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DIAKONIE FÜR SIE 4 /2017 Frauen stärken – starke Frauen

DIAKONIE FÜR SIE · Frederike Fürst Geschäftsführerin Martin-Luther-Krankenhaus 6 Demokratie Hate Speech in den sozialen Medien ist ein erklärungs-bedürftiges Phänomen für

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Page 1: DIAKONIE FÜR SIE · Frederike Fürst Geschäftsführerin Martin-Luther-Krankenhaus 6 Demokratie Hate Speech in den sozialen Medien ist ein erklärungs-bedürftiges Phänomen für

DIAKONIE FÜR SIE

4 /2017

Frauen stärken –starke Frauen

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INHALTVORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,Krippenbilder gehören zu Weihnachten. Darin ist Maria eine zentrale Figur. Meist sehen wir sie anbetend vor der Krippe knien, andächtig und demütig. Aber Maria ist eine starke Frau. Im Lukasevangelium singt sie, mit Jesus schwanger, ein Loblied auf Gott. Darin jubelt sie, Gott habe die Gewal-tigen vom Thron gestoßen und die Niedrigen erhöht. Sie selbst, die Magd, fühlt sich von Gott angesehen und gestärkt.

„Frauen stärken – starke Frauen“ haben wir dieses Heft betitelt. Diakonie unterstützt viele Frauen in schwierigen Lebensverhältnissen. So bietet affi damento wohnungslosen Frauen Hilfe (Seite 14). Junge Frauen, die von Gewalt und Zwangsverheiratung bedroht sind, erhalten bei Papatya die Chance, eigene Lebenswege zu gehen (Seite 8). Susanne Weller erläutert im Interview, was es bedeutet, wenn Frauen in schlecht bezahlten Jobs arbeiten oder wegen der Kindererziehung gar kein Einkommen erzielen (Seite 12).

Sie brauchen wie Maria Unterstützung und Zuspruch, um ihre eigenen Stärken entdecken zu können. Oftmals sind es wiederum Frauen, die ihnen den Rücken stärken. Schön, wenn sie wie Frederike Fürst Führungsaufgaben in der Diakonie wahrnehmen (Seite 7) oder sich ehrenamtlich en ga-gieren wie Frau Zacher im Projekt PiSA (Seite 16). Pfarrerin Magdalena Möbius weist in ihrem Theologischen Beitrag auf den Glauben hin, der Frauen stark macht. (Seite 17).

Mit großem Dank haben wir Lena Högemann in eine neue Arbeitsstelle verabschiedet, auch eine starke Frau, die fünf Jahre lang unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit geleitet und an dieser Stelle geschrieben hat.

Maria bietet mit ihren Erfahrungen nicht nur Frauen Anknüp-fungspunkte, die eigenen Lebensthemen zu bedenken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Anregungen beim Lesen und eine gesegnete Adventzeit.

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Armut: Wunsch nach mehr Gehör

Demokratie: Soziale Medien sind oft unsozial

Frauen:Geschäftsführerin im Krankenhaus

Frauen:Anonyme Kriseneinrichtung für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund

Standpunkt:Wir müssen aus den Erfahrungen der Betroffenen lernen

Jobbrücke für Gefl üchtete:Hilfe zur Selbsthilfe

Frauen:Interview zum Thema Gleichstellung

Frauen:Keine Wohnung, kein Geld und kein Job

Ehrenamt:Von Paukern und Paten

Theologischer Beitrag: Frauen verändern Religion und Gesellschaft

Brot für die Welt: Augen und Ohren der Gerechtigkeit

Preisrätsel

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Inhalt 32 Editorial

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4 Armut

Am 5. Oktober 2017 fand zum 12. Mal das Treffen der Menschen mit Armutserfahrung statt. Teilneh-mende aus dem gesamten Bundes-gebiet haben lange Anfahrten nach Berlin auf sich genommen, um sich auszutauschen und den Dialog mit Entscheidungsträgern zu suchen.

Die Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg füllte sich. Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskon-ferenz (NAK) und Diakoniedirektorin begrüßte die angereisten Gäste und lud zum Gebrauch der Kaffeetheke ein. Die Nachfrage war groß. Viele Besucher*innen kannten sich bereits von vergangenen Veranstaltungen. „Den Menschen brennt auf den Nägeln, was nach der Bundestagswahl pas-siert“, beschrieb Barbara Eschen die Sorgen der Teilnehmenden.

Auch in diesem Jahr war eine Vielzahl an Referent*innen aus verschiedenen Branchen zu Gast. In insgesamt

22 Work shops, verteilt auf zwei Tage, suchten die Teilnehmenden den Dialog mit Politiker*innen, Menschenrechts-aktivist*innen, und Soziolog*innen. Zugleich begann der Austausch der Teilnehmenden über ihre persönlichen Armutserfahrungen. Harald S. aus Köln ist gelernter Bankkaufmann und Kredit-sachbearbeiter. „Ich litt unter Burn-Out und wurde dadurch arbeitsunfähig. Heute lebe ich von Hartz IV und mei-nen Ersparnissen. Mein Lebensstil hat sich seitdem verändert“, sagt er. Es falle ihm schwerer, soziale Kontakte zu knüpfen und zu halten, denn häufig geht auch ein Wechsel des Wohnortes mit der Armut einher.

Durch zu hohe Mietpreise und durch systematische Verdrängung, mangelt es in Berlin und anderen Großstädten an bezahlbarem Wohnraum. Die Leid-tragenden dabei sind nicht nur woh-nungslose Menschen, sondern auch ein Großteil einkommensarmer Haus-halte, Studierende und eine zuneh-

mende Zahl von Geflüchteten und EU-Zuwanderern. Der Workshop „Wohnungspolitik, Verdrängung und Protest“ setzte sich mit den Ursachen von steigenden Mieten und Verdrän-gungsprozessen auseinander und regte zur Diskussion von Lösungskon-zepten an. Barbara Eschen äußerte sich im Interview mit der ARD-Tages-schau zur aktuellen Lage der Woh-nungspolitik und forderte, den sozialen Wohnungsbau in die Koalitionsver-handlungen mit einzubinden.

Der Workshop „Familienarmut im Wan-del“ zeigte die Probleme alleinerzie-hender Elternteile auf. Rund 40 % aller alleinerziehenden Mütter lebt von Hartz IV-Leistungen. Alle Anwesenden waren sich darüber einig, dass hier schnell etwas geschehen muss. Doch die Hoffnung und das Vertrauen in die Politik sind gering. Harald S. war selbst viele Jahre Mitglied der CDU, doch inzwischen nicht mehr. „Ich fühle mich nicht gehört. Die Politik geht oft

12. Treffen der Menschen mit Armutserfahrung:

WUNSCH NACH MEHR GEHÖR

Links: Teilnehmende aus dem gesamten Bun-desgebiet tauschten sich auf dem 12. Treffen der Menschen mit Armutserfahrung in der Heilig-Kreuz-Kirche aus. Rechts: Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armuts-konferenz konnte auch in der 20:15 Uhr-Tages-schau die Forderungen der NAK platzieren.

vollständig an diesen Themen vorbei“, beschreibt er seinen Blick auf die aktu-elle Situation. Viele der Teilnehmenden bemängelten die bisher zu geringe Wirksamkeit des Treffens. Dennoch ist die Freude über den Austausch der Erfahrungen groß. Harald S. zieht sein persönliches Fazit: „Das Konzept der Veranstaltung hat mir gut gefallen und die Inhalte der Workshops waren sehr interessant. Trotzdem hätte ich mir einen intensiveren und längeren Dialog mit den anderen Teilnehmer*innen gewünscht. Nächstes Jahr möchte ich wieder dabei sein.“

FELIX VON WAGNER*Name geändert

NATIONALE ARMUTSKONFERENZDie nationale Armutskonferenz ist die deutsche Sektion des Europäischen Armutsnetzwerkes (EAPN) und wurde im Jahr 1991 gegründet. Sie besteht aus den deutschen Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege, u.a. der Diakonie, der AWO, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und Betroffenen-verbänden. Hauptsächliche Arbeitsbe-reiche sind der politische Lobbyismus und die Öffentlichkeitsarbeit. Des Weiteren ist die NAK im Beirat zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Diakonie-Direktorin Barbara Eschen ist seit Februar 2017 Sprecherin der Nationalen Armutskon-ferenz. Mit dem Treffen der Menschen mit Armutserfahrung sucht die NAK den Dialog der Betroffenen untereinander.

