der Preisdifferenz der Biokraftstoffe zu denfossilen Kraftstoffen abhängen.

Anlage 17

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf dieFrage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 21):

Kann die im Rahmen des EU-Klimapaktes eingeräumteFörderung für neue Kraftwerke mit bis zu 15 Prozent der In-vestitionskosten neuer Kohlekraftwerksbauten bereits fürKraftwerke angewandt werden, die vor 2013 fertiggestelltoder genehmigt werden, und welche zeitlichen Vorgaben fürdie Antragstellung bzw. Errichtung von Kohlekraftwerkenwill die Bundesregierung setzen, um von der seitens der Euro-päischen Union eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu ma-chen?

Die Bundesregierung hat sich zu den Modalitäten derFörderung für neue, hocheffiziente Kraftwerke nochnicht festgelegt.

Anlage 18

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf dieFrage der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIELINKE) (Drucksache 16/13102, Frage 25):

Welche Mitglieder der Bundesregierung haben an Bilder-berg-Konferenzen teilgenommen, und wie bewertet die Bun-desregierung die Ergebnisse der letzten Bilderberg-Konferenzin Griechenland?

An der Bilderberg-Konferenz vom 14. bis 17. Mai2009 in Griechenland hat kein Mitglied der Bundesre-gierung teilgenommen.

Der Bundesregierung sind die Ergebnisse der Bilder-berg-Konferenz 2009 in Griechenland nicht bekannt, so-dass eine Bewertung dieser Ergebnisse nicht vorgenom-men werden kann.

Anlage 19

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf dieFrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIELINKE) (Drucksache 16/13102, Frage 26):

Warum hat die Bundeskanzlerin bisher nicht auf den offe-nen Brief der Beschäftigten der Palla Creativ Textiltechnikvom 26. März dieses Jahres geantwortet, und wie viele Steu-ergelder sind an den Standort in Sankt Egidien im Rahmen derWirtschafts- und Arbeitsmarktförderung geflossen?

Im Allgemeinen pflegt die Bundeskanzlerin auf of-fene Briefe nicht zu antworten. Briefe, die den Empfän-ger erst nach oder gleichzeitig mit der Presse oder ande-ren Adressaten erreichen, sind nicht in der Absichtverfasst, in einen ernsthaften Austausch von Argumen-ten einzutreten. Sie zielen in der Regel auf eine ver-stärkte Wirkung in der Öffentlichkeit.

Zu geflossenen Fördermitteln kann die Bundesregie-rung keine Angaben machen. Die Veröffentlichung kon-kreter Angaben über Investitionsförderungen aus Mittelnder Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungder regionalen Wirtschaftsstruktur“ – GRW – ist erst seitdem Jahr 2007 zulässig. Seit 2007 ist keine GRW-Förde-rung an das Unternehmen geflossen.

Anlage 20

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf dieFrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIELINKE) (Drucksache 16/13102, Frage 27):

Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass es betriebs- undvolkswirtschaftlich sinnvoll ist, durch die Verweigerung einerBürgschaft von 4 Millionen Euro einen hochmodernen Textil-betrieb, in den seit 1997 Gesamtinvestitionen von 240 Millio-nen Euro flossen, pleitegehen zu lassen, und wie hoch sind diesozialen Folgekosten – Zahlung des Arbeitslosengeldes, feh-lende Steuer- und Beitragseinnahmen, mögliche Kosten fürUmschulung bzw. Fortbildung usw. – für einen Wegfall der465 Arbeitsplätze des Betriebes?

Die Prüfung einer Bürgschaft in der Größenordnungvon 4 Millionen Euro fällt in die Zuständigkeit des Bun-deslandes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Imvorliegenden Fall handelt es sich um den Freistaat Sach-sen.

Nach Mitteilung von Vertretern des sächsischen Wirt-schaftsministeriums fanden dort bereits seit August 2008intensive Verhandlungen zunächst mit der Geschäftsfüh-rung des Unternehmens und später mit dem Insolvenz-verwalter statt. Der Freistaat Sachsen musste eine vomUnternehmen beantragte Rettungsbeihilfe in Höhe von4 Millionen Euro letztlich ablehnen, da die Gesamtfinan-zierung des Unternehmens nicht gesichert werdenkonnte.

Zu den möglichen Folgekosten einer Insolvenz desUnternehmens kann die Bundesregierung keine Anga-ben machen.

Anlage 21

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragendes Abgeordneten Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Fragen 31 und 32):

Welche wesentlichen Inhalte wird der von der Bundesre-gierung angekündigte Aktionsplan zur Umsetzung des Über-einkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderun-gen haben, und wann wird die Bundesregierung diesenvoraussichtlich vorlegen?

