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S Chemie ohne Ästhetik wäre ei-ne profane Wissenschaft. Wie Ro-ald Hoffmann und Henning Hopf in einem Essay treffend erörtern, gibt es psychologische, intellektu-elle und eben auch ästhetische Gründe, um „unnormale“ oder un-gewöhnliche Moleküle zu synthe-tisieren.1) Oft waren strukturell ungewöhnliche Moleküle ein An-lass, althergebrachte Regeln zu brechen und Grundsätze zu über-denken.
Ein ebenso einfaches wie hoch-komplexes Beispiel für eine dieser ungewöhnlichen Verbindungsklas-sen sind die Tricyclo [1.1.1.01,3] -pentane der allgemeinen Formel E5R6 mit E = C, Si, Ge, Sn (Abbil-dung 1). Die offizielle Iupac-Be-zeichnung wird allerdings selten benutzt. Die Käfigstrukturen aus drei flankierenden ER2-Einheiten sowie zwei Brückenkopfatomen (E) erlangten unter ihrem Trivial-namen [1.1.1]Propellane Bekannt-heit. Diese Bezeichnung leitet sich von der Ähnlichkeit des strukturel-len Aufbaus des Käfigkerns zu ei-nem makroskopischen Propeller ab; die zentrale Verbindungsachse zwischen den Brückenkopfatomen stellt dabei die Propellernabe dar. Zählt man diese Verbindungsachse mit, zeigen alle Substituenten der Brückenkopfatome in dieselbe He-misphäre. Die resultierende, unge-wöhnliche Regenschirmanordnung wird oftmals auch als „invertiert te-traedrisch“ bezeichnet.
Die Bindungssituation zwischen den Brückenkopfatomen
S Nicht nur die ästhetische, later-nenartige Form, auch die unge-wöhnlichen Eigenschaften dieser Moleküle reizen sowohl Experi-mentatoren als auch Theoretiker seit Jahrzehnten. Von im Wortsinn zentraler Bedeutung sind die Bin-dungssituation zwischen den Brü-ckenkopfatomen und die daraus re-sultierenden physikalischen und chemischen Eigenschaften der Mo-leküle. Die Bindungssituation wird kontrovers in der Literatur disku-tiert und ist immer noch Gegen-stand aktueller Forschung.2) So wurde erst kürzlich für das seit 1982 synthetisch zugängliche und gut untersuchte Kohlenstoffderivat ein neues Bindungsmodell postu-
liert: die Charge-shift-Bindung, in der die Resonanzenergie zwischen kovalenter und ionischer Form ei-ne dominante Rolle einnimmt (Ab-bildung 1).3)
Bereits dieser einfache Kohlen-wasserstoff zeigt die Probleme, die Bindungssituation zutreffend zu
Timo Augenstein, Frank Breher
Die schweren Homologen von Kohlenwasserstoffen haben schon häufig den Grundstein für überarbeitete
Bindungsmodelle gelegt. Ein Beispiel sind die schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14. Doch auch
nach 25 Jahren Forschung sind nicht alle ihre Rätsel gelöst.
Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane
BMolekülchemieV
= ER2= E
C C C C C C C C
invertierttetreadrisch
I II IIIa IIIb
Abb. 1. [1.1.1]Propellane der Gruppe 14 mit den Brückenkopfatomen (rot) in einer „inver-
tiert tetraedrischen“ Anordnung. Der untere Bereich der Abbildung zeigt mögliche und in
der Literatur diskutierte Bindungs- bzw. Resonanzformen.
VV Die schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14
sind Käfigmoleküle, die zum grundlegenden
Verständnis von ungewöhnlichen Bindungen
und Wechselwirkungen beitragen.
VV In den letzten fünf Jahren wurden einige
neue und unerwartete Syntheserouten für
diese Substanzklasse publiziert.
VV Das Studium dieser Verbindungen führt
möglicherweise zu einem molekularen
Verständnis von komplexeren Systemen.
S QUERGELESEN
1169
Nachrichten aus der Chemie| 62 | Dezember 2014 | www.gdch.de/nachrichten
beschreiben. Denn wie lässt die Bindung zwischen den Brücken-kopfatomen sich vorstellen? Für ei-ne kovalente C-C-Einfachbindung
fällt sie sehr lang aus, dazu kommt die ungewöhnliche Orientierung der Substituenten. Wie ändern sich die physikalischen und chemi-
schen Eigenschaften, wenn das Kohlenstoffgerüst gar durch die schwereren Homologen der Grup-pe 14 Silicium, Germanium oder Zinn substituiert wird? Und wie verhalten sich dann diese sehr rigi-den Käfige oder Cluster, verknüpft man sie zu [n]Staffanen, also zu ausgedehnten Oligomeren und Po-lymeren?
