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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT II. JAHRGANG Nr. 49 3. DEZEMBER ~932 OBERSICHTEN. DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ALLERGIE UND IMMUNIT/~T BEI DER TUBERKULOSE*. ~r Prof. BRUNO LANCE. Aus dem Insitut Robert Koch, Berlin. Fast allgemeiu wird unter Allergie bei der Tuberkulose die erworbene spezifische Oberemp/indlichlceitgegen den Tuberkelbacillus und seine Produkte verstanden, "vide fassen den Begriff noch enger und denken lediglich an die erworbene Tuberkulinempfindlichkeit. Es w~re richtiger, mit PIRQUET nicht allein die spezifisch erworbene Uberempfindlichkeit (Hyperergie), sondern auch die spezifisch erworbene Un- empfindlichkeit (Anergie) zur Allergie zu rechnen. Die frtiher vim diskutierte Frage, ob wit berechtigt sind, die allergische Anergie, d. h. die Hemmung der tuberkul6sen Gewebsneubildung als echte Immunit~ttserscheinung an- zusehen, ist heute wohl in bejahendem Sinne entschieden. Dagegen sind die Beziehungen der allergischen UberempJind- lichkeit zur Immunit~t noch viel umstritten, und sie bilden den Gegenstand auch der heutigen Diskussion. Bei jeder Er6rterung der Beziehungeu der ~)berempfind- lichkeit zu der Immunit~t s011ten wir uns vet Augen halten, dab neben der erworbenen Immunit~t Abwehrkr~fte gegen die Tuberkulose wirksam sind, i~ber die der Organismus vo~ Natur aus ver/i~gt. Dieser Hinweis scheint mir persSnlich ganz besonders wichtig, da ich der l~be~zeugung bin, dab wir alle uns viele Jahre hindurch allzu bereitwillig einer Theorie der Tuberkuloseimmunit~t unterworfen haben, die weder durch experimentelle Erfahrungen noch auch durch klinische und pathologisch-anatomische Beobachtungen am Menschen selbst ausreichend gestfitzt ist, ich meine die Theorie yon BEHRING und R~SMER yon der entscheidenden Bedeutung spezifischer AbwehrkrAfte ffir Entstehung und Verlauf der tuberkul6sen Erkrankung. Gemeinsam mit LYDTIN habe ich zeigen kSnnen, dab durchaus im Einklang mit dem Grundversuch ROBERT KOCHS und mit den ~Iteren experimentellen Erfahrungen anderer Autoren, wie ROMER, I'IAMBURGER,CALMETTE und GUs u.a., aber unvereinbar mit den sehr weitgehenden SchluBfolgerungen, die man aus diesen Experimenten auf die Praxis gezogen hat, der Grad der Tuberkuloseimmunit~t dem UmJang und dem Grad der tuberkul6sen Kranlcheitsprozesse parallel lSu/t. Latente Tuberkulosen mit ausgesprochener Tendenz zur tteilung gehen mit einer geringen, st~ndig weiter absinkenden, dagegen fortschreitende t6dlich verlaufende Tuberkulosen mit einer hohen spezifischen Immunit~t einher. Eine virulente Infektion immunisiert starker als eine Vor- behandlung mi~ abgeschw~chten Tuberkelbacilten, eine massige besser als einc geringffigige. Diese Feststellungen widersprechen tier Weitverbreite~en Anschauung, dab klinisch oder pathologisch-anatomisch er- kannte tteilungsvorg~nge bei der Tuberkulose ohne weiteres ant hohe spezifische Abwehrkr~fte, das scheinbar unaufhalt- same Fortschreiten der Tuberkulose auf ein Fehlen solcher spezifischen KrAfte hinweist; sie machen wahrscheinlich, dab ffir Heilung und Fortschreiten der Tuberknlose, ftir Ent- stehung der Krankheit aus der Infektion und fiir die Art ihres Verlaufs andere Falctoren yon ausschlaggebender ]3e- deutung sind. Solche Faktoren k6nnen, wie sich aus weiteren * Vortrag, gehalten aus der Tagung der h~ternationalea Union zur Bek~mpfung der Tuberkulose im I-Iaag i932. Klinische