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Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

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Page 1: Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

S Chemie ohne Ästhetik wäre ei-ne profane Wissenschaft. Wie Ro-ald Hoffmann und Henning Hopf in einem Essay treffend erörtern, gibt es psychologische, intellektu-elle und eben auch ästhetische Gründe, um „unnormale“ oder un-gewöhnliche Moleküle zu synthe-tisieren.1) Oft waren strukturell ungewöhnliche Moleküle ein An-lass, althergebrachte Regeln zu brechen und Grundsätze zu über-denken.

Ein ebenso einfaches wie hoch-komplexes Beispiel für eine dieser ungewöhnlichen Verbindungsklas-sen sind die Tricyclo [1.1.1.01,3] -pentane der allgemeinen Formel E5R6 mit E = C, Si, Ge, Sn (Abbil-dung 1). Die offizielle Iupac-Be-zeichnung wird allerdings selten benutzt. Die Käfigstrukturen aus drei flankierenden ER2-Einheiten sowie zwei Brückenkopfatomen (E) erlangten unter ihrem Trivial-namen [1.1.1]Propellane Bekannt-heit. Diese Bezeichnung leitet sich von der Ähnlichkeit des strukturel-len Aufbaus des Käfigkerns zu ei-nem makroskopischen Propeller ab; die zentrale Verbindungsachse zwischen den Brückenkopfatomen stellt dabei die Propellernabe dar. Zählt man diese Verbindungsachse mit, zeigen alle Substituenten der Brückenkopfatome in dieselbe He-misphäre. Die resultierende, unge-wöhnliche Regenschirmanordnung wird oftmals auch als „invertiert te-traedrisch“ bezeichnet.

Die Bindungssituation zwischen den Brückenkopfatomen

S Nicht nur die ästhetische, later-nenartige Form, auch die unge-wöhnlichen Eigenschaften dieser Moleküle reizen sowohl Experi-mentatoren als auch Theoretiker seit Jahrzehnten. Von im Wortsinn zentraler Bedeutung sind die Bin-dungssituation zwischen den Brü-ckenkopfatomen und die daraus re-sultierenden physikalischen und chemischen Eigenschaften der Mo-leküle. Die Bindungssituation wird kontrovers in der Literatur disku-tiert und ist immer noch Gegen-stand aktueller Forschung.2) So wurde erst kürzlich für das seit 1982 synthetisch zugängliche und gut untersuchte Kohlenstoffderivat ein neues Bindungsmodell postu-

liert: die Charge-shift-Bindung, in der die Resonanzenergie zwischen kovalenter und ionischer Form ei-ne dominante Rolle einnimmt (Ab-bildung 1).3)

Bereits dieser einfache Kohlen-wasserstoff zeigt die Probleme, die Bindungssituation zutreffend zu

Timo Augenstein, Frank Breher

Die schweren Homologen von Kohlenwasserstoffen haben schon häufig den Grundstein für überarbeitete

Bindungsmodelle gelegt. Ein Beispiel sind die schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14. Doch auch

nach 25 Jahren Forschung sind nicht alle ihre Rätsel gelöst.

Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

BMolekülchemieV

= ER2= E

C C C C C C C C

invertierttetreadrisch

I II IIIa IIIb

Abb. 1. [1.1.1]Propellane der Gruppe 14 mit den Brückenkopfatomen (rot) in einer „inver-

tiert tetraedrischen“ Anordnung. Der untere Bereich der Abbildung zeigt mögliche und in

der Literatur diskutierte Bindungs- bzw. Resonanzformen.

VV Die schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14

sind Käfigmoleküle, die zum grundlegenden

Verständnis von ungewöhnlichen Bindungen

und Wechselwirkungen beitragen.

VV In den letzten fünf Jahren wurden einige

neue und unerwartete Syntheserouten für

diese Substanzklasse publiziert.

VV Das Studium dieser Verbindungen führt

möglicherweise zu einem molekularen

Verständnis von komplexeren Systemen.

