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Die Bauten des Russischen Konstruktivismus – Moskau 1919–32. Baumaterialien, Baukonstruktion, Erhaltung. von A. Zalivako

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Page 1: Die Bauten des Russischen Konstruktivismus – Moskau 1919–32. Baumaterialien, Baukonstruktion, Erhaltung. von A. Zalivako

815Stahlbau 81 (2012), Heft 10

Rezensionen

zeigte sich, dass das Interesse an diesenBauten in Russland selbst kaum vorhan-den ist und dass viele der Bauten in einembeklagenswerten baulichen Zustand sind.Die Ursachen dafür sind das noch immerherrschende Unverständnis über ihreBedeutung für die ArchitekturgeschichteRusslands wie auch das Vorurteil, dasssie schlecht konstruiert und mit untaug-lichen Materialien errichtet seien in einerZeit der Armut und des Mangels – unddass eine Restaurierung und behutsameInstandsetzung deshalb nicht möglich sei.Um dieser Frage nachzugehen und zuuntersuchen, wie die Bauten der russi-schen Avantgarde konstruiert und gebautwurden, entstand in den Jahren 2005–09,finanziell unterstützt durch die DFG, dieArbeit von Anke Zalivako, die als schwer-gewichtiger 9. Band in der Reihe der Ber-liner Beiträge zur Bauforschung undDenkmalpflege des Lehrstuhls für Bau-geschichte der TU Berlin jetzt vorliegt.

Hatte sich in der Vergangenheit derFokus der Betrachtungen mehr auf dasäußere Erscheinungsbild der Bauten desKonstruktivismus gerichtet, so richtetesich das Forschungsinteresse von A. Za-livako auf Fragen, wie nach dem Standder Industrialisierung des Bauwesens inder Zeit des jungen Sowjetstaates, denbautechnischen Innovationen russischerArchitekten und Ingenieure und demwestlichen Einfluss auf Konstruktionenund Materialverwendung. Das Ergebnisder Detailuntersuchungen an den einzel-nen Bauten in Moskau und St. Peters-burg, der Forschungen in den Archivenund der Auswertung der zeitgenössischenZeitschriften war, dass sich die sowjeti-schen Pilotprojekte des russischen Kon-struktivismus bautechnisch gar nicht bzw.nur marginal von den Bauten der euro-päischen Moderne unterscheiden. Dasheißt aber, dass ihre Restaurierung mög-lich wäre und dass die Erfahrungen imUmgang mit den Bauten der 20er Jahre,deren Instandsetzung sich die WüstenrotStiftung in den Vergangenheit erfolgreichgewidmet hat, sich auch auf die Bautenden Konstruktivismus übertragen ließen –wenn es denn gewollt wäre.

Diese Aussage erscheint einfach undlogisch, doch die wissenschaftliche Grund-lage dafür musste in mehrjähriger Arbeitmühsam zusammengetragen werden,denn über die Baustoffe, die den Archi-tekten des russischen Konstruktivismuszur Verfügung standen bestand nur nochein begrenztes Wissen, da das einstmalsreichlich vorhandene Dokumentations-material nicht archiviert wurde. Und sofinden wir in dem Buch wohl eine großeAnzahl von Abbildungen, doch nebenden eigenen Aufnahmen der Autorinhauptsächlich Abbildungen aus Büchernund Zeitschriften. Blättert man für einenersten Überblick das Buch durch, so ist