Wochenschrift, XL Jahrg. l)berlegungen ergibt, nur die Abwehrkr/ifte sein, tiber die der KSrper zur Zeit der Infektiou und w~thrend ihres Verlaufs yon Natur aus verffigt. Dafiir spricht auch vor allem die Tatsache, dab bereits der ErstinJektion gegentiber so erhebliche Unterschiede im Verhalten der befallenen Individuen hervortreten. Diese auffallende Erscheinung hat man frfiher in der Hauptsache mit der InJektionsdosis in urs~chliche Verbindung gebracht und angenommen, dab schwache Infektionen fiberwunden werden, starke aber zur Erkrankung ffihren. Nach unseren Untersuchungen spielt aber bei der weitaus h~tufigsten In- fektion des Menschen, der direkten Lungeninfektion, die In- fektionsdosis ffir Entstehung und Verlauf der tuberkul5sen Erkrankung nut eine ganz untergeordnete Rolle*, es handelt sich bei der direkten Lungeninfektion durch Einatmung yon ]3acillen so gut wie immer um eine InJectio minima, wie CHAUSSE sie genannt hat, und es k6nnen daher die erw~hnten erheblichen Verschiedenheiten im Verhalten des Menschen der Erstinfektion gegeniiber unm6glich allein oder auch nur in der Hauptsache aus der Infektionsdosis erkl~rt werden, sie mtissen vielmehr in den starken Unterschieden der natfir- lichen individuellen Resistenz begrtindet sein. Wenn dies ffir die Erstinfektion und das Kindesalter giIt, dtirfen wir eiu gleiches ftir das sp~tere Lebensalter und auch fiir Super- infektionen voraussetzen. Nach Mien Erfahrungen ist die Wirkung spezifischer Abwehrkr~fte beschr~nkt auf die Hemmung des Angehens ueuer Infektioneu im tuberkuloseinfizierten Organismus, sei es, dab diese exogen oder endogen erfolgen. Wenn aueh zu- gegeben werden muB, dab aus einer frischen, im I<Srper haftenden Superinfektion unter sonst gleichen Bedingungen leichter eine fortschreitende tuberkul6se Erkrankung: entsteht, als aus alten, in Abheilung begriffenen Herden, so h~ngt nach dem Gesagten die Entscheidung dariiber, ob bei dem TrAger der Infektion sich aus den t-Ierden des Erstinfektes oder denen der Superinfektion oder aus beideu eine Krank- heir entwickelf, doch yon der individuellen natfirlichen Resistenz ab. Wieweit die hier yon mir vorgetragene Auffassung be- rechtigt ist, wird die Forschung der Zukunft zu er?vgisen haben. Ftir die ErSrterung unseres Themas scheint es mir schon yon einer gewissen Bedeutung, dab fiberhaupt heute die t3ehring-R6mersche Theorie der Tuberkulose-Immunit/~t in ihren Konsequenzen ]i~r die Praxis nicht mehr fiberalI an- erkannt wird. Bei der groBen Schwierigkeit, die erworbene Immunits yon der natiirlichen Resistenz bei der Tuberkulose des l~Ien- schen auf Grund ldinischer Beobachtungen abzugrenzen, halte ich auch einen Versueh, ~die ]9eziehungen zwischen ~ber- empfindlichkeit und Immunit~t lediglich aus Erfahrungeu der Praxis heraus zu beurteilen, ftir wenig aussichtsvoll. Nach meiner Ansichtc ist bei der Priifung der Frage der Schwerpunkt ant tierexperimentelle Erfahrungen zu legeu. Auf diese Erfahrungen m6chte ich im folgendell n~her ein- gehen. PIRQUET und auch BEHRING und ROMER haben sehr enge Beziehungen zwischer~ der hyperergisehen Erseheinungs/orm der Allergie und der Immunitgt angenommen. In der Tat lassen sich wichtige Argumente zugunsteu dieser Annahme einer sehr engen Verkn/ipfung yon ~berempfind- lichkeit und ImmunitS~t anffihren. * Demgegen/ibcr ist ft%r die Infektionsh~ufigkeit die 1Vfenge der TuberRelbaeillen in der ~uBeren Umgebung des I~,[ensehen ausschlaggebend: 145

