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Atlan Intrawelt 8 Die Architekten der Intrawelt Autor: Horst Hoffmann Im Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht befindet sich der relativ unsterbliche Arkonide auf einer verwegenen Mission. Atlan ist in die Intrawelt vorgestoen, um ein Mittel gegen die unheimlichen Lordrichter zu finden: den Flammenstaub. Nach wie vor bedrohen diese mit ihren Truppen mehrere Galaxien. Gleich zu Beginn seiner Odyssee durch die gigantische Hohlwelt gert der Arkonide an Peonu, einem Diener der Chaotarchen. Dieser raubt ihm einen Teil der Seele und kettet dadurch ihrer beider Schicksale aneinander. Peonu lsst den Arkoniden ziehen er wei, dass jener ihm fortan verpflichtet sein wird. Atlan durchreist weiterhin die Intrawelt auf der Suche nach dem Flammenstaub. Mit seinen Begleitern kommt er erstmals in Kontakt mit den ARCHITEKTEN DER INTRAWELT

Die Architekten der Intrawelt

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Atlan � Intrawelt 8 Die Architekten der Intrawelt Autor: Horst Hoffmann Im Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung � das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht � befindet sich der relativ unsterbliche Arkonide auf einer verwegenen Mission. Atlan ist in die Intrawelt vorgestoßen, um ein Mittel gegen die unheimlichen Lordrichter zu finden: den Flammenstaub. Nach wie vor bedrohen diese mit ihren Truppen mehrere Galaxien. Gleich zu Beginn seiner Odyssee durch die gigantische Hohlwelt gerät der Arkonide an Peonu, einem Diener der Chaotarchen. Dieser raubt ihm einen Teil der Seele und kettet dadurch ihrer beider Schicksale aneinander. Peonu lässt den Arkoniden ziehen � er weiß, dass jener ihm fortan verpflichtet sein wird. Atlan durchreist weiterhin die Intrawelt auf der Suche nach dem Flammenstaub. Mit seinen Begleitern kommt er erstmals in Kontakt mit den ARCHITEKTEN DER INTRAWELT

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Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide kämpft gegen Roboter. Sobensten - Der Parzellenschneider begleitet Atlan zur Membran. Prielsnig - Der Oberste Arzttechniker raucht Kette. Kartnich - Der langlebige Anstize will sterben. Tuxit - Der Geschichtenerzähler bricht das Schweigen. Job - Das Echsenwesen ist wie immer hungrig.

1. Kartnich

»Kartnich«, sagte die Stimme, diese leise, ewig gleiche, seelenlose und abgrundtief verhasste Stimme, »Kartnich, arbeite!« In diesem aufgewühlten Zustand vernahm er sie kaum. Arbeiten, ja, natürlich, aber... Er verstand das alles nicht. Er konnte nicht mehr. Er wollte nicht mehr. Und doch musste es irgendwo ein Verstehen geben; ein geheimes Wissen, das hinter Mauern des Vergessens verborgen war. Er wollte sie einreißen. Er spürte, dass er dazu im Stande war. Er würde alles dafür geben. Aber gleichzeitig hatte er furchtbare Angst davor. »Arbeite, Kartnich!« Der Anstize presste in einem Anflug hilflosen Zorns alle drei Fingerkuppen gleich mehrerer Lanken so fest gegen eine Kontaktfläche, dass er die Vibration der Energie, die er damit freisetzte, fast schmerzhaft spürte. Der Steuerungsmechanismus seiner Schwarzkammer reagierte in Gedankenschnelle und ließ die würfelförmige Box, deren mit Instrumenten gespickte Innenseiten ihn wie eine stählerne Haut umgaben, beschleunigen und durch den Korridor rasen. Sie schoss an benachbarten Würfelkuben vorbei und immer schneller auf die gegenüberliegende Wand seines Wohn- und Arbeitsbereichs zu. Kartnich wurde, trotz des Kraftfelds, das ihn halten sollte, nach hinten gedrückt. Mit Mühe schaffte er es, sich durch Abstemmen auf mehrere Lanken wieder zu stabilisieren. »Hör damit auf, Kartnich! Du hast keine Chance!« Er sah die Wand auf sich zukommen, ja regelrecht in seinem Blickfeld explodieren. Sie schien in die offene Seite der Schwarzkammer hereinplatzen zu wollen.

Er schrie, ohne sich dessen bewusst zu sein. Er sah die Wand und hatte plötzlich nur den einen Wunsch, dass es hier und jetzt zu Ende ging. Schnell und unwiederbringlich. Sein Leben, seine Arbeit, seine armselige Existenz � alles hatte seinen Sinn verloren. Er war müde. Er hatte keine Kraft mehr. Lasst es zu Ende gehen! Er wusste nicht, an wen er den Gedanken richtete. Niemand würde ihn empfangen. Niemand hörte ihn. Falsch! Sie sahen und hörten alles, aber niemand reagierte mehr auf das, was er tat, und wenn doch, dann nur, um es wieder zunichte zu machen. Seine Arbeit, seine Aufgabe ... Die Wand. Er hielt den Atem an. Noch eine Sekunde, und es war vorbei. Er würde endlich Frieden finden. Aber würde es für

einen wie ihn je ein friedvolles Ende geben? Er wusste, dass sie ihm diesen Gefallen nicht erweisen würden. Die Box stoppte unmittelbar vor der Wand, als wäre sie gegen einen unsichtbaren Schirm

geprallt. Wahrscheinlich war es so. Kartnich wurde in seinem Haltefeld fast um die eigene Achse gewirbelt. Sein Kugelkörper wurde gezerrt und gedrückt. Für einen grässlichen Moment hatte. er das Gefühl zu platzen. Der Schmerz stach bis in seine letzte Zelle und drohte ihm das Bewusstsein zu rauben. Er torkelte, musste sich nach allen Seiten hin abstützen. Ihm war schwindlig und elend zumute. Aber die Schwärze zog sich zurück. Sie kam nicht bis zu ihm durch. Nein, es war nicht vorbei. Nicht einmal das gönnten sie ihm. Er hatte es überstanden. Nun ging es weiter. Wie bisher. Ohne einen erkennbaren Sinn. »Siehst du es endlich ein, Kartnich? Dann arbeite! Löse die Aufgabe!« Der voluminöse Anstize atmete tief durch. Seine Körperhaut unter der dichten, längst

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grauen Behaarung, straffte sich, soweit es eben ging. Die Geschmeidigkeit seiner Lanken hatte erheblich nachgelassen, manche waren völlig unbrauchbar, und auch die Kunstlanken konnten von den schwach gewordenen Nervenenden kaum noch zielgerecht bewegt werden. Er war alt, uralt. Und schon viel zu lange hier. Hier? Er steuerte die Schwarzkammer von der halb transparenten Wand fort. Hinter ihr glaubte er Bewegung zu erkennen. Andere Anstizen? Bewohner der Nachbarbereiche? Vielleicht angelockt durch seinen Amoklauf? Oder sie? Beobachteten sie ihn? Natürlich taten sie das, aber nicht mehr nur über die Systeme, sondern direkt? Sie sahen und hörten doch sowieso alles, was er tat. Ihnen konnte er nichts verbergen. Sie wussten genau, was er sich wünschte, aber sie waren zu grausam, um es ihm auch zu erfüllen. »Arbeite, Kartnich!« Sicher. Er musste weitermachen. Funktionieren. Ein kleines Rädchen in einem Getriebe, einem teuflischen System, das er nicht durchschaute. Es war ihm bewusst. Immer wieder, wenn er seine Aufgabe zu lösen versuchte und Tore verschob, Winkel änderte, Anschlussvektoren verdrehte und um Ordnung bemüht war, wo keine erkennbare Ordnung existierte. Aber es musste sie geben! Ein System! Kartnich versuchte, sich zu sammeln. Weiter, einfach weitermachen und keine Fragen stellen. Die Aufgabe: die äußere Farbgebung in Sektor 33 auf Celanblau verändern und die Form der Räume in ein perfektes Sextumplet bringen. Er arbeitete daran, solange er sich zurückerinnern konnte (und wusste genau, dass es vorher etwas anderes gegeben hatte). Doch was er auch tat, es schien zu ewigem Scheitern verurteilt zu sein. Immer wieder wurden seine räumlichen Anordnungen auf rätselhafte Art geändert, was die Arbeit sinnlos erscheinen ließ. Er würde sie nie beenden, solange er das System dahinter nicht durchschaute. Er

musste sich erinnern, die Mauern niederreißen. Nur dann konnte er seine Aufgabe lösen und zu einem Ende bringen. Er war müde, so unendlich müde... Und er hatte eine grausame Angst vor dem Fall der Barrieren, die er selbst errichtet hatte. Er spürte, dass sich dahinter ein schreckliches Geheimnis verbarg, das vielleicht schlimmer war als der Tod. Ein Geheimnis, das vielleicht nicht einmal sie kannten. War er deswegen hier? »Kartnich«, sagte die Stimme aus seiner Schwarzbox. »Arbeite!«

2. Atlan

»Achtung, Sobensten«, sagte ich leise. »Etwas stimmt nicht.« Er gab keine Antwort, schwebte stur weiter. Zu glatt und zu ruhig war der Weg unserer seltsamen Karawane verlaufen. Tuxit schwieg wie gewohnt. Der Avoide, der mich an einen terranischen Strauß erinnerte, über zwei Meter groß, die Flügelarme auf den Rücken gefesselt, machte auch jetzt keine Ausnahme. Dabei hätte er uns sicherlich einiges über diese für mich neue Umgebung, die die Anstizen »Bodenwelt« nannten, erzählen können. Inzwischen sah ich es ihm an. Die Art und Weise, wie er sich umblickte, wenn er meinte, unbeobachtet zu sein; wie er sich bewegte, manchmal etwas zu vorsichtig. Vielleicht war er sogar schon einmal in der Bodenwelt gewesen. Wenn nicht, hatte er davon gehört. Eins von beidem. Dass Jolo schwieg, war eher ungewöhnlich, aber eine echte Wohltat. In den letzten Stunden hatte er sich an irgendetwas den Magen verdorben und uns die Ohren voll gejammert. Bei dem, was er alles wahllos in sich hineinstopfte, war es für mich kein Wunder. Der grünhäutige, kleine Echsenabkömmling mit den gleichfarbenen Flattershorts zog ein Gesicht, als müsste er sterben. Wenn bei ihm etwas flatterte, dann nur noch sein Magen. Hin und wieder warf er mir

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gequälte Blicke zu. Er wollte bemitleidet werden. Ich hätte ihm ja gern den Gefallen getan, wenn ich nicht genau gewusst hätte, dass er dann gleich wieder zu stöhnen beginnen würde. Also ließ ich es bleiben. Außerdem erforderte die neue Umgebung meine ganze Aufmerksamkeit. Daher störte es mich besonders, dass sich auch unser Führer in Schweigen hüllte. Von ihm hatte ich mir mehr Informationen versprochen. Diese Reise empfand er als lästig, und er gab sich keine Mühe, das zu verbergen. Wir waren ihm von den Drieten quasi aufgezwungen worden. Als Dank dafür, dass wir die Baustelle Corl 22 vor noch schwereren Beschädigungen durch seinen kranken Artgenossen Eggober bewahrt hatten, hatte er zugestimmt, uns zu jenem geheimnisvollen Hospiz mitzunehmen, wo wir Eggober zur Behandlung abgeben -würden. Dort sollten wir von einem Patienten Informationen über den Flammenstaub erhalten. Kartnich. so der Name des Patienten, war angeblich uralt und verfügte möglicherweise über ganz besonderes Wissen. Sobensten, der Parzellenschneider, verzichtete zwar uns zuliebe darauf, mit Hilfe eines Antigravs und seiner Schwarzbox schneller vorwärts zu kommen, war allerdings nicht bereit, uns ein geeignetes Transportmittel wie etwa eine Schwebeplattform zur Verfügung zu stellen, wie sie von seinen Artgenossen hier unten verwendet wurde. »Die Roboter, Sobensten. Ihr Verhalten kommt mir merkwürdig vor, abweichend ...« »Die Maschinen tun einfach ihre Pflicht, was ist daran merkwürdig?«, meinte er lapidar. Wir hatten die Baustelle Corl 22 und die Schuttparzelle hinter uns gelassen. Einen halben Tag lang waren wir durch unebenes und mit Gerümpel verstelltes Gelände marschiert, Sobensten in seiner Schwarzkammer vor uns, Eggober wie paralysiert in seiner Box hinter uns. Er wurde mitgeschleift, schien selbst nicht mehr in der Lage, die Kammer zu steuern. Dann, kurz nach Anbruch der Nacht, hatte der Parzellenschneider uns in einen Tunnel

gelotst, der über viele hundert Meter tief in den Boden der Intrawelt führte, mit glasierten Wänden, aus denen weißliches Licht schimmerte. Als er endete, befanden wir uns in einer vollkommen neuen Umgebung. Ich war erstaunt, mich plötzlich in einer sterilen, technisierten Umwelt wiederzufinden, in der nichts mehr an die natürlichen Landschaften erinnerte, die ich von der Intrawelt bisher kannte. Hier wuchs keine Pflanze, hier gab es kein tierisches Leben, nicht einmal winzige Insekten. Dafür begegneten uns Anstizen und Roboter, die aussahen wie Anstizen, nur fast doppelt so groß und ohne Schwarzkammern. Meistens schwebten sie in der Luft. Manchmal bewegten sie sich aber auch rollend wie ihre Herren, wobei sie sich in Wirklichkeit wie diese mit ihren dreigelenkigen, dreifingrigen Gliedmaßen, den Lanken, von hinten nach vorne stemmten, so dass der Eindruck eines rollenden Balls entstand. Die meisten von ihnen wirkten geschäftig, während einige wie desaktiviert in den breiten, hellen Gängen standen und auf einen Befehl zu warten schienen. »Ich fürchte, sie werden uns angreifen, Sobensten! « »Sie sind nur passiv, weil sie auf neue Befehle warten - Arbeitsbefehle.« Bei der Bodenwelt handelte es sich um eine Sphäre zwischen zwei übereinander gelegten Metallschichten. Die Intrawelt war von außen nach innen aufgebaut: Zuerst kam der Ortungsschutz, der sie umhüllte. Hatte man ihn durchflogen, sah man die gewaltige, 300.000 Kilometer durchmessende Kugel mit den wabenförmigen Metallplatten vor sich, in denen es immer noch Lücken gab. Unter den Platten lag die geheimnisvolle Membran, von der ich bisher nur wusste, dass sie das Licht dämpfte, das vom Zentralgestirn durch die Lücken nach außen drang. Darunter lagen die beiden Metallschichten und zwischen ihnen ein hundert Meter hoher Hohlraum: die Bodenwelt. Hier arbeiteten und lebten die Anstizen und sorgten dafür, dass die

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Konstruktion der gesamten Intrawelt »hielt« und ständig optimiert wurde. Darunter wiederum lag die Erdschicht und darunter - oder darüber, je nach Perspektive -, die Parzellenlandschaft... Hör auf zu träumen!, wisperte der Extrasinn eindringlich. Der Tanz kann jeden Augenblick losgehen! Ich weiß. In meinem langen Leben hatte ich einen Instinkt dafür entwickelt. Noch drei Sekunden, zwei ... Es war so weit! Sie griffen an, und alles, was wir an Waffen hatten, waren ein paar simple Werkzeuge, das Cueromb und vielleicht das, was Sobensten noch bei sich trug. Jolo rülpste vor Schreck. Sobensten stieß ein undefinierbares Geräusch aus, und Tuxit starrte, als ich es hervorholte, für einen ganz kurzen Augenblick wie entgeistert auf das Gerät, das ich aus Peonus Hütte hatte. In diesem Moment registrierte ich es nur. Später konnte ich mir meine Gedanken darüber machen.

* »Hinter die Strebe!«, schrie ich den Gefährten zu und versetzte Jolo einen Stoß, der ihn aus der Schusslinie brachte. Der grüne Energiestrahl fauchte über ihn hinweg und fraß sich in eine der glatten, steril wirkenden Wände aus glasiertem Metall. Jolo kreischte und stolperte. Dann lag ich über ihm und rollte mich mit ihm hinter die Metallstrebe, die in schrägem Winkel zur Decke ging. Um Tuxit und die beiden Anstizen konnte ich mich in diesem Moment nicht kümmern, hoffte aber, dass wenigstens die beiden Kugelwesen nicht von ihren eigenen Robotern angegriffen wurden. Ich wusste nicht, ob sie mich überhaupt gehört hatten, denn um uns herum war eine Kakophonie schriller Töne losgebrochen. Es waren die drei Kugelroboter, die uns seit mehr als einer Stunde begleiteten, auch wenn sie es durch geschickten Stellungswechsel zu verbergen versucht hatten. Mich konnten sie nicht täuschen. Mir fiel auf, dass sie sich ständig neu

gruppierten. Der nächste Schuss zuckte röhrend heran. Alarmsirenen heulten auf. Weitere Roboter schwebten surrend herbei und zogen sich blitzschnell wieder zurück. Zwischen den Maschinen schien völlige Konfusion ausgebrochen zu sein. Die drei, die uns angriffen, beschossen sogar ihre eigenen Artgenossen, wenn sie ihnen zu nahe kamen. Und das bedeutete, dass wahrscheinlich auch Sobensten und Eggober nicht vor ihnen sicher waren. Ich drückte mich mit dem. Rücken gegen die Strebe und überlegte fieberhaft. Für alle Fragen nach dem Warum und Wieso war jetzt keine Zeit. Sobensten schrie. Ich konnte ihn nicht sehen, doch endlich schien er zu sich gekommen zu sein. Jolo zappelte in meinem Griff und schlug um sich. Ich hielt ihn im linken Arm, um den rechten frei zu haben. Als ich es riskierte und den Kopf um die Strebe streckte, sah ich mitten in den Blitz eines neuen Schusses hinein, zuckte zurück, warf mich auf die andere Seite und versuchte es wieder. Sobensten erschien direkt in meinem Blickfeld. Seine würfelförmige Schwarzkammer schwebte knapp über dem Boden und vollführte dabei seltsame hüpfende Sprünge, drehte sich, ruckte vor und, wieder zurück. Der Anstize war vollkommen überrascht und hatte keine Ahnung, wie er sich wehren sollte. Vor allem aber wusste er nicht, wie den verrückt gewordenen Robotern Einhalt zu gebieten war. Wenn er ihnen per Funk Befehle gab, befolgten sie sie nicht. Erneut wurde er beschossen. Seine Box hüllte sich in einen Energieschirm und war für zwei, drei Sekunden in gleißende Helligkeit getaucht. »Komm her!«, schrie ich. »Hierher, hinter die Strebe!« Er hörte mich nicht. Ich warf mich zurück hinter die Deckung, als mich die Maschinen wieder aufs Korn nahmen. Die Zähne zusammenpressend, versuchte ich Jolo zu bändigen, während ich nach einem Ausweg suchte. Dieser Angriff überraschte Sobensten ebenso wie mich. Die Anstizen hatten ihn nicht geplant. Aber irgendwer

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musste den Robotern befohlen haben, auf uns loszugehen. Die Schüsse schlugen in die Strebe. Ich kannte das Material nicht, mit dem die Bodenwelt gebaut worden war, aber dass die grünen Desintegratorstrahlen es auflösen konnten, sah ich deutlich an den Löchern in der Wand. Lange würden wir hinter der Strebe nicht sicher sein. Womit sollte ich mich wehren? Das Cueromb ... Ich wusste nicht, was alles in dem kleinen Universalgerät steckte. Ich bezweifelte aber, dass es sich als Waffe gegen die Roboter benutzen ließ. Vor mir ragte ein langer Hebel aus der Wand, etwa fünf Meter rechts von der Einschussstelle und zwei Meter hoch. Es gab noch mehrere davon. Die Wände waren hier und da mit technischen Instrumenten durchsetzt, sogar Schaltständen, von denen aus irgendwelche Dinge oder Abläufe kontrolliert werden konnten. Kleine Bildschirme und Lichter leuchteten auf und blinkten in hektischem Wechsel. Hier war der Teufel los, wo blieb das Löschkommando? Wenn es mir gelang, zu dem Hebel zu kommen und ihn aus der Wand zu reißen ... Er sah aus, als könnte er als Keule benutzt werden - aber eine Keule gegen hochmoderne Roboter mit Strahlwaffen? Jemand schrie, ein Anstize, aber es kam nicht aus Sobenstens Richtung. Eggober? Wo war Tuxit? Wieso hörte ich nichts von ihm? In diesem Moment tauchte einer der Amok-Roboter vor mir auf. Er kam um die Strebe herumgeschwebt und drehte sich vor mir in der Luft, eine große, schwarz-metallisch glänzende Kugel mit Stacheln wie ein gigantischer Seeigel. Aber um die Enden der Stacheln flimmerte es verräterisch. Jolo sah es ebenfalls, denn er brachte das Kunststück fertig, den Mund zu halten. Ohne zu überlegen, ließ ich Jolo zu Boden gleiten, hechtete zur Seite und rollte mich über den Boden, auf die Wand mit dem Hebel zu. Über mich zischte ein Desintegratorstrahl hinweg und schlug

genau dort ein, wo ich gerade noch gelegen hatte. Hoffentlich hatte es Jolo nicht erwischt. Der Hebel. Die Maschine war zwischen mir und ihm. Ich glaubte nicht,. dass er mir wirklich half, aber mir fiel nichts anderes ein. Mit bloßen Händen konnte ich den Robot nicht angreifen. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie er sich in der Luft drehte, sah das Flimmern, stürzte mich genau auf ihn zu und tauchte unter seinem nächsten Schuss und unter ihm durch. Für einen Augenblick hatte ich ihn nicht im Blick. Ich stieß mich in die Höhe, rannte auf die Wand zu und griff nach dem Hebel. Er war fast einen Meter lang und lag schwer in den Händen. Ich zwang mich, nicht nach hinten zu sehen, riss daran und zerrte. Er gab nicht nach. Ich hängte mich an ihn und setzte beide Füße gegen die Wand, stemmte mich ab, legte mein ganzes Gewicht in den Ruck, der ihn lösen sollte. Ich spürte, wie er leicht nachgab. Er kippte ein Stück nach unten. Es gab ein Klicken, das ich im Lärm der Sirenen und Schüsse eher. spürte als hörte, und ich flehte die Götter an, dass ich das Teil abbrechen konnte. Ich versuchte es noch einmal, bis die Schüsse nur Zentimeter neben dem Hebel in die Wand schlugen. Sie wurden jedoch in einem grellen und lauten Blitzgewitter von ihr reflektiert. Ich hatte das Gefühl, dass sie durch die Reflexion noch verstärkt wurden. Die »Querschläger« verfehlten mich noch knapper als die eigentlichen Schüsse. Ich schrie auf, ließ los, rollte mich im Fallen auf die Brust und riss den Kopf hoch. Jetzt waren es zwei. Einer der Roboter schien noch mit Sobensten, Eggober oder meinen Gefährten beschäftigt zu sein. Doch anscheinend hatten sie in mir den gefährlicheren Gegner erkannt und rückten nun gemeinsam gegen mich an. Ich rollte mich von der Wand weg. Ein Schuss fauchte höchsten zwei Zentimeter an meinem Kopf vorbei. Sie wollten mich umbringen, und der nächste Schuss konnte tödlich sein.