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Welche Konsequenzen hat der Aktionsplan für die nochlaufende Legislaturperiode, und in welchem Umfang wurdenund werden die zivilgesellschaftlichen Akteure bei der Bear-beitung und Umsetzung des Aktionsplanes einbezogen?

Zu Frage 31:

Wie bereits in der Antwort der Kleinen Anfrage derFraktion Die Linke (Bundestagsdrucksache 16/12240)dargelegt, hat die Bundesregierung mit der Prüfung ge-eigneter Wege zur Umsetzung des Übereinkommens be-gonnen. Dabei wird auch die Möglichkeit, einen Ak-tionsplan zu entwickeln, in Betracht gezogen. DerMeinungsbildungsprozess innerhalb der Bundesregie-rung ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Zu Frage 32:

Die Bundesregierung wird die wesentlichen Akteureeinschließlich die der Zivilgesellschaft eng in die weite-ren Planungen zur Umsetzung des Übereinkommens ein-beziehen.

Anlage 22

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Frageder Abgeordneten Elke Reinke (DIE LINKE) (Druck-sache 16/13102, Frage 33):

Was ist der Grund dafür, dass bislang noch keine Arbeits-hilfe bzw. Ausführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit– BA – zur Anwendung des § 16 f des Zweiten Buches Sozi-algesetzbuch – SGB II – veröffentlicht wurden, und wann istmit der Erstellung einer einheitlichen Umsetzungsrichtlinie zurechnen?

Die Bundesregierung weist darauf hin, dass die Bun-desagentur für Arbeit im Rahmen ihrer Gewährleis-tungsverantwortung entscheidet, ob und in welchemUmfang zentral bereitgestellte Arbeitshilfen für einerechtmäßige Umsetzung der Grundsicherung für Arbeit-suchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch– SGB II – erforderlich sind.

Im Übrigen nimmt die Bundesregierung zur Kenntnis,dass offensichtlich die Erstellung einer Arbeitshilfe zu§ 16 f SGB II als notwendige Voraussetzung für die Um-setzung der Freien Förderung nach § 16 f SGB II ange-sehen wird. Die Bundesregierung weist darauf hin, dassin der Vergangenheit von unterschiedlichen Stellen zen-tral bereitgestellte Arbeitshilfen der Bundesagentur fürArbeit häufig als überregulierend und die örtliche Hand-lungsfreiheit einschränkend kritisiert wurden. Gerademit der Einführung der Freien Förderung hat der Gesetz-geber für die Grundsicherungsstellen die Möglichkeitgeschaffen, vor Ort passgenaue Eingliederungskonzepteunter Beachtung der gesetzlich geregelten Grenzen zurealisieren. Eine zentral bereitgestellte Arbeitshilfekönnte wiederum als einengend empfunden werden.

Richtig ist aber, dass mit der durch § 16 f SGB II ge-schaffenen Freiheit ein hohes Maß an Verantwortung fürdie Grundsicherungsstellen einhergeht. Vor diesem Hin-tergrund haben das Bundesministerium für Arbeit undSoziales und die Länder eine gemeinsame Arbeitsgruppe

zur Umsetzung des § 16 f SGB II eingerichtet. Ziel istdie Erarbeitung einer gemeinsamen Auffassung zu denMöglichkeiten und Grenzen der Freien Förderung in derGrundsicherung für Arbeitsuchende. Dabei sollengrundsätzliche und gesetzessystematische Einordnungenerfolgen, die als Orientierung für die konkrete Umset-zung vor Ort – im Sinne von Leitplanken für die Praxis –dienen können. Der Abschluss der Bund-Länder-Ar-beitsgruppe wird für die erste Junihälfte angestrebt.

Anlage 23

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Frageder Abgeordneten Elke Reinke (DIE LINKE) (Druck-sache 16/13102, Frage 34):

Welche Maßnahmen, die über die Anhebung der Kinder-regelleistungen nach SGB II und SGB XII für Kinder zwi-schen 6 und 13 Jahren von 60 Prozent auf 70 Prozent sowieüber die Ausweitung des sogenannten Schulbedarfspakets imKonjunkturpaket II hinausgehen, hat die Bundesregierung ge-troffen, um den Urteilen des Hessischen Landessozialgerichtsvom 29. Oktober 2006 (L 6 AS 336/07) und des Bundes-sozialgerichts vom 27. Januar 2009 gerecht zu werden, wo-nach die Ermittlung der Regelsätze für Kinder nach SGB IIund SGB XII als verfassungswidrig anzusehen ist, weil keinewirkliche Bedarfsermittlung für Kinder vorliegt?

