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Die Beziehungen zwischen Siam und Vietnam im Spiegel des Dai Nam Thu'c Luc (tien bien und chinh bien de nhat ky) Von Klaus Rosenberg (Hamburg) I. Die Geschichte der Beziehungen zwischen Siam (heute: Thailand) und Vietnam, den neben Burma mächtigsten Staaten des südostasiatischen Fest- landes in neuerer Zeit, ist bisher fast nur in allgemeineren historischen Werken über diese beiden Länder behandelt worden 1 Die einzige mono- graphische Untersuchung zu dem Thema ist- soweit dem Verf. bekannt- TRANOM A NARMWAT' s Khuäm samphan rawäng thai khamen yüon nai samai ratanakösin tpn ton (Die Beziehungen zwischen Thai, Khmer und Vietname- sen in der frühen Bangkok-Epoche) 2 , eine Arbeit , die sich vor allem durch die reiche Verwendung bisher unveröffentlichten handschriftlichen Quellen- materials in Thai auszeichnet. Demgegenüber ist in dieser Studie keinerlei historisches Material vietnamesischer Provenienz verwendet worden, wie es zum Wohle einer umfassenden und objektiven Darstellung sicherlich wünschenswert gewesen wäre 3 Auf diesen Mangel hat bereits D. P. Chand- ler in einer, im übrigen positiven, Rezension von Anarmwat's Buch hinge- wiesen und dabei angeregt, für eine spätere Fassung die in modernes Viet- namesisch übersetzten Annalen der - Dc;ti Nam Th't,rc L1,1c Chinh Bien- mit ihren wertvollen Informationen zu dem behandelten Gegenstand mitheranzuziehen 4 1 So z. B. aus vietnamesiscber Si.cbt in CHARLES B. MAYBON, Histoire moderne du pays d' Annam (1592-1820}, Paris 1919; LE THANH KHOI, Le Viet-Nam, Histoire et Civilisation, Paris 1955; aus thailändiscber Siebt: JIRI STRANSKY, Die Wiedervereini- gung Thailands unter Taksin 1767-1782, Harnburg 1973 (Kap. V.); KLAus WENK, The Restauration ofThailand under Rama I 1782-1809, Tucson/Arizona 1968 (Kap. V); WALTER F. VELLA, Siam under Rama III 1824-1851, Locust Valley/New York 1957 (Kap. VII u. VIII); s. aucb Amli:MAR LEcLERE, Histoire du Cambodge, Paris 1914. 2 THANoM ANARMWAT, Khuäm samphan rawäng thai khamen yüon nai samai rata- nakösin tpn ton, Bangkok 2515 (1972). 3 ANARMWAT zitiert jedoch mehrfach aus NAI YQNG, Phongsäwadän Yüon (o. 0 ., 2509 [1966]), einer Geschichte Vietnams, die ein Vietnamese namens YQng um die Jahrhundertwende aus dem Vietnamesiscben ins Thai übersetzte und die der thai- ländische Publizist und Scbrütsteller Thien Wan (T. W. S. Wannäphö} anschließend und in einigen inhaltlieben Details überarbeitete (NAI YQNG, Phongsäwa- dan Yuon, Nachwort, 864 f). Die Quelle oder die Quellen dieses Werkes sind nicht bekannt, docb enthält es - wie im Laufe der vorliegenden Untersuchung festgestellt werden konnte- einige Siam betreffende Stellen, die bis in Einzelheiten genau mit entsprechenden Stellen aus den hier betrachteten vietnamesiscben Annalen (Dai Neun Thr,rc L1,1c) übereinstimmen, was darauf hindeutet, daß diese Annalen für die A?fassung des vietnamesiscben Originals des Phongsäwadän Yüon von NAI YQNG worden sind . . DAVID P. CHANDLER: Thanom Anarmwat, Relations between the Thai , Khmer and 3 VJetnamese in the Early Bangkok Perlod, in Journal of the Siam Society LX/2 (1972), 11-313 (bes. S. 313). 87

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Die Beziehungen zwischen Siam und Vietnam im Spiegel des Dai Nam Thu'c Luc (tien bien und chinh

bien de nhat ky)

Von Klaus Rosenberg (Hamburg)

I.