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Mit erstaunlicher Präzision schießen sie absichtlich daneben. Mein Extrasinn überzeugte mich nicht. Dann kam mir eine Idee, wie ich es schaffen könnte, sie zu überrumpeln. Ich müsste die Kugeln dazu bringen, sich so zu postieren, wie ich es brauchte. Entfernungen, Winkel und Zeit richtig einschätzen - und hoffen, dass ich mit meiner Idee richtig lag. Es war die einzige Chance. Die zwei Roboter schwebten links und rechts, aber noch ein Stück vor mir. Ich hätte Insektenaugen gebraucht, um sie beide auf einmal zu sehen. So hatte ich immer nur einen von ihnen im Blickfeld, und das auch nur für einen Sekundenbruchteil. Und einmal sah ich, dass es in der Bodenwelt der Anstizen brannte, und zwar genau dort, wo Jolo liegen musste, an der Strebe, hinter der wir Schutz gesucht hatten. Denke jetzt nicht an sie! Die Ermahnung des Extrasinns war überflüssig. Wenn du deine Freunde je wiedersehen willst, konzentriere dich! Ich rollte mich ab und robbte, den Schüssen ausweichend, vorwärts. Als ich den Augenblick für gekommen hielt, sprang ich auf. Es war ein uralter Trick. Selbst ein Kadett würde dafür belächelt werden, aber ich hatte keine Wahl. Ich sah, dass die Roboter so standen, wie ich sie hatte haben wollen. Im nächsten Moment mochte es wieder anders sein. Ich winkte ihnen zu und schrie sie an, zählte im Kopf bis zwei, stieß die angehaltene Luft aus, fiel und tauchte weg, bevor die Schüsse mich treffen konnten. Sie hatten gleichzeitig gefeuert, wie ich es gehofft hatte. Und sie trafen sich gegenseitig. Ich lag auf dem Rücken und hielt die Luft an. Die beiden Roboter flammten im Feuer des jeweils anderen auf. Grelle Energien umwaberten ihre stachligen Kugelkörper. Die gleichen Energien hätten mich treffen können_ Aber sie zerstörten sich nicht. Sie hatten Energieschirme aufgebaut, die die

Desintegratorstrahlen absorbierten und unschädlich machten. Die Wand!, durchfuhr es mich. Ich sah, dass ich meine vielleicht einzige Chance vertan hatte, aber ich sträubte mich gegen den Gedanken, dass ich wirklich nichts anderes mehr tun konnte. Es war ein flüchtiger Eindruck gewesen. Der Hebel, der Abschnitt der Wand um ihn herum mit den eingesetzten Geräten. Die Schüsse, die dort aufgetroffen hatten - und reflektiert worden waren. Es war eigentlich gegen jede Logik. Selbst wenn ich die beiden Amokläufer noch einmal austricksen konnte, gab es keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass sie nicht wieder ihre Energieschirme aufbauen würden. Doch es war ein Strohhalm, mein unwiderruflich letzter, und ich griff nach ihm. Sie hatten schon wieder die Position gewechselt. Ich wartete nicht auf die ersten Schüsse, nachdem sie nicht mehr gegenseitig in der Feuerlinie waren, sondern stieß mich ab und hetzte zur Wand, sah mich um, wartete, bis die Maschinen wieder im richtigen Winkel standen, und schwang mich dann erst an den Hebel. Ich zog die Beine so fest an wie möglich, umklammerte den Hebel wie meinen letzten Rettungsanker, wartete auf die Schüsse und hielt die Luft an. Die Roboter feuerten. Ihre Strahlen trafen grell auf die Wand. Es gab ein Blitzen, das mich blendete. Doch die Strahlen wurden reflektiert, verstärkt, zuckten zurück, trafen die Roboter - und durchschlugen ihre Schirme! Die Amokläufer explodierten. Noch einmal zog ich den Kopf ein. Es hätte mir nichts genützt, wenn einer der jaulenden Metallfetzen mich getroffen hätte. Das war reines Glück. Ich klammerte mich an den Hebel, spürte, wie er nachgab, und landete mit ihm auf dem harten Boden. Für einen Augenblick blieb ich so liegen, die Beine angezogen, den Hebel in beiden Händen vor der Brust, und wagte nicht, mich wieder umzusehen. Erst als keine Trümmer mehr umherflogen und nur noch die Sirenen die Trommelfelle malträtierten,

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sah ich zwei qualmende Roboterwracks am Boden liegen wie aufgebrochene, dunkle Eierschalen. Der Rauch wurde von ihnen weggetrieben, durch einen Luftzug, den ich nicht spürte. Er vermischte sich mit der größeren Wolke dort, wo ich die Flammen gesehen hatte. Für einen Moment dachte ich, es sei überstanden, als mein Extrasinn sich meldete: Sogar ein Narr müsste es in 10.000 Jahren so weit bringen, auf drei zählen zu können! Der dritte Roboter ... Dann hörte ich den bis ins Mark gehenden Schrei einer Kreatur in höchster Not. Auf meinen Dhedeen hatte ich in dem ganzen Chaos überhaupt nicht mehr geachtet. Er war nicht mehr da, aber auch ohne den Übersetzervogel wusste ich, wer da schrie. »Sobensten«, murmelte ich, drehte mich auf Hände und Beine, packte den ausgerissenen Hebel fest und richtete mich auf. Nein, ich hatte es nicht vergessen, nur für einen Augenblick verdrängt. Wir - wer immer von uns noch übrig war - hatten noch einen Gegner, und der würde sich nicht selbst erschießen.

* Ich hatte nur die Keule. Sobenstens Schreien kam mitten aus dem dunklen Qualm heraus. Ich holte tief Luft, umklammerte meine Waffe und drang in die Wolke ein, die sich noch ausbreitete. Wenigstens waren keine Flammen mehr zu sehen. Sie waren entweder erstickt oder gelöscht worden. Willkommen beim Zwiebus-Cup!, dachte ich. Neandertal gegen Intrawelt-High-Tech! Was soll das?, mäkelte der Extrasinn. Vergiss es. Galgenhumor. Der Rauch biss mir in den Augen, sie begannen sofort zu tränen. Ich rief nach Sobensten und erhielt nur Schreie zur Antwort. Ich suchte vergeblich nach der Strebe, wo sich Jolo befinden musste. Dann teilten sich die giftigen Schwaden vor mir. Ich sah die Schwarzkammer des

Anstizen und davor den Kugelroboter. Beide beschossen sich mit grünen Strahlen, und beide waren in ihren Energieschirm gehüllt, doch der des Parzellenschneiders flackerte bedrohlich. Er musste jeden Moment zusammenbrechen. Sobenstens Lage war hoffnungslos. Ich wusste nicht, wo der Roboter überall Sensoren besaß, musste aber davon ausgehen, dass er mich jeden Augenblick bemerken würde. Ich näherte mich mit schnellen Schritten. Er drehte sich. Ich sah in die flirrende Abstrahlmündung der Waffe am Ende einer besonders langen Lanke und reagierte instinktiv, indem ich den Hebel einmal über meinen Kopf schwang und im Fallen auf ihn schleuderte. Der Energiestrahl fauchte über mich hinweg, aber die Keule durchdrang den Schirm der Maschine und traf ihn mit aller Wucht zwischen seine Gliedmaßen. Es gab ein Zischen, als sie sich durch die Hülle bohrte, dann explodierte die Maschine mit einem lauten Knall. Der Roboter beulte sich auf, bekam Risse, Lanken fielen herunter wie abgesprengt. Dann sank er zu Boden und blieb regungslos liegen. Ich stürmte auf die offene Seite der Schwarzbox zu. Ihr Energieschirm hatte sich desaktiviert. Sobensten lebte. Er schrie jetzt nicht mehr, aber seine Lanken zitterten. Ich redete beruhigend auf ihn ein und sah aus den Augenwinkeln, wie Roboter herangeschwebt kamen. Für einen Moment war ich alarmiert, doch dann schien klar, dass ich es mit friedlichen Maschinen zu tun hatte. Sie hielten Abstand und beobachteten uns. Einige ihrer Lanken bewegten sich wie Antennen. Funkten sie, was sie sahen? Und an wen? »Sobensten!«, sagte ich. Mein Dhedeen saß plötzlich wieder auf meiner Schulter und zapfte mich auch sogleich an, als wäre er nie weg gewesen. Mittlerweile machte es mir nichts mehr aus. Ich gab ihm Nahrung, mein Blut, und er übersetzte für mich; ließ mich verstehen, was die unterschiedlichen Wesen der Intrawelt sagten. »Sobensten, kannst du mich hören?«

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Er ächzte. Ich hatte das Gefühl, dass er mich anvisierte. Mit Sicherheit behaupten konnte ich es nicht, denn er besaß keine im humanoiden Sinn erkennbaren Sinnesorgane. Momentan war er nicht in der Lage zu kommunizieren. Ich wandte mich von seiner Box ab, sah die wartenden Roboter und rief ihnen zu, sich um ihn zu kümmern. Schließlich war er ihr Herr. »Jolo, Tuxit!« rief ich. Die Rauchwolke hatte sich halbwegs verzogen. Der Lufthauch einer Umwälzanlage trieb sie davon und löste sie allmählich auf. Die Schrägverstrebung, halb durchsiebt von Desintegratorschüssen, war geschwärzt. Mit klopfendem Herzen lief ich auf sie zu, bog um die Ecke und sah Jolo mit starrem Blick der großen, weit auseinander liegenden Augen reglos am Boden liegen. Sein Echsengesicht war schmerzverzerrt. Bei dem Anblick überlief mich ein kalter Schauder. Ich spürte eine Welle des Mitleids. Über ihm war Tuxits Kopf mit dem riesigen Hakenschnabel. Der Vogelabkömmling saß neben ihm, die kräftigen Beine an den gefiederten Leib gezogen. Er drehte sich um, als er mich kommen hörte. Seine ausgeprägte Halskrause verriet durch ihre rötliche Verfärbung eine gewisse Belustigung, was überhaupt nicht zu unserer Situation passte. Ich blieb stehen. »Ist er tot?«, fragte ich. »Leider nicht«, antwortete Tuxit. Ich starrte ihn verständnislos an. »Wie kannst du so reden? Er mag eine Nervensäge sein, aber er ist unser Freund! « »Und er versteht es meisterhaft, bei anderen Wesen Gefühle zu erzeugen, Atlan. Hast du das vergessen?« »Du meinst ... Mitleid?« »Zum Beispiel«, sagte Tuxit mit müder Stimme. Dabei starrte er wieder auf das Cueromb, das ich mir um das linke Handgelenk gehängt hatte. Ich steckte es ein. Tuxits Blick verriet jetzt allzu deutlich nicht nur Interesse, sondern eine starke, kaum verhohlene Gier. Er konnte sich

vielleicht verstellen, aber seine Halskrause »log« nicht: Sie wechselte ins Bläuliche über, was Leidenschaft und Erregung bedeutete. Doch bevor ich ihm eine entsprechende Frage stellen konnte, richtete sich Jolo auf. Er bog den Oberkörper in die Höhe, als sei er aus Gummi, und sah mich mit einem Ausdruck bitterer Empörung an. Sofort wollte sich ein schlechtes Gewissen einstellen, aber dieses Mal war ich gewappnet und wehrte das Gefühlschamäleon ab. »Ich habe alles gehört«, sagte er. »Ihr seid mir zwei schöne Freunde. Du hast mich im Stich gelassen, Atlan. Einfach abgehauen bist du. Hast du gedacht, ich sei tot? Bist du enttäuscht, dass ich's nicht bin?« »Jolo«, seufzte ich. »Du redest Unsinn.« »Ach ja? Unsinn? War es auch Unsinn, als ich dich aus größter Not gerettet habe?« »Jolo!«, sagte ich. »Hattest du nicht Leibschmerzen?« Er verstummte und starrte mich an. Dann schnitt er eine Leidensgrimasse und fuhr sich mit der Hand über den Bauch. »Ganz schlimm«, jammerte er. »Danke, dass du mich daran erinnert hast. Aber das ist euch ja auch ganz egal, stimmt's? Es ist euch egal, wenn ich sterbe. Hauptsache, ihr seid mich los. Aber was wird aus euch ohne mich? Wie willst du denn jemals das Geheimnis des Flammenstaubs lösen, ihn gar stibitzen, wenn ich nicht mehr da bin? Frag dich das mal, Atlan. Ich bin ... Oh weh, oh weh, tut mir der Bauch weh ...« Ich drehte mich um, damit er mein Grinsen nicht sah. Jolo hätte sonst noch auf den Gedanken kommen können, es wäre Schadenfreude. Ich hatte im Rücken keine Augen. Dennoch spürte ich Tuxits Blick und wusste, was der Geschichtenerzähler dachte. Sobensten. Eggober. Ohne die beiden Anstizen, vor allem den Parzellenschneider, waren wir hier unten verloren. Wir würden nie das Hospiz finden und nie die Antworten, die ich so dringend brauchte, wenn mein Aufenthalt hier nicht ganz ohne Sinn sein sollte. Wenn

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mindestens drei Galaxien vom Terror der Lordrichter befreit werden sollten. Ich machte mich erneut auf den Weg zu Sobensten. Ich wollte endlich verstehen, was hier vorging, und nur er hatte die Antworten. Ich war nicht länger bereit, mich von ihm hinhalten zu lassen. Er schuldete mir etwas.

3. Kartnich

Kartnich hatte sich wieder beruhigt. Nun fühlte er sich schwach. Die Anstrengung, die Anspannung, der innere Aufstand hatten ihn Kraft gekostet, und darüber verfügte er nicht mehr im Überfluss. Er durfte sich nicht so sehr gehen lassen. Durfte dem Zorn, der Verzweiflung, der hilflosen Wut nicht erlauben, ihn zu beherrschen. Seine Arbeit, seine Aufgabe ... Das war alles, was zählte. Ob es noch wichtig war, interessierte niemand, am wenigsten sie. Und er wollte es hinter sich bringen, nur das. Also begann er von neuem mit seinen Versuchen, Ordnung zu schaffen. Die Blöcke. -Es gab genau tausend davon in seinem Lebens- und Arbeitsbereich. Jeder dieser Würfel war mehr als zehnmal so groß wie seine Schwarzkammer. Nebeneinander, dicht an dicht, Wand an Wand, passten zehn von ihnen hinein. Übereinander angeordnet waren es ebenfalls zehn. Und zehn, wenn er sie nach hinten ordnete. Das machte tausend. Zwischen ihnen gab es lange und weit verzweigte Gänge, die ebenfalls Teil der Anordnung waren. Man verlangte von ihm, alle Blöcke so zu ordnen, dass sich ein perfektes Sextumplet ergab und die äußere Farbgebung des Bereichs auf Celanblau geändert wurde. Schon das eine war schier unmöglich, beides zusammen absolut undenkbar! Und doch wieder nicht, wenn er bedachte, dass sie ihm zwar schon viele schwere, schikanöse Aufgaben gestellt hatten, jedoch keine unlösbare. Er war verzweifelt gewesen, hatte es aber am Ende immer geschafft, ohne sich genau zu erinnern,

wie. Sonst hätten sie ihm keine neue Aufgabe gestellt. Und wenn er diese nun löste, bestand seine Belohnung nur in der nächsten, noch schwierigeren? Schon beim Gedanken daran geriet er in Krisenstimmung. Er begann wieder mit der Anordnung der Blöcke auf der Seite, die er in Ermangelung einer Richtung einfach nur »Anfang« nannte. Es war leicht, die Würfel zu verschieben. Seine Lankenfinger brauchten nur die entsprechenden Richtungstasten auf seinen Kontrollen zu berühren. Die Kuben wurden von Kraftfeldern erfasst und gehoben, geschoben, gedreht und positioniert, wenn er glaubte, dass eine Anordnung richtig war. Ebenso leicht fiel die Manipulation der Farben: Mit Hilfe der Instrumente der Schwarzbox ließ er die Farbgebung wandern. Wie er aus reiner Formenergie bestehende Wände »löschen« oder neu errichten konnte, vermochte er auch mit den Farben zu spielen und sie zu projizieren. Mit der Einschränkung, dass sich die verschiedenen Farben stets genau gegenüberliegen mussten. Celanblau lag immer gegenüber von Vauletta, Drommetenrot von Giecksgrün und Orgenage von Oppelnektar. Das eigentliche Problem waren die Nachbarn, weil sie gegen ihn spielten. Er wusste, dass es sie gab. Andere »Bewohner« dieses Orts, andere Gefangene, wahrscheinlich Anstizen wie er. Manchmal sah er sie verschwommen hinter den aneinander liegenden Trennwänden der einzelnen Bereiche. Er hatte keine Ahnung, warum sie das taten, aber die Veränderung eines Bereichs wirkte auf alle anderen. Wenn er kurz vor einem Erfolg stand, zerstörten die Nachbarn seine Anordnungen wieder, indem sie ihre eigenen Arbeitsbereiche entsprechend umgruppierten. Mehr als einmal war es ihm gelungen, den gesamten Außenbereich richtig zu ordnen, hundert Blöcke aufeinander. Doch als er die nächste Reihe

Atlan Horst Hoffmann 11 Die Architekten der Intrawelt

in Angriff nehmen wollte, wurden die Farben wie durch Geisterhand wieder durcheinander gewirbelt, und alles war umsonst gewesen. Sie arbeiteten gegen ihn, alle! Wie lange versuchte er schon, das Unmögliche zu schaffen? Tausend Tage? Zehntausend? Es musste eine sehr, sehr lange Zeit sein. Auf jeden Fall viel zu lang für eine einzige Aufgabe. Hätte er es nicht längst bewältigt haben müssen, wenn er nicht massiv daran gehindert worden wäre? Nicht nur die Nachbarn, das ganze System arbeitete gegen ihn. Sogar seine Schwarzkammer zeigte unerklärliche Fehlfunktionen. Alles hatte sich gegen ihn verschworen. Er konnte es drehen, wie er wollte: Es gab keine Hoffnung. »Arbeite, Kartnich!« »Ihr braucht mich nicht zu scheuchen!«, schrie er. Er wollte nicht mehr. Er war müde. Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe? Warum schenkten sie ihm nicht seinen Frieden? Was hatten sie davon, dass er hier vor sich hin vegetierte, denn dies war kein sinnerfülltes Leben mehr. Leben ... Worin bestand es für einen Anstizen wie ihn? Er kannte nur einen Inhalt: Arbeit. Dazu war er geboren, dafür existierte er. Eine Aufgabe lösen und die nächste angehen. Das war der Fluch seiner Art. Und dieser »Berufsethos« trieb ihn wieder an, wenn er glaubte, am Ende zu sein. Aber worin lag der Sinn? Es musste andere Aufgaben für ihn geben - draußen -, wo immer das war. Seine Situation war einmal eine andere gewesen... »Arbeite, Kartnich!« »Hört auf!«, schrie er ins Leere. »Erlöst mich! Befreit mich! Ich kann nicht mehr! Lasst mich sterben, ich befehle es euch!« Ich befehle es! Befehle... Ja, da war etwas, weit weg und schwach. Der Hauch einer Erinnerung. Ein Flackern von Licht in der bodenlosen Dunkelheit, die seinen Geist umhüllte. Er hatte einmal Befehle gegeben, und man hatte sie

befolgt. Das bedeutete, dass er einmal mächtig gewesen war. Er wusste es, ohne sich zu erinnern. Aber wo war das gewesen? Für einen Moment hatte er die Vision einer riesigen, scheinbar unendlichen Welt ohne Mauern und Grenzen. Er sah ein Licht, so hell, dass es ihn schmerzte. Er atmete frische Luft, sah schier unüberschaubare Kolonnen von Arbeitern, Wesen verschiedener Art, und er lenkte sie. Er gab die Anweisungen. Ein Wort von ihm konnte eine halbe Welt erschaffen. Das Bild verschwamm und erlosch. Er war wieder allein in seiner Kammer, in seinem Bereich, in den verfluchten sechs Wänden, die seine Welt waren - und die ihn erstickten. Er wollte nicht mehr. Er konnte nicht mehr. Er war ausgebrannt. Ein Anstize lebte für seine Arbeit, allein für sie, und wenn sie keinen Sinn mehr ergab, erlosch der Lebenswille. Jeder andere Anstize durfte in Frieden sterben. Warum er nicht? Was war anders an ihm? Warum hielten sie ihn hier gefangen, und wo war »hier«? »Kartnich«, sagte die Stimme aus dem Nichts. »Arbeite, Kartnich!«

4. Atlan

Wir waren wieder unterwegs, mit Sobensten und Eggober. Unsere kleine Truppe hatte den Angriff überlebt. Das war die gute Nachricht. Die schlechte war: Ich war noch genauso schlau wie vorher. Weder Sobensten noch Eggober hatten ernsthafte Verletzungen davongetragen. Beide standen unter. Schock, unser Führer allerdings mehr als der Kranke, der sich nur weiter in seinen Irrsinn hineingefluchtet hatte. Sobensten war zwar klar genug bei Verstand, um mitzubekommen, was geschehen war, aber er weigerte sich einzugestehen, dass wir von seinen eigenen Robotern vorsätzlich angegriffen worden waren. Er behauptete,

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dass es sich um ein Versehen oder ganz einfach eine Panne handeln musste. Ich hatte es aufgegeben, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen, denn beweisen konnte ich nichts. Was die Tötungsabsicht betraf, war auch mein Extrasinn anderer Meinung. Narr! Trotz deiner artistischen Glanzleistung hätten dich die Kugelroboter treffen müssen! Ich wusste nur, was ich gesehen hatte, und von einem Gefühl zu reden wäre genauso wenig stichhaltig gewesen wie sein Beharren darauf, dass »so etwas noch nie vorgekommen« sei. Die Roboter der Anstizen waren Arbeitsmaschinen ohne hohe Intelligenz und auf unbedingte Loyalität programmiert. Sie griffen ihre Herren nicht an, nicht sie und nicht ihre Gäste. Immerhin schien der Parzellenschneider noch zu wissen, wo's langging. Ab und zu kontaktierte er Artgenossen oder klinkte sich über eine Internverbindung ins Info-Netz der Bodenwelt ein. Dann schwebte er mit seiner Schwarzbox zu einer der Wände, schloss sich mit den Kontrollen kurz, kam wieder zu uns zurück und setzte den Weg fort, mürrischer noch als zuvor. Er sagte nur das Nötigste, und das war schon vor dem Zwischenfall nicht viel gewesen. Es ging weiter, zum Hospiz, wie er mitteilte. Wir sollten uns weiter gedulden. Im Hospiz würden wir die Antworten auf unsere dringendsten Fragen erhalten, soweit ein Anstize sie geben konnte. Abermals nannte er den Namen Kartnich, und wenn er von ihm sprach, tat er das mit großem Respekt. Immerhin, Sobensten tat noch ein Weiteres, indem er, .uns aufforderte, eng zusammenzubleiben und auf unser Befinden zu achten. Wenn wir spüren sollten, dass wir von Übelkeit befallen wurden, würde er mit uns einen Umweg einschlagen. Mehr konnte ich ihm dazu nicht entlocken. Appelle und Drohungen fruchteten nichts. Ich merkte nur, dass ihm die. Aussicht auf einen Umweg ein ziemliches Missfallen bereitete.

Der Weg durch die Bodenwelt begann monoton zu werden. War dieser Wohn- und Arbeitsbereich in der Parzellenbaustelle Corl noch keineswegs fertig gestellt gewesen, so wanderten wir nun durch ein technisiertes Niemandsland mit in einem weißen Licht blassblau schimmernden Wänden aus unbekanntem Material, durch endlos lange, breite Korridore und unter einer immer hundert Meter hohen Decke, die mit der zweiten, oberen Metallschicht der Intrawelt identisch war. Vom Boden der Intrawelt aus gesehen, lag sie tief darunter und über der ersten Metallschicht, hinter der wiederum die Membran kam und dann die Metallhaut aus Sechsecken - und der Weltraum. Hatte es nach unserem Einstieg in der Parzelle Corl noch Lücken in dieser Decke gegeben, durch die man bei Tage die immer im Zenit stehende Kunstsonne sehen konnte, so war sie nun restlos geschlossen. Wir waren von der Intrawelt, wie wir sie bisher kannten, abgeschottet. Ob draußen gerade Tag oder Nacht war, konnten wir allenfalls schätzen, denn hier gab es nur ewiges Licht; weiß, indirekt und hell, aber nicht unangenehm. Wir sahen es nicht. Tuxit und Jolo hatten damit wahrscheinlich größere Probleme als ich. Die Anstizen, die fast überall herumstanden, arbeiteten oder betriebsam umherwuselten, schienen ebenfalls nach ihrem eigenen Rhythmus zu leben. Auf eine entsprechende Frage hatte Sobensten sich zu der Andeutung herabgelassen, dass sie wohl in einer Art Schichtbetrieb arbeiteten. Wer gerade keinen Dienst schob, zog sich zurück, klinkte sich aus. Ich nahm an, dass sie schliefen. Tuxit, der Geschichtenerzähler, blieb schweigsam. Immer wieder fing ich die seltsamen Blicke auf, mit denen er mich musterte. Seine Neugier schien eine neue Dimension erreicht zu haben. Ich fragte mich mehr denn je, was er wusste und vor uns verbarg. Tuxit war mir ein Rätsel, und ich hoffte nur, dass er zu reden begann, wenn es nötig sein sollte. Vielleicht spielte er sein eigenes Spiel. Ich glaubte jedoch

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nicht, dass er uns damit Schaden zufügen wollte. Und Jolo? Wenn er nicht qualvoll seine Leibschmerzen zur Schau stellte, dann beschwerte er sich mittlerweile schon wieder über Hunger. Wir hielten uns nun seit mindestens fünfzehn Stunden in der Bodenwelt der Anstizen auf. Draußen, »oben oder unten«, musste jetzt die Sonne der Intrawelt wieder scheinen. Hoch über unseren Köpfen ging das Leben wahrscheinlich seinen ganz gewohnten Gang, in welcher Parzelle wir uns inzwischen auch immer befanden. Und oben gab es Nahrung, hier unten nicht. Jolo verwünschte die Anstizen und ihre Roboter dafür, dass sie uns »verhungern« ließen. Wenn er aber auch das nicht mehr tat, musste ich ihm erzählen, wie ich es geschafft hatte, mit den drei Maschinen fertig zu werden, und wie ich auf die Idee gekommen war, dass es sich um positronische Amokläufer gehandelt hatte. Ich hatte viel Geduld, aber irgendwann wurde es selbst mir zu dumm. Ich ließ Jolo fragen und hoffte fast, seine Bauchschmerzen würden ihn bald wieder ablenken. War ich hier der Geschichtenerzähler? Die einzigen Fragen, auf die ich gern eine Antwort gehabt hätte, blieben die nach dem Motiv der Roboter - und ob ihr Angriff, ihr offensichtlicher Aussetzer, ein Einzelfall gewesen war. Ich hatte Zweifel daran. Irgendwann schwieg er tatsächlich. Aber nur kurz. Dann blieb er stehen und hielt sich wieder den Leib - zur Abwechslung nur mit einer Hand. Die andere lag auf seiner schmalen Stirn. »Es tut weh«, klagte er. »Das weiß ich inzwischen«, sagte ich seufzend. »Ich kann dir nicht helfen, Jolo. Überleg dir in Zukunft, was du frisst.« »Nein, Atlan. Es ist ... Spürst du es denn nicht? Mir tut nicht nur der Bauch weh. Auch der Kopf.« »Dann hast du dich wahrscheinlich vergiftet.« »Atlan!« Jolo schaute mich empört an. »Ich leide wirklich! Mein Kopf platzt gleich, das ist doch nicht normal.«

Was ist bei dir schon normal?, lag mir auf der Zunge, doch dann sah ich Sobensten. Der Anstize hatte mit seiner Schwarzbox angehalten und sich ein Stück aus dem Würfel herausgelehnt. Ich war sicher, er sah uns an, und mir fiel wieder ein, was er gesagt hatte, nachdem wir den Weg wieder aufgenommen hatten. Ich drehte mich nach Tuxit um, der hinter mir kam. Er zeigte keine ungewöhnliche Reaktion und erwiderte nur meinen fragenden Blick. Und dann spürte ich es selbst. Ich hatte weder Kopf- noch Magenschmerzen, aber ich litt unter leichtem Schwindel und aufkommender Übelkeit. Und ich erinnerte mich, dieses gleiche irritierende Gefühl schon einmal gehabt zu haben.