Foto: Diakonie Berlin-Brandenburg/ Nils Bornemann

Felix von Wagner ist Bundesfreiwilliger im Diakonischen Werk. Seit September 2017 unterstützt der 18-Jährige für ein Jahr sehr engagiert und in vielseitiger Weise Brot für die Welt und die Öffent-lichkeitsarbeit.

DANKE! IHRE SPENDE KOMMT AN.

Mit ihren Beratungs- und Hilfsangeboten sind die Dienste und Einrichtungen der Diakonie Anlaufstelle der Hoffnung und Zuversicht. Doch nicht alle Angebote sind ausreichend finanziert. Bitte ermöglichen Sie uns mit Ihrer Spende, Notlagen zu beheben und für Ratsu-chende da zu sein. Die Diakonie leistet einen essentiellen Beitrag zur Unterstüt-zung, zum Beispiel in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Wohnungslosen- und Flüchtlingshilfe. Helfen Sie uns mit Ihrer Spende für unsere „Diakonischen Aufgaben“ schnell und wirksam dort zu helfen, wo es gerade am nötigsten ist.

Mehr zu unseren Projekten: www.diakonie-portal.de/ helfen-spenden/ihre-spende-hilft

WIR BITTEN UM IHRE UNTERSTÜTZUNG.

SPENDENKONTOSpendenzweck: „Diakonische Aufgaben“Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. IBAN: DE18 1002 0500 0003 2019 00BIC: BFSWDE33BERBank für Sozialwirtschaft

KONTAKT:Christiane AlbrechtTelefon: 030 820 97 203E-Mail: [email protected]

Armut 5

SPENDENAUFRUF

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Frauen 7

An der Spitze des Martin-Luther-Krankenhauses steht eine Frau: Frederike Fürst. Die gebürtige Münchnerin ist in Radebeul bei Dresden aufgewachsen und hat in Landshut und Cambridge europäische Betriebswirt-schaft studiert. Nach dem Studium war sie zunächst Assistentin der Geschäftsführung eines Krankenhauses in Chemnitz. Seit Mai 2014 ist sie Geschäftsführerin des Martin Luther-Krankenhauses Berlin.

„Ich habe bewusst europäische Betriebswirtschaft studiert, weil ich über den Tellerrand schauen wollte“, erzählt Fürst. Dass sie dann im Krankenhausbetrieb gelandet ist, war eher Zufall. Ihr war es wichtig, bei einem gemeinnützigen Träger tätig zu sein: „Wir erwirtschaften nicht für Aktionäre. Alles, was wir erwirtschaften, wird reinvestiert. Wir stellen keine Produkte her, wir helfen Menschen in Ausnahmesituationen. Das treibt mich an.“

Frederike Fürst ist keine Chefin im Elfenbeinturm, sondern sucht den direkten Aus-tausch mit ihren Mitarbeiter*innen. Sie geht auch mal

auf die Station und verteilt Gummibärchen als Nervennah-rung oder schlüpft beim Motto-Sommerfest in die Robe einer Frau zu Zeiten Martin Luthers.

Trotz enger Rahmenbedingungen möchte das Krankenhaus seinen Mitarbeiter*innen gute Arbeitsbedingungen bieten: „Wir tun viel im Bereich Aus- und Fortbildung und bieten Teilzeitmodelle für Frauen und Männer an, um als Arbeitge-ber unterschiedlichen Lebenssituationen und Bedürfnissen gerecht zu werden“, sagt Fürst.

Die 37-Jährige Klinikleiterin hat nie Vorurteile erlebt, weil sie eine Frau ist, eher Verwunderung aufgrund ihres Alters.

Sie wollte Verantwortung übernehmen. Andere haben ihr die Aufgabe zugetraut und sie hat sie sich selbst zugetraut: „Ich glaube nicht, dass es einen speziell weiblichen Füh-rungsstil gibt. Jede Führungskraft hat ihren eigenen Füh-rungsstil.“ Frederike Fürst steht in täglichem Austausch mit Chefärzten, Verwaltungsleitung und Pflegedirektion: „Hierar-chien muss es geben, die Ideen dürfen jedoch nicht von oben über die Köpfe hinweg vorgeschrieben werden. Alle sind Expert*innen auf ihren Gebieten, tragen ihre Wünsche und Ansprüche aus ihrer Perspektive an mich heran und geben mir Empfehlungen. Sie sollen mir die Dinge so erklä-ren, dass ich sie verstehe und abwägen kann. Ich kann nicht jedem gerecht werden, aber ich möchte gerechte Ent-scheidungen fällen.“

BIRGIT COLDEWEY

Geschäftsführerin im Krankenhaus:

„ICH ARBEITE FÜR MENSCHEN, NICHT FÜR PRODUKTE“

Das Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin-Wilmersdorf, ein Unternehmen der Paul Gerhardt Diakonie, ist ein Akut- und Unfallkrankenhaus und akademisches Lehrkrankenhaus der Charité. Das 1931 gegründete Haus beschäftigt rund 700 Mitarbeitende. Seit Frederike Fürst Geschäftsführerin ist, wurde vieles renoviert und modernisiert, unter anderem der Zentral-OP und es entstand ein vierter Kreißsaal.

Martin-Luther-KrankenhausCaspar-Theyß-Straße 27-3114193 Berlin

Seit Mai 2014 ist Frederike Fürst Geschäfts-führerin des Martin-Luther-Krankenhauses in Berlin-Wilmersdorf. Foto: Martin-Luther- Krankenhaus

„Alle sind Expert*innen auf ihren Gebieten und sollen mir die Dinge so erklären, dass ich sie verstehe und Entscheidungen fällen kann.“Frederike Fürst Geschäftsführerin Martin-Luther-Krankenhaus

6 Demokratie

Hate Speech in den sozialen Medien ist ein erklärungs-bedürftiges Phänomen für alle, die das Internet noch nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben. „Hate speech“ heißt wörtlich übersetzt „Hassrede“ und meint unterschiedliche Formen von Beleidigung, Dis-kriminierung und Hetze im Netz. Das Diakonie-Projekt „Demokratie gewinnt! In Brandenburg“ sensibilisiert Mitarbeiter*innen diakonischer Einrichtungen für diese Problematik und schult sie im Umgang damit.

Alexander Bosch koordiniert das Projekt, dessen Schwer-punkt im Programmjahr 2017/18 auf dem Thema „Soziale Medien und Demokratie“ liegt. Viele Einrichtungen nutzen soziale Medien, pflegen zumindest einen Facebook-Kanal. Und das 'soziale' an diesen Medien ist ja, dass für jeden Internetnutzer die Möglichkeit besteht, veröffentlichte Artikel und Nachrichten zu kommentieren, egal wie wertschätzend ein solcher Kommentar dann auch ausfallen mag. Mit einem sozialen Umgang, wie wir ihn uns miteinander gemeinhin

wünschen, hat dies oft nicht viel zu tun. Da kommt es im schlimm-sten Falle zu Beschimpfungen für Initiativen der Flüchtlingshilfe. Es wird anonym

kommentiert, diffamiert und diskriminiert. Und allzu oft rechtfertigen sich die Kommentatoren mit dem Satz: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“.