Die Geschichte der Beziehungen zwischen Siam (heute: Thailand) und Vietnam, den neben Burma mächtigsten Staaten des südostasiatischen Fest­landes in neuerer Zeit, ist bisher fast nur in allgemeineren historischen Werken über diese beiden Länder behandelt worden 1• Die einzige mono­graphische Untersuchung zu dem Thema ist- soweit dem Verf. bekannt­TRANOM A NARMWAT's Khuäm samphan rawäng thai khamen yüon nai samai ratanakösin tpn ton (Die Beziehungen zwischen Thai, Khmer und Vietname­sen in der frühen Bangkok-Epoche) 2, eine Arbeit, die sich vor allem durch die reiche Verwendung bisher unveröffentlichten handschriftlichen Quellen­materials in Thai auszeichnet. Demgegenüber ist in dieser Studie keinerlei historisches Material vietnamesischer Provenienz verwendet worden, wie es zum Wohle einer umfassenden und objektiven Darstellung sicherlich wünschenswert gewesen wäre 3• Auf diesen Mangel hat bereits D. P. Chand­ler in einer, im übrigen positiven, Rezension von Anarmwat's Buch hinge­wiesen und dabei angeregt, für eine spätere Fassung die in modernes Viet­namesisch übersetzten Annalen der Nguy~n - Dc;ti Nam Th't,rc L1,1c Chinh Bien- mit ihren wertvollen Informationen zu dem behandelten Gegenstand mitheranzuziehen 4•

1 So z. B. aus vietnamesiscber Si.cbt in CHARLES B. MAYBON, Histoire moderne du pays d'Annam (1592-1820}, Paris 1919; LE THANH KHOI, Le Viet-Nam, Histoire et Civilisation, Paris 1955; aus thailändiscber Siebt: JIRI STRANSKY, Die Wiedervereini­gung Thailands unter Taksin 1767-1782, Harnburg 1973 (Kap. V.); KLAus WENK, The Restauration ofThailand under Rama I 1782-1809, Tucson/Arizona 1968 (Kap. V); WALTER F. VELLA, Siam under Rama III 1824-1851, Locust Valley/New York 1957 (Kap. VII u. VIII); s. aucb Amli:MAR LEcLERE, Histoire du Cambodge, Paris 1914.

2 THANoM ANARMWAT, Khuäm samphan rawäng thai khamen yüon nai samai rata­nakösin tpn ton, Bangkok 2515 (1972).

3 ANARMWAT zitiert jedoch mehrfach aus NAI YQNG, Phongsäwadän Yüon (o. 0 ., 2509 [1966]), einer Geschichte Vietnams, die ein Vietnamese namens YQng um die Jahrhundertwende aus dem Vietnamesiscben ins Thai übersetzte und die der thai­ländische Publizist und Scbrütsteller Thien Wan (T. W. S. Wannäphö} anschließend s~rach!:_ich und in einigen inhaltlieben Details überarbeitete (NAI YQNG, Phongsäwa­dan Yuon, Nachwort, 864 f). Die Quelle oder die Quellen dieses Werkes sind nicht bekannt, docb enthält es - wie im Laufe der vorliegenden Untersuchung festgestellt werden konnte- einige Siam betreffende Stellen, die bis in Einzelheiten genau mit entsprechenden Stellen aus den hier betrachteten vietnamesiscben Annalen (Dai Neun Thr,rc L1,1c) übereinstimmen, was darauf hindeutet, daß diese Annalen für die A?fassung des vietnamesiscben Originals des Phongsäwadän Yüon von NAI YQNG m~therangezogen worden sind .

