17
© Ruth Enggruber 2010 Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften Forschungsstelle DIFA Ruth Enggruber Diagnostisch gestützte individuelle Förderung in multikulturellen Lernwelten Heraus- oder Überforderung?

Diagnostisch gestützte individuelle Förderung in ...groups.uni-paderborn.de/cevet/cevetblog/wp-content/uploads/2010/02/vortragii1.pdf · deutliche Verbesserung in ihrer Sozial-,

Embed Size (px)

Citation preview

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Ruth Enggruber

Diagnostisch gestützte individuelle Förderung in multikulturellen Lernwelten –

Heraus- oder Überforderung?

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Ziel des Projekts InLab

„Das Projekt InLab zielt auf die Entwicklung und Implementation von Instrumenten und Verfahren zur nachhaltigen, individuellen Förderung und selbstgesteuerten Kompetenzentwicklung für multikulturelle Lebens- und Arbeitswelten in der berufsschulischen Grundbildung“ (InfoLab 1, S. 2).

Ausgangspunkte:

Profilaufgabe

Es „… sind Instrumente zur Kompetenzdiagnose und –entwicklung erforderlich. Demgemäß stellt sich Kompetenzdiagnose und –entwicklung in multikulturellen Kontexten als Profilaufgabe“ (InfoLab 1, S. 2).

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

(1) Aufwendig gestaltete Kompetenzdiagnosen sind nur dann zurechtfertigen, wenn der damit festgestellte Förderbedarf auch mit den in den Berufskollegs vorhandenen Fördermöglichkeiten erfüllt werden kann (vgl. Hansen 2006)!

(2) Kompetenzdiagnostik darf nicht zum „Ritual“ einer punktuellen Eignungsfeststellung verkommen!

(3) Pädagogisch ‚gut gemeinte‘ Bezüge zu „multikulturellen Lern- und Arbeits-welten“ sowie zur „interkulturellen Kompetenz“ (z. B. InfoLab 1, S. 2) bergen Gefahren der „Kulturalisierung“ sowie des „Rassismus der Differenz“!

3 Ausgangsthesen

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

1. Instrumente zur Kompetenzdiagnose

2. Chancen systematischer Kompetenzdiagnostik

3. Forschungsergebnisse zum PROFIL-AC des ChristlichenJugenddorfwerks Deutschland (CJD)

4. Fazit: Möglichkeiten und Grenzen der diagnostisch gestütztenindividuellen Förderung – nachdenkliche Anmerkungen zu den Ergebnissen der CJD-Studie

5. Konsequenzen für die pädagogische Praxis aus der CJD- undanderen Studien

6. Kontroversen zu „Interkultureller Kompetenz“ im erziehungswissenschaftlichenDiskurs

Überblick

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Interviews: vollstandardisierte, teilstandardisierte oder offene und unstrukturierte Verfahren – zumeist bei Erst- und Eingangsgesprächen

Arbeitsproben: standardisierte Aufgaben, die äquivalente Stichproben von Arbeits-bzw. Berufstätigkeiten darstellen

Testverfahren: i.d.R. aus psychologischem Bereich – z.B. Intelligenztests, Persönlichkeitstests – nur von Psychologen bzw. Psychologinnen einsetzbar

Biografieorientierte Methoden: Grundidee, dass in der Vergangenheit erworbene Kompetenzen, gemachte Erfahrungen und erlebte Lebensphasen zentral für zukünftige Kompetenzentwicklungen sind – z.B. biografische Fragebögen

Selbsttests und Selbsteinschätzungen: subjektiver Messzugang, in der Regel mit standardisierten Fragebögen zur Selbsteinschätzung – z.B. Kompetenzbilanzen