Martin Luther werden die Worte zugeschrieben: „Hier stehe ich und kann nicht anders“, am Rande des Reichstags zu Worms, 1521. Sicher ist aber, dass dort ein Mann stand, mit einem Gesicht, mit einer Meinung und mit einer Haltung, die er zu vertreten wusste und zu verantworten bereit war. „Diese Courage fehlt in den Kommentarspalten der neuen Medien vielfach“, sagt Alexander Bosch. „Wenn man einer Person in die Augen schaut, passieren viel weniger verbale Entgleisungen als dies in der Anonymität des Internets der Fall ist“. Hierauf souverän zu reagieren, ist Gegenstand der Fortbildungen, die der studierte Sozialwissenschaftler der-zeit entwickelt und vorbereitet. Der Projektleiter ist auch als Ratgeber und Experte zum Thema ansprechbar. Denn Demokratie heißt mitzumachen und sich gestaltend einzu-bringen. Davon und dafür leben wir.

BENJAMIN KUMMER

Alexander Bosch leitet das Diakonie-Projekt „Demokratie gewinnt! In Brandenburg!“Foto: Diakonie Berlin-Brandenburg/ Nils Bornemann

„Wenn man einer Person in die Augen schaut, passieren weniger verbale Entglei-sungen als in der Anonymität des Internets.“ Alexander Bosch, Projektleiter

„Demokratie gewinnt! In Brandenburg!“ KONTAKT:Alexander BoschProjektleitung „Demokratie gewinnt! In Brandenburg!“Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische OberlausitzTelefon: 030 820 97 254E-Mail: [email protected]

Demokratie gewinnt gegen Hate Speech:

SOZIALE MEDIEN SIND OFT UNSOZIAL

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Frauen 98 Frauen

Während ich mit Halwa rede, knackt sie immer wieder mit ihren Fingerge-lenken. Sie wirkt ruhig und bedacht, stark und selbstbewusst. Doch das Knacken offenbart ihre innere An spannung. Kein Wunder, denn beim Eintauchen in ihre Vergangen-heit geht es ans Eingemachte. Sie nennt sich Halwa, „wie die Süßig-keit“, sagt sie und lächelt. „Ich bin eine in Berlin geborene Palästinen-sischstämmige“, erklärt sie ihren Hintergrund. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen, sie hat Angst, dass ihre Familie sie erkennen und finden könnte. Vor neun Jahren ist Halwa aus ihrer Familie geflohen und lebt seither ohne Kontakt zu Mutter, Vater und der jüngeren Schwester. Sie wollte ein neues Leben beginnen, ihr eigenes.

Flucht vor Gewalt, Enge und ZwängenIm Zusammenhang der aktuellen Flüchtlingsthematik vergisst man schnell, dass es auch vermeintlich

„kleinere“ Fluchten gibt. Vor Zwangs-heirat zum Beispiel, vor der Verschlep-pung ins Herkunftsland oder – wie bei Halwa – vor häuslicher Gewalt. Halwa ist 18 als sie aus ihrer Berliner Familie flieht. „Ich bin abgehauen“, sagt sie, während sie davon erzählt, dass ihr Vater sie schon als kleines Mädchen geschlagen und ihr Leben einge-schränkt hat. Schon zu Grundschul-zeiten will sie der Gewalt, der Enge und den kulturellen und religiösen Zwängen entkommen, doch sie sorgt sich um ihre kleine Schwester. Und bleibt. Sie erduldet, dass die Regeln, die ihr Vater vorgibt, immer schmerz-hafter werden. Sie darf außer Haus nicht lachen, feiern, oder ins Kino gehen, keine Freunde treffen, von Rauchen, Schminken oder einem Freund ganz zu schweigen.

Zufluchtswohnung für acht MädchenNach ihrem 18. Geburtstag fühlte sie: Es ist Zeit zu gehen. Eine Lehrerin ihres Gymnasiums empfiehlt ihr Papa-

tya, eine Berliner Kriseneinrichtung für Mädchen und junge Frauen mit Migra-tionshintergrund. Mit einem Nachbarn plant sie die Flucht, gibt vor, auszu-misten. Doch statt dem, was weg soll, packt sie all das in Müllsäcke, was sie mitnehmen will. Einiges deponiert sie beim Nachbarn. Er fährt sie damit zur Schule. Dort wird sie von Papatya abgeholt. Nach der Flucht wohnte sie drei Monate in der Obhut von Papatya in deren Zufluchtswohnung, einer 230-Quadratmeter-Altbauwohnung. Hier findet sie Schutz und Anonymität. Die Adresse ist geheim. Besuch darf nicht hinein. Auch ihre Handys müssen die Mädchen, die bei Papatya eine Heimat auf Zeit finden, abgeben, damit man sie nicht orten kann. Für Halwa kein Problem, denn so entkam sie auch der ständigen telefonischen Kon-trolle ihres Vater, erzählt sie. Acht junge Frauen können in den vier Zimmern mit großem Wohnzimmer, Wohnküche und drei Bädern unterkommen. Die zehn Mitarbeiterinnen von Papatya

haben dort auch ihre Büros. Jedes Mädchen, das bei Papatya Zuflucht findet, wird von einer Sozialpädagogin betreut, erklärt Eva Kaiser, seit über 20 Jahren Leiterin von Papatya. „Seit der Gründung 1986 haben wir uns um mehr als 1.850 Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund gekümmert. Etwa 60 nehmen wir pro Jahr auf. Zudem macht unsere Tele-fon- und Online-Beratung Sibel jedes Jahr ca. 500 Beratungen“, erläutert Kaiser. Halwa erinnert sich gerne an die Zeit in der Zufluchtswohnung. „Ich weiß noch genau, wie ich von den anderen begrüßt wurde, als ich ankam. Sie stellten sich mir vor und fragten sofort ‚Bist du noch Jungfrau, rauchst du?‘“ Fragen, die das Spektrum der Enge und Zwänge umreißen, aus dem sie ausbrechen wollen. Bei Papatya fing ihr Leben endlich richtig an, sagt sie: „Wir haben viel gelacht, getanzt, gekocht, gegessen und uns gemein-sam die Beine enthaart. Und wir haben auch miteinander geweint“.

Vorbilder sind wichtigAls Halwa ging war sie 18, heute ist sie 27 und lebt in einer WG. Das Abi hatte sie vor den Prüfungen geschmissen. Jetzt ist sie – nach Praktika und Hospi-tanzen am Theater und einer Ausbil-dung als TV- und Radiomoderatorin – auf einer Schauspielschule und freut sich, bald auf der Bühne zu stehen. Sie möchte aber mehr: Drehbuch studie-ren. Fatih Akin ist ihr Vorbild. So wie sie auch die Betreuerinnen von Papa-tya als Vorbilder sieht. Mädchen, die einen Weg wie sie suchen, raus aus der Enge, weg von Gewalt, gibt sie den Tipp „Suche dir Vorbilder, das hilft dir, dein Leben zu finden“.

BIRGIT WEICHMANN

DIE KONTAKTAUFNAHME ZU PAPATYA ERFOLGT ÜBER:

JugendnotdienstMindener Straße 1410589 Berlin-CharlottenburgTelefon 030 610 062

MädchennotdienstTelefon 030 610 063

und/oder die zuständigen Jugendämter der Bezirke

oder per E-Mail: [email protected] oder [email protected]

Es gibt auch eine anonyme Online-Beratung zu Zwangsheirat, Schutz vor familiärer Gewalt und Gewalt im Namen der Ehre: www.sibel-papatya.org

Rauchen als Befreiung: Eine Zigarette zu rauchen, das ist etwas, was Halwa in der Enge ihres durch kulturelle Zwänge be-schränkten früheren Lebens nicht durfte. Fotos: Birgit Weichmann

Anonyme Kriseneinrichtung für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund:

BIST DU NOCH JUNGFRAU UND RAUCHST DU?