. DAVID P. CHANDLER: Thanom Anarmwat, Relations between the Thai, Khmer and

3VJetnamese in the Early Bangkok Perlod, in Journal of the Siam Society LX/2 (1972), 11-313 (bes. S. 313).

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Die Nguyen, von deren Annalen hier die Rede ist, waren ursprünglich ein vietnamesisches Mandarinengeschlecht, das sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts ein weite Teile des heutigen Mittel- und Südvietnam um­fassendes Herrschaftsgebiet- Codünchina- geschaffen hatten 5• Obwohl die Nguyen formal die Oberherrschaft des vietnamesischen Kaisers in Tong­king (Nordvietnam) anerkannten, regierten sie faktisch unabhängig über ihr Fürstentum. Unter ihnen vollzog sich die historisch so bedeutsame Expansion der Vietnamesen in südlicher Richtung bis in das fruchtbare Deltagebiet des Mekhong. Im Jahre 1802 gelang es dem Nguyen-Sproß Phuc Anh (Nguyen­Anh) nach langwierigen Kämpfen das gesamte Vietnam von Tongking bis zum Golf von Siam unter seiner Herrschaft zu vereinigen. Als Gia-long begründete er die neue vietnamesische Kaiserdynastie von Hue, die mit dem 1945 gestürzten Bao-I>~i endete.

Die Kompilation der Annalen (th~;rc-ll,l.c) des Nguyen-Geschlechts wurde auf Veranlassung von Gia-long's Sohn und Nachfolger, Kaiser Minh-m~ng (1820--41), im Jahre 1821 begonnen und unter den folgenden Herrschern fortgesetzt 8. Für den von ihnen behandelten Zeitraum sind die th~;rc-ll,l.c die wohl wichtigste einheimische Quelle der vietnamesischen Geschichte. Ihr erster, zwölf "Bändeu (quy~n) umfassender Teil setzt in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein und berichtet von den Vorfahren Nguyen-Anh/Gia­long's, die unter dem Titel "chua• ("Fürst") Cochinchina regierten. Dieses im Jahre 1844 abgeschlossene Werk trägt die Bezeichnung Dc;zi Nam Th~;rc

L1,1c tien bJen (Annalen von Groß-Vietnam, Präliminar-Teil). Der hieran ans<hließende von Nguyen-Anh/Gia-long selbst handelnde Teil (von 1778 bis 1820) wurde im Jahre 1848 fertiggestellt, umfaßt 60 quy~n und wird als Dc;z.i Nam Th~;rc Ll,lc chinh bien c1~ nhdt ky (Annalen von Groß-Vietnam, Haupt­teil, Erste Serie) bezeichnet. Es sind diese beiden ersten Teile des Dc;zi Nam

Th~;rc Ll,l.C, die im folgenden daraufhin untersucht werden sollen, wie sich in ihnen Vietnams Beziehungen zu "Xiem-la" (Siam) darstellen 7• Dabei werden die Angaben der vietnamesis<hen Quelle wenn möglich den entsprechenden der thailändischen Annalen (phongsäwadän) gegenübergestellt werden, um

1 Hierzu s. besonders MAYBON, a. a. 0., Kap. I u. m sowie LE THANH KHoi, a . a. 0 ., Kap. VI. - Zu den Bezeidmungen Cochinchina und Tangking für die beiden damals existierenden vietnamesischen Teilreiche s. Vu DUY-Tu, Uber die historischen Landesbezeichnungen Vietnams, in Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens/Harnburg Nr. 105 (1969). S. 41 ff.

' s. L. CADIER u. P . PELLIOT, Premiere etude sur Jes sources annamites de l'histoire d'Annam, in Bulletin de l'Ecole Fran~aise d'Extreme Orient IV (1904), 617-671, bes. S. 637 f; sowie A. B. WoonsmE, Vietnam and the ChineseModel-A comparative study of Nguyen and Ch'ing Civil Gouvernment in the firsthalf of the nineteenth century, Cambridge/Mass. 1971, S. 323 f.

