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Diagnose und Frühdiagnose der ankylosierenden Spondylitis (Morbus Bechterew)

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Page 1: Diagnose und Frühdiagnose der ankylosierenden Spondylitis (Morbus Bechterew)

M. RudwaleitJ. Sieper

Diagnose und Frühdiagnoseder ankylosierenden Spondylitis(Morbus Bechterew)

Z Rheumatol 63:193–202 (2004)DOI 10.1007/s00393-004-0629-9

ZfR

h629

BEITRAG ZUM SCHWERPUNKT THEMA

Eingegangen: 13. April 2004Akzeptiert: 3. Mai 2004

PD Dr. med. M. Rudwaleit ())Prof. Dr. med. J. SieperMedizinische Klinik IGastroenterologie/Infektiologie/RheumatologieCharité – Campus Benjamin FranklinHindenburgdamm 3012200 Berlin, GermanyE-Mail: [email protected]

Diagnosis and early diagnosisof ankylosing spondylitis

n Zusammenfassung Die ankylo-sierende Spondylitis (AS) wird inder Regel erst 5–10 Jahre nachAuftreten der klinischen Symp-tome diagnostiziert. Der wesentli-che Grund hierfür ist die zur Dia-gnosestellung geforderte radiolo-gische Sakroiliitis, die selten zuBeginn der Symptomatik vorhan-den ist, sondern erst im Verlaufvon Jahren erkennbar wird. Es istwichtig sich klarzumachen, dasssowohl das frühe Stadium ohneradiologische Sakroiliitis als auchdas etablierte Stadium mit radio-logischer Sakroiliitis ein Krank-heitskontinuum bilden. DiesesKontinuum kann durch den Be-griff axiale Spondyloarthritis(SpA) angemessen zum Ausdruckgebracht werden. Die Diagnose-stellung der axialen SpA vor Auf-

treten der radiologischen Sakroi-liitis ist jedoch schwierig undhäufig mit Unsicherheiten behaf-tet, zumal es hierfür auch keinediagnostischen Kriterien gibt. Un-ter Einbezug aller für die axialeSpA relevanten klinischen, labor-chemischen und bildgebendenParameter haben wir unter An-wendung des Bayeschem Theo-rems einen diagnostischen Algo-rithmus entwickelt, der es erlaubt,beim individuellen Patienten auchohne radiologische Sakroiliitismit einem hohen Grad an Sicher-heit die Diagnose frühe AS(axiale SpA) zu stellen oder aberauch diese auszuschließen. Diedamit verbundene diagnostischeSicherheit zum frühestmöglichenZeitpunkt ist für den Patientenund für den behandelnden Arztgleichermaßen von Bedeutung,denn die frühe Diagnose erlaubtrichtige Therapien einzuleitenund konsequent zu verfolgen.

n Summary Ankylosing spondy-litis (AS) is often diagnosed notbefore 5–10 years after onset ofclinical symptoms. The main rea-son for this delay is the late ap-pearance of unequivocal radio-graphic sacroiliitis which is a pre-requisite for making the diagnosis.It is important to realize that boththe early stage without radio-graphic sacroiliitis and the latestage with radiographic sacroiliitis

are part of the same disease and,therefore, should be considered asa disease continuum. The termaxial spondyloarthritis (SpA) ap-pears appropriate to describe thisdisease continuum. Diagnosingaxial SpA without radiographicsacroiliitis, however, is difficultand associated with diagnosticuncertainties since there are nodiagnostic criteria available. Con-sidering all SpA features which arerelevant for the diagnosis of axialSpA (with and without radio-graphic sacroiliitis), we have re-cently proposed a diagnostic al-gorithm based on calculationsusing Bayes’ theorem to be appliedin individual patients. This diag-nostic algorithm enables the phy-sician to diagnose or to excludeaxial SpA with a high degree ofconfidence. An early and reliablediagnosis is relevant to both thepatient and the physician since anearly diagnosis allows the besttherapy to be introduced andconsequently maintained.

n Schlüsselwörter Diagnose –ankylosierende Spondylitis –Morbus Bechterew –Spondylarthropathie –Rückenschmerz

n Key words Diagnosis –ankylosing spondylitis –spondyloarthropathy – back pain –inflammatory back pain

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Einleitung

Die ankylosierende Spondylitis (AS), auch MorbusBechterew genannt, ist eine entzündliche System-erkrankung mit chronischem Verlauf und wechsel-hafter Krankheitsaktivität. Innerhalb der Gruppe derSpondyloarthritiden (SpA) gilt die AS als Prototyp.Das Erscheinungsbild ist durchaus variabel, sowohlwas die klinische Symptomatik als auch das Ausmaßder radiologischen Veränderungen betrifft. DasSpektrum reicht von einer leichten Verlaufsform mitisolierter Sakroiliitis bis hin zur kompletten Ankylo-se der gesamten Wirbelsäule mit Befall der periphe-ren Gelenke und einer Beteiligung innerer Organe.