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Integration 11

Mit dem Projekt „Jobbrücke für Gefl üchtete“ verfolgt das Diakoni-sche Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz das Ziel, die berufl iche Erstintegration von Neuzuwander*innen zu verbessern. Ehrenamtliche Pat*innen unterstüt-zen gefl üchtete Menschen bei der Suche nach Praktika, Ausbildungs-plätzen und/oder Arbeit. Das Projekt kann Türen öffnen. Hindurchgehen müssen die Gefl üchteten selbst.

Mohamad ist 24 Jahre alt und kam im Sommer 2015 nach Deutschland: „In Syrien hatte ich gerade vier Semester Jura studiert, als ich vor dem Militär fl iehen musste.“ Nach mehreren Stati-onen landete er in einer WG in Berlin-Steglitz. Die Vermieterin empfahl ihm den Kontakt zur Initiative Arbeit durch Management/Patenmodell. Hier traf er auf seinen Mentor Dr. Fadel Arnaout. Der promovierte Biologe hat schon immer andere ehrenamtlich unter-stützt, die Hilfe brauchen. Arnaout ist gebürtiger Charlottenburger, sein Vater stammt aus Afrika: „Ich durfte studie-ren und habe eine gute Bildung genos-sen. Meine derzeitige Arbeitssituation erlaubt es mir, etwas abzugeben von meiner Zeit und meinem Wissen.“

Mentor und Mentee müssen mit-einander harmonieren „Wir hatten sofort eine Vertrauense-bene. Ich weiß wie Mohamad fühlt, kenne seinen kulturellen Hintergrund“, sagt Arnaout. Die beiden sprechen nicht nur über die berufl iche Zukunft, sondern auch über das Leben, über Syrien, über Deutschland. In Syrien gibt es keine Bewerbungsbürokratie wie in Deutschland, dort gibt es zum Beispiel keine Vorstellungsgespräche. Also üben sie Vorstellungsgespräche, jeder simuliert mal den Chef.

Mohamad hat viele Talente und Interes-sen. Er spricht arabisch und englisch fl ießend, deutsch nach zwei Jahren schon erstaunlich gut. „Ich habe viel Glück gehabt“, sagt er bescheiden. „Er hat aber auch selbst viel dafür getan“, meint sein Mentor stolz: „Mohamad zieht alles ohne Klagen durch. Das ist wirklich bewundernswert.“

Stärken erkennen und fördernZahntechniker und eine Tätigkeit bei der Rentenversicherung kamen in die engere Auswahl. Herr Arnaout hat den Erstkontakt zu einem Zahnlabor herge-stellt. Das zweite Telefonat und das Vorstellungsgespräch hat Mohamad dann ganz allein bewältigt. Er denkt in kleinen Schritten und freut sich über ein Praktikum beim Zahntechniker.

Alle angefragten Unternehmen haben ein Interesse an Mohamad bekundet. Vielleicht kann er ja schon bald einen Ausbildungsvertrag unterschreiben. Dann wäre die Zusammenarbeit formal eigentlich beendet, doch Mohamad und sein Mentor Fadel Arnaout haben sich schon jetzt zu einem syrischen Kochen und Essen verabredet.

BIRGIT COLDEWEY

Das Projekt wird gefördert durch:

In der Zwischenzeit hat Mohamad einen Ausbildungsvertrag bei der Ren-tenversicherung Bund unterschrieben. Es handelt sich um eine Einstiegsquali-fi kation. Dem schließt sich eine Ausbil-dung zum Sozialversicherungsfachan-gestellten oder Fachinformatiker an. Das wird dann nach der Qualifi kation entschieden.

Jobbrücke für Gefl üchtete:

HILFE ZUR SELBSTHILFE

KONTAKT:Fabian KießlingProjekt „Jobbrücke für Gefl üchtete“, Initiative Arbeit durch Management/Patenmodell Telefon: 030 922 135 73E-Mail: [email protected]: www.diakonie-portal.de/jobbruecke-fuer-gefl uechtete

Mentor Fadel Arnaout plant mit seinem Mentee Mohamad die nächsten Schritte im Bewerbungsprozess.

10 Standpunkt

bittert, gar nicht. Aber sie beschreibt die Einschränkungen und Belastungen sehr genau. „Es war hart: Keine Extras, kein Urlaub, keine Fort-/Weiterbildung, keine Gäste, keine Feste, keine Hochkultur, keine Investitionen in eine Zukunft … nur das reine Überleben war notdürftig gesi-chert. Es wurde immer schwieriger, die Verarmung zu kaschieren. In den Eltern-rat gewählt, waren die obligatorischen Sammlungen für Blumensträuße etc. für mich schon echte Opfer. Bei Sitzungen bestellten alle Wein, ich nur Wasser. Kleidung war sorgfältig zu pfl egen, zu reparieren und geschickt auszuwählen. Eine fahrradtaugliche Regenjacke haben meine Tochter und ich uns geteilt.“

Ich fi nde es sehr gut, dass Almut Hische ihre Erfahrungen öffentlich macht und damit den Finger in die Wunden legt. Aus den Erfahrungen der Betroffenen zu lernen und dafür zu sorgen, dass sie selbst zu Wort kommen, ist das Prinzip der Nationalen Armutskonferenz (NAK). Derzeit bin ich für die Diakonie für zwei Jahre Sprecherin dieses Bündnisses aus Verbänden und Betroffenen. Aus Erfah-rungen und wissenschaftlichen Erkennt-nissen formulieren wir fundierte Forde-rungen. Frauen der NAK haben eine Broschüre erarbeitet, die die vielen Facetten der Armutsrisiken aufzeigt. Ich kann sie sehr zum Lesen empfehlen: www.nationale-armutskonferenz.de/nak_armutsrisiko-geschlecht

BARBARA ESCHENDirektorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V.

„Meine Geschichte gleicht einem Sink-fl ug ins soziale Abseits. Lange wollte ich es nicht wahrhaben – aber letzt-endlich war ich in der Armutsfalle gelandet … ich bin 73 Jahre alt und von Altersarmut betroffen.“ Mit diesen Worten beginnt Almut Hische ihr State-ment bei einer Pressekonferenz der Nationalen Armutskonferenz. Nach dem Abitur hat sie lange in Teilzeit und in befristeten Jobs gearbeitet, ihre Mut-ter gepfl egt und eine Tochter allein groß gezogen. Wegen der Kindererziehung ist sie nicht richtig wieder in den Beruf zurückgekommen. Sie hat von Kran-kengeld, Arbeitslosengeld und schließ-lich von Hartz IV gelebt und bezieht nun auf diesem Niveau Rente. Sie ist froh, dem Dauerdruck des Jobcenters entkommen zu sein. Almut Hisches Lebensweg zeigt viele Gefahren auf, die auf Frauen mit Armutsrisiko lauern.Viele teilen ihre Erfahrungen. An ihnen lässt sich ablesen, welche Verände-rungen wir in unserer Gesellschaft brauchen und die ich gerne im Koaliti-onsvertrag sehen würde:

• verlässliche Ganztagsschulen und gute Kitas

• gute Arbeit mit einem auskömmlichen (Mindest)-lohn für Männer und Frauen

• gerechte Verteilung und Anerkennung der Sorgearbeit

• eine Kindergrundsicherung, die alle Kinder gut ausstattet und ihnen Bildung sichert

• Steuergesetze, die Eltern und Kinder statt der Ehe begünstigen

Was mich an Almut Hische am meisten beeindruckt hat? Sie klingt nicht ver-

WIR MÜSSEN AUS DEN ERFAHRUNGEN DER BETROFFENEN LERNEN

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Frauen 1312 Frauen

ten oft in Teilzeit und setzen im Job häufi ger aus. Typische „Frauenberufe“ im Sozial- und Gesundheitsbereich und in haushaltsnahen Dienstleistungen werden deutlich schlechter bezahlt als vergleichbare technische Berufe, die männer-dominiert sind. Frauen haben noch immer schlechtere Auf-stiegschancen und sind seltener in Führungspositionen.