Die Entwicklung der schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14
S Vornehmlich die Pionierarbei-ten von Wiberg und Szeimies be-gründeten die Verbindungklasse der [1.1.1]Propellane.4,5) Das Stammsystem des Kohlenstoff -[1.1.1]propellans und eng ver-wandte Derivate lassen sich aus einfachen Substraten in guten Aus-beuten darstellen. Es sind farblose, stabile Feststoffe, was umso er-staunlicher erscheint, wenn man die hohe Ringspannung dieser Kä-figverbindungen berücksichtigt. Umfangreiche Reaktivitätsstudien zeigen die ungewöhnliche Reakti-vität dieser so einfach erscheinen-den Kohlenwasserstoffe. Etliche Übersichtsartikel erschienen zu diesem Thema,6) dennoch gibt es immer wieder neue Ergebnisse zur Chemie der Kohlenstoffpropella-ne.7)
Erste Berichte über die Synthe-sen der schweren Homologen der [1.1.1]Propellane erschienen vor 25 Jahren: Sita und Mitarbeitern gelang es, das erste Pentastanna -[1.1.1]propellan (1) durch Ther-molyse eines Cyclotristannans zu synthetisieren und strukturell zu charakterisieren.8) In kurzer Folge erschienen dann weitere Arbeiten dieser Arbeitsgruppe und auch ers-te Reaktivitätsstudien zu Zinnpro-pellanen (Abbildung 2).9)
Ein weiteres Derivat von (1) stellten Drost et al. dar ((4), Abbil-dung 3).10) Für die Synthese nutz-ten sie elektronenziehende Aryl -liganden, die erwartungsgemäß den Abstand zwischen den Brückenkopfatomen beeinflussen. Power und Mitarbeiter publi zierten den heteronuklearen Germanium-
Abb. 3. Homo- und heteronukleare Propellane mit den Elementen Germanium und Zinn,
jeweils mit Angabe des Abstands zwischen den Brückenkopfatomen.
Abb. 2. Darstellung der ersten Zinn[1.1.1]propellane (1) und (2) (inkl. Angabe des Abstands
zwischen den Brückenkopfatomen); erste grundlegende Reaktivitätsstudien an (1).
[a]: korrigierter Abstand durch erneut durchgeführte röntgenographische Einkristallstruk-
turanalyse (T. Augenstein, F. Breher, unpublizierte Ergebnisse).
R = 2,6-Diethylphenyl 333,6 pm[a] 334,8 pm
Sn Sn
SnSn
SnR
RR R
R
R
oderLi
Sn
Sn Sn
R R
R
RR
R
(1)
Sn Sn
SnSn
SnR
RSn Sn
R
R
RR R
R
(2)
Sn Sn
SnSn
SnR
RR R
R
R
(1) (3) Sn Sn
SnSn
SnR
RR R
R
R
MeMe
1. MeLi2. MeI
h-C2H6
342 pm
Sn Sn
SnSn
SnR
RR R
R
R
(4)
R = 2,6-Diisopropoxyphenyl
336,3 pm
Ge Ge
SnSn
SnR
ClR Cl
R
Cl
(5)
R = 2,6-Dimesitylphenyl
286,9 pm
Ge Ge
GeGe
GeR
RR R
R
R
(6)R = 2,4,6-Trimethylphenyl (Mes)
Li[Naphth]R2GeCl2+
GeCl2 Dioxan
(3:2)
1170 BMagazinV Molekülchemie
Nachrichten aus der Chemie| 62 | Dezember 2014 | www.gdch.de/nachrichten
Zinn- Cluster (5).11) Unsere Arbeitsgruppe trug mit der Synthese des ersten Pentagerma[1.1.1]propellans (6) einen weiteren Mosaikstein bei.12) Als geeignete Syn-thesestrategie für den thermisch sehr stabilen, orange-farbenen Cluster (6) erwies sich die reduktive Kupp-lung von GeCl2·Dioxan und Mes2GeCl2 mit Lithium-naphthalenid. Die röntgenographische Einkristall-strukturanalyse bestätigte den erwarteten langen Ab-stand von 286,9 pm zwischen den Brückenkopfato-men.