Die Beziehungen Zwischen Allergie und Immunität bei der Tuberkulose

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT II. J A H R G A N G Nr. 49 3. D E Z E M B E R ~932

OBERSICHTEN.

DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN ALLERGIE UND IMMUNIT/~T BEI DER TUBERKULOSE*.

~r

Prof. BRUNO LANCE. Aus dem Insi tut Robert Koch, Berlin.

Fast allgemeiu wird unter Allergie bei der Tuberkulose die erworbene spezifische Oberemp/indlichlceitgegen den Tuberkelbacillus und seine Produkte verstanden, "vide fassen den Begriff noch enger und denken lediglich an die erworbene Tuberkulinempfindlichkeit. Es w~re richtiger, mi t PIRQUET nicht allein die spezifisch erworbene Uberempfindlichkeit (Hyperergie), sondern auch die spezifisch erworbene Un- empfindlichkeit (Anergie) zur Allergie zu rechnen.

Die frtiher vim diskutierte Frage, ob wit berechtigt sind, die allergische Anergie, d. h. die Hemmung der tuberkul6sen Gewebsneubildung als echte Immunit~ttserscheinung an- zusehen, ist heute wohl in bejahendem Sinne entschieden. Dagegen sind die Beziehungen der allergischen UberempJind- lichkeit zur Immuni t~ t noch viel umstri t ten, und sie bilden den Gegenstand auch der heutigen Diskussion.

Bei jeder Er6rterung der Beziehungeu der ~)berempfind- lichkeit zu der Immuni t~ t s011ten wir uns vet Augen halten, dab neben der erworbenen Immuni t~ t Abwehrkr~fte gegen die Tuberkulose wirksam sind, i~ber die der Organismus vo~ Natur aus ver/i~gt. Dieser Hinweis scheint mir persSnlich ganz besonders wichtig, da ich der l~be~zeugung bin, dab wir alle uns viele Jahre hindurch allzu bereitwillig einer Theorie der Tuberkuloseimmunit~t unterworfen haben, die weder durch experimentelle Erfahrungen noch auch durch klinische und pathologisch-anatomische Beobachtungen am Menschen selbst ausreichend gestfitzt ist, ich meine die Theorie yon BEHRING und R~SMER yon der entscheidenden Bedeutung spezifischer AbwehrkrAfte ffir Ents tehung und Verlauf der tuberkul6sen Erkrankung.

Gemeinsam mit LYDTIN habe ich zeigen kSnnen, dab durchaus im Einklang mit dem Grundversuch ROBERT KOCHS und mit den ~Iteren experimentellen Erfahrungen anderer Autoren, wie ROMER, I'IAMBURGER, CALMETTE und GUs u .a . , aber unvereinbar mit den sehr weitgehenden SchluBfolgerungen, die man aus diesen Experimenten auf die Praxis gezogen hat, d e r Grad der Tuberkuloseimmunit~t dem UmJang und dem Grad der tuberkul6sen Kranlcheitsprozesse parallel lSu/t. Latente Tuberkulosen mit ausgesprochener Tendenz zur t tei lung gehen mit einer geringen, st~ndig weiter absinkenden, dagegen fortschreitende t6dlich verlaufende Tuberkulosen mit einer hohen spezifischen Immuni t~ t einher. Eine virulente Infektion immunisiert starker als eine Vor- behandlung mi~ abgeschw~chten Tuberkelbacilten, eine massige besser als einc geringffigige.