Das Bundessozialgericht – BSG – hat die derzeitigeRegelleistung für Kinder als nicht verfassungsgemäß be-zeichnet, die Verfahren ausgesetzt und die zu entschei-denden Fälle zur verfassungsrechtlichen Prüfung demBundesverfassungsgericht vorgelegt. Allerdings befasstesich das Gericht in seiner Begründung damit, dass derRegelsatz bzw. die Regelleistung für Kinder nichtebenso eigenständig und mit vergleichbarer Intensität er-mittelt wurde, wie der für Alleinstehende geltende Eck-regelsatz. Ferner wurde bemängelt, dass eine ausrei-chende Begründung der Leistungshöhe für Kinder fehle.Nicht befasst hat sich das BSG mit der Frage, ob die tat-sächliche Höhe der Regelsätze bedarfsdeckend ist. Ver-gleichbares gilt für den Vorlagebeschluss des HessischenLandessozialgerichts.

Bereits im Jahr 2008 hatte das Bundesministerium fürArbeit und Soziales das Statistische Bundesamt – StaBA –beauftragt, auf der Grundlage der BMFSFJ-Studie „Kos-ten eines Kindes“ zu prüfen, ob auf Basis der EVS 2003spezielle „Kinderregelsätze“ ermittelt werden können. Indieser Studie hatte das BMFSFJ durch das StatistischeBundesamt modellhaft für alle Haushalte mit Kindernauf Basis der EVS 1998 und 2003 die gesamten „Kinder-ausgaben“ ermitteln lassen. Dies ist nur über den Kon-sum von „Familien mit Kindern“ möglich, da dieVerbrauchsausgaben der EVS immer nur im Haushalts-zusammenhang erfasst werden. Diese Berechnungenzeigen, dass sich nicht sämtliche Verbrauchsausgabenexakt auf Erwachsene und Kinder verteilen lassen. Beidem überwiegenden Teil der Verbrauchsausgaben isteine Verteilung auf Erwachsene und Kinder nur durchnormative Festlegungen möglich. Für diese Aufteilungwaren umfangreiche Berechungen erforderlich, denenmethodisch anspruchsvolle Modelle für die Ausgaben-bereiche Ernährung, Verkehr und Wohnen und weitere,

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etwas einfachere Annahmen, für alle anderen Ausgaben-bereiche zugrunde lagen. Diese Festlegungen wurden ineiner hierzu vom BMFSFJ eingerichteten Arbeitsgruppeunter Einbeziehung von Wissenschaftlern getroffen.

Die Aufteilung der regelsatzrelevanten Verbrauchs-ausgaben auf Erwachsene und Kinder erfolgte daherauch bei dieser Sonderauswertung entsprechend der da-mals getroffenen normativen Festlegungen.

Damit hat die Bundesregierung bereits Veränderun-gen vorgenommen, die das BSG verlangte, und hat auchdem Anliegen des Bundesrates und der Wohlfahrtsver-bände, die Regelsätze für Kinder nach einer Überprü-fung anhand des realen Bedarfs anzupassen, Rechnunggetragen.

Anlage 24

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragender Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE)(Drucksache 16/13102, Fragen 35 und 36):

Sind Jugendliche in der dualen Berufsausbildung, die aufBerufsausbildungsbeihilfe angewiesen sind, in den Kreis derEmpfängerinnen und Empfänger für das sogenannte Schul-starterpaket einbezogen?

Inwiefern plant die Bundesregierung, Jugendliche in derdualen Berufsausbildung, die auf Berufsausbildungsbeihilfeangewiesen sind, in den Kreis der Empfängerinnen und Emp-fänger für das sogenannte Schulstarterpaket aufzunehmen,falls dies noch nicht geschehen ist, wie dies der Deutsche Ge-werkschaftsbund, DGB, in seiner Stellungnahme zum „Bürger-entlastungsgesetz Krankenversicherung“ vom 16. April 2009vorgeschlagen hat, da dieser Personenkreis ebenfalls nichtohne Weiteres in der Lage wäre, die Ausgaben für den Besuchder Berufsschule zu decken, und so eine Gleichbehandlungvergleichbarer Personengruppen im Gesetz erreicht werdenkönnte?