Für die Synthese des Pentasila [1.1.1]propellans (7) wurde auf die ähnliche, vermeintlich einfache Synthe-seroute der reduktiven Knüpfung von Si-Si-Bindungen zurückgegriffen (Abbildung 4).13)
Doch warum erschien die erste Publikation über die Isolierung und vollständige Charakterisierung des Sili-ciumpropellans erst im Jahr 2010 – also fast zwei Jahr-zehnte nach einem Übersichtsartikel von Masamune et al., der (7) als eines der drei wichtigsten synthetischen Ziele in der Siliciumchemie identifizierte?14) Der Grund dafür ist der schwierige experimentelle Zugang. (7) ist extrem luft- und feuchtigkeitsempfindlich und weist in der gesamten Reihe der schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14 die mit Abstand höchste Reaktivität auf. Zu-dem muss die Verbindung aus einem komplexen Reak-tionsgemisch isoliert werden.
Interessanterweise wurden für (7) – und andere schwere Propellane – sowohl geschlossenschalige als auch radikalähnliche Reaktivitäten nachgewiesen. Die radikalähnliche Reaktivität lässt sich durch einen Vergleich des Abstands der beiden Brückenkopfato-me (263,6 pm) in (7) mit dem Si-Si-Abstand im ste-risch stark überfrachteten Hexa(tert-butyl)disilan (269,7 pm) veranschaulichen. Das Disilan zerfällt auf-grund der hohen sterischen Spannung in Toluollösung bereits bei 50 °C zu zwei Supersilylradikalen {Si(tBu)3}
•. Auch (7) reagiert beispielsweise mit Dihy-droanthracen unter zweifacher H-Atom-Abstraktion zum H2-Addukt H2Si5R6, dem formalen Hydrierungs-produkt (Abbildung 4, S. 1172).
Die radikalähnliche Reaktivität steht im Einklang mit quantenchemischen Rechnungen, wonach die schweren [1.1.1]Propellane einen zwar kleinen, aber nicht zu vernachlässigenden biradikalischen Charak-ter aufweisen.2,7)
Die heteronuklearen Propellane E2E’3R6 zeigen den Einfluss der Größe des verbrückenden Atoms E‘ in der flankierenden E’R2-Einheit. Hierbei verringert sich der Brückenkopf-Brückenkopf-Abstand für Ge2Si3Mes6 (8) um 10,2 pm im Vergleich zu homonuklearen Derivaten Ge5Mes6 (6). Noch deutlicher fallen die Unterschiede für die entsprechenden zinnhaltigen Propellane Sn2Si3Mes6 (9) und Sn2Ge3Mes6 (10) aus, die einen 23,9 bzw. 16,9 pm kürzeren Abstand zwischen den Brückenkopf-Zinnatomen im Vergleich zum Sn5R6 (1) aufweisen. Auffällig sind auch die Farbunterschiede zwischen den Verbindungen (Abbildung 5, S. 1172). Die Analyse der UV/Vis-Spektren zeigte, dass die Wahl
Nachrichten aus der Chemie| 62 | Dezember 2014 | www.gdch.de/nachrichten
des verbrückenden Atoms den bira-dikalische Charakter der Verbin-dungen beeinflusst (Resonanzform II in Abbildung 1).15)
Weitere Verbindungen mit dem [1.1.1]Propellan-Motiv wurden jüngst dargestellt und charakteri-siert. So synthetisierten Sekiguchi et al. ein Spirobis(pentagerma -[1.1.1]propellan) (11), das aus zwei rückgratverknüpften Propel-lankäfigen aufgebaut ist.16) Es ent-steht durch Belichtung einer tricy-
clischen Germaniumvorstufe, wo-bei sich die Spiroverbindung (11) durch Umlagerung und Abspaltung von Triorganosilylgruppen bildet (Abbildung 6).
