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DEUTSCHLANDPOLITIK 1949-1972 DER POLITISCH-DIPLOMATISCHE PROZESS Unangemeldet | 77.185.169.247 Heruntergeladen am | 14.08.13 15:04

Deutschlandpolitik 1949-1972

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Der politisch-diplomatische Prozeß

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  • DEUTSCHLANDPOLITIK 1949-1972

    DER POLITISCH-DIPLOMATISCHE PROZESS

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  • SCHRIFTENREIHEDER VIERTELJAHRSHEFTE FR ZEITGESCHICHTE

    NUMMER 49

    Im Auftrag des Instituts fr ZeitgeschichteHerausgegeben von Karl Dietrich Bracher und Hans-Peter Schwarz

    Redaktion: Wolfgang Benz und Hermann Graml

    DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALTSTUTTGART

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  • Hans Buchheim

    Deutschlandpolitik 1949-1972Der politisch-diplomatische Proze

    DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALTSTUTTGART

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  • CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen BibliothekBuchheim, Hans:Deutschlandpolitik 1949-1972 : d. polit.

    -diplomat. Prozess / Hans Buchheim.-

    Stuttgart :Deutsche Verlags-Anstalt, 1984.(Schriftenreihe der Vierteljahrshefte fr

    Zeitgeschichte ; Nr. 49)ISBN 3-421-06199-8

    NE: GT

    1984 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, StuttgartUmschlagentwurf: Edgar Dambacher

    Satz und Druck: Druckerei Georg Appl, WemdingPrinted in Germany

    ISBN 3-421-06199-8

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  • Inhalt

    Vorbemerkung. 71. Aufgaben und Ziele der ersten Bundesregierung. 92. Deutschlands Beitritt zurRuhrbehrde. 163. Die Saarfrage und Deutschlands Beitritt zum Europa-Rat. 224. Sicherheit fr das Bundesgebiet und deutscher Verteidigungsbeitrag. 315. Verteidigungsbeitrag und Deutschlandvertrag. 396. Wiedergutmachung und Schuldenregelung. 527. DieStalin-Note. 568. Eine vorbergehende Umorientierung der sowjetischen Politik. 659. Die Vernderungen der Lage durch das atomarePatt. 70

    10. Die Genfer Gipfelkonferenz 1955. 7411. AdenauersMoskau-Reise. 7812. DieHallstein-Doktrin. 8113. Die Deutschlandfrage unter dem Einflu der Abrstungsverhandlungen .

    .

    .

    8314. Chruschtschows Berlin-Ultimatum. 8715. Die Genfer Auenministerkonferenz von 1959 und deren Vorbereitung ... 9216. Neue deutsche Initiativen und direkte Kontakte mit der Sowjetunion .... 9717. Kennedys Berlin-und Deutschlandpolitik. 10418. Die Errichtung der BerlinerMauer. 10919. Deutschland-und Ostpolitik unter der Kanzlerschaft Ludwig Erhards .... 11420. Die Passierscheinvereinbarungen. 11621. Die Deutschland- und Ostpolitik der GroenKoalition. 12222. Die Abwandlungen der Hallstein-Doktrin. 12623. Der Sinn der Nicht-Anerkennung derDDR. 12924. Der Irrtum der Politik der Nicht-Anerkennung. 13125.Entspannung. 13426. Deutsche Initiativen zu Entspannungspolitik und Gewaltverzicht. 13627. Die Konferenz fr Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) . ... 13928. Der Moskauer Vertrag. 14329. Der Weg zumBerlin-Abkommen. 15130. DasBerlin-Abkommen. 15731. DerGrundlagenvertrag. 16332. Die Vertragswerke und die Rechtsansprche Deutschlands. 16733. Die Lage der Nation nach Abschlu derVertrge. 169Abkrzungen. 174Quellen undLiteratur. 175Personenregister. 178

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  • Vorbemerkung

    Man wei, da die Auenpolitik eines Staates von mannigfachen in seiner Gesell-schaft ttigen Krften und Interessen beeinflut, und da das Verhltnis der Staatenuntereinander von einer Vielfalt transnationaler Verflechtungen mitbestimmt ist. Werdie Einwirkungen z. B. wirtschaftlicher Zusammenhnge, geistiger Orientierung oderethnischer Eigenart erforscht, wird entsprechend nheren Aufschlu gewinnen, wieauenpolitische Zielsetzungen und Entscheidungen Zustandekommen. Jedoch, waszwischen Staaten letztlich zhlt, ist die Entwicklung ihrer politischen Beziehungen,die nach der Willensbildung ihrer Parlamente und Regierungen gestaltet und von derDiplomatie im einzelnen in Form gebracht und gepflegt werden. Was letztlich zhlt,findet sich daher in den zwischenstaatlichen Vertrgen, in Kommuniques internatio-naler Konferenzen, in Memoranden, in auenpolitischen Entschlieungen etc. Aufsie mu man seine Aufmerksamkeit konzentrieren, will man die entscheidenden Vor-gnge kennenlernen und verstehen. Das gilt ganz besonders dann, wenn man sich

    -

    wie hier beabsichtigt-

    einen knappen berblick ber die Auenpolitik eines gre-ren Zeitabschnitts verschaffen will. Der vorliegende Text hlt sich deshalb nicht seltenauch dort, wo nicht ausdrcklich zitiert wird, eng an die Formulierungen der Doku-mente, auf die er sich sttzt.Dargestellt werden nur die Grundzge und wichtigsten Probleme der Deutschland-und Ostpolitik der Bundesrepublik; dies soll aber

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    soweit mglich-

    in Form derSchilderung einzelner Ereignisse und Vorgnge geschehen, in denen sie besondersgut erkennbar ihren Niederschlag gefunden haben. Deshalb wird der Lauf des Ge-schehens weder lckenlos noch in gleichmiger Ausfhrlichkeit nachgezeichnet,sondern es werden Abschnitte und Seiten herausgehoben, die fr das Ganze bezeich-nend sind. Diese Einzelskizzen sind wiederum auf diejenigen Linien beschrnkt, diezum Bild vom Ganzen etwas beitragen. Das bedeutet allerdings, da das Bild des ein-zelnen Ereignisses stark vereinfacht wird; ja, man mu sagen, es erscheint beinahefalsch, wenn man es mit dem vergleicht, was sich aus der Rekonstruktion aller Fakto-ren und Wechselwirkungen ergbe, die seinerzeit darauf einwirkten.Nach Meinung des Verfassers sind die Probleme der Deutschland- und Ostpolitikbesser zu verstehen, wenn man sie politiktheoretisch vertieft. Wo dies angebrachtschien, wurden deshalb allgemeine Betrachtungen eingefgt, gewissermaen alsophilosophische Exkurse zum zeitgeschichtlichen berblick.Auf Literatur statt auf Quellen ist dieser berblick nur in denjenigen Fllen gesttzt,in denen die Autoren ihrerseits Quellen verwendet haben, die entweder gar nicht odernur unter unverhltnismigem Aufwand zugnglich sind. Beispiele sind die Erinne-rungen Wilhelm G. Grewes sowie Honore M. Catudals Buch Kennedy in der Mau-erkrise". Fr die eigenen Quellennachweise wurde in der Regel vergleichsweise leicht

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  • zugnglichen Dokumentensammlungen der Vorzug gegeben vor den authentischen,aber schwerer zu beschaffenden Belegen. Wenn z. B. eine Erklrung vor dem Bundes-tag in dem vom Auswrtigen Amt herausgegebenen Band Die Auswrtige Politik derBundesrepublik Deutschland" abgedruckt ist, wurde dieser anstelle der Stenographi-schen Berichte des Bundestags zitiert.Die Darstellung wird sprbar drrer, je mehr sie sich dem Endpunkt des ausgewhl-ten Zeitabschnitts nhert. So bedauerlich dieser Mangel ist, so unvermeidlich ist erauch, weil fr die spteren Jahre viele wichtige Quellen z. Zt. noch nicht zugnglichsind.

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  • 1. Aufgaben und Ziele der ersten Bundesregierung

    Am 15. September 1949 whlte der Deutsche Bundestag mit 202 von 402 Stimmen,mit knappster absoluter Mehrheit also, Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler.Am 20. September ernannte Bundesprsident Theodor Heuss auf Vorschlag des Bun-deskanzlers 13 Bundesminister; am gleichen Tage wurde das Kabinett vereidigt. Auf-grund der damit vollzogenen Bildung der Bundesregierung trat am 21. September an-stelle der bisher rechtlich unbeschrnkten Besatzungsherrschaft ein Besatzungsstatutin Kraft, und die Militrregierung wurde von einer zivilen Alliierten Hohen Kommis-sion abgelst1. Nach dem Besatzungsstatut besaen Bund und Lnder die volle ge-setzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt, ausgenommen diejenigenRechte, die sich die Drei Mchte vorbehielten, um ihre Besatzungszwecke erfllen zuknnen. Das betraf u.a. die Entflechtung der deutschen Wirtschaft, die Entmilitari-sierung, die gesamte Auenpolitik, Kontrolle des Ruhrgebietes und des Auenhan-dels, ein Vetorecht bei Verfassungsnderungen sowie Sicherheit und Ansehen der alli-ierten Truppen. Auch auf diesen Vorbehaltsgebieten waren die deutschen Instanzenbefugt, zu handeln und Recht zu setzen, sofern das mit den Entscheidungen der Be-satzungsmchte vereinbar war, oder diese nicht selbst Anordnungen trafen. Generellbehielten sich die Drei Mchte das Recht vor, die Ausbung der obersten Gewaltganz oder teilweise wieder an sich zu ziehen, falls sie es fr erforderlich halten sollten,entweder im Interesse ihrer Sicherheit oder um in Deutschland die Demokratie zu er-halten oder in Erfllung ihrer internationalen Verpflichtungen. Letzteres schlo dieMglichkeit ein, die oberste Gewalt wieder zu bernehmen, um mit der SowjetunionVereinbarungen ber Deutschland als Ganzes zu treffen bzw. auszufhren.So bestand eine Konkurrenz zwischen der auf die Volkssouvernitt zurckgehendendeutschen Regierungsgewalt und der auf Siegerrecht beruhenden alliierten Besat-zungsgewalt. Das Siegerrecht galt im Prinzip nach wie vor als absolut und bergeord-net (konnten doch alle seine durch das Besatzungsstatut eingefhrten Beschrnkun-gen wieder aufgehoben werden), aber die Volkssouvernitt besa den hheren Rangder Legitimation. Die Regierungsgewalt hatte die Vorteile, das Normale zu sein so-wie frher oder spter von fremder Vormundschaft frei zu werden. Dagegen hatte dieBesatzungsgewalt die Nachteile, da sie Ausnahme war und frher oder spter einEnde nehmen mute. Das verlieh jedem Akt der Besatzungsgewalt den Charakter ei-nes Eingriffs, der ausdrcklicher Begrndung, ja Rechtfertigung bedurfte; die Besat-zungsinstanzen konnten nicht einfach aufgrund ihrer Rechte ttig werden, sondern

    Die Texte des Besatzungsstatuts vom 10. April 1949 (in Kraft getreten am 21. September 1949) unddes Statuts der Alliierten Hohen Kommission vom 20. Juni 1949 sind abgedruckt u. a. bei Ingo vonMnch (Hrsg.): Dokumente des geteilten Deutschland, Stuttgart 1968, S. 71 ff. und 74ff.