Jugendliche, die sich in einer dualen Ausbildung be-finden, sind nicht in den Kreis der Empfängerinnen undEmpfänger der zusätzlichen Leistung für die Schule ein-bezogen. Die Bundesregierung plant auch nicht eine er-gänzende Aufnahme dieses Personenkreises.

Personen, die sich in einer dualen Ausbildung befin-den, sind dem Grunde nach aus dem System des ZweitenBuchs Sozialgesetzbuch (SGB II) ausgeschlossen, wennsie außerhalb des Haushalts der Eltern wohnen.

Die Ausweitung der zusätzlichen Leistung für dieSchule im Rahmen des SGB II auf diese Personengruppeist auch deshalb nicht erforderlich, weil der jeweiligeAusbildungsbedarf über das vorrangige System der Aus-bildungsförderung (hier die Berufsausbildungsbeihilfenach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch – SGB III –)abgedeckt wird. Sofern dieser Personenkreis noch imHaushalt der Eltern lebt, besteht Anspruch auf (ergän-zendes) Arbeitslosengeld II. In diesen Fällen können dieKosten der Ausbildung aber einkommensmindernd gel-tend gemacht werden, sodass es keiner ergänzenden För-derung durch die zusätzliche Leistung für die Schule be-darf.

Anlage 25

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragender Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE LINKE)(Drucksache 16/13102, Fragen 37 und 38):

Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um demnach dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,IAB, zu erwartenden möglichen Fachkräftemangel in den so-zialen Berufen – unter anderem im Bereich der Kranken- undAltenpflege – entgegenzuwirken und die Beschäftigung inden Gesundheitsberufen insgesamt weiter auszubauen, damitder Gesundheits- und Pflegesektor gestärkt aus der Krise her-vorgehen kann?

Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dieArbeitsbedingungen in den Gesundheits- und Pflegeberufenbeispielsweise durch eine leistungsgerechte Bezahlung oderden Abbau von Hierarchien attraktiver zu gestalten, und wel-che Maßnahmen plant sie in den Bereichen Aus- und Weiter-bildung?

Zu Frage 37:

Der Bundesregierung ist bekannt, dass der Bedarf anPflegefachkräften ansteigt und infolge des demografi-schen Wandels sich weiter erhöhen wird. Die Pflege-branche ist insofern von der Wirtschaftskrise auch nursehr begrenzt betroffen. Zwar kann derzeit von einemgenerellen Fachkräftemangel noch nicht gesprochenwerden, gleichwohl kann es bereits heute regional zuEngpässen kommen. Die Bundesregierung hat vielfäl-tige Maßnahmen ergriffen, um den Berufsnachwuchs zusichern, das Berufsfeld aufzuwerten und die beruflichenRahmenbedingungen für Pflegekräfte zu verbessern.Insbesondere hat sie bereits in der letzten Legislatur-periode eine umfassende Modernisierung der Ausbil-dungsregelungen in der Kranken- und Altenpflege um-gesetzt.

Mit dem „Gesetz zur Sicherung von Beschäftigungund Stabilität in Deutschland“ vom 2. März 2009 wurdezudem die Umschulungsförderung für den Pflegebereichausgeweitet. Die Bundesagentur für Arbeit übernimmtfür die in den Jahren 2009 und 2010 beginnenden Alten-und Krankenpflegeumschulungen die Finanzierung derWeiterbildungskosten über die gesamte Ausbildungs-dauer von drei Jahren und verschafft hierdurch den Ein-richtungen finanzielle Freiräume für zusätzliche Erstaus-bildungen. Mit der zum 1. Juli 2009 in Kraft tretendenÄnderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzeswerden künftig auch Aufstiegsfortbildungen in der am-bulanten und stationären Altenpflege gefördert. Damitlassen sich auch über diesen Weg mehr Nachwuchs-kräfte durch attraktivere Fortbildungsmöglichkeiten ge-winnen.

Darüber hinaus gibt es im Bereich des BMFSFJ undBMG verschiedene Initiativen in der Pflegeausbildung.So bietet das Projekt „Servicenetzwerk Altenpflegeaus-bildung“ des BMFSFJ allen Pflegeeinrichtungen inDeutschland kostenlose Beratung an, um Ausbildungs-plätze in der Altenpflege zu schaffen, zu erhalten undqualifiziert auszugestalten. Darüber hinaus hat dasBMFSFJ ein Modellvorhaben mit acht Projekten zurWeiterentwicklung der Pflegeberufe durchgeführt, dasneue Wege der Zusammenführung und zukunftsweisen-

