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Deutscher Studienpreis 2017 2. Preis in der Sektion Geistes- und Kulturwissenschaften Dr. Stefanie Egidy Finanzkrise und Verfassung – Das gefährliche Demokratiedefizit des deutschen Finanzkrisenmanagements Die Finanzkrise 2007–2009 war ein Belastungstest für das Verfassungsrecht. Die gesetzliche Delegation weitgehend ungebundener Entscheidungsgewalt an die Exekutive ohne Errichtung effektiver Kontrollsysteme und Transparenzpflichten nahm der Bevölkerung die Möglichkeit, eine Debatte zu Kosten und Methoden des Finanzkrisenmanagements zu führen. Bis heute mussten die Entscheidungs- träger keine umfassende Rechenschaft über die Verwendung staatlicher Gelder ablegen. Illustrativ hierfür ist auch der derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Organstreit über den Zugang zu Informationen über den staatlichen Beitrag zu der Finanzkrise und die ergriffenen Stabilisierungsmaßnahmen. Der Kontrollverzicht der Legislative stellt einen gravierenden Verstoß gegen das Demo- kratieprinzip des Grundgesetzes dar, zumal die ergriffenen Maßnahmen gerade nicht vorbild- und alternativlos waren. So zeigt das Beispiel der USA instruktiv die in Deutschland ungenutzt gebliebenen Spielräume, Kontrollmechanismen auch im Rahmen einer Finanzkrise zu etablieren. Die Gefahr ist groß, dass in der nächs- ten Finanzkrise die »bekannten und bewährten« Stabilisierungsmaßnahmen wie- derbelebt werden. Meine Arbeit vertieft diese weiterhin notwendige Diskussion und unterbreitet – basierend auf einem Rechtsvergleich mit den USA – konkrete Vorschläge zur Errichtung effektiver Kontrollsysteme im deutschen Finanzkrisen- management. Dabei muss die verfassungsrechtliche Aufarbeitung gerade jetzt, rechtzeitig vor der nächsten Finanzkrise, erfolgen, um sicherzustellen, dass zu- künftiges Finanzkrisenmanagement verfassungskonform erfolgt und so eine Ero- sion des Demokratieprinzips verhindert wird. Dr. Stefanie Egidy promovierte an der Julius-Maximilians-Universität Würz- burg, Fach- und Spezialgebiet: Rechtswissenschaft

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Deutscher Studienpreis 2017

2. Preis in der Sektion Geistes- und Kulturwissenschaften

Dr. Stefanie Egidy

Finanzkrise und Verfassung – Das gefährliche Demokratiedefizit des deutschen Finanzkrisenmanagements

Die Finanzkrise 2007–2009 war ein Belastungstest für das Verfassungsrecht. Die gesetzliche Delegation weitgehend ungebundener Entscheidungsgewalt an die Exekutive ohne Errichtung effektiver Kontrollsysteme und Transparenzpflichten nahm der Bevölkerung die Möglichkeit, eine Debatte zu Kosten und Methoden des Finanzkrisenmanagements zu führen. Bis heute mussten die Entscheidungs-träger keine umfassende Rechenschaft über die Verwendung staatlicher Gelder ablegen. Illustrativ hierfür ist auch der derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Organstreit über den Zugang zu Informationen über den staatlichen Beitrag zu der Finanzkrise und die ergriffenen Stabilisierungsmaßnahmen. Der Kontrollverzicht der Legislative stellt einen gravierenden Verstoß gegen das Demo-kratieprinzip des Grundgesetzes dar, zumal die ergriffenen Maßnahmen gerade nicht vorbild- und alternativlos waren. So zeigt das Beispiel der USA instruktiv die in Deutschland ungenutzt gebliebenen Spielräume, Kontrollmechanismen auch im Rahmen einer Finanzkrise zu etablieren. Die Gefahr ist groß, dass in der nächs-ten Finanzkrise die »bekannten und bewährten« Stabilisierungsmaßnahmen wie-derbelebt werden. Meine Arbeit vertieft diese weiterhin notwendige Diskussion und unterbreitet – basierend auf einem Rechtsvergleich mit den USA – konkrete Vorschläge zur Errichtung effektiver Kontrollsysteme im deutschen Finanzkrisen-management. Dabei muss die verfassungsrechtliche Aufarbeitung gerade jetzt, rechtzeitig vor der nächsten Finanzkrise, erfolgen, um sicherzustellen, dass zu-künftiges Finanzkrisenmanagement verfassungskonform erfolgt und so eine Ero-sion des Demokratieprinzips verhindert wird.

Dr. Stefanie Egidy promovierte an der Julius-Maximilians-Universität Würz-burg, Fach- und Spezialgebiet: Rechtswissenschaft

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Die Demokratiedefizite des deutschen Fi-nanzkrisenmanagements trugen nachhaltig zu ei-ner Kultur des Demokratieverdrusses bei, indem den Bürgerinnen und Bürgern die Teilnahme an einer Debatte zu den Kosten und Methoden der Bewältigung einer so einschneidenden Erfahrung wie der Finanzkrise 2007–2009 mangels Trans-parenz der geplanten Maßnahmen letztlich ver-schlossen blieb. Illustrativ ist das noch acht Jahre nach dem Ende der Finanzkrise vor dem Bundes-verfassungsgericht anhängige Organstreitverfah-ren zwischen Bundestagsabgeordneten der Frakti-on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Fraktion selbst und der Bundesregierung über die Reich-weite der parlamentarischen Informationsrechte im Bereich des Finanzkrisenmanagements.

Meine Arbeit stößt eine lang überfällige Dis-kussion über eben jene Demokratiedefizite des Finanzkrisenmanagements an. Sie argumentiert, dass diese Form der Krisenbewältigung nicht zur Blaupause in zukünftigen Finanzkrisen werden darf, welche – wie historische Erfahrungen und gegenwärtige Entwicklungen zeigen – nicht in allzu ferner Zukunft liegen dürften. Deshalb ist die rechtzeitige Aufarbeitung der Erfahrungen der vergangenen Krise in Zeiten stabiler Finanz-märkte von essenzieller Bedeutung. Mittels eines Rechtsvergleichs mit den USA unterbreitet meine Dissertation konkrete Vorschläge zur Errichtung effektiver Kontrollsysteme im deutschen Finanz-krisenmanagement und leistet somit einen Bei-trag zur Vermeidung zukünftiger Verfassungsver-stöße.