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  • muten jeweils auch politisch vertreten, warum sie von ihren Rechten Gebrauch ma-chen wollten. Hinzu kam, da jeder Eingriff der Besatzungsmacht das politische An-sehen der Regierung und der neuen demokratischen Ordnung beeintrchtigte, wh-rend die Alliierten daran interessiert sein muten, sie zu strken2. Unter diesen Um-stnden besaen sie zwar sehr weitgehende Vorbehaltsrechte, jedoch nur sehrbegrenzte Mglichkeiten, sie auch wirklich anzuwenden. Und wenn sie es taten,muten sie, soweit dies irgend ging, offene Interventionen vermeiden, vielmehr ihreWnsche in das hfliche Gewand von Empfehlungen kleiden.Fr die Praxis ergab sich daraus nach einigen Anfangsschwierigkeiten, da Angele-genheiten, die alliierten Vorrechten unterlagen, zunchst zwischen den drei HohenKommissaren und dem Bundeskanzler errtert wurden, ehe eine der beiden SeitenEntscheidungen traf oder ffentliche Erklrungen abgab. Dabei kam es einerseitsnicht selten zu scharfen Auseinandersetzungen nicht nur wegen der Interessengegen-stze in der Sache, sondern auch weil viele Angehrige der Besatzungsbehrden nochganz in der Vorstellung lebten, allein und unanfechtbar das Sagen zu haben. Anderer-seits bildeten sich Abspracheverfahren aus, die den Hohen Kommissar Frankreichs,Andre Francois-Poncet, gegenber dem Bundeskanzler einmal zu der Bemerkungveranlaten3: Ich gehe auf Ihren Vorschlag, unseren Brief anders zu fassen, ein

    .. .obwohl ein gewisses Paradoxon darin liegt, da Sie uns sagen, was wir Ihnen zuschreiben haben. Aber wir nehmen das Paradoxon gern auf uns. Dann werden wir Ih-nen sagen, was Sie uns zu antworten haben." Man kann das als eine Charakterisie-rung der allgemein blichen Verhandlungspraxis der Auenpolitik und Diplomatieverstehen; und in der Tat war der Verkehr zwischen Bundeskanzler und AlliierterHoher Kommission gewissermaen die Urform der Auenpolitik des neu geschaffe-nen deutschen Staates

    -

    wobei auch innenpolitische Fragen, sofern die Drei Mchtesich damit befaten, teilweise unter auenpolitische Gesichtspunkte gerieten. Ade-nauer beschrieb das treffend in seiner Regierungserklrung vom 20. September 19494:

    2 So teilte der Bundeskanzler z.B. in der Kabinettssitzung vom 7.Oktober 1949 mit, der britischeHohe Kommissar habe in einem Gesprch am Abend vorher gesagt, er sei sich ber die Notwendig-keit im klaren, auf die Belange der deutschen Regierung grere Rcksicht zu nehmen als bisher.Der Hohe Kommissar habe zugesagt, sein Mglichstes zu tun, da ein Verhalten wie bei derAbwer-tungs- und Kohlepreisfrage und bei dem Interzonenhandelsabkommen sich nicht wiederhole (HansBooms (Hrsg.): Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Bandl, 1949, Boppard 1982,S. 105 f.). Vgl. Herbert Blankenborn:Verstndnis und Verstndigung. Bltter eines politischen Tage-buchs 1949 bis 1979, Frankfurt/M. 1980, S. 65 ff.: Der Bundeskanzler bat die Hohen Kommissaream 29. September, eine eventuelle Neufestsetzung des Kohlepreises nicht in einen Beschlu der Ho-hen Kommission zu kleiden, um die Autoritt der Regierung nicht noch weiter zu beeintrchtigen.

    3 Besprechung auf dem Petersberg am 8. Dezember 1949. Es war die Besprechung, in der es um dieFormalien ging, wie Deutschlands Beitritt zur Ruhrbehrde vollzogen werden sollte. Eine SkizzeAdenauer und die Hohe Kommission" von dem damaligen amerikanischen Hohen KommissarJohn J. McCloy ist verffentlicht bei Dieter Blnmenwitz u. a. (Hrsg.): Konrad Adenauer und seineZeit. Band 1: Beitrge von Weg- und Zeitgenossen, Stuttgart 1976, S. 421 ff.

    4 Die Auswrtige Politik der Bundesrepublik Deutschland. Herausgegeben vom Auswrtigen Amt,Kln 1972, S. 147 ff. (148).

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  • Unter den Bundesministerien fehlt ein Auenministerium . .. Wenn wir demnachauch kein Ministerium des Auswrtigen haben, so bedeutet das keineswegs, da wirdamit auf jede Bettigung auf diesem Gebiet Verzicht leisten. Das Paradoxe unsererLage ist ja, da, obgleich die auswrtigen Angelegenheiten Deutschlands von derHohen Alliierten Kommission wahrgenommen werden, jede Ttigkeit der Bundesre-gierung oder des Bundesparlaments auch in inneren Angelegenheiten Deutschlandsirgendwie eine auslndische Beziehung in sich schliet. Deutschland ist infolge Besat-zung, Ruhrstatut, Marshall-Plan usw. enger mit dem Ausland verflochten als jemalszuvor." Dafr bezeichnend war auch, da der zustndige Bundestagsausschu Aus-schu fr das Besatzungsstatut und auswrtige Angelegenheiten" hie.Der Bundeskanzler war nicht nur der magebliche Verhandlungspartner der HohenKommissare, sondern diese wandten sich auch allein an ihn mit ihren politisch we-sentlichen Mitteilungen, Wnschen und Forderungen und verlangten von ihm Aus-knfte und Stellungnahmen zu allen Fragen der deutschen Politik, an denen sie Inter-esse nahmen. Das verschaffte dem Kanzler vom ersten Tag an gegenber Kabinettund Parlament ein zustzliches Ma von Macht, das die seinem Amt von der Verfas-sung verliehenen Zustndigkeiten zwar nicht berschritt, sie aber so auszuschpfenzwang bzw. erlaubte, wie das unter normalen Verhltnissen nicht mglich gewesenwre. Einerseits war niemand in der Lage dem zu widersprechen, was der Kanzlerunter Berufung auf seine Unterredung mit den Hohen Kommissaren mitteilte, rietund forderte; andererseits konnte er verlangen, ber alle Angelegenheiten schnell undzuverlssig informiert zu werden, die auf dem Petersberg, dem Sitz der Alliierten Ho-hen Kommission, mglicherweise zur Sprache kamen

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    auch wenn es sich um Einzel-heiten handelte, fr die der zustndige Ressortminister allein verantwortlich war5.Auerdem waren die Minister angewiesen, alle Briefe an die Hohe Kommission berdie im Bundeskanzleramt eingerichtete Verbindungsstelle zur Alliierten HohenKommission" zu leiten. Mitte Dezember 1949 setzte Adenauer bei den Hohen Kom-missaren durch, da auch die alliierten Instanzen in allen Fragen von grundstzlicherBedeutung nur ber das Bundeskanzleramt mit Dienststellen der Bundesregierungverkehren durften. Das war ein wichtiger Erfolg in seinem Kampf gegen die bisherigePraxis der Besatzungsbehrden, auf allen Ebenen der Verwaltung unmittelbar auf diedeutschen Instanzen einzuwirken, whrend diese sich angewhnt hatten, selbst beiEntscheidungen von geringer Bedeutung sich erst nach der Auffassung der Militrre-gierung zu erkundigen und sich deren Einverstndnisses zu versichern. Dieses Ver-fahren war angebracht gewesen, solange die Manahmen der deutschen Verwaltungder Bi- bzw. Trizone" alliierter Zustimmung bedurften, um rechtskrftig zu werden.Aber seitdem gem Besatzungsstatut die Drei Mchte nur noch ein Vetorecht hat-ten, bekmpfte Adenauer mit gutem Grund diese von ihm so genannten Frankfurter

    3 Artikel 65 GG: Innerhalb der Richtlinien des Bundeskanzlers leitet jeder Bundesminister seinenGeschftsbereich selbstndig und unter eigener Verantwortung."

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  • Allren"6 und verwandte viel Energie darauf, alle Querverbindungen zwischen deut-schen und alliierten Dienststellen unterhalb der Ebene der Minister zu beseitigen.Das erste auenpolitische Ziel der Bundesregierung mute sein, den Besatzungszu-stand, unter dem Deutschland Objekt der Politik anderer Mchte war, gnzlich zuberwinden und volle politische Selbstbestimmung und Handlungsfhigkeit zurck-zugewinnen. Dafr war es notwendig, das internationale Vertrauen, das das NS-Re-gime zerstrt hatte, wiederherzustellen und das neue wirtschaftliche und politischePotential der Bundesrepublik so fest in eine europische Ordnung einzufgen, dadie Nachbarlnder vor einem fr sie gefhrlichen deutschen Alleingang sicher seinkonnten7.Zwei wichtige Voraussetzungen fr die Rckgewinnung von Vertrauen fand die Bun-desregierung in der Einstellung der Bevlkerung vor: den Willen, unter allen Um-stnden an den Grundstzen der Rechtsstaatlichkeit und politischen Freiheit festzu-halten und eine entschiedene Abwendung vom Nationalismus. Beides brauchte nurpolitisch aktualisiert und berzeugend zum Ausdruck gebracht werden8. Insbesonde-re war zu zeigen, da diese Grundstze auch fr die Wiedervereinigung und den er-strebten gesamtdeutschen Staat unbedingt Geltung haben wrden. Ferner war dieBundesregierung, um Deutschland wieder vertrauenswrdig zu machen, willens,Konsequenzen der Niederlage in Kauf zu nehmen und dem nur zu begreiflichenMitrauen und Sicherheitsbedrfnis der ehemaligen Gegner Rechnung zu tragen.6 Die deutschen Organe des Vereinigten Wirtschaftsgebietes" (Wirtschaftsrat, Lnderrat und Ver-

    waltungsrat) und die Behrden des alliierten Zweizonen-Kontrollamtes" befanden sich alle inFrankfurt/Main (Tilman Piinder: Das bizonale Interregnum. Die Geschichte des Vereinigten Wirt-schaftsgebiets 1946-1949, o.O. 1966, S. 117ff., 133 ff.). In der Kabinettssitzung vom 21. Oktober1949 fhrte der Bundeskanzler aus (Booms a.a.O., S. 143; vgl. auch S. 84, 95), falls Frankfurt Bun-deshauptstadt werde, mten alle alliierten Verbindungsstbe, sofern sie nicht unmittelbar zur Ho-hen Kommission gehren, aus der Stadt herausgezogen werden, damit die Querverbindungenzwischen der deutschen Regierung und den Besatzungsmchten aufhren ..." (Man msse anstre-ben, diese bisher in Frankfurt blich gewesenen Allren abzuschaffen") S. 102, 105, 152.

    7 Konrad Adenauer: Erinnerungen, 4 Bde. Stuttgart 1965-1968, Bd. 1, S.246. Der Text dieses Ab-schnitts ist nahezu identisch mit Adenauers Ausfhrungen im Bundestag am 24. November 1949(Sitzungsbericht I.Wahlperiode, 18.Sitzung, S.472C).

    8 Charakteristisch fr Adenauers scharfe Kritik am Nationalismus sind Ausfhrungen, die er am6. April 1954 vor der Auslandspresse in Bonn machte (Die Auswrtige Politik" S.252): MeinerMeinung nach ist die Entartung des Gedankens des Nationalstaates, das Abgleiten in die nationali-stische Denkungsweise bei allen Vlkern der Ausgangspunkt und die Ursache dafr gewesen, dasie unfhig waren, das Notwendige zu erkennen und das Richtige zu tun. Der Nationalismus ver-fhrt die Vlker dazu, zu vergessen, da alle Vlker ein Recht auf ihre Existenz haben und da alleinein harmonisches Zusammenleben der Vlker auch den Interessen des eigenen Volkes am bestendient. Wir knnen daher nur zu einem Zeitalter der Entspannung, der Zusammenarbeit und desFriedens kommen, wenn die nationalistische Idee aus der Politik der Vlker ausgeschaltet wird... .Die Zeit selbst, die Entwicklung der modernen Technik und der modernen Gesellschaft zwingt uns,Mauern, die frher zwischen den Vlkern bestanden, niederzulegen.

    .

    .. Wir mssen entschiedenSchlu machen mit nationalistischen Ideen, mit berholten Vorstellungen der Vergangenheit, wirmssen entschlossen und khn das Tor zu einer neuen ra des Zusammenlebens der Vlker aufsto-en."

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  • Das bedeutete keinen Verzicht auf die Vlkergrundrechte der deutschen Nation, ins-besondere auf Selbstbestimmung, Freiheit, Souvernitt und Gleichheit; wohl abererforderte es die Bereitschaft, fr eine bergangszeit gewisse Kontrollen, Auflagenund Benachteiligungen hinzunehmen. Auch eine Politik der festen EinbindungDeutschlands in eine europische Staatengemeinschaft war von der in der Bevlke-rung vorherrschenden Stimmung getragen. Nach dem erschreckenden Bankrott desNationalstaates war die Europabegeisterung gro und es kostete keine berwin-dung, einen Teil der Hoheitsrechte, die man bald wieder zu erhalten hoffte, freiwilligan eine supranationale politische Ordnung abzutreten bzw. sie zu deren Gunsten ein-zuschrnken. Die verfassungsmigen Voraussetzungen dafr waren mit den Bestim-mungen von Artikel 24 des Grundgesetzes schon gegeben, wonach der Bund durcheinfaches Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen bertragenund zugunsten eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit in die Beschrnkungseiner Hoheitsrechte einwilligen kann.Schlielich wrde eine Politik westeuropischer oder atlantischer Integration auchvon groer innenpolitischer Bedeutung sein. Denn die Entscheidung, die das deut-sche Volk fr eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung getroffen hatte, wur-de zustzlich dadurch abgesichert, da es sich auenpolitisch mit denjenigen Staatenverbndete, die diese Ordnung in der Welt reprsentierten. Da Deutschland einerfesten Verankerung in Westeuropa bedrfe, war eine Grundberzeugung Adenauers.Er hielt es fr notwendig, Deutschland zum Schutz des deutschen Volkes vor sichselbst so unwiderruflich in eine europische Gemeinschaft einzufgen, da ihm ob-jektiv die Mglichkeit genommen wre, innenpolitisch noch einmal den Weg desRechtsstaates und der freiheitlichen Demokratie zu verlassen. Deshalb war Adenauerwhrend seiner ganzen Regierungszeit auch uerst skeptisch gegen alle Plne, einwiedervereinigtes Deutschland zwischen West und Ost zu neutralisieren. Denn selbstwenn das zunchst unter freiheitlichen Verhltnissen mglich gewesen wre, fehlteihm das Vertrauen, da die Deutschen, ganz auf sich allein gestellt, an den politischenVoraussetzungen ihrer Freiheit festhalten wrden9.Eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit schien der Bundesregierung nur aufweite Sicht erreichbar. Mindestvoraussetzung war nach ihrer berzeugung, da derWesten eine gengend groe politische berlegenheit gewann, um die Sowjetunionzwingen oder durch Gegenleistungen dazu bewegen zu knnen, die DDR aus ihremEinflubereich zu entlassen. Wahrscheinlich aber wrde wegen der GrenordnungDeutschlands und dem Sicherheitsbedrfnis aller seiner Nachbarn eine Wiederverei-nigung nur im Rahmen einer gesamteuropischen Friedensregelung erreichbar sein.Bundeskanzler Kiesinger hat spter einmal formuliert, was schon seit 1949 galt10: Ein

    9 Charakteristisch dafr ist die Bestimmung in dem von Adenauer gebilligtem Globke-Plan" von1958/59, da ein wiedervereinigtes Deutschland entscheide, ob es der NATO oder dem War-schauer Pakt angehren wolle, nicht auch: ob es neutral werden will."