Scheschkewitz und Mitarbeiter erhielten ein Silicium[1.1.1]pro-pellan-System der allgemeinen For-mel Si6R6 (12) in guten Ausbeuten, indem sie ein Hexasilabenzolderi-vat belichteten oder erhitzten (Ab-bildung 6).17) Auf ähnliche Weise sind auch die heteronuklearen Sys-
teme (13) und (14) zugänglich.18) Obgleich bei diesen Molekülen ei-ne weitere verbrückende Einheit vorhanden ist, sind sowohl die röntgenographischen als auch spektroskopischen Daten nahezu identisch mit denen von (7) bzw. (8) und (9). Eine unlängst publi-zierte Elektronendichtestudie am Siliciumpropellan (12) zeigte keine Elektronendichte entlang des Bin-dungspfades zwischen den beiden Brückenkopfatomen.19) Das Vor-handensein einer Bindung war bis-lang nur für das ursprüngliche Kohlenstoffderivat verifizierbar.20)
Wesemann und Mitarbeiter be-richteten von einem weiteren Deri-vat des Sn5-Propellans, das sie über einen ungewöhnlichen Weg erhiel-ten:21) Organozinntrihydrid rea-giert mit einem N-heterocyclischen Carben als Wasserstoffakzeptor in geringen Ausbeuten zur Cluster-verbindung (15). Die Autoren pos-tulieren einen Reaktionsmechanis-mus, der auf der Bildung einer in-termediären Zinn(I)-Spezies ba-siert. Diese aggregiert nach ihrer Bildung und bildet (15) durch wei-tere Aggregations- und Liganden-austauschvorgänge.
Abb. 4. Synthese von (7) und ausgewählte Reaktionen.
Abb. 5. Die heteronuklearen Propellane (8) – (10) sowie ein Farbvergleich der Cluster in Gegenüberstellung zu den homonuklearen Derivaten (6) und (1) ( jeweils
Lösungen in C6D6; d8-Toluol für (10)). Deutlich erkennbare Unterschiede in den UV/Vis-Spektren der zinnhaltigen Propellane, die einzelnen Banden wurden durch
quantenchemische Rechnungen analysiert.15)
263,6 pm
Si Si
SiSi
SiR
RR R
R
R
(7)
R = Mes
Li[Naphth]R2SiCl2+
Si2Cl6
(3:1)
H2O
Me3SnH
H2Anthracen
Si Si
Si Si
Si Si
H OH
SnMe3H
HH
= SiR2
1172 BMagazinV Molekülchemie
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Verknüpfte Systeme
S Die hohe Formstabilität der [1.1.1]Propellane ließ die Frage aufkommen, wie sich die Eigen-schaften ändern, wenn man die Systeme an den Brückenkopf -atomen verknüpft. Für Kohlenstoff resultieren [n]Staffane, wobei das n für die Anzahl der verknüpften Kä-fige steht. Da es sich um vollstän-dig gesättigte Verbindungen han-delt, erscheint es umso erstaunli-cher, dass die [n]Staffane eine au-ßergewöhnlich gute elektronische Kommunikation über die Brücken-kopfatome hinweg zeigen und da-rin den Polyinen ähneln. Daher wurden sie in der Literatur häufig als potenzielle eindimensionale Leiter diskutiert.22)
Hier drängt sich die Frage auf, wie sich die elektronischen Eigen-schaften ändern, wenn die Kohlen-stoffatome durch die schweren Ho-mologen der Gruppe 14 ersetzt werden. Im Jahr 2012 stellten Iwa-moto und Mitarbeiter persilylierte [n]Staffane (16) – (18) (mit n = 1 – 3) dar (Abbildung 7).23) Die Synthese gelang durch sukzessiven Aufbau von Siliciumkäfigen und deren an-schließende Verknüpfung zu den entsprechenden [n]Staffanen. Aus-gehend von UV/Vis-Daten und quantenchemischen Rechnungen zeigten die Autoren, dass die dabei auftretende Rotverschiebung in den Reihen (16) bis (18) von einer beträchtlichen r-Delokalisation über die Käfigstrukturen hinweg herrührt. Unsere Arbeitsgruppe be-obachtete basierend auf quanten-chemischen Rechnungen einen ähnlichen, wenn auch schwächer ausgeprägten Effekt bei zwei über eine Alkineinheit verknüpften Bi-cyclopentankäfigen (20). Aufgrund der zu hohen Energie der p-r*-Übergänge ist dieser aller-dings nicht im UV/Vis-Spektrum zu detektieren.24) Die sehr gute Kommunikation über die Käfige und über die Alkin-Einheit hinweg lässt sich in NMR-Experimenten beobachten.25)
Abb. 6. Oben: Darstellung des Spirobis(pentagerma[1.1.1]propellans) (11) ausgehend von
einer tricyclischen Germaniumvorstufe. Mitte: Synthese weiterer homo- und heteronuklea-
rer Propellane (12) – (14) der allgemeinen Formel E2Si4R6. Unten: Ungewöhnliche Bildung
des homonuklearen Zinnpropellans (15) aus einer bisher nicht bekannten Zwischenstufe,
die durch H2-Abstraktion aus RSnH3 durch ein N-heterocyclisches Carben generiert wurde.