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den Ausgestaltung der pflegerischen Fachkraftausbil-dung aufzeigt. Mit dem Krankenhausfinanzierungs-reformgesetz – KHRG – wurde ein Förderprogramm zurVerbesserung der Situation des Pflegepersonals in Kran-kenhäusern eingeführt. Damit sollen in den nächsten dreiJahren schrittweise bis zu 16 500 zusätzliche Stellen imPflegedienst der Krankenhäuser zu 90 Prozent durch dieKrankenkassen finanziert werden. Dadurch wird demseit Jahren anhaltenden Trend entgegengewirkt, dassKrankenhäuser zulasten des Pflegebereichs Einsparun-gen vornehmen und Pflegepersonal abbauen; dies stärktauch die Beschäftigung und die Berufszufriedenheit derPflegenden in den Krankenhäusern.

Schließlich hat Ende März die Allianz zur Beratungder Bundesregierung in Fragen des Arbeitskräftebedarfsihre Arbeit aufgenommen. Sie soll den Bedarf an qualifi-zierten Arbeitskräften für die Zukunft identifizieren undMaßnahmen vorschlagen, wie diesem Bedarf Rechnunggetragen werden kann. Die Allianz wird auch die Ent-wicklung in den Heil- und daher auch Pflegeberufenanalysieren.

Zu Frage 38:

Die Bundesregierung wird weiterhin die Aktivitätenzur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Gesund-heits- und insbesondere in den Pflegeberufen im Rahmender Initiative „Neue Qualität der Arbeit (INQA)“ sowieim Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutz-strategie – GDA – unterstützen. Die Pflege/Altenpflegesowie die demografischen Aspekte dieser Branche sindFörderschwerpunkt des Modellprogramms zur Bekämp-fung arbeitsbedingter Erkrankungen, das die Bundesan-stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin durchführt.Zudem ist das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-les Partner des Wettbewerbes „Beste Arbeitgeber im Ge-sundheitswesen“.

Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des Arbeit-nehmer-Entsendegesetzes – AEntG – die Möglichkeitgeschaffen, in weiteren Branchen Mindestlöhne festzu-setzen. Dazu wurden sechs weitere Branchen, darunterdie Pflegebranche – Altenpflege und ambulante Kran-kenpflege – aufgenommen. Damit besteht auch in derPflegebranche künftig die Möglichkeit, Mindestlöhnefür alle Arbeitgeber sowie alle in Deutschland beschäf-tigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bran-che verbindlich zu machen. Aufgrund der Besonderhei-ten der Pflegebranche knüpft der Verordnungsgeber zurFestsetzung von Mindestlöhnen nicht an einen Tarifver-trag, sondern an den Vorschlag einer sich aus Vertreternder Branche zusammensetzenden Kommission an.

Schließlich hat der von Frau Bundesgesundheits-ministerin Ulla Schmidt einberufene PflegegipfelAnfang April 2009 Handlungsempfehlungen für Maß-nahmen zur Entwicklung und Erprobung neuer Arbeits-und Aufgabenteilungen in der Krankenhauspflege, zurUnterstützung einer modernen Arbeitsorganisation so-wie zur Nachwuchsförderung in der Pflege beschlossen.Dadurch soll die Berufszufriedenheit der Pflegenden er-höht sowie die Vereinbarkeit des Pflegeberufs mit Fami-lie und Freizeit verbessert werden. Beispielhafte

Modelle sollen mit finanzieller Unterstützung des Bun-desministeriums für Gesundheit unter Federführung derDeutschen Krankenhausgesellschaft zusammengetragen,ausgewertet und veröffentlicht werden.

Im Hinblick auf die Aktivitäten zur Aus- und Weiter-bildung wird auf den Antwortbeitrag zu Frage 37 ver-wiesen.

Anlage 26

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf dieFrage des Abgeordneten Dr. Erwin Lotter (FDP)(Drucksache 16/13102, Frage 39):

Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrundder Fahrgastsicherheit die immer wieder gemeldeten Vorfälleim Personenverkehr der Deutschen Bahn AG, nach denenKinder, ältere Menschen, Behinderte und andere Personen-gruppen, die sich nur eingeschränkt oder gar nicht selbst hel-fen können, wegen falscher, vergessener oder fehlender Fahr-ausweise vor Erreichen des Fahrtziels am nächsten Bahnhofvom Schaffner des Zuges verwiesen werden, und welcheMöglichkeit sieht die Bundesregierung als alleiniger Anteils-eigner der Deutschen Bahn AG, solche Vorfälle in Zukunft zuvermeiden?