Was muss sich ändern? Weller: Zum einen müssen sich die Strukturen ändern. Fami-lien müssen durch Individualbesteuerung und Kindergrundsi-cherung unterstützt werden. Das Ehegattensplitting gehört abgeschafft. Betreuungs- und Pfl egezeiten müssen stärker bei Rentenansprüchen berücksichtigt werden. Wir brauchen eine verbesserte Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen, bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Pri-vatleben und Beruf, fl exiblere Modelle der Arbeitsgestaltung und ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Überwiegend von Frauen ausgeübte Berufe wie Erzieherin oder Verkäuferin müssen besser bezahlt und der Niedriglohnsektor muss ein-gedämmt werden.

Zum anderen muss es auch ein gesellschaftliches Umdenken geben: Hausarbeit und die Versorgung der Kinder ist nicht allein Frauensache. Eine stärkere Beteiligung von Männern an der Sorgearbeit muss gefördert werden. Schon von Geburt an gibt es Zuschreibungen nach Geschlecht: Rosa für Mädchen, Blau für Jungen. Auch bei der Berufsorientierung braucht es eine Überwindung von Rollenklischees zugunsten individueller Begabungen. Und: Interessanterweise hat das Wort „Rabenmutter“ in anderen europäischen Sprache keine Entsprechung.

Welche Angebote bietet die Diakonie für Frauen? Weller: Als Diakonie-Landesverband setzen wir uns politisch für die Gleichstellung von Frauen und Männern, für Ausbau und Erhöhung von Mindestlöhnen und die Eindämmung von prekärer Beschäftigung ein. Unsere Träger und Einrichtungen helfen Frauen dabei, ihre Rechte durchzusetzen, neue Per-spektiven zu entwickeln und ihr Potenzial zu entfalten. Aber die Diakonie hat natürlich als Arbeitgeberin auch Vorbildfunk-tion und muss mit gutem Beispiel voran gehen.

Das Interview führte BIRGIT COLDEWEY

Diakonie-Fachfrau im Interview:

DIE ARMUT IST NOCH IMMER WEIBLICH

Susanne Weller leitet den Arbeitsbereich Existenzsicherung und Integration im Diakonischen Werk. Foto: Diakonie Berlin-Brandenburg/Nils Bornemann

HELFEN SIE DER BERLINER KÄLTEHILFE!

NEUE KÄLTEHILFE-APP

Vom 1. November 2017 bis 31. März 2018 bieten evangelische und katho-lische Kirchengemeinden sowie Ein-richtungen von Diakonie und Caritas bereits im 28. Jahr obdachlosen Men-schen eine Übernachtung im Warmen. Das erweiterte Angebot der Berliner Kältehilfe mit Not übernachtungen, Arztpraxen, Beratungsstellen und Tagesstätten ist mit den Jahren immer größer geworden. Die neue von der GEBEWO initiierte Kältehilfe-App soll besorgten Bürger*innen, Streetwor-kern und Beratungsstellen auch mobil eine bessere Orientierung ermögli-chen. Laden Sie sich die App auf Ihr Handy! Für alle Fälle.www.kaeltehilfe-berlin.de

Wie ist es um die Gleichstellung von Frauen und Männern bestellt? Susanne Weller: Die wirtschaftliche, politische und soziale Gleichstellung von Frauen und Männern ist noch lange nicht verwirklicht. Zwar haben wir eine Bundeskanzlerin und viele profi lierte, erfolgreiche Frauen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen nach wie vor in Führungsposi-tionen unterrepräsentiert sind und ein höheres Armutsrisiko tragen. Das beruht zum Teil zwar auf persönlichen Entschei-dungen, es gibt aber auch viele strukturelle Rahmenbedin-gungen, die Ungleichheit begünstigen.

Welche Rahmenbedingungen sind das? Nennen Sie ein paar Beispiele. Weller: In Deutschland orientiert sich das Familienmodell noch immer am Mann als Haupternährer. Das drängt die Frau in die Zuverdienerrolle. Steuerliche Begünstigungen dieses Modells – das Ehegattensplitting- und fehlende Kinderbetreu-ung führen dazu, dass Frauen seltener berufstätig sind, häu-fi g in Teilzeit arbeiten und den überwiegenden Teil der unbe-zahlten Sorgearbeit in der Familie übernehmen, zum Beispiel Kinder und pfl egebedürftige Angehörige betreuen. Nach Trennung und Scheidung sind Frauen deshalb einem erhöh-ten Armutsrisiko ausgesetzt und von Altersarmut bedroht.

Das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern hat sich zwar etwas verringert. Weibliche Beschäftigte bekom-men im Durchschnitt aber noch immer 21 Prozent weni-ger als ihre männlichen Kollegen. Warum ist das so? Weller: Frauen sind häufi ger prekär beschäftigt, häufi ger im öffentlichen Dienst tätig als in Hochlohnbranchen. Sie arbei-

Das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. und seine Mitgliedsorganisationen treten für die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen ein. Susanne Weller leitet seit zwölf Jahren den Arbeitsbereich Existenzsicherung und Integration, zu dem auch frauenspezifi sche Ange-bote gehören, wie Hilfe und Schutz für von Gewalt betrof-fene Frauen und ihre Kinder, für Migrantinnen und gefl üchtete Frauen sowie Alleinerziehende. Die Diakonie unterstützt wohnungslose Frauen und Frauen in der Pro-stitution. Diakonie für Sie sprach mit Susanne Weller über Gleichstellung, Lohngefälle und Rollenklischees.

Illustration: Karo Rigaud

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Berlin, Neukölln/Rixdorf. In der Mitte des Richardplatzes steht ein weißes Haus mit grünen Fensterläden. Wein-ranken schlängeln sich an der Haus-wand entlang. Am Dach ist ein rosa Schild, darauf steht: „Frauenzentrum affi damento“. Die Haustür ist geöff-net. Die Atmosphäre ist einladend und gemütlich. Eine Kreidetafel vor dem Eingang preist an: „Heute Cooking mit Damian. Von Frauen für Frauen und Trans-Personen“. An diesem Nachmittag gibt es Kar-toffelaufl auf und Salat aus gerette-ten Lebensmitteln.

Frauen jeglichen Alters, Bildungs-stands und Herkunft fi nden bei affi -damento Hilfe Drinnen sitzen zehn Frauen um den Tisch im Café des Zentrums. Frauen unterschiedlichen Alters und unter-schiedlicher Herkunft. Was sie vereint: Die Wohnungslosigkeit. „Viele Men-schen glauben, dass man in Deutsch-land nur im Extremfall wohnungslos werden kann“, sagt affi damento-Geschäftsführerin Heike Regulin. „Aber es kommt leider öfter vor, als man denkt.“ Sie erzählt, dass Frauen jegli-chen Alters, Bildungsstands und Her-kunft bei affi damento Hilfe suchen. Viele von ihnen haben Kinder und befi n-den sich in einer sehr schwierigen Situ-ation: Die Sozialarbeiterinnen bezeich-nen diese Situation als Wohnungsnotfall. „So ein Notfall tritt oft nach einer Tren-nung ein. Oder nach Gewalterfah-rungen und Verschuldung“, so Sozialar-beiterin Regulin. „Manche Frauen verlassen von jetzt auf gleich fl uchtartig das Haus. Sie nehmen nur das Nötigste mit und kommen erst einmal bei Ver-wandten oder Freunden unten.“ Das ginge eine Weile gut. Doch irgendwann wissen sie nicht mehr weiter.