S QUERGELESEN

1169

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Page 2: Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

beschreiben. Denn wie lässt die Bindung zwischen den Brücken-kopfatomen sich vorstellen? Für ei-ne kovalente C-C-Einfachbindung

fällt sie sehr lang aus, dazu kommt die ungewöhnliche Orientierung der Substituenten. Wie ändern sich die physikalischen und chemi-

schen Eigenschaften, wenn das Kohlenstoffgerüst gar durch die schwereren Homologen der Grup-pe 14 Silicium, Germanium oder Zinn substituiert wird? Und wie verhalten sich dann diese sehr rigi-den Käfige oder Cluster, verknüpft man sie zu [n]Staffanen, also zu ausgedehnten Oligomeren und Po-lymeren?

Die Entwicklung der schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14

S Vornehmlich die Pionierarbei-ten von Wiberg und Szeimies be-gründeten die Verbindungklasse der [1.1.1]Propellane.4,5) Das Stammsystem des Kohlenstoff -[1.1.1]propellans und eng ver-wandte Derivate lassen sich aus einfachen Substraten in guten Aus-beuten darstellen. Es sind farblose, stabile Feststoffe, was umso er-staunlicher erscheint, wenn man die hohe Ringspannung dieser Kä-figverbindungen berücksichtigt. Umfangreiche Reaktivitätsstudien zeigen die ungewöhnliche Reakti-vität dieser so einfach erscheinen-den Kohlenwasserstoffe. Etliche Übersichtsartikel erschienen zu diesem Thema,6) dennoch gibt es immer wieder neue Ergebnisse zur Chemie der Kohlenstoffpropella-ne.7)

Erste Berichte über die Synthe-sen der schweren Homologen der [1.1.1]Propellane erschienen vor 25 Jahren: Sita und Mitarbeitern gelang es, das erste Pentastanna -[1.1.1]propellan (1) durch Ther-molyse eines Cyclotristannans zu synthetisieren und strukturell zu charakterisieren.8) In kurzer Folge erschienen dann weitere Arbeiten dieser Arbeitsgruppe und auch ers-te Reaktivitätsstudien zu Zinnpro-pellanen (Abbildung 2).9)

Ein weiteres Derivat von (1) stellten Drost et al. dar ((4), Abbil-dung 3).10) Für die Synthese nutz-ten sie elektronenziehende Aryl -liganden, die erwartungsgemäß den Abstand zwischen den Brückenkopfatomen beeinflussen. Power und Mitarbeiter publi zierten den heteronuklearen Germanium-

Abb. 3. Homo- und heteronukleare Propellane mit den Elementen Germanium und Zinn,

jeweils mit Angabe des Abstands zwischen den Brückenkopfatomen.

Abb. 2. Darstellung der ersten Zinn[1.1.1]propellane (1) und (2) (inkl. Angabe des Abstands

zwischen den Brückenkopfatomen); erste grundlegende Reaktivitätsstudien an (1).

[a]: korrigierter Abstand durch erneut durchgeführte röntgenographische Einkristallstruk-

turanalyse (T. Augenstein, F. Breher, unpublizierte Ergebnisse).

R = 2,6-Diethylphenyl 333,6 pm[a] 334,8 pm

Sn Sn

SnSn

SnR

RR R

R

R

oderLi

Sn

Sn Sn

R R

R

RR

R

(1)

Sn Sn

SnSn

SnR

RSn Sn

R

R

RR R

R

(2)

Sn Sn

SnSn

SnR

RR R

R

R

(1) (3) Sn Sn

SnSn

SnR

RR R

R

R

MeMe

1. MeLi2. MeI

h-C2H6

342 pm

Sn Sn

SnSn

SnR

RR R

R

R

(4)

R = 2,6-Diisopropoxyphenyl

336,3 pm

Ge Ge

SnSn

SnR

ClR Cl

R

Cl

(5)

R = 2,6-Dimesitylphenyl

286,9 pm

Ge Ge

GeGe

GeR

RR R

R

R

(6)R = 2,4,6-Trimethylphenyl (Mes)

Li[Naphth]R2GeCl2+

GeCl2 Dioxan

(3:2)

1170 BMagazinV Molekülchemie

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Page 3: Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

Zinn- Cluster (5).11) Unsere Arbeitsgruppe trug mit der Synthese des ersten Pentagerma[1.1.1]propellans (6) einen weiteren Mosaikstein bei.12) Als geeignete Syn-thesestrategie für den thermisch sehr stabilen, orange-farbenen Cluster (6) erwies sich die reduktive Kupp-lung von GeCl2·Dioxan und Mes2GeCl2 mit Lithium-naphthalenid. Die röntgenographische Einkristall-strukturanalyse bestätigte den erwarteten langen Ab-stand von 286,9 pm zwischen den Brückenkopfato-men.