7 Die hierzu herangezogene Ausgabe der Annalen - eine vietnamesische Uber­setzung des chinesischen Originals- stammt von dem nordvietnamesischen Verla~­haus Nha. xuät ban sü- hQc und umfaßt vier Bände: Bd. I: Dq.i Nam Thr,rc L1,1c t1 IJ bien (12 quy~n), Hanoi 1962; Bd. ll, III, IV; Dq.i Nam Thr,rc L1,1c chinh bien d~ ~Mt .kY 1 (quy~n 1-15), 2 (quy~n 16-36), 3 (quy~n 37-60), alle Hanoi 1963; der T1tel der Annalen wird im folgenden als fJNThL abgekürzt werden. - Es sei hier darauf hingewiesen, daß diese Annalen in ihrem Vorwort nidlt als Dq.i Nam Thr,r~ L1,1c, sondern als Li~t Thcinh Thr,rc L1,1c (Annalen der hervorragenden Kaiser) bezelChnet werden.

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so festzustellen, wieweit die historischen Oberlieferungen beider Länder sidl hinsichtlich ihres Verhältnisses zueinander bestätigen, ergänzen oder audl widersprechen. Auf diese Weise soll versucht werden, einen Beitrag zur weiteren Aufhellung eines nicht unbedeutenden Kapitels der Geschichte Südostasiens zu leisten.

Allgemein gesprochen ist die Geschichte der Beziehungen zwischen Siam und Vietnam die Geschichte einer Rivalität zweier etwa gleichstarker Mächte, die ihren Ursprung in dem jahrhundertelang anhaltenden Expan­sionsdrang beider Seiten hatte. -Während die Thai sich in der Mitte der südostasiatischen Halbinsel von Norden nach Süden hin ausbreiteten, dehn­ten die Vietnamesen ihre Machtsphäre an deren Ostrand in derselben Rich­tung aus. Dabei mußten beide früher oder später mit den Khmer in Konflikt geraten, deren Reich zu Zeiten seiner größten Ausdehnung im 12./13. Jahr­hundert über das Staatsgebiet der heutigen Khmer-Republik (Kambodscha) hinaus weite Teile Zentral- und Nordost-Thailands sowie den Süden des heutigen Südvietnam umfaßte.

Die Thai am mittleren Mänam befreiten sich in der Mitte des 13. Jahr­hunderts von der Oberherrschaft der Khmer, gründeten das Reich von Sukhöthai und verheerten bereits im Jahre 1296 in einem Kriegszug unter König Ramkamhäng das Khmer-Reich 8• Im Laufe der auf die Sukhöthai­Epoche folgenden Ayuthayä-Zeit (135~1767) gerieten die Khmer immer stärker unter den Einfluß Siams, wenn sie auch bei sich bietender Gelegenheit immer wieder versuchten, dessen Oberherrschaft abzuschütteln 11.- Die Viet­namesen begannen unter den Nguyen-Fürsten um die Mitte des 17. Jahrhun­derts ihre Macht auf Kambodscha auszudehnen. Dies führte zwangsläufig zur Konfrontation mit den Thai, die ihre alten Ansprüche auf dieses König­reim in Frage gestellt sahen.

Die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in Kambodsdla ist das blei­bende Grundmotiv der Gesdlichte der siamesisdl-vietnamesisdlen Bezie­hungen.

II. Dem DNThL zufolge gelang es den Nguyen erstmals im Jahre 1658, einen

kambodschanisdlen König zur Anerkennung des Vasallenverhältnisses und der Tributpflidltigkeit gegenüber Codlinchina zu zwingen 10• Im neunten

8 s. GEORGES CoEots, The Indianized States of Southeast Asia, Honolulu/Hawai, 1968, s. 205.