Der wesentliche Ausgangspunkt meiner Analyse sind die Kontroll- und Transparenzdefizi-te des deutschen Finanzkrisenmanagements. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich auf dem Hö-

hepunkt der Finanzkrise im Oktober 2008 dazu, der Exekutive einen weitgehend ungebundenen Entscheidungsspielraum zur Krisenbewältigung zu gewähren. Zugleich verzichtete er auf die Einrichtung effektiver Kontrollsysteme. Die oh-nehin schon geringen verfassungsrechtlich und gesetzlich bestehenden Kontrollmöglichkeiten exekutiven Handelns durch das Parlament, die Opposition, die Presse und Öffentlichkeit erwie-sen sich als wirkungslos. So konnten Gesetzgeber und Exekutive ihre Lösungen zur Bewältigung der Finanzkrise als »alternativlos« und »vorbild-los« präsentieren, auch wenn sie dies mitnichten waren. Bis heute, zehn Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise, mussten die Entscheidungs-träger keine umfassende Rechenschaft über die Verwendung staatlicher Gelder ablegen. Noch im-mer ist unklar, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Stabilisierung privater Fi-nanzinstitute durch den deutschen Staat erfolgte. Dies verhinderte nicht nur jedwede Kontrolle der Entscheidungen, sondern blockierte auch eine öffentliche Auseinandersetzung über die getrof-fenen Maßnahmen. Hieraus ergibt sich die poli-tische, aber auch rechtliche Brisanz des Themas.

Das identifizierte Demokratiedefizit droht, dem demokratischen System des Grundgesetzes nachhaltig Schaden zuzufügen. Dabei ist die Si-cherung der demokratischen Legitimation des Fi-nanzkrisenmanagements nicht allein ein akade-misches Problem. Eine Demokratie lebt von der Rechtfertigung der Staatsgewalt gegenüber dem Staatsvolk. Enttäuschte Erwartungen an eine Diskussion über das »Wie« der Bewältigung der Finanzkrise trugen zu einer wachsenden Desillu-sionierung der deutschen Bevölkerung über die Funktionsfähigkeit des politischen Systems bei.

Der vorliegende Beitrag wurde beim Deutschen Studienpreis 2017 mit dem 2. Preis in der Sektion Geistes- und Kultur-wissenschaften ausgezeichnet. Er beruht auf der 2016 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg eingereichten Dissertation »Verfassung und Finanzkrise – Die verfassungsrechtliche Dimension des Finanzkrisenmanagements in Deutschland und den USA« von Dr. Stefanie Egidy.

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Rechtlich droht eine kontinuierliche Missachtung der unter dem Demokratieprinzip des Grundge-setzes geltenden Pflichten zu einer Erosion des Demokratieprinzips zu führen. Dabei ist dieses kein Schönwetterprinzip, sondern muss gerade auch in Krisenzeiten Wirkung entfalten.

In der öffentlichen Wahrnehmung schei-nen die Probleme der Finanzkrise 2007–2009 seit Jahren bewältigt. Der politische Fokus lag nur so lange auf dem Finanzkrisenmanagement, wie Instabilitäten auf den Finanzmärkten fortbestan-den oder – zynischer formuliert – die Rhetorik der »Krisenhaftigkeit« der Situation zur Rechtfer-tigung einschneidender Maßnahmen nötig war. Die Folgewirkungen des Finanzkrisenmanage-ments erstrecken sich indes bis heute. Die Frage über den Zugang zu Informationen wird spätes-tens in der nächsten Finanzkrise virulent wer-den. Sie ist symptomatisch für ein gravierendes, jedoch wissenschaftlich wie auch politisch sträf-lich vernachlässigtes Problem.

Meine Arbeit zeigt, dass sich das Diktum der »Krise als Stunde der Exekutive« in der Finanzkri-se 2007–2009 in Deutschland bewahrheitete. Der Gesetzgeber delegierte die Aufgabe des Finanzkri-senmanagements an die Exekutive und räumte dieser einen weitgehenden Gestaltungsspielraum ein (I.). Er sah davon ab, wirksame Transparenz- und Kontrollmechanismen vorzusehen, was auch bereits bestehende Kontrollsysteme nicht kom-pensieren konnten (II.). Dabei war eine solche Gestaltung des Finanzkrisenmanagements nicht alternativlos, da dem Gesetzgeber ein Entschei-dungsspielraum bei der Auswahl der eingesetzten Instrumente zukommt (III.). Das diagnostizierte Demokratiedefizit verstößt gegen das deutsche Grundgesetz, welches Öffentlichkeit und Kont-rolle wesentlicher Entscheidung fordert, und lässt sich weder durch die besondere Eilbedürf-tigkeit staatlicher Maßnahmen in Finanzkrisen noch durch Heranziehung von Notstandsrechten rechtfertigen (IV.). Meine Arbeit zieht das im Fi-nanzkrisenmanagement der USA geschaffene Kontrollsystem vorbildhaft heran, um derartige

Demokratiedefizite in zukünftigen Finanzkrisen zu verhindern und einer Erosion des Demokra-tieprinzips entgegenzuwirken (V.). Das Beispiel der USA zeigt instruktiv die in Deutschland un-genutzt gebliebenen Spielräume und Möglich-keiten, Kontrollmechanismen auch im Rahmen einer Finanzkrise zu etablieren. Diese Analyse entfaltet besonders deshalb Relevanz, weil gegen-wärtiger Handlungsbedarf besteht (VI.).

I. Finanzkrise als Stunde der Exekutive

Das deutsche Finanzkrisenmanagement erfolgte (nach einer kurzen Phase ad hoc vorge-nommener Stabilisierungen von Finanzinstitu-ten) auf Grundlage des im Oktober 2008 erlasse-nen Finanzmarktstabilisierungsgesetzes. Dieses schuf zunächst den Sonderfonds Finanzmarkt-stabilisierung (SoFFin) und wies ihm die Aufgabe zu, durch die Stützung von Finanzinstituten den Finanzmarkt zu stabilisieren.