Für die Synthese des Pentasila [1.1.1]propellans (7) wurde auf die ähnliche, vermeintlich einfache Synthe-seroute der reduktiven Knüpfung von Si-Si-Bindungen zurückgegriffen (Abbildung 4).13)

Doch warum erschien die erste Publikation über die Isolierung und vollständige Charakterisierung des Sili-ciumpropellans erst im Jahr 2010 – also fast zwei Jahr-zehnte nach einem Übersichtsartikel von Masamune et al., der (7) als eines der drei wichtigsten synthetischen Ziele in der Siliciumchemie identifizierte?14) Der Grund dafür ist der schwierige experimentelle Zugang. (7) ist extrem luft- und feuchtigkeitsempfindlich und weist in der gesamten Reihe der schweren [1.1.1]Propellane der Gruppe 14 die mit Abstand höchste Reaktivität auf. Zu-dem muss die Verbindung aus einem komplexen Reak-tionsgemisch isoliert werden.

Interessanterweise wurden für (7) – und andere schwere Propellane – sowohl geschlossenschalige als auch radikalähnliche Reaktivitäten nachgewiesen. Die radikalähnliche Reaktivität lässt sich durch einen Vergleich des Abstands der beiden Brückenkopfato-me (263,6 pm) in (7) mit dem Si-Si-Abstand im ste-risch stark überfrachteten Hexa(tert-butyl)disilan (269,7 pm) veranschaulichen. Das Disilan zerfällt auf-grund der hohen sterischen Spannung in Toluollösung bereits bei 50 °C zu zwei Supersilylradikalen {Si(tBu)3}

•. Auch (7) reagiert beispielsweise mit Dihy-droanthracen unter zweifacher H-Atom-Abstraktion zum H2-Addukt H2Si5R6, dem formalen Hydrierungs-produkt (Abbildung 4, S. 1172).

Die radikalähnliche Reaktivität steht im Einklang mit quantenchemischen Rechnungen, wonach die schweren [1.1.1]Propellane einen zwar kleinen, aber nicht zu vernachlässigenden biradikalischen Charak-ter aufweisen.2,7)

Die heteronuklearen Propellane E2E’3R6 zeigen den Einfluss der Größe des verbrückenden Atoms E‘ in der flankierenden E’R2-Einheit. Hierbei verringert sich der Brückenkopf-Brückenkopf-Abstand für Ge2Si3Mes6 (8) um 10,2 pm im Vergleich zu homonuklearen Derivaten Ge5Mes6 (6). Noch deutlicher fallen die Unterschiede für die entsprechenden zinnhaltigen Propellane Sn2Si3Mes6 (9) und Sn2Ge3Mes6 (10) aus, die einen 23,9 bzw. 16,9 pm kürzeren Abstand zwischen den Brückenkopf-Zinnatomen im Vergleich zum Sn5R6 (1) aufweisen. Auffällig sind auch die Farbunterschiede zwischen den Verbindungen (Abbildung 5, S. 1172). Die Analyse der UV/Vis-Spektren zeigte, dass die Wahl

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Page 4: Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

des verbrückenden Atoms den bira-dikalische Charakter der Verbin-dungen beeinflusst (Resonanzform II in Abbildung 1).15)

Weitere Verbindungen mit dem [1.1.1]Propellan-Motiv wurden jüngst dargestellt und charakteri-siert. So synthetisierten Sekiguchi et al. ein Spirobis(pentagerma -[1.1.1]propellan) (11), das aus zwei rückgratverknüpften Propel-lankäfigen aufgebaut ist.16) Es ent-steht durch Belichtung einer tricy-

clischen Germaniumvorstufe, wo-bei sich die Spiroverbindung (11) durch Umlagerung und Abspaltung von Triorganosilylgruppen bildet (Abbildung 6).