man erstaunt, was hier alles zusammen-getragen wurde, systematisch und detail-liert beschrieben. Den Anfang machendie Baumaterialien, die natürlichen undkünstlichen Steine, Beton und Mörtel,Wärme- und schallisolierende Materia-lien, Glas, Stahlträger, Farbe und Lacke.Daran schließen sich die Baukonstruk-tionen an: Gründungen, Außenwandkon-struktionen, Tragwerke aus verschiede-nen Materialien, Dachkonstruktionen,Deckenkonstruktionen, Innenwände,Treppen, Fensterkonstruktionen, Erkerund Balkone, Türen und Tore, Haustech-nik und Innenausbau, Baumaschinen.Das ganze erinnert in seiner Systematikan das „Handbuch der Architektur“, dochin einem Band und nur für die Bauteneiner kurzen Aufbruchstimmung, die inden 1930er Jahren bereits ihr Ende fandund dem völlig anderen Konzept der Sta-linzeitzeit weichen musste. Steigt manin den Text ein, so erfährt man viel vonden damaligen Problemen der Architek-ten, der Materialknappheit, den Verbin-dungen zu ihren Kollegen im Westen,ihrem großen Enthusiasmus und ihremZukunftsoptimismus.

Eine so umfangreiche Forschung zudiesem Thema wird sicherlich nicht wie-der durchgeführt werden, liegt doch mitder Arbeit von A. Zalivako jetzt ein um-fassendes Standardwerk vor, aus demgeschöpft werden kann. Die Hoffnung,die sich damit verbindet ist, dass mit die-sem umfangreichen Werk ein weitererSchritt hin zur Anerkennung der Bedeu-tung der Bauten getan wurde und demWunsch, sie als bedeutende Zeugnisserussischer Architektur für die Zukunftzu erhalten. Der bisher vorgebrachteHinweis auf ihre fehlende Erhaltungsfä-higkeit aufgrund der schlechten Materia-lien und ungenügenden Konstruktionengilt jetzt nicht mehr. Aber um diesen Pro-zess voranzutreiben, muss das Buch insRussische übersetzt werden. Es wäreschade, wenn das nicht bald passierenwürde, denn der Verfall der beschriebe-nen Bauten schreitet rapide voran.

Hartwig Schmidt

Zalivako, A.: Die Bauten des RussischenKonstruktivismus – Moskau 1919–32.Baumaterialien, Baukonstruktion, Er-haltung. Berliner Beiträge zur Baufor-schung und Denkmalpflege, Band 9,hrsg. von Johannes Cramer und DorothéeSack. Petersberg: Michael Imhof Verlag2012. 576 S., 884 S/W-Abb., Hardcover,22 × 28 cm. ISBN 978-3-86568-716-6;79,– €

Eigentlich sollte man annehmen, dassKunst und Architektur des RussischenKonstruktivismus gut erforscht sind, daes in der Vergangenheit mehrere großeAusstellungen zu diesem Thema gegebenhat (Kunsthalle Tübingen 1991/1993„Avantgarde I und II“), die letzte mit demTitel „Baumeister der Revolution“ im Ber-liner Martin-Gropius-Bau von April bisJuli 2012. Großes Interesse an der „neuenKunst für eine neue Gesellschaft“ in derjungen Sowjetunion der Zeit von 1919–1932 hat es im Westen in Hinblick undin Vergleich mit den Werken der eigenenAvantgarde der 20er Jahre immer gege-ben. Seit den 1990er Jahren war es dannauch unschwer möglich, die berühmtenund bisher nur von Fotos bekannten Bau-werke in Moskau und St. Petersburgselbst zu besichtigen: das Wohnhaus vonKonstantin Melnikow (1927–29), dieNarkomfin-Gemeinschaftswohnanlagevon Moisej Ginsburg und Ignatij Milinis(1928–30) aber auch die Bauten der west-lichen Architekten, wie das Gebäude fürden Zentralverband der Konsumgenos-senschaften der Sowjetunion (Zentroso-jus) von Le Corbusier, P. Jeanneret, N.Kolli (1928—36) oder die Kraftstation vonErich Mendelsohn (1926–28) für die Tex-tilfabrik „Rotes Banner“ in Leningrad.Eine Neuentdeckung waren die bisherwenig bekannten konstruktiven Meister-werke des Ingenieurs Wladimir Schuchow(1853–1939) wie der 160 m hohe Scha-bolowka-Funkturm (1922), der die Sil-houette Moskaus weit überragt. Dabei

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