    0 Ansprache Bundeskanzler Kiesingers zum Tag der deutschen Einheit" am 17. Juni 1967 (Die Aus-wrtige Politik", S.601 ff.).

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  • wiedervereinigtes Deutschland habe eine kritische Grenordnung. Es sei zu gro,um in der Balance der Krfte keine Rolle zu spielen, und zu klein, um die Krfte umsich herum selbst im Gleichgewicht zu halten. Darum knne man das Zusammen-wachsen der getrennten Teile Deutschlands nur eingebettet sehen in den Proze derberwindung des Ost-West-Konflikts in Europa.

    -

    Wenn jedoch die Lsung derdeutschen Frage ohne eine gesamteuropische Friedensordnung nicht denkbar ist,dann heit das erstens, da die Wiederherstellung eines gesamtdeutschen National-staates nur unter Verhltnissen mglich wird, in denen ganz allgemein der National-staat als politische Form an Bedeutung und Interesse verloren hat. Zweitens aber be-stnde dann zwischen einer Westintegration der Bundesrepublik und dem Ziel derWiedervereinigung nicht der Widerspruch, der in Anbetracht der Gegebenheiten desOst-West-Gegensatzes der fnfziger Jahre offenkundig schien. Denn die Chance,dieses freiheitliche Gesamteuropa zu schaffen, ohne welches ein freiheitliches Ge-samtdeutschland nicht zu haben ist, wird um so grer, je politisch strker die westli-che Gemeinschaft der freien europischen Staaten ist. Mit anderen Worten: Nur alsGlied zunchst dieser Gemeinschaft htte das deutsche Volk Aussicht, spter in frei-er Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden", wie es imSchlusatz der Prambel des Grundgesetzes heit.Was fr dieses Ziel die Regierung seit Bestehen der Bundesrepublik mittelbar tunkonnte, war, ihren Willen zur Wiedervereinigung unbezweifelbar zum Ausdruck zubringen, die Rolle des Treuhnders eines freien Gesamtdeutschland zu bernehmen,Freiheit fr die Deutschen in der DDR zu fordern und die westlichen Besatzungs-mchte bzw. Verbndeten in ihrer Pflicht und Verantwortung fr Deutschland alsGanzes zu halten. Die Treuhnderschaft meldete der Bundeskanzler unter lebhaftemBeifall rechts, in der Mitte und bei der SPD" vor dem Bundestag am 21. Oktober1949 an11: Ich stelle folgendes fest. In der Sowjetzone gibt es keinen freien Willender deutschen Bevlkerung. Das, was jetzt dort geschieht, wird nicht von der Bevl-kerung getragen und damit legitimiert. Die Bundesrepublik Deutschland sttzt sichdagegen auf die Anerkennung durch den freibekundeten Willen von rund 23 Millio-nen stimmberechtigter Deutscher. Die Bundesrepublik Deutschland ist somit bis zurErreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Orga-nisation des deutschen Volkes." Diese Feststellung war die Grundlage des spter alssog. Hallstein-Doktrin formulierten Alleinvertretungsanspruchs bzw. -rechts. DieForderung nach Wiedervereinigung durch freie Wahlen und damit nach Freiheit frdie Deutschen in der DDR erhob die Bundesregierung erstmalig am 22. Mrz 195012.Der Bundestag forderte die Bundesregierung am H.September 1950 einstimmig (mitAusnahme der KPD) auf, das deutsche Volk und die Welt ber die Zustnde derRechtlosigkeit unter der kommunistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungs-zone in stetiger Folge nachhaltig zu unterrichten, sowie die Besatzungsmchte zu bit-ten, in allen vier Zonen unter internationaler Kontrolle freie Wahlen zu einem ge-

    11Die Auswrtige Politik" S. 155 ff.

    12 Archiv der Gegenwart 1950, S. 2307 c.

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    Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • samtdeutschen Parlament vornehmen zu lassen13. Wie an eine Wiedervereinigung inFreiheit ohne Hilfe der drei Westmchte nicht zu denken war, so bedeutete die Mit-zustndigkeit aller vier Besatzungsmchte bei der Erfllung dieses elementaren Inter-esses der deutschen Nation auch ein Hindernis und betrchtliches Risiko. Denn ei-nerseits verminderte jede Zunahme der Gegenstze zwischen ihnen die Aussichtenauf berwindung der Teilung von vornherein. Andererseits brachte jede Verringe-rung der Spannungen die Gefahr mit sich, da sich West und Ost ber Deutschlandeinigten, ohne die Deutschen selbst viel zu fragen; sei es, da sie die Teilung endgltigmachten, sei es, da sie einen gesamtdeutschen Staat gemeinsamen Kontrollen unter-warfen und ihm diskriminierende Auflagen machten.Die Forderung nach Wiedervereinigung bezog die Bundesregierung lediglich auf dieDDR, nicht aber auf die deutschen Ostgebiete jenseits von Oder und Neie. Denn ihrwar klar, da sich die dort geschaffenen Tatsachen nicht wieder rckgngig machenlieen bzw. da ein Versuch, es zu tun, von den Westmchten keinesfalls untersttztwrde. Diese bestanden zwar darauf, da eine vlkerrechtsgltige Festsetzung derdeutsch-polnischen Grenze erst in einem Friedensvertrag erfolgen knne, sie lieenaber auch keinen Zweifel, da dabei hchstens kleinere Korrekturen der bestehendenDemarkationslinie zugunsten Deutschlands denkbar seien. Der amerikanische Au-enminister George Marshall hatte auf der 4. Konferenz des Rates der Auenminister(Mrz/April 1947) sogar besttigt, da Polen als Entschdigung fr seine an Rulandabgetretenen Gebiete stlich der Curzon-Linie mindestens Sd-Ostpreuen undOberschlesien erhalten msse. Dabei sei allerdings Vorsorge zu treffen, da die Na-turschtze dieser Gebiete der Wirtschaft Europas erhalten blieben14. Die Bundesre-gierung hat in Anbetracht dieser Gegebenheiten und wegen der moralischen Schulddes deutschen Volkes gegenber dem polnischen Volk die formell zunchst nur unterpolnischer Verwaltung stehenden Gebiete nie zurckverlangt oder irgendwelcheneuen Umsiedlungen gefordert. Ebensowenig hat sie allerdings auch einen Verzichtausgesprochen. Vielmehr hat sie immer betont, da eine Lsung des Problems nur infreundschaftlicher Zusammenarbeit im Rahmen einer gesamteuropischen Ordnunggefunden werden knne. Keine deutsche Regierung wird je in der Lage sein, dieOder-Neie-Linie anzuerkennen", heit es in einem Memorandum des Bundeskanz-

    13Die Auswrtige Politik" S. 163 f. Der Antrag wurde eingebracht und begrndet vom AbgeordnetenHerbert Wehner. Unter Punkt 3 wurde gefordert, gegen alle Personen, die an den Verbrechen ge-gen die Menschlichkeit in der sowjetischen Besatzungszone beteiligt sind, im Gebiet der Bundesre-publik Deutschland Strafverfolgung einzuleiten."

    14 Verhandlungen des Rates der Auenminister vom 9. April 1947 (EA 1 /1947, S. 718 f.). Marshall sag-te: Es drfte als abgemacht gelten, da Sd-Ostpreuen polnisches Gebiet werden soll. Ebensosollte auch Deutsch-Oberschlesien mit seiner Industrie polnisch werden. Doch mu Vorsorge dafrgetroffen werden, da die Kohlevorkommen und sonstigen Naturschtze dieses Gebietes derWirt-schaft Europas auch weiterhin erhalten bleiben." Vgl. Georg Bluhm: Die Oder-Neie-Linie in derdeutschen Auenpolitik, Freiburg 1963. Wenig hilfreich ist fr die Zeit ab 1949: Hans-Georg Leh-mann.-Der Oder-Neie-Konflikt, Mnchen 1979.

    15Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • lers an Prsident Eisenhower vom 29. Mai 195315: Deutschland wird aber anstreben,die damit zusammenhngenden territorialen Fragen in einem neuen Geist internatio-naler friedlicher Zusammenarbeit zu ordnen". Wenn Polen einmal wieder frei berseine Geschicke verfgen knne, dann bestnde nach Auffassung Adenauers viel-leicht die Mglichkeit, die strittigen Gebiete in die Montanunion oder eine europi-sche Wirtschaftsgemeinschaft einzubeziehen; dabei wrden die jetzigen politischenGrenzen sowieso an Bedeutung verlieren16. Adenauer betonte zwar immer wieder dasRecht der Vertriebenen auf Heimat; es sei ein Menschenrecht, das wir niemals preis-geben knnen"17. Er meinte damit aber nicht eine Wiedereingliederung der Ostgebie-te in den deutschen Staat; sondern es sollte jedermann, der das will, in seine Heimatzurckkehren knnen und dort als polnischer Staatsangehriger die allgemein aner-kannten Rechte ethnischer Minderheiten gewhrleistet erhalten.

    2. Deutschlands Beitritt zur Ruhrbehrde

    Fr das zur britischen Besatzungszone gehrige Ruhrgebiet forderten wegen seinesKohlebergbaus und seiner Schwerindustrie sowohl die Sowjetunion als auch Frank-reich Sonderregelungen; sie knpften damit an Plne, die Ruhr zu internationalisie-ren, an, denen auf den Kriegskonferenzen von Teheran und Jalta auch England unddie USA zugestimmt hatten. Die Sowjetunion hatte dann auf der Potsdamer Konfe-renz eine Vier-Mchte-Besatzungskontrolle verlangt. Frankreich wnschte anfangseine Abtrennung des Gebietes von Deutschland, spter eine Internationalisierung derRuhrindustrie18. Den Franzosen muten die Amerikaner und Englnder irgendwie15 Heinrich Siegler (Hrsg.): Dokumentation zur Deutschlandfrage. Von der Atlantik-Charta 1941 bis

    zur Genfer Auenministerkonferenz 1959. Hauptband: Chronik der Ereignisse, Bonn 1959, S. 173.Im gleichen Sinne uerte sich Staatssekretr Hallstein gegenber dem amerikanischen Auenmini-ster Dean Acheson am 22. November 1951 (Adenauer:Erinnerungen Bd. 1, S.514).

    16

    ...

    er knne sich gut vorstellen, da eines Tages auch das ganze Gebiet jenseits der Oder und Neieinnerhalb der Montan-Union und des Gemeinsamen Marktes stehen werde. Dann wrden die jetzi-gen politischen Grenzen immer mehr an Bedeutung verlieren. (Vgl. FAZ vom 23. September 1957).

    17 In einer Rede auf der LandestagungWestfalen derJungen Union in Dortmund am 21. Oktober 1956erklrte Adenauer: Ich mchte nachdrcklich betonen, da das Heimatrecht ein Menschenrechtist, das wir niemals preisgeben knnen. Aber ich bin doch nach wie vor der Auffassung, da eine Ver-stndigung zwischen uns und einem freien, d. h. Moskau nicht mehr hrigen Polen, absolut mg-lich, sogar wahrscheinlich ist." (Bulletin der Bundesregierung vom 24. Oktober 1956).

    18 Rolf Steininger: Reform und Realitt. Ruhrfrage und Sozialisierung in der anglo-amerikanischenDeutschlandpolitik 1947/48, in: VfZ 27 (1979), S. 167 ff. Gnter Henle:Vom Ruhrstatut zur Mon-tan-Union, in: Blumenwitz a.a.O., S.566ff. Wilhelm G. Grewe:Deutsche Auenpolitik der Nach-kriegszeit, Stuttgart 1960, S. 17 ff. Einen knappen berblick ber die Auseinandersetzungen zwi-schen den Alliierten wegen der Ruhr gibt Ernst Deuerlein: Deutschland nach dem ZweitenWeltkrieg 1945-1955, Konstanz 1964, S.34ff.