Scheschkewitz und Mitarbeiter erhielten ein Silicium[1.1.1]pro-pellan-System der allgemeinen For-mel Si6R6 (12) in guten Ausbeuten, indem sie ein Hexasilabenzolderi-vat belichteten oder erhitzten (Ab-bildung 6).17) Auf ähnliche Weise sind auch die heteronuklearen Sys-

teme (13) und (14) zugänglich.18) Obgleich bei diesen Molekülen ei-ne weitere verbrückende Einheit vorhanden ist, sind sowohl die röntgenographischen als auch spektroskopischen Daten nahezu identisch mit denen von (7) bzw. (8) und (9). Eine unlängst publi-zierte Elektronendichtestudie am Siliciumpropellan (12) zeigte keine Elektronendichte entlang des Bin-dungspfades zwischen den beiden Brückenkopfatomen.19) Das Vor-handensein einer Bindung war bis-lang nur für das ursprüngliche Kohlenstoffderivat verifizierbar.20)

Wesemann und Mitarbeiter be-richteten von einem weiteren Deri-vat des Sn5-Propellans, das sie über einen ungewöhnlichen Weg erhiel-ten:21) Organozinntrihydrid rea-giert mit einem N-heterocyclischen Carben als Wasserstoffakzeptor in geringen Ausbeuten zur Cluster-verbindung (15). Die Autoren pos-tulieren einen Reaktionsmechanis-mus, der auf der Bildung einer in-termediären Zinn(I)-Spezies ba-siert. Diese aggregiert nach ihrer Bildung und bildet (15) durch wei-tere Aggregations- und Liganden-austauschvorgänge.

Abb. 4. Synthese von (7) und ausgewählte Reaktionen.

Abb. 5. Die heteronuklearen Propellane (8) – (10) sowie ein Farbvergleich der Cluster in Gegenüberstellung zu den homonuklearen Derivaten (6) und (1) ( jeweils

Lösungen in C6D6; d8-Toluol für (10)). Deutlich erkennbare Unterschiede in den UV/Vis-Spektren der zinnhaltigen Propellane, die einzelnen Banden wurden durch

quantenchemische Rechnungen analysiert.15)

263,6 pm

Si Si

SiSi

SiR

RR R

R

R

(7)

R = Mes

Li[Naphth]R2SiCl2+

Si2Cl6

(3:1)

H2O

Me3SnH

H2Anthracen

Si Si

Si Si

Si Si

H OH

SnMe3H

HH

= SiR2

1172 BMagazinV Molekülchemie

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Page 5: Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

Verknüpfte Systeme

S Die hohe Formstabilität der [1.1.1]Propellane ließ die Frage aufkommen, wie sich die Eigen-schaften ändern, wenn man die Systeme an den Brückenkopf -atomen verknüpft. Für Kohlenstoff resultieren [n]Staffane, wobei das n für die Anzahl der verknüpften Kä-fige steht. Da es sich um vollstän-dig gesättigte Verbindungen han-delt, erscheint es umso erstaunli-cher, dass die [n]Staffane eine au-ßergewöhnlich gute elektronische Kommunikation über die Brücken-kopfatome hinweg zeigen und da-rin den Polyinen ähneln. Daher wurden sie in der Literatur häufig als potenzielle eindimensionale Leiter diskutiert.22)

Hier drängt sich die Frage auf, wie sich die elektronischen Eigen-schaften ändern, wenn die Kohlen-stoffatome durch die schweren Ho-mologen der Gruppe 14 ersetzt werden. Im Jahr 2012 stellten Iwa-moto und Mitarbeiter persilylierte [n]Staffane (16) – (18) (mit n = 1 – 3) dar (Abbildung 7).23) Die Synthese gelang durch sukzessiven Aufbau von Siliciumkäfigen und deren an-schließende Verknüpfung zu den entsprechenden [n]Staffanen. Aus-gehend von UV/Vis-Daten und quantenchemischen Rechnungen zeigten die Autoren, dass die dabei auftretende Rotverschiebung in den Reihen (16) bis (18) von einer beträchtlichen r-Delokalisation über die Käfigstrukturen hinweg herrührt. Unsere Arbeitsgruppe be-obachtete basierend auf quanten-chemischen Rechnungen einen ähnlichen, wenn auch schwächer ausgeprägten Effekt bei zwei über eine Alkineinheit verknüpften Bi-cyclopentankäfigen (20). Aufgrund der zu hohen Energie der p-r*-Übergänge ist dieser aller-dings nicht im UV/Vis-Spektrum zu detektieren.24) Die sehr gute Kommunikation über die Käfige und über die Alkin-Einheit hinweg lässt sich in NMR-Experimenten beobachten.25)

Abb. 6. Oben: Darstellung des Spirobis(pentagerma[1.1.1]propellans) (11) ausgehend von

einer tricyclischen Germaniumvorstufe. Mitte: Synthese weiterer homo- und heteronuklea-

rer Propellane (12) – (14) der allgemeinen Formel E2Si4R6. Unten: Ungewöhnliche Bildung

des homonuklearen Zinnpropellans (15) aus einer bisher nicht bekannten Zwischenstufe,

die durch H2-Abstraktion aus RSnH3 durch ein N-heterocyclisches Carben generiert wurde.