* »Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich den Anstizen. Ich stand direkt vor ihm und versuchte, aus den Bewegungen seiner Lanken etwas herauszudeuten. Er war nervös, so viel glaubte ich zu wissen. Aber darüber hinaus ... seine Lanken konnten Gefühlszustände verraten, doch keine Gedanken. »Nun rede endlich! Wir fühlen etwas. Du hast gewusst, dass es dazu kommen würde, also sag es uns jetzt!« Es war gleich nach der Ankunft in der Intrawelt gewesen, als ich mich nackt in einer fremden Umgebung wiederfand und mich zu dem sich in sich selbst drehenden Transportschlauch umgesehen hatte. Die gleiche Übelkeit, das gleiche Unbehagen. Aber ich hatte es ausgehalten. Sobensten drehte sich mit seiner Schwarzkammer um hundert Grad und zeigte mit einem Lanken in Vorausrichtung. »Dort«, sagte er. »Sieh hin. Kannst du etwas erkennen?« Ich verstand ihn zuerst nicht. Die Bodenwelt sah für mich in einer Richtung nicht anders aus als in der anderen. Ein endlos weiter Korridor zwischen Boden und hundert Meter hoher Decke, alles in weißliches Licht getaucht und wie blank poliert. Wir hatten eines der

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Brückenelemente erreicht, die ich von der Oberfläche her kannte und die auch hier unten den Stütz- und Spannungsapparat der Intrawelt-Konstruktion bildeten. Dahinter hatte sich der Korridor verbreitert, als ginge es in eine riesige Halle hinein, einige Kilometer breit. Oder eine Weggabelung, sendete der Extrasinn. Eine Kreuzung. Ich kniff die Augen zusammen und strengte mich an. War es der Schwindel, oder flirrte einige hundert Meter vor uns die Luft über dem Boden, so wie Asphalt bei Sonnenhitze. Doch dann sah es so aus, als schlüge die gesamte Bodenfläche vor uns Wellen. »Ich sehe etwas, ja«, sagte ich. »Was ist es, Sobensten?« »In der Bodenwelt gibt es noch immer Stellen«, erklärte der Anstize, »wo auch die Bodenfläche zur Membran der Intrawelt noch nicht fertig gestellt oder isoliert ist. Vor uns liegt eine solche Stelle. Wenn wir weitergehen, kannst du die schlierige Membranschicht, die die Intrawelt vom Normaluniversum trennt, auf einer schier endlosen Fläche direkt bewundern.« Der Gedanke elektrisierte mich. Ich erinnerte mich wieder an den Anblick der Intrawelt vom Weltraum aus, die hellen Lücken in ihrem Mantel aus gigantischen Sechseckplatten. Hatte ich hier solch eine Lücke vor mir? Dann musste sie wirklich gewaltig sein. »Wir können, wie schon gesagt, auch umkehren und einen anderen Weg zum Hospiz nehmen. Wir würden einige Tage länger benötigen, aber ... Ja, ich denke, es wäre besser. Obwohl ...« »Obwohl was?«, fragte ich, ohne den Blick von dem wellenartigen Flimmern zu wenden. »Deinem kleinen Freund geht es nicht gut«, sagte der Parzellenschneider. »Du hast gesagt, du fühlst es auch. Es ist die Nähe der Membran. Allen anderen Wesen außer uns Anstizen bereitet sie starke körperliche Schmerzen. Deshalb sind wir vor langer Zeit auserkoren worden, die

Bauarbeiten in der Intrawelt zu übernehmen.« »Ich verstehe«, murmelte ich, obwohl ich nichts verstand. Worauf wollte er wirklich hinaus? »Du müsstest stärker betroffen sein«, fuhr Sobensten fort. »Dein großer Freund auch.« Ich drehte mich zu Tuxit um. Er sagte nichts und zeigte nicht, wie es um ihn stand. Doch ich hatte den Eindruck, dass er ungeduldig war und weitergehen wollte. Jolo stöhnte und jammerte herzerweichend. Ich machte mir nichts vor. Ich wollte die Membran aus der Nähe sehen, solange ich es aushalten konnte. Wie viel war Jolo zuzumuten? Ich konnte es nicht riskieren, dass er ernsten Schaden nahm. Also was tun? Ihn zurücklassen? Und wenn ich allein ging? Nur kurz, um die Membran zu sehen? Würde ich es ertragen? Ich hatte es bereits bewiesen - glaubte ich. Hier war es vielleicht anders. Wieso litt Jolo und ich nicht? Es liegt vielleicht an deinem besonderen Status, meinte der Extrasinn. Du warst bereits hinter den Materiequellen. Es ist möglich, dass dich dies vor stärkeren körperlichen Reaktionen bewahrt. Ich war nicht davon überzeugt, konnte es aber natürlich nicht ausschließen. Und falls es sich so verhielt, was war dann mit Tuxit? Warum war er offenbar nicht betroffen? Wie viele Rätsel wollte mir das so passiv und leidend durchs Leben schleichende Vogelwesen denn noch aufgeben? »Die Membran«, fragte ich Sobensten, um Zeit zu gewinnen und nicht wirklich in der Hoffnung, eine auch nur einigermaßen befriedigende Antwort zu erhalten. Zu wenig wussten die Bewohner der Intrawelt über ihre Heimat. »Was ist ihre Funktion?« »Das fragst du?«, reagierte der Anstize erstaunt. Ich spürte, dass seine Überraschung echt war. »Die Membran ist dazu da, um den Flammenstaub vom Normaluniversum fern zu halten. Wusstest du das wirklich nicht?«

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* Warum hätte ich es wissen sollen? Von den vielen Fragen, die mir schon wieder durch den Kopf schossen, war diese vielleicht die dringendste - doch vielleicht auch die gefährlichste. Vielleicht war es gut, Sobensten in dem Glauben zu lassen, dass mehr hinter mir steckte. Was immer er in mir sah und warum das so war, er würde mir keine Antwort geben. Möglicherweise aus Scheu, eventuell aus Angst oder ganz einfach Unsicherheit. Ich wusste es nicht und wollte den Bogen nicht ohne Not überspannen. Doch vielleicht war er reif, um mir endlich die Antworten zu geben, die ich bisher vergeblich eingefordert hatte. Veränderte die Nähe der Membran etwas? Löste sie eine wie auch immer geartete Sperre in dem Anstizen? Ich riskierte es. »Was ist der Flammenstaub?«, fragte ich. »Bitte weich mir nicht wieder aus.« »Ich kann es dir nicht sagen«, lautete die Antwort. »Du musst Geduld haben. Im Hospiz ...« »Was ist das Hospiz?«, bohrte ich weiter. »Wer ist dieser Patient - Kartnich? Was kann er wissen, das du nicht weißt?« »Du quälst mich!«, fuhr der Parzellenschneider auf. Für ihn war das ein sehr ungewöhnlicher Ausbruch. »Du musst warten, sieh es doch ein!« »Was ist der Flammenstaub?«, versuchte ich es noch einmal mit der Brechstange. »Warum wird er hier in der Intrawelt aufbewahrt und muss vom Normaluniversum fern gehalten werden? Was ist sein Geheimnis? Wo wird er gelagert?« »Ich weiß es nicht! « »Du willst es nicht wissen! Oder du willst es nicht sagen!« »Nein!«, schrie Sobensten. »Ich weiß es nicht, weil es mich nichts angeht! Ich habe meine Arbeit, und das genügt mir. Lass mich in Frieden!« Es hatte wirklich keinen Sinn. Sobensten konnte mir keine Antwort geben. Offenbar waren die Anstizen kein besonders

neugieriges Volk, obwohl sie seit jeher die Intrawelt bevölkerten. Sie taten, was sie zu tun hatten. Damit, so schien es, waren sie zufrieden. Wirklich alle? »Was ist mit diesem Kartnich?«, versuchte ich es ein letztes Mal. »Warum sollte er mehr wissen als du?« »Du wirst es erfahren«, versetzte der Anstize. »Sobald wir am Ziel sind.« »Warum nicht jetzt? Warum habt ihr Angst vor Kartnich?« Sobenstens Lanken verrieten seine Erregung. »Wer sagt, dass wir Angst haben?« »Ich!« Als er nicht antwortete, seufzte ich und nickte grimmig. »Also schön. Wir gehen weiter. Vorher aber möchte ich zumindest einen Blick auf die Membran werfen.« »Das ist nicht gut!«, wehrte sich unser Führer sofort. »Warum nicht?« Ich hatte Geduld, viel Geduld. Dennoch hatte auch sie ihre Grenzen. »Sobensten, ich erinnere dich nur ungern daran, aber ihr seid uns etwas schuldig. Ich rede nicht davon, dass ich dir vor ein paar Stunden wahrscheinlich das Leben gerettet habe. Ohne unser Eingreifen in der Baustellenparzelle Corl hätte es durch Eggober eine Katastrophe gegeben. Ist es zu viel verlangt, dafür jetzt die fällige Gegenleistung zu erwarten?« »Ich kann deine Fragen nicht beantworten!«, sagte er heftig. »Das habe ich inzwischen eingesehen«, erwiderte ich. »Ich werde warten, aber jetzt führst du mich zur Membran.« »Das ist nicht gut!«, wiederholte er störrisch. »Und warum nicht?« »Du ... Es ist schädlich.« »Nicht für mich, du hast es selbst ge sagt.« Stimmte das? Was geschah, wenn ich mich weiter näherte? »Deine Freunde ...« »Ich werde nur mit dir gehen. Vielleicht brauche ich dich. Vielleicht habe ich Fragen. Ich meine solche, die du auch beantworten kannst.«

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Sobensten schwieg. Ich spürte, dass er mich lange ansah. Was dachte er? Endlich stimmte er zu. Er würde mich zur Membran führen. Er könne für nichts garantieren, sagte er, nicht einmal für mein Leben. Aber das verlangte ich ja auch gar nicht von ihm.

* Ich merkte, wie Unbehagen in mir wuchs. Es war das bekannte Unwohlsein, die Desorientierung, aber es wurde mit jedem Schritt stärker. Die Membran schien sich gegen mein Nähern zu wehren. Es fehlte nur noch ein Warnschild: »Zutritt verboten«, dachte ich belustigt. Bald war es aber so schlimm, dass ich körperliche Schwierigkeiten bekam und mich zu jedem Schritt zwingen musste. Doch gerade das spornte mich weiter an. Was durfte ich nicht sehen? Oder bildete ich es mir nur ein? Ich war mir nicht sicher. Ich wusste nur eins definitiv: Wenn ich jetzt einen Rückzieher machte, würde ich auf dem Weg zum Hospiz nie aufhören, mich zu fragen, wovor ich gekniffen hatte. Außerdem wollte ich mir beweisen, dass ich die Kraft hatte, den Anblick der Membran zu ertragen. Tuxit und Jolo warteten auf mich. Der Geschichtenerzähler beherrschte sich zwar relativ gut, doch er konnte mich nicht täuschen: Er wäre liebend gern mitgegangen. Da ich allerdings nichts über seine Immunität wusste, wollte ich kein Risiko eingehen. Es reichte, wenn ich mich selbst in Gefahr brachte. Jolo dagegen war heilfroh, nicht weitergehen zu müssen. Dabei hätte er mich vielleicht abgelenkt. Ich stemmte mich gegen die von außen aufgezwungene Stimmung und versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. Mir war heiß. Meine Beine schienen mit jedem Schritt schwerer zu werden. Mein Magen verkrampfte sich, und das Schwindelgefühl wurde stärker und stärker. Ich hatte Mühe zu atmen.

Geh weiter! Es ist alles nur induziert! Mein Extrasinn machte mir Mut. Ich biss die Zähne zusammen. Ich war sicher, dass Sobensten mich beobachtete. Würde er triumphieren, wenn ich fiel? Wenn ich stehen blieb und umkehrte? Wir hatten über die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Vor uns waberte das Nichts, flirrte die Luft, schlugen unsichtbare, aber spürbare Wellen wie Brandung gegen ein Ufer. Dort endete die Bodenwelt. Dort war nichts mehr, nur die Membran und dahinter_ Weiter! Es sind psionische Kräfte, die dich fern zu halten versuchen. Du kannst sie besiegen! Ich hatte das Gefühl, zu ersticken� Du erstickst nicht! Die Beine nicht mehr heben zu können ... Du kannst gehen! Den Verstand zu verlieren, in ein Nichts zu fallen ... Du musst kämpfen! Du fällst nicht! Schritt für Schritt, Meter für Meter. Jede Bewegung eine neue Anstrengung. Wenn ich zu lange geradeaus sah, begann sich die Welt um mich zu drehen, und ich glaubte, dass gespensterhafte Gestalten sich aus dem Flimmern lösten und auf mich zuschwebten, geboren aus den unsichtbaren Wellen ... Weiter! Du schaffst es! Sobensten schwebte in seiner Kammer konstant neben mir. Es war kein Kampf gegen einen Gegner aus Fleisch und Blut. Es war schlimmer. Ich hasste derartige Psychofallen oder psionische Barrieren. Oft hatte ich solche Hindernisse schon überwunden. Und ich würde es auch diesmal schaffen. Als ich am Ende der Boden-Metallschicht stand und auf die Membran blickte, empfand ich ein Gefühl des Triumphs. Immer noch kämpfte die Membran mit aller Heftigkeit gegen mich. Ich setzte Trotz gegen den induzierten Widerwillen, der mich zur Umkehr zwingen wollte. Es war ein zähes Ringen. Die Welt schien sich um mich zu drehen. Ich hatte kein Gefühl mehr in den Beinen, aber ich wusste, dass ich gewonnen hatte.

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Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich mich hier halten konnte, und zwang mich dazu, an Eindrücken aufzunehmen, was ich bekommen konnte. Die Membran wirkte unendlich, ein grenzenloser Ozean aus ans Ufer spülendem Nichts, das kein Nichts war. Der Boden der Intrawelt hörte entlang einer unregelmäßigen Kante einfach auf. Ein anderes Ufer war nicht zu erkennen. Das Flimmern über der Membran und die Wellen, die jetzt quasi optisch zu erkennen waren, verschluckten alles. Wieweit konnte ich meinen Wahrnehmungen noch trauen? Sie glänzte matt, nur beschienen vom weißen Licht der Bodenwelt, deren geschlossene Decke sich wie ein endloser, niedriger Himmel über ihr spannte, ein künstliches Firmament über einem Stück Unendlichkeit. Ich begann, eine Faszination zu spüren, die bisher hinter dem verborgen gewesen war, was mich fern zu halten versucht hatte. Die unendliche Fläche der Membran, die die Intrawelt vom Universum trennte, war von feinen Schlieren überzogen, die über sie wanderten und tatsächlich den Eindruck erweckten, als würden Wellen über sie hinwegziehen. Es war das, was ich aus der Entfernung gesehen, nein: eher gespürt, hatte. Die Membran lag vor mir in ihrer ganzen herrlichen Schönheit. Ich glaubte, »unter« ihr die Sterne des Weltraums erahnen zu können und ein leichtes Wellenrauschen zu hören. Es war wunderbar. Bleib auf dem Teppich, es sind bloß Psi-Effekte! Mein Extrasinn verdarb mir mit seiner Nörgelei die euphorische Stimmung. Ich glaubte, leise Stimmen zu hören, die direkt aus dem Wallen kamen. Leise, verheißungsvolle Stimmen, die das Paradies versprachen. Ich beugte mich vor und ertappte mich bei dem Wunsch, mich einfach fallen zu lassen. Tief hinein in diese Schönheit_ Und die Sirenen lockten die Seemänner ins Verderben ... Wach endlich auf, Arkonide!, zischte der Extrasinn.

Da war kein Wunsch nach Umkehr mehr. Nur noch das Gegenteil. Ich hatte die Grenze überschritten und die Prüfung bestanden. Ich war auserwählt. Das Tor in die Ewigkeit stand weit offen, offen für mich. Es ist nicht wirklich! Fallen lassen. Nichts tun, nur nachgeben. Den verheißungsvollen Stimmen folgen, grenzenloses Glück in der Verschmelzung finden ... absolutes Sein. Einfach fallen lassen ... Es ist nicht wirklich, Atlan! Komm zu dir! Kehre um! Ich zögerte. Kehre um! Es ist nicht wirklich! Was war nicht wirklich? Ich starrte auf das Meer der Unendlichkeit, das Wogen der Ewigkeit, sah die Sterne... ES IST NICHT WIRKLICH! Die Stimme meines Extrasinns kreischte und störte die vollkommene Harmonie. Der Zauber löste sich auf. Ich schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender, der noch einmal an die Oberfläche eines stürmischen Meeres gespült worden war, das ihn hinabzog. Tiefer, immer tiefer ... ATLAN! Ich begann zu rudern. Ich kämpfte. Ich spürte meinen Körper wieder. Die Luft stach wie feurige Speere in meine Lungen. Meine Füße am Abgrund. Ich verlor das Gleichgewicht. Ich ruderte stärker, schrie, warf mich nach hinten ... drehte mich, fing mich auf... ... sah Sobensten in seiner Würfelbox... ... und begann zu laufen, einfach zu rennen, schnell weg von der falschen Verheißung und der Macht, die mich in ihren Schlund ziehen und ersticken wollte.

* Sobensten schwebte schweigend an meiner Seite, keine zwei Meter entfernt. Hinter uns marschierten Tuxit und der unaufhörlich jammernde und plappernde Jolo. Den Abschluss bildete wie immer Eggober im energetischen Schlepptau und seiner Dunkelbox. Ich wusste nicht, was Jolo jetzt wieder fehlte, denn der Einfluss

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der Membran konnte es nicht mehr sein. Wir spürten ihn nicht mehr. Wir hatten sie hinter uns gelassen und einen Weg genommen, der, laut Sobensten, in einer sicheren Entfernung parallel zu ihr zum Hospiz führen sollte. Es war müßig zu spekulieren, ob ich ohne die Hilfe meines Extrasinns ebenfalls dem Einfluss widerstanden hätte, der mich zuerst mit aller Macht abzuwehren und dann, als ich diese Hürde genommen hatte, ins Verderben zu locken versuchte. Ich war nur eine Handbreit vom sicheren Tod entfernt gewesen. Ich fragte mich, ob die Membran der Intrawelt lebte. Besaß sie ein Bewusstsein? Sobensten würde mir die Antwort nicht geben, Tuxit auch nicht. Doch irgendwann schloss der Geschichtenerzähler zu mir auf und sah mich lange und eindringlich an, bevor er sagte: »Ich hätte nicht gedacht, dass wir dich wiedersehen würden, Atlan. Du bist stärker, als ich dich eingeschätzt habe.«

5. Kartnich

»Kartnich - arbeite, Kartnich!« Er wollte es nicht mehr hören! Wie konnten sie von ihm verlangen, seine Aufgabe zu lösen, seine Arbeit zu tun, wenn sie andauernd gegen ihn spielten! Sie und die Nachbarn. Er hatte es versucht, immer wieder, aber es ging nicht! Das System ließ es nicht zu! Es verschloss sich vor ihm. Es hielt ihn zum Narren, es raubte ihm den Verstand, es brachte ihn um! Wenn es das nur tun würde... »Gebt mir Frieden«, bat er flüsternd. Dann brach es wieder aus ihm heraus. Er schrie es. Er tobte. Er drohte und befahl es. Aber sie hörten nicht. Sie gaben keine Antwort. Sie schwiegen und zeigten dadurch ihre ganze Verachtung für ihn. Kein Wort war er ihnen wert. Was er hier tun sollte, war so vollkommen sinnlos. Es war eine Strafe, reine Quälerei und Willkür. Aber wofür straften sie ihn? Was hatte er ihnen getan?

Er tobte sich aus, drosch mit seinen Fingern auf die Instrumente, ließ die Schwarzkammer durch die Gänge jagen und schießen. Er versuchte, die Wände zu rammen. Die Box reagierte nicht. Er versuchte, die Schwerkraftvektoren so zu lenken, dass sie ihn umbrachten. Sie ließ es nicht zu. Er probierte alles aus, was ihm einfiel und was mit seinen Instrumenten zu machen war. Sie blockierten. Die Kammer gehorchte ihm nicht. Sie war mit ihnen allen im Bunde. Auch sie war gegen ihn. Als Kartnich total erschöpft war, hatte er die Idee, die letzten Befehle zu rekonstruieren, die die Box für ihn ausgeführt hatte. Vielleicht gelang es ihm so, einen Fehler zu finden - oder zu entdecken, was falsch war im System. Die von ihm vorgenommenen Neuanordnungen seiner Blöcke Stück für Stück zurückverfolgen; ihm fiel nichts anderes mehr ein, und er wusste, dass er doch wieder beginnen würde; immer und immer wieder, die gleiche sinnlose, verhasste Arbeit, bis er irgendwann einfach zusammenbrach. Vielleicht in hundert Tagen, vielleicht in tausend. Und jeder von ihnen eine einzige Qual. Er rief die Protokolle ab, sah, was er getan hatte - und stutzte. Kartnich wiederholte die letzten fünf Abfolgen. Da war es wieder. Er ließ es noch einmal ablaufen, ein drittes, ein viertes Mal, bis kein Irrtum mehr möglich war. »Ich habe ...« Er verstummte mitten im Satz. Und wenn er einen Fehler gemacht hatte? Dann sollten sie es nicht wissen. Er würde ihnen den Gefallen nicht tun. Aber was hatte er getan? Er versuchte es bis ins Detail zu rekonstruieren, aber die Befehle, die er über seine Box gegeben hatte, ergaben keinen Sinn für ihn. Dass er Befehle gegeben hatte, an die er sich nicht erinnern konnte, stand außer Zweifel. Die Protokolle logen nicht. Oder doch? Wie konnte er sicher sein? Er hatte etwas getan, etwas angeordnet, etwas in Gang gesetzt. Doch wo war das Ergebnis? Konnte es sein, dass...?

Atlan Horst Hoffmann 19 Die Architekten der Intrawelt

Er erinnerte sich nicht, obwohl es erst wenige Stunden zurücklag. Er hatte etwas getan, von dem er nicht mehr wusste, dass er es getan hatte. Und was bedeutete das? Konnte es sein, dass er etwas außerhalb seines Arbeitsbereichs bewegt hatte? In jenem unerreichbaren Niemandsland draußen, jenseits seines Gefängnisses -in einer anderen Welt, von der er nur wusste, dass sie existierte? Wenn es ihm nur wieder einfiele! Alles, was einmal gewesen war und was jetzt war - dort, wohin er nicht sehen konnte. Wo sie waren und ihn verhöhnten. Er hatte etwas gemacht, etwas ausgelöst, etwas befohlen, nur was? Der Gedanke daran war ihm so unerträglich, dass er sich wieder in seine Erregung steigerte. Er ertrug die Vorstellung nicht, etwas getan zu haben, was außerhalb seiner bewussten Kontrolle lag. Er hatte stets die Kontrolle gehabt. Immer gewusst, was er tat. Aber stimmte das wirklich, oder war er per Zufall auf etwas gestoßen, was schon viel länger geschah? Gab es Dinge, die er tat, ohne sich dessen bewusst zu sein? Etwas, das tief aus den Abgründen seiner Seele herauskam und an ihm vorbei in die Welt hinausschlüpfte? Die Welt? Flackernde Lichter. Blitze, die näher kamen. Bilder. Die Welt. Sie war riesig, viel größer als sein kleines Gefängnis. Er hatte dort gelebt und gearbeitet. Er war stark und mächtig gewesen. Man hatte ihn respektiert und ihm gehorcht. Es war ganz nahe. Kartnich hatte das Gefühl, nur stark genug stoßen zu müssen, um die Mauern zum Einsturz zu bringen. Ein Ruck, ein Hieb, ein Wort ..: »Wer bin ich?«, schrie er ins Leere. »Sagt es mir! Wer bin ich? Was habe ich getan? Was tue ich? Ich will es endlich wissen! « Wissen, um sterben zu können. Die Mauern, sie waren näher denn je. Und sie bekamen Risse. Ganz nahe ... Nur ein Stoß, ein Schlag, eine einzige letzte Anstrengung noch. Er steigerte sich hinein. Ihm war heiß und dann wieder kalt. Er zitterte, schrie und litt;

kämpfte und verdoppelte seine Kraft. Nur noch ein Ruck, und ... Die Mauern zersprangen. Sie barsten wie eine Schale, die von innen gesprengt wurde. Helles Licht umtanzte ihn, und Kartnich sah. Kartnich erinnerte sich. Kartnich hielt den Atem an. Er erkannte das System. Er wusste plötzlich, wo er hier war. Er wusste, was er getan hatte und vielleicht immer noch tat, jetzt, in diesem Augenblick. Kartnich sah und verstand... ... und schrie, wie er noch nie im Leben geschrien hatte.