    16Unangemeldet | 77.185.169.247

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  • entgegenkommen, weil sie deren Zustimmung fr die Grndung eines westdeutschenStaates brauchten. Doch htte es den damit verfolgten Zwecken widersprochen, htteman diesen Staat durch eine strikte Internationalisierung, praktisch also das Heraus-lsen seines mit Abstand wichtigsten Industriegebiets von vornherein wirtschaftlichgelhmt und um sein politisches Ansehen bei der Bevlkerung gebracht. Trotzdem et-was im Sinne der franzsischen Wnsche zu tun, empfahl sich allerdings noch aus ei-nem anderen Grunde. Sollte der Marshall-Plan Erfolg haben, so brauchten die west-europischen Staaten Kohle und Koks des Ruhrgebiets; mit Rcksicht auf ihrSicherheitsbedrfnis sollten sie dafr aber nicht von Deutschland abhngig sein. DerAusweg, der gefunden wurde, um allen Gesichtspunkten gerecht zu werden, war dasRuhrstatut. Mit dieser am 28. April 1949 unterzeichneten vlkerrechtlichen Vereinba-rung errichteten die drei Besatzungsmchte zusammen mit den Benelux-Staaten eineinternationale Behrde fr die Ruhr19. Diese hatte keinerlei Regierungsbefugnisse,sondern nur Aufgaben im wirtschaftlichen Bereich. Sie sollte Kohle, Koks und Stahlder Ruhr so verteilen, da die sechs Unterzeichnerstaaten angemessenen Zugang da-zu erhalten, und sollte dabei die wesentlichen Bedrfnisse Deutschlands bercksichti-gen. Sie sollte Mindestmengen, nicht aber Hchstmengen festlegen und sie hatte dasRecht, Preise und Zlle zu prfen sowie Sanktionen zu beschlieen. Auch Deutsch-land war in der Behrde vertreten, zunchst allerdings durch Beauftragte der Besat-zungsmchte. Wenn spter ein westdeutscher Staat seinen Sitz selbst einnehmen wr-de, werde er nach den Bestimmungen des Statuts bei Abrstungsfragen undSanktionsmanahmen kein Stimmrecht haben. Alle beteiligten Staaten bekundetenihren Willen, eine enge Vereinigung ihrer wirtschaftlichen Systeme, also eine Wirt-schaftsgemeinschaft anzustreben.Die Aufforderung, der Ruhrbehrde als ordentliches Mitglied beizutreten, erging andie Bundesrepublik bereits im Oktober 1949. Die Bundesregierung war damit vor ei-ne schwierige Entscheidung gestellt. Einerseits wrde sie mit einem Beitritt anerken-nen, da Deutschland die freie Verfgung ber ein Kernstck seiner Wirtschaft ent-zogen war, da es die Kontrolle darber mit sechs anderen Staaten teilen mte unddabei nicht einmal gleichberechtigt wre. Andererseits war zu bedenken, da dasRuhrstatut das vergleichsweise ertrgliche Ergebnis der Abwehr wesentlich weiterge-hender russischer und franzsischer Forderungen darstellte. Auch bot die Mitwir-kung in der Behrde in der Tat eine Chance, sich an den ersten Schritten einer euro-pischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu beteiligen. Die Entscheidung, obDeutschland der Behrde beitreten sollte oder nicht und wie das gegebenenfalls voll-zogen wrde, besa beispielhafte Bedeutung, weil es der erste Fall war, in dem die Al-liierten und die Bundesregierung fr beide Seiten annehmbare Wege finden muten,die aus dem Besatzungszustand heraus- und zu politischem Zusammenwirken hin-fhrten. Daher waren die Grnde, aus denen sich die Bundesregierung zum Beitritt

    19 Der Text ist abgedruckt in EA 11/1949, S. 2197 ff.

    17Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • entschlo20, die SPD aber dagegen opponierte, bezeichnend fr Deutschlands dama-lige Lage insgesamt und fr die Politik, die die Parteien in Anbetracht dieser Lage frgeboten hielten.Als Ende Dezember 1948 der Entwurf des Ruhrstatuts bekanntgeworden war, hatteAdenauer in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CDU der britischen Zone dazugesagt, kein Mensch werde es den Deutschen verdenken knnen, wenn sie dem Sta-tut sehr abweisend gegenberstnden21. Immerhin seien darin aber auch Mglichkei-ten zum Beginnen einer europischen Zusammenarbeit enthalten. Werde das Statut indiesem Geiste gehandhabt, dann knne Deutschland zunchst auch einige Opferbringen. Diese Auffassung galt fr den Kanzler Adenauer und die Bundesregierungauch im Herbst 1949. Dazu kamen folgende berlegungen: Wenn Deutschland derRuhrbehrde beitrte und dabei die nicht geringen Benachteiligungen in Kauf nh-me, so wrde das zu der so notwendigen Wiederherstellung des Vertrauens im Aus-land beitragen. Ferner wrde Deutschland von Amerika Anleihen fr den Wiederauf-bau der Ruhrindustrie erhalten und durch seine Mitwirkung in der Ruhrbehrdebessere Voraussetzungen dafr gewinnen, die Demontagen zumindest zu verringern,vielleicht sogar zu beenden. Da die Behrde von der Alliierten Hohen Kommissionvllig unabhngig war, bot sie der Bundesregierung Ansatzpunkte fr eine Politikjenseits der durch die Besatzungsverhltnisse gezogenen Grenzen. Dabei Erfolg zuerzielen, war auch deshalb aussichtsreich, weil man sich die Unterschiede der Interes-sen der sechs anderen Mitgliedsstaaten zunutze machen konnte und der Generalse-kretr der Behrde, der Niederlnder Kaeckenbeeck, als ausgesprochen deutsch-freundlich bekannt war22.Seitens der SPD lt deren Einschtzung des Ruhrstatuts sowie ihre Ablehnung desBeitritts der Bundesrepublik zur Ruhrbehrde die Grundzge ihrer Deutschlandpoli-tik in der ersten Hlfte der 50er Jahre erkennen23. Diese Politik war von der berzeu-gung geleitet, da die Wiedervereinigung in Freiheit ein kurzfristig erreichbares Nah-ziel sei. Um das nicht zu gefhrden, lehnten die Sozialdemokraten jeglicheEinbeziehung der Bundesrepublik in den beginnenden Zusammenschlu der westeu-ropischen Staaten strikt ab, whrend Gesamtdeutschland daran selbstverstndlichbeteiligt sein sollte. Die Politik gegenber den Besatzungsmchten beurteilten sie un-0 Die Frage des Beitritts wurde im Kabinett am 25. Oktober grndlich beraten und zustimmend ent-

    schieden (Adenauer: Erinnerungen Bd. 1, S. 249 ff).1 Interview mit der Allgemeinen Klnischen Rundschau" (Adenauer: Erinnerungen Bd. 1, S. 166 f.).2 Henlea.a.O. S.567.3 Zur Deutschlandpolitik der SPD in den fnfziger Jahren: Rudolf Hrbek: Die SPD, Deutschland

    und Europa. Die Haltung der Sozialdemokratie zum Verhltnis von Deutschland-Politik und West-integration (1945-1957), Bonn 1972. Kurt Thomas Scbmdz: Deutsche Einheit und europische In-tegration. Der sozialdemokratische Beitrag zur Auenpolitik der Bundesrepublik Deutschland un-ter besonderer Bercksichtigung des programmatischen Wandels einer Oppositionspartei, Bonn1978. Schmitz schreibt (S. 194): In der Aufbauphase der BRD (1949-1955) bestimmte die Wieder-vereinigung als oberstes Ziel sozialdemokratischer Politik die Debatten ber die Deutschland- undEuropapolitik. Die Annahme, da Wiedervereinigung ein Nahziel sei und kurzfristig erreicht wer-den knne, lie keinen Spielraum fr eine andere Zielsetzung oder alternative Diskussion zu."

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  • ter dem Eindruck der alten-

    unberechtigten-

    Beschuldigung, sie htten seinerzeitdurch Annahme des Versailler Vertrags Deutschland der Vorherrschaft der Sieger-mchte ausgeliefert. Das wollten sie sich nicht noch einmal vorwerfen lassen und des-halb mibilligten sie alle Vereinbarungen und jedes Zusammenwirken mit den Alliier-ten, solange diese Deutschland nicht zuvor bedingungslos und uneingeschrnktrehabilitierten. Die Alliierten seien, um Westeuropa zu stabilisieren, auf Deutschlandangewiesen; warum also sollte dann die Bundesrepublik durch Zugestndnisse ihnenteuer bezahlen, wozu sie sich sowieso wrden bequemen mssen. Der bergang voneinseitigen Besatzungsauflagen zu einem System von Vertrgen, so fhrte CarloSchmid einmal aus, sei kein Vorteil sondern ein Nachteil, weil man damit den beibe-haltenen Einschrnkungen auch noch selber zustimme: Ich glaube, da es in einersolchen Situation das richtige Verhalten wre, die Gegenseite in die Konsequenzenihres Siegeranspruchs zu drngen, ihr zu sagen: Meine Herren: Sie haben den totalenSieg gewollt, sehen Sie, wie Sie unter den vernderten Umstnden damit fertig wer-den."24 Wenn die Alliierten mit gewissen Manahmen das Selbstgefhl des deutschenVolkes lhmten, lhmten sie auch seine Widerstandskraft gegen den mchtigen Sog,der von Osten her einwirkt."25Wer ohne volle Gleichberechtigung Vertrge schliee bzw. vertragshnliche Ver-pflichtungen eingehe, sagte Schmid, der bernehme auf Generationen hin schicksal-hafte Bindungen26. Als Beispiel fr solche Vertrge fhrte auch er den Versailler Ver-trag an, der die Deutschen dazu gezwungen habe, unter Auenpolitik nichts andereszu verstehen, als den Kampf fr die Beseitigung dessen, was man durch seine Unter-schrift bekrftigt hatte27. Das aber war ein falscher Vergleich. Denn da Deutschlandim Ersten Weltkrieg nicht bedingungslos kapituliert hatte, bernahm es damalsschwerwiegende Auflagen erst mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages; dage-gen wre die Annahme des Ruhrstatuts einer der Schritte der Bundesrepublik vomZustand bedingungsloser Unterwerfung zur Mglichkeit, ber sein Schicksal mitzu-bestimmen. Unter dem Gesetz der occupatio bellica waren vom Willen der Sieger ab-weichende Interessen und Bestrebungen einfach Ungehorsam, der geahndet werdenkonnte; wenn dagegen einmal Vertrge geschlossen waren, konnte man gleichbe-rechtigt ber deren Auslegung argumentieren. Und whrend der Versailler Vertragnach Frankreichs damaligem Willen unter dem Zeichen der Bestrafung Deutschlandsgestanden hatte, konnten diesmal die Amerikaner gegen Frankreich durchsetzen, dadas Ruhrstatut keinen Strafcharakter hatte, vielmehr Deutschland das Gefhl gebensollte, Teil Westeuropas zu sein28.