Die außergewöhnlich weit gehende Delega-tion von Entscheidungsgewalt zeigt sich in den folgenden Weichenstellungen: Zunächst einmal stellte der Gesetzgeber der Exekutive ein bis zu 480 Mrd. Euro umfassendes Budget zur Verfü-gung, das in seiner Größe die Ausgaben eines üblichen Bundesjahreshaushalts weit überstieg. Die Exekutive konnte die Gesamtsumme fast vollumfänglich nutzen, ohne bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte durch parlamenta-rische Zustimmungspflichten gebunden zu sein. Weiterhin enthielt die gesetzliche Ermächtigung keine Einschränkungen hinsichtlich der Beset-zung der beiden Organe des SoFFin, denen die Steuerung des Finanzkrisenmanagements ob-lag. Insbesondere bestanden keine Vorgaben zur Verhinderung persönlicher und institutioneller Interessenkonflikte. So konnte etwa der über die Stabilisierung einzelner Finanzinstitute ent-scheidende Leitungsausschuss mit Personen be-setzt werden, die in anderer Funktion zuvor an der Entstehung der Finanzkrise beteiligt waren – sei es als politische Entscheidungsträger oder als

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ehemalige Führungskräfte von in Schwierigkei-ten geratenen Finanzinstituten. Es fehlte auch an Inkompatibilitätsvorschriften, die eine Weiterbe-schäftigung der Finanzkrisenmanager in den von ihnen stabilisierten Banken ausschlossen.

Rechtliche Regelungsfreiheit herrschte nicht nur im Rahmen der Besetzung der Steue-rungseinheiten, sondern auch hinsichtlich des Verfahrens der Vergabe von Stabilisierungs-maßnahmen. So waren gesetzlich weder An-hörungspflichten noch Informationspflichten oder sonstige Verfahrenspflichten vorgesehen. Der Gesetzgeber gewährte zudem einen beson-ders umfassenden Spielraum bei der Auswahl der Empfänger von Stützungsmaßnahmen zum Zweck der »Stabilisierung der Finanzmärkte«. Dem Entscheidungsgremium oblag nicht nur die Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs, sondern auch die Beurteilung, wann eine Stüt-zung eines Finanzinstituts überhaupt zu der Sta-bilisierung des Finanzmarktes beitragen konnte. Es blieb sodann der Ermessensausübung der Ex-ekutive überlassen, ob eine Stabilisierung eines bestimmten Finanzinstituts erfolgte und, wenn ja, in welcher Form und unter welchen Konditi-onen. Der Gesetzgeber nannte zwar beispielhaft verschiedene Bedingungen, unter denen Stabi-lisierungshilfen gewährt werden konnten (wie etwa eine Begrenzung der Vorstandsgehälter), überließ es aber der Bundesregierung, in der ge-setzeskonkretisierenden Verordnung nähere Be-stimmungen hinsichtlich des Einsatzes und der Ausformung solcher Bedingungen vorzusehen. Auch die Verordnung selbst sah aber kaum Ein-schränkungen des Handlungsspielraums des SoF-Fin vor. Dieser hatte somit ein weitgehend unge-bundenes Ermessen hinsichtlich der Auswahl der Empfänger, der Maßnahmen und Bedingungen. Die letztlich nahezu umfassende Delegation von Entscheidungsgewalt zeigt, dass die Finanzkrise 2007–2009 eine »Stunde der Exekutive« war.

II. Kontroll- und Transparenzdefizite des Fi-nanzkrisenmanagements

Der Gesetzgeber entschied sich zugleich gegen die Errichtung effektiver Kontrolle und In-formationsmechanismen. Nachdem der zunächst eingebrachte Gesetzentwurf das demokratische Bedürfnis nach Transparenz und Überwachung fast gänzlich außer Acht ließ, ergänzte der Haus-haltsausschuss das Gesetz um Berichtspflichten der Exekutive und ein Kontrollgremium. Das Fi-nanzmarktstabilisierungsgesetz wurde in dieser geänderten Form erlassen.

Allerdings erwiesen sich auch die nach-träglich eingefügten Kontrollmechanismen als weitgehend wirkungslos. Die Pflicht der Exekuti-ve, den Haushaltsausschuss und den Finanzaus-schuss unverzüglich »über Erlass und Änderun-gen der Rechtsverordnung« und regelmäßig »über den aktuellen Sachstand« zu unterrichten, blieb inhaltlich weitgehend unbestimmt und enthielt keine Durchsetzungsmechanismen. Auch das eingerichtete parlamentarische »Gremium zum Finanzmarktstabilisierungsfonds« erwies sich letztlich als zahnlos. Kritik an der geringen Kon-trollwirkung äußerten Medienberichten zufolge auch Mitglieder des Gremiums selbst. Das mit parlamentarischen Abgeordneten des Haushalts-ausschusses besetzte Gremium sollte das Finanz-krisenmanagement der Exekutive kontrollieren. Hierzu hatte es die Kompetenz, Entscheidungs-träger des SoFFin, später auch Vertreter der Or-gane eines von einer Maßnahme begünstigten Unternehmens zu laden und zu befragen. Dem korrespondierte eine Antwortpflicht. Allerdings standen dem Gremium für den Fall von Nicht-erscheinen, Antwortverweigerung oder -verzö-gerung keine Durchsetzungsmechanismen zur Verfügung. Es verfügte zudem über keinen eige-nen Verwaltungsunterbau und war einer umfas-senden Geheimhaltungspflicht unterworfen. Dies erschwerte einerseits eine effektive Informations-

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verarbeitung und schloss andererseits die Kom-munikation mit der Öffentlichkeit aus. Somit konnte das Kontrollgremium die Entscheidungs-träger schon strukturell nicht öffentlich zur Ver-antwortung ziehen.

Eine solche Geheimhaltung kann vor dem Hintergrund der während der Finanzkrise fortbe-stehenden Instabilitäten auf den Finanzmärkten und der hohen Gefahr einer Reaktion von Märkten auf Maßnahmen des Finanzkrisenmanagements zwar grundsätzlich erforderlich sein. Bemerkens-wert ist jedoch, dass sich der Gesetzgeber für eine umfassende und zeitlich unbegrenzte Geheim-haltungspflicht entschied. Es wäre ohne Weiteres möglich gewesen, abgestufte Informationspflich-ten vorzusehen oder die Veröffentlichung von In-formationen nach Ablauf bestimmter Fristen zu fordern. Alternativ hätte auch ein Expertengremi-um eingesetzt werden können, mit der Aufgabe, in regelmäßigen Abständen über die Veröffentli-chung zu entscheiden und zu begründen, warum eine Veröffentlichung im Einzelfall die Stabilität des Finanzmarktes gefährde.