6. Atlan

Als Sobensten diesmal von einem Kontaktpunkt zurückkam, wusste ich, dass er erschüttert war. Er brauchte mir nichts zu sagen. Mittlerweile konnte ich seine »Körpersprache« gut genug deuten. Die Bewegungen seiner Lanken waren fahrig. Er hatte sich nicht zum ersten Mal ins Internnetz der Bodenwelt eingeklinkt, um Nachrichten oder Instruktionen abzurufen. Er tat das oft, und je häufiger er es machte, desto mehr verriet es seine Unsicherheit. Er war nicht so souverän, wie er sich gab. Ich musste mich fragen, ob er wirklich wusste, wohin er uns führte. »Weiter«, sagte er. Wenn er meine fragenden Blicke bemerkte, ging er nicht darauf ein. »Es dauert nicht mehr lange.« Dann schwieg er wieder, dabei hatte ich eben erst das Gefühl gehabt, dass er allmählich begann, gesprächiger zu werden. Er hatte von sich aus angefangen, von seiner Arbeit zu sprechen, von der Bürde und seiner Verantwortung. Der Bann schien endlich gebrochen. Vielleicht lag es an meinem Sieg gegen die uns gerichteten Kräfte bei der Membran. Wie Tuxit schien ich ihn beeindruckt zu haben. Sobensten war langsam aufgetaut, doch nun war er wieder still, und ich versuchte erst gar nicht, ihn nach dem Grund zu fragen. Aber alles an seinem Verhalten erinnerte mich an den Angriff der drei Roboter und den Schock, den ihm dieser versetzt hatte.

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War etwas Ähnliches in der Bodenwelt geschehen? Hatte es auch an anderer Stelle Angriffe gegeben, Aussetzer, rätselhafte Fehlfunktionen? Ich tröstete mich damit, dass wir bald beim Hospiz waren - falls das stimmte und wir ihm vertrauen durften. Ich setzte mir eine Frist, bis wann ich ihn zur Rede stellen würde. Ich hasste es, anderen Wesen ausgeliefert zu sein. Ich zog es vor, selbst zu bestimmen, was ich tat. Doch hier war alles anders. Ich bezweifelte, dass wir ohne Sobenstens Hilfe überhaupt einen Weg zurück in die eigentliche Intrawelt finden würden. So gingen wir schweigend weiter - das heißt: Wir schwebten. Sobensten hatte endlich ein Einsehen gehabt und eine Schwebeplattform für uns geordert, kurz nachdem wir an der Membran gewesen waren. Er hatte es kommentarlos getan und keinerlei Erklärung gegeben, aber ich vermutete stark, dass er uns nur eine langsame Annäherung an die Membran in Ruhe hatte ermöglichen wollen. Vielleicht hatte er uns - mich - auf die Probe stellen wollen. Vielleicht hatte er andere Gründe gehabt. Seither war er nicht mehr so abweisend und überheblich. Und er hielt andere Anstizen von uns fern. Ich hatte es geahnt, war mir aber erst sicher, nachdem er die zwei Anstizen, die die Plattform gebracht hatten, mit übertriebener Gestik fortgeschickt hatte, ehe sie Fragen an uns stellen konnten. Er war unsicher. Wovor hatte er Angst? War es etwas, das ich wissen musste? Er hatte über das Internnetz etwas erfahren, was ihm einen Schreck eingejagt hatte, und ich hoffte, dass er von sich aus wieder zu reden beginnen würde, wenn sich dieser gelegt hatte. Sobensten wollte reden. Ich musste Geduld haben - wieder einmal. Immerhin ging es jetzt schneller voran. Die Schwebeplattform war groß genug für Tuxit, Jolo und mich. Eggober folgte uns im Schlepp und rührte sich nicht. Er schien zu schlafen, was zweifellos auch besser für ihn war - und für uns. Wir bewegten uns weiterhin parallel zum Membranmeer, wie ich das »Nichts« hinter

dem Metallufer inzwischen bezeichnete. Wir hielten stets genug Abstand, um nicht in seinen Einfluss zu geraten. Selbst Jolo beklagte sich mittlerweile nur wieder über seinen schrecklichen Kohldampf und beschimpfte die Anstizen als »Mörder«, die ihn absichtlich verhungern ließen. Ich sagte ihm, dass ihm einige Stunden Fasten sicher ganz gut tun würden, worauf er jeden Kontakt mit mir bis auf weiteres einstellte. Endlose Korridore entlang schwebten wir durch Hallen, über Verteiler, und doch blieben wir immer nur auf einer Ebene. Es schien nur die eine zu geben in der Bodenwelt, diesen einen Bereich zwischen unten und oben, Boden und Decke. Hier spielte sich alles ab, und das um die ganze riesige Intrawelt herum, den künstlichen, eine Lichtsekunde durchmessenden Himmelskörper, eine Hohlschale, mehr als doppelt so groß wie der solare Jupiter. Es war fast unvorstellbar, und die Anstizen hatten dieses Wunderwerk gebaut und arbeiteten noch immer daran. Wir rasteten nicht, und das war mir ganz lieb so. Wir schwebten durch das weiße Licht, und irgendwann erfüllten sich meine Erwartungen. Sobensten begann wieder zu reden. Das war ungefähr fünf Minuten, bevor uns die- Wände um die Ohren flogen.

* »Wir Anstizen«, sagte Sobensten, sind ein uraltes Volk.« Wir näherten uns einer Engstelle, was an sich nichts Ungewöhnliches war. »Unser einziges Ziel ist die Fertigstellung der Intrawelt. Aber wir leiden unter großer Rohstoffknappheit und müssen ständig improvisieren. Viele von uns kränkeln und kommen mit dem auch für uns eigentlich unnatürlichen Leben in der Bodenwelt nicht zurecht.« Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass er sich etwas von der Seele reden wollte. Vielleicht hatte er lange darauf gewartet, und nun, als der Knoten einmal geplatzt war, sprudelte es nur so aus ihm heraus. Vom Flammenstaub oder der Membran

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redete er auch weiterhin nicht. Ich hatte es auch nicht mehr erwartet, aber auch die Informationen über sein Volk konnten wichtig sein. Also unterbrach ich ihn kaum. Dann versuchte ich gezielt, ihm Stichworte zu liefern, wie zum Beispiel ihre Technik. Ich hörte zu, ohne die Umgebung aus den Augen zu lassen. Mir fiel auf, dass sich in diesem Bereich relativ wenig Anstizen aufhielten, dafür umso mehr Roboter. »Wir verwenden in erster Linie Positronentechnik«, sagte der Parzellenschneider, während wir auf die Engstelle zuschwebten. Schon hier waren die sich gegenüberliegenden Wände nur achtzig Meter voneinander entfernt. »Sie ist sehr ausgefeilt und systematisch, extrem effizient. Auch in jeder Schwarzkammer befinden sich Positronikrechner, allerdings arbeiten wir auf einem generell niedrigen Energieverbrauchsniveau. Notwendige Energie wird via Zapfanlagen von der Kunstsonne der Intrawelt gewonnen und ist relativ beschränkt.« »Von der Kunstsonne?«, unterbrach ich ihn. Ich konnte es mir kaum vorstellen. Eine künstliche Sonne als Energielieferant? Sie musste ihre Energie ja auch von irgendwoher beziehen � eine Frage, die sich mir schon lange stellte. Doch Sobensten ging nicht darauf ein. Er schien meinen Einwurf nicht einmal gehört zu haben. »Die Bioplasma-Komponente der Rechner wird aus unserem eigenen Zellgewebe gezüchtet. Die Leistungsfähigkeit der Rechner bezieht sich selbstverständlich nur auf das, was wir selbst von ihnen wünschen. Was für uns nicht von Interesse ist, damit beschäftigen wir uns nicht, deswegen gibt es diesbezüglich also auch keinerlei Rechengrundlagen.« Ich verstand. Also, da sein Volk keinerlei Interesse an Raumfahrt und dergleichen hatte, besaß es auch keine Parameter in seinen Positroniken, um etwa Flugkurven, Verbrennungseffizienten für Treibstoff, Beschleunigungswerte und so weiter zu berechnen. Zweifellos interessant, obwohl

es uns im Augenblick nicht gerade weiterbrachte. »Sehr wohl«, sagte Sobensten, »sind die Rechner sehr effizient etwa in der abstrakten Mathematik, Statikberechnung, Architektur, Materialerkennung, Materialdichtemessung und Ähnlichem, also grundsätzlich bei allem, was mit der Parzellenschneiderei zu tun hat.« Er wollte mich beeindrucken, das war klar. Aber es nützte mir nichts. Wir hatten die engste Stelle des Korridors fast erreicht, zu beiden Seiten noch ungefähr zwanzig Meter bis zu den mit Instrumenten gespickten Wänden. Jetzt konnte ich keinen einzigen anderen Anstizen mehr sehen. »Kannst du dir vorstellen, welche Mengen und Massen an Material bei unserer Arbeit bewegt werden und welch großer logistischer Aufwand dabei notwendig ist? Wir haben ...« Keine Anstizen. Nur Roboter. Der Korridor war wie tot. »Sei still«, bat ich Sobensten. Er drehte den Kugelkörper. »Was ...?« In diesem Moment geschah es. Die Wände bekamen plötzlich sehr schnell Beulen, rechts von uns, links von uns. Ich schrie eine Warnung, fuhr herum, packte Jolo und warf mich mit ihm auf die Schwebeplattform. Ich sah Tuxits Blick und hoffte, dass er schnell genug begriff und noch schneller den Kopf einzog. Und dann gab es einen furchtbaren Knall, als die Wände explodierten und die metallenen Trümmerfetzen durch die Luft heulten. Ich drückte mich mit Jolo auf die Plattform, schloss die Augen, wartete, bis der Blitz vorbei war. Für einen Moment hörte ich nichts mehr. Dem fürchterlichen Knall folgten weitere. Die messerscharfen Trümmerstücke jaulten uns um die Ohren und schlugen in die gegenüberliegende Wand. Sirenen heulten auf. Ich presste den Kopf auf die Platte und wartete auf das Ende. Doch als es vorbei war, stellte ich fest, dass ich unverletzt war. Gleich neben mir hatte sich ein scharfes Metallteil in die Plattform gefressen und war stecken geblieben. Es hätte ebenso gut mich treffen können.

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Jolo regte sich unter mir. Ich gab ihn frei. Er kam in die Höhe, starrte auf das Bild der Verwüstung, starrte mich an, sah dorthin, wo Tuxit sich gerade erhob, und begann wie ein Rohrspatz zu schimpfen. »Das darf doch alles nicht wahr sein!«, tobte er. »Was ist das bloß für eine Welt? Wo sind wir hier gelandet? Diese Anstizen sind verrückt! Sie sind gemeingefährlich, Mörder, Terroristen, Bombenleger! Sie lassen uns nicht nur verhungern, sondern ...« Ich hörte nicht hin. Ich stand auf, ging die paar Schritte zu Tuxit und überzeugte mich davon, dass ihm nichts passiert war. Seine Halskrause war aufgestellt und machte einige schnelle Verfärbungen durch. »Ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte ich ihn. »Nichts ist in Ordnung«, sagte er, ohne mich anzusehen. Sein Blick ging an mir vorbei, wie ins Leere gerichtet. »Überhaupt nichts. Ich hätte nie gedacht, dass ...« »Was?«, fragte ich schnell, als er schwieg. Er wich vor mir zurück. Ich hatte den Eindruck, dass er verlegen war - verlegen und aufgeregt. Es schien, dass er die auf den Rücken gebundenen Flügel bewegen wollte, seine Fesselung sprengen. »Was ist nicht in Ordnung? Was stimmt hier nicht, Tuxit?« , »Ich kann es dir nicht sagen«, antwortete er. Seine Augen blickten mich an. War das Trauer, was ich da zu sehen glaubte? Eine große Traurigkeit? »Ich bin mir selbst nicht sicher, Atlan.« Ich nickte grimmig, drehte mich um und marschierte mit geballten Händen in Sobenstens Richtung. Es reichte! Ich hatte genug von vagen, ausweichenden oder gar keinen Antworten. Ich wollte jetzt wissen, was hier vorging, und - bei Arkons Göttern! - Sobensten würde es mir sagen! Ich stieg von der Plattform, die auf dem Boden aufgesetzt hatte, kickte Metallteile weg und stapfte durch Trümmerfetzen auf die in einem Meter Höhe schwebende Schwarzbox zu, aus der der Anstize mich anstarrte. Er rotierte in seiner Kammer wie ein in Panik geratenes Käfigtier. Seine Lanken bebten. Es wurde schlimmer, je

näher ich kam. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Er ergriff die Flucht. Er zog sich wieder in sein Schneckenhaus zurück, das er in der Hoffnung auf mein Mitleid aus Verzweiflung errichtete. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Roboter herangeschwebt kamen und damit begannen, die in den Wänden ausgebrochenen Brände zu löschen. Zum Glück waren diesmal keine giftigen Dämpfe entstanden, ich spürte jedenfalls nichts davon. Andere Maschinen kamen mit Plattformen und begannen die Trümmer aufzuladen. Ich achtete nicht auf sie und auch nicht auf die Sirenen. Ich ging weiter, bis ich direkt vor Sobensten stand. Ich wünschte mir, er hätte Schultern besessen, an denen ich ihn packen und rütteln konnte. Aber da war nur der zitternde schwarze Ball mit seinen Hunderten von Lanken, natürlichen und künstlichen, die sich jetzt um ihn herum schlossen wie die Blätter einer Blüte beim Anbruch der Dunkelheit. »Du hast es gewusst!«, sagte ich, die Fäuste in die Seiten gestemmt. Er sollte ruhig merken, dass ich wütend war. »Es war kein Unfall, genauso wenig wie das mit den drei Robotern. Denn das war es, was du vorhin gehört hast, stimmt es nicht? Deshalb der Schock. Es passiert überall. Sag es mir, Sobensten! Sag mir, was hier geschieht!« Ich stand vor ihm. Ich spürte, wie er mich ansah, zitternd, ein Häufchen Elend. Keine Spur mehr von Überheblichkeit und Überlegenheit. Die Zeit für Mitleid und Rücksichtnahme war nun vorbei. Es gab Situationen, in denen man sich kein Mitleid mehr leisten durfte, und solch eine Situation hatten wir jetzt. »Rede endlich, Sobensten!«, sagte ich heftig. »Es geht um unser Leben, begreifst du das nicht? Beim nächsten Unfall haben wir vielleicht nicht mehr so viel Glück. Was passiert in der Bodenwelt?« »Ja, es hatte schon früher solche Pannen gegeben«, berichtete Sobensten, »ein kleiner Unfall hier, eine Fehlfunktion dort und stets unerklärlich. Es hatte genügt, um uns im weiten Umkreis des Hospizes zu

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beunruhigen, ohne uns allerdings tatsächlich schon in Alarm zu versetzen. Das hatte sich erst vor etwa hundert Tagen geändert, als sich die Zwischenfälle plötzlich häuften. Wirklich dramatisch aber ist die Situation erst seit dem Angriff der Roboter geworden.« Tuxit und Jolo lauschten gebannt. Tuxit auf seine in sich gekehrte, düstere Art. Und Jolo vergaß seinen Appetit,, unterließ seine unqualifizierten Bemerkungen. »Nie zuvor war es geschehen, dass sich die Maschinen gegen uns wandten. Ja, es war zwar schon an anderen Stellen zu Unfällen gekommen, auch zu verheerenden Unfällen, wobei fast immer nur Materialschäden zu beklagen waren. Nur in einem einzigen Fall war ein Anstize verletzt worden.« »Könnte man behaupten, dass diese ... Unregelmäßigkeiten erst auftraten, seitdem wir die Bodenwelt der Anstizen betraten.« Sobensten widersprach mir nicht und fügte hinzu: »Nur im großen Umkreis des Hospizes kam es zu diesen Unfällen.« Er war zusammengebrochen, ein Häufchen Elend. Nachdem er geredet hatte, tat ich mein Möglichstes, um ihn zu trösten und wieder aufzurichten. Er war dankbar, das spürte ich, aber was in ihm zerbrochen war, ließ sich so leicht nicht kitten. Wahrscheinlich, falls überhaupt, würde er erst wieder zu sich selbst finden, wenn die Zwischenfälle aufhörten. Er schien nicht so recht daran glauben zu können. Selten hatte ich ein Wesen so niedergeschlagen erlebt wie den einflussreichen Parzellenschneider. Die richtigen Worte zu finden fiel mir auch deshalb schwer, weil ich genau wusste, dass er das Gleiche dachte - denken musste - wie ich: nämlich dass wir, Tuxit,. Jolo und ich, für die plötzliche Eskalation der Katastrophen verantwortlich waren, allein durch unser Auftauchen in der Bodenwelt. Und da er uns hierher gebracht hatte, traf auch ihn ein Teil der Schuld, wenn nicht überhaupt die ganze. Wir schwiegen, als wir den Weg fortsetzten. Ich hatte das Gefühl, von jedem Anstizen, dem wir begegneten,

angestarrt zu werden, aber das mochte Einbildung sein. Mussten wir ein schlechtes Gewissen haben? Waren wir wirklich der Auslöser für die Dinge, die in der Bodenwelt geschahen? Würde es noch schlimmer kommen? Ich wusste es nicht, aber ich nahm mir fest vor, alles zu tun, um die Ursache herauszufinden. Ich hatte noch keine Ahnung, wie. Der einzige Anhaltspunkt war das Hospiz. Die Zwischenfälle ereigneten sich nicht in entfernten Bereichen der Bodenwelt, nur hier, in der relativen Nähe. Das Hospiz schien der Schlüssel zu vielen verschlossenen Türen zu sein. Alles drehte sich darum, und ich war entsprechend gespannt, als wir es nach mehr als fünf Stunden seit den Explosionen endlich erreichten. Sobensten hielt seine Schwarzkammer in einem Bereich der Intrawelt an, an dem noch emsig gearbeitet wurde. Teilweise fehlten noch große Teile der Wand- und Deckenverkleidung, und in einigen Kilometern Entfernung wogte das Membranmeer ungeschützt gegen das metallene Ufer dieser künstlichen Sphäre. Hier, an dieser Stelle, fiel helles Tageslicht durch die obere Abdeckung herein. Die Sonne stand senkrecht wie immer am Himmel, im Zentrum der Hohlkugel. Vor uns war ein riesiges Loch in der Decke, wahrscheinlich auch mehrere Kilometer groß, und Sobensten deutete mit einigen Lanken darauf. »Dort«, sagte er, »liegt das Hospiz. Es ist kein gewöhnlicher Anblick.« »Ich bin gespannt«, erwiderte ich. »Dann kommt! Das Hospiz liegt an der Oberfläche. Wir schweben hinauf.« Sobensten ließ seine Schwarzkammer steigen. Unsere Plattform setzte sich wie Eggobers Box wie von selbst in Bewegung. Er steuerte sie fern. , Wir stiegen hinauf, immer höher, an den verschiedenen Schichten empor, aus denen der Untergrund der Intrawelt-Parzellen bestand, an Erde, einer Vegetationsdecke, immer höher der Sonne entgegen. Und dem Hospiz.

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Jolo sah es als Erster. Er stieß einen gequälten Laut aus. Mir stockte der Atem, und Tuxit blieb ruhig wie immer. Es wäre mir lieber gewesen, wenn er eine Reaktion gezeigt hätte - geschrien, gestöhnt, vielleicht den Kopf in Demut gesenkt -, nur irgendeine. Es hing über uns, groß wie ein Mond. Es ist kein gewöhnlicher Anblick... Sobensten hätte uns besser darauf vorbereiten sollen.

7. Kartnich

Vor ihm öffnete sich eine Tür, das Tor zu einem der anderen Wohnbereiche, die ihm bisher unzugänglich gewesen waren. Es löste sich einfach auf, denn es bestand aus Formenergie, und er konnte sie erschaffen oder verschwinden lassen, ganz wie es ihm beliebte. Es gelang ihm jetzt, weil er es wusste. Er wusste alles. Alles war wieder da. Er konnte fast alles tun, was er wollte, einfach über die Instrumente seiner Schwarzkammer, denn über sie war er. mit allem vernetzt: dem Gefängnis, der Welt. Nur eines vermochte er nicht: sterben. Seine Kammer, die ihm plötzlich so viel Macht verlieh, erfüllte ihm fast jeden Wunsch, nur diesen einen nicht, der wichtiger war als alles andere. Denn er kannte die Wahrheit. Er wusste, wer er war und warum er sich hier befand. Deshalb wollte er sterben. Es war ein tausendmal wichtigerer Grund, als allein seine Verzweiflung über ein sinnloses Leben es jemals gewesen war. Er wusste, warum er dieses Leben gewählt hatte und warum er sich nie - niemals! - hätte erinnern dürfen. »Ich warte auf eure Antwort«, sagte er, während er durch die, Öffnung schwebte. »Ihr wisst, dass ich meine Drohung wahr machen kann, und ich werde es tun, wenn ihr mich nicht erlöst. Gebt mir den Tod! Ermöglicht es mir zu sterben! Sonst habt ihr euch die Folgen selbst zuzuschreiben - und ich schwöre euch: Sie werden furchtbarer sein als alles, was bisher schon passiert ist!«

Er spürte den eisigen Schauder, den allein der Gedanke daran wieder auslöste. Was bisher passiert war... Er kannte die Protokolle und hatte sich in das Internnetz der Bodenstation eingeklinkt. Er wusste, was dort geschehen war, und er wusste, dass es weiter geschehen würde. Es war nicht zu Ende. Es war erst der Anfang, und er konnte es nicht kontrollieren! »Antwortet! Warum sagt ihr nichts? Was muss ich noch tun, um euch zu zeigen, wie ernst ich es meine?« Es würde weitergehen, solange er lebte. Er wusste nicht, wann und wie es geschah. Aber er war der Auslöser. Aus ihm kam es heraus. Er allein kannte wirklich alle Mittel und Wege, die ihm zur Verfügung standen. Er hätte sie warnen können, aber er tat es nicht. Es gab immer noch Sperren, selbst für einen befreiten Geist. Denn ganz frei war er noch nicht. Stärker als alle anderen Mauern waren jene, die er selbst in sich errichtet hatte. Mauern des Gewissens und der Angst; der Moral, der Scheu. Aber was nützte ihm ein Gewissen, wenn es ihn nicht daran hinderte, all diese Dinge zu tun! Kartnich geriet in einen Zustand der Raserei. Er jagte die Schwarzkammer durch den neuen Bereich und rief nach dessen Bewohnern. War es ein Kranker, ein »normaler« Patient, der wie er Zuflucht im Vergessen gesucht hatte, bevor der Wahnsinn ihn umbrachte - oder er selbst jemanden töten konnte? Nein, nicht einen: viele tausend! Er bekam keine Antwort, weder von seinem Nachbarn noch von ihnen. Sie sagten nicht mehr: »Kartnich, arbeite!«. Sie sahen und hörten ihn, wie es immer gewesen war. Doch nun hatte er die Macht. Er hatte das System durchschaut, was nach dem Fall der Barrieren in seinem Geist nicht schwer gewesen war - denn er hatte es ja erst geschaffen! Wie lange mochte es her sein? 200.000 Tage? 500.000? Eine Million? »Antwortet mir!« Wo war sein Nachbar? Er selbst konnte sich nicht helfen. Er war uralt und körperlich verbraucht. Seine

