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1 (Die vorliegende Arbeit ist der originale Text des chinesischen Aufsatzes „Aristotle’s Doctrine of Analogy“, der in Tsinghua Studies in Western Philosophy, Vol. 1, No.1, S. 400-432 veröffentlicht wurde. In der chinesischen Version wird der Akzent darauf gelegt, dass Aristoteles mit der pythagoreisch-platonischen Tradition anknüpft und die grieschische Analogielehre fortsetzt. Im deutschen Text geht es eher um den Vergleich zwischen der grieschischen Proportionalitätsanalogie und der lateinischen Attributionsanalogie.) Die Analogie des Aristoteles 1 LIU Xin (刘鑫) 2 摘要:本文以亚里士多德的类比学说为研究对象,首先展示出亚里士多德的比例类比 和托马斯:阿奎那谓述类比之间的区别。其次,澄清类比的含义意在揭示比例类比在亚 里士多德哲学中的基础地位。从类比统一性出发,亚里士多德以一个一以贯之的原则 不仅为形而上学,更为科学的各个其他分支学科奠基。本文将通过详尽的文本分析进 一步明确亚里士多德的论证思路及其基本哲学原则。 关键词:亚里士多德,类比, 谓述类比,比例类比,类比统一性,结构相似 Abstract: In der vorliegenden Arbeit wird die die Analogielehre des Aristoteles thematisiert. In erster Linie tritt der Unterschied zwischen der aristotelischen Proportionalitätsanalogie und der thomistischen Attributionsanalogie in den Vordergrund. Nach der begrifflichen Klarmachung leuchtet es sich ein, dass die Proportionalitätsanalogie der ganzen aristotelischen Philosophie zugrundeliegt. Anhand dem einheitlichen und durchgängigen Prinzip, das die analogische Einheit genannt wird, legt Aristoteles nicht nur seiner Metaphysik, sondern der apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften ein Fundament. Durch die ausführliche Textanalyse ist der Gedankengang des Aristoteles nachzuvollziehen und das fundamentale Prinzip seiner Philosophie aufzufassen. Keywords: Aristoteles, Analogie, analogia attributionis, analogia proportionis, analogische Einheit, strukturelle Ähnlichkeit 1 Anhand des vorliegenden Textes habe ich in der wissenschaftlichen Veranstaltung (Workshop of Western Philosophy), die in dem philosophischen Seminar der Tsinghau Universität am 12. März. 2015 stattfand, einen Vortrag gehalten. Vom Herzen bedanke ich mich bei Prof. Jin Xiping, Prof. Song Jijie, Lu Chunshan, Wang Yufeng und die Studenten der Tsinghua Universität, die an der Diskussion teilgenommen haben, für die kritischen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge. 2 LIU Xin (刘鑫), Doktorandin, Philosophisches Seminar, Universität Heidelberg, Heidelberg.

Die Analogie des Aristoteles - Tsinghua University...Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Si dicatur, quod omne quod est in potentia, reducitur ad actum per ens actu,-et ex hoc

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Page 1: Die Analogie des Aristoteles - Tsinghua University...Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Si dicatur, quod omne quod est in potentia, reducitur ad actum per ens actu,-et ex hoc

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(Die vorliegende Arbeit ist der originale Text des chinesischen Aufsatzes „Aristotle’s Doctrine of Analogy“, der in Tsinghua Studies in Western Philosophy, Vol. 1, No.1, S. 400-432 veröffentlicht wurde. In der chinesischen Version wird der Akzent darauf gelegt, dass Aristoteles mit der pythagoreisch-platonischen Tradition anknüpft und die grieschische Analogielehre fortsetzt. Im deutschen Text geht es eher um den Vergleich zwischen der grieschischen Proportionalitätsanalogie und der lateinischen Attributionsanalogie.)

Die Analogie des Aristoteles1 LIU Xin (刘鑫)2

摘要:本文以亚里士多德的类比学说为研究对象,首先展示出亚里士多德的比例类比

和托马斯:阿奎那谓述类比之间的区别。其次,澄清类比的含义意在揭示比例类比在亚

里士多德哲学中的基础地位。从类比统一性出发,亚里士多德以一个一以贯之的原则

不仅为形而上学,更为科学的各个其他分支学科奠基。本文将通过详尽的文本分析进

一步明确亚里士多德的论证思路及其基本哲学原则。

关键词:亚里士多德,类比, 谓述类比,比例类比,类比统一性,结构相似

Abstract: In der vorliegenden Arbeit wird die die Analogielehre des Aristoteles thematisiert.

In erster Linie tritt der Unterschied zwischen der aristotelischen Proportionalitätsanalogie und

der thomistischen Attributionsanalogie in den Vordergrund. Nach der begrifflichen

Klarmachung leuchtet es sich ein, dass die Proportionalitätsanalogie der ganzen

aristotelischen Philosophie zugrundeliegt. Anhand dem einheitlichen und durchgängigen

Prinzip, das die analogische Einheit genannt wird, legt Aristoteles nicht nur seiner

Metaphysik, sondern der apodiktisch-syllogistischen Einzelwissenschaften ein Fundament.

Durch die ausführliche Textanalyse ist der Gedankengang des Aristoteles nachzuvollziehen

und das fundamentale Prinzip seiner Philosophie aufzufassen.

Keywords: Aristoteles, Analogie, analogia attributionis, analogia proportionis, analogische

Einheit, strukturelle Ähnlichkeit

1 Anhand des vorliegenden Textes habe ich in der wissenschaftlichen Veranstaltung (Workshop of Western Philosophy), die in dem philosophischen Seminar der Tsinghau Universität am 12. März. 2015 stattfand, einen Vortrag gehalten. Vom Herzen bedanke ich mich bei Prof. Jin Xiping, Prof. Song Jijie, Lu Chunshan, Wang Yufeng und die Studenten der Tsinghua Universität, die an der Diskussion teilgenommen haben, für die kritischen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge. 2 LIU Xin (刘鑫), Doktorandin, Philosophisches Seminar, Universität Heidelberg, Heidelberg.

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Die Analogie (a)nalogi/a, analogia, proportio) war ursprünglich ein mathematischer Begriff,

der in der pythagoreischen Schule entwickelt wurde. Sie zeigt die zahlenmäßige Proportion

auf, die entweder durch die Wiederholung der Mitte dreigliedrig (1:2†2:4) oder viergliedrig

ist (1:2†4:8).3 Wenn von dem aristotelischen Analogiemodell die Rede ist, kommen in erster

Linie zwei verschiedene Typen zur Erwähnung, und zwar analogia attributionis (analogia

praedicationis, analogia entis) und analogia proportionis. Die beiden Benennungen stammen

nicht von Aristoteles, sondern von den späteren Scholastikern.4 Nachdem Thomas von Aquin

aufgrund der aristotelischen Analogielehre die Attributionsanalogie entwickelt hat, nennen die

Scholastiker die ursprüngliche Analogie die Proportionalitätsanalogie, um die beiden

voneinander zu unterscheiden. Ein klarer Beweis dafür liegt darin, dass die Bezeichnung

„analogia proportionis“ eigentlich eine Verdoppelung (Hendiadyoin) ist. Denn auf Latein ist

sowohl analogia als auch proportio die Übersetzung desselben griechischen Wortes, nämlich

a)nalogi/a. Während die analogia durch die unmittelbare Übertragung vom Griechischen

ins Lateinische gebildet wird, ahmt die pro-portio sowohl die Struktur als auch den Sinn von

a)na-logi/a nach. Pro portione und a)na/ to\n lo/gon weisen auf dieselbe Bedeutung hin,

nämlich „aufgrund des Verhältnisses“.

Bemerkenswert ist noch, dass weder die Attributionsanalogie rein logisch konzipiert noch die

Proportionalitätsanalogie bloß ontologisch bezogen ist, wie die Namen andeuten. Denn zum

einen ermöglicht die analogia proportionis, die die strukturelle Gemeinsamkeit der

verschiedenen Seienden offenkundig macht, denselben Begriff wie das Sein und das Gute

querkategorial zu gebrauchen. 5 Zum anderen nimmt die analogia attributinonis zwar die

gemeinsame Prädikationsmöglichkeit von Gott und Geschöpf zum Ausgang, aber sie zielt

schließlich darauf ab, die ontologische Vorordnung Gottes und die Nachordnung der

Geschaffenen hervorzuheben. Deswegen ist die analogia attributionis von den späteren

Scholastikern als analogia entis bezeichnet.

Vor allem sollten wir uns im Klaren sein, dass Aristoteles die Analogie in dem ursprünglichen

Sinne angewendet hat. Die Proportionalitätsanalogie basiert zwar auf dem mathematischen

3 Vgl. Das Historische Wörterbuch der Philosophie, S. 214 4 Begrifflich gesehen entstammen analogia attributionis und analogia proportionis der späteren Scholastik. Sylverster von Ferrara und Franz Suares haben die beiden Begriffe erfunden. Bei E. Przywaras kommt der Terminus analogia entis zum ersten mal vor. Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Analogie, S. 224-226. Bei Thomas ist von analogia praedicationis die Rede. 5 Vgl. Metaphysica K3, 1061a7-10: das Sein; Ethica Nicomachea A4, 1096a23-29, Ethica Eudemia A8, 1217b25-33: das Gute

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Modell. Aber nicht die mathematische sondern ontologische Proportion, d.h. strukturelle

Ähnlichkeit, tritt in den Vordergrund, die sowohl Sein, Veränderung und Logos in

Übereinkunft bringt als auch die Einheit der Substanzen bildet. Um die aristotelische

Proportionalitätsanalogie zu verdeutlichen, müssen wir zunächst auf die thomistische

Attributionsanalogie eingehen, die eng mit der aristotelischen Kategorienlehre

zusammenhängt. Die Analogie ist dadurch als eine Prädikationsweise zu interpretieren, dass

Thomas’ Konzeption einerseits auf der Kategorienlehre des Aristoteles beruht, andererseits

aber davon abweicht. Außerdem hatte die Interpretation von Thomas wirkungsgeschichtlich

einen enormen Einfluss auf die Auslegung der aristotelischen Metaphysik. Deshalb richten

wir zunächst die Aufmerksamkeit auf die lateinische Attributionsanalogie 6 und gehen

anschließend auf die griechische Tradition ein.

Thomas stellt die Frage, ob die bestimmten Begriffe (nomina), d.h. die Transzendentalien, wie

Schönheit (bonitas), Weisheit (sapientia) usw., von Gott und Geschöpf univoce oder

aequivoce ausgesagt werden.7 In beiden Fällen gerät man in Verlegenheit. Die Menschheit

wird von Sokrates und Platon univoce d.h. wesentlich prädiziert, da die beiden Menschen sind.

Dagegen wird die Schönheit von Gott und Geschöpf nicht univoce ausgesagt, weil die

Wesensgleichheit, die die Univokation (univoce-sunwnu/mwj) verlangt, nicht dem Gott und

dem Geschöpf zugeteilt sein kann. Beim Gott fallen existentia und essentia zusammen

(esse†forma), bei den Geschaffenen aber auseinander (esse≠forma).8 Denn vor der Schöpfung

existieren sie nur möglicherweise. Was die Schöpfung anbelangt, ist es nichts anderes als die

göttliche Aktion, die das Seiende von der Möglichkeit in die Wirklichkeit bringt. Auf der

einen Seite steht Gott als das wirkliche, immateriale und einfache Seiende (ens actu 9 -

6 Vgl. Thomas von Aquino: Summa Contra Gentiles, I.34; Summa Theologia, I.13, 5-6; De Potentia, 7.7 7 Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7: Utrum huiusmodi nomina dicantur de Deo et creaturis univoce vel aequivoce. 8 Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60235: Cum in creatura aliud sit esse, et aliud sit forma vel natura, per formam vel naturam nihil similatur ei quod est esse. [...] Deus autem est hoc ipsum quod est suum esse. De potentia 7.7, 60238: Deus autem alio modo se habet ad esse quam aliqua alia creatura; nam ipse est suum esse, quod nulli allii creaturae competit. Die Abtrennung von Existenz und Essenz wird zuerst von arabischen Kommentatoren ausdrücklich gemacht und dann von mittelalterlichen Scholastikern übernommen, um die Eigentümlichkeit Gottes zu betonen. Es steht deswegen direkt gegen die aristotelische Physik und Metaphysik, weil anhand des theoretischen Musters der Naturentstehung gerade die Übereinstimmung des einzelnen Naturdings mit der Naturart hervorzuheben ist. Der aristotelischen Theorie zufolge liegt der Unterschied zwischen der natürlichen und übernatürlichen Substanz nicht darin, dass die Existenz und die Essenz bei der einen auseinander- und bei der anderen zusammenfallen. Sondern die natürliche Substanz, nämlich das Lebewesen (creatura) ist materiell, sinnlich wahrnehmbar und passiv bewegbar, während sich die übernatürliche Substanz, das unbewegte Bewegende (Deus) geistig, denkbar und aktiv tätig verhält. 9 In Bezug auf Aktualität und Potentialität: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Si dicatur, quod omne quod est in potentia, reducitur ad actum per ens actu,-et ex hoc concluderetur quod Deus esset ens actu, cum per ipsum omnia in esse educantur-erit fallacia aequivocationis.

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immateriale 10 -simpliciter), auf der anderen Seite das Geschöpf aber als das potentiale,

materiale und mannigfaltige Seiende (ens in potentia-materiale-multipliciter). Außerdem zeigt

sich die wesentliche Ungleichheit von Gott und Geschöpf noch dadurch, dass Gott unendlich

und ewig ist (infinitum 11 -aeternus 12 ), das Geschöpf aber endlich und zeitlich (finitum-

temporalis) ist.

Obwohl die Aequivokation (aequivoce-o(mwnu/mwj) keiner Wesensgleichheit, sondern einer

bloßen Namensgleichheit bedarf, kann die Schönheit von Gott und Geschöpf auch nicht

aequivoce prädiziert werden. Im Fall, dass die Weißheit von Sokrates und Tisch aequivoce

d.h. akzidentell ausgesagt wird, gibt es keine notwendige Verbindung zwischen Sokrates und

dem Tisch. Die Schönheit kann deshalb von Gott und Geschöpf nicht zufällig prädiziert

werden, weil sich der produktive Kausalzusammenhang zwischen Schöpfer und Geschöpf

ergibt.13 Indem Gott unvollkommene Produkte nach seinem Vorbild schafft, hat das Geschöpf

bestimmten Anteil an Gott.14 Anders gesagt bringt die Schönheit Gottes die Schönheit der

Geschaffenen zustande, wie die gesunde Medizin als Ursache die Gesundheit des Körpers

herstellt. Ebenso wie die Gesundheit der Medizin und des Körpers sind die Schönheit Gottes

und die Schönheit der Geschaffenen nicht zufällig gleichnamig.