    Carlo Schmid: Wege und Ziele der deutschen Auenpolitik, in: Fr und Wider. Lebensfragen deut-scher Politik. Offenbach 1952, S. 19 ff. (24). Es handelt sich bei dieser Schrift um eine Vortragsreihe,die das Institut fr Politische Wissenschaft der Universitt Frankfurt veranstaltet hatte.Ebenda, S. 30 f.Ebenda, S. 32.Ebenda, S.23.Steininger a.a.O., S. 236 f. Das Kommunique vom 28. Dezember 1948, mit dem das Ruhrstatut ver-ffentlicht wurde, schliet mit der Feststellung if operated wisely" knne das Ruhrstatut als Beitrag

    19Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • Gerade weil die Entwicklung-

    wie mit Recht auch die SPD feststellte-

    unweigerlichdarauf hinauslief, da Deutschland als gleichgestellter Partner angenommen werdenmute, konnte man es wagen, vorbergehend Nachteile und minderes Recht in Kaufzu nehmen, wenn man es damit den Besatzungsmchten politisch erleichterte, dasUnvermeidliche zu vollziehen. Henry A. Byroad, Leiter der Deutschlandabteilung imamerikanischen Auenministerium, sagte damals in einem Vortrag29, es knne keinehalben Lsungen geben, ein Volk knne nicht halb frei und halb versklavt sein; des-halb seien die Vereinigten Staaten fest entschlossen, Deutschland vllig in die Familieder freien Nationen aufzunehmen.Wie alle rechtlichen Vereinbarungen, die in jener bergangszeit vom Besatzungszu-stand zu Zusammenarbeit und Bndnis zwischen den Drei Mchten und Deutsch-land geschlossen wurden, war auch das Ruhrstatut bei der Abgrenzung der deutschenRechte und Pflichten ausgesprochen vieldeutig und unbestimmt formuliert30. Da-durch hielten sich die Alliierten einerseits alle Mglichkeiten offen, in Einzelfllenoder auch insgesamt zu strikter Besatzungspraxis zurckzukehren, wenn ihnen dasntig schien; andererseits aber verbauten auf diese Weise die Deutschland benachtei-ligenden Bestimmungen, die in der Zeit der Abfassung des Dokuments noch gebotenerschienen, nicht die Mglichkeit zu spteren positiven Entwicklungen. TypischesBeispiel ist der Artikel 31 des Ruhrstatuts, wonach eine deutsche Regierung, die demAbkommen beitritt, gewhrleisten msse, da sie die im Rahmen des Abkommensvorgesehene Verantwortung und solche anderen Verpflichtungen bernimmt, wie sievon den Signatarmchten vereinbart werden knnen". Als Adenauer bei den Ver-handlungen mit den Hohen Kommissaren am 15. und 17. November 194931 kritisier-te, da Deutschland mit dieser ziemlich verschnrkelten" Bestimmung bei seinemEintritt in die Behrde womglich einen Blankoscheck ausstelle fr alles, was die an-deren Mitgliedsstaaten beschlssen, versicherten die Kommissare, der Artikel besagenur, da Deutschland sich, wie jedes andere Mitglied auch, Mehrheitsbeschlssen f-gen msse. Es werde keine speziell gegen Deutschland gerichtete Dispositionen" ge-ben. Die Hohe Kommission knne auch keine Bedenken erheben, wenn der Bundes-kanzler im Parlament zu erklren wnsche, da gewisse Punkte des Ruhrstatutsrevisionsbedrftig seien, und da er diese Revision betreiben werde.

    zu einer engen wirtschaftlichen Verbindung zwischen den Lndern Europas angesehen werden (EA11/1949, S. 2198).

    29Die Neue Zeitung" vom 1. November 1949. Byroad war Nachfolger von Robert D. Murphy.

    30 Vgl. dazu die allgemeinen Bemerkungen Grewes (Nachkriegszeit, S. 25 f.). Er schreibt u.a., man ste-he bei der Formulierungstechnik des Ruhrstatuts vor der gleichen Erscheinung, die sich auch amText des Besatzungsstatuts oder des Dreimchtekontrollabkommens oder sonstiger auf Deutsch-land bezglicher Abkommen seit 1945 beobachten lt: alle diese Dokumente weisen eine Spracheauf, welche die exakten juristischen Formulierungen der Gesetzessprache weitgehend vermissenlt, aber auch die elastischere Sprache vlkerrechtlicher Vertrge durch die Unbestimmtheit undVieldeutigkeit ihrer Formulierungen um ein Mehrfaches bertrifft." Bei der Abgrenzung der deut-schen Rechte und Pflichten tauchten sofort vieldeutige Ermessensbegriffe, Generalklauseln, unver-bindliche Zusagen und vage Versprechungen auf.

    31 Adenauer:Erinnerungen Bd. 1, S.270ff. (270, 271, 275).20

    Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • In Anbetracht solcher Gestaltung und Behandlung des Textes hatte Carlo SchmidUnrecht gehabt, als er am 7.Januar 1949 im Parlamentarischen Rat das Statut alsZeugnis repressiven Denkens bezeichnet hatte, aus dem nie eine Kooperation werdenknne32. Vielmehr war es, wie Thomas Dehler einmal bemerkte, nicht Grundstein ei-nes Gebudes, sondern Meilenstein eines Weges. Es war ein entwicklungsfhigesDokument": nicht was noch vom alten, sondern das, was schon von einem angestreb-ten neuen Zustand darin seinen Niederschlag gefunden hatte, wurde magebend.Da unter diesen Umstnden der Entschlu der Bundesregierung vom 25. Oktober1949, der Ruhrbehrde beizutreten, richtig war, besttigte sich unerwartet bald: be-reits am 19. Oktober 1951 wurde durch Vertrag Auflsung der Behrde vereinbart33,da an ihre Stelle die Montanunion trat. brigens hat die Ruhrbehrde praktisch nieeine so groe Rolle gespielt, die mit ihrer groen politischen Bedeutung als Musterfalldeutsch-alliierter Politik im bergang von Besatzung zur Verbndung vergleichbargewesen wre34.Die Sozialdemokraten erhoben allerdings gegen das Ruhrstatut, wie gegen die ge-samte von der Bundesregierung betriebene Politik der europischen Integration auchgrundstzliche Einwnde. Kurt Schumacher brachte sie am 15.November 1949 imBundestag vor35: Die Idee der Vereinigten Staaten von Europa habe eine groe Tradi-tion, aber es sei die Tradition der Freiheit und Vlkervershnung und nicht die dereuropischen Schwerindustrie. Es handle sich hier um eine Angelegenheit der ganzenVlker und nicht um eine Frankreich-Deutschland AG. Der Kampf zwischen Bun-desregierung und Opposition in der Frage der auslndischen Finanzierung der deut-schen Schwerindustrie sei ein Kampf zwischen einer versunkenen Welt, als derenSprecher der Kanzler heute gelten drfe36 .

    . .

    Nach Schumachers Auffassung habensich nur die Sozialdemokraten im Widerstand gegen Hitler als Gegenelite ausgewie-sen und damit besen sie allein das historische Recht und den moralischen An-spruch, nach dem Zusammenbruch die Fhrung des Landes zu bernehmen37. Spe-

    Protokoll der Hauptausschusitzung des Parlamentarischen Rates vom 7.Januar 1949. CarloSchmid fhrte aus, das Statut scheine weniger dem berechtigten Sicherheitsbedrfnis von Deutsch-lands Nachbarn zu dienen, als vielmehr der Sicherheit vor Deutschland als wirtschaftlichem Kon-kurrenten. Das Statut aus Willen zur Selbsterhaltung abzulehnen sei kein Nationalismus: Man ver-weist uns oft darauf, wir sollten uns doch nicht so sehr an den Text des Dokuments festklammern;wir sollten vielmehr auf den Geist vertrauen, in dem es angewandt werden wrde. Nun, bisher hatman uns jedesmal, wenn wir an den Geist einer Institution appellierten, eingeladen, den Text ihresStatuts zu lesen."Auflsungsvertrag vom 19. Oktober 1951 (EA 2/1952, S. 4661).Henle a. a. O. S. 567 f. Fr die Deutschen unangenehm sprbar wurde ihre Ttigkeit nur, als sich abOktober 1950 die Folgen des Koreakrieges auf dem Weltkohlemarkt auswirkten.Sitzungsbericht I.Wahlperiode, 17.Sitzungvom 15.11. 1949, S. 402-407.Sitzungsbericht I. Wahlperiode, 17. Sitzung vom 15.11. 1949, S.447 A/B. Schumacher wurde andieser Stelle unterbrochen und hat, als er fortfuhr, zur Charakterisierung der anderen Welt" nichtsmehr gesagt.Hierzu: Lewis J.Edinger: Kurt Schumachers politische Perspektive, in: Politische Vierteljahres-schrift 3 (1962), S. 331 ff. (349f).

    2.1Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • ziell das Ruhrstatut lehnte die SPD auch ab, weil sie befrchtete, es werde die Soziali-sierung der Ruhrindustrie erschweren oder gar unmglich machen38.Formell erklrte die Bundesregierung ihre Absicht, der Ruhrbehrde als Mitglied bei-zutreten in dem zwischen dem Bundeskanzler und den Hohen Kommissaren am22. November 1949 geschlossenen Petersberg-Abkommen39. Inhalt dieses Abkom-mens war eine Revision des Besatzungsstatuts zugunsten Deutschlands in einer Reihevon wichtigen Punkten mit dem Ziel, die Bundesrepublik als friedliebendes Mitgliedin die europische Gemeinschaft einzugliedern". Fortschritte auf diesem Weg mtenauf der Wiederherstellung eines echten Sicherheitsgefhls in Westeuropa beruhen".Die Mitgliedschaft Deutschlands in der Ruhrbehrde wurde als ein wesentlicher Bei-trag dazu ausdrcklich anerkannt. Im Petersberg-Abkommen sagten die Drei Mchteu. a. auch eine wesentliche Verringerung der Demontagen zu und beseitigten damiteine der krassen Widersprchlichkeiten einer bergangszeit, in welcher sie Deutsch-land einerseits noch als besetztes Land, andererseits schon als zuknftigen Verbnde-ten behandelten. Sie hatten noch immer um der Sicherheit vor Deutschland willen In-dustrieanlagen abgebaut, als sie bereits im Sinne des Marshall-Plans die deutscheWirtschaft fr den Wiederaufbau Europas wie auch zur Strkung der gemeinsamenSicherheit vor der Sowjetunion mobilisierten.

    3. Die Saarfrage und Deutschlands Beitritt zum Europa-Rat

    Bei einem Besuch in Washington vom 22. bis 26. August 1945 wollten der franzsischeMinisterprsident Charles de Gaulle und Auenminister George Bidault u. a. errei-chen, da die Amerikaner einer Annexion des Saargebietes zustimmten. Diese lehn-ten jedoch ab unter dem Hinweis auf den Grundsatz der Atlantikcharta, da es keineGebietsvernderungen geben drfe, die nicht mit den frei geuerten Wnschen derbetroffenen Vlker bereinstimmten. Immerhin versprachen sie, in den kommendenFriedensverhandlungen Frankreichs Anspruch auf das Saarland zu untersttzen40.38 Das hat z.B. Carlo Schmid in den oben (Anm. 32) zitierten Ausfhrungen im Hauptausschu des

    Parlamentarischen Rates zum Ausdruck gebracht.39

    Die Auswrtige Politik" S. 158 ff. (158 f.): In der berzeugung, da die mglichst enge MitarbeitDeutschlands zu dem Wiederaufbau der westeuropischen Wirtschaft wnschenswert ist, erklrtdie Bundesregierung ihre Absicht, der internationalen Ruhrbehrde, in der sie derzeit nur durch ei-nen Beobachter vertreten ist, als Mitglied beizutreten. Zwischen beiden Parteien besteht Einver-stndnis darber, da der deutsche Beitritt zum Ruhrabkommen keinen besonderen Bedingungenaus Artikel 31 dieses Abkommens unterworfen ist."

    40 James F.Byrnes: In aller Offenheit. Frankfurt/M. 1947, S.227ff., 263. Auch in seiner berhmtenStuttgarter Rede vom 6. September 1946 sagte der amerikanische Auenminister, die Regierung derVereinigten Staaten glaube, Frankreichs Anspruch auf das Saargebiet nicht verwerfen zu knnen,nachdem Frankreich in siebzig Jahren dreimal von Deutschland berfallen und besetzt worden sei:Natrlich mte Frankreich, wenn ihm das Saargebiet eingegliedert wird, seine Reparationsan-

    22Unangemeldet | 77.185.169.247

    Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • Frankreich forcierte daraufhin in einer Note vom 12. Februar 194641 unter ausdrckli-cher Anerkennung, da der endgltige Status der Saar erst bei einer Friedensregelungbestimmt werden knne, diesen Teil Deutschlands mit sofortiger Wirkung aus derZustndigkeit des Alliierten Kontrollrates zu entlassen und wirtschaftlich mit Frank-reich zu verbinden; es erhielt dafr wegen des Einspruchs der Sowjetunion nie eineausdrckliche Zustimmung. Doch hatten sie mit der Schaffung eines unabhngigenRegierungsprsidiums Saar am 31. Juli 1945 schon eine Reihe von Manahmen ein-geleitet, um das Saargebiet von ihrer Besatzungszone zu trennen und an die Verhlt-nisse des eigenen Landes anzugleichen42. Dazu gehrten u. a. die Unterstellung derSaargruben unter franzsischen Sequester, die Verlegung der Zollgrenze auf die Ver-waltungsgrenze zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz und die Einfhrungder franzsischen Whrung. Im Jahre 1950 schlo die franzsische Regierung mit derseit Herbst 1947 im Amt befindlichen Saarlndischen Regierung Johannes Hoffmann12 Konventionen43. Nach diesen galt das Saarland als autonom und wurde im Aus-land gem der saarlndischen Verfassung" durch Frankreich vertreten. Der Vertre-ter Frankreichs im Saarland verfgte ber das Verordnungs- und Vetorecht in Ange-legenheiten der Zoll- und Whrungseinheit mit Frankreich, und er konnte Einsprucherheben, wenn Manahmen der Saarregierung die politische Unabhngigkeit" desSaargebiets gefhrdeten.Nach Grndung der Bundesrepublik mute die Bundesregierung sich darber klarwerden, wie sie der franzsischen Saarpolitik begegnen konnte. Die Lage war frDeutschland nicht so ungnstig, wie sie auf den ersten Blick scheinen mochte. Frank-reich hatte, da es sich das Saarland nicht einfach einverleiben durfte, einen Zwischen-zustand geschaffen, den es allmhlich aber konsequent in Richtung auf dieses Zielentwickelte. Ein solcher Zwischenzustand aber bot, weil alle Manahmen unter demVorbehalt der Vorlufigkeit blieben, ebenso gut Ansatzpunkte fr eine Politik, die al-les, was geschehen war, rckgngig zu machen suchte, um die Saar fr Deutschlandzurckzugewinnen oder vielleicht auch in eine bernationale europische Ordnungeinzubringen. Das war zudem von zwei Vorteilen begnstigt. Erstens konnten die Be-mhungen langfristig angelegt werden, weil ja die Regelung, auf die Frankreich hin-arbeitete, erst im Rahmen eines Friedensvertrags mit Deutschland endgltig wrde.Zweitens stimmte die deutsche Zielsetzung mit der von den brigen beteiligten Staa-ten verfolgten Absicht berein, Sicherheit vor Deutschland dadurch zu schaffen, daman es in die europische Gemeinschaft einband; dagegen waren die franzsischenBestrebungen Restbestand der lngst berholten alliierten Plne, Deutschland aufzu-teilen. Die Bundesrepublik hatte wegen dieser beiden Vorteile nicht einmal ein Inter-

    sprche an Deutschland entsprechend ndern." (EA 6/1946, S. 261 f.). Ausfhrliche Darstellungendes Saarkonflikts bieten Per Fischer: Die Saar zwischen Deutschland und Frankreich. PolitischeEntwicklung von 1945-1959, Frankfurt/M. 1959 und Jacques Freymond: Die Saar 1945-1955,Mnchen 1961.EA 14/1954, S. 6748 f.Zu den franzsischen Manahmen siehe V.Fischer a.a.O., S.51 ff.Die Saarkonventionen vom 3. Mrz 1950 sind abgedruckt in EA 6/1950, S. 2915 ff.