Die Prävalenz der AS liegt in Europa zwischen0,2% und 1,4% und korreliert stark mit der Häufig-keit von HLA-B27 in der Allgemeinbevölkerung [5,14]. Männer sind etwa 2,5fach häufiger von derKrankheit betroffen als Frauen. Bevorzugt befallenwird das Achsenskelett unter Einschluss der Becken-und Brustkorbverbindungen. Die Krankheit beginnttypischerweise in den Sakroiliakalgelenken, befällterst im Verlauf die Wirbelsäule und ist mit einerVerknöcherungstendenz des Achsenskeletts verbun-den, die sich klinisch in einer zunehmenden Verstei-fung zeigt. Das Spät- oder Endstadium der Erkran-kung ist durch eine Ankylose der Sakroiliakalgelenkeund der Wirbelsäule charakterisiert.

Stellenwert des Symptoms „entzündlicherRückenschmerz“ für die Diagnosestellung

Das Leitsymptom der AS ist der „entzündlicheRückenschmerz“. Im Gegensatz zu Rückenschmerzenauf der Grundlage degenerativer Wirbelsäulenverän-derungen verstärkt sich der entzündliche Rücken-schmerz bei Ruhigstellung des Achsenskelettes, d. h.vor allem während des Schlafes in der Nacht oderauch während längerer Ruhephasen tagsüber undbessert sich durch körperliche Bewegung. Patientenmit Rückenschmerzen nicht-entzündlicher Genese(z. B. Bandscheibenschaden, Osteoporose u. a.) erfah-ren häufiger eine Schmerzzunahme durch Bewegungund eine Besserung in Ruhe. Die Ursache desentzündlichen Rückenschmerzes ist in der Regel eineSakroiliitis. Der Schmerz kann aber auch durch eineEnthesitis, Spondylitis oder Spondylodiszitis bedingtsein.

Der entzündliche Rückenschmerz wurde bereits1949 von F. Dudley Hart und Mitarbeitern klinischpräzise beschrieben [15]. Ein Set von Charakteristikazur Definition des entzündlichen Rückenschmerzeswurde erstmals 1977 von Calin und Mitarbeiternpubliziert [7]. Für die klinische Diagnose „entzünd-

licher Rückenschmerz“ müssen demnach 4 der fol-genden 5 Kriterien erfüllt sein: 1.) Alter bei Beginn< 40 Jahre, 2.) Dauer des Rückenschmerzes > 3 Mo-nate, 3.) langsamer Beginn, 4.) Besserung durch Be-wegung, 5.) Morgensteifigkeit. In den Calin-Kriterienfehlen jedoch weitere relevante Charakteristika desentzündlichen Rückenschmerzes, wie z. B. der nächt-liche Rückenschmerz, auf den Gran in seiner Unter-suchung hinwies [13] oder auch die fehlende Bes-serung oder gar Verschlimmerung nach Ruhigstel-lung. In den wenigen Folgestudien lag die Sensitivi-tät der Calin-Kriterien nur zwischen 23–38% bei ei-ner Spezifität von ca. 75% [13, 28, 29].

In einer eigenen Untersuchung zum entzünd-lichen Rückenschmerz an 213 Patienten ließ sich derentzündliche vom nicht-entzündlichen Rücken-schmerz am besten durch die Symptome (1.) Mor-gensteifigkeit, (2.) Besserung durch Bewegung undnicht durch Ruhe, (3.) Schmerz in der zweitenNachthälfte und (4.) wechselnder Gesäßschmerz (beiVorliegen von zwei dieser vier Kriterien) unterschei-den. Dieses Set leicht modifizierter Kriterien für denentzündlichen Rückenschmerz erreichte eine Sensiti-vität von 70% und eine Spezifität von 81% [21]. Zu-sammenfassend bleibt festzuhalten, dass Besserungdurch Bewegung und nicht durch Ruhe und die Mor-gensteifigkeit von > 30 Minuten die wichtigsten Ele-mente des entzündlichen Rückenschmerzes darstel-len. Für die tägliche Praxis bedeuten die Zahlen zurSensitivität des Symptoms entzündlicher Rücken-schmerz, dass nur etwa 70–80% der Patienten mitAS den typischen entzündlichen Rückenschmerz an-geben! Die Spezifität von 75–80% wiederum bedeu-tet, dass etwa 20–25% der Patienten mit Rücken-schmerzen anderer Genese ebenfalls typischenentzündlichen Rückenschmerz aufweisen [7, 21, 29].

Weitere klinische Manifestationen der AS

Neben dem Rückenschmerz als Leitsymptom könnenweitere typische klinische Manifestationen wie dieEnthesitis, Uveitis oder periphere Arthritis auftreten.Sehr charakteristisch für die Enthesitis bei allen For-men der SpA ist die Lokalisation an der Ferse entwe-der in Form einer Enthesitis der Achillessehne oderder Plantarfaszie (Plantarfasziitis). Die akute anterio-re Uveitis (Iritis, Regenbogenhautentzündung) kanneinmalig oder rezidivierend zu jedem Zeitpunkt derErkrankung auftreten. Die periphere Arthritis ist ty-pischerweise asymmetrisch, oligoartikulär und be-trifft die untere Extremität, in seltenen Fällen kannes auch zu einer symmetrischen Polyarthritis kom-men. Bei knapp einem Drittel aller Patienten mani-festiert sich die periphere Arthritis (Mon- oder

194 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 63, Heft 3 (2004)© Steinkopff Verlag 2004

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asymmetrische Oligoarthritis, selten auch Polyarthri-tis) als Erstsymptom vor den wegweisenden Rücken-schmerzen. Die wichtige Rolle des entzündlichenRückenschmerzes und der anderen klinischen Mani-festationen in einem diagnostischen Algorithmus fürdie frühe Diagnosestellung der AS wird weiter untendargestellt.