Bei den bekannt gewordenen Fällen handelt es sichum solche, in denen Kinder ohne Fahrausweis der Zügeverwiesenen worden waren. Die Bundesregierung hatsich daraufhin umgehend an die Deutsche Bahn AG ge-wandt und um Aufklärung gebeten. Diese hat mitgeteilt,dass ihr Regelwerk vorsieht, dass Minderjährige unterkeinen Umständen des Zuges verwiesen werden dürfen.Die Zugbegleiter sind angewiesen, immer das Alter derbetroffenen Kinder und Jugendlichen festzustellen undim Zweifelsfall vom Kinderstatus auszugehen.

Nach diesem Regelwerk werden ebenfalls von derWeiterfahrt nicht ausgeschlossen Kranke oder Schwan-gere, alleinreisende Erwachsene mit Kindern, hilflose,gebrechliche und behinderte Menschen, sowie Personenin stark alkoholisiertem Zustand.

Anlage 27

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Karin Roth auf die Frage derAbgeordneten Gitta Connemann (CDU/CSU) (Druck-sache 16/13102, Frage 42):

Wie beurteilt die Bundesregierung die Überlegungen fürden Bau eines sogenannten Ems-Kanals von Papenburg nachLeer, und inwiefern beabsichtigt sie, sich an einer solchenMachbarkeitsstudie zu beteiligen?

Das Land Niedersachsen hat die von den Umwelt-verbänden BUND und WWF aufgebrachte Idee einesKanals parallel zur Ems aufgegriffen und beabsichtigt,zur Beurteilung der Realisierungschancen eine Machbar-keitsstudie durchführen lassen. Die Bundesregierung stehteiner ergebnisoffenen Prüfung der Projektidee grund-sätzlich aufgeschlossen gegenüber. Das Bundesministe-rium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat derBitte Niedersachsens, die Durchführung der Machbar-

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keitsstudie fachlich durch die Wasser- und Schifffahrts-verwaltung zu unterstützen, entsprochen.

Anlage 28

Antwort

der Parl. Staatssekretärin Karin Roth auf die Fragen desAbgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksa-che 16/13102, Fragen 43 und 44):

Bei wie vielen der 900 Bundesbauten, die laut Pressemit-teilung des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtent-wicklung, Wolfgang Tiefensee, vom 21. Mai 2009 mit 500 Mil-lionen Euro aus dem Konjunkturprogramm saniert werden,wird damit auch Barrierefreiheit hergestellt, bei welchen die-ser Bauten nicht?

Wann wird die Bundesregierung meine Frage 13 auf Bun-destagsdrucksache 16/11715 vom 28. Januar 2009 nach einerÜbersicht über fehlende Barrierefreiheit bei Bundesbauten be-antworten können?

Zu Frage 43:

Die barrierefreie Erschließung und Nutzung von öf-fentlichen Gebäuden ist erklärtes politisches Ziel, dessenbauliche Umsetzung im Einzelfall gemäß den aktuellgeltenden Vorschriften erfolgt.

Innerhalb des Teilprogramms „Grundsanierung undenergetische Sanierung von Gebäuden“ des Konjunktur-paketes II der Bundesregierung werden Maßnahmen ent-sprechend umzusetzen sein.

Zu Frage 44:

Eine Übersicht über die fehlende oder vorhandeneBarrierefreiheit bei den 900 Bundesbauten, die im Kon-junkturprogramm saniert werden sollen, ist in circa zweiJahren möglich.

Eine Übersicht der Barrierefreiheit bei sämtlichenBundesgebäuden ist bei dem derzeit vorhandenen Perso-nalbestand in einer vertretbaren Zeit nicht herstellbar.

Anlage 29

Antwort

des Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf die Frageder Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIELINKE) (Drucksache 16/13102, Frage 45):

Welche konkreten Zusagen hat die Bundesregierung durchden Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Stein-meier, bei dessen Telefonat mit dem Vorstandschef des Stahl-unternehmens Arcelor Mittal gegeben, um den Standort Ei-senhüttenstadt in vollem Umfang zu erhalten, und stimmt dieBundesregierung der Auffassung zu, dass der Erhalt desStahlstandorts Eisenhüttenstadt für das Land Brandenburgdenselben Stellenwert besitzt wie der Erhalt der Standorte derAdam Opel GmbH für die Bundesländer Thüringen, Hessen,Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen?

Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Wal-ter Steinmeier, hat zuletzt im vergangenen Sommer dasArcelor Mittal Stahlwerk in Eisenhüttenstadt besucht.

