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OM & Ernährung 2018 | Nr. 163 F10 Die Albumin-Carrier-Therapie mit Methotrexat (MTX-HSA) Die Überlebenszeit von Patienten mit metastasier- ten Krebserkrankungen konnte im Rahmen der evidenzbasierten Onkologie trotz teils aggressiver Therapieschemata in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich verlängert werden. Dazu kommt, dass diese Therapien die Lebensqualität der Patienten häu- fig massiv einschränken. Mit MTX-HSA steht uns jetzt eine nebenwirkungsarme Therapie zur Verfügung, die kombiniert mit anderen Krebstherapien einen beacht- lichen Mehrwert für unsere Patienten bringen kann. Bereits Ende der 90er-Jahre gelang es einer Forscher- gruppe um Dr. Hannsjörg Sinn am Deutschen Krebs- forschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, Methotrexat an Albumin zu koppeln. Krebszellen und entzündlich aktivierte Zellen haben einen höheren Energiebedarf als andere Zellen. Um diesen zu decken, nehmen sie im Vergleich zu anderen Zellen ein Vielfaches an Prote- inen aus dem Blut auf – statt insbesondere humanes Serumalbumin (HSA). Dies wird dadurch erleichtert, dass die Neoendothelien der Mikroumgebung des Tumors im Vergleich zu den normalen Blutgefäßen eine deutlich erhöhte Permeabilität für Proteine und Protein-gekoppelte Substanzen aufweisen. Albumin kann somit sehr gut als Carrier genutzt werden, um Wirkstoffe wie z. B. Methotrexat an den Tumor heran- zuführen und in Krebszellen einzuschleusen. Klassische Zytostatika können ihre Wirkung oft nicht vollständig entfalten, da auf dem Weg vom Blut in die Krebszelle einige Hindernisse zu überwinden sind: Zum einen werden Zytostatika oft schon nach wenigen Stunden über die Nieren oder die Leber aus dem Körper eliminiert. Das bedeutet, dass jeweils nur wenige sich in der Zellteilung befindliche Tumor- zellen von der Therapie erreicht werden. Bei nicht an Albumin gebundenem Methotrexat liegt die Plasma- halbwertzeit bei 8 bis 10 Stunden. Ein zweites Prob- lem stellt das Milieu des Tumors und des den Tumor umgebenden Bindegewebes dar. Ein im Verlauf der Krebserkrankung zunehmender Sauerstoffmangel, ein Anstieg des Tumorinnendrucks (solide Tumore haben ein schlecht funktionierendes Lymphsystem) und die durch eine Störung der mitochondrialen Funk- tion entstehende Laktatazidose der extrazellulären Matrix führen dazu, dass der Weg für Zytostatika vom Interstitium zur Tumorzelle durch Diffusion mit zuneh- mender Größe des Tumors immer schwerer wird. Nur ein sehr kleiner Teil der verabreichten Dosis erreicht bei einer klassischen Zytostatikatherapie das Tumor- gewebe, der Großteil landet im gesunden Gewebe und richtet dort klinisch relevanten Schaden an. Durch die Kopplung des Zytostatikums Methotrexat an Albumin (kovalente Bindung) konnten diese Pro- bleme elegant gelöst werden. Zum einen beträgt die Halbwertszeit von MTX-HSA 19 Tage, d.h. durch Gaben im Abstand von 14 Tagen ist ein gleichbleiben- der Wirkspiegel zu erreichen. Aktivierte Zellen (z. B. Krebszellen) stehen dadurch unter einer Dauerthera- pie und alle Zellteilungszyklen werden durch die The- rapie erreicht. Zum anderen wird MTX durch Albumin als Carrier im Sinne eines Trojaners genau dort freige- setzt, wo die Wirkung erwünscht ist: in der Krebszelle. Wie P. Kremer et al. zeigen konnten, reichert sich das grün fluoreszierende Aminofluorescein-Albumin (AFL-HSA) nach intravenöser Applikation ausschließ- lich in Tumoren (hier ein Glioblastom) an. Die Bilder (Abb. 1a – d) zeigen die Anreicherung von ALF-HSA zu Beginn der Operation (a) sowie im Verlauf der Opera- tion nach der ersten Resektion (b) und nach der zwei- ten Resektion (c). Erst nach der dritten Resektion (d) ist der Tumor vollständig entfernt. AFL-HSA ist nicht mehr sichtbar. Gesunde, ruhende Hirnzellen Albumin also nur in so geringem Maße auf, dass das Amino- fluorescein nicht sichtbar ist. Bei einer Kopplung von Methotrexat statt Aminofluorescein an Albumin ver- hält es sich gleich. Dadurch ist die gute Verträglichkeit von MTX-HSA zu erklären. Abb. 1e veranschaulicht die Tatsache, dass neu gebil- dete Gefäße in der Umgebung des Tumors eine deut- lich erhöhte Permeabilität für Proteine aufweisen: Hier kommt es zu einem diffusen Austritt von Albumin, was hier durch Aminofluorescein sichtbar gemacht wurde. Dr. med. Christoph Gaßmann Dr. med. Eva Gaßmann Ein gut verträglicher Therapiebaustein bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen mit antiproliferativer, antiphlogistischer und immunmodulatorischer Wirkung