Auch entschied sich der Gesetzgeber gegen eine Erleichterung und Verbesserung gerichtli-cher Kontrollmöglichkeiten. Eine Nutzung des regulären zivil- oder verwaltungsprozessualen Instrumentariums zur Kontrolle des Finanzkri-senmanagements krankte letztlich an eben dem durch die Kontrolle zu erreichenden Ziel, dem mangelnden Informationszugang. Denn ein Fi-nanzinstitut kann dann nicht gegen die Stabi-lisierung eines Konkurrenten oder gegen Ver-fahrensfehler der Entscheidung über die eigene Stabilisierung vorgehen, wenn ihm die für eine vor Gericht erforderliche Substantiierung der Vorwürfe notwendigen Informationen fehlen. Ein derartiges strukturelles Problem kann durch prozessuale Beweislasterleichterungen, materi-elle Informationsansprüche oder erweiterte Kla-gerechte behoben werden. Solche Rechtsschutz-erleichterungen sah der Gesetzgeber allerdings nicht vor. Er verkürzte teilweise sogar die Fristen zur gerichtlichen Geltendmachung von Rech-

ten. Letztlich konnten auch die Aktionäre eines Finanzinstituts oft nicht gegen (drohende) Stabi-lisierungsmaßnahmen vorgehen, weil ihnen kei-ne hinreichenden Informationsrechte gegenüber dem Vorstand der Gesellschaft oder dem SoFFin zustanden.

Ebenso wenig vermochte das Informations-freiheitsgesetz des Bundes, Transparenz herzu-stellen. Da sein Anwendungsbereich eng und sei-ne Ausnahmevorschriften weit ausgelegt werden, ließ es sich nicht auf Maßnahmen des Finanzkri-senmanagements anwenden. Eine gesetzliche Er-weiterung des Regelungsregimes erfolgte nicht.

Insgesamt war das Kontrollregime des deut-schen Finanzkrisenmanagements somit nicht nur defizitär, sondern fast gänzlich inexistent.

Dieses Versäumnis lässt sich auch nicht mit Verweis auf die Eilbedürftigkeit der Entschei-dungssituation in der Finanzkrise rechtfertigen. Ein genauer Blick in den Entstehungsprozess des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes widerlegt den Mythos der Alternativlosigkeit der weiten Delegation von Entscheidungsgewalt und des Verzichts auf effektive Kontrollmechanismen aufgrund des hohen Zeitdrucks. Obwohl das Ver-fahren vom Einbringen des (in wenigen Tagen von Rechtsanwaltskanzleien erstellten und weit-gehend unverändert erlassenen) Gesetzentwurfs bis zum Erlass nur vier Tage in Anspruch nahm, sah der durch die Oppositionsparteien vorgelegte Gegenentwurf, der im Haushaltsausschuss disku-tiert und schließlich abgelehnt wurde, verschie-dene weiter gehende Kontrollmechanismen vor. Der Gesetzgeber entschied sich aber ohne einge-hende Diskussion gegen deren Aufnahme in das Gesetz.

Die Kontroll- und Transparenzdefizite wur-den auch nicht durch die anderen Gewalten kom-pensiert. Vor allem das Bundesverfassungsgericht übte keine inhaltliche Kontrolle des Finanzkri-senmanagements aus. Dabei erreichten durchaus einige Verfahren verschiedener Gruppen von Be-schwerdeführern das Bundesverfassungsgericht. Hierzu gehörte der Aktionär eines Finanzinsti-

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tuts, der nach einer Verwässerung seiner Antei-le durch Stabilisierungsmaßnahmen des Finanz-krisenmanagements im Wege eines Squeeze-out zugunsten der öffentlichen Hand aus seiner Ak-tionärsstellung verdrängt wurde. Er berief sich auf die Verfassungswidrigkeit der entsprechen-den Vorschriften des Finanzmarktstabilisierungs-gesetzes und der zugehörigen Verordnung. Des Weiteren machte eine Verfassungsbeschwerde die Verfassungswidrigkeit der im Rahmen des Finanzkrisenmanagements gesetzlich vorgese-henen Enteignungsmaßnahmen geltend. Zuletzt trug eine Anlegerin, die ihr Vermögen außerhalb von Finanzinstituten im Anwendungsbereich des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes investiert hatte und daher nicht von den Stabilisierungs-maßnahmen profitieren konnte, einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor. Das Bun-desverfassungsgericht entschied sich jedoch, teil-weise in einer nicht überzeugenden Gesamtab-wägung, gegen eine Annahme dieser Verfahren zur Entscheidung, obwohl es im erstgenannten Verfahren ausdrücklich feststellte, dass die all-gemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde naheläge.

Der wesentliche Faktor fehlender bundes-verfassungsgerichtlicher Kontrolle waren aller-dings die mangelnden Möglichkeiten der Oppo-sitionsparteien zu Zeiten der Großen Koalition, die Verfassungswidrigkeit des Finanzkrisenma-nagements geltend zu machen. Das Grundgesetz erforderte zur Zeit des Erlasses des Finanzmarkt-stabilisierungsgesetzes für einen Antrag auf abs-trakte Normenkontrolle die Zustimmung eines Drittels der Mitglieder des Bundestages, um ein Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu las-sen. Im Jahre 2005 ergab die Bundestagswahl al-lerdings die Bildung einer Großen Koalition mit Oppositionsfraktionen, die im Bundestag nur ei-nen Anteil von 27 Prozent ausmachten und da-mit unterhalb des erforderlichen Drittels blieben. Die im Dezember 2009 erfolgte Absenkung der Zustimmungsquote auf ein Viertel löste dieses

Problem nicht für die Zukunft. Schon die Zusam-mensetzung der im Jahre 2013 gebildeten Großen Koalition blieb mit einem Anteil der Oppositions-parteien von gut 20 Prozent auch hinter diesem Zustimmungserfordernis zurück. Auch die für die 18. Legislaturperiode eingeführten Minderhei-tenrechte im Bundestag umfassten gerade nicht die Möglichkeit zur Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle. Den im Organstreit gestellten Antrag der Oppositionsfraktion Die Linke auf ge-setzliche Schaffung spezifischer Oppositionsfrak-tionsrechte lehnte das Bundesverfassungsgericht im Mai 2016 ab.