Vom Grund genommen sind Schöpfer und Geschöpf unvergleichbar, aber dieselbe

Transzendentalien können von Gott und Geschöpf gemeinsam ausgesagt werden (Deus bonus

et creatura bona), und zwar weder wesenlich noch akzidentell. Die Prädikationsweise, die eine

Mittelstellung zwischen Univokation und Aequivokation einnimmt, lässt sich die analogia

10 In Bezug auf Immaterialität-Materialität und Einfachheit-Komplexität: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Dato per impossibile quod eiusdem rationis sit bonitas in Deo et in creatura [...]; cum quod in Deo est immaterialiter et simpliciter in creatrua sit materialiter et multipliciter. 11 In Bezug auf Unendlichkeit und Endlichkeit: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Nulla creatura, cum sit finita, potest adaequare virtutem primi agentis, cum sit infinita. 12 In Bezug auf Ewigkeit und Zeitlichkeit: Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60230: Deus est aeternus, et creaturae temporales. 13 Vgl. Thomas von Aquino, De potentia, 7.7, 60238: [...] oportet causatum esse aliqualiter simile causae; unde oportet de causato et causa nihil pure aequivoce praedicari, sicut sanum de medicina et animali. Summa contra gentiles, I. 33, 23809: Nam in his quae sunt a casu aequivoca, nullus ordo aut respectus attenditur unius ad alterum, sed omnino per accidens est quod unum nomen diversis rebus attribuitur: non enim nomen impositum uni significat ipsum habere ordinem ad aliud. Sic autem non est de nominibus quae de Deo dicuntur et creaturis. Consideratur enim in huiusmodi nominum communitate ordo causae et causati, ut ex dictis patet. Non igitur secundum puram aequivocationem aliquid de Deo et rebus aliis praedicatur. Auch Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendetal Thougt (2012), S. 268, Fußnote 139. 14 Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologia, I. 13.5, 28822: Secundum aequivoca non attenditur aliqua similitudo. Cum igitur creaturae ad Deum sit aliqua similitudo, secundum illud Genes. I, faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram, videtur quod aliquid univoce de Deo et creaturis dicatur. Summa theologia, I. 13.5, 28826: Quia omnis effectus non adaequans virtutem causae agentis, recipit similitudinem agentis non secundum eandem rationem, sed deficienter.

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praedicationis nennen. 15 Während die Univokation die Wesensgleichheit und die

Aequivokation die wesentliche Ungleichheit impliziert, bringt die analogische Prädikation

sowohl Gleichheit als auch Ungleichheit von Gott und Geschöpf zu Wort.

Die Analogie als Prädikation ist deswegen einzuführen, weil das ontologische Verhältnis von

Gott und Geschöpf einer eigentümlichen Prädikationsweise bedarf. Weitergehend ist die

analogische Prädikation insofern asymmtrisch, als Gott ontologisch vorrangig und das

Geschöpf nachrangig ist. Um Vor- und Nachordnung zu betonen, identifiziert Thomas die

logische Analogieprädikation mit dem ontologischen Auf-Eines-Hin-Verhältnis (dicitur per

respectum ad unum analogice) 16 , indem das Verhältnis des Geschöpfes zum Gott in

Verbindung mit der Beziehung der Akzidenz zur Substanz gesetzt wird. Das analogische

Prädikationsverhältnis von Gott und Geschöpf ist nur dann mit der Beziehung von Substanz

und Akzidenz vergleichbar, wenn ein gemeinsamer Oberbegriff auch von Substanz und

Akzidenz ausgesagt wird, wie die Schönheit von Gott und Geschöpf. So wird das Sein

insofern von Substanz und Akzidenz analogischerweise prädiziert, als die Substanz

eigenständig seiend ist, die Akzidenz aber von der Substanz abhängig seiend ist.17 Da die

15 Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologia, I. 13.5, 28826: Et iste modus communitatis medius est inter puram aequivocationem et simplicem univocationem. 16 Vgl. Thomas von Aquino, Summa theologia, I. 13.6, 28835: Respondeo dicendum quod in omibus nominibus quae de pluribus analogice dicuntur, necesse est quod omnia dicantur per respectum ad unum, et ideo illud unum opertet quod ponatur in definitione omium. Summa contra gentiles, I. 34, 23816: Sic igitur ex dictis relinquitur quod ea quae de Deo et rebus aliis dicuntur, praedicantur neque univoce neque aequivoce, sed analogice: hoc est, secundum ordinem vel respectum ad aliquid unum. Auch Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendetal Thougt (2012), S. 269, Fußnote 142. In seinem Metaphysik-Kommentar hat Thomas an einigen Stellen das Ähnliche kommentiert. Vgl. Commentaria In Aristotelem: Sententia Libri Metaphysicae Liber 4, (G2, 1003a33-34), 82100: Dicit ergo primo, quod ens sive quod est, dicitur multipliciter. Sed sciendum quod aliquid praedicatur de diversis multipliciter: quandoque quidem secundum rationem omnino eamdem, et tunc dicitur de eis univoce praedicari, sicut animal de equo et bove. Quandoque vero secundum rationes omnino diversas; et tunc dicitur de eis aequivoce praedicari, sicut canis de sidere et animali. Quandoque vero secundum rationes quae partim sunt diversae et partim non diversae: diversae quidem secundum quod diversas habitudines important, unae autem secundum quod ad unum aliquid et idem istae diversae habitudines referuntur; et illud dicitur analogice praedicari, idest proportionaliter, prout unumquodque secundum suam habitudinem ad illud unum refertur. 82101: Item sciendum quod illud unum ad quod diversae habitudines referuntur in analogicis, est unum numero, et non solum unum ratione, sicut est unum illud quod per nomen univocum designatur. Et ideo dicit quod ens etsi dicatur multipliciter, non tamen dicitur aequivoce, sed per respectum ad unum; non quidem ad unum quod sit solum ratione unum, sed quod est unum sicut una quaedam natura. Auch Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy and The Transcendentals: the case of Thomas Aquinas (1996), S. 140-141. Sententia Libri Metaphysicae Libri 7-8, 82903 (Z4, 1030a34-b3): Non enim est rectum quod quod quid est et definitio dicatur de substantia et de accidentibus, neque aequivoce, neque simpliciter et eodem modo, idest univoce. [...] Sed dicitur analogice per respectum ad unum, scilicet ad medicinam. Et similiter quod quid est et definitio, non dicitur nec aequivoce nec univoce, de substantia et accidente, sed per respectum ad unum. Dicitur enim de accidente in respectu ad substantiam, ut dictum est. Sententia Libri Metaphysicae Liber 9, 83351 (Metaphysik Q1, 1046a4-19): Unde manifestum est, quod omnes isti modi potentiarum reducuntur ad unum primum, scilicet ad potentiam activam. Et inde patet quod haec multiplicitas non est secundum aequivocationem, sed secundum analogiam. 17 Dadurch dass der Oberbegriff, das Sein für Prädikat der Substanz und der Akzidenz gehalten wird, dreht Thomas die ganze Kategorienlehre des Aristoteles um. Denn die zehn Kategorien, sei es wesentlich sei es akzidentell, sind nichts anderes als zehn Typen Prädikate. In der aristotelischen Kategorienlehre handelt es sich

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Akzidenz keine ontologische Selbständigkeit (inesse) hat und in logisch-ontologischer

Abhängigkeit von der Substanz (per se esse) steht, geht die Akzidenz als Nachrangiges auf die

Substanz als Vorrangiges zurück (posterius ad prium, accidens ad substantiam). Gleichfalls

richten sich die Geschaffenen auf den schaffenden Gott aus (creatura ad Deum), indem

Thomas das Verhältnis Priorität-Posteriorität (pro/teron-u(/steron, prius-poterius), womit

Aristoteles die Vorrangigkeit der Substanz und die Nachrangigkeit der Akzidenz ausdrücklich

macht18, auf Gott und Geschöpf überträgt.

Obwohl derselbe Oberbegriff Sein sowohl von Substanz als auch von Akzidenz prädiziert

wird, ist die eine per se und die andere nur per accidens seiend, sodass das Sein der Akzidenz

auf das Sein der Substanz zurückzuführen sein muss. Es ist auf Gott und Geschöpf

transformierbar. Obwohl derselbe Begriff Schönheit sowohl von Gott als auch von Geschöpf

aussagt wird, ist Gott absolut schön und das Geschöpf nur gewissermaßen schön, sodass die

Schönheit der Geschaffenen auf die Schönheit Gottes zurückgreifen muss. Aufgrund dessen

setzt Thomas die logische Analogieprädikation mit dem ontologischen Auf-Eines-hin-

Verhältnis gleich. Damit ist die Rückführung der Akzidenz auf die Substanz (accidens ad

substantiam) und der Geschaffenen auf Gott (creatura ad Deum) gemeint, vorausgesetzt dass

bei zwei Sachen die eine der anderen ontologisch vorgeordnet ist.

Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: In erster Linie ist die sogenannte analogia

praedicationis keineswegs die eigenständige Prädikationsweise, wie Univokation oder

Aequivokation, sondern sie bringt nur ein bestimmtes Verhältnis der Prädikationen zur

Sprache. Falls die Schönheit allein von Gott oder nur von Geschöpf ausgesagt wird, spielt die

analogische Prädikation keine Rolle. Nur die Schönheit Gottes und die Schönheit der

Geschaffenen stehen zueinander analog. Zweitens verknüpft Thomas die logische

Analogieprädikation mit dem ontologischen Auf-Eines-Hin-Verhältnis, um die Vorordnung

Gottes hervorzuheben. Obwohl Thomas nur von analogia praedicationis redet, ist die Spur der

analogia entis schon zu finden.

In der Theoriebildung der rationalen Theologie verwendet Thomas eine Menge aristotelischer

Begriffe und Termini, z.B. Vermögen-Verwirklichung (potentia-actus, du/namij-e)ne/rgeia),

Materialität-Immaterialität (materiale-immaeriale, meta\ u(/lhj-a)/neu u(/lhj), Komplexität-

nicht darum, dass das Sein von der wesentlichen und akzidentellen Kategorie prädiziert wird. Sondern es geht darum, dass die Wesenheit und die Akzidenz von dem zugrundeliegenden Einzelnen ausgesagt werden. 18 Vgl. Metaphysica Z1, 1028a31-1028b2; Categoriae 5, 2a34-2b9

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Einfachheit (multipliciter-simpliciter, sunqe/ton-a(plou=n), Endlichkeit-Unendlichkeit

(finitum-infinitum, pe/raj-a)/peiron), Zeitlichkeit-Ewigkeit (temporalis-aeternus,

xro/noj-ai)/dion), Aequivokation-Univokation (aequivoce-univoce,

o(mwnu/mwj-sunwnu/mwj), usw. In der Erörterung über die prädikative Analogie bezieht

sich Thomas auf die Kategorienlehre des Aristoteles. Da bei Thomas die Entfaltung seiner

eigenen Theologie und die Auslegung der aristotelischen Philosophie miteinander eng

zusammenhängen und aufeinander Auswirkungen üben, scheint es, als habe Aristoteles die

Analogie auch in dem thomistischen Sinne angewendet. Deswegen müssen wir uns auf die

folgenden Fragen konzentrieren: Erstens, ob die aristotelische Analogie nur als

Prädikationsweise angesehen wird; Zweitens, ob und inwiefern die Analogie mit Pros-Hen

identifiziert werden kann. Zum einen kann die Analogie bei Aristoteles nicht auf die logische

Prädikation beschränkt sein, denn die strukturelle Ähnlichkeit dringt Sein, Veränderung und

Logos durch. Zum anderen ist es nicht selbstverständlich, das Pros-Hen-Verhältnis mit der

Analogie gleichzusetzen.19 Die beiden können nur dann für identisch gehalten werden, wenn

die aristotelische Proportionalitätsanalogie die thomistische Attributionsanalogie ersetzt. Ein

klarer Beweis dafür liegt in einer Stelle der Nikomakischen Ethik, wobei Von-Einem-her

(a)f' e(no/j) und Auf-Eines-hin (pro\j e(/n) zusammen mit der Analogie (kat' a)nalogi/an)

gesprochen werden.

ou)k e)/stin a)/ra to\ a)gaqo\n koino/n ti kata\ mi/an i)de/an. a)lla\ pw=j dh\ le/getai; ou) ga\r e)/oike toi=j ge a)po\ tu/xhj o(mwnu/moij. a)ll' a)=ra/ ge t%= a)f' e(no\j ei)=nai h)\ pro\j e(/n a(/panta suntelei=n, h)\ ma=llon kat' a)nalogi/an; w(j ga\r e)n sw/mati o)/yij, e)/n yuxv= nou=j, kai\ a)/llo dh\ e)n a)/ll%.-Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096b25-29

19 Die griechischen Kommentatoren wie Alexander, Asclepius halten „Auf Eines hin“ und Analogie nicht für identisch, obwohl man aufgrund der Textstellen in der Nichomakischen Ethik (A6, 1096b27-29; B6, 1106b21-23) „Auf Eines hin“ (pro\j e(/n) mit „Von einem her“ (a)f' e(no/j) verbindet. Darüber hinaus macht Porphyrius die Differenz nachdrücklich, indem er die notwendige Namensgleichkeit (o(mwnu/mon a)po\ dianoi/aj), die dem zufälligen Gleichnamigen entgegensteht (o(mwnu/mon a)po\ tuxh=j-Ethica Nicomachea A6, 1096b26-27; Ethica Eudemia H2, 1236b23-26), in drei verschiedenen Gruppen teilt. Die verschiedenen Dinge können entweder anhand der bloßer Namensgleichheit (kaq' o(moio/thta) oder durch die Analogie, d.h. strukturelle Ähnlichkeit (e)k th=j a)nalogi/aj) gleichnamig sein. Oder die Gleichnamigen kommen von dem einen Ursprung heraus, und weisen wiederum darauf hin (a)f' e(no/j kai\ pro\j e(/n)-Vgl. Porphyrii In Categoriarum, S. 65, 8r: 18-S. 67, 9v: 32; Simplicii In Categoriarum, S. 31, 7v: 22-S. 32, 8r: 19. Vermutlich ist Thomas der Erste, der die aristotelische Aussage „Auf Eines hin“ ausdrücklich unter der Analogie stellt. Im Gegenteil dazu ist Montagnes der Meinung, dass Aristoteles selbst nie das Auf-Eines-hin-Verhältnis als Analogie bezeichne. Vgl. Bernard Montagnes, O.P., La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin (1963), S. 21: Il faut au contraire partir du problème doctrinal de l’unité de l’être et, de là, clarifier le langage dont on doit se servir. Or la source des spéculations philosophiques au sujet de l’analogie se trouve dans la théorie aristotélicienne des sens mutiples de l’être unifiés par référence à un premier, qu’Aristote n’appelle jamais analogie.