Diese Feststellungen widersprechen tier Weitverbreite~en Anschauung, dab klinisch oder pathologisch-anatomisch er- kannte tteilungsvorg~nge bei der Tuberkulose ohne weiteres ant hohe spezifische Abwehrkr~fte, das scheinbar unaufhalt- same Fortschreiten der Tuberkulose auf ein Fehlen solcher spezifischen KrAfte hinweist; sie machen wahrscheinlich, dab ffir Heilung und Fortschreiten der Tuberknlose, ftir Ent- stehung der Krankhei t aus der Infektion und fiir die Art ihres Verlaufs andere Falctoren yon ausschlaggebender ]3e- deutung sind. Solche Faktoren k6nnen, wie sich aus weiteren

* Vortrag, gehalten aus der Tagung der h~ternationalea Union zur Bek~mpfung der Tuberkulose im I-Iaag i932.

Klinische Wochenschrift, XL Jahrg.

l)berlegungen ergibt, nur die Abwehrkr/ifte sein, tiber die der KSrper zur Zeit der Infektiou und w~thrend ihres Verlaufs yon Natur aus verffigt.

Dafiir spricht auch vor allem die Tatsache, dab bereits der ErstinJektion gegentiber so erhebliche Unterschiede im Verhalten der befallenen Individuen hervortreten. Diese auffallende Erscheinung hat man frfiher in der Hauptsache mit der InJektionsdosis in urs~chliche Verbindung gebracht und angenommen, dab schwache Infektionen fiberwunden werden, starke aber zur Erkrankung ffihren. Nach unseren Untersuchungen spielt aber bei der weitaus h~tufigsten In- fektion des Menschen, der direkten Lungeninfektion, die In- fektionsdosis ffir Ents tehung und Verlauf der tuberkul5sen Erkrankung nut eine ganz untergeordnete Rolle*, es handelt sich bei der direkten Lungeninfektion durch Eina tmung yon ]3acillen so gut wie immer um eine InJectio minima, wie CHAUSSE sie genannt hat, und es k6nnen daher die erw~hnten erheblichen Verschiedenheiten im Verhalten des Menschen der Erstinfektion gegeniiber unm6glich allein oder auch nur in der Hauptsache aus der Infektionsdosis erkl~rt werden, sie mtissen vielmehr in den starken Unterschieden der natfir- lichen individuellen Resistenz begrtindet sein. Wenn dies ffir die Erstinfektion und das Kindesalter giIt, dtirfen wir eiu gleiches ftir das sp~tere Lebensalter und auch fiir Super- infektionen voraussetzen.

Nach Mien Erfahrungen ist die Wirkung spezifischer Abwehrkr~fte beschr~nkt auf die Hemmung des Angehens ueuer Infektioneu im tuberkuloseinfizierten Organismus, sei es, dab diese exogen oder endogen erfolgen. Wenn aueh zu- gegeben werden muB, dab aus einer frischen, im I<Srper haftenden Superinfektion unter sonst gleichen Bedingungen leichter eine fortschreitende tuberkul6se Erkrankung: entsteht, als aus alten, in Abheilung begriffenen Herden, so h~ngt nach dem Gesagten die Entscheidung dariiber, ob be i d e m TrAger der Infektion sich aus den t-Ierden des Erstinfektes oder denen der Superinfektion oder aus beideu eine Krank- heir entwickelf, doch yon der individuellen natfirlichen Resistenz ab.

Wieweit die hier yon mir vorgetragene Auffassung be- rechtigt ist, wird die Forschung der Zukunft zu er?vgisen haben. Ftir die ErSrterung unseres Themas scheint es mir schon yon einer gewissen Bedeutung, dab fiberhaupt heute die t3ehring-R6mersche Theorie der Tuberkulose-Immunit/~t in ihren Konsequenzen ]i~r die Praxis nicht mehr fiberalI an- erkannt wird.