So erging es auch der 37-jährigen Angela Perez. Nachdem sie aufgrund der Wirtschaftskrise in Spanien ihren Job als Sozialhelferin und ihre Wohnung

verloren hatte, ging die gebürtige Peru-anerin mit ihrer 15-jährigen Tochter zu ihren Cousins nach Berlin. „Das war eine richtig schwere Entscheidung“, sagt Perez mit Tränen in den Augen. In Berlin lief erst einmal alles so wie ge -plant: Perez und ihre Tochter lebten bei den Verwandten. Sie engagierte sich ehrenamtlich bei der AWO, bekam danach einen Minijob, den ihre Kranken-kasse bezahlte. Doch dann kam es zwi-schen ihr und ihren Cousins zum Streit. Perez und ihre Tochter mussten auszie-hen und bekamen einen Platz in einer von Berlins Notlösungen für Wohnungs-lose: Fast ein Jahr lang lebte sie mit ihrer Tochter in einem Zimmer in einer Pension. Ohne eigene Küche und ohne eigenes Bad. Gleichzeitig erkrankte ihre Tochter an einer Schwermetallvergif-tung und entwickelte depressive Züge. „Ich hatte wahnsinnige Angst und habe mich sehr hilfl os gefühlt“, so Perez.

Stephanie Schlör leitet das Frauen-zentrum am Richardplatz und weiß: „Weil es so wenige freie Wohnungen in Berlin gibt, bleiben die Frauen in diesen Übergangslösungen häufi g viel zu lange“. Auf der Straße landeten nur die wenigsten wohnungslosen Frauen. „Sie könnten dort gar nicht überleben“, so Schlör.

affi damento unterstützt und stabili-siert die Frauen ganzheitlich Eine Freundin machte Angela Perez irgendwann auf das Angebot von affi -damento aufmerksam. „Das war mein großes Glück“, so sagt sie. Die Sozial-arbeiterinnen von affi damento halfen ihr dabei, eine Wohnung zu fi nden. „Es war ein langer Kampf mit dem Sozial-amt“, so Stephanie Schlör, die schon hunderte von Frauen begleitet hat.

Seit drei Monaten wohnt Angela Perez nun mit ihrer Tochter in einer eigenen Wohnung. „Langsam regenerieren wir uns wieder“, sagt sie. Ein Darlehen für die Kaution, Möbelausstattung, Job-

suche – die Arbeit ende nicht nachdem eine Wohnung gefunden sei, erklärt affi damento-Leiterin Schlör. „Wir verfol-gen einen ganzheitlichen Ansatz und unterstützen die Frauen auch dabei, sich nach der Erfahrung der Wohnungs-losigkeit wieder zu stabilisieren und Kontakte zu anderen Frauen zu knüp-fen.“ Deshalb bietet das Frauenzentrum neben den Beratungen auch Aktivitäten wie das gemeinsame Essen und Sprach-, Mal- und Kinderkurse an.

Am Essenstisch geht es heute um feh-lende Kita-Plätze. Aber auch um Musik. Die Stimmung ist gelassen. Es wird viel gelacht. Trotz der individuellen Schick-sale der Frauen. Es scheint, als könnten die Frauen ihre Wohnungsnot hier für einen Moment vergessen.

DANIELA SINGHAL

Frauen 1514 Frauen

Besuch im Frauenzentrum affi damento in Berlin-Neukölln:

KEINE WOHNUNG, KEIN GELD UND KEIN JOB

ÜBER AFFIDAMENTO Die affi damento gGmbH wurde 2007 gegründet. Ziel ist es, Frauen in besonderen Lebenslagen oder mit besonderen Schwierigkeiten dabei zu unterstützen, ihre Rechte durchzusetzen und handlungsfähiger zu werden. Für die Beratung bei affi damento müssen die Frauen nichts bezahlen. Sie müssen jedoch einen Antrag beim Sozialamt stellen. Das Sozialamt übernimmt die Kosten, wenn die sozialrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Mitarbeiterinnen von affi damento engagieren sich zudem auf der Berliner Landesebene für die Belange benachteiligter Frauen in unterschiedlichen Arbeitsgruppen und sind Mitglieder verschiedener Initiativen und Netzwerke.

Oben: Einladend: Das Frauenzen-trum von affi damento hat seine Türen

für Frauen jeglicher Herkunft und Alter geöffnet. Unten: Einmal in der Woche lädt das Frauenzentrum zu

einem kostenlosen Mittagessen ein. Fotos: Daniela Singhal

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Theologischer Beitrag 1716 Ehrenamt

entstanden. Stöbern Sie einmal (zum Beispiel unter www.frauen-und-reforma-tion.de). All diesen Frauen sind männlich dominierte Weltbilder entgegengehalten worden und als Gegenbilder sind ihnen die Geschichten über Frauen in der Bibel in den Sinn gekommen. So konnten sie nach dem reformatorischen Prinzip „allein die Schrift“ begründen, warum Frauen Aufgaben übernehmen, Kirchen-ordnungen erlassen und predigen sollen.

Durchgesetzt hat sich das lange nicht, aber als in der Mitte des 19. Jahrhun-derts die Frauenberufe entstanden, waren die Frauen der Diakonie ganz vorn mit dabei: Endlich wieder öffnete sich eine Tür für Frauen, die sich jenseits oder verbunden mit häuslichen Tätig-keiten gesellschaftlich betätigen und auf eigenen Füßen stehen, aber trotzdem in Gemeinschaft leben wollten.

Frauen tragen immer wieder dazu bei, die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. Und da geht es auch unter Frauen um Auseinandersetzungen. Das kennt schon die biblische Hanna aus dem Ersten Testament.

MAGDALENA MÖBIUS

„Der Bogen der Starken ist zerbro-chen, und die Schwachen sind umgür-tet mit Stärke. Die da satt waren, müs-sen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfrucht-bare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin.“ (Lied der Hanna, 1. Samuel 2, 4-5)

Einer Frau geht ein altes Gebet durch den Kopf, der vielleicht 14-jährigen Maria aus Nazareth, die ohne feste Bindung an ihren Mann Joseph schwanger geworden ist und im Gespräch mit einem Engel „Ja“ dazu gesagt hat. Sie besucht ihre Cousine Elisabeth, die wiederum überraschend spät noch ein Kind bekommen soll. Kein Wunder, dass Maria dieses Gebet aufgreift, das davon erzählt, dass in der Welt alles ganz anders werden kann. Das Lied einer Frau, die im hohen Alter noch schwanger gewor-den ist.

Bei Maria klingt es so: „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt Gott mit Gütern und lässt die Reichen leer aus-gehen.“ (Lukas 1, 52-53) Das Lied der Maria, auch bekannt unter seinem Lateinischen Beginn „Magnifi cat“.

In diesem Jahr haben wir nach den Frauen der Reformation gefragt und viele spannende Frauen dieser Epoche entdeckt, auch Frauen, die davor und danach dazu beigetragen haben, dass Kirche und Gesellschaft sich ver-änderten. Ausstellungen, Bücher und umfangreiche Internetseiten sind

FRAUEN VERÄNDERN RELIGION UND GESELLSCHAFT

Magdalena Möbius, landeskirchliche Pfarrerin für Frauenar-beit der Evangelischen Kirche Berlin-Bran-denburg-schlesische OberlausitzFoto: AKD/Radloff

Nach zehn Jahren gemeinsamer Arbeit gab es allen Grund zur Freude: Heute engagieren sich im Programm „Patenschaft im SchulAlltag“ (PiSA) 189 Ehrenamtliche an 24 Standorten. Es war also ein toller Anlass, der am 7. Oktober viele der ehrenamtlichen Patinnen und Paten in die St. Bartholomäus-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg führte.