Die Albumin-Carrier-Therapie mit Methotrexat (MTX-HSA) Artikel.pdf · Die Albumin-Carrier-Therapie mit Methotrexat (MTX-HSA) Die Überlebenszeit von Patienten mit metastasier-ten

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OM & Ernährung 2018 | Nr. 163

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Die Albumin-Carrier-Therapie mit Methotrexat (MTX-HSA)

Die Überlebenszeit von Patienten mit metastasier-ten Krebserkrankungen konnte im Rahmen der evidenzbasierten Onkologie trotz teils aggressiver Therapieschemata in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich verlängert werden. Dazu kommt, dass diese Therapien die Lebensqualität der Patienten häu-fig massiv einschränken. Mit MTX-HSA steht uns jetzt eine nebenwirkungsarme Therapie zur Verfügung, die kombiniert mit anderen Krebstherapien einen beacht-lichen Mehrwert für unsere Patienten bringen kann.

Bereits Ende der 90er-Jahre gelang es einer Forscher-gruppe um Dr. Hannsjörg Sinn am Deutschen Krebs-forschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, Methotrexat an Albumin zu koppeln. Krebszellen und entzündlich aktivierte Zellen haben einen höheren Energiebedarf als andere Zellen. Um diesen zu decken, nehmen sie im Vergleich zu anderen Zellen ein Vielfaches an Prote-inen aus dem Blut auf – statt insbesondere humanes Serumalbumin (HSA). Dies wird dadurch erleichtert, dass die Neoendothelien der Mikroumgebung des Tumors im Vergleich zu den normalen Blutgefäßen eine deutlich erhöhte Permeabilität für Proteine und Protein-gekoppelte Substanzen aufweisen. Albumin kann somit sehr gut als Carrier genutzt werden, um Wirkstoffe wie z. B. Methotrexat an den Tumor heran-zuführen und in Krebszellen einzuschleusen.

Klassische Zytostatika können ihre Wirkung oft nicht vollständig entfalten, da auf dem Weg vom Blut in die Krebszelle einige Hindernisse zu überwinden sind: Zum einen werden Zytostatika oft schon nach wenigen Stunden über die Nieren oder die Leber aus dem Körper eliminiert. Das bedeutet, dass jeweils nur wenige sich in der Zellteilung befindliche Tumor-zellen von der Therapie erreicht werden. Bei nicht an Albumin gebundenem Methotrexat liegt die Plasma-halbwertzeit bei 8 bis 10 Stunden. Ein zweites Prob-lem stellt das Milieu des Tumors und des den Tumor umgebenden Bindegewebes dar. Ein im Verlauf der Krebserkrankung zunehmender Sauerstoffmangel, ein Anstieg des Tumorinnendrucks (solide Tumore haben ein schlecht funktionierendes Lymphsystem)

und die durch eine Störung der mitochondrialen Funk-tion entstehende Laktatazidose der extrazellulären Matrix führen dazu, dass der Weg für Zytostatika vom Interstitium zur Tumorzelle durch Diffusion mit zuneh-mender Größe des Tumors immer schwerer wird. Nur ein sehr kleiner Teil der verabreichten Dosis erreicht bei einer klassischen Zytostatikatherapie das Tumor-gewebe, der Großteil landet im gesunden Gewebe und richtet dort klinisch relevanten Schaden an.