Diagnostik mit bildgebenden Verfahren

n Konventionelles Röntgen

Zur Objektivierung einer klinisch vermuteten Sakro-iliitis gilt die Röntgenaufnahme des Beckens alsStandardverfahren. Die Beurteilung der Sakroiliitisstützt sich auf eine Gradeinteilung, die 1966 voneinem internationalen Expertengremium festgelegtwurde [1] und die auch in den derzeit angewandtenmodifizierten New York Kriterien zur Klassifizierungund Diagnostik der ankylosierenden Spondylitis Ein-gang gefunden hat [28]. Demnach sind Grad 0 (Nor-malbefund) und Grad 1 (verdächtige Veränderun-gen) diagnostisch nicht ausreichend, erst Grad 2(eindeutige minimale Veränderungen, z. B. Erosionenoder Sklerosierungen ohne Veränderung der Gelenk-spaltweite) beidseits oder Grad 3 (ausgedehnte Ero-sionen, Sklerosierungen, partielle Ankylose) oderGrad 4 (komplette Ankylose der Sakroiliakalgelenke)werden als ausreichende radiologische Kriterien an-gesehen (Tab. 1 und 2).

Die radiologische Beurteilung der Sakroiliitis er-fordert eine gewisse Übung, wobei die Extreme,nämlich einerseits der Normalbefund (Grad 0) undandererseits die ausgeprägte Sakroiliitis (Grad 3)und die partielle oder komplette (Grad 4) Ankylose

in der Regel gut erkennbar sind. Schwierig ist hin-gegen die Unterscheidung zwischen Grad 1 (allen-falls verdächtige Veränderungen) und Grad 2 (mini-male, jedoch definitive Veränderungen). Problema-tisch ist, dass gerade diese Unterscheidung für dieEinstufung des Vorhandenseins oder Nichtvorhan-denseins einer radiologischen Sakroiliitis gemäß dermodifizierten New-York-Kriterien relevant ist (Abb.1 und 2).

Gründe für die gelegentlich schwierige Beurtei-lung sind unter anderem die Anatomie des Sakroilia-kalgelenkes und die im Röntgen zwangsläufig auftre-tenden Überlagerungseffekte. In einer aktuellen Un-tersuchung wurden 15–25% der Röntgenbilder vonPatienten mit und ohne Sakroiliitis falsch beurteilt –

195M. Rudwaleit und J. SieperFrühe Diagnose der ankylosierenden Spondylitis

Tab. 1 Gradeinteilung der radiologischen Sakroiliitis *

Röntgen-Gradeder Sakroiliitis

Veränderungen am Sarkoiliakalgelenk

Grad 0 NormalGrad 1 Verdächtige VeränderungenGrad 2 minimale definitive Veränderungen

(umschriebene Areale mit Erosionen oderSklerosierungen ohne Veränderungender Gelenkspaltweite)

Grad 3 ausgeprägte Erosionen, Sklerosierungen,Gelenkspalterweiterung/Gelenkspaltverengung,partielle Ankylosierung

Grad 4 Komplette Ankylose

* Die radiologische Einteilung der Sakroiliitis gemäß einer internationalenConsensus-Konferenz [1] fand Eingang in die modifizierten New-York-Kriterienvon 1984 [28]

Abb. 1 Röntgen der Sakroiliakalgelenke. Rechtsseitig Sakroiliitis Grad 1,linksseitig Sakroiliitis Grad 2 (umschriebener Sklerosesaum im mittleren Ab-schnitt des Sakroiliakalgelenkes). Dieses Beispiel illustriert die Schwierigkeitund Unsicherheit in der Berurteilung einer Grad 2 Sakroiliitis (siehe auchText)

Abb. 2 Röntgen der Sakroiliakalgelenke. Sakroiliitis Grad 3 beidseits

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sowohl falsch positiv als auch falsch negativ. Leiderließ sich dieses Problem der Unterscheidung Grad0–1 oder Grad 2 auch durch ein intensives Trainingder Begutachter (Radiologen und Rheumatologen)nicht überwinden [30].