    23Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • esse, die Saarfrage sehr bald zu lsen. Denn je weiter der Zusammenschlu Europasgediehen und Deutschlands Gleichstellung erreicht sein wrden, desto besser warendie Aussichten auf eine gnstige Regelung.Allerdings bot der politische Schwebezustand, wie sich bald zeigte, in Frankreichauch den Gegnern eines besonders engen Zusammenschlusses der westeuropischenStaaten Mglichkeiten, diesen zu stren, indem sie, jedesmal wenn wichtige Schritteder Einigung bevorstanden, an der Saar politische Schwierigkeiten verursachten.Deshalb mute die Bundesregierung ihre Europa-Politik und die Saarfrage mglichstvoneinander getrennt halten. Der Streit um die Saar durfte nicht den Fortschritt dereuropischen Integration hemmen, der die Voraussetzung fr eine Lsung zugunstenDeutschlands war. In diesem Sinne erklrte der Bundeskanzler auf einer Pressekonfe-renz am 16.Januar 19 5 044: Meines Erachtens ist die Saarfrage noch nicht fr eineRegelung reif. Ich wrde es lieber sehen, wenn die Regelung der Saarfrage erst in An-griff genommen wird, wenn das Verhltnis zwischen Frankreich und Deutschlandnoch normaler und der europische Gedanke noch strker geworden ist." Er fgtehinzu, vielleicht knnten die Ideen und Erwgungen des Ruhrstatuts auch auf dieSaar, vielleicht auch auf die Eisenerze Lothringens ausgedehnt werden. Adenauer be-trachtete demnach die Bestimmungen, die fr das im deutschen Staatsverband befind-liche Ruhrgebiet diskriminierend waren und daher nur vorbergehend hingenommenwerden konnten, fr das aus dem deutschen Staatsverband faktisch herausgenomme-ne Saargebiet als mgliche Lsung auf Dauer. Er knpfte damit an die im Ruhrstatutenthaltenen Elemente europischer wirtschaftlicher Zusammenarbeit an und wies aufderen mgliche Fortentwicklung hin. Einschrnkung von Hoheitsrechten, wie sie ander Ruhr einseitig Deutschland auferlegt waren, verlren ihren diskriminierendenCharakter, wenn sie ber die Saar hinaus auf einen Teil Lothringens und damit auf einStck franzsischen Staatsgebietes ausgedehnt wrden.Den Wunsch, da die Bundesrepublik demnchst als assoziiertes Mitglied in denEuroparat aufgenommen werden soll", brachten die drei Hohen Kommissare und derBundeskanzler im Petersberg-Abkommen vom 22. November 1949 bereinstimmendzum Ausdruck45. Hier nun bereitete die Saarfrage erstmals erhebliche Schwierigkei-ten, weil Frankreich schon seit dem Sommer die Aufnahme auch des Saargebiets alsassoziiertes Mitglied betrieb. Es erhob sich nmlich die Frage, ob es nicht eine Aner-kennung der Abtrennung der Saar bedeute, wenn die Bundesrepublik mit ihr gleich-zeitig dem Europarat beitrete. Wre das aber der Fall, so wrde man die eigene Posi-tion im Protest gegen die Abtrennung der deutschen Ostgebiete jenseits von Oderund Neie erheblich schwchen. Mit diesen mglichen Folgewirkungen begrndete

    Archiv der Gegenwart 1950, S.2219. Ebenso hatte sich Adenauer in einem Interview mit ErnstFriedlnder (Die Zeit" vom 3. November 1949) geuert: Ich halte es fr sehr bedauerlich, da dieSaarfrage berhaupt mit der Europafrage verknpft, worden ist.

    . .

    Es erscheint mir wesentlich, dadiese beiden Fragen in Zukunft getrennt gehalten werden."Die Auswrtige Politik" S. 158 ff. (158).

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  • die SPD ihre Opposition gegen einen Beitritt zum Europarat46. Wenn man dort einenselbstndigen Saarstaat toleriere, habe man ihn bereits als vollendete Tatsache hinge-nommen, und man verliere damit den festen Boden unter den Fen fr den Kampfgegen die Oder-Neie-Linie. Mit dieser Gefahr argumentierte auch der Bundeskanz-ler in einem Gesprch mit Robert Schuman am 15.Januar 195047: Wenn die West-mchte einen Versto gegen den Grundsatz duldeten, da ber den Status der Saarerst im Friedensvertrag entschieden werde, knne man dem Russen gegenber nichtmehr auf die Unzulssigkeit der von ihm im Osten getroffenen Manahmen hinarbei-ten. Trotz solcher Bedenken konnte die Bundesregierung auf die Mitgliedschaft imEuroparat nicht verzichten, ohne ihre Politik der Wiederherstellung der Gleichbe-rechtigung Deutschlands im Wege der Teilnahme an der Einigung Europas zu ge-fhrden.Die Situation verschrfte sich noch erheblich dadurch, da am 3. Mrz 1950 die12 Saarkonventionen unterzeichnet wurden. Der Bundeskanzler legte dagegen in ei-ner Regierungserklrung vor dem Bundestag am 10. Mrz nachdrcklich Verwah-rung ein48. Die vier Konventionen, die verffentlicht worden seien, schfen Verhlt-nisse, die eine andere Regelung durch einen Friedensvertrag faktisch unmglichmachten. Auch herrsche im Saargebiet weder Freiheit noch Demokratie. Deshalbseien in Deutschland Zweifel daran entstanden, ob in Frankreich wirklich derWunsch nach einem freundschaftlichen Verhltnis zu Deutschland bestehe; ob wirk-lich der Wille vorhanden sei, Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied wieder inden Kreis der Vlker einzufhren. Das gegenwrtige Stadium des Stillstandes undMitrauens msse durch einen entscheidenden Schritt nach vorwrts berwundenwerden. Zu den Hohen Kommissaren sagte der Kanzler auf dem Petersberg am22. Mrz49, wegen der Saarkonventionen frchte er, im Bundestag fr den Beitrittzum Europarat keine Mehrheit zu finden, wenn nicht irgend eine Geste gegenberder Bundesrepublik gemacht werde. Die drei hatten dafr jedoch keinen Vorschlagbereit. Stattdessen gab es eine heftige Auseinandersetzung zwischen Adenauer undFrancois-Poncet, weil die Alliierten verlangten, Deutschland msse fr die Aufnahmein den Europarat ausdrcklich ein Gesuch stellen. Da dies in der Satzung des Ratesnicht vorgesehen war, bedeutete die Forderung ein Zeichen von Mitrauen. Um des-halb ein Gesuch zu vermeiden, und um fr den Beitritt eine Mehrheit im Bundestagzu gewinnen, machte der Kanzler am nchsten Tag, dem 23. Mrz, in gesondertenSchreiben an die drei Hohen Kommissare folgenden Vorschlag: Er wrde den Ver-such machen, eine Mehrheit des Bundestages fr den Beitritt zum Europarat zu ge-winnen, wenn er vorher ein Schreiben der drei Hohen Kommissare erhalte, da die

    So Kurt Schumacher in seiner Antwort auf die Regierungserklrung im Bundestag am 21. Septem-ber 1949 (Sitzungsbericht I.Wahlperiode, 6.Sitzung, S.41D-42B).Adenauer:Erinnerungen Bd. 1, S.299.Sitzungsbericht I.Wahlperiode, 46. Sitzung vom 10.3. 1950, S. 1557D; siehe auch Adenauer: Erin-nerungen Bd. 1, S.337.Adenauer:Erinnerungen Bd. 1, S. 317ff. (322).

    25Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • Drei Mchte dringend diesen Beitritt wnschten und die Mitgliedschaft des Saarge-biets vorbehaltlich der friedensvertraglichen Regelung gelte: Damit nicht die HohenKommissare eventuell erfolglos ein derartiges Schreiben an mich richten, schlage ichvor, da sie mir schreiben, sie wrden eine Note mit dem oben skizzierten Inhalt anmich richten, wenn eine Mehrheit im Bundestag zu erwarten sei .. . Den weiterenVerlauf denke ich mir dann so, da ich durch die Hohen Kommissare den Minister-ausschu des Europarates wissen liee, da eine Einladung angenommen werdenwrde, und da daraufhin Deutschland eingeladen werden wrde. Alsdann wrdedie Angelegenheit von mir an das Plenum des Bundestags gebracht werden."50Am 9. Mai 1950 beschlo die Bundesregierung den Beitritt zum Europarat und amgleichen Tage gab Robert Schuman den Vorschlag der franzsischen Regierung be-kannt, die Gesamtheit der franzsisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion untereine gemeinsame Hohe Behrde zu stellen, in einer Organisation, die den andereneuropischen Lndern zum Eintritt offen steht.".51 Um den Jahrhunderte alten Gegen-satz zwischen Frankreich und Deutschland auszulschen und eine europische Soli-daritt der Tat zu schaffen, msse man in einem begrenzten, jedoch entscheidendenPunkt zur Tat schreiten. Dies sei die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduk-tion, die einen Krieg zwischen den beiden Lndern unmglich mache und eine ersteEtappe der europischen Fderation bedeute. Dieser Schuman-Plan" war wesentlichmehr als eine Geste, wie sie der Bundeskanzler von den Hohen Kommissaren gefor-dert hatte, und so war mit seiner Bekanntgabe die Zustimmung des Bundestags zumBeitritt zum Europarat gesichert. Sie erfolgte am 15. Juni 19 5 052.Erneut gefhrdete die franzsische Politik an der Saar den Fortgang der europi-schen Einigung im Frhjahr 1952. Zwei "Wochen vor der fr den 7. und 8. Februar an-gesetzten Debatte des Bundestags ber den EVG-Vertrag wurde am 25. Januar derfranzsische Hochkommissar Gilbert Grandval zum Botschafter gemacht53. Damitwar der Besatzungszustand im Saarland beendet und dessen bis dahin von der Besat-zungshoheit noch berlagerte Autonomie und Abtrennung von Deutschland kamen

    Adenauer (Erinnerungen Bd. ES. 324 f.) schlo das Schreiben mit dem Satz: Um auch den Scheineines offiziellen Schrittes meinerseits bei der Hohen Kommission als solcher zu vermeiden, erlaubeich mir, diese Mitteilung an jeden der drei Hohen Kommissare gesondert zu richten." Mit einer hn-lich umstndlichen Prozedur wie hier, wo Adenauer vermied, das geforderte Gesuch zu stellen, hat-te sich Adenauer beim Beitritt Deutschlands zur Ruhrbehrde der Forderung der Alliierten entzo-gen, da die Bundesregierung ausdrcklich schriftlich versichere, die aus dem Ruhrstatut sichergebenden Pflichten zu bernehmen. Damals erwhnte er im eigentlichen Beitrittsgesuch den Ge-sichtspunkt der Verpflichtung nicht und nahm spter in das Schreiben, mit dem er den Namen desVertreters der Bundesrepublik in der Ruhrbehrde bekannt gab, die Wendung auf, da diese Benen-nung die bernahme der Rechte und Pflichten, wie sie im Ruhrstatut festgesetzt sind, bedeute.Adenauer: Erinnerungen Bd. 1, S. 327 ff. Der volle Wortlaut des Schumanschen Vorschlags ist abge-druckt in EA11 /1950, S. 3091 f.DieAuswrtige Politik" (Zeittafel). DerVertrag ber die aus dem Schuman-Plan hervorgegangeneEuropische Gemeinschaft fr Kohle und Stahl (Montan-Union) wurde am 18. April 1951 unter-zeichnet und trat am 25.Juli 1952 in Kraft (Die Auswrtige Politik'VZeittafel).Adenauer: Erinnerungen Bd. 1, S.517.