Durch die Kopplung des Zytostatikums Methotrexat an Albumin (kovalente Bindung) konnten diese Pro-bleme elegant gelöst werden. Zum einen beträgt die Halbwertszeit von MTX-HSA 19 Tage, d.h. durch Gaben im Abstand von 14 Tagen ist ein gleichbleiben-der Wirkspiegel zu erreichen. Aktivierte Zellen (z. B. Krebszellen) stehen dadurch unter einer Dauerthera-pie und alle Zellteilungszyklen werden durch die The-rapie erreicht. Zum anderen wird MTX durch Albumin als Carrier im Sinne eines Trojaners genau dort freige-setzt, wo die Wirkung erwünscht ist: in der Krebszelle. Wie P. Kremer et al. zeigen konnten, reichert sich das grün fluoreszierende Aminofluorescein-Albumin (AFL-HSA) nach intravenöser Applikation ausschließ-lich in Tumoren (hier ein Glioblastom) an. Die Bilder (Abb. 1a – d) zeigen die Anreicherung von ALF-HSA zu Beginn der Operation (a) sowie im Verlauf der Opera-tion nach der ersten Resektion (b) und nach der zwei-ten Resektion (c). Erst nach der dritten Resektion (d) ist der Tumor vollständig entfernt. AFL-HSA ist nicht mehr sichtbar. Gesunde, ruhende Hirnzellen Albumin also nur in so geringem Maße auf, dass das Amino-fluorescein nicht sichtbar ist. Bei einer Kopplung von Methotrexat statt Aminofluorescein an Albumin ver-hält es sich gleich. Dadurch ist die gute Verträglichkeit von MTX-HSA zu erklären.

Abb. 1e veranschaulicht die Tatsache, dass neu gebil-dete Gefäße in der Umgebung des Tumors eine deut-lich erhöhte Permeabilität für Proteine aufweisen: Hier kommt es zu einem diffusen Austritt von Albumin, was hier durch Aminofluorescein sichtbar gemacht wurde.

Dr. med. Christoph Gaßmann

Dr. med. Eva Gaßmann

Ein gut verträglicher Therapiebaustein bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen mit antiproliferativer, antiphlogistischer und immunmodulatorischer Wirkung

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MTX-HSA mit einer geringen molaren Beladungs-dichte mit MTX verhält sich wie natürliches Serumal-bumin (HSA). HSA ist nicht immunogen und kann in allen Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden. Es befindet sich zu ca. 50 % im Interstitium. HSA trägt durch seine Größe (Molekulargewicht 66 kDa) und Menge maßgeblich zum kolloidosmotischen Druck im Körper bei und verhindert das Austreten von Flüssigkeiten vom Gefäßsystem ins Gewebe. HSA verlässt durch Transzytose das Blutgefäßsystem ins Interstitium und wird von dort über das Lymphsystem über den Ductus thoracicus ins Blut zurückgeführt.

Dadurch ist MTX-HSA auch bei lymphogener Metas-tasierung wirksam.

Wirkungsmechanismen von MTX-HSAWie Abb. 2 veranschaulicht, wird MTX-HSA durch Endozytose in die Zelle aufgenommen und in lysoso-male Zellkompartimente befördert. Nach Abbau des Konjugats durch lysosomale Proteasen wird MTX aus den Lysosomen freigesetzt. Im Gegensatz zu freiem MTX wird das aus dem Konjugat stammende MTX nur zu einem geringen Teil zu MTX-Polyglutamaten (MTX-PG) aufgebaut. MTX hemmt kompetitiv die Dihydrofolat-Reduktase (DHFR), ein Schlüsselenzym der Biosynthese von Tetrahydrofolat, das für die DNA- und RNA-Synthese benötigt wird. Wie Tierversuche gezeigt haben, ist die Hemmung der DHFR vor allem bei eher langsam wachsenden Tumoren von Vorteil, die oft schlecht auf eine klassische Zytostatikathera-pie ansprechen.