Eine Röntgenzielaufnahme nach Barsony (gewin-kelte ap-Aufnahme) kann in einigen Fällen Klärungschaffen. Leider existieren nur wenige Studien, dieeine mögliche Überlegenheit der Barsony-Technikoder einer Serie von 4 Röntgenaufnahmen (pa-Auf-nahme, gewinkelte Aufnahme nach Barsony undschräge Aufnahmen jedes einzelnen Sakroiliakalge-lenkes) gegenüber einer konventionellen pa-Projekti-on untersucht haben [24]. Die früher häufig ange-wandte Tomographie der Sakroiliakalenke muss heuteaufgrund der erheblichen Strahlenbelastung (50- bis60fach höher als eine pa-Röntgen-Beckenübersicht)und der Verfügbarkeit anderer Verfahren als obsoletangesehen werden. Die Szintigraphie der Sakroilia-kalgelenke ergab in zahlreichen Studien eine ins-gesamt nur moderate Sensitivität und Spezifität,weshalb diese Untersuchung angesichts der mäßigenAussagekraft und der ebenfalls vorhandenen Strah-lenbelastung aus unserer Sicht zur Diagnostik derSakroiliitis bei vermuteter AS im Vergleich zu ande-ren Techniken (z. B. MRT) keinen wesentlichen diag-nostischen Zugewinn bedeutet [12, 19].

n Computertomographie

Die konventionelle Computertomographie (CT) hatden Vorteil, dass sich im Vergleich zur konventionel-len Röntgenaufnahme Überlagerungseffekte eliminie-ren und daher Erosionen und Sklerosierungen besserdarstellen lassen [16]. Der Nachteil der konventionel-len CT ist die Strahlenbelastung. Eine CT-Variantezur Reduktion der Strahlenbelastung ist das sog.Low-dose-CT [11]. Die geringere Strahlenbelastungwird vor allem durch weniger Aufnahmen (nur 4!)und etwas dickere (5–8 mm) Schichten erreicht. Bis-her hat sich die Low-dose-CT-Technik jedoch nichtin der Routine etablieren können.

n Magnetresonanztomographie

Die Magnetresonanztomographie (MRT) der Sakro-iliakalgelenke hat sich seit etwa 1994 in der Diagnos-tik der Sakroiliitis fest etabliert [2–4]. WährendRöntgen und CT in erster Linie knöcherne Verän-derungen (Erosionen, Syndesmophyten) abbilden, istdie MRT als einzige Methode in der Lage, akut-entzündliche Veränderungen aufzuzeigen und dieseauch anatomisch zuzuordnen. Dies gelingt durchAnwendung spezieller Fett-supprimierender Techni-

ken (TIRM/STIR, stark fettunterdrückte T2-Wich-tungen) oder durch die Gabe des KontrastmittelsGadolinium. Unter Anwendung dieser Techniken las-sen sich akute Entzündungszustände entweder alsKontrastmittelenhancement (erhöhte Durchblutung)oder als Knochenödem (als Ausdruck einer zugrun-de liegenden Entzündung mit vermehrtem Wasser-gehalt) darstellen (Abb. 3).

Aus verschiedenen Studien wurden zur Detektioneiner floriden Sakroiliitis hohe Sensitivitäten undSpezifitäten der MRT von jeweils 80–100% berichtet[2–4]. Eindrucksvoll ist ferner, dass die Rückbildungder akuten Entzündungszustände unter einer effekti-ven Therapie mit TNF-alpha-Blockern mittels MRTvisualisiert werden kann [6]. Ein weiterer großerVorteil ist die fehlende Strahlenbelastung, weshalbdie Untersuchung auch beliebig oft wiederholt wer-den kann. Ähnlich wie das Röntgen ist die Interpre-tation der MRT jedoch nicht immer einfach, dies giltbesonders bei Patienten mit nur minimalenEntzündungskorrelaten in der MRT oder auch fürdie Abgrenzung degenerativer Veränderungen unddie Erkennung von Artefakten. Weitere Studien zurBeurteilung der Wertigkeit der MRT sind daher sinn-voll und erforderlich. Im Bereich der Wirbelsäulekann die MRT in allen Wirbelsäulenabschnitten aku-te Veränderungen (Knochenödem, Spondylodiszitis)sehr gut abbilden. Nachteile der MRT-Technologiesind einerseits die immer noch begrenzte Verfügbar-keit, andererseits die relativ hohen Kosten. Ungeach-tet dieser Limitationen stellt die MRT die wichtigste

196 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 63, Heft 3 (2004)© Steinkopff Verlag 2004

Abb. 3 MRT der Sakroiliakalgelenke. Akute Sakroiliitis rechtsseitig. Im Be-reich des rechten Sakroiliakalgelenkes eindeutiges Knochenödem gelenknahsakral und iliakal, vor allem in den kaudalen Abschnitten, geringer aus-geprägt auch im kranialen Anteil. Linkes Sakroiliakalgelenk mit allenfalls frag-lichem Knochenödem im mittleren Abschnitt

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Neuerung und eine signifikante Verbesserung in derBildgebung der AS dar.

Diagnosekriterien

Formal gesehen gibt es keine diagnostischen Krite-rien für die AS. Allgemein eingesetzt als Diagnose-kriterien werden jedoch die modifizierten New-York-Kriterien [28] von 1984 (Tab. 2), obwohl es sich da-bei streng genommen um Klassifikationskriterienhandelt, wie auch bei den ESSG- und Amor-Krite-rien für die Gesamtgruppe der Spondyloarthritiden.Für das Erfüllen der modifizierten New-York-Krite-rien müssen mindestens ein klinisches Kriterium so-wie das radiologische Kriterium einer Sakroiliitis(mindestens Sakroiliitis Grad 2 beidseits oder Grad3 einseitig) vorliegen (Tab. 1 und 2).