Ge
Ge
Ge
Ge
GeR R
Ge
Ge
Ge
GeR RSi
Si
tBu tBu
tBu tBu
R = SiMetBu2
h
Ge
Ge
Ge
GeR RSi
tBu tBu
R R
(11) (282,9 pm)
R
Si
R
E
Si
E
SiR RSi
R RSi E
E SiSi
Si
R
R
RR
R
oder h
R
R = 2,4,6-Triisopropylphenyl (Tip)
E = Si, Ge(12) (E = Si, 270,8 pm)(13) (E = Ge, 278,2 pm)(14) (E = Sn, 311,0 pm)
Li[Naphth]R2Si=SiRLi+
SnCl2 Dioxan E = Sn
NN EtEt
N
H2C
N EtEt
[TipSn]n
R = Tip
RSnH3 (15) (337,0 pm)
R
Sn
R
Sn
Sn
Sn
SnR RSn
R R
= SiMes2= Sn
HOMO
LUMO*
MeMe CMe C Me
= Si(iBu)2= Si
SiMe3Me3Si Me3Si SiMe3
Me3Si SiMe3
HOMO
LUMO
(Käfig)
*(Achse)(16) (17)
(18)
(16) (17) (18)
19 (20)(19) (20)
Abb. 7. Strukturen der [n]Staffane (16) – (18) (n = 1– 3) sowie des alkinylverbrückten Bis(bicyclopentan)-Derivats (20).
Es ist jeweils der HOMO-LUMO-Abstand dargestellt, und wie sich dieser mit fortschreitender Verknüpfung verändert.
1173
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X
Propellanstrukturen im Kollektiv
S Nicht nur in der Hauptgrup-pen-Molekülchemie finden sich Beispiele für propellanartige Strukturen. Basierend auf quan-tenchemischen Rechnungen zeig-ten Balakrishnarajan und Mitar-beiter, dass das [1.1.1]Propellan-motiv auch in den thermodyna-misch stabilsten Formen von Sili-cium in zweidimensionalen Na-nostrukturen vorkommen sollte. Hierbei sind die einzelnen Käfige über die flankierenden Einheiten mit weiteren Käfigen verknüpft (Abbildung 8). Die Autoren postu-lieren, dass diese Strukturmotive gegenüber einer graphenartigen Struktur („Silicen“) mit konjugier-ten Doppelbindungen um zirka 20 kJ·mol–1 pro Siliciumatom sta-biler sein sollten. Die hieraus re-sultierenden elektrischen, opti-schen sowie mechanischen Eigen-schaften ließen sich bislang nur abschätzen. Nach Ansicht der Au-toren sollte es sich bei diesen Strukturen um Halbleiter mit ho-her Stabilität handeln.26)
Fazit
S Das Gebiet der schweren Pro-pellane hat sich in den letzten 25 Jahren rasant entwickelt. Dennoch bleibt es aus theoretischer und ex-perimenteller Sicht anspruchsvoll,
und es besteht weiterhin For-schungsbedarf, wobei die aktuellen Arbeiten viele neue Impulse geben werden. Weiterhin im Fokus ste-hen wird die Untersuchung der Wechselwirkung zwischen den Brückenkopfatomen, auch in aus-gedehnten Systemen. Erste Ansätze zeigen, dass eine Molekülchemie dieser Art zum grundlegenden Ver-ständnis von gestörten Element-Element-Bindungen beiträgt, mög-licherweise auch in komplexeren Systemen.
Um mit den Worten von Roald Hoffmann und Henning Hopf zu schließen:1) „Der Grund, weshalb wir diese experimentellen und theoretischen Spiele spielen, ist mehr als Neugierde. Wir lernen, in-dem wir Grenzen austesten.“
Literatur
1) R. Hoffmann, H. Hopf, Angew. Chem.
2008, 120, 4548.
2) D. Nied, F. Breher, Chem. Soc. Rev. 2011,
40, 3455.
3) S. Shaik, D. Danovich, W. Wu, P. C. Hiberty,
Nat. Chem. 2009, 1, 443.
4) K. B. Wiberg, F. H. Walker, J. Am. Chem.
Soc. 1982, 104, 5239.