Der Opposition blieb in der Finanzkrise als effektive Kontrollmöglichkeit allein die Einrich-tung eines Untersuchungsausschusses. Einen sol-chen nutzte sie zur Aufklärung der Einzelheiten der Stabilisierung der Hypo Real Estate, sodass allein für diesen singulären Fall des Finanzkri-senmanagements hinreichend Informationen über das Verfahren und die Entscheidungsbedin-gungen zur Verfügung stehen. Das rechtlich nur auf punktuelle Aufklärung von Sachverhalten begrenzte Mandat eines Untersuchungsausschus-ses erreichte zwar eine hohe Informationstiefe, allerdings keine Informationsbreite. Der Umfang der Aufklärung war auch faktisch durch die ge-ringen personellen und finanziellen Kapazitäten stark begrenzt. Für die Gewährleistung von Kon-trolle und Transparenz des Finanzkrisenmana-gements zeigt sich das Instrument des Untersu-chungsausschusses gerade nicht geeignet. Somit blieb den Mitgliedern des Bundestages konkret nur die Nutzung ihrer parlamentarischen Frage-rechte, wie vor allem das Stellen Kleiner und Gro-ßer Anfragen an die Bundesregierung. Allerdings ließ die Bundesregierung derartige Anfragen von Mitgliedern der Oppositionsparteien zu Einzel-heiten des Finanzkrisenmanagements inhaltlich weitgehend unbeantwortet und verweigerte die Herausgabe von Informationen. Sie verschloss damit weite Informationsräume vor dem Zugriff parlamentarischer Abgeordneter unter pauscha-len Verweisen auf drohende nachteilige Auswir-

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kungen einer (öffentlichen) Auskunft auf die Markt- und Wettbewerbssituation der betroffe-nen Finanzinstitute, vor allem mit Blick auf das Vertrauen der Marktakteure. Hiermit beschäftigt sich der derzeit vor dem Bundesverfassungsge-richt anhängige Organstreit.

Auch die Presse, oft als vierte Gewalt im System des Grundgesetzes verstanden, vermoch-te es nicht, ohne Mitwirkung der Legislative und Exekutive Transparenz des Finanzkrisenmana-gements herzustellen. Ohne verfügbare Infor-mationen gelang es der Presse nicht, das Finanz-krisenmanagement mit hinreichend belegten Einwänden im Detail zu kritisieren oder die Öf-fentlichkeit auf konkrete Missstände aufmerksam zu machen.

III. Der Mythos der Alternativlosigkeit

Die in der Finanzkrise 2007–2009 oft als alternativ- und vorbildlos qualifizierten Maß-nahmen des Finanzkrisenmanagements waren tatsächlich weder alternativlos noch vorbildlos. Trotz und gerade wegen der besonderen Heraus-forderungen der Bewältigung einer Finanzkrise gab es nicht »die eine« mögliche Lösung. Die staat-lichen Entscheidungsträger verfügten vielmehr über ein Arsenal an Instrumenten, die bereits in früheren Finanzkrisen im In- und Ausland zum Einsatz gekommen waren und instruktiv für die Gestaltung der Lösung zukünftiger Finanzkrisen herangezogen werden konnten.

Die Auswahlentscheidung der staatlichen Akteure hinsichtlich des »Ob« und »Wie« der Kri-senbewältigung musste vor allem die Eigenart der Finanzkrise berücksichtigen. Die auf den Fi-nanzmärkten gehandelten Wertpapiere sind mit geringen Transaktionskosten elektronisch über weite Entfernungen schnell übertragbar und für Innovationen leicht zugänglich. Die mehrfachen Verbriefungen und Weiterveräußerungen von Wertpapieren führten zu einer in der Finanz-krise 2007–2009 problematischen, besonderen Verflechtung der Finanzinstitute. Das staatliche

Finanzkrisenmanagement stand vor der Heraus-forderung, eine durch Insolvenzen ausgelöste mögliche Kettenreaktion mittels der Stabilisie-rung systemrelevanter Finanzinstitute zu ver-hindern. Gleichzeitig sollte es einer Ausnutzung staatlicher Rettungsschirme bei Fortführung risi-koreicher Geschäfte entgegenwirken. Dabei spiel-te das Phänomen des Vertrauens eine besondere Rolle. Finanzinstitute leihen kurzfristig und ver-leihen langfristig. In Verbindung mit den gerin-gen Eigenkapitalquoten reichen die verfügbaren Mittel eines Finanzinstituts in aller Regel nicht aus, um alle Einlagen auf einmal auszuzahlen. Bei einem Vertrauensverlust der Anleger in die Sol-venz und Liquidität eines Finanzinstituts droht ein sogenannter Bank Run, d.h. ein Ansturm der Anleger auf ein Finanzinstitut mit dem Ziel, ihre Einlagen abzuziehen, bevor die vorhandenen Mittel erschöpft sind. Deshalb sind Maßnahmen des Finanzkrisenmanagements vor allem auch auf die (Wieder-)Herstellung des Vertrauens der Marktteilnehmer zu richten.

Mit diesen Besonderheiten von Finanzkri-sen korrespondieren Zielkonflikte des Finanz-krisenmanagements: Der Staat muss hierbei mit Zeitdruck und begrenzten Ressourcen umgehen, gleichzeitig aber die Effektivität seiner Maßnah-men sichern. Zudem können staatliche Maßnah-men ihre volle vertrauenssteigernde Wirkung nur entfalten, wenn sie zu einem gewissen Grad vorhersehbar sind. Jedoch droht die sichere Er-wartung des Erhalts staatlicher Stabilisierungshil-fen, Anreize zum Ausnutzen dieser Maßnahmen zu schaffen, die wiederum destabilisierende Wir-kung entfalten können.

Finanzkrisenmanagement kann durch eine Vielzahl an Maßnahmen erfolgen. Hierzu gehört beispielsweise die staatliche Organisation und Unterstützung privater Stabilisierungslösungen. Möglich sind auch die Suspendierung und Modi-fikation rechtlicher Anforderungen. Sie können verhindern, dass allein die krisenbedingten Tur-bulenzen auf den Finanzmärkten existenzielle Folgen für die Marktteilnehmer zeitigen (man

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denke etwa an die Verhängung eines Bankenfei-ertags, d.h. die temporäre Schließung von Finanz-instituten unter anderem zur Verhinderung von Bank Runs). Weiterhin stehen dem Staat neben Liquiditätsprogrammen der Zentralbanken auch die unmittelbaren staatlichen Stabilisierungshil-fen zur Verfügung, die idealtypisch Garantien, Rekapitalisierungen, Übernahmen von Risikopo-sitionen und Enteignungen umfassen.