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Lanken waren längst zu schwach, um Hand an sich zu legen. Es ging also nur mit den Mitteln der Schwarzkammer. Eigentlich hätte ihm auch das ein Leichtes sein sollen: sie so zu manipulieren, dass sie ihn umbrachte oder wenigstens zuließ, dass er es selbst tat, indem er sie gegen eine der Wände rasen und zerschellen ließ, wie er es schon versucht hatte. Oder sich mit einem elektromagnetischen Impuls hinzurichten. Einen Kunstlanken über ihre Mechanismen so zu steuern, dass er ihn gegen sich selbst richten konnte. Er stellte sich viele Arten vor, in und mit Hilfe der Box zu sterben, aber es ging nicht. Sie war darauf programmiert, das Leben ihres Insassen unter allen Umständen zu schützen und zu bewahren - eine Zwangsjacke. Er selbst hatte dafür gesorgt, als er das Hospiz errichten ließ, denn er, Kartnich, hatte es einst erbaut. »Ihr wisst es, oder?«, schrie er. »Dann wisst ihr auch, was ich von hier aus tun kann! Lasst mich sterben, oder ich werde es tun! Ich schwöre es!« Wieso reagierten sie nicht? Er steuerte die Box um Ecken herum und durch immer neue Gänge. Das Labyrinth hatte seine Schrecken für ihn verloren. Er kannte es in- und auswendig und wusste, wie er es zu benutzen hatte. Jetzt wunderte er sich nicht mehr darüber, dass er seine Aufgabe nicht hatte lösen können. Es gehörte zum System. Alles war hier miteinander verzahnt. Er selbst hatte es sich ausgedacht, zusammen mit anderen klugen Anstizen, damals... Er war einer der geschicktesten Parzellenschneider der Intrawelt gewesen - vor langer, unvorstellbar langer Zeit. Er war sogar zu einem der »Viertlinge« ernannt worden, die jeweils die Aufsicht über eine halbe Hemisphäre der Kunstwelt innehatten und alle Bauarbeiten in ihrem Bereich beaufsichtigten. Einer der vier mächtigsten Anstizen überhaupt. Aber er hatte es nicht verkraftet. Er war stolz und hochmütig gewesen, als er das große Ganze ihrer Arbeit überblickt hatte. Wie ein Gott hatte er sich gefühlt, so als wäre er selbst der Ideengeber und Erbauer

der gesamten Intrawelt gewesen, er und nicht die... Doch etwas hatte an ihm genagt wie ein bösartiges Geschwür. Es wollte und wollte ihm einfach nicht gelingen, den wahren Zweck dieses Bauwerks zu ergründen. Natürlich wussten die Anstizen, dass der Flammenstaub hier drinnen versteckt werden sollte. Nie mehr durfte er ins normale Universum gelangen. Er hatte sich als zu gefährlich herausgestellt. Nur warum war er so gefährlich gewesen und für wen? Die Informationen, die man ihm gegeben hatte, waren ihm, einem der Besten seines Volkes, zu dürftig gewesen. Er hatte mehr wissen wollen, die ganze Wahrheit. Deshalb hatte er damit begonnen, seine eigenen Nachforschungen anzustellen. Vorsichtig, ganz behutsam - und dennoch nicht vorsichtig genug ... Kartnich riss sich von den Gedanken an die Vergangenheit los. Er öffnete Tore, flog hindurch, schloss sie hinter sich und öffnete wieder neue. Er konnte sich nicht verirren, wohl aber dafür sorgen, dass im ganzen Hospiz so viel Chaos entstand, dass sie sich am Ende wünschen mussten, er wäre tot. Dass ihnen gar nichts anderes mehr übrig blieb, als seinen Wunsch zu erfüllen. Sie konnten es. Er wusste, dass er ärztlich überwacht wurde wie jeder Patient. Sie mussten sein Leben erhalten, aber sie konnten es auch sein lassen. Sie allein hatten die Macht dazu. Vor langer Zeit hatte er sie ihnen gegeben und sich ihnen ausgeliefert, um zu vergessen. Um das, was er wusste, niemals zurück an die Oberfläche dringen zu lassen. Und jetzt war es doch geschehen. Er hatte es nicht gewollt. Er wollte auch jetzt nicht tun, was er tat, aber er musste es, wenn er noch viel Schlimmeres verhindern wollte. Das Hospiz, sein Hospiz, als das kleinere Übel ... Das. Hospiz oder die ganze Bodenwelt, vielleicht sogar die Intrawelt ... »Antwortet!«, schrie er. »Sprecht mit mir! Ihr könnt es beenden, hier und jetzt, bevor es überhaupt angefangen hat!« Angefangen hatte es längst, auf eine andere, schreckliche Weise. »Lasst mich sterben, findet einen Weg! Oder ich lasse die

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Patienten frei, wie ich es euch gesagt habe! Ich werde es tun, glaubt mir! Und dann ...« Er überließ es ihrer Phantasie, sich auszumalen, was dann passieren würde. Er musste schon wieder an das Andere denken. Was sich in ihm aufstaute. Er konnte es spüren, aber nicht kontrollieren. Es kam, stieg in ihm hoch ... Er wusste nicht, was gleich mit ihm geschehen würde. Er hatte nie eine Erinnerung daran. Aber hinterher, wenn er wieder er selbst war, würde er es sehen und den Tag verfluchen, an dem er geboren worden war. ... Versagen der Hydraulik im Stützelement 2323-10, teilweise Einsturz - Fehlfunktion im Belüftungssystem der Sektion CHX-56, Notevakuierung - Energieausfall im Bereich 15 - heftige Explosionen im Intra-Leitungssystem, hoher Sachschaden - Eindringlinge im Rotsektor C, nähern sich dem Hospiz - Roboter-Kontrollverlust, hoher Sachschaden - Energieausfall - Explosionen - Eindringlinge... Immer wieder sah er sie. Und fast zu spät sah er den Anstizen im Korridor vor sich auftauchen. Er schrie eine Warnung, versuchte zu bremsen. Seine Schwarzkammer kam zum Stehen. Er wurde in ihre Kraftfelder gepresst und verlor fast das Bewusstsein, aber selbst den Gefallen wollte ihm das Schicksal nicht erweisen. Der andere Anstize lag vor ihm. Seine Box hatte einen winzigen Augenblick zu spät reagiert. Sie hatte den Patienten, der so unvermittelt aufgetaucht war, gerammt und wie einen Spielball hoch durch den Gang geschleudert. »Nein«, flüsterte Kartnich. »Das ... wollte ich doch nicht ...« Er stieg aus, zum ersten Mal seit einer unvorstellbar langen Zeit versuchte er es. Seine Lanken, die meisten von ihnen künstlich, hatten Mühe, den Körper ohne die stabilisierenden Felder der Kammer zu tragen. Viele knickten einfach ein. Kartnich kroch mehr aus der Box, als dass er sich gezielt bewegte. Er rollte sich unter starken Schmerzen auf den Reglosen zu.

* »Hörst du mich, Freund?«, fragte er leise. »Gib mir doch Antwort. Sag etwas, bitte!« Der Anstize reagierte nicht. Er lag auf dem Boden, schlaff, wie tot. Seine Lanken bewegten sich nicht. Einige waren ausgestreckt, andere in den beiden Gelenken geknickt, die meisten eng an den schwarz behaarten Körper gezogen. Kartnich empfing kein Lebenssignal. »Tu mir das nicht an«, flüsterte er. »Sag mir, wie ich dir helfen kann. Ich will alles tun ...« Er musste hier weg, zurück in die Box. »Mein armer Freund«, hauchte er. »Ich habe dich nicht gesehen. Wie konntest du auch ... ohne den Schutz deiner Schwarzkammer ...« Normale Patienten sollten doch gar nicht imstande sein, ihre Box selbstständig zu verlassen. Er kämpfte gegen den Drang an, den er in sich spürte. Er zitterte. Er wollte nicht, nicht wieder, nicht das! Plötzlich spürte er, wie der Anstize ihn anblickte. »Ja?«, fragte er rasch. »Du lebst. Warte, ich helfe dir.« »Ich ... lebe nicht mehr«, vernahm er. In einem letzten Aufbäumen streckten sich alle Lanken seines Opfers. »Das Leben ... ist schon erloschen. Dabei hatte ich noch ... meine Aufgabe. Ich muss sie doch lösen ...« »Sei froh, dass du es nicht mehr brauchst«, sagte Kartnich verzweifelt. Es waren keine guten Worte. Sie trösteten weder ihn noch sich selbst. »Sag mir deinen Namen, Freund. Wie heißt du?« »Ich bin Lurnin«, hörte er ganz schwach. »Und ich will ... arbeiten. Meine Aufgabe ... wartet.« Es war das Letzte, was Kartnich von Lurnin hörte. Der Anstize hauchte sein Leben vor ihm auf dem Boden aus. Ein letztes Zucken ging durch seinen Kugelleib. Dann lag er still. Die Lanken, außer den Kunstgliedern, sanken herab und rührten sich nicht mehr. Kartnich blickte ihn lange an. Für. Minuten stand er vor ihm. Dann gaben auch seine

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Stützlanken nach, und er sank langsam neben dem Toten auf das kalte Metall. Er glaubte an seine Aufgabe, dachte er bitter. Er hatte noch ein Ziel im Leben, vielleicht Wünsche und Sehnsüchte; etwas, woran er sich klammern konnte. »Nein!«, schrie er in hilflosem Zorn. Seine Stimme hallte von den glatten Wänden wider. »Warum lasst ihr das zu? Warum konnte ich nicht- für ihn sterben? Wieso? Sagt es mir! Antwortet mir doch!« Glaubten sie vielleicht, er würde seine Drohungen nicht wahr machen? Er würde es ihnen zeigen! Kartnich wusste, dass er es nicht verhindern konnte. Es war stärker als er. Er musste gehen. Dabei war er so müde, so unendlich müde. Er betrachtete den toten Lurnin und wünschte, er wäre an seiner Stelle gestorben. Er flehte darum, jetzt einfach hier liegen bleiben zu können, einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen. Seine Schuld und das furchtbare Wissen für immer vergessen zu können, das er selbst wieder ans Tageslicht gebracht hatte. »Kartnich?«, sagte eine Stimme.

8. Atlan

Wir standen am Rand des »Lochs« im Boden, dessen Grund die Welt der Anstizen bildete, und starrten in die Höhe. Ich hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt. »Meine Fresse«, sagte Jolo immer wieder. Nur das. Er schien über den Anblick sogar seinen Hunger vergessen zu haben. Sobensten blickte uns abwartend an. Tuxit schwieg, aber wieder konnte er seine Erregung nicht verbergen. Über uns schwebte in einer Höhe von etwa einem Kilometer eines der phantastischsten Objekte, die ich jemals gesehen hatte. Den Vergleich mit einem Mond, der beim ersten Anblick entstanden war, nahm ich zurück. Das Gebilde erinnerte mich eher an einen Posbi-Würfelraumer, obwohl es nicht so chaotisch wie ein Fragmentschiff war. Im Gegenteil, es wirkte auf eine

faszinierende Art und Weise, die sich meinen Sinnen in ihrer ganzen Komplexität noch entzog, geordnet und bis ins letzte Detail durchkonstruiert. Das also war das Hospiz. Es handelte sich um einen riesigen Würfel, der aus vielen anderen Würfeln bestand, die wiederum aus noch kleineren Würfeln zusammengesetzt zu sein schienen. Seine Gesamtkantenlänge mochte gut und gern zweitausend Meter betragen. Die als quadratische Felder an der Außenhülle erscheinenden kleineren Würfel schätzte ich auf hundert Meter Breite, Höhe und Tiefe, die der noch kleineren auf zehn. Zehn mal zehn auf eine Fläche von hundert ergab ebenfalls hundert. Mein Extrasinn vollendete die Rechnung: Tausend ganz kleine Würfel in einem kleinen - und davon, bei zweitausend Metern Kantenlänge des Gesamtobjekts, zwanzig mal zwanzig mal zwanzig ergab achttausend kleine und acht Millionen kleinste Würfel. Da wir von all diesen Blöcken nur die Außenseite sahen, machte ich es mir leichter und rechnete zwanzig mal zwanzig hundert mal hundert Meter große Flächen und darin je zehn mal zehn zehn Meter große. Die größeren wiesen verschiedene Färbungen auf, die meist einheitlich waren und irgendwie irritierend. Erst bei genauem Hinsehen erkannte ich, dass diese Ordnung nicht vollkommen wär. Überall gab es Lücken, störten unpassende Farben. Darüber hinaus glänzten sehr viele kleine und große Flächen metallisch, andere wiederum wirkten stumpf, als sei, dort die graue Farbe abgeblättert. Ich_ schätzte, dass die schimmernden ein Drittel der Gesamtfläche einer Würfelseite ausmachten. Sobensten schien meine Gedanken gelesen zu haben, denn er meldete sich wieder, nachdem er uns Zeit zum Bestaunen dieses technischen Wunders gegeben hatte. »Ihr wundert euch über die Farben«, sagte er. Ich nickte. »Wir wissen, dass es vielen Bewohnern der Intrawelt, die an diesen Ort kamen, ebenso gegangen ist. Es hängt damit zusammen, dass wir Anstizen die

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Farben unserer Umgebung anders wahrnehmen und verwenden als andere.« Er streckte einen Lanken aus der offenen Fläche seiner Schwarzbox heraus und zeigte nach oben, zur Unterseite des Würfels. »Für uns Anstizen gibt es sechs Primärfarben«, erklärte Sobensten, »und zwar Celanblau, Vauletta, Drommenrot, Giecksgrün, Orgenage und Oppelnektar. Jeder Block, also jedes dieser kleinen Elemente, weist auf einer Fläche je eine der sechs Farben auf, die in einem festgelegten Muster angeordnet sind. Sie alle würden, in optimaler Anordnung, eine einheitliche Färbung eines Bereichs, eines größeren Elements, ergeben. Das Ganze dann nochmals einheitlich in der Farbe würde einen Hospiz-Gesamtwürfel ergeben, der auf jeder Seite in einer einheitlichen Farbe erstrahlt. Allerdings sind die Insassen noch sehr weit entfernt, was nicht zuletzt an den grauen Flächen liegt.« Es war etwas verwirrend, aber allmählich begriff ich. »Dort«, sagte unser Führer, »sind jene Bereiche, in denen sich derzeit keine Patienten befinden.« In seinem Eifer, uns das Hospiz von außen zu erklären, hatte er offensichtlich vorübergehend seine Ängste und Sorgen um die Bodenwelt vergessen. »Das Hospiz ist nur zu etwa zwei Dritteln belegt, von den insgesamt 7900 Wohnbereichen nur rund fünftausend.« »Ich kam auf achttausend«, meinte ich vorlaut. »Es gibt zwischen den Bereichen Verbindungsgänge für das Überwachungspersonal, die nicht verändert werden dürfen. Dazu kommen noch die Gänge in den Patientenbereichen für die Insassen selbst, die sich ja auch bewegen können sollen. Das Hospiz ist also nicht bis auf den letzten Kubikmeter mit Blöcken gefüllt.« »Du sprichst also von den Bereichen, die wir als metallisch schimmernde Flächen sehen«, vergewisserte ich mich. »Was ist mit den anderen, die nur grau sind?«

»Für euch sind sie grau«, sagte Sobensten geduldig. Er wirkte tatsächlich wie verwandelt, und ich hoffte für ihn, dass ihm ein neuer Rückschlag erspart bleiben würde. Ich hätte es uns allen wünschen sollen. »Für uns sind sie drommenrot und vauletta. Wir wissen, dass andere Wesen sie nicht als solche sehen können, weil diese Farben im Infrarot- beziehungsweise UV-Bereich liegen. Wir haben festgestellt, dass sie deren Augen mit der Zeit schädigen können, also seht euch vor.« »Das ist mir alles viel zu kompliziert«, sagte Jolo stöhnend. Natürlich regte sich jetzt, da das Wunder kein so großes Wunder mehr war, bei ihm wieder sein Elementarbedürfnis. »Wann kriegen wir endlich was zu futtern, he? Ihr seid schuld, wenn ich sterbe, und habt ihr eine Vorstellung, was passiert, wenn Jolo stirbt?« Er schlug respektlos gegen einen von Sobenstens Lanken. »Du, ich rede mit dir.« Der Anstize drehte sich mit seiner Box einfach von ihm weg. Ich lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. Auch ich verstand noch nicht alles, was ich hier sah und gehört hatte. Das Hospiz war beeindruckend und wahrscheinlich noch voller Geheimnisse. Einige dieser Geheimnisse waren für uns uninteressant, andere wichtig. Mit den uninteressanten konnten wir uns nicht weiter aufhalten. Wir waren hier, um Antworten auf unsere Fragen zu erhalten. »Also dort drinnen lebt dieser Anstize namens Kartnich«, sagte ich zu unserem Führer. »Wann werden wir ihn sehen?« »Das hängt davon ab ...«, antwortete Sobensten zögernd. Ich starrte ihn an. »Was soll das nun wieder heißen? Wir haben den weiten Weg nicht gemacht, um jetzt ...« Der Rest des Satzes ging im Krachen einer furchtbaren Detonation unter. Ich verstummte und sah, wie tausend Meter über unseren Köpfen gleich ein halbes Dutzend Blöcke aus der Unterseite des Hospizes fielen. Lange Stichflammen schossen aus dem Gebilde. Ich schrie eine Warnung und warf mich auf die Plattform.

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*

Ich sah im Fallen, wie die zehn Kubikmeter großen Blöcke auf uns zuschossen wie aus einer riesigen Kanone abgefeuert. Sie flogen nicht in alle Richtungen davon, nicht gestreut, sondern gezielt. Es war nur ein ganz kurzer, schneller Eindruck, ein Bild von Sekundenbruchteilen Dauer, dann lag ich hart auf der Seite und wälzte mich auf den Bauch, beide Arme schützend in den Nacken gelegt. Es war nicht mehr und nicht weniger als eine Reflexbewegung, denn genützt hätte es mir im Zweifelsfall nichts. Der HospizBlock hätte mich zerschmettert und wahrscheinlich auch die beiden Freunde. Ich hielt den Atem an. Für einen Moment wartete ich auf das Ende. Um mich herum war ein grauenvolles Getöse, über mir weitere Explosionen, links von mir schrie Jolo, von vorne hörte ich Sobenstens Stimme. Doch alles ging unter in dem Einschlagen der Blöcke vor, hinter und neben uns. Alle, außer einem, verfehlten uns denkbar knapp und schlugen Löcher in den Boden, bohrten sich tief in den lehmigen Untergrund. Alle außer einem ... Er traf die Plattform auf der hinteren Kante. Die große Antigravscheibe wurde an dieser Seite nach unten gedrückt und vorne entsprechend in die Höhe gewirbelt. Ich schrie auf und hatte das Gefühl, von einem furchtbaren Stoß in die Höhe katapultiert zu werden. Im nächsten Moment befand ich mich in der Luft. Es ging alles ganz schnell. Ich ruderte mit den Armen und Beinen wie ein Schwimmer, sah aus den Augenwinkeln Jolo neben mir, dann fiel ich, breitete die Arme aus, um den Sturz aufzufangen, sah den Boden auf mich zukommen und prallte auf. Für einen Moment wurde es dunkel vor meinen Augen, und ich bekam keine Luft mehr. Ein einziger Schmerz zog durch meinen Körper. Ich drehte mich auf den Rücken, blinzelte, schüttelte den Kopf und blieb für ein paar Sekunden auf dem Rücken liegen. Als ich wieder atmen

konnte und das Gefühl in meinen Körper zurückkehrte, kam auch das Gehör wieder. Irgendwo schrie Jolo. Von Tuxit war nichts zu hören. Es gab keine Explosionen mehr. Ich bewegte vorsichtig meine Gliedmaßen und stellte erleichtert fest, dass ich mir nichts gebrochen hatte. Ich richtete mich auf den linken Ellbogen auf, sah das Hospiz über uns, dann Sobenstens Schwarzkammer. Der Anstize war wie erstarrt. Kein Lanken rührte sich. Er brachte keinen Ton heraus. Ich drehte mich und sah Tuxit neben der zerstörten Schwebeplattform, die sich, mit einer Seite unter dem Block, der sie getroffen hatte, ins Erdreich gegraben hatte. Ihre andere Seite stach im 45-Grad-Winkel in die Höhe. Der Geschichtenerzähler stand auf beiden kräftigen Laufbeinen und glotzte mich bestürzt an. Aber er schwieg, im Gegensatz zu Jolo, der mit furchtbarer Schmerzensmiene und humpelnd auf mich zukam und zeterte und keifte, spuckte und mit den Fäusten Löcher in die Luft schlug. Doch bevor er mich erreichte, wechselte er die Richtung und nahm Sobensten aufs Korn. Ich glaubte, er wolle jetzt dem Anstizen an den nicht vorhandenen Kragen, biss die Zähne zusammen und stemmte mich in die Höhe. Ich hatte keine Probleme und erreichte unseren kleinen Freund, bevor er in seinem Zorn ein Unheil anrichten konnte. »Lass es«, sagte ich, als ich ihn erreichte und am Arm packte. »Er kann nichts dafür, Jolo.« Er drehte sich wütend zu mir um. »Wie kannst du das sagen? Was muss denn noch alles passieren, damit du es begreifst? Die wollen uns umbringen! Und beim nächsten Mal schaffen sie es. Ich bin schwer verletzt, Atlan! Ich glaube, mein linkes Bein ist gebrochen.« »Und warum humpelst du dann mit dem rechten?« Er starrte mich an, dann seine Beine. Schließlich stampfte er nacheinander mit beiden auf. Danach war der Bruch wohl endgültig behoben.

Atlan Horst Hoffmann 30 Die Architekten der Intrawelt

Tuxit kam zu uns. Eggobers Schwarzbox war unversehrt geblieben. Um uns herum sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Ich schüttelte den Kopf und fragte Sobensten: »Hast du vielleicht eine Vorstellung, was als Nächstes kommt?« Er gab keine Antwort. Wahrscheinlich wusste er keine. Sein Weltbild befand sich in deutlicher Schieflage. Sobensten tat mir Leid. Jemand oder etwas hatte es auf uns abgesehen, daran bestand für mich kein Zweifel mehr. Und wenn einer das wirklich überhaupt nicht verstand, dann unser bemitleidenswerter Führer.

* Wir lebten. Wir waren auch diesmal unverletzt geblieben. Doch das konnte sich jede Minute ändern. Ich dachte mit gemischten Gefühlen daran, was uns erwartete, wenn wir erst einmal im Hospiz drin waren. »Das ist ja schlimmer als in dieser furchtbaren Bodenwelt«, beklagte sich Jolo. Inzwischen hatte wohl auch er eingesehen, dass er bei Sobensten nichts erreichen würde, und richtete seine Beschwerden wieder an mich. »Warum unternimmst du nichts, Atlan? Ich verlange Schutz! Ich habe Anspruch darauf, ich kenne meine Rechte!« »Das ist die Bodenwelt«, sagte der Anstize überraschend, doch seine Stimme klang monoton, so als ob eine Maschine redete. Sobensten schien geistig ganz woanders zu sein. Vermutlich erhielt er gerade irgendwelche Anweisungen. Dennoch sprach er weiter. »Das Hospiz ist zwar über einer Parzelle verankert, gehört jedoch zur Bodenwelt. Es ist mit ihr vernetzt und energetisch verbunden.« Ich sah in die Höhe. Über uns klaffte ein kleines, dunkles Loch in der Hülle des Hospizes, das wie eine stumme Drohung über uns hing. Anstizen in Schwarzkammern waren aus dem großen Würfel herausgequollen und auch aus dem Bodenschacht gekommen und schwebten nun wie ein aufgeregter Bienenschwarm unter dem Würfel. Es gab keine Flammen

und kein Glühen. Es schien eine »saubere« Explosion gewesen zu sein, so als ob jemand sie mit großer Genauigkeit geplant und ausgeführt hätte. Die herausgesprengten Blöcke schienen ebenfalls unversehrt zu sein, selbst jener, der unsere Scheibe zertrümmert hatte. Die anderen staken rings um sie herum im Boden wie Geschosse, die ihr Ziel knapp verfehlt hatten. Anstizen mit größeren Plattformen näherten sich ihnen. Wahrscheinlich würden sie bald versuchen, sie wieder einzusetzen. Eine andere Gruppe der Kugelwesen näherte sich uns mit einer neuen Schwebeplattform. »Was bedeutet das alles?«, hörte ich Sobensten fragen. Noch immer rührte er keinen Lanken. Seine Stimme war schwach. Bei einem Menschen würde man sagen: Sie bebte. Ich stellte mir einen alten, gebrochenen Mann vor, wie er fassungslos den Kopf schüttelte. »Was geschieht hier?« »Wir können es nur herausfinden, wenn wir mehr Informationen haben«, bot ich ihm indirekt meine Hilfe an. Wir waren wegen etwas ganz anderem gekommen, doch ich hatte das Gefühl, dass beides miteinander zusammenhing. Dass die Unfälle eskaliert waren, seit wir die Bodenwelt betreten hatten, war für mich nach diesem jüngsten Erlebnis ebenso wenig noch Zufall, wie dass irgendjemand uns massiv nach dem Leben trachtete. Weshalb es auch in anderen Teilen der Bodenwelt zu verheerenden Zwischenfällen kam, wusste ich nicht. Aber wenn jemand oder etwas sie inszenierte, um uns zu schaden, war er auch unser Gegner. »Sobensten«, sagte ich eindringlich, »hat jemand etwas dagegen, dass wir mehr über die Intrawelt und den Flammenstaub erfahren?« Endlich erwachte er wieder aus seiner Starre. »Das habe ich mich auch schon gefragt.« »Dann führe uns zu diesem Kartnich«, beschwor ich ihn. »Vielleicht kann er uns einen Hinweis geben. Wenn ihr uns helft, helfen wir euch auch.«

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»Ihr? Uns?« Seine Stimme, `seine Gestik war zweifelnd. Er versuchte, seine Angst und den Schock zu bekämpfen. »Vertraust du uns nicht? Ihr habt keine Wahl. Wenn es bei den Anschlägen um uns geht, sind wir der Schlüssel. Wir - und vielleicht Kartnich. Lass es uns gemeinsam herausfinden.« Sobensten schwieg eine Weile. Meine Geduld wurde erneut auf eine harte Probe gestellt. Dann fasste er sich endlich ein Herz und willigte ein. »Ich bringe euch zu Prielsnig«, verkündete er. »Er ist unser Oberster Arzttechniker. Wir müssen ihm ohnehin Eggober übergeben. Nur Prielsnig kann euch mit Kartnich zusammenbringen, obwohl ...« »Was?«, fragte ich, als er stockte. »Ach nichts«, antwortete Sobensten hastig. »Du wolltest doch etwas sagen.« »Es ist unwichtig. Kartnich gilt als schwieriger Patient, aber er ist nicht der einzige. Prielsnig ist ein guter Arzt. Er wird alles richten.« Wieso hatte ich das Gefühl, dass der Parzellenschneider sich und uns etwas vormachte? Er winkte mit einem Lanken und stieg in die Luft. Inzwischen wartete die neue Plattform darauf, dass wir sie bestiegen. Tuxit tat es bereits. Ich ging als Zweiter, Jolo folgte nur unter Protest. Ich wartete, bis er neben uns stand, klopfte ihm auf die Schulter und gab Sobensten ein Zeichen. Im nächsten Moment hoben wir ab und folgten ihm mit Eggobers Box. Wir schwebten langsam in die Höhe, dem trotz seiner Farben düsteren Riesenwürfel entgegen, in dessen Unterseite sich eine helle, große, runde Öffnung befand, aus der auch die Reparaturplattformen und Schwarzkammern der Anstizen gekommen waren. »Wenn die da drinnen nichts für mich zu essen haben«, drohte Jolo grimmig, »trete ich in den Streik.« Immer wieder überraschte er mich durch den `schnellen Wechsel seiner Gedankengänge. »Das kannst du den Anstizen nicht antun. Sie würden es nicht überleben.«

Er schielte mich seltsam an, sagte aber nichts mehr. Der Hunger musste ihn wirklich bereits sehr entkräftet haben.

