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PRESSE Im vorigen Jahr wurden die Diabetiker- lebensmittel aus der deutschen Diät- verordnung (DiätV) gestrichen, nun soll nach dem Willen der Kommission andere Verordnungen und Richtlinien für Diätetika der Deregulierung zum Opfer fallen. Schlankmacher und lak- tose- oder glutenarme Produkte wer- den danach zu normalen Lebensmit- teln und müssten sich an den Bestim- mungen für Nahrungsergänzungsmit- tel, für angereicherte Lebensmittel und für gesundheitsbezogene Angaben (Health-ClaimsV) messen lassen. Deregulierung sei zwar grundsätz- lich zu begrüßen, doch es sei fraglich, ob die weitgehende Abschaffung der Diätvorschriften Freiräume für die Wirtschaft schaffe, meint die Gum- mersbacher Lebensmittelrechtlerin Dr. Sandra Heck. Die Erfahrungen mit der Health-ClaimsV lassen sie eher das Ge- genteil befürchten. Ob die vorgesehene Übergangsfrist von zwei Jahren ausreiche sei ebenso unklar wie die künftige rechtliche Po- sition so umsatzstarker Sortimente wie laktosefreie Produkte oder Sportler- nahrung. Die gute Nachricht: Für die Hersteller von Baby- und Kleinkind- nahrung sowie Beikost ändert sich vo- raussichtlich wenig. Auch die Anbieter von Lebensmitteln für bestimmte me- dizinische Zwecke haben wenig zu be- fürchten: Der Vorschlag der Kommis- sion schreibt die bestehenden Vor- schriften weitgehend fort. Prof. Ferdinand Haschke, Vizeprä- sident von Nestlé Nutrition, lehnt die Streichung großer Teile des Diätrechts trotzdem ab. Es gebe keinen Grund, an dem 35 Jahre lang bewährten Recht zu rütteln, sagte der Präsident des Interna- tionalen Diätverbandes IDACE auf der Jahrestagung des Verbands vorige Wo- che in Lissabon. Das allgemeine Le- bensmittelrecht reiche nicht aus, Si- cherheit und Gesundheitsschutz für ei- nen gefährdeten Teil der Bevölkerung zu gewährleisten. Prof. Alfred Meyer ist ganz anderer Meinung. Der Münchner Lebensmittelrechtler begrüßt den Vor- schlag der Kommission als „notwendi- ge Bereinigung“. Regelungen für Nah- rungsergänzungsmittel, Anreicherun- gen und nährwert- und gesundheitsbe- zogene Aussagen genügen nach seiner Ansicht, um den Herstellern nach einer angemessenen Übergangszeit Rechts- sicherheit zu bieten. Seriöse Anbieter von Gewicht redu- zierenden Diätprodukten müssen nach Meyers Ansicht die Prüfung ihrer Wir- kungsversprechen durch die Europäi- sche Lebensmittelbehörde Efsa nicht fürchten. Die „Winkelzüge“, die andere „unter dem Deckmantel des Diät- rechts“ machten, würden dagegen er- schwert. Das alte Recht biete „eine lyri- sche Basis“ für viele zweifelhafte Pro- dukte, die vor allem in Apotheken und im Internet verkauft würden. Die wissenschaftliche Überprüfung der Frage, ob eine Ernährungstherapie wirkt oder nicht, würde künftig die Efsa vornehmen. Ganz neu wäre das nicht: Schon in jüngster Vergangenheit wurden einige Diätetika in Parma nach den Kriterien der Health-ClaimsV be- wertet: Produkte mit dem Enzym Lak- tase gegen Laktoseintoleranz, andere mit Pektin für Diabetiker und zuletzt auch typische Schlankmacher. Wer auf diesem Feld auch ohne Diätrecht aktiv sein möchte, dem rät Meyer, so bald wie möglich einen gut durchdachten Antrag nach der Health-ClaimsV zu stellen. Die Voraussetzungen müsse die Kommission zügig schaffen. Christoph Murmann/lz 26-11 Diätrecht wird zusammengestrichen Diätetika sollen Sonderstellung verlieren – Schlankmacher und Sportlernahrung als normale Lebensmittel – Viele Probleme Brüssel. Die Europäische Kommissi- on will das Recht für Diätprodukte zusammenstreichen. Künftig soll es nur noch eine Verordnung mit Rege- lungen für Säuglings- und Kleinkin- dernahrung sowie Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke ge- ben. Für andere Diätetika gelten dann die strengen Anforderungen der so genannten Health-Claims Verordnung. Diätregal: Viele Kunden suchen hier Gesundheit durch Essen. Die Diätverordnung definiert diätetische Lebensmittel als Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Die Zielgruppe sind: Personen, deren Verdauungs- oder Re- sorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist, Personen, die sich in besonderen physio- logischen Umständen befinden und deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe zie- hen können und gesunde Säuglinge und Kleinkinder. Diätlebensmittel müssen sich durch ihre Zusammensetzung oder Herstellungs- verfahren deutlich von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden. FÜR EINE BESONDERE ERNÄHRUNG THOMAS FEDRA 01. Juli 2011/lz 26-11

Diätrecht wird zusammengestrichen

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Diätetika sollen Sonderstellung verlieren – Schlankmacher und Sportlernahrung als normale Lebensmittel – Viele Probleme

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Page 1: Diätrecht wird zusammengestrichen

Presse

Im vorigen Jahr wurden die Diabetiker-lebensmittel aus der deutschen Diät-verordnung (DiätV) gestrichen, nunsoll nach dem Willen der Kommissionandere Verordnungen und Richtlinienfür Diätetika der Deregulierung zumOpfer fallen. Schlankmacher und lak-tose- oder glutenarme Produkte wer-den danach zu normalen Lebensmit-teln und müssten sich an den Bestim-mungen für Nahrungsergänzungsmit-tel, für angereicherte Lebensmittel undfür gesundheitsbezogene Angaben(Health-ClaimsV) messen lassen.