Dabei unterscheiden sich die Charakteris-tika der verfügbaren Maßnahmen. Die staatliche Auswahlentscheidung hat sich entsprechend des Anforderungsprofils der konkreten Finanzkrise an diesen Kriterien zu orientieren. Zu fragen ist unter anderem, ob eine Stabilisierung durch Set-zung marktwirtschaftlicher Anreize oder hoheit-licher Eingriffsmechanismen stattfinden soll; wie hoch der staatliche Mitteleinsatz sein soll; ob die Steuerzahler oder die Gläubiger der Finanzinsti-tute, ihre Eigentümer oder Schuldner letztlich die Kosten der Stabilisierung tragen sollen; wie inten-siv in Eigentumspositionen eingegriffen werden soll; wie flexibel bzw. rechtssicher die Maßnah-men ausgestaltet werden sollen; und inwieweit sichergestellt werden soll, dass die staatlichen Maßnahmen ihr Stabilisierungsziel erreichen. Dem deutschen Gesetzgeber stand dabei hinsicht-lich der Auswahl, der Kombination und der Aus-gestaltung der passenden Maßnahmen ein weiter Gestaltungsspielraum zu – mithin das Gegenteil einer Alternativlosigkeit.

IV. Verletzung des grundgesetzlichen Demo-kratieprinzips

Das Finanzkrisenmanagement stellt das De-mokratieprinzip des Grundgesetzes vor besonde-re Herausforderungen. Die Ausübung von Staats-gewalt bedarf grundsätzlich der demokratischen Legitimation, d. h. der Rückführung auf das Volk. Gerade in Krisensituationen von hoher Komplexi-tät und Eilbedürftigkeit ist eine problematische Tendenz der Selbstentmachtung des Bundestages zu beobachten. Das Demokratieprinzip stellt trotz

seiner Unbestimmtheit Mindestanforderungen, die dem Spannungsfeld zwischen einem hohen demokratischen Legitimationsniveau und den Funktionsbedingungen der Bewältigung einer Fi-nanzkrise Rechnung tragen müssen. Es steht in seinem Kern allerdings nicht zur Disposition des Gesetzgebers.

Die Notwendigkeit parlamentarischer Kont-rolle ergibt sich aus dem Demokratieprinzip in seiner Ausprägung als Grundsatz der Verantwort-lichkeit der Regierung gegenüber der Volksver-tretung und dem Gewaltenteilungsgrundsatz als Prinzip gegenseitiger Kontrolle zur Mäßigung der Staatsgewalt. Zur Sicherung dieser Kontrolle bedarf es einer hinreichenden Information des Parlaments. Dies gilt umso mehr, je umfangrei-cher die an die Exekutive delegierte Gestaltungs-macht ist. Die Kontrolle von Regierungshandeln kann – mit regelmäßig unterschiedlich nuancier-ter Stoßrichtung – durch das Gesamtparlament, die Mehrheitsfraktionen oder vor allem auch die Opposition ausgeübt werden. Dabei ist diese Kontrolle grundsätzlich eine öffentliche. Dies gilt vor allem für die Kontrolle durch die Oppositi-on. Die Kontrolle durch die regierungstragenden Parteien erfolgt jedoch regelmäßig intern, ohne Beiziehung der Öffentlichkeit. Aufgrund des be-schränkten Informationsgehalts der unmittelba-ren Berichterstattung aus dem Parlament kommt der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit durch die Parlamentsfraktionen eine gesteigerte Bedeutung zu. Die durch eine solche öffentliche Kontrolle geschaffene Öffentlichkeit des Verwaltungshan-delns ist, wie Max Weber darlegt, »Vorbedingung jeder fruchtbaren Parlamentsarbeit«.

Der Verzicht auf funktionierende Kontroll-rechte und Transparenzpflichten im Finanzkri-senmanagement lässt sich weder – wie auch das Beispiel der USA zeigt – durch die Besonderhei-ten einer Finanzkrise noch unter der Ägide des Grundgesetzes durch einen Verweis auf Not-standsrechte rechtfertigen. Das Grundgesetz ent-hält zum einen keine Sondernormen für Finanz-krisen. Die Regelungen über den äußeren und

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inneren Notstand sind auch nicht auf Finanzkri-sen übertragbar. Zum anderen beansprucht das Grundgesetz nach herrschender Ansicht auch in Notstandssituationen Geltung und verschließt ei-nen Rückgriff auf außerrechtliche Maßnahmen. Eine Handlungskompetenz staatlicher Akteure außerhalb der Verfassung, extra constitutionem, wird gerade nicht gewährt. Eine Finanzkrise ist so mit dem grundgesetzlich bereitgestellten Instru-mentarium zu bewältigen.

V. Vorbildfunktion wirksamer Kontrollmecha-nismen in den USA

Das Beispiel der USA zeigt, dass die Errich-tung effektiver Kontrollsysteme auch im Rahmen des Finanzkrisenmanagements ohne Weiteres möglich war. Seine Besonderheiten und Heraus-forderungen forderten gerade keinen Verzicht auf Kontrolle und Transparenz. Der Vergleich mit den USA zeigt in verschiedenen Gestaltungsformen instruktiv ein funktionierendes Kontrollregime. Die durch das US-amerikanische Finanzmarkt-stabilisierungsgesetz, den Emergency Economic Stabilization Act, geschaffenen Kontrollinstanzen vermochten die ihnen zugewiesene Aufgabe, das Finanzkrisenmanagement kritisch zu hinterfra-gen und die Öffentlichkeit hierüber zu informie-ren, weitgehend zu erfüllen. Erst im Anschluss an die Inkorporation dieser Kontrollinstrumente in das Gesetz erreichte es eine legislative Mehrheit. Seine hier vertretene Vorbildfunktion stellt wohl-bemerkt weder das US-amerikanische Finanzkri-senmanagement von Kritik frei, noch empfiehlt sie eine unveränderte Übernahme des Kontrollre-gimes. Sie bietet vielmehr wertvolle Anstöße für die Etablierung von Kontrollmechanismen im zu-künftigen deutschen Finanzkrisenmanagement.

Im Einzelnen betraute der US-Gesetzgeber vier verschiedene Organe mit der Überwachung des US-Finanzkrisenmanagements. Erstens setzte der Gesetzgeber einen Sonderermittler ein, den sogenannten Special Inspector General for the Troubled Asset Relief Program (SIGTARP). Er war

nach dem Vorbild der zur Überwachung der Wie-deraufbauprogramme in Afghanistan und Irak je-weils eingesetzten Sonderermittler ausgestaltet, unterstand nur dem US-Präsidenten und erstat-tete vierteljährlich Bericht an den US-Kongress. Zweitens sollte das innerhalb der exekutiven Verwaltungsstruktur angesiedelte Financial Stabi-lity Oversight Board die Ausführung des Finanz-krisenmanagements überwachen und hierzu vierteljährlich Bericht erstatten. Drittens schuf der Gesetzgeber das Congressional Oversight Pa-nel als Ausschuss des US-Kongresses, der diesen bei der Überwachung des Finanzkrisenmanage-ments unterstützen und monatlich Bericht er-statten sollte. Viertens betraute der Gesetzgeber das Government Accountability Office, der beim US-Kongress angesiedelte Rechnungshof der USA, mit der zusätzlichen Aufgabe der Kontrolle des US-Finanzkrisenmanagements. Hierzu sah er eine zweimonatliche Berichterstattung und jährliche Rechnungsprüfung vor.