5) K. Semmler, G. Szeimies, J. Belzner, J. Am.
Chem. Soc. 1985, 107, 6410.
6) siehe z.B. M. D. Levin, P. Kaszynski, J. Michl,
Chem. Rev. 2000, 100, 169.
7) B. Müller, T. Bally, R. Pappas, F. Williams,
J. Am. Chem. Soc. 2010, 132, 14649.
8) R. D. Bickerstaff, L. R. Sita, J. Am. Chem.
Soc. 1989, 111, 6454.
9) F. Breher, Coord. Chem. Rev. 2007, 251,
1007
10) C. Drost, M. Hildebrand, P. Lönnecke,
Main Group Met. Chem. 2002, 25, 93.
11) A. F. Richards, M. Brynda, P. P. Power,
Organometallics 2004, 23, 4009.
12) D. Nied, W. Klopper, F. Breher, Angew.
Chem. 2009, 121, 1439.
13) D. Nied, R. Köppe, W. Klopper, H. Schnö-
ckel, F. Breher, J. Am. Chem. Soc. 2010,
132, 10264.
14) T. Tsumuraya, S. A. Batcheller, S. Masamune,
Angew. Chem. 1991, 103, 916.
15) D. Nied, P. Oña-Burgos, W. Klopper, F. Breher,
Organometallics 2011, 30, 1419.
16) Y. Ito, V. Y. Lee, H. Gornitzka, C. Goedecke,
G. Frenking, A. Sekiguchi, J. Am. Chem.
Soc. 2013, 135, 6770.
17) K. Abersfelder, A. J. P. White, R. J. F. Berger,
H. S. Rzepa, D. Scheschkewitz, Angew.
Chem. 2011, 123, 8082.
18) A. Jana, V. Huch, M. Repisky, R. J. F. Berger,
D. Scheschkewitz, Angew. Chem. 2014,
126, 3583.
19) D. Kratzert, D. Leusser, J. J. Holstein,
B. Dittrich, K. Abersfelder, D. Scheschkewitz,
D. Stalke, Angew. Chem. 2013, 125, 4574.
20) M. Messerschmidt, S. Scheins, L. Grubert,
M. Pätzel, G. Szeimies, C. Paulmann,
P. Luger, Angew. Chem. 2005, 117, 3993.
21) C. P. Sindlinger, L. Wesemann, Chem. Sci.
2014, 5, 2739.
22) P. F. H. Schwab, M. D. Levin, J. Michl,
Chem. Rev. 1999, 99, 1863.
23) T. Iwamoto, D. Tsushima, E. Kwon, S. Ishida,
H. Isobe, Angew. Chem. 2012, 124, 2390.
24) T. Augenstein, P. Oña-Burgos, D. Nied,
F. Breher, Chem. Commun. 2012, 48,
6803.
25) E. Moos, T. Augenstein, D. Garnier,
F. Breher, Can. J. Chem. 2014, 92, 574.
26) S. Marutheeswaran, P. D. Pancharatna,
M. M. Balakrishnarajan, Phys. Chem.
Chem. Phys. 2014, 16, 11186.
Abb. 8. Zwei berechnete 2-D-Silicium-Nanostrukturen (P6mm und P2mg-II); jeweils zwei Propellaneinheiten in
der Elementarzelle (grün markiert).
Frank Breher, Jahrgang
1973, ist seit dem Jahr
2010 W3-Professor für An-
organische Chemie am
Karlsruher Institut für
Technologie (KIT). Er stu-
dierte Chemie in Oldenburg und Marburg und
promovierte im Jahr 2001. Anschließend war
er Postdoktorand und Liebig-Stipendiat an der
ETH Zürich sowie von 2005 bis 2010 Jun.-Prof.
an der Universität Karlsruhe. Seine For-
schungsinteressen sind maßgeschneiderte Li-
gandensysteme, bi- und trimetallische Mehr-
kernkomplexe, schwere [1.1.1]Propellane der
Gruppe 14 sowie f-Element-Koordinationsver-
bindungen. [email protected]
Timo Augenstein, Jahrgang
1984, ist seit dem Jahr
2011 Doktorand im Ar-
beitskreis Breher. Sein Pro-
motionsthema umfasst
Synthese und Reaktivitäts-
studien an schweren [1.1.1]Propellanen der
Gruppe 14. Zudem untersucht er EPR-spektro-
skopische Fragen.
P6mm
P2mg-II
1174 BMagazinV Molekülchemie
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