1 s. hierzu vor allem W. A. R. Wooo, A History of Siam, Bangkok 1959, pass. 10

DNThL I, 98. - Ein großer Teil der Siam - und Kambodsdla - betreffenden Stellen des DNThL findet sich - zuweilen mit geringfügigen Abweichungen - in ~em Werk Gia-Dinh-Thung-Chi wieder, einer Geschichte und Beschreibung des süd­h~en Cochinchina, verfaßt von einem vietnamesis<hen Mandarin unter Kaiser ~nh~.~~g in chinesis<her Spradle. Für die vorliegende Untersu<hung wurde die ~nz~siSche Ubersetzung dieses Werkes von G. AuBARET (Gia-Dinh-Thung-Chi,

~Istoiie et description de Ja Basse-Cochinchine, Paris 1863, republished by Gregg nternational, Westmead, Farnborough, Hants., England 1969) herangezogen, um

auf Parallelstellen dieser Art hinzuweisen. Allerdings wei<hen die meisten Jahres­angaben in dieser Ubersetzung aufgrund eines Umrechnungsfehlers von den ent­~redlenden Angaben im VNThL um ein Jahr na<h oben ab. - Die vorliegende ~lle aus dem DNThL findet sid::J. ähnli<h bei AuBARET, a. a. 0., 2. - Vgl. auch

YBON, a. a. 0., 116; LE THANH Kao1, a. a. 0., 266; LECLERE, a. a. 0 ., 351.

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Monat dieses Jahres, s'o heißt es in den Annalen, machte sich der kambod­schanische König N~c Ong Chan (Chant) einer Grenzverletzung schuldig, woraufhin der chua eine militärische Vergeltungsaktion anordnete. Sie führte zur Gefangennahme N~c Ong Chän's, der nach Cochinchina und vor den chua gebracht wurde. Der jedoch "verzieh ihm und ließ ihn in seine Heimat zurückgeleiten; er (der chua) machte ihn zum Vasallen, ließ ihn jähr­lich Tribut schicken".

Dieser in der Gefangennahme des kambodschanischen Königs gipfelnde kambodsdlanisdl-vietnamesische Konflikt ist audl in den thailändischen Chroniken der Ayuthayä-Zeit überliefertlt, was bezeugt, daß man in Siam die Vorgänge in Kambodscha und die Rolle der Vietnamesen dabei von Anfang an mit Aufmerksamkeit verfolgte ua.

11 Phra rätchaphongsäwadän chabap phra rätchahatlekhä, Bangkok 2505 (1962) , phäk cop, 46; Phra rätchaphongsäwadän krung St Ayuthayä chabap Phancanthanu­mät, Bangkok 2479 (1936) (Bd. 64 der Reihe Priichum Phongsäwadän), 345 f; Phra rätchaphongsäwadän krung kau chabap phra cakraphatphong, Bangkak 2502 (1959) , 375. Diesen thailändischen Chroniken zufolge war die Ursache des cochinchinesisch­kambodschanischen Krieges im Jahre 1658 ein Streit zwischen dem kambodschani­schen König Chant und seinem jüngeren Bruder, der die Vietnamesen zu seiner Unterstützung ins Land rief. Auch in der kambodschanischen Königschronik wird von dem hier betrachteten militärischen Konflikt zwischen Kambodscha und Cochin­china berichtet (Rätchaphongsäwadän krung Kamphütchä, Bangkok 2513 (1970), 104f; bei diesem Werk handelt es sich um eine thailändische Ubersetzung der kambod­schanischen Chronik; eine hiervon teilweise -doch meist nur im Wortlaut- ab­weichende zweite Version der thailändischen Ubersetzung der kambodschanischen Chronik - allerdings einen kürzeren Zeitraum umfassend - findet sich unter dem Titel Phongsäwadän Khamen [in Teil 1 der Reihe Priichum Phongsäwadän- Bang­kok 2506 (1963) Bd. I, S. 188--307]. Diese wiederum stimmt mit der französischen Ubersetzung der kambodschanischen Chronik von F. GRANIER überein (Chronique Royale du Cambodge, 1. Teil in Journal Asiatique, sixieme serie, t. 18 (1871), S. 336-385, 2. Teil in t. 20 (1872), S. 112-144; diese französische Ubersetzung hat jedoch den Nachteil, daß sie eine von dem Jahr 1739 bis zum Jahr 1785 reichende Lücke aufweist, die auf die Unvollständigkeit der zugrundegelegten Handschrift zurück­zuführen ist) . Hier heißt es, daß die Mutter des Königs, eine Vietnamesin, die co­chinchinesische Armee ins Land gerufen hatte. - Obereinstimmend berichten jedoch thailändische wie kambodschanische Chroniken, daß der nach Cochinchina verbrachte kambodschanische König starb, bevor er die Regierung in seinem Lande wieder übernehmen konnte.- Im Jahre 1659- so die kambodschanische Chronik- wurde eine vietnamesische Armee von kambodschanischen Truppen zum Rückzug nach Cochinchina gezwungen. So knapp diese Informationen auch sein mögen, deuten sie doch daraufhin, daß es den Vietnamesen dieses Mal noch nicht gelang, dauernden Einfluß auf Kambodscha zu gewinnen.