Er hat in einem Telefonat am 11. Mai 2009 mit demVorstandsvorsitzenden von Arcelor Mittal, Herrn Lakshmi

Mittal, auf den hohen Stellenwert des Stahlwerkes fürdie Region und über die Region hinaus hingewiesen unddarauf hingewirkt, dass Arcelor Mittal im engen Kontaktmit den Beschäftigten, den Gewerkschaften und derLandesregierung alles unternimmt, um den Standort Ei-senhüttenstadt zu erhalten.

Über den konkreten Inhalt haben die Gesprächspart-ner Vertraulichkeit vereinbart.

Lakshmi Mittal und der Bundesminister des Auswär-tigen haben vereinbart, hierzu weiter im Kontakt zu blei-ben.

Anlage 30

Antwort

des Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf die Frageder Abgeordneten Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 46):

Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Entwick-lung der Menschenrechtslage in West-Papua, nachdem EndeApril 2009 die einzige Niederlassung des Internationalen Ro-ten Kreuzes von den indonesischen Behörden geschlossenwurde und vier niederländische Medienvertreter im Zuge derParlamentswahlen mehrere Stunden inhaftiert wurden, undbesteht die Möglichkeit, die Entwicklungszusammenarbeitder Bundesregierung und Indonesiens im Menschenrechtsbe-reich zu vertiefen?

Nach Kenntnis der Bundesregierung steht die von derindonesischen Regierung ausgesprochene Anordnungzur Schließung der Außenstelle des InternationalenKomitees vom Roten Kreuz – IKRK – in der Provinz-hauptstadt Jayapura nicht im Zusammenhang mit derMenschenrechtslage in den beiden indonesischen Pro-vinzen Papua und West-Papua. Laut IKRK sieht die in-donesische Regierung die Außenstelle nicht durch diebisherigen bilateralen Absprachen gedeckt. Nach dender Bundesregierung vorliegenden Erkenntnissen er-folgte die Verhaftung der niederländischen Journalistenaus aufenthaltsrechtlichen Gründen. Sie wurden am Tagnach der Festnahme wieder aus der Haft entlassen. Un-mittelbare Rückschlüsse aus diesem Vorfall auf die Men-schenrechtslage in Papua sind nicht möglich. Es ist je-doch bekannt, dass die indonesische Regierungausländischen Journalisten regelmäßig die Einreise nachPapua verwehrt.

Zu beobachten ist eine faktische Verletzung der wirt-schaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechteder indigenen Bevölkerung. Menschenrechtsverteidigerin Papua sind Repressalien und Einschüchterungen aus-gesetzt. In Einzelfällen kommt es zu unverhältnismäßigharten Strafurteilen für Einwohner Papuas, insbesondereim Umfeld bloßer Meinungsäußerung.

Die Bundesregierung steht in engem und regelmäßi-gem Kontakt mit den in Indonesien tätigen Menschen-rechtsverteidigern und fördert die Arbeit nichtstaatlicherOrganisationen wie „Peace Brigades International“– pbi. Möglichkeiten der Unterstützung des Aufbausfunktionierender rechtsstaatlicher und gemeinwohlorien-tierter Strukturen der Daseinsvorsorge in Papua werdenmit der indonesischen Seite erörtert. Gleichwohl ist eine

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Zurückhaltung auf indonesischer Seite aufgrund derpolitischen Sensibilität des Themas unübersehbar.

Die Frage der Menschenrechte und die Vertiefung derbilateralen Zusammenarbeit in diesem Bereich ist Ge-genstand der regelmäßigen Treffen zwischen Regie-rungsvertretern und Parlamentariern beider Länder, sobei den Besuchen des Bundesministers des Auswärtigen,Dr. Frank-Walter Steinmeier, im Februar 2008 und desBeauftragten der Bundesregierung für Menschenrechts-politik und Humanitäre Hilfe, Günter Nooke, im Februar2009.

Anlage 31

Antwort

des Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf die Frageder Abgeordneten Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 47):

Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen desGold- und Kupferabbaus der US-amerikanischen Firma Free-port-McMoRan Copper & Gold Inc. in West-Papua auf dieMenschenrechte der Ureinwohner von West-Papua vor demHintergrund, dass das indonesische Umweltministerium dieFirma seit 1997 wiederholt wegen umweltzerstörender Maß-nahmen verwarnt hat?

Laut der Bundesregierung bekannten Medienberich-ten soll es in der Vergangenheit beim Betrieb der Gold-und Kupfermine (PT Freeport) der US-amerikanischenFirma Freeport McMoRan Copper and Gold Inc. in derProvinz Papua zu Verstößen gegen umweltrechtlicheAuflagen des indonesischen Umweltministeriums ge-kommen sein.