Für Patienten mit etablierter und in der Regellangdauernder Erkrankung scheint die Anwendungder modifizierten New-York-Kriterien ausreichendzu sein, problematisch hingegen ist deren Anwen-dung für die frühe Diagnosestellung, da die gefor-derten radiologischen Veränderungen der Sakroiliitismeist erst einige Jahren nach Auftreten der klini-schen Symptome erkennbar sind [10, 17]. Erschwe-rend kommt ferner hinzu, dass die Beurteilung derröntgenologischen Sakroiliitis Grad 2 mit Unsicher-heiten behaftet ist (siehe oben) [30].

Problematik der Diagnosestellungim frühen Krankheitsstadium

Trotz der frühen Manifestationen – der Rücken-schmerz beginnt in der Regel im 3. Lebensjahrzehnt– und des meist chronischen Verlaufs wird die Diag-nose einer AS leider immer noch sehr spät – imDurchschnitt erst nach 5 bis 10 Jahren gestellt. UnterMitgliedern der Deutschen Vereinigung Morbus Bech-terew betrug der mittlere Zeitraum vom Auftreten

der ersten Symptome bis zur Diagnosestellung beiMännern 8,4 Jahre und bei Frauen 9,8 Jahre [10]. Ei-ne ähnlich lange Latenz von etwa 9–10 Jahren fandsich in einer Kohorte von AS-Patienten aus Holland,Belgien und Frankreich [26].

Die häufig viele Jahre andauernde Latenz vomAuftreten der ersten klinischen Symptome bis zumradiologischen Nachweis einer Sakroiliitis und dieUnsicherheit bei der Beurteilung der SakroiliitisGrad 2 müssen dabei als Hauptprobleme angesehenwerden. Das „Nicht an die AS Denken“ mag bei derDiagnoseverzögerung ebenfalls eine Rolle spielen,die wir jedoch als untergeordnet ansehen. Fakt ist,dass bei vielen Patienten – trotz typischer Sympto-matik – innerhalb der ersten Krankheitsjahre häufigeine diagnostische Unsicherheit besteht, da ohne ei-ne radiologisch nachweisbare Sakroiliitis eine Diag-nosestellung nach den modifizierten New-York-Kri-terien nicht möglich ist. Sowohl in den alten Rom-Kriterien von 1963 als auch in den Frühdiagnosekri-terien nach Mau und Mitarbeitern [18] wurde dasProblem der radiologische Sakroiliitis berücksich-tigt. Beide Kriterienkataloge ermöglichen die Diag-nose der AS auch ohne den radiologischen Nachweiseiner Sakroiliitis, haben dafür aber andere Nachteile(Rom-Kriterien) bzw. konnten sich nicht durchsetzen(Mau-Kriterien), weshalb sie heute kaum verwendetwerden.

Die frühe ankylosierende Spondylitis

In vielen Fällen kann die undifferenzierte Spondylo-arthritis (uSpA) mit axialer Beteiligung als eineFrühform der AS betrachtet werden, da ein größererAnteil der Patienten später eine AS entwickelt. Derheute verwendete Name „undifferenzierte Spondylo-arthritis“ wurde erstmals in den ESSG-Klassifikati-onskriterien von 1991 erwähnt und beschreibt dasVorliegen einer Spondylarthropathie, die sich nichteiner der definierten Spondylarthropathie-Subtypen(ankylosierende Spondylitis, reaktive Arthritis, Ar-thritis assoziiert mit chronisch-entzündlichen Darm-erkrankungen, Arthritis assoziiert mit Psoriasis) zu-ordnen lässt [9]. Von besonderem Interesse im Zu-sammenhang mit der Frühdiagnose der AS ist dieaxiale Form der uSpA.

In der wichtigen Studie von Mau et al. [17] wur-den 88 Patienten mit tiefsitzendem (entzündlichem)Rückenschmerz und mindestens einem weiterenSymptom (periphere Arthritis, Fersenschmerz, ante-riore Uveitis oder erhöhte BSG) bei fehlendemröntgenologischem Nachweis einer Sakroiliitis über10 Jahre prospektiv verfolgt. HLA-B27 fand sich bei69% der Patienten. Nach 5 Jahren hatten bereits 36%

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Tab. 2 Die modifizierten New-York-Kriterien von 1984

1. Klinische Kriterien– tiefsitzender Rückenschmerz und Steifigkeit für mehr als 3 Monate

mit Besserung durch Bewegung, aber nicht durch Ruhe– Bewegungseinschränkung der LWS in sagittaler und frontaler

Ebene– Einschränkung der Thoraxexkursion

(alters- und geschlechtsabhängig)

2. Radiologisches Kriterium– Sakroiliitis mindestens Grad 2 beidseits oder Grad 3–4 einseits

Definitive AS liegt vor wenn das radiologische Kriterium und mindestens einklinisches Kriterium erfüllt sind [28]

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das röntgenologische Bild einer ankylosierendenSpondylitis entwickelt, nach 10 Jahren knapp 59%der noch erreichbaren Patienten (n = 54). Eine chro-nische uSpA hatten immerhin noch 20% der Patien-ten und nur 20% hatten nach 10-jährigem Verlauf ei-ne andere Diagnose. Interessant ist die Verteilungdes HLA-B27 bei den Patienten nach 10-jähriger Be-obachtung. Von den Patienten, bei denen im Verlaufeine AS diagnostiziert werden konnte, waren 91%HLA-B27 positiv, von den Patienten mit chronischeruSpA waren 80% positiv, wohingegen von den Pa-tienten mit anderen Diagnosen nach 10 Jahren nur33% HLA-B27 positiv waren [17]. Anhand dieserStudien wird deutlich, dass ein Großteil der Patien-ten mit einer uSpA und entzündlichem Rücken-schmerz (axiale uSpA) im Laufe der Zeit das Vollbildeiner AS entwickelt und HLA-B27 diesbezüglich einwichtiger prognostischer Parameter ist.