1. Instrumente zur Kompetenzdiagnose

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Assessment-Center: kombiniertes Verfahren aus verschiedenen Einzelaufgaben mit Betonung von situativen Übungen, Rollenspielen und Gruppenübungen. Dabei werden die Jugendlichen durch geschulte Beobachter und Beobachterinnen nach festgelegten Kriterien beobachtet und beurteilt. I.d.R. mehrtägiges Verfahren, das mit einem Abschlussgespräch und Kompetenzbericht endet.

generell multimodales Vorgehen bei ACEs gilt als das eignungsdiagnostische Instrument mit der höchsten prognostischen Güte – zumindest nach Erkenntnissen der „Personalauswahl- und –entwicklung“

Quelle: Start AC

AC als weiteres Instrument zur Kompetenzdiagnose

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Allen Beteiligten werden systematisierte Einblicke in Kompetenzbedingungen, Verhaltensweisen und Motivationen gewährt – zentraler Unterschied zu Leistungsprüfungen oder Schulnoten!

Jugendliche erhalten eine differenzierte und „neutrale“ Rückmeldung und ggf. Einblicke in bisher ihnen unbekannte Kompetenzen!

Lehrerinnen und Lehrer schulen ihren Blick bzgl. der Lernvoraussetzungen der Jugendlichen für eine systematische Kompetenzentwicklung!

Die Förderprozesse können individualisierter gestaltet werden, um eine für die einzelnen Jugendlichen bestmögliche, gezielte Kompetenzentwicklung zu gewährleisten – Prozessorientierung!

Die Wünsche und Befähigungen der Jugendlichen können mit Anforderungen von Berufsfeldern und des Arbeitsmarktes abgeglichen werden - Basis für eine individuelle Lern- und Berufswegeberatung!

2. Chancen systematischer Kompetenzdiagnostik

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

3. Untersuchung zum PROFIL-AC des Christlichen Jugenddorfwerks (CJD)

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

3. Untersuchung zum PROFIL-AC des Christlichen Jugenddorfwerks (CJD)

Darstellung der

Voraussetzungen und Kompetenzen von

ca. 700 BvB-TeilnehmerInnen aus 10 CJD- Einrichtungen

Statistische Analyse auf Basis von:

„Eingangs“-AC (Herbst 2006)

ergänzende TN-Angaben (Mitar-beiterInnen-Befragung März 2007)

Zielgruppenanalyse

Darstellung der Kompetenzveränderungen

für eine Stichprobenauswahl von ca. 230 TeilnehmerInnen

Wirkungsanalyse

Statistische Analyse auf Basis von:

„Kontroll“-AC (Juni 2007)

Ergebnisvergleich „Eingangs“-AC

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Zentrale Ergebnisse der CJD-Studie

1) TeilnehmerInnen mit niedrigeren Kompetenzwerten und damit schlechteren kompetenzbezogenen Voraussetzungen: deutliche Steigerung ihrer Kompetenzen -signifikante Verbesserungen in den kulturtechnischen, sozialen und methodischen Kompetenzen; z. B. deutliche Verbesserungen bei den männlichen sowie bei den jüngeren Jugendlichen, für die im Rahmen der Zielgruppenanalyse größere Förderbedarfe bzw. schlechtere Kompetenzvoraussetzungen konstatiert wurden.

2) Im Gegensatz dazu bei Jugendlichen mit guten Kompetenzwerten kaum Veränderungen in ihren Kompetenzen, dafür aber häufiger Vermittlung in eine betriebliche Berufsausbildung.

3) Insgesamt nur bei 55,4% der Jugendlichen signifikante Verbesserungen in mindestens einem Schlüsselkompetenzbereich!

3. Untersuchung zum PROFIL-AC des Christlichen Jugenddorfwerks (CJD)

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Zentrale Ergebnisse der CJD-Studie

4) Getrennt nach den einzelnen Kompetenzbereichen: nur jeweils bei rund einem Viertel der Jugendlichen signifikante Kompetenzverbesserungen im Laufe der BvB.