Ergänzend setzte der US-Gesetzgeber im Mai 2009 eine Kommission ein, die sogenannte Finan-cial Crisis Inquiry Commission, die das politisch spannungsgeladene Thema der Ursachen der Fi-nanzkrise 2007–2009 untersuchen sollte. Sie wur-de überparteilich und bikameral mit national an-erkannten Personen mit intensiver, einschlägiger beruflicher Erfahrung besetzt. Der Kommission durften weder Abgeordnete des US-Repräsentan-tenhauses oder des US-Senats noch Bedienstete der Bundes- oder Landesverwaltung angehören. Mit den notwendigen Kompetenzen und Mitteln ausgestattet, führte sie im Jahre 2010 Hunderte Vernehmungen und Befragungen durch und er-stellte auf deren Grundlage einen umfassenden Bericht.

Die Funktionsfähigkeit der Kontrollorgane wurde gesichert durch die Zuweisung weitgehen-der Kompetenzen, ihre hinreichende Mittelaus-stattung, aber vor allem auch die Errichtung von Mechanismen, die eine unparteiische Besetzung und eine effektive Kommunikation mit der Öf-fentlichkeit gewährleisteten.

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Die Kompetenzen der vier Kontrollorgane umfassten die Erlangung, Verwertung und Wei-tergabe von Informationen über die erfolgten Stabilisierungsmaßnahmen. Dem korrespondier-te die Pflicht der mit der Vergabe von Stabilisie-rungshilfen betrauten Exekutive (vor allem des US-Finanzministeriums) zur Berichterstattung und zur Gewährung des Zugangs zu Informatio-nen. Zur Durchsetzung dieser Pflicht standen den Kontrollorganen Instrumente wie die Befragung von Zeugen unter Eidesleistung oder letztlich zum Teil sogar der Einsatz von Zwangsmitteln zur Verfügung, um die notwendigen Beweise zu er-heben. Der SIGTARP, das Financial Stability Over-sight Board und das Government Accountability Office waren zudem ermächtigt, Handlungsemp-fehlungen an die Exekutive auszusprechen. Diese konnte dann entscheiden, entweder die aufge-zeigten Defizite zu beseitigen oder zu begründen, inwiefern und warum eine Reaktion gerade nicht notwendig oder angemessen war. Die Kontrollor-gane verfügten auch über ausreichende materiel-le und personelle Ressourcen zur Sicherung der effektiven Aufgabenerfüllung.

Gesetzliche Besetzungsregelungen sicher-ten die notwendige Expertise und schützten die Kontrollorgane vor einer unsachlichen Vereinnah-mung von Interessengruppen und persönlichen Interessenkonflikten der Amtsträger. Dieses Prob-lem war in der Finanzkrise 2007–2009 virulent, weil staatliche Institutionen die Krise mitverur-sacht hatten, in deren Verlauf aber als Hauptver-antwortliche zu deren Lösung beitragen sollten. Staatliche Entscheidungsträger unterlagen daher problematischen Anreizen, beispielsweise zur Verschleierung vergangenen Fehlverhaltens, zur Erleichterung einer zukünftigen Zusammenar-beit mit Finanzinstituten und zur positiven Beein-flussung der eigenen Karrierechancen durch eine großzügige Kontrolle. Die Besetzung des Congres-sional Oversight Panels erfolgte ausdrücklich mit von den Mehrheits- und Minderheitsfraktionen des US-Senats und des US-Repräsentantenhauses ausgewählten Mitgliedern. Gesetzlich vorge-

schriebene Auswahlkriterien für die Besetzung des Amtes des SIGTARP waren »Integrität und nachgewiesene Fähigkeiten in Rechnungswesen, Rechnungsprüfung, Finanzanalyse, Recht, Wirt-schaftsprüfung, öffentlicher Verwaltung oder investigativer Tätigkeit«. Das Financial Stability Oversight Board bestand aus verschiedenen Vor-sitzenden von Regulierungsbehörden und Minis-terien, war – möglicherweise aus diesem Grund – letztlich allerdings auch am wenigsten sichtbar.

Tatsächlich genossen die im Rahmen der Finanzkrise 2007–2009 in den USA eingesetzten Kontrollorgane einen guten Ruf und hohe Glaub-würdigkeit. Ein besonders anschauliches Beispiel für diese Beobachtungen bietet das Amt des SIG-TARP. Die Wirksamkeit der Kontrolle durch den SIGTARP lässt sich einerseits auf seine weitgehend eigenständige Stellung außerhalb der Kontroll-hierarchie der Exekutive und andererseits auf die personelle Besetzung des Amtes zurückführen. Der zunächst zum SIGTARP berufene Neil Barofs-ky hatte bereits zuvor als Staatsanwalt durch die Ahndung von Wirtschafts- und Drogenkrimina-lität nicht nur Expertise in der Verfolgung von Betrug und Missbrauch wirtschaftlicher Macht erworben, sondern auch Unabhängigkeit und In-tegrität bewiesen.

Die Kontrollorgane entfalteten ihre Schlag-kraft vor allem dann, wenn die Analyse und Kri-tik der von ihnen zur Verfügung gestellten Infor-mationen durch Wissenschaftler, Journalisten oder auch Politiker Rechtfertigungsdruck für die politischen Akteure erzeugten. In ihrem Zusam-menwirken gelang es ihnen, die Schwächen des Finanzkrisenmanagements an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Berichte der Kontrollorgane droh-ten, aufgrund ihres Umfangs und ihrer Komplexi-tät, die Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit der Bevölkerung zu übersteigen und faktisch allein einem Expertenpublikum zugänglich zu sein. Daher kam der direkten Kommunikation der Kontrollorgane mit der Öffentlichkeit und den öffentlich geführten Konflikten zwischen den Kontrollorganen und dem US-Finanzministerium

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besondere Bedeutung zu. Sie zogen die Aufmerk-samkeit der Bevölkerung auf die Defizite des Fi-nanzkrisenmanagements.