Darüber hinaus hat Methotrexat eine ausgeprägte immunmodulatorische und antiphlogistische Wir-kung, weshalb es in niedriger Dosis als Basisthe-rapeutikum bei der rheumatoider Arthritis und bei Graft-versus-Host-Disease (GvHD) eingesetzt wird. Ein Teil dieser Wirkung ist auf die Erhöhung der ext-razellulären Konzentration von Adenosin durch MTX zurückzuführen. Adenosin hemmt die Freisetzung von

Abb. 1 a–d Floureszenzoptische Darstellung eines menschlichen Glioms 48 Stunden nach intravenöser Applikation von

Aminofluorescein-Albumin (AFL-HSA) vor Operation (a), nach der 1. Resektion (b) und nach der 2. Resektion (c).

Erst nach einer weiteren Resektion im Verlauf der Operation ist der Tumor vollständig entfernt. AFL-HSA ist nicht

mehr sichtbar [Kremer et al., Neurosurgery 64 (ONS Suppl 1): ons53 – ons61, 2009].

Abb. 1 e Diskreter Austritt von Aminofluorescein-Albumin

(AFL-HSA) aus Tumorgefäßen aufgrund erhöhter

Permeabilität [Kremer et al., Neurosurgery 64 (ONS Suppl 1): ons53 – ons61, 2009].

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auf. Ebenso verhält es sich mit MTX-HSA. Dadurch lässt sich die gute Verträglichkeit von MTX-HSA erklären.

Abbildung 1a-d: Floureszenzoptische Darstellung eines menschlichen Glioms 48 Stunden nach intravenöser Applikation von Aminofluorescein-Albumin (AFL-HSA) vor Operation (a), nach der 1. Resektion (b) und nach der 2. Resektion (c). Erst nach einer weiteren Resektion im Verlauf der Operation ist der Tumor vollständig entfernt. AFL-HSA ist nicht mehr sichtbar. Kremer et al., Neurosurgery 64 (ONS Suppl 1): ons53 – ons61, 2009 Abbildung 1e veranschaulicht die Tatsache, dass neu gebildete Gefäße in der Umgebung des Tumors eine deutlich erhöhte Permeabilität für Proteine aufweisen: Hier kommt es zu einem diffusen Austritt von Albumin, was hier durch Aminofluorescein sichtbar gemacht wurde.

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auf. Ebenso verhält es sich mit MTX-HSA. Dadurch lässt sich die gute Verträglichkeit von MTX-HSA erklären.

Abbildung 1a-d: Floureszenzoptische Darstellung eines menschlichen Glioms 48 Stunden nach intravenöser Applikation von Aminofluorescein-Albumin (AFL-HSA) vor Operation (a), nach der 1. Resektion (b) und nach der 2. Resektion (c). Erst nach einer weiteren Resektion im Verlauf der Operation ist der Tumor vollständig entfernt. AFL-HSA ist nicht mehr sichtbar. Kremer et al., Neurosurgery 64 (ONS Suppl 1): ons53 – ons61, 2009 Abbildung 1e veranschaulicht die Tatsache, dass neu gebildete Gefäße in der Umgebung des Tumors eine deutlich erhöhte Permeabilität für Proteine aufweisen: Hier kommt es zu einem diffusen Austritt von Albumin, was hier durch Aminofluorescein sichtbar gemacht wurde.