Im Hinblick auf eine frühe Diagnose der AS ist eskonzeptionell relevant, davon auszugehen, dass dieinitial zum entzündlichen Rückenschmerz führendeEntzündung (Sakroiliitis) erst nach einiger Zeit(häufig erst nach Jahren) radiologisch erkennbarwird – und in diesem Stadium allenfalls in der MRTvisualisert werden kann. Da zu dieser frühen Zeitweder knöcherne Ankylosen noch Spondylitiden imRöntgenbild erkennbar sind, führt der Begriff „anky-losierende“ Spondylitis bei den Frühformen zur Ver-wirrung. Aus diesem Grunde erscheint uns die Be-zeichnung „axiale Spondyloarthritis“ angemessener,da hierunter sowohl Patienten im frühen Krankheits-stadium (ohne röntgenologische Sakroiliitis) als auchPatienten mit definitiver radiologischer Sakroiliitisoder auch mit Syndesmophyten der Wirbelsäule sub-summiert werden können.

Diesem Konzept zufolge stellen die röntgenologi-schen Veränderungen (Sakroiliitis oder Syndesmo-phyten der Wirbelsäule/Bambusstab) eher einenMarker für die Dauer und/oder den Schweregrad derErkrankung dar, analog zu den röntgenologischenVeränderungen (Erosionen) bei der rheumatoidenArthritis. Unterstützt wird dieses Konzept nicht nurdurch die Studie von Mau et al. [17], sondern auchdurch Untersuchungen zur familiären SpA, die eineenge Korrelation zwischen Kranheitsdauer und Häu-figkeit der radiologischen Sakroiliitis zeigen. DasKonzept der „axialen Spondyloarthritis“ als einKrankheitskontinuum, das sowohl frühe als auchspäte Fälle einschließt, findet weitere Unterstützungdurch Daten zur Krankheitslast der frühen und etab-lierten Formen. Wie eine erste Analyse der Inzepti-onskohorte für Spondylarthopathien (KompetenznetzRheuma) ergab, sind Patienten mit einer frühenaxialen Spondylarthritis (ohne röntgenologische Sa-kroiliitis) bezüglich Krankheitslast (Krankheitsakti-vität, Schmerzen, Lebensqualität, Einschränkungen

etc.) und Therapiebedarf genauso stark betroffen wiePatienten mit einer definitiven röntgenologischen Sa-kroiliitis [22].

Möglichkeiten der frühen Diagnose

Im letzten Jahrzehnt wurden die 1991 publiziertenESSG-Klassifikationskriterien [9] international all-gemein akzeptiert und in den letzten Jahren auchhäufig als diagnostisches Instrument auch für dieaxiale uSpA eingesetzt (obgleich hierfür nicht ge-schaffen). Eine spanische Studie zum diagnostischenEinsatz der ESSG-Kriterien bei Patienten mit einermöglichen SpA und kurzer Krankheitsdauer ergabjedoch einen positiven prädiktiven Wert von nur46,6%. Mit anderen Worten, etwa jeder zweite Pa-tient mit einer möglichen SpA, der die ESSG-Krite-rien erfüllte, hatte nach 5 Jahren Nachbobachtungaus Sicht des Rheumatologen keine SpA mehr [8].Dies muss als Hinweis auf eine unzureichende Spezi-fität der ESSG-Kriterien interpretiert werden, diesich somit als nicht optimal für die Diagnosestellungbei frühen Fällen erweisen.

Wir haben kürzlich eine neue Herangehensweisezur frühen Diagnose mit hoher diagnostischer Si-cherheit bei Patienten mit entzündlichem Rücken-schmerz, die keine eindeutigen röntgenologischenBefunde aufweisen, vorgeschlagen [23]. Basierendauf dem Bayeschem Theorem ergibt sich abhängigvon der Sensitivität und Spezifität eines jeweiligenTest-Parameters die Wahrscheinlichkeit (Posttest-Wahrscheinlichkeit) für das Vorliegen der vermute-ten Erkrankung [20, 25]. Erforderlich hierzu ist dieKenntnis der Prävalenz (Prätest-Wahrscheinlichkeit)der Erkrankung, d. h. wie häufig eine axiale Spondy-loarthritis bei Patienten mit chronischem Rücken-schmerz vorkommt. Des Weiteren werden Sensitivi-tät und Spezifität der einzelnen „Testparameter“ be-nötigt.