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Im Kontext geht es um die Frage, wie die verschiedenen Seienden gemeinsam als das Gute

bezeichnet werden. Das Gute ist nicht etwas Gemeinsames, das anhand der einzigen Idee

gebildet wird. Denn in der Heilkunst ist die Gesundheit, im Krieg der Sieg und in der

Hausverwaltung das Haus bzw. die Familie als das Gute zu bezeichnen. 20 Trotz dem

sachlichen Unterschied werden die Gesundheit, der Sieg und das Haus das Gute genannt. Die

Gleichnamigkeit ist weder auf einen abstrakten Begriff zurückzuführen noch kommt sie den

unterschiedlichen Dingen zufällig zu, sondern sie beruht auf der strukturellen bzw.

funktionalen Ähnlichkeit (a)/llo e)n a)/ll%). Die Vernunft und die Sehkraft sind z.B.

deswegen gleichfalls als etwas Gutes benannt, weil die Vernunft in der Seele so funktioniert

wie die Sehkraft in Augen (e)n yuxv= nou=j-e)n sw/mati o)/yij). Wie das Sehvermögen

die sinnliche Anschauung ermöglicht, so macht das Denkvermögen die intellektuelle

Anschauung möglich. Die Analogie (kat' a)nalogi/an) führt zu dem einheitlichen

Begriffsgebrauch, sodass die Sehkraft und die Vernunft von einem gemeinsamen Begriff,

nämlich von dem Guten zusammengefasst werden (a)f' e(no\j ei)=nai) und darauf hinweisen

(pro\j e(/n suntelei=n). In dem vorliegenden Zusammenhang ist es deutlich einzusehen,

dass Aristoteles die Analogie im Sinn der strukturellen bzw. funktionalen Ähnlichkeit

gebraucht. Demnach zeigt die Proportionalitätsanalogie keineswegs die Rückführung der

einen Sache auf die andere (unum ad alterum), sondern die zwei Verhältnisse gehen auf ein

gemeinsames Drittes zurück (duo ad aliquod tertium).21

Daher liegt der wesentliche Unterschied zwischen Attributions- und Proportionalitätsanalogie

erstens darin, dass jene die ontologische Priorität, diese aber die strukturelle Ähnlichkeit

20 Vgl. Ethica Nicomachea A7, 1097a19-22 21 Neben der Rückführung der einen Sache auf die andere erwähnt Thomas ein anderes Modell, nämlich die Rückführung der beiden Sache auf ein Drittes. Vgl. Thomas von Aquino, De potentia 7.7, 60238: Aliquid praedicatur de duobus per respectum ad aliquod tertium, sicut ens de qualitate et quantitate per respectum ad substantiam. [...] oportet esse aliquid prius duobus, ad quod ambo respectum habet, sicut substantia ad quantitatem et qualitatem. Aliquid praedicatur de duobus per respectum unius ad alterum, sicut ens de substantia et quantitate. [...] necesse est unum esse prius altero. Summa contra gentiles, I. 34, 23816: Quod quidem dupliciter contingit: uno modo, secundum quod multa habent respectum ad aliquid unum: sicut secundum respectum ad unam sanitatem animal dicitur sanum ut eius subiectum, medicina ut eius effectivum, cibus ut conservativum, urina ut signum. Alio modo, secundum quod duorum attenditur ordo vel respectus, non ad aliquid alterum, sed ad unum ipsorum: sicut ens de substantia et accidente dicitur secundum quod accidens ad substantiam respectum habet, non quod substantia et accidens ad aliquid tertium referantur. Huiusmodi igitur nomina de Deo et rebus aliis non dicuntur analogice secundum primum modum, oporteret enim aliquid Deo ponere prius: sed modo secundo. Auch Vgl. Jan A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendetal Thougt (2012), S. 269. Was aber Aristoteles in der Kategorienlehre betont, ist weder die Reduktion der Akzidenz auf die Substanz, noch dass die Akzidenz und die Substanz auf das Sein zu reduzieren sind. Sondern alle Kategorien, entweder akzidentell oder substanziell, richten sich auf die zugrundeliegende Einzelsubstanz aus. Dementsprechend werden alle Prädikate, sei es akzidentell sei es wesentlich, von dem zugrundeliegenden Subjekt ausgesagt, sodass sowohl die Akzidenz- als auch Wesensprädikation durch dieselbe Prädikaitonsstruktur von Subjekt und Prädikat konstituiert sind.

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hervorhebt. Zweitens handelt es sich bei Attributionsanalogie um die sachliche Vergleichung,

während sich die analogia proportionis auf die Gleichheit der Verhältnisse konzentriert

(h( a)nalogi/a i)so/thj e)sti\ lo/gwn). So verlangt die Proportionalitätsanalogie

mindestens vier Glieder (e)n te/ttarsin e)laxi/stoij), damit A zu B und C zu D anhand

desselben Verhältnisses stehen.22 Drittens hat die Attributionsanalogie, formal gesehen, keine

Verbindung mit dem mathematischen Ursprung der Analogie. Bei der

Proportionalitätsanalogie aber steht das ursprünglich mathematische Verhältnis immer im

Hintergrund.

Auf den ersten Blick scheint die von Hochscholastikern entwickelte analogia attributionis bzw.

analogia entis dem platonischen Analogiemodell sehr ähnlich zu sein. Denn die kreative

Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf (Deus-creatura) kann problemlos anhand des

Vorbild-Nachbild-Musters (paradei=gma-ei)ko/na) wiedergegeben werden, das Platon

ausdrücklich als Analogie bezeichnet.23 Aber man kann die grundsätzliche Differenz der

mittelalterlichen Attributionsanalogie von der griechischen Proportionsanalogie nicht

übersehen. Platon und Aristoteles stimmen darin überein, dass die ontologische Entsprechung

(o(moio/thta) ohne eine Verhältnisgleichheit (a)na/logon) nicht aufgestellt werden kann.

Demzufolge ist es kein sprachlicher Zufall, dass sowohl Platon24 als auch Aristoteles25 die

Ähnlichkeit (o(moio/thta, similitudo) und die Analogie (a)na/logon, analogia)

terminologisch für identisch halten. Ursprünglich muss die ontologische Entsprechung auf

eine bestimmte strukturelle Ähnlichkeit zurückgreifen, die für die platonisch-aristotelische

Proportionsanalogie charakteristisch ist. Im Folgenden richten wir die Aufmerksamkeit auf

die Analogietheorie von Platon nicht nur deswegen, weil Platon als Erster die Analogie in die

Philosophie einführt 26 , sondern vornehmlich deshalb, weil Platon das Urmuster der

Proportionalitätsanalogie paradigmatisch darstellt.

22 Vgl. Ethica Nicomaciae, E6, 1131a31-32, 1131b5-7; Magna Moralia, 1193b37 23 Vgl. Platon Timaios, 29b3-7; 29b9-c3 24 Vgl. Platon Politeia, 508b12-508c2: e)n t%= noht%=-e)n t%= o(rat%=: a)na/logon; 509c5-6: a)/gaqon-h(/lioj: o(moio/thta; 368d1-7, 368e8-369a3: yuxh\-po/lij: o(moio/thta. 25 Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096b28-29: [...] h)\ ma=llon kat' a)nalogi/an, w(j ga\r e)n sw/mati o)/yij, e)n yuxv= nou=j, kai\ a)/llo dh\ e)n a)/ll%; Topica A17, 108a7-12: th\n de\ o(moio/thta skepte/on [...], kai\ w(j e(/teron e)n e(te/r% tini, ou(/twj a)/llo e)n a)//ll%, oi(=on w(j o)/yij e)n o)fqalm%=, nou=j e)n yuxv=, kai\ w(j galh/nh e)n qala/ssv, nhnemi/a e)n a)e/ri.; De generatione animalium, 715b16-21: ὅσα δὲ μὴ πορευτικὰ καθάπερ τὰ ὀστρακόδερμα τῶν ζῴων καὶ τὰ ζῶντα τῷ προσπεφυκέναι, διὰ τὸ παραπλησίαν αὐτῶν εἶναι τὴν οὐσίαν τοῖς φυτοῖς, ὥσπερ οὐδ’ ἐν ἐκείνοις οὐδ’ ἐν τούτοις ἐστὶ τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν ἀλλ’ ἤδη καθ’ ὁμοιότητα καὶ κατ’ ἀναλογίαν λέγεται. 26 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, unter der Analogie, S. 215

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Dadurch dass Platon die Proportionalitätsanalogie im Kernstück seiner Metaphysik, nämlich

in der Zwei-Welten-Theorie entfaltet, tritt die mathematische Proportion in den Hintergrund,

der ontologische Sinn der Analogie aber in den Vordergrund. Daher geht es nicht um die

zahlenmäßige Proportion, sondern nur um das Entsprechungsverhältnis von Seins- und

Erkenntnissphäre, das zuerst zwiefältig zustande kommt. Dem Zwiespalt von Sein und

Werden (ou)si/a-ge/nesij) entsprechend ist das Erkenntnisvermögen in Denken und Meinen

(noh/sij-do/ca) zu teilen.27 Indem das Sein zum Werden (ou)si/a pro\j ge/nesin) und das

Denken zum Meinen (noh/sij pro\j do/can) in demselben Verhältnis steht28, besteht die

ontologisch-epistemologische Übereinstimmung darin, dass das Sein nur gedacht

(noh/sij peri\ ou)si/an) und das Werden bloß durch die Meinung geäußert werden kann

(do/ca peri\ ge/nesin).29

Des Weiteren präzisiert Platon die strukturelle Entsprechung von Sein und Denken, indem

Seins- und Erkenntnisbereich viergliedrig einzuteilen sind. In dem Liniengleichnis30 ist der

ganze Seinsbereich als eine Linie vorzustellen. Dadurch dass die Linie ungleich in zwei

Schnitte geliedert wird, fallen Sein und Werden, d.h. denkbares und sichtbares Gebiet

auseinander. Anhand desselben Verhältnisses entzweit sich der denkbare Seinsbereich weiter

in Ideen und mathematische Gegenstände und der sichtbare in Lebewesen und

Schattenbilder. 31 Da der gesamte Seinsbereich durch dieselbe Proportion

(a)na\ to\n au)to\n lo/gon) dreimal geteilt wird, verhält sich das Gedachte zum Gesehenen

(noou/menon-o(rwme/non), die Ideen zu geometrisch-logischen Gegenständen

(ei)/dh-pragmateuo/menoi peri\ ta\j gewmetri/aj kai\ logismou\j), und die

Lebewesen zu Schattenbildern (z%=a-ei)ko/naj) analog. In derselben Proportion zerlegt sich

andererseits das Erkenntnisvermögen in Denken und Meinen. Gleichfalls ist das Denken ins

noetische und dianoetische Denken zu unterteilen, das Meinen aber in Glauben und

Vermuten.32 Wie das Denken zum Meinen steht (noh/sij-do/ca), so steht das noetische

Denken zum dianeotischen (nou=j-dianoi/a) und das Glauben zum Vermuten

(pi/stij-ei)kasi/a). 33 Außer dass das Denken mit dem Sein und das Meinen mit dem

27 Vgl. Platon Politeia, 534a2-3; Timaios, 29b9-c3, 29b3-4: paradei=gma-ei)ko/na; Parmenides, 132c12-d4, 133c8-d5: ei)/dh/i)deai//paradei/gmata-o(moiw/mata 28 Vgl. Platon Timaios, 29b9-29c3; Platon Politeia, 534a3-8 29 Vgl. Platon Politeia, 534a1-3 30 Vgl. Politeia, 509d8-9, 511e3, 534a6 31 Vgl. Platon Politeia, 509d6-e1 32 Vgl. Platon Politeia, 511c4-d5 33 Vgl. Platon Politeia, 511d6-e4

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Werden in Übereinstimmung stehen, ergibt sich aufgrund der Vierteilung die vierfache

Entsprechung von Erkennen und Sein. Noetisches Denken stimmt nämlich mit Ideen,

dianoetisches Denken mit logisch-mathematischen Gegenständen, Glauben mit Lebewesen

und Vermuten mit Schattenbildern überein.

Anhand der Analogie ist nicht nur die Übereinstimmung von Seins- und Erkenntnissphäre zu

erörtern, sondern vielmehr der Urgrund der ontologisch-epistemologischen Entsprechung.

Das Sonnengleichnis macht ausdrücklich, dass die Sonne den sensiblen Bereich beherrscht

und das Gute den intelligiblen.34 Analog zu der Sonne, die das Sehen und das Gesehenwerden

zur Deckung bringt, lässt das Gute das Denken und das Gedachtwerden vereinigen. Das

Sichtbare kann nur durch die Beleuchtung des Lichts gesehen werden (fw=j)35, dessen Quelle

ohne Weiteres die Sonne ist. Ähnlicherweise muss das Denkbare durch die Vermittlung der

Wahrheit (a)lhqei/a) wahrhaft gedacht werden36, die von dem Guten her stammt. Außerdem

ermöglicht die Sonne nicht nur die sichtbaren Dingen gesehen zu werden, sondern auch sie

entstehen und aufwachsen zu lassen.37 Analog dazu macht das Gute nicht nur die Erkenntnis

der denkbaren Seienden möglich, sondern es verleiht ihnen vielmehr die Wesenheit und die

Substantialität.38 Wie die Sonne über das Werden hinaus geht, ist das Gute dem Sein an

Würde und Macht überlegen. 39 Insgesamt ist die Analogie von der intelligiblen und sensiblen

Welt dadurch konstituiert, dass sich das Gute ebenso auf Denken und Gedachtwerden bezieht,

wie sich die Sonne zu Sehen und Gesehenwerden verhält.40

Die Analogie, die der platonischen Zwei-Welten-Theorie ein metaphysisches Fundament legt,

ist auf die Beziehung zwischen Seele und Polis zu übertragen

(yuxh\-po/lij: o(moio/thta). 41 Die strukturelle Ähnlichkeit von Seele und Polis ist

dadurch aufzustellen, dass die drei staatlichen Klassen, nämlich Nahr-, Wehr- und Lehrstand

den drei seelischen Teilen von Begierde, Mut und Vernunft korrespondieren. Die

Übereinstimmung besteht allerding darin, dass die drei Kandinaltugenden von Besonnenheit,

Tapferkeit und Weisheit sowohl den drei Seelenteilen innewohnen, als auch den drei

34 Vgl. Platon Politeia, 508b12-508c2, 509d1-4 35 Vgl. Platon Politeia, 507d11-e4 36 Vgl. Platon Politeia, 508e6-509a5. Im Kontext wird die Wahrheit in demselben Sinne von Wissen bzw. Erkennen (e)pisthmh\/gnw/sij) angewendet. 37 Vgl. Platon Politeia, 509b2-4 38 Vgl. Platon Politeia, 509b6-8 39 Vgl. Platon Politeia, 509b8-10 40 Vgl. Platon Politeia, 508b13-508c2 41 Vgl. Platon Politeia, 368e8-369a3; 368d1-7

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Staatsklassen zugeteilt sind. Die übergeordnete Tugend der Gerechtigkeit kommt nur dann

zustande, wenn die drei Seelenteile und die drei Staatsklassen naturgemäß geordnet sind. Im

Falle, dass die Vernunft mithilfe des Mutes die niedrigen Begierden dominiert, tritt die

seelische Gerechtigkeit in Erscheinung. Analog dazu soll in der gerechten Polis der

vernünftige Philosophenkönig zusammen mit den mutigen Soldaten die normalen

Staatsbürger beherrschen. Die Analogie von Seele und Polis ist folgendermaßen zu

formulieren: Wie die drei Seelenteile miteinander zusammenhängen, sollen sich die drei

gesellschaftlichen Klassen genauso zu einer Polis zuammenfügen.