Ge

Ge

Ge

Ge

GeR R

Ge

Ge

Ge

GeR RSi

Si

tBu tBu

tBu tBu

R = SiMetBu2

h

Ge

Ge

Ge

GeR RSi

tBu tBu

R R

(11) (282,9 pm)

R

Si

R

E

Si

E

SiR RSi

R RSi E

E SiSi

Si

R

R

RR

R

oder h

R

R = 2,4,6-Triisopropylphenyl (Tip)

E = Si, Ge(12) (E = Si, 270,8 pm)(13) (E = Ge, 278,2 pm)(14) (E = Sn, 311,0 pm)

Li[Naphth]R2Si=SiRLi+

SnCl2 Dioxan E = Sn

NN EtEt

N

H2C

N EtEt

[TipSn]n

R = Tip

RSnH3 (15) (337,0 pm)

R

Sn

R

Sn

Sn

Sn

SnR RSn

R R

= SiMes2= Sn

HOMO

LUMO*

MeMe CMe C Me

= Si(iBu)2= Si

SiMe3Me3Si Me3Si SiMe3

Me3Si SiMe3

HOMO

LUMO

(Käfig)

*(Achse)(16) (17)

(18)

(16) (17) (18)

19 (20)(19) (20)

Abb. 7. Strukturen der [n]Staffane (16) – (18) (n = 1– 3) sowie des alkinylverbrückten Bis(bicyclopentan)-Derivats (20).

Es ist jeweils der HOMO-LUMO-Abstand dargestellt, und wie sich dieser mit fortschreitender Verknüpfung verändert.

1173

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Page 6: Die Ästhetik der [1.1.1]Propellane

Propellanstrukturen im Kollektiv

S Nicht nur in der Hauptgrup-pen-Molekülchemie finden sich Beispiele für propellanartige Strukturen. Basierend auf quan-tenchemischen Rechnungen zeig-ten Balakrishnarajan und Mitar-beiter, dass das [1.1.1]Propellan-motiv auch in den thermodyna-misch stabilsten Formen von Sili-cium in zweidimensionalen Na-nostrukturen vorkommen sollte. Hierbei sind die einzelnen Käfige über die flankierenden Einheiten mit weiteren Käfigen verknüpft (Abbildung 8). Die Autoren postu-lieren, dass diese Strukturmotive gegenüber einer graphenartigen Struktur („Silicen“) mit konjugier-ten Doppelbindungen um zirka 20 kJ·mol–1 pro Siliciumatom sta-biler sein sollten. Die hieraus re-sultierenden elektrischen, opti-schen sowie mechanischen Eigen-schaften ließen sich bislang nur abschätzen. Nach Ansicht der Au-toren sollte es sich bei diesen Strukturen um Halbleiter mit ho-her Stabilität handeln.26)

Fazit

S Das Gebiet der schweren Pro-pellane hat sich in den letzten 25 Jahren rasant entwickelt. Dennoch bleibt es aus theoretischer und ex-perimenteller Sicht anspruchsvoll,

und es besteht weiterhin For-schungsbedarf, wobei die aktuellen Arbeiten viele neue Impulse geben werden. Weiterhin im Fokus ste-hen wird die Untersuchung der Wechselwirkung zwischen den Brückenkopfatomen, auch in aus-gedehnten Systemen. Erste Ansätze zeigen, dass eine Molekülchemie dieser Art zum grundlegenden Ver-ständnis von gestörten Element-Element-Bindungen beiträgt, mög-licherweise auch in komplexeren Systemen.

Um mit den Worten von Roald Hoffmann und Henning Hopf zu schließen:1) „Der Grund, weshalb wir diese experimentellen und theoretischen Spiele spielen, ist mehr als Neugierde. Wir lernen, in-dem wir Grenzen austesten.“

Literatur

1) R. Hoffmann, H. Hopf, Angew. Chem.