* Wir befanden uns in einem kahlen, würfelförmigen Raum, der offenbar als Wartezimmer diente. In dieser Hinsicht unterschied sich das Hospiz durchaus nicht von terranischen oder arkonidischen medizinischen Institutionen. Ich fieberte der Begegnung mit Prielsnig und besonders Kartnich entgegen. Nachdem wir durch eine Schleuse ins Innere des Hospizes gekommen waren, hatten wir die neue Plattform in einer Art Hangar abgestellt und waren zu Fuß weitergegangen bis zu einer Kammer, in der jeder von uns eine kleinere Antigravscheibe erhielt, mit der wir uns fast wie Surfer durch die Gänge und Korridore des Hospizes bewegen konnten. Tuxit saß breit und sicher auf ihr, Jolo ruderte unsicher. Anstizen hatten Eggober in Empfang genommen und weggeführt. Sobensten war bei uns geblieben. Nach zäh verstreichenden Minuten war Prielsnig mit einem kleinen Stab Artgenossen erschienen - vermutlich seine Assistenten, die sich im Hintergrund hielten. Er begrüßte uns freundlich und führte uns in sein großes, ebenfalls würfelförmiges Büro. Prielsnig war kleiner als die anderen Anstizen, die ich bisher gesehen hatte. Dafür hatte er ungewöhnlich viele Kunstlanken, die mit feinmechanischem Werkzeug besetzt waren. Er wirkte, im Gegensatz zu Sobensten, anfangs ruhig, sprach mit hoher Stimme, aber ich merkte schon nach seinen ersten Worten, dass er nur krampfhaft versuchte, sich zu kontrollieren. In Wirklichkeit war er ebenso schockiert und unsicher wie alle anderen Anstizen. »Kartnich ...«, sagte er gedehnt, als ich ihm den Grund unseres Besuchs genannt hatte. Ich musste alles allein erzählen, die Geschichte mit Eggober, unsere Reise hierher, unser Anliegen - Sobensten war nicht in der Lage dazu. Es war mir auch

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lieber so, einen einzigen, dafür hoffentlich kompetenten Ansprechpartner zu haben. »Kartnich ist ein schwieriger Fall.« »Wieso?«, fragte ich. Nach Sobenstens Worten rechnete ich mit Problemen. Es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn nun, als wir endlich am Ziel waren, plötzlich alles glatt gelaufen wäre. »Er soll uns nur ein paar Fragen beantworten. Sobensten sagte, dass er es könne.« »Ja«, stimmte Prielsnig zu. »Wenn einer, dann er.« »Aber ...?«, hakte ich nach. Er schwebte aus einer stationären, offenen Schwarzbox hervor und zwei Meter auf mich zu. Ich spürte, wie er uns musterte: Jolo, der sich glücklicherweise zusammenriss, den stillen und grüblerischen Tuxit, der mir seit dem Betreten des Hospizes noch verstörter vorkam, fast ängstlich, schließlich wieder mich. »Er ist, wie gesagt, ein Problemfall. Ihr müsst wissen, dass es immer wieder vorkommt, dass einzelne Patienten uns Schwierigkeiten bereiten. Keiner von ihnen ist zu seinem Vergnügen hier. Die meisten wurden eingeliefert, weil sie irgendwann nicht mehr mit ihrer Arbeit und den Lebensbedingungen in der Bodenwelt fertig wurden. Sie stehen unter ständiger Überwachung und werden, falls nötig, medikamentös behandelt. Wo es geht, versuchen wir natürlich, sie durch ausgeklügelte Beschäftigungstherapien ruhig zu stellen. Die farbliche und räumliche Anordnung der Blöcke in ihrem Wohn- und Arbeitsbereich zum Beispiel. Die Aufgaben, die wir ihnen stellen, sind so angelegt, dass sie ihnen das Gefühl geben sollen, weiterhin konstruktiv an etwas zu arbeiten.« Wenn mir nicht so dringende Fragen unter den Nägeln brennen würden, wäre es sicherlich interessant gewesen, mehr über die anstizischen Behandlungsmethoden psychisch Kranker zu erfahren. Daher befürchtete ich schon, dass Prielsnig zu einem längeren medizinischen Vortrag ausholen wollte, aber er rollte plötzlich zu seiner offenen Box zurück, um kurz darin

zu verschwinden. Zurückkommend entdeckte ich einen braunen Gegenstand, der in einer Halterung steckte, die mich an einen Zigarettenhalter erinnerte. Tatsächlich handelte es sich um Rauchzeug, denn er saugte an diesem wie eine Mischung aus Zigarre und Pfeife aussehenden Teil. Vielleicht rauchte der Oberste Arzttechniker, um seine Nervosität zu bekämpfen. »Wir redeten von Kartnich«, erinnerte ich ihn, als er wieder vor mir stand. »Natürlich.« Er nahm einen Zug, und ich merkte, wie sich seine wenigen natürlichen Lanken strafften, als bekämen sie neue Kraft aus dem Kugelkörper zugeführt. Eigentlich wartete ich nur noch darauf, dass er perfekte Rauchringe ausstieß. Doch dann redete er wirklich ruhiger. »Kartnich ist ein solch schwieriger Fall. Er ist uralt, nein, nicht nur das. Anhand der Unterlagen in unseren Patientenkarteien ist er sogar - bitte passt auf! - Gast in dieser Anstalt seit der Erschaffung des Hospizes! Er ist der älteste Patient überhaupt! Er war der erste! Und aus den Notizen geht auch hervor, dass er sich damals freiwillig hierher begeben hat.« Prielsnig nahm einen schnellen Zug. »Und das ist noch nicht alles.« »Wir sind gespannt«, sagte ich.' »Kartnich war derjenige, der selbst den Auftrag zum Bau des Hospizes erteilt hat.« Für lange Sekunden trat Schweigen ein. Sobensten ließ die Lanken hängen. Ab und zu zuckten sie. Ich wandte mich wieder dem gierig inhalierenden Mediziner zu und fragte: »Wann hat Kartnich diesen Auftrag erteilt?« »Vor mehr als fünf Millionen Tagen«, antwortete Prielsnig, und zwar so schnell, dass ich ihn kaum verstand. Er wollte diese heikle Information endlich loswerden. Das war in diesem Fall allerdings auch verständlich. Denn nach meiner schnellen Umrechnung bedeuteten fünf Millionen Tage in der Intrawelt etwa 13.700 Jahre in dem Universum, aus dem ich kam!

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9. Kartnich

Endlich hatten sie reagiert. Sie hatten sich gemeldet. Er hatte nicht antworten können, weil er sich in diesem Augenblick in einem Zustand der tiefsten Verzweiflung befunden hatte. Der durch ihn verursachte Tod eines anderen Anstizen, eines Bewohners des Hospizes, hatte ihn schwer getroffen. Er war kein Mörder. Er hatte noch niemals das Leben eines Anstizen aufs Spiel gesetzt, auch nicht, als er noch die Macht dazu besessen hatte. Es war ihm heilig. Er hatte noch nie... War das richtig? Ein Anstize war gestorben, vor nur wenigen Stunden! Kartnich wollte den Gedanken nicht an sich heranlassen. Er kämpfte dagegen an und zwang sich dazu, sich auf seine Antwort zu konzentrieren. Sie warteten. Sie - natürlich wusste er nun auch wieder, zu wem die Stimme gehörte, die ihn quälte und ihm die Erlösung versagte. Mit dem Erinnern waren sie aus der Anonymität herausgerissen worden: die Ärzte, die Arzttechniker des Hospizes. Die ersten davon hatte er selbst eingesetzt. Die Namen der heutigen waren ihm nicht bekannt; das heißt: bis vor einer Stunde nicht. Dann hatte sich der Oberste Arzttechniker bei ihm gemeldet und seinen Namen genannt: Prielsnig. Natürlich kannte Kartnich ihn nicht. Prielsnig hatte noch nie mit ihm gesprochen. Wozu auch? Er hatte es nicht nötig gehabt, bis heute. Prielsnig hatte versucht, Kartnich zu beruhigen. Er zeigte sich sogar bereit, ihm seine Aufgabe zu erlassen - allerdings nur, um ihm eine neue zu geben. Doch nie würde er ihm erlauben, vor der Zeit aus diesem Leben zu scheiden. Prielsnig redete und redete, doch es waren leere Worte, die er sagte. Schließlich hatte Kartnich das Gespräch mit der erneuten Drohung beendet, mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden Mittel und seines immensen Wissens alle Insassen des Hospizes freizulassen. Er würde die Tore ihrer Wohnbereiche öffnen. Das Chaos, das

danach ausbrechen würde;' konnte Prielsnig sich selbst ausmalen. Er brauchte es ihm nicht extra zu schildern. Er brauchte dem Obersten Arzttechniker auch nicht zu sagen, dass er diese furchtbare Absicht gar nicht realisieren konnte, denn es würde den Tod vieler hundert, vielleicht tausend unschuldiger, kranker Anstizen bedeuten. Und diese Schuld würde Kartnich niemals auf sich nehmen - er, der nach dem Tod eines Anstizen schon zusammengebrochen war. Aber traf das auch auf die grausame Macht zu, die tief in ihm wohnte? Das, was ihn beherrschte, wenn er nicht er selbst war? Es begnügte sich jetzt nicht mehr »nur« mit der Bodenwelt. Es griff bereits nach dem Hospiz. Er hatte die Schreckensbilder der Explosion im Netz gesehen. »Kartnich?«, drängte die Stimme. »Ich frage noch einmal: Bist du bereit aufzugeben, wenn ich dir verspreche, dass du dir selbst eine Aufgabe nach deiner eigenen Wahl aussuchen kannst? In einem neuen Quartier deiner Wahl? Antworte uns, Kartnich, bitte!« Er war es nicht, und er sagte es ihm. »Erlaubt mir zu sterben. Schaltet die Systeme meiner Schwarzbox ab, die mich am Leben erhalten müssen und daran hindern, es zu beenden.« »Das können wir nicht!«, beteuerte Prielsnig. »Dann lasst euch etwas einfallen!«, schrie er. »Gebt mir Frieden, gebt mir den Tod! Ihr habt fünf Stunden dazu. Wenn ich in fünf Stunden noch lebe, öffne ich alle Türen und Tore im Hospiz. Ihr wisst, was das bedeutet.« Er sagte nicht, was in diesen fünf Stunden noch alles passieren konnte, denn er wusste es selbst nicht. Er hatte nur Ahnungen von unvorstellbarer Gewalt und unglaublichem Leid.

10. Atlan

»Fünf Millionen Tage«, sagte ich tief beeindruckt. »Werden alle Anstizen so alt,

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Prielsnig? Oder bildet Kartnich eine Ausnahme?« »Ich verstehe nicht ...«, sagte der Oberste Arzttechniker. »Ich meine, ob ihr vielleicht die Möglichkeit besitzt, euer Leben künstlich zu verlängern.« Er antwortete nicht, und an der Art, wie er die Lanken bewegte und schnell rauchte, glaubte ich zu erkennen, dass ich etwas angesprochen hatte, was mich nichts anging. Ein wunder Punkt, ein Tabu vielleicht. Auf jeden Fall etwas, worüber die Anstizen nicht gern sprachen, zumindest nicht mit Fremden. Dennoch hätte es mich interessiert, ob Kartnich eine so besondere Rolle in der Geschichte der Anstizen und der Intrawelt gespielt hatte, dass ihm ein solches Privileg vielleicht zukam. »Kartnich hat also das Hospiz erbauen lassen und sich danach selbst eingewiesen«, versuchte ich es anders. »Warum? Ist er krank? Was sagen eure Notizen darüber?« »Wir haben keine«, gab Prielsnig nach einem schnellen, tiefen Zug zu. »Es existieren keine Unterlagen über den Grund von Kartnichs Selbsteinlieferung. Er bestimmte, dass er in die Obhut des Hospizes gehörte, und deshalb war es so. Damals wagte ihm niemand zu widersprechen.« »Und heute?« Ich trat einen Schritt an den Arzttechniker heran. Die Zeit war knapp. »Was ist heute? Du hast gesagt, Kartnich sei ein Problem geworden. Er macht euch Schwierigkeiten. Bitte sag endlich konkret, welche das sind! « Ich spürte seinen Blick und seine Unsicherheit. Offenbar rang er mit sich. Ich seufzte, verdrehte die Augen, drehte den Kopf und sah auf einem der hier installierten Bildschirme die Schwebeplattformen der Anstizen bei den aus der Unterseite gesprengten Würfeln. Der erste davon schwebte schon in der Luft und wurde von einem unsichtbaren Kraftfeld nach oben getragen. Jetzt waren auch mehrere Roboter dort unten zu sehen, und andere kamen aus dem Schacht, dem

riesigen Loch, durch das es zur Bodenwelt hinabging. Ganze Trauben ... Wenn die Bodenwelt Hilfe schickte, war sie sehr großzügig. Zu großzügig, meinst du nicht?, fragte der Extrasinn. Prielsnig zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Kartnich ist krank - krank an der Seele. Das Leben eines jeden Anstizen hat seinen ganzen Sinn in der Arbeit, die er leistet. Wir leben nur für die Arbeit. Doch irgendwann. merken wir, dass unsere Kraft nachlässt. Die Energie versiegt, und wir fühlen uns unnütz. Die einen - die meisten - sterben dann einfach friedlich, bei anderen dauert es länger. Sie können nicht abschalten und leben weiter, bis der Tod sie eines Tages doch erlöst. Solche Fälle befinden sich hier im Hospiz.« »Gehört Kartnich er zu jenen?« »Es 'ist schlimmer. Kartnich hat schon lange keine Kraft mehr. Seine Lebensuhr ist abgelaufen. Er dürfte keine Energie mehr haben, aber er stirbt nicht. Etwas ist in ihm, was ihn nicht einfach einschlafen lässt wie alle anderen. Das ist sehr sonderbar. Doch er will nicht mehr leben und fleht uns an, ihn sterben zu lassen. Er versucht sogar, sich selbst umzubringen. Er hat nur noch den einen Wunsch, endlich sterben zu können.« »Er hat versucht, sich das Leben zu nehmen?« »Mehrfach, doch jeder Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Wir dürfen es nicht zulassen. Das Programm, das die Vorgänge hier im Hospiz steuert und die Systeme seiner Schwarzkammer kontrolliert, ist darauf ausgerichtet, die Patienten unter allen Umständen am Leben zu erhalten. Wenn ein Anstize auf natürliche Weise stirbt, ist es in Ordnung. Wir müssen Krankheiten bekämpfen, soweit es in unserer Macht steht. Schlafen sie aber ein, ist es gut, aber wir dürfen keine wie auch immer geartete Sterbehilfe leisten. Dies ist das oberste Gesetz im Hospiz. Kartnich selbst hat das initiiert. Was er nun von uns verlangt, können wir unmöglich erfüllen.«

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Sterbehilfe, dachte ich, war auch für viele Milchstraßenvölker ein heikles Thema. Worüber wir jetzt nicht die Zeit haben zu diskutieren, mahnte mein Extrasinn. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie immer noch Roboter aus der Bodenwelt kamen. Der Strom wollte nicht abreißen. Hinter Prielsnig blinkten hektisch Lampen. Er schien es nicht zu sehen, aber einige Anstizen verließen aufgeregt den Raum. Etwas stimmte nicht. Ich spürte es deutlich. Etwas war schon wieder im Gange. »Kartnich«, sagte der Arzttechniker, »droht uns nun. Er tut das schon lange, aber jetzt ist er konkret geworden.« »Und das heißt?«, fragte ich ungeduldig. »Er will in weniger als fünf Stunden die Insassen des Hospizes freilassen, wenn wir seiner Forderung bis dahin nicht nachkommen«, sagte Prielsnig. Und nahm noch einmal einen letzten, langen Zug. Der Glimmstängel hatte sich vollends aufgelöst. Der Qualm, auf den ich förmlich gewartet hatte, wurde plötzlich in einem Rutsch ausgestoßen. Ein paar Sekunden saßen wir im Nebel. Ein beißender Geruch mit einer süßlichen Note, ein Hauch Zimt vielleicht ... Und Minze, nicht zu vergessen Minze. Wenn du den Flammenstaub eingesteckt hast, kannst du gerne Prielsnig um eine Probe bitten, aber so weit bist du noch nicht!, nörgelte mein Extrasinn. Ich musste ihm Recht geben - wie kann man sich nur so ablenken lassen: ein Arkonide mit meiner Erfahrung... »Das hört sich an, als würdest du von Gefangenen reden, statt von Patienten«, nahm ich den Faden wieder auf. Der Qualm hatte sich schnell verzogen. »Du kannst dir nicht vorstellen, welches Chaos ausbrechen würde, wenn Kartnich Ernst machte. Die Patienten sind krank, viele haben den Verstand verloren. Wenn sie sich plötzlich über die Gänge des Hospizes ergießen, bricht jegliche ärztliche Versorgung zusammen. Wir können keine Hilfeleistung mehr erbringen. Viele Anstizen werden sterben, ganz abgesehen

davon, dass sie übereinander herfallen könnten.« Ich sah auf die Schirme. Einer der eben verschwundenen Anstizen kam wieder herein und schwebte auf der Obersten Arzttechniker zu, offenbar sehr erregt. Ich fragte aus einem Impuls heraus: »Hier im Hospiz gibt es doch sicher auch Roboter - viele?« »Natürlich«, erhielt ich zur Antwort. Dann drehte sich Prielsnig ein Stück und sah ebenfalls auf die Schirme. »Roboter ... so viele ...« Der andere Anstize war fast bei ihm. Ich spürte, dass es nun pressierte. »Was geht hier vor?« »Die Katastrophe - es ist furchtbar. Selbst Kartnich scheint beeindruckt zu sein, denn wenn etwas Schlimmes geschieht, redet er nicht.« Der Anstize hatte ihn erreicht und sprach leise zu ihm. Als er schwieg, zitterten Prielsnigs Lanken heftig. »Was ist?«, fragte ich. »Was hat er gesagt?« »Die ... Roboter«, stammelte der Oberste Arzttechniker. »In der Bodenwelt herrscht Alarm. Die Roboter verlassen ihre Posten und ihre Arbeit. Sie gehorchen keinem Befehl mehr. Sie ...« »... fliegen zum Schacht und kommen hierher«, vollendete ich für ihn. »Und das ist nicht alles«, sagte Prielsnig. »Auch im Hospiz gehorchen uns unsere Roboter nicht mehr. Sie kümmern sich nicht mehr um die Patienten und sammeln sich.« Sie sammeln sich! Wozu?

* Ich sah das Problem und wusste, dass ich von Prielsnig und seinem Personal nichts erwarten konnte. Ihnen waren die Lanken gebunden. Selbst wenn sie aus Mitleid bereit gewesen wären, Kartnich zu helfen, sie durften es nicht. Das von Kartnich einst selbst initiierte Programm verbot es. Sie konnten sich nicht darüber hinwegsetzen.

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Das wusste auch Kartnich, trotz seiner kranken Psyche, davon ging ich aus. Und das bedeutete, er machte sich selbst keine Hoffnungen, dass seine Forderung erfüllt wurde - jedenfalls nicht von seinen Artgenossen. Und jeden Moment konnten die Roboter angreifen. Etwas sagte mir, dass Kartnich der Schlüssel auch hierzu sei. Prielsnig hatte etwas gesagt. Es war noch wie ein blinder Fleck vor meinen Augen. Es war etwas gewesen, was mich hätte alarmieren müssen- . Ich konnte mich auch damit nicht aufhalten und wandte mich erneut an den Arzttechniker. »Prielsnig«, drängelte ich. »Lass mich mit Kartnich reden. Von euch darf er keine Hilfe erwarten, auch wenn er dies offenbar nicht erkennt. Er weiß es im Unterbewusstsein, und er wird seine Drohung wahr machen.« »Du?«, fragte der Anstize überrascht. »Wie willst du ihm denn helfen?« »Ich weiß es nicht«, gab ich offen zu. »Aber mir wird etwas einfallen. Es muss eine Lösung geben, die beide Parteien zufrieden stellt. Die Uhr läuft, Prielsnig.« »Sobensten hat mir gesagt, weshalb ihr hier seid. Ist es nicht vielmehr so, dass du auf diese Weise an Kartnich herankommen willst, um ihm deine Fragen zu stellen?« »Natürlich erhoffe ich mir auch das Aber vielleicht kann ich beides miteinander verbinden.« »Auch du kannst unsere Gesetze nicht ignorieren.« »Nein, aber ich kann vielleicht herausfinden, was Kartnich am Sterben hindert.« Es war wie ein Schuss ins Blaue. Ich musste es riskieren. Ich spürte, dass dem Hospiz mehr drohte als nur ein durch freigelassene Patienten verursachtes Chaos. Und Kartnich war der gemeinsame Nenner. Ich musste versuchen, zu ihm durchzudringen. Alles andere würde sich dann vielleicht finden. »Ich werde mich mit Sobensten und einigen Vertrauten beraten«, verkündete

Prielsnig. »Geht bitte so lange hinaus und wartet meine Entscheidung ab.« Ich sah auf die Schirme. Anscheinend kamen aus der Bodenwelt nun keine neuen Roboter mehr. Es mussten bereits Tausende sein, und sie schwebten in der Luft, zwischen Oberfläche und Hospiz. Sie ordneten sich zu Formationen an. Formationen, die mir bekannt vorkamen ... »Geht bitte hinaus«, sagte Prielsnig. Ich seufzte, drehte mich um und gab Jolo und Tuxit ein Zeichen. Wir hatten Prielsnigs Büro noch nicht ganz verlassen, als der Angriff der Roboter auf das Hospiz begann.