Darüber hinaus hat Platon noch eine kosmologische Verwendung der Analogie anzubieten.

Die Analogie ist deswegen als kosmologisches Ordnungsprinzip anzusehen, weil Gott anhand

der bestimmten Proportion die sichtbare und betastbare Welt schuf. Vorausgesetzt, dass die

vier Grundelemente vor der Schöpfung schon existieren, setzt der Schöpfergott Luft und

Wasser inmitten zwischen Feuer und Erde 42 . Diese Vier sind vom Gott möglichst

proportional einzuordnen, so dass in demselben Verhältnis (a)na\ to\n au)to\n lo/gon)

Feuer zu Luft, Luft zu Wasser und Wasser zu Erde steht. 43 Indem die vier Elemente

miteinander verbunden und kombiniert sind, wird der Körper des Kosmos durch die Analogie

(di' a)nalogi/aj), d.h. durch dieselbe Proportion (tau=ta a)na\ lo/gon) erzeugt.44 Indem

der Gott weiterhin alle Dinge, die sich im ungeordneten Zustand befanden, zu sich selbst und

zueinander in die harmonische Ordnung setzt, sind die Dinge analog (a)na/loga) und

symmetrisch (su/mmetra). 45 Anhand der bestimmten Proportion hat der platonische

Schöpfergott nicht nur die irdischen Körper aus Grundelementen geschaffen, sondern auch

die Dinge zueinander in ein harmonisches Verhältnis gebracht.

Wie gezeigt wurde hat Platon die Analogie dreifältig angewendet. Außer der ethisch-

politischen und kosmologischen Anwendung trägt die platonische Proportionalitätsanalogie

metaphysisch dazu bei, die Entsprechung von Sein- und Erkennenssphäre zu verdeutlichen.

Wie der Name besagt, konzentriert sich die Onto-logie immer auf das Verhältnis von Sein

(to\ o)/n) und Logos (lo/goj), nämlich wie der Logos bzw. das Denken das Seiende wahrhaft

begreift. Platons Meinung nach ist die ontologisch-epistemologische Übereinstimmung

42 Vgl. Platon Timaios, 32b4-5 43 Vgl. Platon Timaios, 32b5-7. Anhand derselben Abfolge gibt Aristoteles dem notwendigen Übergang des einen Element zu dem anderen eine metaphysische Erklärung (pu=r→a)h\r→u(/dwr→gh=→pu=r). 44 Vgl. Platon Timaios, 32b9-c2, 56c3-7 45 Vgl. Platon Timaios, 69b2-6

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jeweils in einem übergeordneten Prinzip verwurzelt, nämlich im Sichtbaren in der Sonne und

im Denkbaren im Guten. Indem das übergreifende Prinzip in dem sensiblen und intelligiblen

Bereich aufgehoben wird, ist Aristoteles der Auffassung, dass das übereinstimmende

Verhältnis von Sein und Logos auf ihre ähnliche Struktur zurückgeht. Außerdem ist die

aristotelische Metaphysik dadurch charakteristisch, dass die Veränderung in die

metaphysische Untersuchung einbezogen ist. So hebt Aristoteles die dreifache

Übereinstimmung von Sein, Logos und Veränderung hervor, während Platon die zwiefältige

Korrespondenz von Sein und Denken zum zentralen Thema macht.46 Aufgrund dessen, dass

Sein, Logos und Veränderung miteinander strukturell korrespondieren, kann die aristotelische

Meta-physik bzw. Onto-logie von dem ontologischen Prinzip ausgehend, sowohl die Physik

als auch die Logik begründen. Wir nennen die dreifache Korrespondenz die Analogie von

Sein, Logos und Veränderung, die den Hauptteil dieser Arbeit ausmacht. Da Aristoteles in

den überlieferten Schriften die Analogie nicht ausdrücklich in diesem Sinne verwendet,

müssen wir auf die Texte genau eingehen. Anhand einer ausführlichen Textanalyse ist die

allgemeine und fundamentale Struktur der aristotelischen Analogie herauszufinden, worauf

die Rekonstruktion aufbauen kann. Da Aristoteles die Analogie (a)nalogi/a, o(moio/thta)47

vielfältig gebraucht, werden wir zunächst die Anwendung in Biologie und Ethik-Politik

erwähnen und dann den metaphysischen Sinn behandeln.48

46 Die ontologische Grundlage der platonischen Zwei-Welten-Theorie wird dadurch abgeschafft, dass Aristoteles die Trennung der Ideen von empirischen Dingen leugnet. So muss die strukturelle Ähnlichkeit der aristotelischen Prinzipien und Substanzen auf eine neue Ebene aufzubauen sein. 47 Außer der Gleichsetzung von a)nalogi/a und o(moio/thta ist die adverbiale Verwendung o(moi/wj der Analogie auch naheliegend (Vgl. De arte poetica, 1457b17-18; Metaphysica Q6, 1048b6-8). Von Wortbildung aus sind o(moio/thta und o(moi/wj dem o(moi/oj zwar sehr ähnlich, aber das o(moi/oj als terminus technicus ist ganz streng auf die qualitative Identität bzw. Einheit beschränkt. Aristoteles legt großen Wert auf begriffliche Klarheit, indem er wesentliche, qualitative und quantitative Identität bzw. Einheit nicht nur voneinander unterscheidet, sondern vielmehr terminologisch festlegt, nämlich au)to\ (e/(n kat' ei)=doj- Metaphysica L8, 1074a31-33), o(moi/oj (e/(n kata\ poi=on-Categoriae 8, 11a15-19) und i)/soj (e/(n kata\ po/son-Categoriae 6, 6a26-35)-Vgl. Metaphysica D15, 1021a10-12. Da sich das o(moi/oj nur auf die qualitative Identität bezieht, ist es nicht in die Untersuchung der strukturellen Ähnlichkeit einbezogen. 48 Die logische Verwendung der Analogie, die in dem historischen Wörterbuch der Philosophie zur Erwähnung kommt, ist bei Aristoteles nicht zu finden. Die Textstelle (Analytica Prioria, II 24), worauf es im Wörterbuch hingewiesen ist, bezieht sich nicht auf die Analogie, sondern darauf, wie anhand eines Mittelbegriffs die Eigenschaft von der einen Sache zu der anderen übertragen werden kann. Aristoteles argumentiert zwar häufig anhand der Analogie, aber bei ihm kann es den sogenannten analogischen Syllogismus „sullogismo\j kat' a)nalogi/an“ nicht geben, der von Theophrast zum Ausdruck gebracht wird (Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 216). Denn laut Aristoteles sind die beiden völlig verschiedene Vorgehensweisen. Die Analogie dient der metaphysischen Prinzipienforschung, indem die einzelnen Fälle zu der analogischen Allgemeinheit aufsteigen (Einzelheit→Allgemeinheit). Dagegen gilt der Syllogismus als die Beweisführung der partikularen Einzelwissenschaft, wobei sich die einzelne Konklusion aus der allgemein gültigen Prämisse syllogistisch schlußfolgert (Allgemeinheit→Einzelheit).

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In der Biologie weist die Analogie auf die funktionale Ähnlichkeit der verschiedenartigen

Lebewesen hin. Die funktionale bzw. strukturelle Gemeinsamkeit betrifft sowohl die

organischen Körperteile als auch die Affektionen. 49 Obwohl die anderen Arten vom

Lebewesen weder die menschlichen Organe, wie Herz (kardi/a)50, Lunge (pleu/mwn)51,

usw. noch bestimmte Körperteile, z.B. Fleisch (sa/rc)52, Knochen (o)sta=)53, Blut (ai(=ma)54

und Nerv (neu=ron) 55 haben, sind sie mit dem Analogon ausgestattet, das die gleiche

Funktion in sich trägt (to\ a)na/logon th\n au)th\n e)/xon du/namin).56 Was nämlich dem

Menschen der Fuß, ist dem Vogel der Flügel und dem Fisch die Flosse.57 Denn Fuß, Flügel

und Flosse haben dieselbe Fähigkeit, Menschen, Vogel und Fisch räumlich bewegen zu lassen.

Außerdem wohnen dem vegetarischen und tierischen Samen die Wärme gemeinsam inne,

insofern sie als Lebensprinzip alle organischen Körperteile zusammenbinden.58 Was daher die

biologische Verwendung der Analogie anbelangt, ist diese nichts anderes als die gleiche

Funktion, die entweder von den Organen oder von der Affektion geleistet wird.

In der aristotelischen Ethik zeigt sich am deutlichsten der mathematische Ursprung der

Analogie, die bezüglich der Tugend entweder die arithmetrische Analogie

(a)riqmhtikh\ a)nalogi/a) 59 oder die geometrische Analogie

(a)nalogi/a geometrikh\)60 genannt wird. Zuerst kann die Tugend nur dann als Mittelmaß

zwischen Übermaß und Mangel definiert werden, wenn das arithmetrische Verhältnis ein

methodisches Fundament legt. Die grundlegende Voraussetzung ist folgendermaßen zu

49 Vgl. De partibus animalium A5, 645b3-6; A4, 644a23 50 Vgl. De generatione animalium B1, 735a23-26; B4, 738b15-18; B5, 741b15-17; B6, 742b35-743a1 51 Vgl. De partibus animalium A5, 645b6-8 52 Vgl. De generatione animalium B6, 743a10; De anima B11, 422b20-21, 423a13-15 53 Vgl. De generatione animalium B6, 745a8; Analytica Posterioria B14, 98a20-23: Knochen; De generatione animalium B6, 745b10: Zähne 54 Vgl. De generatione animalium B4, 740a21-22; D1, 766a33-34; De partibus animalium A5, 645b8-10; Historia animalium A4, 489a21-27 55 Vgl. De generatione animalium B3, 737b1-4 56 Vgl. De partibus animalium A5, 645b8-10; Historia animalium A1, 487a1-10; Rapp: Ähnlichkeit, Analogie und Homonymie bei Aristoteles, Zeitschrift für Philosophische Forschung, 46:4, 1992, S. 531-532. Außerdem wohnt den anderen Lebewesen die Wahrnehmungsvermögen, Stimme zu haben, zu schmecken oder zu riechen auch analogischerweise inne. Vgl. De anima B8, 420b5-8: fwnei=n-kaq' o(moio/thta; De anima B9, 421a16-18, 421a27-30: geu=sij, o)smh\-a)na/logon. 57 Vgl. De partibus animalium A4, 644a21-22; Historisches Wörterbuch der Philosophie, unter Analogie, S. 216; De partibus animalium A5, 645b3-5; Historia animalium A1, 486b17-22; Krämer, Gurndbegriffe akademischer Dialektik in den biologischen Schriften von Aristoteles und Therophrast (1968), S. 297-298 58 Vgl. De partibus animalium A4, 644a23: Affektionsähnlichkeit; De generatione animalium B3, 736b33-737a1: das Warme 59 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a35-36; E4, 1131b32-1132a2, 1132a29-30 60 Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131b12-13

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formulieren. Allgemein gesehen gibt es in jedem diskreten (e)n panti\ diairet%=)61 und in

jedem kontinuierlichen Seienden (e)n panti\ sunexei=)62 das Mehr, das Weniger und das

Gleiche (plei=on-e)/latton-i)/son), welches die Mitte zwischen Übermaß und Mangel ist

(u(perbolh/-e)/lleiyij-me/son).63 Die Mitte kann in zweierlei Hinsicht betrachtet werden,

nämlich entweder der Sache nach (kat' au)to\ pra=gma) oder in Bezug auf uns

(pro\j h(ma=j).64 Mit der sachlichen Mitte ist gemeint, dass sie auf die Extreme in gleicher

Beziehung steht. Wenn z.B. zehn Dinge mehr, zwei aber weniger sind, lassen sich sechs

Dinge zum Mittelmaß nehmen.65 Denn in demselben zahlenmäßigen Verhältnis stehen sechs

zu zwei und zehn zu sechs. Da eine solche objektive Mitte anhand der bestimmten

arithmetrischen Beziehung zustande kommt, wird das Verhältnis terminologisch die

arithmetrische Analogie genannt.66

Die Ethik, die die bestimmten seelischen Zustände, d.h. Affektionen (pa/qh) und die daraus

folgenden Handlungen (pra/ceij) thematisiert, lässt sich anhand der arithmetrischen

Analogie begründen. Denn die seelische Tugend und die tugendhafte Handlung, in denen es

Übermaß, Mangel und Mitte gibt, zielt immer auf das Mittelmaß, das nicht der Sache nach,

sondern nur auf uns bezogen ist. 67 Während die sachliche Mitte objektiv ist, kann das

praktische Mittelmaß nicht allen Menschen ein und dasselbe sein68, weil es immer mit dem

Individuum und mit der konkreten Situation zusammenhängt. Darum ist die ethische Tugend

weder Übermaß noch Mangel, sondern nur Mittelmaß (meso/thj), das in konkreten Fällen