Bei der groBen Schwierigkeit, die erworbene Immuni t s yon der natiirlichen Resistenz bei der Tuberkulose des l~Ien- schen auf Grund ldinischer Beobachtungen abzugrenzen, halte ich auch einen Versueh, ~die ]9eziehungen zwischen ~ber- empfindlichkeit und Immuni t~ t lediglich aus Erfahrungeu der Praxis heraus zu beurteilen, ftir wenig aussichtsvoll. Nach meiner Ansichtc ist bei der Priifung der Frage der Schwerpunkt ant tierexperimentelle Erfahrungen zu legeu. Auf diese Erfahrungen m6chte ich im folgendell n~her ein- gehen.

PIRQUET und auch BEHRING und ROMER haben sehr enge Beziehungen zwischer~ der hyperergisehen Erseheinungs/orm der Allergie und der Immunitgt angenommen.

In der Tat lassen sich wichtige Argumente zugunsteu dieser Annahme einer sehr engen Verkn/ipfung yon ~berempfind- lichkeit und ImmunitS~t anffihren.

* Demgegen/ibcr i s t ft%r die Infektionsh~ufigkeit die 1Vfenge der TuberRelbaeillen in der ~uBeren Umgebung des I~,[ensehen ausschlaggebend:

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Page 2: Die Beziehungen Zwischen Allergie und Immunität bei der Tuberkulose

2o18 I i L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . II. J A I - I R G A N G . Nr . 49 3- DEZEMBER 1932

Es dfirfte heute die Tatsache kaum noch Widerspruch linden, dab eine spezifische Immunit~it nur in eiliem I(6rper entsteht, in dem sich tuberkul6se Herde entwickeln, und auch nut so lange, als diese Herde noch lebende aktive Tuberkel- bacillen enthalten. Auch die ~berempfindlichkeit ist nun augenscheililich, was recht beachtenwert ist, an eine Herd- bildung im Organismus geknfipft.

ROBERT KOCH hat dem Parallelismlis der fJberempfind- lichkeit und der Immunit~it noch nicht die Beachtung ge- schenkt, die ihm sp~iter im besonderen durch PIRg~JET, ROWER lind CALMETTE mit Recbt zuteil geworden ist. iV[an erkannte so erst relativ spXt, dab es yon der gew~hlten Art der Superinfektion abh~ngt, ob die eine oder die andere oder beide Ph~nomene dem Auge sichtbar werdeli. In den ersten Nachprfifungen des bekannten Koehschen Meerschweinchen- versuchs war die Immuni t~ t durch die ~berempfindlichkeit v611ig fiberdeekt, well zur Superiniektion sehr grebe Baeillen- mengen verwandt wurden. ~6MER und HAMBURGER konnten zeigen, dab bei sehr schwacher Superinfektion oft ausschliefi- licit die Immuniti~t sichtbar wird.

In den Versuchen yon CALM~r162 und GUI~RIN an Rindern, von R6M1r an Sehafen, bei denen die Superinfektion intra- venSs ausgeffihrt wurde, sehen wit unmit te lbar nach der In- fektion starke ~berempfindlichkeitserscheinungen, im wei- teren Verlauf bei den infizierten Tieren eine Immuliit/~t, d. h. eine ausgepr~gte Hemmung der ]3ildung tuberkul6sen Ge- webes im K6rper, hervortreten.