2008, 120, 4548.

2) D. Nied, F. Breher, Chem. Soc. Rev. 2011,

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Nat. Chem. 2009, 1, 443.

4) K. B. Wiberg, F. H. Walker, J. Am. Chem.

Soc. 1982, 104, 5239.

5) K. Semmler, G. Szeimies, J. Belzner, J. Am.

Chem. Soc. 1985, 107, 6410.

6) siehe z.B. M. D. Levin, P. Kaszynski, J. Michl,

Chem. Rev. 2000, 100, 169.

7) B. Müller, T. Bally, R. Pappas, F. Williams,

J. Am. Chem. Soc. 2010, 132, 14649.

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Soc. 1989, 111, 6454.

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1007

10) C. Drost, M. Hildebrand, P. Lönnecke,

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11) A. F. Richards, M. Brynda, P. P. Power,

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Chem. 2009, 121, 1439.

13) D. Nied, R. Köppe, W. Klopper, H. Schnö-

ckel, F. Breher, J. Am. Chem. Soc. 2010,

132, 10264.

14) T. Tsumuraya, S. A. Batcheller, S. Masamune,

Angew. Chem. 1991, 103, 916.

15) D. Nied, P. Oña-Burgos, W. Klopper, F. Breher,

Organometallics 2011, 30, 1419.

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Soc. 2013, 135, 6770.

17) K. Abersfelder, A. J. P. White, R. J. F. Berger,

H. S. Rzepa, D. Scheschkewitz, Angew.

Chem. 2011, 123, 8082.

18) A. Jana, V. Huch, M. Repisky, R. J. F. Berger,

D. Scheschkewitz, Angew. Chem. 2014,

126, 3583.

19) D. Kratzert, D. Leusser, J. J. Holstein,

B. Dittrich, K. Abersfelder, D. Scheschkewitz,

D. Stalke, Angew. Chem. 2013, 125, 4574.

20) M. Messerschmidt, S. Scheins, L. Grubert,

M. Pätzel, G. Szeimies, C. Paulmann,

P. Luger, Angew. Chem. 2005, 117, 3993.

21) C. P. Sindlinger, L. Wesemann, Chem. Sci.

2014, 5, 2739.

22) P. F. H. Schwab, M. D. Levin, J. Michl,

Chem. Rev. 1999, 99, 1863.

23) T. Iwamoto, D. Tsushima, E. Kwon, S. Ishida,

H. Isobe, Angew. Chem. 2012, 124, 2390.

24) T. Augenstein, P. Oña-Burgos, D. Nied,

F. Breher, Chem. Commun. 2012, 48,

6803.

25) E. Moos, T. Augenstein, D. Garnier,

F. Breher, Can. J. Chem. 2014, 92, 574.

26) S. Marutheeswaran, P. D. Pancharatna,

M. M. Balakrishnarajan, Phys. Chem.

Chem. Phys. 2014, 16, 11186.

Abb. 8. Zwei berechnete 2-D-Silicium-Nanostrukturen (P6mm und P2mg-II); jeweils zwei Propellaneinheiten in

der Elementarzelle (grün markiert).

Frank Breher, Jahrgang

1973, ist seit dem Jahr

2010 W3-Professor für An-

organische Chemie am

Karlsruher Institut für

Technologie (KIT). Er stu-

dierte Chemie in Oldenburg und Marburg und

promovierte im Jahr 2001. Anschließend war

er Postdoktorand und Liebig-Stipendiat an der

ETH Zürich sowie von 2005 bis 2010 Jun.-Prof.

an der Universität Karlsruhe. Seine For-

schungsinteressen sind maßgeschneiderte Li-

gandensysteme, bi- und trimetallische Mehr-

kernkomplexe, schwere [1.1.1]Propellane der

Gruppe 14 sowie f-Element-Koordinationsver-

bindungen. [email protected]

Timo Augenstein, Jahrgang

1984, ist seit dem Jahr

2011 Doktorand im Ar-

beitskreis Breher. Sein Pro-

motionsthema umfasst

Synthese und Reaktivitäts-

studien an schweren [1.1.1]Propellanen der

Gruppe 14. Zudem untersucht er EPR-spektro-

skopische Fragen.

P6mm

P2mg-II

1174 BMagazinV Molekülchemie

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