Dialog zwischen den GenerationenBegonnen hat alles 2007 mit einem Aufruf im Berliner Tagesspiegel. Als gemeinsame Initiative des Diakonischen Werkes und der Evangelischen Schulstiftung wurde ein Projekt ins Leben gerufen: Ehrenamtliche Helfer*innen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Lebenserfahrungen gehen in Schulen und arbeiten familien- und pädagogenun-terstützend: Sie sind im Bibliotheksdienst tätig, leiten die Theater-AG oder helfen bei den Hausaufgaben. Kinder erfahren Unterstützung, Schulen öffnen sich und ein Dialog zwischen den Generationen entsteht.

Sven Kordus hat sich als erster bei der damaligen Steglitzer Schulleiterin Marie-Rose Zacher gemeldet und ist – wie auch Frau Zacher – bis heute mit dabei. In den vergange-nen zehn Jahren hat der rüstige Rentner schon viele Schüler*innen mit seiner fröhlichen Art begeistert. „Ich betreue auch einen Legastheniker: Mit dem habe ich jeden Tag gelesen, am Abend per Telefon. Dann hat mir die Mutter gesagt: ´Was Sie in einem Jahr geschafft haben, das hätte ich nicht in fünf Jahren alleine geschafft!` Das hat mich unheimlich gefreut.“

Die Pat*innen haben individuelle Fachkenntnisse und begeistern die Schüler*innen dafürSo vielfältig die Aufgaben, so unterschiedlich sind auch die Paten; von 18 bis 88 Jahren; darunter auch der 38-jährige Reda Mathla, ein gefl üchteter Lehrer aus Homs in Syrien. Heute unterstützt er den Französischunterricht und lernt dabei selbst noch besser deutsch. Gerne möchte er auch hier als Lehrer arbeiten, er studiert daher wieder. Ein ande-rer Pate ist Schiffsbauer und restauriert in Neuruppin gemeinsam mit den Schüler*innen der dortigen Schule ein altes Boot. Er bringt seine Fachkenntnis ein und begeistert die Kinder für ein altes Handwerk.

Inzwischen sind viele der ehrenamtlichen Schulpaten zu einem wichtigen und selbstverständlichen Teil der beteilig-ten Schulen geworden. Und so macht es den Eindruck, dass es nicht bei den – schon heute imposanten – 24 Schulen und 189 Paten bleiben wird.

BENJAMIN KUMMER

Evangelische Schulstiftung feiert zehn Jahre Engagement:

VON PAUKERN UND PATEN

WAS IST IHRE STÄRKE?NEUE PAT*INNEN WERDEN DRINGEND GEBRAUCHT!

KONTAKT:Marie-Rose ZacherTelefon: 030 243 44 458E-Mail: [email protected]

CHARISMA – Die Freiwilligenagentur von Kirche und DiakonieFriederike von BorstelTelefon: 030 440 308 142E-Mail: [email protected]: www.charisma-diakonie.de

(V. l.) Christina Lier, Kaufmännischer Vorstand der Evangelischen Schulstiftung in der EKBO, Diakoniedirektorin Barbara Eschen, Christina Rösch, Oberschulrätin i. R. und Mitglied des

Kuratoriums der Evangelischen Schulstiftung in der EKBO, Marie-Rose Zacher, Koordinato-

rin des Projektes Patenschaft im SchulAlltag (PiSA) mit einer Gruppe von Schulpat*innen

aus Cottbus. Foto: Christoph Eckelt/BILD-MITTE – Büro für Fotografi e und Gestaltung

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Brot für die Welt 1918 Brot für die Welt

„ihre“ Dörfer ab, um in schwierigen Fällen und bei Konflikten mit den alteingesessenen Autoritäten zu helfen, erklärt Fazila Akter. Die 43-Jährige ist für die Region Kalihati zuständig, zu der auch Mongilas Dorf gehört. In der ganzen Gegend kennt man die Frau, die alle einfach „Lily“ nennen. Heute ist sie bei dem Prozess in Agcharan zu Besuch. Mongila hat ihre Aus-führungen beendet, nun ist ihr Mann an der Reihe: „Meine Eltern haben Schulden. Sie haben Druck auf mich ausgeübt, Geld von meiner Frau zu beschaffen.“ Ein Schlichter erhebt sich: „Hast du deine Frau vor der Heirat kennengelernt?“, will er von dem Angeklagten wissen. Der nickt. „Hat sie dir gefal-len?“, wieder ein Nicken. „Warum stehst du dann nicht zu ihr? Sei ein Mann, verteidige sie!“ Zustimmendes Raunen ist zu hören. „Erst müssen wir doch klären, was die beiden eigentlich wollen“, schaltet sich eine andere Schlichterin ein. Sie wendet sich an Mongila: „Willst du, dass dein Mann dich zurücknimmt?“ „Ja“, lautet ihre Antwort. „Und du?“, fragt sie Mongilas Mann. Der blickt in Richtung Boden und murmelt: „Das müssen meine Eltern entscheiden.“ Ein weiteres Sha-lish-Mitglied meldet sich zu Wort: „Heutzutage trennt man sich wegen jeder Kleinigkeit. Dabei gehören Mann und Frau doch zusammen. Junge und unerfahrene Leute wie ihr sollten sich Rat und Hilfe bei uns Erfahrenen holen.“

„Ich habe euren Rückhalt, das macht mir Mut“Ein paar Tage sind vergangen. Lily hat sich erneut auf den Weg gemacht, diesmal besucht sie Mongila zu Hause. „Du siehst verändert aus“, sagt sie zur Begrüßung, „fröhlicher als neulich.“ Mongila nickt und antwortet: „Selbst wenn Afa-nul sich am Ende von mir scheiden lässt, weiß ich, dass ich wenigstens mein Geld zurückbekomme. Ich habe euren

Rückhalt, das macht mir Mut.“ Lily sieht ihre Stunde gekommen: „Möchtest du auch mal zu einem Gruppentref-fen kommen?“ – „Aber ich habe doch keine Ahnung von Gesetzen und diesen ganzen Sachen.“ – „Das ist nicht wichtig. Was zählt ist, dass du dir nicht alles gefallen lässt. Frauen wie dich brauchen wir, als Augen und Ohren der Gerechtigkeit.“

SARA MOUSLYFotos: Jörg Böthling

Wie aufgeregt sie gewesen war! Ihre Tante hatte ihr Stirn und Hände mit Henna bemalt, die Mutter ihr die goldenen Ohrringe ihrer Großmutter übergeben. Ihr Bräutigam hatte ihr den traditionellen Hochzeitssari gebracht, ein rotseidenes Gewand mit goldfarbener Borte und aufwendigen Sticke-reien. So ein wertvolles Kleidungsstück hatte sie noch nie besessen. Ein Jahr später, im „Beschwerdezentrum“ des wenige Kilometer entfernten Dorfes Agcharan, sieht die 16-jährige Mongila Khatun ihrem Ehemann Afanul nicht ein-mal mehr in die Augen. Ihr Mann, 21 Jahre alt, schlank, mit ernstem Blick, sitzt weit von ihr entfernt im hinteren Teil des Raums. Mongila steht auf und erzählt ihre Geschichte: „Für die Mitgift hat meine ganze Familie zusammengelegt. Aber meinem Mann war das nicht genug. Kurz nachdem ich in das Haus seiner Eltern gezogen war, sollte ich das Stückchen Land verkaufen, das ich von meinem Vater geerbt habe. Aber dort lebt doch meine Mutter.“ Als sie sich weigerte, habe er sie geschlagen, sie schließlich aus dem Haus gejagt.