61 Mit dem diskreten Seienden ist in diesem Zusammhang die Zahl gemeint. Offensichtlich gehört die Zahl zur quantitativen Kategorie. Indem sich die Quantität in Teilbarkeit und Kontinuität ausdifferenziert (tou= de\ posou= to\ me/n e)sti diwrisme/non, to\ de\ sunexe/j), ist die Zahl das teilbare Quantum (e)/sti de\ diwrisme/non me\n oi(=on a)riqmo\j kai\ lo/goj). Wenn z.B. zehn aus zweimal fünf besteht, kann es sich auch darin zerlegen. Vgl. Categoriae 6, 4b20-31 62 Etwas Kontinuierliches bezieht sich hauptsächlich auf die Handlungen. Die menschliche Handlung wird im Licht der Bewegung bzw. der Veränderung betrachtet. Da die Bewegung kontinuierlich ist, lässt sich die Kontinuität der Bewegung auf die Handlung übertragen. h( me\n ga\r ki/nhsij sunexe/j, h( de\ pra=cij ki/nhsij. Vgl. Ethica Eudemia B3, 1220b26-27; Physica G1, 201a9-19 63 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a26-29; Ethica Eudemia B3, 1220b21-22; Magna Moralia 1.9 (1) und (2): u(perbolh/-e)/ndeia. In der großen Ethik ist statt e)/lleiyij ein anderer Terminus e)/ndeia anzuwenden. Damit ist es nichts anderes als Mangel gemeint. Ein ähnliches Begriffspaar u(peroxh/-e)/lleiyij verwendet Aristoteles sehr häufig im Kontext der theoretischen Philosophie, um das Mehr-Weniger im vorsokratischen Sinne zu bezeichnen. Vgl. Metaphysica H2, 1042b31-35; Physica G1, 200b28-29 64 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a27-28; Ethica Eudemia B3, 1220b23 65 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a33-34 66 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a35-36 67 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106b7, 1106b16-18 68 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a29-32

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für uns geeignet ist.69 Die allgemeine Definition der Tugend gilt für alle einzelnen Tugenden,

wie z.B. vier Kardinaltugenden, Besonnenheit, Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit. Der

Bestimmung zufolge befindet sich die Besonnenheit (swfrosu/nh) zwischen Zuchtlosigkeit

und Stumpfsinn (a)kolasi/a-a)naisqhsi/a), die Tapferkeit (a)ndrei/a) zwischen

Tollkühnheit und Feigheit (qrasu/thj-deili/a), und die (praktische) Weisheit (fro/nhsij)

zwischen Gerissenheit und Einfältigkeit (panourgi/a-eu)h/qeia). 70 Die Gerechtigkeit

(dikaiosu/nh) ist insofern den anderen Tugenden übergeordnet, als sie sich nicht auf das

einzelne Individum bezieht, sondern immer auf die anderen Menschen, die mit ihm im

Verkehr stehen. 71 Da sich die Gerechtigkeit als intersubjektive Tugend sowohl im

ökonomischen Austausch als auch im politischen Zusammenleben befindet, gilt das Gerechte

in dem einen Bereich als das Gleiche (to\ i)/son) und in dem anderen als das Gesetzliche

(to\ no/mimon).72 Je nach den verschiedenen Gebieten, in denen das Gerechte auftritt, ist es

durch die unterschiedlichen Analogiemodelle charakterisiert.

In dem freiwilligen und unfreiwilligen Austausch ergibt sich die Verteilungsgerechtigkeit

(to\ dianemhtiko\n di/kaion)73, die gemäß der arithmetrischen Analogie konstituiert ist.74

Denn im wirtschaftlichen Verkehr ist es von entscheidender Bedeutung, dass jedem weder

mehr noch weniger sondern nur das Seinige zugeteilt wird. Aus dem freiwilligen Austausch

stammen das wirtschaftliche Mehr und Weniger, d.h. Gewinn und Schaden.75 Mehr als das

Seine zu erhalten bedeutet das Gewinn-Machen. Am Ende weniger zu haben als am Anfang

69 Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a24-26. Die ethische Untersuchung thematisiert in erster Linie nicht die einzige Tugend, sondern die Wesenheit und die Definition der Tugend überhaupt (fu/sij a)reth=j). Die Definition der Tugend erwähnt Aristoteles an folgenden Stellen: Ethica Nicomachea B6, 1106b36-1107a3, 1107a6-8; Ethica Eudemia B3, 1120b34-35, B5, 1222a9-12 70 Vgl. Ethica Eudemia B3, 1220b37-1221a13. Es gibt in der eudemischen Ethik eine List, wobei einige wichtigen Tugenden darzustellen sind. In der Nikomakischen Ethik und großen Ethik werden nur Besonnenheit und Tapferkeit zum Beispiel genommen. Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1107a22-25, Magna Moralia, 1.9 (1) 71 Vgl. Ethica Nicomachea E1, 1129b25-27, 1129b30-33, 1130a2-5, 1130a10-13 72 Vgl. Ethica Nicomachea E1, 1129a34-1129b1, E2, 1130b30-1131a3. Aristoteles fasst die Zweideutigkeit der Gerechtigkeit, nämlich Gleichheit und Gesetzlichkeit im Kapitel 1 und 2 vom Buch E der Nicomakischen Ethik zusammen. Im Kapitel 3 ist vom politischen Gerechten die Rede, das nach den verschiedenen Staatsverfassungen nicht ein- und dasselbe sein kann. Im Kapitel 4 und 5 wird die ökonomische Verteilungsgerechtigkeit behandelt. Im Kapitel 6 kommt die Analogie von Familie und Polis zur Erwähnung. 73 Im Kontext wird die Verteilungsgerechtigkeit auch als Ordnungsgerechtigkeit bezeichnet (to\ e)panorqwtiko\n di/kaion-NE E4, 1132a18). Im wirtschaftlichen Verkehr ist es sehr häufig passiert, dass die eine Seite mehr erhält, die andere aber die Interesse verliert. In solchen Fällen muss man die Flucht auf den Richter nehmen, der den beseelten Gerechten symboliert. Der Richter kann auf eine gerechte Art und Weise die Sachen einteilen. Insofern die ungerechten Zustände, nämlich Gewinn und Verlust wiederum in Ordnung gebracht werden, ist die Gerechtigkeit als Ordnungsgerechtigkeit zu bezeichnen. 74 Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1131b25-29, 1131b32-1132a2 75 Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132b11-13

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heißt Schaden-Erleiden. 76 Die Verteilungs- bzw. Ordnungsgerechtigkeit nimmt eine

Mittelstellung zwischen Gewinn und Schaden ein77, indem demjenigen, der weniger hat,

etwas hinzugefügt und etwas von demjenigen, der mehr oder am meisten besitzt,

weggenommen wird78. Im ökonomischen Austausch ist die Verteilungsgerechtigkeit daher

das Gleiche zwischen Mehr und Weniger, d.h. die Mitte zwischen Gewinn und Schaden.

Im Vergleich zur wirtschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit hält Aristoteles die politische

Gerechtigkeit (to\ politiko\n di/kaion) für die Gerechtigkeit schlechthin

(to\ a(plw=j di/kaion) 79 , die nicht anhand der arithmetrischen sondern anhand der

geometrischen Analogie (a)nalogi/a geometrikh/) zur Entfaltung kommt.80 Da die beiden

Nennungen scheinbar nur auf den mathematischen Ursprung der Analogie hinweisen, tendiert

man dazu, die arithmetrische und geometrische Analogie miteinander zu vermischen und die

beiden Begriffe als Synomyme zu interpretieren.81 Aber die zwei Analogiemodelle sind nicht

nur dem Namen nach sondern vielmehr der Sache nach different. Die arithmetrische Analogie

ist deswegen dreigliedrig, weil sie in der dreifachen Struktur von Übermaß, Mangel und

Mittelmaß gründet. Demzufolge ist die Verteilungsgerechtigkeit als die Ausgleichung von

Gewinn und Verlust bestimmt. Dagegen ist die geometrische Analogie viergliedrig, da in der

Geometrie sich das Ganze zum Ganzen ebenso verhält wie Glied zum Glied.82 Wie die

Herkunft andeutet, orientiert sich die geometrische Analogie an der Gleichheit der

Verhältnisse (h( au)th\ e)/stai i)so/thj, oi(=j kai\ e)n oi(=j).83

Anhand der geometrischen Analogie kommen die verschiedenen Typen des politischen

Gerechten zur Sprache.84 Die politische Gerechtigkeit kann deshalb nicht überall ein und

dieselbe sein, weil sie nicht das Natürliche (fusiko/n), sondern das Gesetzliche (nomiko/n)

ist.85 Des Weiteren hängt das mit dem Gesetz verbundene Gerechte immer mit der staatlichen

Verfassung zusammen (dikai/on-nomiko/n-politei/a). Denn je nach den

76 Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132b13-14 77 Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132a18-19 78 Vgl. Ethica Nicomachea E4, 1132b2-6 79 Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134a24-26; Politica G9, 1280a7-25 80 Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131b12-13 81 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 216 82 Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131b13-15; De anima B1, 412b23-25; Historia animalium A1, 486a20-21; Krämer, Gurndbegriffe akademischer Dialektik in den biologischen Schriften von Aristoteles und Therophrast (1968), S. 297 83 Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131a20-22 84 Obwohl in E3 die Akzentuierung auf die viergliedrige geometrische Analogie gelegt wird (1131a18-1131b16), kommt die dreigliedrige arithmetrische Analogie kurz zur Sprache (1131a10-18). 85 Vgl. Ethica Nicomachea E7, 1134b18-24, 1134a3-5

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unterschiedlichen Verfassungen strebt man nach dem jeweiligen Würdigen, das man für gut

und gerecht hält. Die Demokratie zielt auf Freiheit, Oligarchie auf Reichtum oder adlige

Herkunft, Aristokratie auf Tugend oder Gesetz, und Tyrannei auf Überwachung und

Kontrolle.86 Die strukturelle Ähnlichkeit lässt sich damit aufzeigen, dass die Verfassung zu

dem Gerechten in gleicher Beziehung steht.

Außerdem sind die Menschen nicht nur politische, sondern auch familiäre Lebewesen, da

Mann und Frau von Natur aus die Familie bilden, um die Nachkommenschaft

hervorzubringen. 87 Mit anderen Worten: Die Menschen sind insofern gemeinschaftliche

Lebewesen, als sie sich naturgemäß für das Zusammenleben entscheiden, und zwar sowohl im

Staat als auch in der Familie. Vorausgesetzt, dass die Gerechtigkeit in verschiedenen

Gemeinschaften (to\ di/kaion e)n tisi koinwnoi=j) 88 anhand einer ähnlichen Struktur

(dikai/on kaq' o(moio/thta) konstituiert ist89, wird die Gerechtigkeit der Polis auf die der

Familie übertragen. Wie die Gerechtigkeit des Staats (to\ politiko\n di/kaion)90 auf der

harmonischen Beziehung zwischen Regierendem und Regiertwerdendem beruht91, weist die

Gerechtigkeit der Familie (to\ oi)konomiko\n di/kaion) 92 ebenso das harmonische

Verhältnis des Mannes zur Frau auf. Analog dazu bestehen die Gerechtigkeit des Herrn

(to\ despotiko\n di/kaion) und die Gerechtigkeit des Vaters (to\ patriko\n di/kaion)

darin, dass ähnlicherweise (o(moi/wj) der Herr über den Knecht und der Vater über den Sohn

herrschen soll.93 Da die ähnliche Struktur in einem naturgemäßen Verhältnis von Beherrschen

und Beherrschtwerden gründet

(e)pefu/kei no/moj [...] i)so/thj tou= a)/rxein kai\ a)/rxesqai) 94 , steht der Herrscher

zum Bürger, der Mann zur Frau, der Herr zum Knecht und der Vater zum Sohn im gleichen

Verhältnis 95.

In der Biologie bezeichnet die Analogie die funktionale Gleichheit der verschiedenartigen

Lebewesen. Während die dreigliedrige arithmetrische Analogie der aristotelischen

86 Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131a27-29; Ars Rethorica A8, 1366a4-6 87 Vgl. Ethica Eudemia H10, 1242a22-26; Politica A2, 1252a26-28 88 Vgl. Ethica Eudemia H10, 1242a21, 1242a26-28: kai\ koinwni/a toi/nun kai\ di/kaio/n ti. 89 Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134a28-30; E11, 1138b5-8 90 Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134a24-26 91 Vgl. Politica G4, 1277a25-27; G13, 1283b42-1284a3 92 Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134b15-17 93 Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134b8-9 94 Vgl. Ethica Nicomachea E6, 1134b13-15 95 Vgl. Ethica Eudemia H3, 1238b19-25; H10, 1242a28-36

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Tugendlehre zugrundeliegt, macht die viergliedrige geometrische Analogie die strukturelle

Ähnlichkeit der politischen Gerechtigkeit nachdrücklich. Die ähnliche Struktur ergibt sich

entweder zwischen den Staaten, die je nach den verschiedenen Verfassungen differenziert

sind, oder sie bezeichnet die Analogie von Familie und Polis. Nach der Erörterung der

biologischen und ethisch-politischen Analogie gehen wir auf die metaphysische Verwendung

ein, die prinzipiell in der geometrischen Analogie fundiert ist. Zunächst ist die formale

Struktur der Proportionalitätsanalogie folgendermaßen darzustellen:

to\ ga\r a)na/logon ou) mo/non e)sti\ monadikou= a)riqmou= i)/dion, a)ll' o(/lwj a)riqmou=: h( ga\r a)nalogi/a i)so/thj e)sti\ lo/gwn, kai\ e)n te/ttarsin e)laxi/s-toij. [...] e)/stai a)/ra w(j o( a o(/roj pro\j to\n b, ou(/twj o( g pro\j to\n d [...]-Vgl. Ethica Nicomachea E3, 1131a30-32, 1131b5-696

Das Analogon ist nicht nur der monadischen Zahl eigentümlich, sondern es gilt für die Zahl

überhaupt. Mit anderen Worten ist die Analogie überall dort anwendbar, wo Zählen, Messen

und Vergleich möglich sind.97 Da die Analogie die Gleichheit der Verhältnisse ist, verlangt

sie mindestens vier Glieder. Wie sich a zu b verhält, ebenso g zu d. 98 Außer der

Grundstruktur kommen noch zwei Formen der Proportionalität zur Erwähnung.

th\n de\ o(moio/thta skepte/on e)pi/ te tw=n e)n e(te/roij ge/nesin, w(j e(/teron pro\j e(/teron ti, ou(/twj a)/llo pro\j a)/llo, oi(=on w(j e)pisth/mh pro\j e)pisthto/n, ou(/twj ai)/sqhsij pro\j ai)sqhto/n, kai\ w(j e(/teron e)n e(te/r% tini, ou(/twj a)/llo e)n a)//ll%, oi(=on w(j o)/yij e)n o)fqalm%=, nou=j e)n yuxv=, kai\ w(j galh/nh e)n qala/ssv, nhnemi/a e)n a)e/ri.-Vgl. Topica A17, 108a7-12