5) Bezogen auf die einzelnen Schlüsselkompetenzen: nach den Ergebnissen der Beobachterkonferenz Verbesserungen in den Kompetenzbereichen und Merkmalsdimensionen, für die in der Zielgruppenanalyse ein besonderer Förderbedarffestgestellt worden war – z. B. signifikante Verbesserungen in allen drei Merkmalsdimensionen der Kulturtechnischen Kompetenz; bei der Methoden-kompetenz in der Dimension „Planungsfähigkeit“; in der Sozialkompetenz bezogen auf „Kommunikations- und Kontaktfähigkeiten“ und im zuvor als förderbedürftig eingestuften Bereich des „Durchsetzungsvermögens“.

6) Nahezu durchgängige Verschlechterung im Bereich der Selbstkompetenz, vor allem bezogen auf die Merkmale „Konzentration“, und „Organisationsfähigkeit“.

3. Untersuchung zum PROFIL-AC des Christlichen Jugenddorfwerks (CJD)

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Zentrale Ergebnisse der CJD-Studie

7) Zu Gender Mainstreaming: Die Jungen und jungen Männer wurden ihren schlechteren Eingangsvoraussetzungen entsprechend stärker in ihren Kompetenzen gefördert als die Mädchen und jungen Frauen. Letztere konnten sich allerdings in ihrem mit größeren Schwierigkeiten behafteten „Umgang mit Neuen Medien“ verbessern!

8) Zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund: signifikante Verbesserung ihrer Kulturtechnischen Kompetenz; aber TeilnehmerInnen ohne Migrationshintergrund deutliche Verbesserung in ihrer Sozial-, Methoden- und Kulturtechnischen Kompetenz –Notwendigkeit von Konzepten interkultureller Pädagogik in der BvB!

3. Untersuchung zum PROFIL-AC des Christlichen Jugenddorfwerks (CJD)

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

Nachdenkliche Anmerkungen zu den Ergebnissen der CJD-Studie:Insgesamt: Kompetenzverbesserung in mindestens einem Kompetenzbereich bei 55,4 % der jungen Leute und pro Kompetenzbereich jeweils bei rund 25 % von ihnen gemessene Kompetenzsteigerung

Erklärungsversuche: Teilnahmedauer von 10 bis 11 Monaten ist für die Förderung von komplexen

Kompetenzen zu kurz - Kompetenzentwicklung benötigt mehr Zeit! Kompetenzveränderungen zeigen sich erst im Laufe der Zeit und nicht direkt bei

Abschluss der Förderprozesse! zur 1. + 2. Ausgangsthese: Die im Rahmen der Eignungsanalyse mit dem PROFIL-AC

ermittelten Kompetenzen sind so zahlreich und vielfältig, dass es den pädagogischen Fachkräften im Förderprozess kaum möglich ist, an alle differenziert anzuknüpfen –siehe Grafik zu PROFIL-AC!

zur 1. Ausgangsthese: In vielen Agenturen für Arbeit steht das Ziel der Vermittlung im Vordergrund! Veränderungen der Fachkompetenzen wurden jedoch in der CJD-Studie wegen des sozialpädagogischen Blicks nicht ermittelt!

Unzureichende Forschungsmethode: AC-gestützte Wirksamkeitsuntersuchungen!

4. Fazit: Möglichkeiten und Grenzen der diagnostisch gestützten individuellen Förderung –

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

5. Konsequenzen für die pädagogische Praxis aus der CJD- und anderen Studien

Kompetenzfeststellung darf nicht zum „Ritual“ einer punktuellen, ‚überfrachteten‘ Eignungsfeststellung verkommen (1. + 2. Ausgangsthese):

„Die Projekterfahrungen zeigen, dass bislang sehr wildwüchsig mit den festgestellten Kompetenzen (…) umgegangen wird“ (Erfahrungen im „BQF-Programm“, BMBF 2006).