So sollen Abwasser und Abraum ohne die erforderli-chen Genehmigungen unter anderem in den Ajikwa-Fluss abgeleitet worden sein.

Im März 2006 hat das indonesische Umweltministe-rium einen Bericht veröffentlicht, in dem diese Verstößekritisiert werden. Vor diesem Hintergrund kommt es im-mer wieder zu gegen PT Freeport gerichteten Demon-strationen und sporadischen Unruhen unter der indige-nen Bevölkerung, zuletzt im März 2006.

Das Unternehmen ist seit geraumer Zeit im Bereich des„Corporate Social Responsibility“ – der gesellschaftlichenVerantwortung von Unternehmen – in Papua engagiert.

Anlage 32

Antwort

des Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf die Fragedes Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/13102, Frage 49):

Wie beurteilt die Bundesregierung die Massentötung vonSchweinen durch die ägyptische Regierung vor dem Hinter-grund der Eindämmung der sogenannten Schweinegrippe,und welche Auswirkungen sieht die Bundesregierung für diekoptische Minderheit in Ägypten?

Die neue Influenza A – H1N1 – ist bisher weltweitnur in einem Schweinebestand in Kanada nachgewiesenworden, in den sie nachweislich durch einen aus Mexiko

zurückgekehrten Reisenden eingeschleppt wurde. DerBegriff „Schweinegrippe“ ist irreführend und falsch. DieKeulung von Schweinen in Ägypten ist aus Sicht derBundesregierung keine Maßnahme, die geeignet wäre,einer Ausbreitung der von Mensch zu Mensch übertrage-nen H1N1-Epidemie nach Ägypten vorzubeugen. NachEinschätzung der Bundesregierung sind religiöse As-pekte nicht maßgeblich für das Handeln der ägyptischenRegierung. Die Behörden in Kairo haben schon seit Jah-ren versucht, die Massenhaltung von Schweinen aus derStadt in die Randbezirke zu verlagern. Die seitens derRegierung getroffenen Maßnahmen treffen gleicherma-ßen christliche wie muslimische Schweinehalter, wobeies sich bei der Mehrzahl der Betroffenen um Koptenhandelt. Eine wirtschaftliche Schädigung der Schweine-halter, die trotz Entschädigungszahlungen eintretendürfte, nimmt die Regierung dabei in Kauf.

Die Regierung kann sicher sein, dass die Mehrheit dermuslimischen Bevölkerung die Maßnahmen willkom-men heißt.

Dies liegt unter anderem auch an Fehlperzeptionenund Ängsten in der muslimischen Bevölkerung, die auchmit dem Schweinefleischverbot des Islam zusammen-hängen. Die an guten Beziehungen zur Regierung inte-ressierte koptische Amtskirche hat die Maßnahmenebenfalls begrüßt. Die ägyptische Regierung betont im-mer wieder, dass sie ein hohes Interesse am friedlichenZusammenleben von Muslimen und Christen hat.

Anlage 33

Antwort

des Parl. Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf dieFrage des Abgeordneten Wilhelm Josef Sebastian(CDUCSU) (Drucksache 16/13102, Frage 50):

Was hat die Bundesregierung davon abgehalten, es offi-ziell zu begrüßen, dass Taiwan als Beobachter zur diesjähri-gen Weltgesundheitsversammlung eingeladen wurde, wie diesdie EU, Frankreich und Großbritannien getan haben?

Die Bundesregierung hat die Teilnahme Taiwans alsBeobachter an der soeben zu Ende gegangenen Weltge-sundheitsversammlung begrüßt und unterstützt. Die zu-nehmende Zahl globaler Gesundheitsgefahren erfordert,dass Fachleute ungeachtet politischer Umstände eng zu-sammenarbeiten und Informationen austauschen.

Die Bundesregierung hat sich daher in enger Abstim-mung mit den EU-Partnern seit langem dafür eingesetzt,die pragmatische Mitarbeit Taiwans in der WHO zu ver-tiefen.

Die tschechische Präsidentschaft hat dazu am 8. Mai2009 im Namen aller EU-Mitglieder und weiterer zwölfStaaten in Brüssel eine Erklärung veröffentlicht und da-rin uneingeschränkt die Teilnahme Taiwans als Be-obachter an der 62. Weltgesundheitsversammlung be-grüßt und unterstützt.

Die Bundesregierung legt in dieser Frage Wert aufeine einheitliche Haltung der EU und hat daher davonabgesehen, dieser Erklärung eine weitere nationale Ein-zelerklärung hinzuzufügen.

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