Nun gibt es Beobachtungen, die geradezu darauf hin- deuten, dab die ~berempfindlichkeit wenigstens in gewissem Grade ein Immunisierungsvorgang ist. Wit wissen, dab durch- aus analog dem Arthusschen PhXnomen die subcutane oder intracutane Wiederholung der Verimpfung tuberkul6sen Antigens an dem Oft der 1Reinjektion ein Infi l t rat entstehen l~gt, das veto einfachen Odem bis zur Nekrose lind Ulceration alle Uberg~nge zeigt. Nach neueren Forschungen dart die lokale Elitzfindung an der t~einjektionsstelle des Antigens, ob dieses Antigen nun artfremdes Serum, fremde ]31utk6rper- chen oder Bakterien darstellt, als eine Art yon Sehutzvorgang gedeutet werdeli. Dureh die in der Umgebung der 1Reinjek- tionsstelle entstehende Stase des Capillargebietes und das (Ddem des nmgebenden ]3indegewebes wird die Resorption des sch/~dlichen Antigens in dem K6rper gehemmt nnd der K6rper auf diese Weise vet einer verh~ngnisvollen, allzu schnellen ~berschwemmung der inneren Organe mit dem Antigen geschfitzt*. Nun kann man sich vorstellen, dab auch bei der 1Reinjektion yon Tuberkelbacillen durch die entziind- liche l%aktion die Bacillen an ihrer Eintrittsstelle gewisser- maBen fixiert und ihre Ausbreitung im K6rper hintangehalten wird. ALLEN-I(RAUSE und WILLIS konnten nachweisen, dab bei der Superinfektion in der Tat die Ausbreitling der Tuberkel- bacillen im Organismus deutlich gehemmt ist.

Gegen die Experimente yon KRAUSE und WILLIS wie gegen zahlreiche andere Superinfekfionsversuche lXl3t sieh der Einwand erheben, dab die Autoren die Superinfektion mit Bacillenmengen ausgeffihrt haben, die unter den nat~rliehen Bedingungen der exogenen Superinfektion nicht vorkommen. Verwendet man zur Superinfektion des Meersehweinchens eine Infektionsdosis, wie sic bei der direkten Lungeninfekfion des Menschen auf dem Luftwege die l~egel bildet und verimpft die Bacillen intracutan, also an einer Stelle des I~i6rpers, die wir jederzeit genau fibersehen k6nnen, so bleibt, wie dies sehon I?.~SMER und HAMBURGER festgestellt haben, h~ufig ge- nug an der Superinfektionsstelle jede I)berempfindlichkeits- reaktion aus. Trotzdem geht die Superinfektion nachweislich auch bei diesen Tieren nicht an.

* Ob man berechtigt ist, wie dies ALLEN-KRAUSE annimmt, die der exsudativen Phase der 6rtllchen t)-berempfindliehkeit folgende Gewebsneubildung als beschleunigte Preduktion tuberkuI6sen Gewebes anzusehen, erseheint mir zweifelhaft, da wit einer ganz fihnlichen Gewebsneubildtmg h~tufig aueh im Anschlug an Entzfindungsprozesse nicht spezifiseher Art begegnen.

Solche ~3eobachtungen zeigen sehr deutlich, dab der allergische Organismus sich der exogenen Superinfektion er- folgreich erwehren kann, ohne daft im Verlau]e dieser Abwehr eine hyperergische Reaktion dem Auge sichtbar wird.

Flfichtigen, sehwachen ~3berempfindlichkeitsreaktionen an der Superinfektionsstelle, die nur durch histologische Unter- suchung aufzudecken sind, dart man wohl kaum eine Bedeu- tung ffir die Immuni t~ t beimessen.