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Abbildung 1e: Diskreter Austritt von Aminofluorescein-Albumin (AFL-HSA) aus Tumorgefäßen aufgrund erhöhter Permeabilität. Kremer et al., Neurosurgery 64 (ONS Suppl 1): ons53 – ons61, 2009 MTX-HSA mit einer geringen molaren Beladungsdichte mit MTX verhält sich wie natürliches Serumalbumin (HSA). HSA ist nicht immunogen und kann in allen Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden. Es befindet sich zu ca. 50% im Interstitium. HSA trägt durch seine Größe (Molekulargewicht 66 kDa) und Menge maßgeblich zum kolloidosmotischen Druck im Körper bei und verhindert das Austreten von Flüssigkeiten vom Gefäßsystem ins Gewebe. HSA verlässt durch Transzytose das Blutgefäßsystem ins Interstitium und wird von dort über das Lymphsystem über den Ductus thoracicus ins Blut zurückgeführt. Dadurch ist MTX-HSA auch bei lymphogener Metastasierung wirksam. Wirkungsmechanismen von MTX-HSA Wie Abbildung 2 veranschaulicht, wird MTX-HSA durch Endozytose in die Zelle aufgenommen und in lysosomale Zellkompartimente befördert. Nach Abbau des Konjugats durch lysosomale Proteasen wird MTX aus den Lysosomen freigesetzt. Im Gegensatz zu freiem MTX wird das aus dem Konjugat stammende MTX nur zu einem geringen Teil zu MTX-Polyglutamaten (MTX-PG) aufgebaut. MTX hemmt kompetitiv die Dihydrofolat-Reduktase (DHFR), ein Schlüsselenzym der Biosynthese von Tetrahydrofolat, das für die DNA- und RNA-Synthese benötigt wird. Wie Tierversuche gezeigt haben, ist die Hemmung der DHFR vor allem bei eher langsam wachsenden Tumoren von Vorteil, die oft schlecht auf eine klassische Zytostatikatherapie ansprechen.

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Sauerstoff-Radikalen, die Lymphozytenproliferation, die Leukozytenadhäsion und die Produktion bestimm-ter Zytokine (u.a. TNF-alpha, IL-1, IL-6 und IL-8). MTX selbst hemmt direkt die Chemotaxis polymorphkerni-ger Granulozyten und wirkt anti-angiogenetisch. Auch bei Krebserkrankungen spielen die beschriebenen Mechanismen eine Rolle: Fortgeschrittene Krebs-erkrankungen gehen mit einer chronischen Entzün-dung in der Tumorumgebung einher. Diese fördert die Angiogenese, führt zur Ausschüttung von Wachs-tumsfaktoren und zur Umstrukturierung der extrazel-lulären Matrix durch Proteasen. Dadurch leistet eine chronische Entzündung einer Metastasierung Vor-schub. Es gibt schon lange Bestrebungen, diese Ent-zündungsprozesse bei Krebserkrankungen zu hem-men, um die Erkrankung zu stabilisieren. MTX-HSA als kontinuierliche antiphlogistische Therapie könnte hier ein vielversprechender Ansatz sein.

Ein Tumor besteht neben Krebszellen auch aus ein-gewanderten Bindegewebszellen und Immunzellen, die von den Krebszellen z. T. für deren eigene Zwecke genutzt werden. Diese Mechanismen können eine Krebserkrankung sogar vorantreiben. Das breite Wir-kungsspektrum von MTX-HSA auf Tumorzellen sowie auf Immun- und Bindegewebszellen könnte diese prognostisch ungünstige Interaktion unterbinden. Aus diesem Grund setzen wir MTX-HSA auch ein, wenn sich im Chemosensitivitätstest keine optimale Reak-

tion der zirkulierenden Tumorzellen auf MTX zeigt. Ob die Eigenschaften zirkulierender Tumorzellen unter Laborbedingungen auf solide Tumore im Sinne eines Zellverbands aus Krebszellen, Immunzellen und Bin-degewebszellen übertragen werden können, ist aus unserer Sicht noch unklar.

MTX-HSA hat durch seine Albumin-Komponente zusätzlich eine sehr gute Wirksamkeit bei tumor-bedingten Flüssigkeitsansammlungen wie Aszites, Pleuraergüssen, Perikardergüssen und peripheren Ödemen, die häufig durch einen ausgeprägten Albu-minmangel versursacht sind oder bei primär tumorbe-dingter Genese zumindest durch den Albuminmangel verstärkt werden. Ein Ausgleich des Albuminmangels bei fortgeschrittenen Tumorleiden wirkt der katabolen Stoffwechsellage und dadurch der Tumorkachexie entgegen und verbessert die Lebensqualität. Das Wohlbefinden der Patienten korreliert mit dem Albu-minspiegel. Darüber hinaus steigt bei Albuminmangel die Mortalität signifikant an. Die Gabe von Albumin alleine wäre im Gegensatz zu MTX-HSA allerdings nicht sinnvoll, da es hierdurch ohne die antiprolife-rative Wirkung von MTX zu einem weiteren Tumor-wachstum kommen würde.