Die strukturelle Ähnlichkeit (o(moio/thta), d.h. die Analogie (kat' a)nalogi/an) ist

entweder durch „das Eine in Bezug auf das Andere“ (a)/llo pro\j a)/llo) oder durch „das

Eine in dem Anderen“ (a)/llo e)n a)//ll%) gekennzeichnet. Einerseits bezieht sich das

Denken genau so auf das Gedachte, wie die Wahrnehmung auf das Wahrgenommene.99

96 Zu der Grundstruktur der Proportionalitätanalogie kann man auch folgende Texte vergleichen: De anima G7, 431a20-431b1; Magna Moralia, 1193b37; Poetica 21, 1457b16-25; De Caelo A7, 275a28-275b2; D2, 309b8-12 97 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 216 98 In diesem Kontext (1131a32-1131b3) hat Aristoteles eine Erklärung anzubieten, inwiefern die viergliedrige Analogie ursprünglicher als die dreigliedrige ist. Diese muss insofern auf jene zurückzuführen sein, als die Mitte zweimal angewendet wird. Demzufolge steht das Übermaß (A) im gleichen Verhältnis zur Mitte (B), wie die Mitte (B) zur Mangel (C). Formal gesehen ist die vierfältige Struktur fundamental, sodass eine Analogie wenigstens vier Glieder verlangt. Auch Vgl. Ethica Nicomachea B6, 1106a26-28, Ethica Eudemia B3, 1220b21-23 99 Auch Vgl. De anima G4, 429a16-18

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Andererseits stehen die Sehkraft in den Augen, der Geist in der Seele100, die Ebenheit im

Meer und die Ruhe in der Luft101 zueinander auch in einem analogen Verhältnis. Aufgrund

der oben erwähnten Beispiele kann es so zu verstehen sein, dass die eine Form der Analogie-

„in Bezug auf etwas“ (pro\j ti)-epistemologisch, und die andere-„in etwas“ (e)n tini)-

ontologisch konzipiert ist. Im Zusammenhang mit den Seelenvermögen kommt die Analogie

nur anhand der pro\j ti-Struktur zum Wort, denn das seelische Vermögen, wie Vernunft

(noh/sij), Verstand (dianoi/a), Einbildungskraft (fantasi/a) oder Wahrnehmung

(ai)/sqhsij) kann sich nur auf den entsprechenden Gegenstand hinrichten (pro\j ti)102, ohne

darin vorzuliegen (e)n tini). Obwohl die beiden Gestalten der Analogie im metaphysischen

Kontext formal verschieden sind

(le/getai de\ e)nergei/# ou) pa/nta o(moi/wj a)ll' h)\ t%= a)na/logon, w(j tou=to e)

n tou/t% h)\ pro\j tou=to, to/d' e)n t%=de h)\ pro\j to/de), unterscheiden sie sich nicht

wesentlich voneinander. Denn sowohl pro\j ti als auch e)n tini können die ontologische

Gleichheit der Verhältnisse zum Ausdruck bringen.103

Inhaltlich trägt die metaphysische Anwendung der Analogie dazu bei, die Einheit der

Kategorien und die strukturelle Ähnlichkeit der Prinzipien zu beleuchten. In erster Linie

bringt die Analogie die Gemeinschaft der Einzelwissenschaften ans Licht, welche anhand der

kategorialen Ausdifferenzierung voneinander unterschieden sind. Anders formuliert:

Aufgrund der analogischen Einheit sind die verschiedenen Einzelwissenschaften erst

einheitlich zu begründen. Während die Metaphysik das Seiende als Ganzes theoretisch

betrachtet, nimmt die Mathematik nur die quantitative Bestimmung des Seienden zum

Untersuchungsgegenstand. Indem sich die Quantität ins Teilbare und Kontinuierliche

(diwrisme/non-sunexe/j), d.h. in Zahl und Größe (a)ri/qmoj-me/geqoj) ausdifferenziert,

100 Auch Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096b28-29 101 Auch Vgl. Metaphysica H2, 1043a22-26 102 Aristoteles Meinung nach soll das seelische Vermögen in die Kategorie der Relation (pro\j ti) lokalisiert sein. Vgl. Categoriae 7, 6b2-3; Metaphysica L9, 1074b35-36; De anima G4, 429a16-18 103 Vgl. Metaphysica Q6, 1048b6-8. An dieser Stelle tauchen zwar die beiden Formen der Analogie auf, aber das anschließende Beispiel zeigt offensichtlich, dass das pro\j ti ontologisch bezogen sein kann. Wie die Bewegung (Verwirklichung, Tätigkeit) zum Vermögen steht, ebenso die Substanz (Wesenssubstanz, Form) zu der bestimmten Materie (1048b8-9). Im metaphysischen Kontext sind pro\j ti und e)n tini konvertibel. An der einen Stelle tritt „pro\j ti“ auf ([e(/n] kat' a)nalogi/an de\ o(/sa e)/xei w(j a)/llo pro\j a)/llo-Vgl. Metaphysica D6, 1016b34-35), und an der anderen Stelle kommt „e)n tini“ vor (a)/llo e)n a)//ll%, kai\ to\ prw=ton ai)/tion w(j kinou=n a)/llo e)n a)/ll%-Metaphysica L4, 1070b26-27). Beide Ausdrücke weisen auf die strukturelle Ähnlichkeit hin.

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ist die Mathematik in die Arithmetik und Geometrie zu unterteilen.104 Was aber die beiden

Einzelwissenschaften zum Thema machen, ist weder die Zahl noch das Große schlechthin,

sondern die Eigentümlichkeiten der Zahl und des Großen.105 Demnach orientiert sich die

Arithmetik an dem Geraden und dem Ungeraden der Zahl.106 Die Geometrie zieht es in

Betracht, ob die Linie geradlinig oder gekrümmt ist und die Fläche eben oder nicht.107 So

bilden die beiden mathematischen Wissenschaften die analogische Einheit, dadurch dass die

ähnliche Struktur den verschiedenen Untersuchungsgegenständen zugeteilt ist. Wie sich das

Gerade in der Zahl befindet, ebenso das Geradlinige in (eindimensionaler) Linie und das

Ebene in (zweidimensionaler) Fläche.108

Dieselbe Struktur ist nicht auf Quantität beschränkt, sondern dehnt sich in die anderen

Kategorien aus, z.B. in die Qualität, sodass das Weiße in der Oberfläche 109 und die

Gesundheit im Körper gleicherweise vorhanden ist. Analog zu Quantität und Qualität liegt

dasselbe Gefüge auch bei der Kategorie der Bewegung 110 vor, da die Veränderung den

natürlichen Substanzen immanent ist. Wie gesagt machen Arithmetik, Geometrie, Physik,

Astronomie, Heilkunst, Ethik und Logik als selbständige Einzelwissenschaften immer etwas

Spezifisches zum Untersuchungsgegenstand (to\ me\n i)/dia e(ka/sthj e)pisth/mhj) 111 ,

nämlich die Eigenschaft der Zahl, die Gestalt der geometrischen Figur, die Veränderung des

Naturseienden, die Kreisbewegung des Gestirns, die Affektion des Körpers, die Tugend der

Seele und die Schlußfolgerung der Aussagen. Trotzdem bilden sie die analogische

Gemeinsamkeit (ta\ de\ koina/, koina\ de\ kat' a)nalogi/an), 112 indem jede

Einzelwissenschaft die disjunktiven Eigentümlichkeiten des jeweiligen Zugrundeliegenden

thematisiert (passio per se disiuncta entis), und zwar das Gerade-Ungerade der Zahl, das

Gerade-Krumme der Linie, die Bewegung-Ruhe des Naturdings, die gegensätzlichen Stellen

104 Vgl. Categoriae 6, 4b20-25. Die quantitative Kategorie ist ist ins Teilbare und Kontinuum (diwrisme/non-sunexe/j) entzweit. Außerdem trifft der quantitative Zwiespalt in der Form von Menge-Größe (plh=qoj-me/geqoj) auf. Die Menge ist zählbar und die Größe messbar. Darum ist die Menge die begrenzte Zahl und die Größe fasst die Linie, die Fläche und den Körper um (grammh/-e)pifa/neia-sw=ma). Da die Linie eindimensional, die Fläche zweidimensional und der Körper dreidimensional ist, entspricht die Linie der Länge, die Fläche der Breite und der Körper der Tiefe (mh=koj-pla/toj-ba/qoj). Vgl. Metaphysica D13, 1020a7-14. 105 Vgl. Arts Rhetorica A2, 1355b29-30; Analytica Posterioria A10, 76a40-76b2 106 Vgl. Analytica Posterioria A4, 73b20-21 107 Vgl. Analytica Posterioria A4, 73b18-20 108 Vgl. Metaphysica N6, 1093b19-20 109 Vgl. Metaphysica N6, 1093b20-21 110 Statt der Bewegung kommen Wirken und Leiden in der Kategorienliste vor. Denn das aktive Machende und das passive Erleidende sind allen Veränderungen und Tätigkeiten konstitutiv, außer dass das unbewegte Bewegende wegen der Immaterialität die Passivität aufhebt. 111 Vgl. Analytica Posterioria A10, 76a38 112 Vgl. Analytica Posterioria A10, 76a38-39; Ars Rhetorica A2, 1355b28-31

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des himmlischen Kreislaufs113, die Gesundheit-Krankheit des Körpers, das Gute-Schlechte der

seelischen Tugend und die Richtigkeit-Falschheit der logischen Schlußfolgerung.

Des Weiteren betrifft die Analogie nicht nur die Struktur des Gegenstandes, sondern auch die

Methode. Die wissenschaftliche Beweisführung vollzieht sich anhand des Syllogismus,

nämlich dass sich die bestimmte Konklusion aus der vorausgesetzten Prämisse syllogistisch

schlußfolgert. Darum sind die Einzelwissenschaften, die gemeinsam die apodiktische

Wissenschaft (e)pisth/mh a)podeiktikh/) genannt werden, methodisch vereinigt. 114

Anhand der strukturellen Ähnlichkeit des Untersuchungsgegenstandes und der methodischen

Gleichheit sind die apodiktisch-syllogistischen Wissenschaften zu begründen.

Zweitens ermöglicht die Analogie die Mehrdeutigkeit des Seienden

(to\ o)/n le/getai pollaxw=j), die auf die kategoriale Ausdifferenzierung zurückgeht, zu

vereinigen (pro\n e(/n kai\ mi/an tina\ fu/sin). 115 Anders formuliert: Derselbe Begriff,

wie die Gesundheit (u(gi/eia), die Arznei (i)atrikh/) oder das Gute (a)/gaqon) kann völlig

verschiedene Sachen bezeichnen und querkategorial angewendet werden. Aber die

querkategoriale Begriffseinheit, die über die Art- und Gattungseinheit hinausgeht, kann nur

durch die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Kategorien gebildet werden. Das Spazierengehen

und das bestimmte Zeichen sind gemeinsam als das Gesunde zu bezeichnen, weil sich das

eine zu der Kategorie des Machens (poiei=n) und das andere zur Qualität (poi/on)

analogischerweise verhalten. 116 Der Arzt, die Therapie und der gesunde Patient hängen

insofern begrifflich mit der Heilkunst zusammen, als der Arzt die Heilkunst nicht nur innehat

(e)/xein) sondern viemehr durchführen kann (poiei=n). Der gut behandelte Patient ist als

Werk der Heilkunst anzusehen, da die Wesenheit der Gesundheit bei ihm konkretisiert und

verwirklicht wird (e)/rgon-ou)si/a).117

Die querkategoriale Verwendung zeigt sich am offenkundigsten beim Begriff des Guten. Der

Mehrdeutigkeit des Seienden entsprechend wird das Gute mehrfältig ausgesagt

(pollaxw=j ga\r le/getai kai\ i)saxw=j t%= o)/nti to\ a)/gaqon). 118 Trotz der

113 Der Himmelskörper, der ewig im Kreis läuft und nicht stehenbleibt, hat insoforn die disjunktiven Eigenschaften aufzuweisen, als er an gegensätzlichen Stellen auftreten kann. 114 Vgl. Metaphysica B2, 997a5-11, 997a18-22; Analytica Posterioria A1, 71b18-23; A6, 74b5-12 115 Vgl. Metaphysica G2, 1003a33-34, 1003b5-6 116 Vgl. Metaphysica G2, 1003a34-1003b1; Topica A 15, 107b6-12 117 Vgl. Metaphysica G2, 1003b1-3 118 Vgl. Ethica Eudamia A8, 1217b25-26; Ethica Nicomachea A6, 1096a19-20, 1096a23-24

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Mehrdeutigkeit, die aus dem kategorialen Unterschied stammt119, werden die verschiedenen

Seienden als das Gute bezeichnet.120 Mit dem Guten ist folgendes gemeint, wie der Geist und

Gott in der Substanz, die Tugend in der Qualität, das rechte Maß in der Quantität, die

Nützlichkeit in der Relation, die passende Gelegenheit in der Zeit, der gesunde Aufenthaltsort

im Ort, das Lehren und Lernen in der Tätigkeit, usw.121 Der Sache nach sind der substanzielle

Gott/Geist, die qualitative Tugend/Gerechtigkeit, das quantitative Maß, die relationale

Nutzung, die zeitliche Gelegenheit, der räumliche Aufenthaltsort und die aktiv-passive

Tätigkeit völlig unterschiedlich. Trotzdem bildet sich eine querkategoriale Begriffseinheit,

indem das Jeweilige anhand der gleichen Struktur e)n tini das Gute genannt wird. Die

verschiedenen Seienden sind nicht zufällig gleichnamig

(ou) ga\r e)/oike toi=j ge a)po\ tu/xhj o(mwnu/moij), weil die ontologische

Strukturgleichheit die notwendige Namensgleichheit gewährleistet. Anders formuliert: Kraft

der strukturellen Ähnlichkeit (kat' a)nalogi/an) werden die unterschiedlichen Seienden

von einem gemeinsamen Begriff zusammengefasst (t%= a)f' e(no/j ei)=nai) und weisen

wiederum darauf hin (pro\j e(/n a(/panta suntelei=n).122

Im Gegenteil zu der überkategorialen Einheit der Idee des Guten spricht Aristoteles vom dem

querkategorialen Guten, das alle zehn Kategorien durchdringt. Ohne die sachliche

Verschiedenheit preiszugeben, konstituiert die Analogie die begriffliche Einheit. Daher

bedient sich das aristotelische Analogiemodell nicht der Prädikation sondern der

Begriffsbildung. Denn es geht darum, dass die verschiedenen Seienden nicht zufälligerweise

durch denselben Namen zu bezeichnen sind, der sowohl den querkategorialen Begriff wie das

Gute, als auch den prinzipiellen Begriff betrifft.