Für die axiale SpA relevante Testparameter sindder entzündliche Rückenschmerz, die periphereasymmetrische Arthritis, Enthesitis der Ferse, Dak-tylitis, akute anteriore Uveitis, Psoriasis, MorbusCrohn/Colitis ulcerosa, positive Familienanamnesefür SpA, erhöhte Entzündungsparameter (BSG/CRP),HLA-B27, das gute Ansprechen des Rückenschmer-zes auf NSAR und die Magnetresonanztomographie(MRT). Klinische Untersuchungsbefunde wie z. B.pathologischer anteriorer und lateraler Schober oderdie eingeschränkte Thoraxexkursion sind zur Klassi-fikation der etablierten und lange bestehenden AS si-cherlich von Wert, können zur Diagnostik derfrühen Krankheitsstadien aber nur wenig beitragen,da sie einerseits in frühen Krankheitsstadien eine

198 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 63, Heft 3 (2004)© Steinkopff Verlag 2004

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schlechte Sensitivität (10–60%) aufweisen und ande-rerseits auch unspezifisch sind (anteriorer Schober:Spezifität 50–60%).

Die Prävalenz (Prätest-Wahrscheinlichkeit) axialerSpA bei Patienten mit chronischem Rückenschmerzbeträgt etwa 5% (AS und axiale uSpA). Dieses ergabeine Untersuchung in einer großen englischen All-gemeinarztpraxis [27]. Die Sensitivitäten und Spezifi-täten der für die axiale SpA relevanten Test-Parametersind aus großen Studien zur AS und der Gesamtgrup-pe der SpA hinreichend bekannt. Repräsentative Zah-len aus Sicht der Autoren zu den einzelnen Parame-tern sind in Tabelle 3 zu finden. Der Wahrscheinlich-keitswert für das Vorliegen der Erkrankung ergibt sichaus der Kombination der einzelnen Testparameterund zwar dahingehend, dass die Posttest-Wahrschein-lichkeit des 1. Tests zur Prätest-Wahrscheinlichkeit des2. Tests wird (und so weiter). Eine Krankheitswahr-scheinlichkeit von 90% oder mehr wird von den Auto-ren als ausreichend angesehen, um die Diagnose axia-le SpA mit hinreichender Sicherheit stellen zu können.In Kenntnis der relevanten Test-Parameter (Tab. 3)können diese Berechnungen für den individuellen Pa-tienten auch selbstständig online durchgeführt werden(http://www.rheumatologie-berlin.de/web/de/med_pre.htm).

Berichtet ein Patient mit chronischem Rücken-schmerz über die typischen Zeichen des entzünd-lichen Rückenschmerzes, so erhöht sich die Wahr-

scheinlichkeit des Vorliegens einer axialen SpA von5% auf nur 14%. Diese geringe Wahrscheinlichkeitvon 14% macht erneut deutlich, dass der entzünd-liche Rückenschmerz, auch wenn klinisch überzeu-gend, als alleiniges Kriterium zur Diagnosestellungnicht ausreicht.

Um eine Krankheitswahrscheinlichkeit von 90%oder mehr zu erreichen, müssen zusätzlich zumentzündlichen Rückenschmerz in der Regel 3 weitereSpA-Merkmale (siehe oben) vorliegen. Diese könnenklinische SpA-Manifestationen, aber auch Laborbe-funde (BSG/CRP oder HLA-B27) oder akute Entzün-dungszeichen im MRT sein (Tab. 3, Abb. 4).

Anhand der Ergebnisse zur Wahrscheinlichkeitdes Vorliegens einer axialen SpA haben wir einen di-agnostischen Algorithmus für den rheumatologischversierten Arzt entwickelt [23]. Dieser Algorithmusorientiert sich am traditionellen diagnostischen Vor-gehen in Form von Anamneseerhebung, klinischerUntersuchung, Labor und bildgebenden Verfahrenund ist beim individuellen Patienten anzuwenden(Abb. 5). Der Einsatz von HLA-B27 als diagnosti-sches Instrument wurde in der Vergangenheit sehrkontrovers diskutiert. Die Wahrscheinlichkeitsbe-rechnungen zeigen nunmehr, dass HLA-B27 als diag-nostischer Test sehr wohl brauchbar ist und zusam-men mit der MRT den höchsten diagnostischen Wertaufweist (Tab. 3). Daher sei generell empfohlen,HLA-B27 frühzeitig bei Patienten mit chronischem

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Tab. 3 Sensitivität, Spezifität und positive Likelihood Ratio (LR) von Parame-tern zur Frühdiagnose

Sensitivität Spezifizität Positive LR *

Entzündlicher Rückenschmerz 75% 76% 3,1

Andere klinische Manifestationen:Enthesitis der Ferse 37% 89% 3.4Periphere Arthritis(oligo, asymmetrisch)

40% 90% 4,0

Daktylitis 18% 96% 4,5Akute anteriore Uveitis 22% 97% 7,3Psoriasis 10% 96% 2,5M. Crohn/Colitis ulcerosa 4% 99% 4,0

Positive Familienanamnesefür AS, reaktive Arthritis,M. Crohn/Colitis ulcerosa,Psoriasis, anteriore Uveitis