MTX-HSA hat ein geringes Nebenwirkungsspektrum und eignet sich dadurch als Therapie gerade auch bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Als erstes Zeichen einer Überdosierung kann eine Stomatitis auftreten, die nach Pausieren der Therapie vollständig reversibel ist.

In unserer Praxis setzen wir MTX-HSA als Therapie-baustein in Verbindung mit einer Milieutherapie mit ProcCluster (mit Natriumbicarbonat verclustertes Pro-cain) und DCA (Dichloracetat), der insulinpotenzierten Chemotherapie (IPT), biologischen antitumoralen Sub-stanzen (wie z. B. Amygdalin, Artesunat, Hochdosis-Vitamin C, Curcumin) und der lokoregionären Radio-frequenz-Hyperthermie (Oncotherm 3010 ML) ein.

Ein aktuelles FallbeispielEine 61-jährige Patientin mit primär metastasiertem Endometrium-Ca (ED 2013, Initialstadium FIGO IIIc2) wurde aufgrund eines Progresses im kleinen Becken (PET-CT von Juni 2017: ca. 7 x 4 cm großer Herd in unmittelbarer Nachbarschaft zum femoralen Gefäß- und Nervenstrang und 3 weitere Herde mit einem Durchmesser von 2 – 3 cm) mit einer Kombination von Strahlentherapie (Juli bis August 2017) sowie einer biologischen Krebstherapie (Amygdalin, Artesunat, Curcumin, HD-Vitamin C) und einer lokoregionären Radiofrequenz-Hyperthermie in unserer Praxis behan-delt. Diese Kombinationstherapie führte zu einem deutlichen Abfall des Tumormarkers CA 125 von 681

Abb. 2 MTX-HSA wird über Endozytose in Lysosomen in die Zelle aufgenommen. Nach Freisetzung

durch lysosomale Proteasen hemmt das aus MTX-HSA stammende MTX die Dihydrofolat-

Reduktase (DHFR). Das frei aufgenommene MTX wird zunächst zu MTX-Polyglutamaten (MTX-

PG) aufgebaut, einer Speicherform von MTX, die auch die DHFR hemmen kann (modifiziert

nach Prof. Dr. G. Hartung 2001).

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Abbildung 2: MTX-HSA wird über Endozytose in Lysosomen in die Zelle aufgenommen. Nach Freisetzung durch lysosomale Proteasen hemmt das aus MTX-HSA stammende MTX die Dihydrofolat-Reduktase (DHFR). Das frei aufgenommene MTX wird zunächst zu MTX-Polyglutamaten (MTX-PG) aufgebaut, einer Speicherform von MTX, die auch die DHFR hemmen kann. (modifiziert nach Prof. Dr. G. Hartung 2001). Darüber hinaus hat Methotrexat eine ausgeprägte immunmodulatorische und antiphlogistische Wirkung, weshalb es in niedriger Dosis als Basistherapeutikum bei der rheumatoider Arthritis und bei Graft-versus-Host-Disease (GvHD) eingesetzt wird. Ein Teil dieser Wirkung ist auf die Erhöhung der extrazellulären Konzentration von Adenosin durch MTX zurückzuführen. Adenosin hemmt die Freisetzung von Sauerstoff-Radikalen, die Lymphozytenproliferation, die Leukozytenadhäsion und die Produktion bestimmter Zytokine (u.a. TNF-alpha, IL-1, IL-6 und IL-8). MTX selbst hemmt direkt die Chemotaxis polymorphkerniger Granulozyten und wirkt anti-angiogenetisch. Auch bei Krebserkrankungen spielen die beschriebenen Mechanismen eine Rolle: Fortgeschrittene Krebserkrankungen gehen mit einer chronischen Entzündung in der Tumorumgebung einher. Diese fördert die Angiogenese, führt zur Ausschüttung von Wachstumsfaktoren und zur Umstrukturierung der extrazellulären Matrix durch Proteasen. Dadurch leistet eine chronische Entzündung einer Metastasierung Vorschub. Es gibt schon lange Bestrebungen, diese Entzündungsprozesse bei Krebserkrankungen zu hemmen, um die Erkrankung zu stabilisieren. MTX-HSA als kontinuierliche antiphlogistische Therapie könnte hier ein vielversprechender Ansatz sein. Ein Tumor besteht neben Krebszellen aus eingewanderten Bindegewebszellen und Immunzellen, die von den Krebszellen z.T. für deren eigenen Zwecke genutzt werden. Diese Mechanismen können eine Krebserkrankung sogar vorantreiben. Das breite Wirkungsspektrum von MTX-HSA auf Tumorzellen sowie auf Immun- und Bindegewebszellen könnte diese prognostisch ungünstige Interaktion unterbinden. Aus diesem Grund setzen wir MTX-HSA auch