Drittens ist es einzusehen, wie die Prinzipien von Form-Stoff und von Vermögen-

Verwirklichung die unterschiedlichen Sachen analogischerweise benennen. In der

Prinzipienforschung geht Aristoteles davon aus, den Sachverhalt mit der Einzelsubstanz zu

vergleichen. Anhand desselben Kriteriums von per accidens und per se unterscheidet sich der

119 Vgl. Ethica Eudamia A8, 1217b26-29, Ethica Nicomachea A6, 1096a19-20 120 Vgl. Ethica Eudamia A8, 1217b29-30 121 Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096a24-27; Ethica Eudamia A8, 1217b30-33; Topica A15, 107a3-12. Unter dem qualitativen Guten steht in der Nikomakischen Ethik die Tugend, in der Eudamischen Ethik aber die Gerechtigkeit. Die beiden können deswegen miteinander wechseln, weil laut Aristoteles die Gerechtigkeit nicht ein Teil der Tugend, d.h. eine einzelne Tugend, sondern die Tugend überhaupt ist. Dementsprechend gilt die Ungerechtigkeit nicht als einzelnes Schlechte, sondern als das Schlechte schlechthin. Vgl. Ethica Nicomachea E1, 1130a8-10, 1129b27-30 122 Vgl. Ethica Nicomachea A6, 1096b26-29

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Sachverhalt von der Einzelsubstanz, die Aequivokation von der Univokation und die

Bewegung von der Entstehung. Darum ist der Vergleich von Sachverhalt und Einzelsubstanz

aequivalent zu formulieren, nämlich wie sich die Akzidenzprädikation zur Wesensprädikation

verhält, ebenso die Bewegung zur Entstehung. Wenn vom Prinzip und Element die Rede ist,

treten die Bewegung und Entstehung ins Spiel. Zu der Frage, ob die Prinzipien und die

Elemente von Sachverhalt und Einzelsubstanz identisch oder verschieden sind 123 , hat

Aristoteles folgende Antwort anzubieten. Trotz der Gattungsverschiedenheit ist der

Bewegung und der Entstehung dieselbe Struktur zugeteilt, nämlich die vier Ursachen.

Anhand des gleichen Seinsgefüges der vier Prinzipien können Bewegung und Entstehung erst

von demselben Oberbegriff Veränderung zusammengefasst und ausgeprochen werden.

Angesichts der Dihairese differenziert sich die übergeordnete Veränderung in die zwei

Gattungen aus, nämlich in den akzidentellen und den substanziellen Umschlag. Einerseits ist

die eine Gattung, die Bewegung in die drei Arten einzuteilen, und zwar anhand des

kategorialen Unterschieds von Qualität, Quantität und Ort. Andererseits entzweit sich die

andere Gattung, nämlich die notwendige Entstehung in menschliche Herstellung und

natürliche Zeugung, je nachdem die Wirkursachen unterschieden sind. Letztlich kann jede Art

von Bewegung und Entstehung in die jeweiligen Unterarten ausdifferenziert sein. Das

Hausbauen und die Heilkunst stehen z.B. unter der menschlichen Herstellung. Die

dihairetische Struktur ist folgendermaßen darzustellen:

123 Im Kontext (Metaphysica L4, 1070a31-33) scheint die Fragestellung anders zu sein. Dem originalen Text gemäß geht es in L4 um die Frage, ob die Prinzipien oder die Elemente der Wesenssubstanz und der akzidentellen Kategorien, welche gemeinsam als die Relation bezeichnet werden (pro/j ti-Metaphysica L4, 1070a36; Ethica Nicomachea A6, 1096a20-22), identisch oder verschieden sind. Die Prinzipienforschung setzt die Bewegung und die Entstehung voraus. Weder die Wesenssubstanz noch die akzidentelle Kategorie, sondern nur das Kompositum kann entstanden sein. Einerseits ist die Einzelsubstanz als substanzielles Kompositum entstanden, indem sich die Wesenssubstanz an der Einzelsubstanz konkretisiert (ge/nesij: ei)=doj→to/de ti). Andererseits wird der Sachverhalt als akzidentelles Kompositum dadurch zustande gebracht, dass die akzidentelle Eigenschaft dem zugrundeliegenden Einzelnen zukommt (ki/nhsij: pro/j ti→pra=gma). Wenn vom Prinzip oder Element die Rede ist, kann nicht die Wesenssubstanz mit der Akzidenzkategorie verglichen werden (ou)si/a-pro/j ti), sondern die Verwirklichung der einen mit der Verwirklichung der anderen (to/de ti-pra=gma). Da die Einzelsubstanz entstanden und der Sachverhalt akzidentell veränderlich ist (ge/nesij-ki/nhsij), thematisiert die Prinzipienlehre die Prinzipien oder die Elemente von Einzelsubstanz und Sachverhalt.

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Bezeichnet die analogische Struktur der vier Ursachen die Gemeinsamkeit der verschiedenen

Gattungen, kommt sie in jeder Stufe der Dihairese hindurch zur Geltung. Denn die

analogische Einheit bezeichnet Aristoteles als die Allgemeinheit im höchsten Maß.124 Im

Folgenden fangen wir mit der Analogie von Bewegung und Entstehung an, gehen dann in die

ähnliche Struktur von qualitativ-quantitativer Veränderung, Ortsbewegung, Herstellung und

Naturentstehung über und am Ende gelangen wir zur Analogie von Hausbauen und Heilkunst.

Da alle Typen der Veränderung und der Tätigkeit an der gleichen Struktur teilhaben, ist es

erst möglich, die prinzipiellen Paarbegriffe wie Stoff-Form und Möglichsein-Wirklichsein

einheitlich zu gebrauchen.

Aufgrund der Gattungsverschiedenheit sind die Prinzipien von Einzelsubstanz und

Sachverhalt jeweils anders (kaq' e(/kaston ge/noj-e(/teron) 125 , aber im Allgemeinen

124 Im philosophischen Wörterbuch (Metaphysica D6, 1016b31-35) unterscheidet Aristoteles vier Typen der Einheit, nämlich der Zahl nach (e(/n kat' a)riqmo/n), der Art nach (kat' ei)=doj), der Gattung nach (kata\ ge/noj) und der Analogie nach (kat' a)nalogi/an). Die analogische Einheit ist insofern die Allgemeinheit im höchsten Maß, als sie über die Gattungseinheit hinausgeht. Vgl. Metaphysica D6, 1016b35-1017a3; Theophrast, Metaphysica 9a 4-9: tau)t%= d' e)pista/meqa kai\ ou)si/# kai\ a)riqm%= kai\ ei)/dei kai\ ge/nei kai\ a)nalogi/# [...] dia\ plei/stou de\ to\ kat' a)nalogi/an, w(j a)\n a)pe/xontoj plei=ston; Hans Krämer, Gurndbegriffe akademischer Dialektik in den biologischen Schriften von Aristoteles und Therophrast (1968), S. 300, Fußnote 26 125 Vom Grunde genommen sind die Prinzipien oder die Elemente von Einzelsubstanz und Sachverhalt verschieden. Denn zum einen bilden sich Wesenskategorie, d.h. Wesenssubstanz und zukommende Kategorien die höchsten Gattungen im aristotelischen Sinne und darüber hinaus gibt es kein Gemeinsames (Metaphysica L4, 1070a35-1070b2). Zum anderen sind die Elemente der Einzelsubstanz und die des Sachverhaltes nicht aufeinander reduzierbar (Metaphysica L4, 1070b3-4). Während die Einzelsubstanz aus der Zusammensetzung von Stoff und Form besteht, ist der Sachverhalt durch die zugrundeliegende Einzelsubstanz und die zukommende Kategorie konstituiert. Sachlich gesehen sind sowohl der Stoff von der zugrundeliegenden Einzelsubstanz als auch die wesentliche Form von der zukommenden Kategorie unterschieden. Das ausführliche

metabolh/

ki/nhsij

oi)kodo/mhsij i)a/treusij

ge/nesij

poi=on po/son pou= fu/sij te/xnh

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bilden sie die analogische Identität (kaqo/lou-tau)ta\ kat' a)nalogi/an). 126 Anders

gesagt unterscheiden sich der veränderliche Sachverhalt und die entstandene Einzelsubstanz

zwar sachlich voneinander, aber ihnen ist dieselbe Struktur zugeteilt. Sie schließt nicht nur die

inneren Urachen, nämlich Stoff, Form und Privation in sich

(ai)/tia e)nupa/rxouta-u(/lh, ei)=doj, ste/rhsij), sondern auch die äußere Ursache, d.h.

Wirkursache (ai)/tion e)kto\j-kinou=n). 127 Daraus folgt, dass der Sachverhalt durch die

Bewegung und die Einzelsubstanz durch die Entstehung gemeinsamen Anteil an vier

Ursachen (ai)ti/ai te/ttarej) haben, die allerdings aus drei Elementen (tri/a stoixei=a)

und einem Bewegungsprinzip (a)rxh\ kinh/sewj) bestehen. 128 Um die Analogie von

Bewegung und Entstehung zu verdeutlichen nehmen wir die qualitative Veränderung und das

Hausbauen zum Beispiel. Falls beim Hausbauen die Haus-Gestalt als Form, die Unordnung

als Privation, die Baustoffe als Materie und der Hausherr als Wirkursache gilt129, ist in der

qualitativen Veränderung das Licht, das Weiße oder das Warme dementsprechend als Form

anzusehen, die Dunkelheit, das Schwarze oder das Kalte als Privation, die Luft, die Fläche

oder der Körper als zugrundeliegende Materie, und die natürliche oder menschliche Kraft als

Wirkursache.130

Des Weiteren können die gemeinsamen Prinzipien von Bewegung und Entstehung auf eine

andere Art und Weise (a)/llon tro/pon) zur Sprache kommen, indem Stoff, Privation und

Form auf die analogische Struktur von Möglichsein und Wirklichsein (du/namij-e)ne/rgeia)

zurückzuführen sind. 131 Das Begriffspaar von du/namij-e)ne/rgeia ist insofern

grundsätzlicher als Stoff-Form, als es nicht nur das Sein (esse) sondern vielmehr die

Seinsweise der jeweiligen Prinzipien (modi essendi) zum Ausdruck bringt. Einerseits lässt

sich das der Veränderung zugrundeliegende Vermögen in Aktivität und Passivität Argument ist in Metaphysica L4, 1070a33-1070b10 zu finden und die Konklusion in Metaphysica L4, 1070b19-21 und L5, 1071a29-33. 126 Vgl. Metaphysica L4, 1070a31-33, 1070b15-19; L5, 1071a24-27, 1071a29-35 127 Vgl. Metaphysica L4, 1070b22-23; D1, 1013a19-20 128 Vgl. Metaphysica L4, 1070b23-26 129 Vgl. Metaphysica L4, 1070b28-29 130 Licht-Dunkelheit-Luft: Metaphysica L4, 1070b21; Weiß-Schwarz-Fläche: L4, 1070b20-21; Warm-Kalt-Körper: L4, 1070b10-15. Statt der Wirkursache kommt das Resultat der Veränderung zur Erwähnung. Die Körperteile sind dadurch gesund gemacht, dass Wärme und Kälte ins harmonische Verhältnis gebracht werden (L4, 1070b14-15). Der Tag kommt aus der Mischung der Luft mit dem Licht hervor und die Nacht aus der Mischung der Luft mit der Dunkelheit (L4, 1070b21). 131 Vgl. Metaphysica L5, 1071a3-5. Im Text spricht Aristoteles zwar davon, dass die Prinzipien von Möglichsein und Wirklichsein in den schon erwähnten Ursachen fallen (1071a7-8). Aber in der Tat geht es darum, dass die drei Elemente von Stoff, Privation und Form auf die beiden Prinzipien zu reduzieren sind. Denn anhand des Möglichsein und Wirklichsein kann man Stoff, Privation und Form charakterisieren, umgekehrt aber nicht.

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entzweien.132 Andererseits bleibt die Form entweder in Möglichkeit oder in Wirklichkeit, je

nachdem ob sie aktualisiert wird. 133 Indem sich Aktivität-Passivität des Vermögens und

Möglichkeit-Wirklichkeit der Form miteinander kreuzen, ergibt sich anhand des Chiasmus

folgendes Schema:

Der konkrete Stoff ist durch Passivität und Wirklichkeit gekennzeichnet. Die Materie hat

passives Vermögen in sich, um die Prägung der Form aufzunehmen. Aber sie ist nicht

potential sondern ganz und gar real, denn um etwas Konkretes hervorzubringen muss sie

immer zur Verfügung stehen. Nicht die konkrete Materie sondern nur die Form kann in der

Möglichkeit existieren (ste/rhsij-duma/mei)134, falls sie realisierbar ist, aber noch nicht

realisiert wird. Was die Privation betrifft, ist diese nichts anderes als die abwesende Form

(a)pousi/a), der die Aktivität und die Potentialität zugeteilt sind. Bei der anwesenden Form

(parousi/a) aber fallen Aktivität und Aktualisierung zusammen.

Im Allgemeinen kann die Bewegung zusammen mit der Entstehung als die Verwirklichung

des möglichen Seienden als solchen definiert werden

(h( tou= duna/mei o)/ntoj e)ntele/xeia, v(= toitou=ton, ki/nhsi/j e)stin). 135 Wie

gesagt ist das mögliche Seiende nicht der konkrete Stoff sondern die Form, die sich aber in

dem Prozess der Veränderung immer als das Potentiale verhalten muss. Die Form kann

deswegen weder völlig in der Möglichkeit bleiben noch durchaus in die Wirklichkeit eintreten,

weil die Veränderung bei der einen noch nicht anfängt, und bei der anderen schon zum Ende

132 Vgl. Metaphysica Q1, 1046a16-29; Physica G3, 202b26-28 133 Vgl. Physica G1, 201a9-10 134 Der originale Text lautet aber: [...] duna/mei de\ h( u(/lh: tou=to ga/r e)sti to\ duna/menon gi/gnesqai a)/mfw (Metaphysica L5, 1071a10-11). Der Stoff bleibt insofern in der Möglichkeit, als es ihm möglich ist, geformt oder nicht geformt zu werden. Mit anderen Worten kann die Möglichkeit nur dann dem Stoff zukommen, wenn er unter dem Aspekt der abwesenden Form betrachtet wird. Die konkrete Materie ist durchaus real und wirklich. 135 Vgl. Physica G1, 201a10-11

du/namij tou= poiei=n du/namij tou= pa/sxein

duna/mei ste/rhsij

e)nergei/# ei)=doj u(/lh

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geht. Was die aristotelische Definition der Veränderung angeht, ist diese weder der Anfang

noch das Ende, sondern der Prozess vom Anfang zum Ende (a)rxh/→telei/on). Anders

formuliert: Aufgrund vom materiellen Substrat ist die Veränderung als ein Prozess anzusehen,

in dem die Form von der Möglichkeit in die Wirklichkeit (to\ duna/mei o)/n →

to\ e)nergei/# o)/n), von der Privation in die Vollendung (ste/rhsij→e(/cij) und von der

Abwesenheit in die Anwesenheit übergeht (a)pousi/a→parousi/a).