DaB Immunit i i t lind Tuberlculinemp]indlichkelt dem Grade nach nicht immer parallel gehen, seheint mir sicher zu sein. Beispielsweise sehen wir trotz fortschreitender Tuberkulose und damit verbundenen Anstiegs der Immunit~it ziemlich h~ufig eine gewisse Abstumpfung der iJberempfindlichkeit gegen Tuberkulin eintreten, die durch kfinstliche Applikation yon Tuberkulin gef6rdert werden kann. Interkurrente In- fektionskrankheiten heben bei den tnberkul6s-allergischen Menschen lind Tieren mitunter die Tuberkulinempfindlichkeit der Haut v611ig ant; dab sie imstande sind, gleichzeitig die Immunit~Lt herabzusetzen, hat bisher nicht nacbgewiesen werden kSnnen. In gleicher Weise infizierte Tiere, die bei der Prfifung auf Immunit~it Unterschiede nicht erkennen lassen, zeigen sich ferner in verschiedenem Grade iiberempfindlich. Endlich m6chte ich noch hinweisen auf die ~lberempfindlich- keit der Haut, die sich beim Meerschweinchen mit abget6teten Tuberkelbacillen erzeugen l~iBt. Solche gegenfiber intra- cutaner Tuberkulininjektion hochempfindliche Tiere weisen manchmal keine Spur yon Immunit~it auf.

Im groBen lind ganzen ist es aber doch recht schwierig, wegen der Unvollkommenheit unserer Prfifungsmethoden nnd bei der Verschiedenartigkeit der hyperergischen und anergischen Phanomene fiber Kongruenz und Inkongruenz der l~berempfindlichkeit und der Immunit~it sich ein Urteil zu bilden. Vor allem muB es bedellklich erscheinen, als MaB- stab ffir die erworbene iJberempfindlichkeit allein die Tuber- kulinempfindlichkeit anzusehen, da, wie wir wissen, diese fehlen kann in F~llen, in denen eine l'_'lberempfilidlichkeit gegen- fiber abget6teten oder lebenden Bacillen nachweisbar ist.

Zusammen]assung: I. Line K1Arung der Beziehungen zwischen l~berelrtpfindlichkeit und Immuni t~ t ist kaum zu erwarten, solange, wie dies heute vielfaeh geschieht, des tuberkul6se Krankheitsgeschehen einseitig linter dem Ge- sichtspunkt erworbener Immunit5t betrachtet nnd die spezi- fisehe Immunit~it yon der natfirliehen Resistenz in nieht aus- reichender Weise abgegrenzt wird.

2. Viele Erfahrungen sprechen daffir, dab die nati~rlichen Schutzvorrichtungen des Organismus ffir Ents tehung und Ver- lauf der Tuberkulose eine weir gr6Bere Bedeutung haben, als die erworbenen spezifischen Abwehrkriifte.

3. Nach den gesamten vorliegenden tierexpefimentellen Beobachtungen t r i t t die Allergie in zweifaeher Form in Er- scheinung: erstens als ~beremp]indllchkeit (Hyperergie), zweitens als Unemp]indllchkeit (Anergie).

4. Die Anergie, d. h. die Hemmulig der spezifischen Granulombildung, ist in erster Linie als Immunitiitserschei- hung zu bewerten, es spreehen aber eine Reihe yon Erfah- rungen daffir, dab auch die hyperergischen Real~tionen, d. tl. die l~berempfindlichkeit gegen Tuberkelbacillen und ihre Pro- dukte wenigstens teilweise der Abwehr des Erregerangriffs zu- gute kommen.

5. Aus dem oft zu beobaehtenden Paraltelismus zwischen lJberempfindlichkeit und Immunit~it dart auf einen engen Zu- sammenhang zwischen beiden Reaktionsweisen des allergischen Organismus geschlossen werden. Dieser Zusammenhangis t aber offenbar nicht ein derartiger, dab die Immunit~it etwa aus- schliel31ich oder auch nur in der Hauptsache yon der jeweils erreichten ~lberempfindlichkeit des KSrpers urs~ichlich abh~tngt.

6. Line Kl~irung der Beziehungen zwischen 13berempfind- lichkMt und Immunit i i t bei der Tuberkulose wird erst m6glich sein, wenn wir in das Wesen jedes der beiden Ph~inomene einen besseren Einblick gewonnen haben, als dies heute der Fall ist.