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U/ml auf 68 U/ml bis Oktober 2017. Im weiteren Ver-lauf konnten wir den Tumormarker CA 125 durch eine insulinpotenzierte Chemotherapie mit Cyclophospha-mid/Doxorubicin unter Fortsetzung der biologischen Krebstherapie und der lokoregionären Radiofrequenz-Hyperthermie innerhalb von 5 Monaten (Oktober 2017 bis März 2018) auf 18 U/ml (Norm < 35 U/ml) absen-ken. In einer Anfang April 2018 erneut durchgeführten PET-CT war erfreulicherweise keinerlei Tumoraktivität mehr nachweisbar. Leider stieg der Tumormarker CA 125 innerhalb weni-ger Wochen wieder kontinuierlich von 18 auf 42 U/ml an, was auf eine Resistenzentwicklung des Tumors gegenüber der bisherigen Therapie hinweist. Durch die Hinzunahme von MTX-HSA bei ansonsten gleich-bleibender Therapie sank CA 125 innerhalb von einem Monat von 42 U/l auf 18 U/l ab. Es könnte sich um einen antiproliferativen Synergieeffekt von MTX, Cyc-lophosphamid und Doxorubicin handeln. Das Anspre-chen könnte aber auch auf die antiphlogistischen und immunmodulatorischen Effekte von MTX-HSA zurück-zuführen sein. Die Behandlung mit MTX-HSA werden wir bei dieser Patientin weiterführen. Die Verträglichkeit der gesam-ten Therapie (die Patientin wird im Moment aufgrund einer längeren Anfahrt an zwei aufeinander folgenden Tagen pro Woche behandelt) ist sehr gut, sie arbeitet 4 Tage pro Woche (Abb. 3).

Anfang 2000 wurde die Forschung zu MTX-HSA am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidel-berg leider eingestellt. Der Grund lag in einer Umo-rientierung des damals beteiligten Pharmakonzerns. Mittlerweile ist auch das Patent abgelaufen. Damit ist diese vielversprechende Wirkstoffkombination für die Pharmaindustrie uninteressant geworden und die nötigen Phase-III-Studien mit dem Ziel einer Arzneimittelzulassung werden aufgrund mangelnder Ertragschancen nicht durchgeführt.

Dank der vorbildlichen Arbeit der Albumin-Carrier-Stif-tung um das Frankfurter Ehepaar Michael und Petra Denck werden MTX-HSA und andere Albumin-Carrier-Therapien weiter untersucht, entwickelt und deren Herstellung ermöglicht. Petra Denck wurde aufgrund eines rezidivierenden Astrozytoms Grad III im Jahr 2013 mit einer Kombinationstherapie von MTX-HSA, Curcumin und lokoregionärer Radiofrequenz-Hyper-thermie behandelt. Seither ist sie in Langzeit-Remis-sion. Durch die engagierte Mithilfe von Hans-Hermann Schrenk und Dr. Eva Frei, beide ehemalige Mitarbeiter des DKFZ Heidelberg aus der Arbeitsgruppe von Dr. Sinn, kann MTX-HSA mittlerweile in sehr guter Quali-tät z. B. in der CareCept-Versorgungsapotheke in Frei-burg im Breisgau zubereitet werden.