Im Förderprozess sollte stärker und systematischer an die Erfahrungen und Ergebnisse der Kompetenzfeststellung angeknüpft werden!

„Die Kompetenzfeststellung beginnt und endet nicht mit einem Assessment-Center; vielmehr ist sie als Prozess zu verstehen, der den einzelnen Teilnehmenden ganzheitlich berücksichtigt“ (BMBF 2006)!

Kompetenzdiagnose und Kompetenzentwicklung sollten stets aufeinander abgestimmt und somit aufeinander bezogen konzipiert, geplant und realisiert

werden! große Herausforderung!

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

6. Kontroversen zu „Interkultureller Kompetenz“ im erziehungswissenschaftlichen Diskurs

3. Ausgangsthese: Pädagogisch ‚gut gemeinte‘ Bezüge zu „multikulturellen Lern- und Arbeitswelten“ sowie zur „interkulturellen Kompetenz“ (z. B. InfoLab 1, S. 2) bergen Gefahren der „Kulturalisierung“ sowie des „Rassismus der Differenz“!

Pointiert formuliert Franz Hamburger (2009): „Abschied von der Interkulturellen Pädagogik“ – keine positive Bilanz des Diskurses zu „interkultureller Kompetenz“

Gefahren bzw. nicht beabsichtigte Nebenfolgen bei der Anwendung von Bezeichnungen wie „Jugendliche mit Migrationshintergrund“: Etikettierung und Stigmatisierung durch vorrangige Identifizierung der Individuen über die jeweilige Kategorie!

immer noch nationalstaatliche und/oder religiöse Anbindung des Kulturbegriffs – undifferenzierte Dichotomie zwischen eigener und fremder Kultur

Franz Hamburger (2006, S. 186): „In jedem Fall ist die entscheidende Kränkung die der Vorenthaltung des Subjektstatus“.

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

6. Kontroversen zu „Interkultureller Kompetenz“ im erziehungswissenschaftlichen Diskurs

Georg Auernheimer (2006, S. 198): „Gradwanderung zwischen Ethnisierung und Differenzblindheit“, denn in modernen Gesellschaften sind „… alle Kulturen inzwischen reflexiv geworden und werden daher für Identitätskonstrukte genutzt, nicht mehr naiv gelebt.“

Franz Hamburger (2006, 2009) plädiert für eine „Reflexive Interkulturalität“ im Gegensatz zum Konstrukt der „Transkulturalität“ von Wolfgang Welsch:

mit Bezügen zu Roland Merten (1997): „Selbst-Konfrontation mit den nicht intendierten negativen Nebenfolgen“

Anerkennung der Subjektivität der einzelnen Jugendlichen und „Reflexivität des eigenen Ethnozentrismus und Rassismus, in die in irgendeiner Weise alle Gesellschaftsmitglieder einsozialisiert sind“ (Hamburger 2006, S. 186)

Lebensweltorientierte Sozialpädagogik von Hans Thiersch: Akzeptanz von und Respekt für den Eigensinn abweichender Erfahrungen und Deutungsmuster – „Verstehen heißt, sich auf Anderes, Fremdes, Befremdliches einzulassen“ (Auernheimer 2006, S. 197).

© Ruth Enggruber 2010

Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften

Forschungsstelle DIFA

6. Kontroversen zu „Interkultureller Kompetenz“ im erziehungswissenschaftlichen Diskurs

Voraussetzungen bei den Lehrerinnen und Lehrern: „reflexive Interkulturalität“,Offenheit, Flexibilität, Empathiefähigkeit, also die Fähigkeit, auch Widersprüchliches und scheinbar Unvereinbares nebeneinander aushalten zu können

Organisatorische Voraussetzungen: ausreichend Zeit und sonstige Ressourcen für die Lehrerinnen und Lehrer, vor allem eine angemessene Schüler-Lehrer-Relation

Gesamtfazit: große Herausforderung mit der deutlichen Gefahr zur Überforderung!!!