32% 95% 6,4

HLA-B27 90% 90% 9,0Erhöhte BSG/CRP 50% 80% 2,5

Gutes Ansprechen auf NSAR 77% 85% 5,1

MRT 90% 90% 9,0

* Die LR ergibt sich aus der Formel: Sensitivität/(1 – Spezifität) und ist einMaß für den diagnostischen Wert eines Tests.Die angegeben Zahlen zur Sensitivität und Spezifität entsprechen repräsenta-tiven Werten, die sich aus zahlreichen Studien ergaben (für weitere Diskussi-on siehe [23])

Abb. 4 Schematische Darstellung der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens ei-ner axialen Spondyloarthritis. Je mehr SpA-typische Parameter (klinische Ma-nifestationen, Labor, Bildgebung) bei einem Patienten mit chronischemRückenschmerz vorliegen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit für dasVorliegen einer axialen Spondyloarthritis. Ein Ansteigen der Wahrscheinlich-keit von 5% auf > 90% kann z. B. mit dem Vorliegen des Merkmals entzünd-licher Rückenschmerz plus 3 weiteren SpA-Parametern erreicht werden (sieheText und [23])

Röntgen/MRT

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Rückenschmerz zu bestimmen, um dann dieHLA-B27 positiven Patienten mit chronischenRückenschmerzen einer weiteren Abklärung durcheinen Rheumatologen zuzuführen. Neben der Erfra-gung des entzündlichen Rückenschmerzes könnte so-mit auch ein einmaliger Test auf HLA-B27 ein effek-tives Screening-Werkzeug beim Hausarzt und Ortho-päden darstellen.

Differentialdiagnose der axialen SpA/AS

Die Anwendung des diagnostischen Algorithmus imAlltag muss natürlich auch verschiedene Differential-diagnosen des chronischen Rückenschmerzesberücksichtigen, die aufgrund der Anamnese, desAlters, der klinischen Befunde und weiterer diagnos-tischer laborchemischer oder bildgebender Verfahrenmeist evident werden. Dazu gehören degenerative

Veränderungen von Wirbelkörpern und Bandschei-ben (Spondylosis deformans, Osteochondrose),Bandscheiben-Prolaps, Übergangsanomalien (Hemi-sakralisation des 5. Lendenwirbels), Spinalkanal-stenose, Scheuermann’sche Erkrankung, Fibromyal-gie oder die diffuse idiopathische skelettale Hyper-ostosis (DISH, M. Forrestier). Sehr häufig ist sicher-lich der so genannte unspezifische „mechanische“Rückenschmerz, für den sich morphologisch/röntge-nologisch kein richtiges Korrelat finden lässt. Bezüg-lich der radiologischen Veränderungen im Bereichder Sakroiliakalgelenke sind differentialdiagnostischzu nennen die Osteitis triangularis ilii, die Sakroilia-kalgelenksarthrose, der M. Paget, die Fluorose (heuteselten), hypophosphatämische Osteomalazie (eben-falls selten), bakterielle Sakroiliitiden (Weichteilmit-befall im MRT, im Zweifelsfall Gelenkpunktion) unddie DISH.

200 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 63, Heft 3 (2004)© Steinkopff Verlag 2004

Abb. 5 Diagnostischer Algorithmus für axiale SpA. Für die Diagnosestellungeiner axialen SpA wird eine Wahrscheinlichkeit von > 90% als ausreichendangesehen. * Die Prozent-Wahrscheinlichkeit ergibt sich in Abhängigkeit vonden vorliegenden Parametern. ** Bei einer Wahrscheinlichkeit von > 90% be-

trachten wir die Diagnose axiale Spondyloarthritis als definitiv, bei einerWahrscheinlichkeit von 80–90% als wahrscheinlich (siehe auch Text; Abbil-dung leicht modifiziert nach [23] mit Erlaubnis des Verlegers)

* * *

hin.

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Ausblick

Die Anwendung des vorgeschlagenen diagnostischenAlgorithmus, der sich an der Wahrscheinlichkeit desVorliegens einer frühen AS (axiale SpA) orintiert, er-laubt bei individuellen Patienten die frühe Diagnose-stellung einer axialen Spondyloarthritis mit einemhohen Grad an Sicherheit. Die frühe Diagnosestel-lung ist gerade bei Patienten mit einem unauffälligenRöntgenbild bzw. einer fraglichen röntgenologischenSakroiliitis von großer Bedeutung, denn einerseitserfahren Patient und Arzt diagnostische Sicherheitund unnötige Untersuchungen können vermieden

werden, andererseits erlaubt ein frühe Diagnose denfrühzeitigen und konsequenten Einsatz der richtigenTherapie. Des Weiteren erlaubt der diagnostische Al-gorithmus auch den Ausschluss einer axialen SpAbei Patienten mit chronischem Rückenschmerz miteinem hohen Grad an Sicherheit, was für den klini-schen Alltag nicht minder wichtig ist. Das vor-geschlagene diagnostische Vorgehen wird gegenwär-tig in klinischen Studien validiert.

n Danksagung Diese Arbeit wurde gefördert durch das BMBF(Kompetenznetz Rheuma), FKZ 01G19946.

201M. Rudwaleit und J. SieperFrühe Diagnose der ankylosierenden Spondylitis

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