* Auch in dem Vorraum, in dem wir zu warten hatten, gab es Bildschirme in den Wänden. Ich sah voller Entsetzen, wie die Roboterschwärme das Hospiz unter Beschuss nahmen. Grüne Desintegrator- und rote Energiestrahlen schlugen dem gigantischen Würfelblock entgegen. Die Reparaturtrupps der Anstizen waren bereits geflohen. Ich nahm an, dass sich hinter dem letzten die Schleuse geschlossen hatte. Die Amok laufenden Roboter kamen nicht herein - noch nicht. Aber sie würden sich ihren Weg freischießen. Das Hospiz schien über keine wirksamen Abwehreinrichtungen wie Schutzschirme zu verfügen - wozu auch? Es war eine Einrichtung, die naturgemäß keine Feinde hatte. Also wer kommandierte die Roboter? Wem war daran gelegen, die Bodenwelt, vielleicht sogar einen noch größeren Teil der Intrawelt ins Chaos zu stürzen? Zweimal schien es, als käme der Angriff der Maschinen ins Stoppen. Als legten sie eine Pause ein. Als warteten sie auf Befehle ... Der Alarm heulte durch das Hospiz. Anstizen mit oder ohne Schwarzkammer schwebten oder rollten über die Gänge, durch den Vorraum und wieder zurück. Sie huschten ziellos durcheinander. Kein einziger schien zu wissen, wie er auf eine

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Gefahr zu reagieren hatte, die für ihn nie existent gewesen war. »Das muss ich doch träumen, oder?«, tönte Jolo. »He, Tuxit, du verhinderter Flattermann, sag doch auch mal was dazu. Selbst mit einem Furz wäre ich schon zufrieden ...« Tuxit sah mich an, traurig, leidend - sogar verzweifelt? Noch nie hatte ich ihn so gesehen wie jetzt. Ich hatte das Gefühl, dass er mir unbedingt etwas sagen wollte - vielleicht sogar musste, aber, verdammt, was hinderte ihn daran? Was fesselte seinen Schnabel so wie seine Arme? »Wenn die Anstizen sich nicht beeilen, wird es wirklich zum Albtraum«, unkte ich. Wieso ließen sie sich so viel Zeit? Sie steckten in einer ganz bösen Klemme und konnten sich nicht selbst daraus befreien. Natürlich verstand, ich auch Prielsnig. Er trug die Verantwortung für das Hospiz und sollte sie auf die Schultern eines anderen abwälzen, eines Fremden, der auch noch mit seinen ganz eigenen Motiven zu ihm gekommen war. Aber es war vielleicht seine einzige Chance! »Diese Anstizen sind arrogant und eingebildet!«, schimpfte Jolo. »Wir sollten die Wartezeit nützen, um mal eben im Hospiz-Casino einen Schnellimbiss einzuwerfen. Und so gestärkt die Tür zum Büro aufbrechen und endlich Klartext mit den Anstizen reden, Atlan. Oder fällt dir was Besseres ein? Was ist mit dir los? Du bist doch sonst kein Zauderer!« In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Sobensten bat uns herein. Er wirkte müde, soweit sich das aus dem kraftlosen Herabhängen seiner Lanken herauslesen ließ. Seine Stimme allerdings hatte wieder einen festen Klang. Ich fragte mich, ob er versuchte, uns etwas vorzuspielen; eine Kraft zu demonstrieren, die überhaupt nicht da war. Prielsnig erwartete uns. Er saugte wieder an seiner Mischung. Als ich vor ihm stand, richtete er zwei Lanken auf mich. »Wir haben uns entschieden«, verkündete er. »Ich habe auch schon mit Kartnich gesprochen. Er ist einverstanden.«

»Einverstanden?«, fragte ich ungläubig. Sosehr ich darauf gehofft hatte - mit einer solch schnellen Wendung hatte ich dennoch nicht gerechnet. »Du meinst, ihr habt ihm vorgeschlagen, dass ich mit ihm verhandle, und er hat akzeptiert? Einfach so?« »Nicht du allein«, korrigierte er mich. »Er will euch alle drei sehen, `Ich verstehe es nicht. Was, glaubt er, könnt ihr ihm geben, zu was wir nicht fähig wären?« »Vielleicht ihn töten«, sagte ich. »Vielleicht spekuliert er darüber.« »Brächtest du das fertig?« »Nein«, sagte ich. »Ich bin kein Mörder, und meine Freunde sind auch keine.« »Ich hoffte, dass du das sagen würdest, und ich glaube dir. Sonst ließe ich euch nicht gehen.« Der Oberste Arzttechniker rollte sich zu einem kleinen Tisch, auf dem einige Gegenstände ausgebreitet waren. Ich folgte ihm. »Hier haben wir einige Geräte, die euch helfen sollen, zu Kartnich zu gelangen und ihn - vielleicht - daran zu hindern, seine Drohung wahr zu machen. Zuerst bekommt ihr Funkgeräte, über die wir euch den Weg durch das Labyrinth aus Gängen, und Schächten weisen. Dann einen Impulsgeber, der die Türen auf eurem Weg öffnet. Ein Suchpeilgerät: Es kann euch den Weg weisen, wenn der Funkkontakt abbrechen sollte. Und schließlich ein Steuergerät, das jeglichen Energieimpuls auf kurzer Entfernung unterbricht.« Er griff nach einem kleinen, metallisch schimmernden Gegenstand und hielt ihn in die Höhe. »Darauf setzen wir unsere Hoffnungen, Atlan. Wir gehen davon aus, dass Kartnich alles, was derzeit im Hospiz passiert, über teilweise nur ihm bekannte Kanäle von seiner Schwarzbox aus steuern kann. Wenn es euch gelingt, diese steuernden Impulsströme zu unterbrechen, sind wir gerettet. Es raubt ihm den Zugriff auf unsere Systeme.« Ich nickte. Prielsnig schien an alles gedacht und rasch erkannt zu haben, welche Chance sich ihm nun bot. Ich hätte es ihm nicht unbedingt zugetraut.

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»Und das Ultimatum? Ist es außer Kraft gesetzt, solange wir zu Kartnich unterwegs sind und mit ihm reden?« »Leider nein«, musste der Arzttechniker zugeben. »Es läuft ohne Unterbrechung weiter. Wir haben noch knapp vier Stunden.« »Oder weniger«, sagte ich und zeigte auf einen der Bildschirme. »Was ist mit den Robotern im Hospiz?« »Noch sind sie ruhig.« »Sind sie bewaffnet?« »Es sind Medoroboter«, sagte er, »zur Betreuung, aber auch zur Arbeit mit und an den Patienten. Einige haben Laser und andere Werkzeuge, die sich als Waffen missbrauchen ließen.« Ich ahnte, dass sie es tun würden. »Seid ihr bereit?«, fragte Prielsnig und nahm einen hastigen Zug. »Ja«, sagte ich und verteilte die verschiedenen Gegenstände. Jeder von uns hatte nun ein Funkgerät. Sollten wir getrennt werden, konnten wir uns also auch untereinander damit verständigen. »Viel Glück«, wünschte Prielsnig. »Kartnich hat als Treffpunkt einen der unbewohnten Bereiche genannt. Er erwartet euch dort. Folgt unseren Anweisungen, dann findet ihr sicher hin.« »Danke«, murmelte ich, obwohl mir das Wort »sicher« in diesem Zusammenhang bitter aufstieß. »Ich denke,� das Glück können wir brauchen.« Worauf du Gift nehmen kannst, wisperte der Extrasinn. Ich weiß nicht, weshalb sich Kartnich so schnell auf ein Gespräch mit euch eingelassen hat, aber ich weiß, dass er nicht dumm ist. Wenn er zugestimmt hat, verfolgt er damit einen eigenen Plan. Wenn dies ein Spiel ist, Arkonide, dann nimm dich in Acht. Kartnich hat bewiesen, dass er ein guter und ausgefuchster Spieler ist. Also ein gleichwertiger Gegner, dachte ich grimmig. Ich fürchte, mehr als das.

11. Kartnich

Natürlich durchschaute er Prielsnig. Der Oberste Arzttechniker wollte ihm die Fremden schicken, weil er hoffte, dass sie das tun würden, was er nie würde tun können. Das passte zwar nicht zu seiner Verpflichtung dem Patientenwohl gegenüber und auch nicht zu seiner ethischen Grundeinstellung, aber Prielsnig war verzweifelt und wollte das Hospiz retten. Doch erwiesen die Fremden ihm diesen Gefallen? Sie waren bis hierher gekommen. Sie hatten es tatsächlich geschafft, trotz allem, was auf ihrem Weg passiert war. Kartnich sah wieder die Bilder: den Angriff der Roboter, die Explosionen, die Blöcke, unter denen sie fast zertrümmert worden wären... Er zitterte. Sie waren hier. Sie waren zu ihm unterwegs. Er wusste, was - wer! - für die Angriffe auf sie verantwortlich war. Er wusste auch, dass es nicht die letzten bleiben würden. Aber sie konnten sich wehren. Sie waren anders als die Anstizen, kämpferischer, entschlossener, vor allem der eine, der Atlan genannt wurde. Vielleicht gab es noch Hoffnung, das zu besiegen, was in ihm wirkte; Hoffnung nicht nur für ihn, sondern auch für das Hospiz und die Intrawelt. Er wollte das alles nicht tun, doch er musste! Er wollte nicht zum Mörder werden! Er musste die Fremden zu sich kommen lassen. Er musste sie dazu bringen, dass sie ihn töteten. Sie waren seine einzige Hoffnung. Er musste sie zwingen! Vielleicht hatte er sogar schon die Mittel dazu... Er konnte die Gespräche im Hospiz belauschen und alles hören, auch was in Prielsnigs Büro gesprochen wurde. Daher wusste er auch, dass die Fremden nicht nur wegen Eggober zum Hospiz gewollt hatten, sondern etwas von ihm erfahren wollten. Was immer es sein mochte - vielleicht konnte er ihnen ein Geschäft vorschlagen: ihr Wunsch gegen seinen Tod! Nur den einen Wunsch konnte er ihnen niemals erfüllen: Sein Wissen um die

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Vergangenheit musste mit ihm sterben, für immer erlöschen. Kartnich sah die drei kommen, auf einem der kleinen Monitoren in seiner Schwarzkammer. Sie bewegten sich ziemlich sicher, wurden von Prielsnig geleitet. Doch als er spürte, wie er wieder die Kontrolle verlor, wusste er, dass es damit schnell vorbei sein würde. Sie würden ihn nicht erreichen. Das Andere in ihm würde es verhindern. Es wollte, dass sie starben. Deshalb sollten sie alle drei kommen. Es hatte sie von Anfang an töten wollen, damit sie nicht erfuhren, was niemand wissen durfte. Er konnte sie nicht einmal warnen. Denn er war schon nicht mehr er selbst. Das Schlimme war, dass er bereits im »wachen« Zustand zum Diener seines anderen Ichs wurde, sonst hätte er nicht darauf bestanden, dass sie alle drei kämen. Und er hätte Prielsnig gewarnt, dass er sie nur umbringen wollte. Er verstand das alles nicht mehr. Gab es denn bereits keine Trennung mehr zwischen ihm und ihm? War dies der Wahnsinn, den er immer gefürchtet hatte? Ein Teil von ihm wollte den Tod der Fremden, während der andere darum kämpfte, sie zu beschützen und mit ihnen zu reden. Draußen brandete eine neue Angriffswelle der Roboter gegen das Hospiz. Und drinnen, im Hospiz, fing es erst an...

12. Atlan

Ich betätigte den Impulsgeber, um die »Tür« vor uns zu öffnen, eine energetische Wand, die uns den weiteren Weg versperrte. Es war eine inzwischen zur Routine gewordene Prozedur. Sie löste sich auf, verschwand einfach - und dahinter warteten die Roboter. »Hinwerfen! «, rief ich Jolo und Tuxit zu und hechtete schon von meiner Antigravscheibe auf die Maschinen zu. Ich wusste nicht, ob sie schnell genug waren,

als der Laserstrahl über mich hinwegzischte. Ich rollte mich auf dem Boden herum, weiter auf den ersten der insgesamt drei Roboter zu, einen Meter große Kugeln mit stählernen Stacheln, an deren Spitze sich die Waffenprojektoren befanden, und zwang mich, nicht auf die Strahlen zu achten, die neben mir in den Boden schlugen. Als ich mich genau unter dem Roboter befand, trat ich auf dem Rücken liegend mit beiden Füßen fest zu. Ich traf den metallenen Körper, trat noch einmal, und die Maschine wurde gegen die zweite geschleudert, die genau hinter ihr schwebte. Der dritten war dadurch die Schussbahn versperrt. Ich sprang auf, drehte mich halb in der Luft, stand auf einem Bein und trat mit dem anderen. Es war unsere einzige Chance. Wir waren unbewaffnet. Ich musste aufpassen, dass ich mir an den spitzen Enden der Stacheln nicht das Bein aufschrammte. Es war eine Sache von wenigen Sekunden. Wieder krachten die beiden Roboter gegeneinander. Soweit Maschinen irritiert sein konnten, waren sie es. Sie feuerten wild in den Gang. Der erste verirrte Schuss hätte Tuxit, Jolo oder mich treffen können � es wäre das Ende gewesen. Plötzlich hatte der dritte Roboter freie Schussbahn. Es war unmöglich, schnell genug an ihn heranzukommen, geschweige denn auszuweichen. Ich warf mich wieder auf den Boden, wirbelte um meine Achse, erreichte die Freunde und riss die Hand vor die Au- gen, um wenigstens den grellen Blitz nicht sehen zu müssen. Es krachte und zischte - und dann ein feiner Summton, der hier nicht hingehörte. Die Schüsse klangen anders, gedämpfter. Eine matt schimmernde, halb transparente Wand trennte uns von den Robotern, die sich gefangen hatten und auf breiter Front angriffen. Aber die Wand wehrte ihre Schüsse ab. Sie verpufften an ihr und schlugen auf die Maschinen zurück. »Was ist das?«, fragte Jolo. »Was hat das zu bedeuten? Haben die Anstizen uns

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geholfen? Prielsnig und seine feige Bande?« Ich wusste es auch nicht. Die Roboter rannten gegen die Wand und damit in ihr eigenes Feuer, und sie hörten erst auf zu schießen,, als sie bereits glühten oder schwarze Löcher in ihren metallenen Leibern klafften. Als der erste zu Boden sank, stellten die anderen zwei nur das Feuer ein. »Natürlich hilft uns jemand!«, sagte Jolo. »Aber klar. Du warst nicht schlecht, Atlan, aber ohne diese Wand, die plötzlich erschien, wäre es aus gewesen.« Jolo hatte Recht. Und mich beschlich eine Ahnung� Wir waren seit gut einer Stunde unterwegs. Auf den Antigravscheiben kamen wir in den langen Korridoren relativ schnell voran. Sie trugen uns in den Schächten des Hospizes nach oben, zu den zentralen Bereichen, wo Kartnich auf uns warten wollte. Wir hatten keine Probleme, mit Hilfe des Impulsgebers alle Formenergietüren zu öffnen, die uns den Weg versperrten. Es schien alles zu einfach. Wir trafen auf keine Anstizen und keine Roboter. Was die Roboterr anging, so würden sie vermutlich irgendwo auf uns warten, auf den richtigen Augenblick und an der richtigen Stelle. Prielsnig: gab uns Anweisungen, denen wir strikt folgten. Zwischendurch bekamen wir Nachrichten über die Lage außerhalb des Hospizes. Die Roboterscharen griffen weiter wütend an. Noch war kein gravierender Schaden entstanden, doch das war nur eine Frage der Zeit. In der Bodenwelt herrschten Verwirrung und Panik. Immer noch reagierten die Maschinen auf keine Befehle, stellten die wütenden Angriffe weder ein, noch kehrten sie um. Nur manchmal legten sie eine Pause ein... Prielsnigs Worte über Kartnich fielen mir wieder ein. Ich fragte ihn, was der Patient machte, wenn die Roboter stillhielten, und nach dem dritten Mal wusste ich Bescheid. Kartnich schwieg, wenn die Angriffe tobten oder sich, wie inzwischen

geschehen, im Hospiz selbst Unfälle ereigneten. Nur wenn der Oberste Arzttechniker redete, hielten die Roboter still, und im Hospiz passierte nichts. »Es ist Kartnich«, sagte ich ins Funkmikro, »Kartnich lenkt die Maschinen, und er ist für all die Zwischenfälle in der Bodenwelt und hier im Hospiz verantwortlich.« Prielsnig musste es akzeptieren. Die Übereinstimmung war einfach zu deutlich. »Wenn es so ist«, fragte der Oberste Arzttechniker, »was bezweckt er dann mit seinem Tun? Will er das Hospiz vernichten, damit wir; ihn sterben lassen?« Die Vermutung lag nahe, aber dagegen sprach erstens, dass Kartnich dann nicht nur mit der Freilassung der Patienten gedroht hätte, sondern direkt mit den Robotern und all dem, was er aufgrund seiner immensen Möglichkeiten und seines uralten Wissens tun konnte und tat. Zweitens hatte er es auf uns abgesehen, auf Tuxit, Jolo und mich. Ich wusste nicht, warum, aber es konnte nur so sein, und ich hatte vor, mir die Antwort zu holen. Dies war nun schon der dritte Grund, Kartnich so schnell wie möglich gegenüberzustehen. Bis zum Ablauf des Ultimatums waren es keine drei Stunden mehr, aber das schien mir jetzt sogar nebensächlich. In jeder Minute konnte viel Schlimmeres geschehen. »Atlan?«, fragte Prielsnig. »Ist das sein Plan?« »Vielleicht«, sagte ich. »Wir werden es herausfinden! « Ich konnte mir vorstellen, wie er pausenlos rauchte. Jolos Stimme riss mich aus meinen Gedanken: »Was ist nun, Atlan? Träumst du?« »Nein, nein«, beruhigte ich ihn. »Warum versuchst du es nicht einmal mit diesem anderen Gerät, das Tuxit immer so gierig anstarrt, wenn du's in der Hand hast?« Das Cueromb? »Du riskierst doch nichts, oder? Warum holst du's nicht einfach raus?« »Warte!«, sagte ich.

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»Da hat man mal eine Idee, und schon ist's wieder nicht recht! Ich werde gar nichts mehr sagen. Ich werde die Schnauze halten und ...« »Nein, nein«, wehrte ich ab. »Du hast vorhin vielleicht etwas sehr Wichtiges gesagt, Jolo.« »So? Was denn? Da bin ich aber gespannt.« »Natürlich hilft, uns jemand.« Die transparente Wand. Wer hatte sie genau in dem Augenblick in den Gang projiziert, als die Roboter freie Schussbahn auf uns hatten? Prielsnig? Wenn er es hätte tun können, dann hätte er es viel früher machen müssen. »Kartnich!«, rief ich in den Gang. »Kartnich, du hörst mich, nicht wahr?« »Was ist denn jetzt?«, zischelte Jolo. »Ja«, sagte eine Stimme wie aus dem Nichts. »Ich höre und sehe dich, Atlan.« Ich nickte und überlegte mir die nächste Frage genau. »Kartnich, du hast uns gerade wahrscheinlich das Leben gerettet. Du befehligst diese Maschinen, nicht wahr? Du lässt die Roboter aus der Bodenwelt das Hospiz angreifen.« »Nicht ... ich«, hörte ich die stockende Stimme. »Das ... bin ich nicht ...« »Ich glaube, ich verstehe«, sagte ich. »Du kämpfst gegen etwas an, in dir, was dich beeinflusst, dich gegen deinen Willen steuert. Aber du selbst willst, dass wir zu dir kommen und miteinander reden. Ist das richtig?« »Das ist richtig«, antwortete er. »Dann hilf uns!«, appellierte ich an ihn. »Hilf uns weiter! Vergiss Prielsnig und die anderen. Es gibt nur noch dich und uns. Hole uns zu dir, Kartnich! Mach uns den Weg frei!« »Ich weiß nicht, ob ich das kann ...« »Du meinst, wie lange du es noch kannst?« »Ja.« Er hörte sich niedergeschlagen an, verzweifelt. »Dann tu es, solange du kannst, Kartnich!«, sagte ich beschwörend. »Wir wollen dir helfen.« »Das könnt ihr nicht. Ich weiß, dass ihr etwas anderes von mir wollt.«

»Das lässt sich verbinden. Lass es uns versuchen, Kartnich.« Er sagte nichts mehr. Jolo starrte mich an wie einen Geistesgestörten, und Tuxit wich meinem Blick aus. Ich wartete auf Kartnichs Antwort. Und als sich die drei Roboter zurückzogen und die Energiewand erlosch, wusste ich, dass wir diese Runde gewonnen hatten. Eine Runde, mehr nicht. Aber es ging weiter.

* Jolo löcherte mich mit Fragen, doch ich vertröstete ihn und sagte, dass er alles verstehen würde, wenn wir bei Kartnich waren. Tuxit, von dem ich so gerne ein Wort gehört hätte, schwieg so eisern, als hätte er ein Gelübde abgelegt. Und je länger er schwieg, desto stärker wurde mein Gefühl, dass er mir viel zu sagen hätte. Hier, jetzt, vielleicht mehr als jemals zuvor. Er war beeindruckt vom Hospiz, mehr noch: Auf eine nicht zu deutende Weise flößte es ihm Angst ein. Oder war es Kartnich, vor dem er sich fürchtete? Vor dem, was Kartnich wusste? Je höher wir kamen, desto unruhiger und ungeduldiger wurde ich. Es ereigneten sich weitere Zwischenfälle, und sie alle passierten synchron mit den Roboterangriffen auf das Hospiz. Wenn die Maschinen feuerten, gerieten auch wir in Gefahr durch materialisierende Energiewände, die auf uns zuwanderten und uns zwischen sich zu zermalmen drohten, durch weitere Roboter, durch plötzliche Änderungen der Schwerkraftvektoren und sogar durch Anstizen, die in Schwarzkammern auftauchten und uns bedrängten. Es konnte sich nur um Patienten handeln, die Kartnich gezielt freiließ und gegen uns einsetzte. Doch wir schlugen uns wacker, kämpften uns weiter, Meter um Meter, auf unseren Flugscheiben. Einige Male sahen wir dem Tod ins Auge und hofften, dass Kartnich wieder er selbst

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werden würde, bevor es zu spät war. Wir hatten Glück. Kartnich vermochte sich immer im allerletzten Moment zusammenzureißen, als wolle er es ganz besonders spannend machen. Jedenfalls gelang es ihm, indem er die von ihm selbst herbeigeführte Gefahr rechtzeitig beseitigte. Wir brauchten noch einmal eine Stunde, bis wir den grauen Bereich erreicht hatten, in dem Kartnich uns erwarten sollte. Der genaue Treffpunkt war einer der zehn Kubikmeter großen Würfel, die sich überall aneinander reihten. Dieser hier bildete eine Ausnahme. Er stand isoliert, zu beiden Seiten führten Gänge vorbei. Insgeheim hatte ich mit einem letzten, wütenden Angriff der Roboter gerechnet, um uns am Betreten des Blocks zu hindern; ein letztes Aufbäumen jenes Teils von Kartnich, der für das ganze Chaos verantwortlich war, doch nichts geschah. Die plötzliche Ruhe war schon beinahe gespenstisch. Wie im Auge eines Hurrikans, kommentierte mein Extrasinn treffend. Auf unserer Seite des Würfels stand eine breite Tür offen. Wir stiegen von unseren Scheiben und waren schon im Begriff einzutreten, als sich Kartnich wieder meldete: »Nur du, Atlan! Ich will vorerst nur mit dir allein sprechen. Die beiden anderen müssen warten.« »Wozu?«, fragte ich in die Luft. »Hier draußen sind sie nicht sicher.« »Nur du und ich«, beharrte der kranke Anstize. »Oder es gibt kein Gespräch.« »Geh«, sagte Tuxit. »Geh zu ihm.« »Na los!«, schloss Jolo sich an. »Umso eher haben wir es hinter uns. Nun mach schon!« Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Mir fiel auf, dass er schon seit Stunden nicht mehr über seinen Hunger geklagt hatte. Das führte mir mehr als alles andere vor Augen, wie unwohl er sich in seiner Haut fühlte. Ich nickte meinen Gefährten zu, atmete einmal tief durch und betrat die Kammer.

Der Kubus war leer. Auch von Kartnich war noch nichts zu sehen. Ich ging bis zur Mitte des Würfels. Hinter mir schloss sich lautlos die Tür. Jetzt war es ganz still. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ich versuchte, Jolo über Funk zu erreichen, und musste feststellen, dass ich keinen Kontakt mehr bekam. Die Verbindung zu Prielsnig war schon kurz vorher abgebrochen. Mir wurde klar, dass ich plötzlich völlig auf mich allein gestellt war. In der mir gegenüberliegenden Wand bildete sich eine Öffnung, und Kartnich schwebte in seiner Schwarzkammer herein. Die Tür schloss sich hinter ihm wieder. Wir beide, dachte ich. Nur er und ich. Zwischen uns wird es ausgetragen. Und ich ahnte, dass nur einer von uns diesen Ort lebend verlassen würde.

* Kartnich rollte sich mühselig aus seiner Box. Ich blieb stehen und wartete, bis er zwei Meter vor mir zum Stillstand kam. Seine Lanken knickten ihm unter dem Kugelleib weg, wenn er nicht schnell genug neue nachschob. Er besaß noch ungewöhnlich viele natürliche Gliedmaßen. Mehr als seine äußerliche Erscheinung aber wunderte es mich, dass er seine Schwarzbox verlassen hatte. Nur in ihr standen ihm alle technischen Mittel zur Verfügung, um seine Umwelt zu beeinflussen. Er hatte sie freiwillig aus der Hand gegeben - sollte ich das als einen Vertrauensbeweis ansehen? Oder wollte er mich nur in Sicherheit wiegen? Welchen Trumpf besaß er? »Du bist also Atlan«, sagte er, langsam und mit schwacher Stimme. »Ich habe dich beobachtet. Du bist nicht wie die Anstizen. Ich kenne weder dich noch dein Volk, aber es muss eine wichtige, tatkräftige Rasse sein.« »Danke.« »Und sie haben dich geschickt, um mit mir zu verhandeln.« »Ich habe mich selbst angeboten«, stellte ich klar.