    2.6Unangemeldet | 77.185.169.247

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  • unmittelbar und offenkundig zur Wirkung. Der amerikanische HochkommissarMcCloy schrieb dazu an den Bundeskanzler54, es scheine eine Fgung zu sein, dadie Saarfrage bei jeder wichtigen Phase der europischen Entwicklung wieder auftau-che; es sei deshalb wohl besser, sie doch schon vor einem Friedensvertrag endgltig zuregeln: Ich habe das Gefhl, da sie alle unsere Bemhungen verpesten wird, solan-ge sie nicht geregelt ist." Die Bundesregierung antwortete auf die neue Strung, dieauf eine starke Gruppe im franzsischen Auenministerium zurckging55, damit, dasie sich bei den EVG-Verhandlungen der Stimme enthielt56 und am 29. Februar in ei-nem Memorandum an den Europarat die Gewhrung der politischen Grundfreihei-ten an der Saar forderte57. Insbesondere sollten freie Wahlen stattfinden und dazu ne-ben den saarlndischen Parteien CVP, SPS und DSP auch CDU, SPD und FDPzugelassen sein. Am 20. Mrz stand das Memorandum auf der Tagesordnung des Mi-nisterausschusses des Europarats58. Den zu erwartenden unerfreulichen Streit ver-mied Adenauer, in dem er sich vorher mit Robert Schuman und Johannes Hoffmannbei einem vom Prsidenten des Ministerausschusses, dem schwedischen Auenmini-ster Unden, gegebenen Essen beriet. Er erreichte Schumans Zustimmung, da erstensdeutsche und franzsische Vertreter im Benehmen mit den saarlndischen Behrdendie Voraussetzungen fr freie Wahlen im Saarland prften59, und da zweitensdeutsch-franzsische Besprechungen eingeleitet wrden mit dem Ziel, zu einer ein-vernehmlichen Lsung der Saarfrage noch vor einer Friedensregelung zu gelangen.Diese Lsung msse die Zustimmung der Saarbevlkerung und das Einverstndnisvon England und den USA finden. Nach diesen Absprachen verzichtete der Bundes-kanzler auf eine Errterung der Deutschen Saarbeschwerde" im Ministerausschu.Wie in diesem Falle, so besttigte sich auch in der Folgezeit, da der Beitritt zum Eu-roparat der Bundesrepublik neue Mglichkeiten erffnete, die Ziele ihrer Saarpolitikzu verfolgen, und zustzliche Chancen bot, sie zu erreichen. Denn seitdem Deutsch-land und das Saarland Mitglieder geworden waren, besa deren Konflikt fr den Eu-roparat unmittelbare Bedeutung60. So konnte er mehrere Konventionen, die

    -

    wie esin seiner Satzung heit

    -

    dazu beitragen sollten, eine grere Einheit zwischen sei-nen Mitgliedern herzustellen", entweder garnicht oder nur mit erheblicher Verzge-rung zum Abschlu bringen, weil die Saar darauf bestand, sie als gleichgestellter Ver-handlungspartner mit zu unterzeichnen, und die Bundesrepublik dagegen protestier-te. Um diese Blockade der europischen Einigungspolitik zu berwinden stellte

    -

    einer Erklrung der Sozialistischen Internationale aus dem Jahre 1950 entsprechend61-

    54 Schreiben McCloys vom 28. Januar 1952 (Adenauer:Erinnerungen Bd. 1, S. 518).55 Adenauer: Erinnerungen Bd. 1, S. 519.56 Adenauer: Erinnerungen Bd. 1, S. 517 f.57 P. Fischer a.a.O.,SA24{.58 Ebenda, S. 132ff.59 So Adenauer vor der CDU/CSU-Fraktion des Bundestags am 26. Mrz 1952.60 Zum Folgenden: P.Fischer a.a.O., S. 157 ff.; Freymonda.a.O., S. 157 ff.61 P. Fischer a. a. O., S. 128 ff. Es handelt sich um die Resolution, die im Juni 1950 auf der Kopenhage-

    ner Konferenz der Sozialistischen Internationale verabschiedet wurde: Die Konferenz ist der Auf-

    27Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • der niederlndische Abgeordnete Marinus van der Goes van Naters zusammen mit 29sozialistischen Abgeordneten anderer Mitgliedslnder den Antrag, die BeratendeVersammlung mge die zuknftige Stellung der Saar" beraten. Van Naters wurdezum Berichterstatter ber die Angelegenheit gewhlt und legte in dieser Eigenschaftam 31. August 1953 den Entwurf eines europischen Statuts fr die Saar vor62. Da-nach sollte das Saargebiet europisches Territorium" werden. Seine Interessen in al-len Fragen der Auenpolitik und der Verteidigung sollte ein europischer Kommissarwahrnehmen, der dem Ministerkomitee des Europarates verantwortlich sein wrde.Nach Grndung der Europischen Politischen Gemeinschaft63 wrde er deren Exe-kutivrat unterstehen. Der gemeinsame Markt der Saar mit Frankreich sollte bleiben,jedoch nur als bergangsstadium verstanden werden bis zur Errichtung eines ge-meinsamen Marktes aller Mitglieder der europischen Gemeinschaft. Politische Par-teien, Zeitungen und ffentliche Versammlungen sollten keiner behrdlichen Geneh-migung mehr bedrfen.Van Naters' Plan wurde in den Gremien der Beratenden Versammlung in einigenPunkten zugunsten Deutschlands gendert und dann in den Regierungen der Mit-

    fassung, da die bertragung der wirtschaftlichen Macht ber die Saarindustrie an eine berstaatli-che europische Organisation die einzig mgliche Lsung des Saarproblems darstellt. DerVorschlag des franzsischen Auenministers Schuman knnte der Ausgangspunkt zu einer positi-ven Lsung europischer Probleme und damit auch des Saarproblems werden". Der Europarat sollesich mit der Saarfrage befassen und sie einer konstruktiven Lsung zufhren.

    -

    Die SozialistischeInternationale untersttzte in der Saarfrage nicht die SPD, die jegliche Europisierung des Gebietsablehnte und auf dessen Rckgliederung an Deutschland bestand. Im November 1947 hatte aller-dings der Parteivorstand der SPD erklrt, die Probleme des Saargebiets knnten nur europisch ge-lst werden, und dies sei der dem sozialistischen Denken allein entsprechende Weg (P. Fischera.a.O., S.117E).Text des Goes van Naters-Plans bei P. Fischer a. a. O., S. 287 ff.Artikel 38 des EVG-Vertrags schrieb vor, da die Versammlung", also das parlamentarische Organder Verteidigungsgemeinschaft, binnen sechs Monaten nach Aufnahme ihrer Ttigkeit Vorschlgefr die Bildung eines bundesstaatlichen oder staatenbndischen Gemeinwesens vorzulegen habe;dieses sollte auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung beruhen und ber ein Zweikammersystem ver-fgen. Das Vorhaben entsprang der Einsicht, da ohne eine den beteiligten Staaten bergeordnetepolitische Leitung ein supranationales Kommando ber ihre integrierten Streitkrfte schwer denk-bar sei. Als sich im September 1952 die Gemeinsame Versammlung" der Europischen Gemein-schaft fr Kohle und Stahl (EGKS) konstituierte, bertrug der Ministerrat schon ihr die an sich erstfr die EVG vorgesehene Aufgabe, die Verfassung einer Europischen Politischen Gemeinschaft(EPG) vorzubereiten. Die EGKS-Versammlung konstituierte sich zu diesem Zweck zustzlich alsAd hoc-Versammlung" und setzte einen Verfassungsausschu mit Heinrich von Brentano alsVorsitzendem ein. Dieser legte bereits im Mrz 1953 einen Entwurf vor, der im August von denAuenministern der EGKS-Staaten grundstzlich gebilligt wurde (abgedruckt in EA 9/1953,S. 5669 ff). Nach deutschen Vorstellungen sollte die Europische Politische Gemeinschaft suprana-tionale Funktionen ausben, auch Funktionen auf auenpolitischem Gebiet bernehmen, jedochdie souvernen Rechtspersnlichkeiten der Staaten unangetastet lassen. Mit dem Scheitern derEVG war auch einer Verwirklichung der Politischen Gemeinschaft der Boden entzogen, und damitwiederum war die Voraussetzung entfallen, das Saarland sinnvoll und in einer fr Deutschland an-nehmbaren Form zu europisieren.

    28Unangemeldet | 77.185.169.247

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  • gliedslnder des Europarats vorgelegt64. Nach der berarbeiteten Fassung sollten diewirtschaftlichen Beziehungen der Saar zur Bundesrepublik in gleicher Weise wie diezu Frankreich entwickelt werden. Auch wurde deutlicher zum Ausdruck gebracht,da eine Europisierung der Saar die Verwirklichung der Europischen PolitischenGemeinschaft voraussetze, und das Statut wurde insgesamt unter den Vorbehalt einesFriedensvertrags gestellt. Der erste Satz der von der Beratenden Versammlung verab-schiedeten Fassung des Entwurfs lautete demnach: Das Saarland wird europischesTerritorium, sobald die Europische Politische Gemeinschaft besteht, unter dem Vor-behalt der Bestimmungen des Friedensvertrages oder einer hnlichen Regelung."Whrend die Bundesregierung den Plan als Verhandlungsgrundlage gelten lie, legtedie franzsische Regierung einen Gegenentwurf vor, der den deutschen Interessennicht entgegenkam. Eine Mglichkeit, in dieser Patt-Situation die Dinge zunchsteinmal auf sich beruhen zu lassen, bestand nicht, weil Frankreich seine Zustimmungzur Schaffung einer europischen Verteidigungsgemeinschaft von der Lsung derSaarfrage

    -

    natrlich in seinem Sinne-

    abhngig gemacht hatte65. Dieses Junctimhatte bereits Robert Schuman eingefhrt, als er am 19. August 1952 vor dem Auswr-tigen Ausschu der franzsischen Nationalversammlung erklrte, da das Schicksalder EVG von einer befriedigenden Lsung der Saarfrage abhinge. MinisterprsidentRene Mayer machte dann in seiner Investiturrede vom 6.Januar 1953 in aller Formdie Einigung ber ein Saarstatut zur Voraussetzung fr die Vorlage des EVG-Ver-trags im Parlament66. Als am 30. August 1954 die EVG gescheitert war, bertrug Mi-nisterprsident Mendes-France das Junctim auf das im Oktober 1954 auf der Londo-ner Neun Mchte-Konferenz ausgehandelte Vertragswerk, durch das Deutschlandseine volle Souvernitt zurckerlangen und Mitglied der NATO werden sollte67.Sptestens jetzt kehrte sich die Wirkung des Junetims gegen Frankreich selbst. Dennindem die Franzosen auf ihren speziellen nationalen Interessen an der Saar beharrten,stellten sie sich gegen das gemeinsame Interesse aller anderen Beteiligten, die nunendlich die Vertrge in Kraft gesetzt haben wollten, ber die sie jahrelang schwierige,mhselige Verhandlungen hatten fhren mssen. Den Abschlu nochmals zu blockie-ren, htte Frankreich vllig ins politische Abseits gebracht, deshalb mute es, wenn esam Junctim festhielt, in der Saarfrage Zugestndnisse machen. In dieser Situation be-fand sich Mendes-France, als er buchstblich am Vorabend der Unterzeichnung derPariser Vertrge" mit dem Bundeskanzler ber ein deutsch-franzsisches Saarab-kommen verhandelte. Adenauer hat diese Verhandlungen in seinen Memoiren aus-fhrlich dargestellt68. Die Unterzeichnung der Vertrge war fr Samstag, den 23. Ok-tober vorgesehen. Am Freitag Nachmittag war noch keine Einigung zwischenMendes-France und ihm zu erkennen. Abends gab der britische Auenminister An-

    Text bei P.Fischern.a.O., S.293ff.Adenauer:Erinnerungen Bd.2, S. 364f.P.Fischerz.a.O.,S. 143f.Adenauer:Erinnerungen Bd. 2, S.365.Ebenda, S. 370 ff.