Der weitgehende Verzicht auf Geheimhal-tungspflichten erlaubte es den Organen, in di-rekte Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu treten. Der SIGTARP war in der journalistischen Berichterstattung der führenden US-Medien das dominierende Kontrollorgan und hatte den Ruf als kämpferischer Überwacher der Nutzung der Steu-ergelder durch die US-Regierung und die Finanz-institute der »Wall Street«. Seine kontinuierliche Dokumentation des Finanzkrisenmanagements schuf ein einzigartig umfassendes Protokoll des US-Finanzkrisenmanagements. Nach Beendigung seiner Tätigkeit als SIGTARP veröffentlichte Neil Barofsky ein an die Allgemeinheit gerichtetes Buch, in dem er seine Erfahrungen als Kontrol-leur des Finanzkrisenmanagements verarbei-tete und dieses stark kritisierte. Auch Elizabeth Warren suchte als Vorsitzende des Congressional Oversight Panels während ihrer Amtszeit von No-vember 2009 bis Oktober 2010 den Kontakt mit der Öffentlichkeit und übte in medienwirksamen Auftritten Kritik. Sie fasste die Ergebnisse der Kontrollberichte in kurze und klare Worte, etwa indem sie als Gast der Daily Show von Jon Stewart den Prozess der Vergabe der ersten 350 Mrd. US-Dollar an Finanzinstitute durch US-Finanzminis-ter Henry Paulson als eine Art »don’t ask, don’t tell policy« kritisierte.

Konkret entfalteten einige Kontroversen zwischen dem US-Finanzministerium und den Kontrollorganen Breitenwirkung. Als der damals amtierende US-Finanzminister Henry Paulson verkündete, der für die im Rahmen des Capital Purchase Program erworbenen Kapitalanteile ge-zahlte Preis habe dem Wert der Anteile entspro-chen, trat ihm das Congressional Oversight Panel mit eigenen Berechnungen entgegen, nach denen das US-Finanzministerium die Anteile deutlich über Wert gekauft hatte.

Diese Eigenschaften des Kontrollsystems müssen in zukünftigen Finanzkrisen eine Vor-

bildfunktion für das deutsche Finanzkrisenma-nagement erfüllen, um einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes und des-sen kontinuierliche Erosion zu verhindern. Dabei kommt dem deutschen Gesetzgeber ein großer Gestaltungsspielraum zu. Essenziell bleibt aber die Sicherung der Effektivität der Kontrolle, wie dies in den USA erfolgreich geschah. Denkbar ist in Deutschland etwa die Einrichtung eines par-lamentarischen Kontrollorgans, analog zu dem bereits durch das Finanzmarktstabilisierungsge-setz im Jahre 2008 geschaffenen Gremium zum Finanzmarktstabilisierungsfonds. Diesem Gremi-um sind in Zukunft allerdings sehr viel umfangrei-chere und durchsetzungsstärkere Kompetenzen einzuräumen, als dies im Rahmen der Finanz-krise 2007–2009 der Fall war. In Betracht kommt auch die Einrichtung einer unabhängigen, die Ex-ekutive kontrollierenden Expertenkommission, die gerade nicht mit Parlamentariern besetzt ist. Zuletzt könnte eine Kontrollinstitution auch in-nerhalb der Verwaltung eingerichtet werden.

VI. Gegenwärtiger Handlungsbedarf

Finanzkrisen sind ein Belastungstest für das Verfassungsrecht. Auch die erfolgreiche Bewälti-gung der Finanzkrise 2007–2009 auf nationaler Ebene darf nicht dazu führen, dass vermeintliche faktische Zwänge der Finanzmarktstabilisierung in Zukunft zum alleinigen Handlungsmaßstab werden. Zu groß ist die Gefahr, dass in der nächsten Finanzkrise die »bekannten und bewährten« Maß-nahmen des früheren Finanzkrisenmanagements wiederbelebt werden und die Finanzkrisenrheto-rik der Eilbedürftigkeit und Alternativlosigkeit das unter dem Grundgesetz nötige Ausbalancie-ren der widerstreitenden Anforderungen und In-teressen verhindert. Angesichts der mehrfachen Verlängerung und der bereits im Februar 2012 in Reaktion auf die europäische Staatsschuldenkri-se erfolgten Reaktivierung des Finanzmarktsta-bilisierungsgesetzes ist dies sehr wahrscheinlich. Im Zentrum der Diskussion müssen deshalb die

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verfassungsrechtlichen Handlungsanforderun-gen stehen. Die durch eine Perpetuierung des verfassungswidrigen Krisenregimes dem Verfas-sungsrecht zugefügten Wunden können sonst im politischen Tagesgeschehen zu einfach verdeckt und verdrängt werden. Im Finanzkrisenmanage-ment besteht die wesentliche Voraussetzung für die Wahrung des Verfassungsrechts in der Schaf-fung und Ermöglichung von Transparenz und Kontrolle. Unabhängig von den Imperfektionen des US-Finanzkrisenmanagements zeigt eine in-tensive Untersuchung der dort getroffenen Wei-chenstellungen vor allem eins: Kontrolle und Fi-nanzkrisenmanagement schließen sich nicht aus. Der deutsche Gesetzgeber entschied sich in die-sem Konflikt für eine Zurückstellung von Trans-parenz und Überwachung. Dem hierin liegenden Verstoß gegen das Demokratieprinzip standen die Opposition und die Öffentlichkeit macht- und hilflos gegenüber. In einer zukünftigen Finanzkri-

se darf dieser Verstoß gegen das Demokratieprin-zip nicht erneut widerspruchslos bleiben.

Meine Arbeit soll das Verfassungsrecht in den Fokus der Diskussion rücken und Argumente für eine stärkere rechtliche Eingrenzung des Fi-nanzkrisenmanagements und Etablierung effek-tiver Kontroll- und Transparenzsysteme bieten. Sie tritt der Annahme entgegen, Finanzkrisenma-nagement müsse notwendigerweise im Verbor-genen erfolgen und bleiben. Sie schafft deshalb die Grundlage für die Opposition, Wissenschaft, Presse und allgemeine Öffentlichkeit, in einer zukünftigen Finanzkrise Druck auf den Gesetz-geber auszuüben, effektive Kontrollinstrumente einzusetzen. Die Auseinandersetzung mit diesem grundgesetzlichen Bedürfnis in Ruhezeiten ist vor allem deshalb wichtig, weil der Eintritt einer Finanzkrise ganz plötzlich geschehen kann.