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Kartnich richtete einen zitternden Lanken auf mich. Sein ganzer Leib bebte. Er war wirklich sehr schwach, aber etwas hielt ihn am Leben. Etwas ließ ihn einen titanischen Kampf austragen, etwas tief in ihm drin. »Das weiß ich«, sagte er. »Du bist hier, weil du etwas von mir willst. Reden wir nicht lange um die Sache herum, Atlan. Prielsnig will, dass ich aufgebe, aber er ist nicht bereit, mir meinen Sterbenswunsch zu erfüllen.« »Er darf es nicht«, sagte ich. »Ja, ja, das behauptet er. Aber du könntest es. Ich habe nicht mehr viel Zeit, Atlan, und ich weiß nicht, wie lange ich noch ich selbst bin und wann es wieder anfängt. Du bist einen langen Weg gekommen, um mich zu sehen. Du willst etwas von mir. Ich gebe es dir, wenn du mir dafür beim Sterben hilfst. Du musst dafür sorgen, dass ich die volle Kontrolle über meine Schwarzkammer bekomme, damit sie mich nicht mehr retten kann. Das ist mein Angebot. Deshalb habe ich dich zu mir kommen lassen.« »Ich kann dir nicht helfen, dich umzubringen. Aber vielleicht können wir gemeinsam versuchen, den Grund dafür herauszufinden, warum du nicht von selbst sterben kannst, in Frieden, wie die anderen Anstizen.« Als er schwieg, fügte ich hinzu: »Was in der Bodenwelt geschieht, passiert durch dich, Kartnich - nicht wahr? Du löst es aus. Du hast auch gegen uns gekämpft, dann wiederum uns geholfen. Warum, Kartnich? Warum handelst du einmal so und einmal anders?« Er schwieg. »Warum richtest du diese Zerstörungen an? Was kämpft in dir, Kartnich? Ist es das, was dich auch am Leben erhält?« »Hör auf!«, sagte er krächzend. »Nein, Kartnich. Denn wenn du es erkennst, kannst du es besiegen - und so deinen Frieden finden und sterben. Ist es ... Hat es etwas mit der Vergangenheit zu tun?« »Hör auf! Es gibt keine Vergangenheit ! « »Natürlich gibt es sie!«, sagte ich scharf. »Du hast das Hospiz erbauen lassen, vor

fünf Millionen Tagen! Dann hast du dich selbst eingewiesen. Warum, Kartnich? Um zu vergessen? Du warst einmal mächtig, dann hast du Dinge erfahren, die wichtig waren - vielleicht zu wichtig. Bist du deshalb ins Hospiz geflohen? Um zu vergessen?« »Schluss!«, rief Kartnich. »Es war ein Fehler, dich kommen zu lassen! Unser Gespräch ist beendet!« Er machte Anstalten, zurück zu seiner Kammer zu rollen. Ich ging um ihn herum und versperrte ihm den Weg. »Was wolltest du vergessen, Kartnich? Was hast du gesehen, das so schlimm war, dass du es nicht ertragen konntest?« »Geh mir aus dem Weg!«, sagte Kartnich keuchend. Er zitterte. »Was hast du einmal gewusst? Was war so furchtbar, dass du es in dir eingekapselt hast? Du kannst es verdrängen, Kartnich, aber nicht abtöten. Es ist weiter in dir. Es arbeitet in dir und lässt dich nicht zur Ruhe kommen. Du musst dich ihm stellen, sonst wirst du nie Frieden finden, sondern die Intrawelt zerstören! Quälst du dich deshalb? Willst du dich unbewusst selbst bestrafen für etwas, das einmal gewesen ist?« »Hör endlich auf!«, kreischte der alte Anstize. Er bebte jetzt so stark, dass ich befürchtete, er würde jeden Moment zusammenbrechen. Doch er bäumte sich auf. Er war ein Kämpfer. War das sein Verhängnis? Hatte er auch früher um Dinge gekämpft, die nicht für ihn bestimmt waren? »Du redest so klug«, sagte er stockend. »Aber du weißt gar nichts! Mein Leben hat viel zu lange gedauert, und ich trage die ganze Wahrheit über die Erbauer der Intrawelt in mir! Ja, ich weiß alles, von ihnen und von ihren schrecklichen Manipulationen!« »Kartnich ...«, sagte ich, aber er ließ sich nicht mehr unterbrechen. »Die Wahrheit ist so schrecklich und so traurig für mein Volk, dass mein Wissen mit mir sterben muss, bevor ich nicht mehr verhindern kann, dass es ... dass ich vollends die Kontrolle verliere und es doch

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noch preisgebe. Warum wurde ich damals, als meine Berufskarriere schon fast zu Ende war, auch nur von dieser schrecklichen Neugier und diesem verderblichen Ehrgeiz geleitet? Es wäre so viel besser gewesen, hätte ich nicht eine der drei Großen Karawanen beobachten lassen! Ich ...« Er brach abrupt ab. Er zitterte, rollte sich hin und her, immer wieder einknickend. Er war wie ein Ball, aus dem langsam die Luft entwich. Ich konnte deutlich spüren, wie er sich quälte. Was waren die drei Großen Karawanen? Was war daran so schrecklich? Und wusste er wirklich alles über die Erbauer der Intrawelt? »Kartnich, was weißt du über den Flammenstaub? Warum muss er vom Rest des Universums fern gehalten werden? Wer hat die Intrawelt erbaut? In wessen Auftrag?« Er gab keine Antwort. Ich machte mir schon wieder Vorwürfe und bereute die Fragen. »Du bist nicht verantwortlich«, sagte ich. »Das, was in dir ist, will, dass du uns tötest, damit wir deine Geschichte nie erfahren. Aber es quält dich schon länger. Seit die Zwischenfälle begannen. Und auf einmal fällt dir auf, dass Fremde in die Bodenwelt gekommen sind, du hattest uns also entdeckt. Dann hast du unseren Weg verfolgt, weil du befürchtetest, wir hätten vor, dein Geheimnis zu rauben. Deshalb die Gewalt. Um uns zu vernichten, riskierst du sogar die Zerstörung deines Hospizes. Was in dir ist, will nur zerstören, Kartnich, aber es ist deine Verzweiflung. Wenn du du selbst bist, willst du sterben, um es zu beenden. Damit das Andere mit dir stirbt. Habe ich Recht?« »Ja«, wisperte er. »Dann erkenne es! Was ist es? Erkenne es, und du kannst es besiegen - und in Frieden sterben.« War es der unbändige Wunsch, sich für etwas zu bestrafen, was er einmal getan hatte? Hatte sich dieser Wunsch verselbständigt und ihn unbewusst all die schrecklichen Dinge tun lassen, die im Angriff der Roboter auf das Hospiz gipfelten? Und nun - war es vielleicht

schon zerbrochen, starb es, hier und jetzt, ohne dass ich die Antworten auf meine Fragen bekam? Hatte ich das Hospiz vielleicht schon gerettet, nur um selbst mit leeren Händen dazustehen? »Kartnich«, sagte ich eindringlich. »Kannst du mich hören?« »Ja.« Seine schwache Stimme war kaum noch wahrzunehmen. »Ich hätte jetzt gern meine Freunde bei mir.« Das stimmte. Ich fühlte mich allein und ratlos. Ich wusste nicht, was ich von Jolo erwarten sollte. Immerhin, er hatte in einigen kniffligen Situationen schon durch Bemerkungen oder Hinweise den Ausschlag gegeben. Und Tuxit? Vielleicht war es Intuition. Ich weiß bis heute nicht, ob ich Kartnich noch einmal gebeten hätte, die Tür für die beiden Gefährten zu öffnen. Doch er tat es. Er griff mit einem Kunstlanken in sein Haarkleid und holte ein kleines Gerät hervor, das er bisher darin versteckt hatte. Er richtete es auf die Tür. Hätte ich ihn zurückgehalten, wenn ich gewusst hätte, was gleich darauf geschehen würde? Hätte ich mich anders entschieden und anders gehandelt?

13. Kartnich

Wogen der Panik brandeten gegen seinen Verstand - das, was davon übrig geblieben war. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Er wusste nicht, ob er überhaupt denken sollte. Fast wünschte er sich, dass das Andere wieder käme und ihn erlöste und befreite. Nicht mehr sprechen, nichts mehr hören; keine Fragen, keine Antworten und keine Erinnerungen, die mit Macht an die Oberfläche gespült wurden. Er war nahe daran,, alles zu verraten. Er konnte es nicht mehr bei sich behalten, nicht mehr allein die ganze, furchtbare Last tragen. Etwas in ihm wollte es herausschreien und ihm ein für alle Mal Luft verschaffen. Andererseits sträubte er sich mit allem dagegen, was er noch an

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Kraft aufzubieten hatte - und das war nicht mehr viel. Und das wiederum Andere in ihm ... Er spürte es nicht. Es war da, doch es regte sich nicht. Es war wie gelähmt, wie er selbst. Hatte der Fremde Recht gehabt? Wie konnte er dann weiterleben, ohne noch mehr Schuld auf sich zu laden? Aber er wollte es ja nicht! Sah Atlan nicht, dass er sterben musste? Warum verhalf er ihm nicht dazu? Wieso war es so schwer, Erbarmen zu zeigen? Warum ließen sie seine Qualen zu? Er bestand darauf, dass sie alle drei kamen. Ein Teil von ihm hatte gehofft, wenigstens einer von Atlans Freunden würde ihn töten. Ein anderer Teil wollte, dass sie starben, und zwar alle.. Dann hatte er jedoch gezögert, denn einer von ihnen... Er musste sich täuschen. Die Bilder, die ihm die optischen Systeme des Hospizes lieferten, waren nicht wie ein Bild, das er sich mit den Optikfäden seiner Lanken machte. Und dennoch hatten sie gereicht, um ihn zu erschüttern. Die Ähnlichkeit war so verblüffend - aber es konnte nicht sein! Es war unmöglich. Etwas in ihm glaubte das, eine andere Hälfte nicht. Die Zweifel waren da. Was, wenn er sich nun nicht irrte? Wenn er nun auch vor diesem Gespenst floh? Er war des Fliehens so müde... Nein. Sie waren zusammen gekommen, drei Fremde, drei Wanderer, einfache Bewohner der Intrawelt. Die Ähnlichkeit musste Zufall sein. Er redete es sich ein und versuchte, sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Aber er spürte, wie es ihn zerriss. Er hatte befohlen, dass Atlan allein käme. Er hatte geglaubt, mit Atlan fertig zu werden, doch jedes Wort des Fremden war wie ein glühender Pfeil gewesen, der sich tief in seine Seele bohrte. Atlan hatte ihn in die Enge getrieben. Er bekam keine Luft mehr. Weshalb quälte er ihn? Wieso machte er nicht ein Ende mit ihm? Was musste er denn noch tun? Was musste er ihm geben, von dem abgesehen, was er nie offenbaren durfte?

Und genau das wollte Atlan. Deshalb war er gekommen. Und wenn er so weitermachte, würde er es auch bekommen. Kartnich war am Ende. Er glaubte nicht, dass er noch lange Widerstand leisten konnte. Im Hospiz und außerhalb warteten die Roboter auf die Befehle seines anderen Ichs. Sie würden wieder angreifen, wenn dieses Andere wieder von ihm Besitz ergriff. Und das, würde geschehen, wenn er Atlan jetzt tötete. Er fühlte den kleinen Befehlsgeber unter seinen Haaren. Ein Signal an die Schwarzkammer, und Atlan würde sterben. Aber er war kein Mörder! Andererseits ... Er würde sein Geheimnis verraten, wenn er ihn nicht tötete. Und das bedeutete vielleicht so viel Tod und Leid, wie er es sich nicht einmal vorstellen konnte. Was sollte er tun? Wie er sich auch entschied, es würde furchtbar sein. Helft mir doch!, schrie es lautlos in ihm. Irgendjemand, helft mir! In diesem Augenblick bat Atlan, dass er seine Freunde, die auf seine Anweisung hin draußen warteten, zu ihnen hereinließe. War das die Antwort? Sollte er es so kommen lassen, wie es vielleicht kommen musste? Wenn er sich nicht irrte und das Ungeheuerliche wahr war? Kartnich riss sich noch einmal zusammen, ein letztes Mal. Vielleicht war danach alles zu Ende. Vielleicht hatte es von Anfang an so kommen müssen, und er fand seine Erlösung. Kartnich zog den Befehlsgeber aus seinem Haarkleid hervor und richtete ihn auf die Tür. Dann betätigte er ihn.

14. Atlan

Zuerst kam Jolo. Er sah mich an, blickte hinab auf den alten Anstizen, verzog den Mund und fragte: »Und das ist er? Dieses arme Häufchen Elend dort? Vor dem haben wir alle gezittert? Du hast es ihm gegeben, was, Atlan?«

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Ich antwortete nicht, sondern wartete auf Tuxit. Warum zögerte er? »Tuxit?«, rief ich. »He, Tuxit!«, polterte Jolo. »Was ist, hast du Wurzeln geschlagen?« Er kam, langsam, einen Schritt nach dem anderen. Ich verstand das nicht, bis ich von ihm wieder zu Kartnich sah. Der Anstize hatte sich aufgerichtet. Seine Lanken waren steif, zitterten, knickten und strafften sich wieder. Jetzt schimmerte sein Kugelkörper, als würde er unter dem Haarkleid Flüssigkeit absondern - ein anstizisches Pendant zu menschlichem Schweiß? Wovor hatte er solche Angst? Er hatte bereits alles verloren. Was konnte ihn jetzt noch entsetzen, das Wesen, das die Hölle in sich selbst trug? »Komm«, hört ich ihn plötzlich flüstern. Er streckte einen Kunstlanken ganz weit aus, in Tuxits Richtung. »Komm ... näher ...« Seine brüchige Stimme bebte. Es gab keinen Zweifel mehr: Er sonderte stark Flüssigkeit ab. Sein Kugelkörper hatte sich in leichte Schwingungen versetzt. Wie eine Spinne im Netz. Er hielt den Lanken starr auf Tuxit gerichtet. An seinem Ende befanden sich feine Fäden. Und Tuxit kam schleichend. Hatte er Angst? Nein, dachte ich, es war Vorsicht. Was wusste er? Was wussten die beiden? Was spielte sich hier ab und degradierte Jolo und mich zu Statisten? Tuxit blieb stehen, drei Meter vor Kartnich. Der Anstize bebte jetzt so stark, dass ich befürchtete, er müsste jeden Augenblick platzen. Aber er winkte mit einem anderen Lanken. »Komm! Noch... näher!« Ich ahnte die Worte mehr, als dass ich sie wirklich hörte. Tuxit machte einen weiteren Schritt, dann einen letzten. Endlich stand er vor Kartnich. Der uralte Anstize rollte sich mit letzter Kraft einige Zentimeter auf ihn zu, bis er ihn mit dem Kunstlanken berühren konnte. Für einen scheinbar unendlich langen Moment verharrte er in dieser Haltung.

Das Beben seines Körpers hatte aufgehört. Ein paar Sekunden lang herrschte vollkommene Stille in dem Raum, in den Kartnich uns bestellt hatte, um mit uns über seinen Tod zu verhandeln. Dann zuckte er zurück, rollte einen Meter nach hinten, blieb stehen und stieß einen Schrei aus, wie ich ihn nie wieder hören wollte. Seine kreischende; gequälte Stimme fuhr mir durch Mark und Bein. Kartnich schrie auch noch, als sein Körper schlaff wurde wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte. Alle Lanken knickten ein und zogen sich an diese kraftlose Hülle zurück. So lag er dort vor uns, in der Mitte des Würfels - wie tot, aber er zuckte noch. Ich wusste nicht, was er gesehen hatte, aber es musste die Qualen, die er innerlich litt, noch vervielfacht haben. Ich spürte das Mitleid mit dieser armen, leidenden Kreatur wie einen dicken Kloß im Hals. Doch selbst jetzt schien der Anstize nicht sterben zu dürfen. Auch jetzt, in seinem unermesslichen Schmerz, blieb ihm die Erlösung versagt. Die Schwarzbox, die wie ein stummer Wächter hinter ihm geschwebt hatte, setzte sich auf ihn zu in Bewegung. Lange stählerne Tentakel fuhren aus ihr heraus und wollten nach ihm greifen. Ich wusste, was das bedeutete. Und ich wusste jetzt, was ich zu tun hatte.

* Bist du verrückt geworden?, schrie der Extrasinn in mir. Bleib stehen, du Narr! Halt dich da raus! Das ist nicht deine Sache, und du brauchst die Antworten! Ich beachtete ihn nicht. Mein Entschluss stand fest. Die Schwarzkammer war jetzt fast über Kartnich, einem zitternden, feuchten, jämmerlich winselnden Etwas. Ich wusste, dass sie darauf programmiert war, sein Leben zu erhalten, und genau das würde sie versuchen. Kartnich retten, ihn zurückholen in eine Welt, die er nicht ertrug. Ich wusste nicht, was hier geschehen war, zwischen ihm und Tuxit.

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Ich wusste nur: Wenn ich jetzt tat, was ich glaubte, tun zu müssen, würde ich weiterhin nach einer Antwort auf meine bohrenden Fragen suchen. Ich würde neu anfangen müssen, eine neue Spur finden. Dabei kannst du die Antworten hier haben!, protestierte der Extrasinn. Komm zur Vernunft! Lass geschehen, was geschehen muss! Es geht dich nichts an! Und ob es das tut!, dachte ich voller Bitterkeit und richtete das von Prielsnig erhaltene Steuergerät auf die Schwarzbox, die schräg über Kartnich hing wie ein Käfig, der ihn wieder einfangen wollte. Hör auf!, schrie der Extrasinn. Du zerstörst alles! Denk an deine Verantwortung! Das tat ich. Ich dachte an meine Verantwortung dem Leben gegenüber - und der Würde des Lebens. Ich desaktivierte die Schwarzbox. Ich wartete, bis sie die Tentakel einzog und von Kartnich zurückwich. Was hast du getan! Ich ging zu dem Anstizen, kniete vor ihm nieder und streckte die Hand nach ihm aus, bis ich einen seiner Lanken zu fassen bekam. Ich hob das schlaffe Glied hoch und hielt es wie die Hand eines Sterbenden. Ich wusste, dass er mich ansah. Ich stellte mir einen Menschen mit langsam erlöschenden Augen vor und bildete mir ein, so etwas wie ein seliges Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen. Kartnich konnte nicht lächeln; nicht in unserem Sinn. Aber er konnte noch sprechen. Wie er das schaffte, wusste ich nicht, aber ich hörte seine gehauchten Worte. »Warum ...«, sagte der uralte Anstize mit kaum noch zu verstehender, brüchiger Stimme, »hast du mir diese Fragen gestellt? Weshalb .:. bist du extra zu mir gekommen, wenn du ...« »Ja, Kartnich. Ich höre dich.« Sein schlaffer Körper zuckte. Er gab Laute von sich, die sich anhörten wie Husten. Noch einmal fühlte ich seinen Blick. »... wenn du ohnehin jemanden bei dir hast, der ... sie dir viel besser beantworten kann?«

Mit diesen Worten ging ein letzter Ruck durch seinen Leib. Kartnichs Körper erschlaffte vollends, alle Lanken außer dem einen, den ich hielt, lagen am Boden.

15. Atlan

Kartnich war tot. Das Zerstörerische in ihm war mit ihm gestorben. Das Hospiz und die Bodenwelt waren gerettet. Er würde ihnen keinen Schaden mehr zufügen. Die Roboter würden an ihre Plätze und zu ihren Aufgaben zurückkehren, die Schäden am Hospiz würden repariert werden, und alles konnte wieder seinen gewohnten Gang gehen. Wirklich? Ich stand langsam auf und drehte mich zu den Freunden um. Beide schwiegen, selbst Jolo enthielt sich jeglichen Kommentars. Mein Extrasinn verzichtete auf jegliche Vorwürfe, wofür ich ihm dankbar war. Ich wusste es ja selber: Ich hatte eine vielleicht nie wiederkehrende Chance vertan, mehr über den Flammenstaub zu erfahren. Doch ich bereute es nicht. Ich wusste, ich hätte wieder so gehandelt. Ich hatte einem gequälten Wesen, das unendliches Leid gelitten hatte, seinen Frieden geschenkt. Ob das nun Sterbehilfe oder Gnade gewesen war, darüber sollten einmal andere urteilen. Für mich war es gut, war es richtig. Aber was hatten Kartnichs letzte Worte zu bedeuten? Ich sah Tuxit an. Von keinem anderen konnte Kartnich soeben gesprochen haben. Tuxits Verhalten unterstrich es. Er war mein Freund. Wir hatten einiges zusammen durchgemacht, aber dadurch stand ich nicht so in seiner Schuld, um mich weiter mit Ausflüchten - wenn es die wenigstens gegeben hätte! - und seinem Schweigen abzufinden. »Du wirst jetzt den Schnabel aufmachen und reden!«, sagte ich scharf. Es war nicht einmal gespielt. Ich war wütend, wütend auf mich, weil ich etwas hatte tun müssen, weswegen ich mir trotz allem Vorwürfe machen würde, und wütend auf Tuxit, von

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dem ich mich an der Nase herumgeführt fühlte. Ich trat einen Schritt näher. »Rede jetzt, Tuxit! Und ich will keine Geschichten hören, sondern die Wahrheit! Verdammt, Tuxit, es ist bitterer Ernst! « Doch auf einmal bemerkte ich, wie perlende Tränen über sein zerrupftes Federkleid rollten. Tuxit senkte den Kopf, und sie tropften auf den Boden. »Das wollte ich nicht«, sagte er mit klagender, halb erstickter Stimme. »Ich wollte es nicht, das musst du mir glauben. Aber anscheinend kann ich meinem Schicksal nicht entgehen.« »Was heißt das?«, fragte ich hart. Es kostete mich schon wieder Mühe, den Unnachgiebigen zur Schau zu stellen, aber wenn ich diese Chance nicht nützte, dann erfuhr ich Tuxits Geheimnis vielleicht nie. Und ich hatte gerade schon ein Geheimnis verschenkt. Tuxit hob wieder den Kopf. Sein gesamter Körper straffte sich. Er sah Jolo an, der ihn mit großen Augen und offenem Mund anstarrte, und forderte ihn auf, die Vernähung seiner Arme durchzubeißen. »Vernähung?«, fragte ich. »Ja«, sagte er. »Sie sind mir auf dem Rücken festgenäht worden.« Jolo sah von ihm zu mir. Ich wusste nicht, was Tuxit bezweckte, aber ich nickte. »Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Geflügelroulade ...« Widerstrebend begab sich unser Hungerleider zu dem zweimal so großen Wesen und tat, was dieses von ihm wünschte. Es kostete ihn sichtlich Mühe, doch schließlich waren Tuxits Arme frei. Er breitete sie aus und schlug mit ihnen, um die Durchblutung anzuregen und wieder ein Gefühl für sie zu bekommen. Dann wandte er sich wieder an mich und

sagte: »Bitte vertraue mir, Atlan. Gib mir das Cueromb!« »Wozu?«, fragte ich, wieder misstrauisch geworden. Was wollte er ausgerechnet mit diesem Gerät, das ich aus Peonus Besitz hatte und das dieser selbst irgendwo hatte mitgehen lassen? Mir fielen die Blicke wieder ein, die er ihm zugeworfen hatte. »Vertraue mir bitte. Versuche es wenigstens.« Ich seufzte und reichte es ihm - und unter meinen prüfenden Blicken schlüpfte er mit seinem rechten Armstummel in die Fassung des Multifunktionsgeräts. Im nächsten Moment stieß er einen wohligen Seufzer aus. Das Cueromb passte ihm wie an den Leib gegossen - oder geschmiedet. Meine innere Anspannung wurde schier unerträglich. »Was, Tuxit?«, fragte ich. »Was bedeutet das alles?« Und er antwortete, mit voller, kräftiger Stimme, die plötzlich viel selbstbewusster wirkte, wobei ihr dennoch weiter ein Hauch von Melancholie anhaftete: »Es wird Zeit, dass ich nach Hause zurückkehre, Atlan. Ich habe es viel zu lange vor mir hergeschoben.« In mir schrillten die Alarmglocken. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, dass der Boden unter mir wegglitt. »Wer bist du, Tuxit? Wer bist du wirklich?« »Mein Name ist Tuxit, das stimmt«, antwortete er. Seine Stimme klang feierlich, als hätte er sehr lange auf diesen Augenblick warten müssen. »Tuxit vom Stamm der Aspoghies, vom Volk der Rhoarxi. Früher einmal«, er machte eine Pause, sah Jolo und mich an, »früher einmal, vor langer Zeit, gehörte ich zu den Hütern des Flammenstaubs ...«

E N D E

Tuxits Offenbarung schlägt bei Atlan ein wie eine Bombe. Endlich - so scheint es - kommt der Arkonide seinem Ziel einen bedeutenden Schritt näher. Der Rhoarxi wird ihn in das Geheimnis des Flammenstaubs einweihen und ihn an den Ort führen, an dem die sagenumwobene Substanz lagert.

DAS SYMBOL DER FLAMME,