Der Druck auf die Frauen ist enormMillionen bengalischer Frauen haben diese oder eine ähnliche Geschichte bereits erleben müssen. Die Mitgift-

forderungen betragen in der Regel das Drei- oder Vierfache eines Monatsgehalts. Der Druck, den Schwiegereltern und Ehemänner ausüben, ist enorm. Oft schrecken sie nicht einmal vor Gewalt zurück. Sogar Morde werden an jungen Ehefrauen verübt, die nicht genügend Geld zusammenbe-kommen. Wer etwas mehr Glück hat, wird verstoßen, ohne bereits bezahltes Geld zurückzuerhalten. Bei den „Shalishs“, den traditionellen Schlichtungsräten, die auf dem Land zuständig sind für zivilrechtliche Angelegenheiten, finden Frauen nur selten Gehör. Es war eine Freundin von Mongilas Mutter, die ihr von Nagorik Uddyog erzählte und von dem Beschwerdezentrum, das die Menschenrechtsorganisation im Dorf Agcharan unterhält.

Faire SchlichtungenSeit fast 20 Jahren engagiert sich Nagorik Uddyog (übersetzt: Bürgerinitiative) für die Rechte von Armen und Ausgegrenz-ten, insbesondere Frauen. Die Reformierung der Shalishs spielt dabei eine zentrale Rolle. Mit finanzieller Unterstützung von Brot für die Welt sorgt die Organisation bereits in rund 360 Gemeinden Bangladeschs für faire Dorfschlichtungen. Regelmäßig klappern die Leiter*innen der Regionalbüros

AUGEN UND OHREN DER GERECHTIGKEITBangladesch. Frühe Hochzeiten, überzogene Mitgiftforderungen, häusliche Gewalt – in Bangladesch haben Frauen einen schweren Stand. Die Brot-für-die-Welt-Partner-organisation Nagorik Uddyog informiert sie über ihre Rechte, vermittelt in Konflikten und sorgt für faire Gerichtsverhandlungen.

Haben Sie Fragen zu Brot für die Welt? Dann wenden Sie sich gerne an: Christiane Albrecht Telefon: 030 820 97 203E-Mail: [email protected]: www.diakonie-portal.de/brot-fuer-die-welt

Sie möchten unsere Projekte im Bereich „Frauen“ unterstützen? Dann überweisen Sie bitte Ihre Spende mit dem Stichwort „Frauen“ auf folgendes Konto:Brot für die WeltIBAN: DE10 1006 1006 0500 5005 00BIC: GENODED1KDB

Links: Fazila Akter „Lily“ (rechts) berät in Rechtsfragen. Hier mit Rina Akthar, einer

23-jährigen Dorfbewohnerin. Oben: Verhand-lung: Mongila Khatun (16 Jahre) gegen Ehe-mann Afanul. Rechts: Meeting und Training

im Büro mit Juristin Aleya Begum.

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WEIHNACHTSWÜNSCHE Die Schr5 ftstellerin Luise Rinser beeindruckt

mich mit einer Geschichte aus ihrer Kindheit. Als 9chtjährige hielt sie das Christkind für allwissend, es könne

in ihr 11erz schauen und ihre Wünsche direkt fühlen und erfüllen. Für sie waren der biblische Jesus und das Christkind der Gesche8ke

eins. Inniglich dachte sie an ihren Weihnachtswunsch: eine kleine Schaufe4 mit Besen. Sicher würde das Chr3stkind verstehen. Was wir

schon wissen, für die kleine Luise war es unvorstellbar: schöne Geschenke lagen unter dem Baum – Schaufel und Besen nicht. Nachdem sie das ganze Weihnachtszimmer vergeblich abgesucht hatte, zog sie sich tief enttäuscht

zurück. S12umm und verschlossen spielte sie den Eltern das glückliche Kind vor. Innerlich war für sie nicht nur Weihnachten, sondern auch Jesus gestor-ben. Brav besuchte sie mit den Eltern die Christm2 tte. Wie versteinert saß

sie in der geschmückten Kirche, entschlossen, nie mehr damit zu tun haben zu wollen. Die Or6el erklingt, mit einer ihr vertrauten M7 lodie. Krampfhaft wehrt sie sich gegen die Musik, stemmt sich gegen die

aufkommenden Emotionen und wird zutiefst berührt. Ihre Ver -1ärtung schmilzt dahin, Weihna10hten ist da und erfüllt sie.

So wünsche ich auch Ihnen eine gute Adventzeit und ein frohes Weihnachtsfest.

BARBARA ESCHEN

Gesundheit-KrankheitNicht krank ist noch lange nicht gesund. Ein gebrochenes Bein heilt wieder. Aber auch sozial muss man sich wohlfühlen. In den letzten Jahren haben chronische und psychische Erkrankungen stark zugenommen. Alte Menschen oder Men-schen mit einer Behinderung sind nicht automatisch krank. Bei der Diakonie arbeiten viele Mitarbeitende daran, dass es Menschen besser geht. Im Schwer-punkt der nächsten Ausgabe beleuchten wir Aspekte des Themenkomplexes „Gesundheit-Krankheit“.

Helfen Sie mit Ihrer Spende.

Kontenübersicht

Diakonische AufgabenDiakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V.IBAN: DE18 1002 0500 0003 2019 00BIC: BFSWDE33BERBank für Sozialwirtschaft

Brot für die Welt – Evangeli-scher Entwicklungsdienst Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.IBAN: DE10 1006 1006 0500 5005 00BIC: GENODED1KDBBank für Kirche und Diakonie

Diakonie KatastrophenhilfeEvangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. IBAN: DE68 5206 0410 0000 5025 02BIC: GENODEF1EK1Evangelische Bank eG

Impressum Diakonie für Sie · Herausgeber: Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V., Paulsen-straße 55/56, 12163 Berlin · Telefon: 030 8 20 97-0 · Verantwortlich: Barbara Eschen · Redaktion: Birgit Coldewey · Gestaltung: W.A.F. · Druck: PieReg Druckcenter Berlin, gedruckt auf Papier aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung · Die Diakonie für Sie erscheint viermal im Jahr und wird auf Wunsch kostenlos zugestellt. · Alle bisher erschienenen Ausgaben der Diakonie für Sie fi nden Sie auch zum Herunterladen auf www.diakonie-portal.de · Die nächste Ausgabe erscheint am 25. März 2018. · Fotonachweis: Titel, Barbara Eschen © Diakonie Berlin-Brandenburg/Nils Borne -mann; Inhaltsverzeichnis: Geschäfts-führerin © Martin-Luther-Krankenhaus; Frau mit Zigarette © Birgit Weichmann; Brot für die Welt © Brot für die Welt/Jörg Böthling; S.6: Frau © Photographee.eu; S.12: Portmonee © Gina Sanders; S.17: Fenster © t0m15 S.20: Frau © Focus Pocus LTD; Kugel © MentalArt3 4 5 96 107 118 121

Lösungswort: 2

Liebe Rätselfreundinnen und Rätselfreunde, wir haben die Geschichte „Weihnachtswünsche“ lückenhaft abgedruckt. Raten Sie mit! Ziehen Sie die fehlenden Buchstaben in der richtigen Reihenfolge zu einem Lösungswort zusammen.

Auf die Gewinner warten tolle Buchpreise. Die Lösung bitte auf dem Postweg an: Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Postfach 332014, 14180 Berlin oder per E-Mail an: [email protected]. Einsendeschluss ist der 28. Dezember 2017.

VORSCHAU