Die Handhabung ist einfach: MTX-HSA wird als Infu-sion über 30 Minuten alle 14 Tage verabreicht. Eine Begleittherapie ist nicht erforderlich. Die Lagerfähig-keit ist gut: bis zu 9 Monate trat bei 4 Grad Celsius keine Veränderung auf. Die Lagerung sollte lichtge-schützt erfolgen. Der Transport ist bei Raumtempe-ratur möglich (auch lichtgeschützt). Die Kosten sind überschaubar: 100 mg MTX-HSA pro Gabe kosten 300 bis 700 Euro pro Monat je nach Häufigkeit der Applikation).

Bisher existieren ca. 100 wissenschaftliche Publika-tionen und einige Studien zu MTX-HSA. Selbstver-ständlich sind weitere wissenschaftliche Studien not-wendig. Im Moment wird geprüft, ob eine Studie zur Wirksamkeit von MTX-HSA in mehreren Kliniken und Praxen mit Unterstützung der Albumin-Carrier-Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für Onkologie (DGO) durchgeführt werden kann.

Dr. med. Christoph Gaßmann Dr. med. Eva Gaßmann Parkweg 2 79244 Münstertal | Deutschland T +49 (0)7636.1488 F +49 (0)7636.1409 [email protected] www.dr-gassmann.de

Abb. 3 Nach Hinzunahme von MTX-HSA spricht die Kombinationstherapie bestehend aus

insulinpotenzierter Chemotherapie (Cyclophosphamid/Doxorubicin), MTX-HSA, lokoregionärer

Radiofrequenz-Hyperthermie und biologischer Medizin (Amygdalin, Artesunat, Vitamin C,

Curcumin) bei einer Patientin mit metastasiertem Endometrium-Ca. wieder an.

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Frei E: Intraoperative flourescence staining of malignant brain tumors using 5-Aminofluorescein-labeled albumin. Neurosurgery 64[ONS Suppl 1]:ons53–ons61, 2009

[2] Hartung G, Stehle G, Sinn H, Wunder A, Schrenk HH, Heeger S, Kranzle M, Edler L, Frei E, Fiebig HH, Heene DL, Maier-Borst W, Queisser W. Phase I trial of methotrexate-albumin in a weekly intravenous bolus regimen in cancer patients. Phase I Study Group of the Association for Medical Oncology of the German Cancer Society. Clin Cancer Res 1999; 5:753–759

[3] Denck M, Die Albumin-Carrier-Therapie: Ein neuer Ansatz für die Behandlung von Krebserkrankungen. In: Naturheilkunde, Forum Komplementäre Onkologie 6/2017

[4] Brockmann WP: Wird die Bedeutung des Serum-Albumins bei Malignom-Patienten mit Aszites, Ödemen und Pleuraergüssen unter- oder überschätzt? In: Naturheilkunde, Forum Komplementäre Onkologie 2/2018

[5] Stehle G: Albumin als Träger für Chemotherapeutika – präklinische Untersuchungen am Beispiel von Methotrexat-Albumin (MTX-HSA). Habilitationsschrift an der Universität Heidelberg, 1996

[6] Hartung G: Methotrexat-Albumin (MTX-HSA) zur Therapie von Tumorerkrankungen. Habilitationsschrift an der Universität Heidelberg, 2001

[7] Brockmann WP, Arnhold J, Denck M: Die Albumin-Carrier-Therapie – Anwendung in der onkologischen Praxis. In: Naturheilkunde, Forum Komplementäre Onkologie 1/2018

[8] Neumann E, Frei E, Funk D, Becker MD, Schrenck HH, Müller-Ladner U, Fiehn C: Native albumin for targetets drug delivery. Expert Opin. Drug Deliv. (2010) 7(8) 915–25

[9] Deutsche Gesellschaft für Onkologie (DG0), www.dgo.de

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