    29Unangemeldet | 77.185.169.247Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • thony Eden ein Essen. Sobald der Nachtisch gereicht war, zogen sich Mendes-Franceund Adenauer zu erneuten Beratungen zurck; aber erst gegen 23 Uhr begann sichdie Mglichkeit fr einen Kompromi abzuzeichnen, der endlich nach Mitternachterreicht war. Demnach sollte die Saar im Rahmen der "Westeuropischen Union eineuropisches Statut69 erhalten, aber nicht europisches Territorium" werden. DasStatut sollte im Wege der Volksabstimmung gebilligt werden und htte dann bis zumAbschlu eines Friedensvertrags in Kraft bleiben mssen. Die wirtschaftlichen Bezie-hungen zwischen Deutschland und der Saar sollten auf die gleiche Ebene mit jenenzwischen Frankreich und der Saar gestellt werden. Jede von auen kommende Ein-mischung, die auf eine Einwirkung auf die ffentliche Meinung an der Saar abzielte,wrde untersagt.Die franzsische Nationalversammlung billigte dieses Abkommen am 23. Dezember1954, der Deutsche Bundestag am 27. Februar 195570. Die in der Abstimmung unter-legene SPD klagte beim Bundesverfassungsgericht, da das Abkommen mit demGrundgesetz nicht vereinbar sei. Diese Klage wurde am 4. Mai 1955 abgewiesen71. Inder Begrndung heit es: Eine im Gefolge des politischen Zusammenbruchs desDeutschen Reiches von einer Besatzungsmacht einseitig geschaffene Lage wird nurhingenommen, um von ihr aus durch vertragliche Absprachen eine Regelung zu fin-den, die

    -

    soweit politisch erreichbar-

    den Status des Saargebietes nher an die Vor-stellung des Grundgesetzes heranfhrt. Wenn dabei, was die Antragsteller beanstan-den, ein dem Artikel 23 des Grundgesetzes entsprechender Zustand nicht voll erreichtworden ist, so ist doch nicht zu verkennen, da das Abkommen in dieser Richtungdeutlich Verbesserung gegenber dem bisherigen Zustand ermglicht

    .

    ..Eine der

    Verbesserungen liegt darin, da in diesem, zwischen zwei Staaten strittigen Gebietder berragende Einflu des einen Vertragspartners dadurch neutralisiert wird, dawichtigste, von ihm bisher gebte Funktionen, einem europischen Kommissar ber-tragen werden." Am 23. Oktober 1955 lehnten die Saarlnder das Statut mit knapp68% Nein-Stimmen gegen etwas ber 32% Ja-Stimmen ab72. Frankreich respektiertediese demokratische Entscheidung und vereinbarte mit einem Vertrag vom 27. Okto-ber 1956 mit der Bundesrepublik die Bedingungen und Formen der Wiedervereini-gung des Saargebiets mit Deutschland73.Adenauer hatte sich vor der Volksabstimmung ffentlich fr die Annahme des Saar-Statuts eingesetzt. So sagte er z. B. auf einer CDU-Veranstaltung in Bochum74, er ha-be an die Bevlkerung der Saar die herzliche Bitte zu richten, das Statut anzunehmen,denn die europischen Interessen vertrgen es nicht, da ausgerechnet in diesemAugenblick, wenige Wochen vor der zweiten Genfer Konferenz, in Europa zwischen

    Der Text des deutsch-franzsischen Abkommens ber das Statut der Saar vom 23. Oktober 1954 istabgedruckt in Die Auswrtige Politik" S. 268 ff.Beide Daten bei P. Fischern, a. O., S. 199 f.BVerfGE 4, S. 157ff. (177f.). Vgl. P.Fischer-a.a.O., S.201.Die Auswrtige Politik", S. 313.Ebenda, S. 339 f. Vertrags-Ploetz Teil II Bd. 4 (2.Aufl. 1959), S. 538 ff.Vgl. Adenauer:Erinnerungen Bd. 2, S. 378 ff.

    30Unangemeldet | 77.185.169.247

    Heruntergeladen am | 14.08.13 15:05

  • Deutschland und Frankreich wieder ein Unruheherd geschaffen wird." Manche Be-obachter vermuten, Adenauer sei sich ganz sicher gewesen, da eine Mehrheit derSaarlnder gegen das Statut, mithin fr eine Rckkehr nach Deutschland entscheidenwerde, und er habe fr das Statut in aller ffentlichkeit nur geworben, um bei denFranzosen persnlich glaubwrdig zu bleiben und so die Fortsetzung seiner Verstn-digungspolitik mglichst wenig zu belasten. Andere meinen, Adenauer htte es im In-teresse seiner Europa-Politik tatschlich lieber gesehen, wenn das Statut gebilligtworden wre. Man mu zwischen solchen Mutmaungen nicht entscheiden, um drei-erlei mit Sicherheit sagen zu knnen. Erstens wre eine im Sinne der AdenauerschenPolitik gute Lsung die Europisierung der Saar nur als Element der Entwicklung derEuropischen Politischen Union gewesen. Nachdem diese mit der EVG gescheitertwar, konnte die Unterstellung des Gebietes unter ein Kommissariat nur eine Notl-sung sein, die so wenig eine Befriedigung auf Dauer gebracht htte, wie die Interna-tionalisierung strittiger Gebiete in anderen Fllen (z.B. Danzig und Tanger) auch.Zweitens wre schon die Notlsung gegenber dem vorherigen Zustand

    wie auchdas Bundesverfassungsgericht feststellte

    -

    ein Fortschritt fr Deutschland gewesen.Mit Recht bemerkt Adenauer in seinen Erinnerungen, da wir uns glcklich preisenknnten, wenn wir eine hnliche Vereinbarung fr die Gebiete jenseits von Oder undNeie erreicht htten75. Drittens war der Konflikt schon mit dem Abschlu desdeutsch-franzsischen Abkommens bereinigt, weil es der Saarbevlkerung die freieEntscheidung ber ihren politischen Status berlie, so wie es den Grundstzen derAtlantik-Charta und der Charta der Vereinten Nationen entsprach.

    4. Sicherheit fr das Bundesgebietund deutscher Verteidigungsbeitrag

    Zu den dringenden Erfordernissen nach Grndung der Bundesrepublik gehrte es,von den "westmchten eine Sicherheitsgarantie zu erwirken, also die verbindliche Zu-sage, fr den Fall eines sowjetischen Angriffs das Bundesgebiet strategisch nicht alsNiemandsland und frei verfgbaren Kriegsschauplatz einzuplanen, sondern an derElbe" zu verteidigen76. Die Alliierten zgerten, eine solche Garantie zu geben, die75 Ebenda.76 Alle mit dem deutschen Verteidigungsbeitrag zusammenhngende Vorgnge sind bis einschlielich

    1950 in groer Ausfhrlichkeit behandelt in: Militrgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Anfn-ge westdeutscher Sicherheitspolitik. Bd. 1 Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, Mnchen, "Wien1982. Dort auch weitere Literatur. Im Beitrag von Christian Greiner: Die alliierten militrstrategi-schen Planungen zur Verteidigung Westeuropas 1947-1950 (a.a.O., S. 119ff.) werden die PlneVerteidigung am Rhein" und Verteidigung so weit im Osten wie mglich" dargestellt (S. 206 ff.bzw. 230 ff.). Immer noch wertvoll ist die knappe, aber hchst kompetente und gehaltvolle Darstel-lung der Verhandlungen ber den deutschen Verteidigungsbeitrag in: Presse- und Informationsamt

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  • den Spielraum ihrer militrischen Planung verengen und sie u.U. zwingen wrde,zum Schutz deutschen Interesses Krieg zu fhren. Aber wenn sie sich schon verpflich-ten sollten, das Bundesgebiet zu verteidigen, so forderten zumindest die Amerikaner,die dafr die Hauptlast zu tragen htten, da auch die Deutschen selbst einen milit-rischen Beitrag leisteten. Zudem bekundeten die amerikanischen Militrs schon seit1947 Interesse an der Verwendung deutscher Soldaten77, nicht zuletzt wegen derenErfahrung im Kampf mit russischen Truppen; sie dachten dabei allerdings an die Auf-stellung deutscher Sldner-Einheiten. Angesichts dieser Gegebenheiten stellte sich frdie Bundesregierung im Winter 1949/50 nicht die Frage, ob man einen Verteidi-gungsbeitrag anstreben oder anbieten solle, sondern unter welchen Bedingungen manihn zu leisten bereit war, wenn er von Deutschland verlangt wrde. Die Antwort lau-tete, kurz zusammengefat, es drfe weder eine deutsche Sldnertruppe noch einedeutsche Nationalarmee geben, sondern allenfalls deutsche Einheiten in einer inte-grierten europischen Armee. Das aber setze voraus, da die Bundesrepublik ihre vol-le Souvernitt wiedererlange und als gleichberechtigter Verbndeter angenommenwerde. Dies gedachte die Bundesregierung als Preis fr einen eigenen Verteidigungs-beitrag zu fordern, den sie als Preis fr eine alliierte Garantie, das Bundesgebiet zuverteidigen, zahlen sollte78.Da die Bundesregierung ber diplomatische Vertretungen im Ausland noch nicht ver-fgte, und auch die im Petersberg-Abkommen zugestandenen ersten Konsulate undHandelsmissionen eben erst eingerichtet wurden, hatte der Bundeskanzler damalsnur zwei Wege, um auenpolitische Ziele zu verfolgen: seine regelmigen Zusam-menknfte mit den Hohen Kommissaren und Interviews fr auslndische, vorzugs-weise amerikanische Zeitungen. Auf dem Petersberg brachte er den Wunsch nach derSicherheitsgarantie am 8.Dezember 1949 zur Sprache: Da die Alliierten Deutschlandvllig entwaffnet htten, falle ihnen die Pflicht zu, fr dessen Sicherheit zu sorgen. Essei an der Zeit, statt immer nur an die Sicherheit vor Deutschland, auch einmal an dieSicherheit fr Deutschland zu denken. In der Ostzone werde eine Armee aufgestelltund im Westen hre die Bevlkerung immer wieder, da als Verteidigungslinie derRhein vorgesehen sei: Wir wrden es sehr begren, wenn von sehen der Westalli-ierten eine Erklrung abgegeben wrde, da die Bundesrepublik geschtzt wird." Diedrei Hohen Kommissare versprachen, ihre Regierungen von den Sorgen des Kanzlerszu unterrichten. Im gleichen Sinne wie auf dem Petersberg hatte sich Adenauer be-

    der Bundesregierung (Hrsg.): lOJahre Bundesrepublik Deutschland, Bonn 5.Aufl. 1959, S.255ff.Spezielle Dokumentensammlungen sind: Auswrtiges Amt (Hrsg.): Der deutsche Verteidigungsbei-trag. Dokumente und Reden, Bonn 1954 und Klaus v. Schubert (Hrsg.): Sicherheitspolitik der Bun-desrepublik Deutschland. Dokumentation 1945-1975, Teil 1, Kln 1978.Laurence W. Martin .-The American Decision to rearm Germany, in: Harold Stein (Ed.): Americancivil-military Decisions. A Book of Case-Studies, Alabama University Press 1963.Wenn man Adenauers damalige Politik so interpretiert, da er von vornherein einen deutschen Ver-teidigungsbeitrag wollte, weil dies der geeignetste Hebel" sei, um die volle internationale Gleich-stellung zurckzuerlangen, so gab es auch in diesem Fall kein Interesse an einer Wiederbewaffnungum ihrer selbst willen, sondern nur weil sie das beste Mittel zum Zweck war.

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  • reits am 3. Dezember in einem Gesprch mit dem Europakorrespondenten der Zei-tung: The Piain Dealer" (Cleveland, USA) geuert79. Er hatte dabei auch klarge-stellt, da es keinesfalls deutsche Sldner oder eine deutsche Nationalarmee gebenwerde, sondern uerstenfalls deutsche Einheiten in einer integrierten europischenArmee unter einem europischen Oberkommando.Grundlegend fr die so in Gang gebrachten Verhandlungen ber die Sicherheitsfragewar im Jahr 1950 die Unterscheidung zwischen uerer" und innerer" Sicherheit80.Die uere Sicherheit" erforderte die Bereitschaft, einen militrischen Angriff abzu-wehren bzw. die Sowjetunion von einem Angriff abzuschrecken. Nach Lage der Din-ge konnte diese Aufgabe nur von den Alliierten erfllt werden, denn den Deutschenfehlten allein schon die technischen und organisatorischen Voraussetzungen, um inder gebotenen Krze der Zeit Streitkrfte aufzustellen und einsatzbereit zu machen.Davon abgesehen, lag es aber auch politisch nicht im Interesse der Bundesrepublik,sofort einen militrischen Verteidigungsbeitrag zu leisten, denn sie htte sich damitder Mglichkeit begeben, ihn von der Beendigung des Besatzungsregimes und vollerGleichberechtigung abhngig zu machen. berdies htte eine neue deutsche Armee,wre sie unter Besatzungskontrolle aufgestellt worden, einen Geburtsfehler gehabt,der sie und den demokratischen Staat noch ber Jahrzehnte belastet htte. Unter in-nerer Sicherheit" verstand man erstens die Sicherung gegen Unruhen und bewaffne-ten Aufstand im Lande; zweitens fr den Fall eines Angriffs von auen den zivilen Be-vlkerungsschutz, Notstandsvorsorge, Aufrechterhaltung des Verkehrs im Opera-tionsgebiet usw. Das alles waren nicht militrische, sonder