Deregulierung sei zwar grundsätz-lich zu begrüßen, doch es sei fraglich,ob die weitgehende Abschaffung derDiätvorschriften Freiräume für dieWirtschaft schaffe, meint die Gum-mersbacher Lebensmittelrechtlerin Dr.Sandra Heck. Die Erfahrungen mit derHealth-ClaimsV lassen sie eher das Ge-genteil befürchten.

Ob die vorgesehene Übergangsfristvon zwei Jahren ausreiche sei ebensounklar wie die künftige rechtliche Po-sition so umsatzstarker Sortimente wie

laktosefreie Produkte oder Sportler-nahrung. Die gute Nachricht: Für dieHersteller von Baby- und Kleinkind-nahrung sowie Beikost ändert sich vo-raussichtlich wenig. Auch die Anbietervon Lebensmitteln für bestimmte me-dizinische Zwecke haben wenig zu be-fürchten: Der Vorschlag der Kommis-sion schreibt die bestehenden Vor-schriften weitgehend fort.

Prof. Ferdinand Haschke, Vizeprä-

sident von Nestlé Nutrition, lehnt dieStreichung großer Teile des Diätrechtstrotzdem ab. Es gebe keinen Grund, andem 35 Jahre lang bewährten Recht zurütteln, sagte der Präsident des Interna-tionalen Diätverbandes IDACE auf derJahrestagung des Verbands vorige Wo-che in Lissabon. Das allgemeine Le-bensmittelrecht reiche nicht aus, Si-cherheit und Gesundheitsschutz für ei-nen gefährdeten Teil der Bevölkerung

zu gewährleisten. Prof. Alfred Meyer istganz anderer Meinung. Der MünchnerLebensmittelrechtler begrüßt den Vor-schlag der Kommission als „notwendi-ge Bereinigung“. Regelungen für Nah-rungsergänzungsmittel, Anreicherun-gen und nährwert- und gesundheitsbe-zogene Aussagen genügen nach seinerAnsicht, um den Herstellern nach einerangemessenen Übergangszeit Rechts-sicherheit zu bieten.

Seriöse Anbieter von Gewicht redu-zierenden Diätprodukten müssen nachMeyers Ansicht die Prüfung ihrer Wir-kungsversprechen durch die Europäi-sche Lebensmittelbehörde Efsa nichtfürchten. Die „Winkelzüge“, die andere„unter dem Deckmantel des Diät-rechts“ machten, würden dagegen er-schwert. Das alte Recht biete „eine lyri-sche Basis“ für viele zweifelhafte Pro-dukte, die vor allem in Apotheken undim Internet verkauft würden.

Die wissenschaftliche Überprüfungder Frage, ob eine Ernährungstherapiewirkt oder nicht, würde künftig dieEfsa vornehmen. Ganz neu wäre dasnicht: Schon in jüngster Vergangenheitwurden einige Diätetika in Parma nachden Kriterien der Health-ClaimsV be-wertet: Produkte mit dem Enzym Lak-tase gegen Laktoseintoleranz, anderemit Pektin für Diabetiker und zuletztauch typische Schlankmacher. Wer aufdiesem Feld auch ohne Diätrecht aktivsein möchte, dem rät Meyer, so baldwie möglich einen gut durchdachtenAntrag nach der Health-ClaimsV zustellen. Die Voraussetzungen müsse dieKommission zügig schaffen.

Christoph Murmann/lz 26-11

Diätrecht wird zusammengestrichenDiätetika sollen Sonderstellung verlieren – Schlankmacher und Sportlernahrung als normale Lebensmittel – Viele Probleme

Brüssel. Die Europäische Kommissi-on will das Recht für Diätproduktezusammenstreichen. Künftig soll esnur noch eine Verordnung mit Rege-lungen für Säuglings- und Kleinkin-dernahrung sowie Lebensmittel fürbesondere medizinische Zwecke ge-ben. Für andere Diätetika geltendann die strengen Anforderungender so genannten Health-ClaimsVerordnung.

Diätregal: Viele Kunden suchen hier Gesundheit durch Essen.

Die Diätverordnung definiert diätetische

Lebensmittel als Lebensmittel, die für

eine besondere Ernährung bestimmt

sind. Die Zielgruppe sind:

� Personen, deren Verdauungs- oder Re-

sorptionsprozess oder Stoffwechsel

gestört ist,

� Personen, die sich in besonderen physio-

logischen Umständen befinden und

deshalb einen besonderen Nutzen aus

der kontrollierten Aufnahme bestimmter

in der Nahrung enthaltener Stoffe zie-

hen können und

� gesunde Säuglinge und Kleinkinder.

Diätlebensmittel müssen sich durch ihre

Zusammensetzung oder Herstellungs-

verfahren deutlich von Lebensmitteln

des allgemeinen Verzehrs unterscheiden.

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