Daraus folgt, dass sich Stoff-Form und Dynamis-Energeia wechselseitig verhalten und

aufeinander reduzierbar sind. Wenn die Akzentuierung auf die Substantialität von Sachverhalt

und Einzelsubstanz gelegt wird, tritt die analogische Struktur von Stoff-Form in den

Vordergrund. Hinsichtlich der Prozessualität von Bewegung und Entstehung steht der Prozess

vom Möglichsein zum Wirklichsein im Zentrum.136

In erster Linie weist die analogische Struktur von vier Ursachen oder von Potentialität-

Aktualität die Gemeinsamkeit zwischen Bewegung und Entstehung auf. Dann dringt die

Analogie alle Arten Bewegungen und Entstehungen durch, damit qualitative, quantitative

Veränderung, räumliche Bewegung, Herstellung und Naturentstehung gleicherweise erörtert

werden können. Die Herstellung und die Naturentstehung, z.B. das Hausbauen und die

Zeugung des Menschen stehen zueinander analog, indem sich dieselbe Struktur von Form,

Privation, Stoff und Wirkursache durchsetzt. Daher stimmt die Hausgestalt mit der

136 Die Einführung von du/namij und e)ne/rgeia trägt mehrere theoretischen Funktionen in sich. Außer dem oben erwähnten Perspektivewechsel lässt sich die ontologische Priorität des Naturdings vor dem Artefakt hervorheben, indem sich die Selbstaktualisierung der potentialen Naturart notwendiger als die nachträgliche Zusammensetzung von Form und Stoff vollzieht. In diesem Zusammenhang betont Aristoteles eine weitere Funktion. Anderweise (a)/llwj-Metaphysica L5, 1071a5-6, 1071a11) ermöglichen du/namij und e)ne/rgeia die drei Typen der Substanzen in analogische Beziehung zu setzen. Im Vergleich zu vergänglichen Einzelsubstanzen sind die ewig bewegten Himmelskörper weder entstanden noch vergänglich und die intelligible Substanz hebt die Materie auf. In beiden Fällen kommt die hylemorphstische Erklärung nicht mehr zur Geltung, die die Entstehung und die Materialität voraussetzt. Demzufolge kann die strukturelle Ähnlichkeit von Einzellebewesen, Himmelskörper und Geist nur in der e)ne/rgeia (actus) gründen. Während die irdische Entstehung und die himmlische Bewegung als unvollkommene Verwirklichung gilt (actus imperfectus-1071a11-17, ki/nhsij e)ne/rgeia [...] a)telh\j-Physica G2, 201b31-32; Metaphysica Q6, 1048b28-30), verhält sich die geistige Tätigkeit als vollkommene Aktualisierung (actus perfectus, a(plw=j e)ne/rgeia†e)ne/rgeia tetelesme/nou-De anima G7, 431a6-7; h( a)plh= [ou)si/a] kai\ kat' e)ne/rgeian-Metaphysica L7, 1072a31-32; e)ntele/xeia-L8, 1074a36). Da sowohl den Naturdingen als auch den Himmelskörpern der Stoff innewohnt, sind die Entstehung der einen und die Bewegung der anderen passiv und prozessual. Die Veränderung im sublunaren Bereich ist insofern nicht vollendet, als sie sich immer zwischen dem möglichen und wirklichen Zustand befindet. Die geistige Tätigkeit als actus perfectus ist dadurch an actus imperfectus ausgezeichnet, dass sie sich rein aktiv auswirkt und sich selbst unmittelbar ins Ziel setzt (1071a35-1071b1). Der Geist vollendet sich deswegen unmittelbar, weil er durch die Aufhebung der Materie und der Passivität die Prozessualität mitaufhebt. In Bezug auf den Unterschied zwischen actus imperfectus und actus perfectus kann man den berühmten sprachlichen Beweis in der Metaphysik vergleichen. Vgl. Metaphysica Q6, 1048b18-35

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eigentümlichen menschlichen Art, die Unordnung mit der Abwesenheit, der Baustoff mit dem

Fleisch, Knochen usw. und der Hausherr mit dem Vater strukturell überein. Außerdem kann

dieselbe Analogie zwischen den Unterarten derselben Art aufzustellen sein. In Bezug auf die

handwerkliche Kunst verhält sich Heilkunst zum Hausbauen dadurch analog, dass im

Hinblick auf Form, Privation, Materie und Wirkursache die Gesundheit der Hausgestalt, die

Krankheit der Unordnung, der Körper dem Baustoff und der Arzt dem Hausherren strukturell

entspricht.

Wegen der höchsten Allgemeinheit ist die analogische Struktur in der dihairetischen

Abstufung durchgängig wirksam. Die Analogie, die die strukturelle Ähnlichkeit zwischen

unterschiedlichen Gattungen zum Vorschein bringt137, setzt sich abwärts in die verschiedenen

Arten derselben Gattung und weiter in die verschiedenen Unterarten derselben Art durch.

Bezüglich der begrifflich unteilbaren Art z.B. der menschlichen Art ist nicht mehr von

Analogie die Rede.138 Denn die Identität von verschiedenen einzelnen Menschen liegt nicht in

der analogischen Einheit, sondern in der Arteinheit, die ontologisch durch die

Naturentstehung (der Mensch erzeugt den Menschen) bewiesen und logisch anhand der

Wesensprädikation (irgendein Mensch ist Mensch) ausgedrückt wird. Anhand der Beispiele,

die Aristoteles im Kontext139 eingeführt hat, lässt sich dies folgendermaßen zusammenfassen:

ei)=doj ste/rhsij u(/lh kinou=n

ki/nhsij kata\ poi/on leuko/n me/lan e)pifa/neia

kata\ poi/on fw=j sko/toj a)h/r

137 Vgl. Metaphysica L5, 1071a24-27 138 Vgl. Metaphysica L5, 1071a27-29. Frede und Patzig betrachten diesen Satz als Beweis dafür, dass die Form individuell sei (Vgl. M. Frede und G. Partzig, Aristoteles Metaphysik Z, Text, Übersetzung und Kommentar, erster Band, 1988, S. 48-49). Im Text handelt es sich in dem Satz darum, dass die Materie als Individualisierungsprinzip die individuelle Verschiedenheit derselben Art verursacht. Vom Kontext her wird die Akzentuierung auf die Arteinheit gelegt, die anders als die analogische Einheit ist. Die Interpretation von Frede und Parzig ist nicht gültig, da sie dem vorliegenden Zusammenhang überhaupt nicht passt. Außerdem kann sich das Possessivpronomen (sh/, e)mh/) weder auf ei)=doj noch auf kinh=san sondern nur auf die Materie (u(/lh) beziehen. Schließlich garantiert die ontologische Arteinheit die logische Begriffseinheit (t%= kaqo/lou de\ log%= tau)ta/). Wenn die menschliche Art im einzelnen Individuum verschieden wäre, könnte sich keine begriffliche Einheit des Menschen bilden. Selbstverständlich kann man darüber diskutieren, ob die Form das principio individuationis sein kann oder nicht. Aber man kann nicht anhand dieses Satzes den Beweis erbringen, denn es ist weder sprachlich noch inhaltlich haltbar. 139 Vgl. Metaphysica L4, 1070b10-35; Physica A7, 191a7-12

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ge/nesij fu/sij ei)=doj i)/dion a)pousi/a

pu=r, gh= path/r

qermo/n yuxro/n ai)sqhta\

swma/ta

pra/cij u(gi/eia no/soj sw=ma i)atrikh/

poih/sij ei)=doj

oi)ki/aj

a)taci/a pli/nqoi oi)kodomikh/

ei)=doj

a)ndri/aj

a)/mofon xalko/j

ei)=doj

kli/nhj

a)/mofon cu/lon

Der graduellen Analogie zufolge lassen sich die verschiedenen Seienden, wie das Weiße, das

Licht, die menschliche Art, das Warme, die Gesundheit, Haus-, Statue- und Bettgestalt

gemeinsam als Form bezeichnen und deren Gegensatz als Privation. Dementsprechend

können die unterschiedlichen Zugrundeliegenden, wie die Fläche, die Luft, das Feuer, die

Erde, der Körper, der Baustoff, das Erz und das Holz von demselben Begriff Stoff

zusammengefasst werden. Daraus resultiert, dass die Analogie, die ursprünglich die

ontologische strukturelle Ähnlichkeit aufzeigt, letztlich zur einheitlichen Begriffsbildung führt

(o)no/mata kaq' o(moio/thta). 140 Denn die Analogie ermöglich erst, in verschiedenen

Seinsebenen dieselbe Begriffe anzuwenden, die die Prinzipien von Stoff-Form und von

Möglichsein-Wirklichsein betreffen. Wenn man in der Theoriebildung die sachlichen

Verschiedenheiten berücksichtigt, ist die Gemeinsamkeit nur durch die Analogie

zusammenzuschauen (t%= a)na/logon sunora=n)141, die die Gattungs- oder Artsdifferenz

in sich hat. Aufgrund dessen macht Aristoteles ausdrücklich, dass die zugrundeliegende Natur

der Materie anhand der Analogie zur Kenntnis genommen

(h( de\ u(pokeime/nh fu/sij e)pisthth\ kat' a)nalogi/an) 142 und die Verwirklichung

bzw. Wirklichkeit mithilfe des Analogons einheitlich ausgesagt wird

140 Vgl. De anima B9, 421a31-421b1; B8, 420a29-420b4; Poetica 21, 1457b17-34; Analytica Posterioria A12, 77b40-78a6; B14, 98a20-23; B17, 99a11-16 141 Vgl. Metaphysica Q6, 1048a35-37; Topica A17, 108a13-14 142 Vgl. Physica A7, 191a7-8

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(le/getai de/ e)nergei/# ou) pa/nta o(moi/wj a)ll' h)\ t%= a)na/logon)143. Im Grunde

gilt die analogische Begriffseinheit nicht nur für Materie und Wirklichkeit, sondern auch für

die Möglichkeit, die eng mit der Materie zusammenhängt, und für die Form, die mit der

Wirklichkeit gleichzusetzen ist. Denn die analogische Struktur zwischen verschiedenen

Seienden kann nur durch das Zusammenwirken von Form und Stoff, bzw. von Wirklichein

und Möglichsein konstituiert sein.

Literatur:

Originale Werke:

Platon:

Timaios, H. Müller [Übers.], Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2011

Politeia, F. Schleiermacher [Übers.], Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2011

Aristoteles:

Ars Rethorica, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1959

Analytica Prioria et Posterioria, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1964

Categoriae et Liber de Interpretatione, L. Minio-Paluello, Oxford Classical Texts, Oxford,

1949

De anima, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1956

De arte poetica liber, Rvdolfvs Kassel [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1965

De animalibus historia, Dittmeyer Leonhard [Hrsg.], Teubner, Lipsiae, 1907

De generatione animalium, H. J. Drossaart Lulofs [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford,

1965

De partibus animalium, Louis Pierre [Hrsg.], Les Belles Lettres, Paris, 1957

Ethica Nicomachea, I. Bywater [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1894

Ethica Eudemia, R. R. Walzer, J. M. Mingay [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1991

Metaphysica, W. Jäger [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1957

Aristotle’s Metaphysics, a revised text with introduction and commentary, W. D. Ross,

Oxford University Press, American Branch, 1924

Politica, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1957

Physica, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1950

Topica et Sophistici Elenchi, W. D. Ross [Hrsg.], Oxford Classical Texts, Oxford, 1958

143 Vgl. Metaphysica Q6, 1048b6-7

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http://stephanus.tlg.uci.edu.ubproxy.ub.uni-

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Thomas von Aquino(http://www.corpusthomisticum.org/)

Summa Contra Gentiles, I.34: http://www.corpusthomisticum.org/scg1029.html

Summa Theologia, I.13, 5-6: http://www.corpusthomisticum.org/sth1003.html

De Potentia, 7.7: http://www.corpusthomisticum.org/qdp7.html

Commentaria In Aristotelem, Sententia Libri Metaphysicae:

http://www.corpusthomisticum.org/cmp00.html

Wörterbücher:

Historisches Wörterbuch der Philosophie: Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried

Gabriel [Hrsg.], Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1971-2001 (Analgoie,

Ähnlichkeit, Proportion)

Index Aristotelicus: Hermann Bonitz [Hrsg.], Reimer, Berlin, 1870

(a)nalogi/a, a)nalo/gon, o(moio/thta, o(mo/iwj)

Kommentare:

Prophyrius: Isagoge et in Aristotelis categorias commentarium, Busse Adolf [Hrsg.], Reimer,

Berlin, 1887

Simplicius: In Aristotelis Categorias commentarium, Kalbfleich Karl [Hrsg.], Reimer, Berlin,

1907

Sekundäre Literaturen:

Bernard Montagnes: La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin, Publ.

Univ., Louvain et Paris, 1963

C. Rapp: Ähnlichkeit, Analogie und Homonymie bei Aristoteles, Zeitschrift für

Philosophische Forschung, 46:4, 1992

Fiedler, Wilfried: Analogiemodelle bei Aristoteles, Gruener, Amsterdam, 1978

H. Krämer: Gurndbegriffe akademischer Dialektik in den biologischen Schriften von

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1968

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Jan A. Aertsen: Medieval Philosophy and The Transcendentals: the case of Thomas Aquinas,

Brill, Leiden, 1996

Jan A. Aertsen: Medieval Philosophy as Transcendetal Thougt, Brill, Leiden, 2012

M. Frede und G. Partzig: Aristoteles Metaphysik Z, Text, Übersetzung und Kommentar, erster

Band, Beck, Münschen, 1988