In einer weiteren Version der kambodschanischen Chronik (in J . MouRA, Le ro­yaume du Cambodge, Paris 1883 (2 Bde.), 2. Bd. 3-185) heißt es (S. 61 f), Si.am ~abe aufgrunddes militärischen Eingreifens von Cochinchina in Kambodscha- m dteser Quelle abweichend von den anderen in das Jahr 1654 verlegt- um seine e.ige~en Interessen dort gefürchtet und habe daher eine Gesandtschaft in das mit Cochmch~a verfeindete nordvietnamesische Reich von Tangking geschickt, um mit dies~m ~me Allianz gegen die Nguy~n zu schließen. Es bleibt offen, welches Ergebrus diese Mission hatte. Das hier geschilderte Verhalten Siams erscheint zwar politisch f_olge­richtig, doch gibt es in den thailändischen Chroniken keinerlei Bestä~igun~ ~af~~

ua Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß d1e ~ailan~~s~ .e Chronik der Ayuthayä-Zeit bereits unter dem Jahr 1535 erstmals von emer mlhtan­schen Kampagne der Vietnamesen gegen Kambodscha berichtet (Phrli rätdtaphor~y­säwadän chabap phrli rätdtahatlekhä, 127 f.). Nachdem es ihnen gelungen war, _e kambodschanische Hauptstadt Lovek zu erobern, schickte der König von Siam (M~a­cakraphat) eine Armee nach Kambodscha, um sie von dort zu vertreiben. In emer

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Die erste Erwähnung Siams im DNThL fällt in das Jah~ 1674 12• Wenn es ~ich hierbei auch nicht um eine Konfrontation oder Kontaktaufnahme zwi­schen Cochinchina und Siam handelt, so ist diese Stelle doch bezeichnend für das künftige Verhältnis zwischen den beiden Ländern. Hier nämlich deutet sich erstmals der vietnamesisch-siamesische Streit um die Vorherrschaft in Kambodscha an, in dessen Verlauf es immer wieder zu der Konstellation kam, daß sich in Kambodscha selbst zwei feindliche Parteien gegenüber­standen, von denen die eine bei den Vietnamesen, die andere bei Siam An­lehnung sudlte. Laut DNThL war es der kambodschanische Prinz N~c 0 Dai (Prea Outey}, der im Jahre 1674 eine Rebellion gegen König N~c NQn (Non) anzettelte und dazu von Siam Unterstützung erbat. Auenließ er das Gerücht verbreiten, siamesisdles Militär sei bereits im Anmarsdl, um König Non wegen Befehlsverweigerung zur Redleuschaft zu ziehen 18• Non floh darauf­hin auf codlinchinesisches Gebiet und der chua schickte eine Armee zum Kampf gegen Outey nadl Kambodscha. Der Aufrührer wurde besiegt und starb auf der Flucht vor den Vietnamesen. Das Ergebnis dieses Konflikts war eine Festigung der Stellung des chua in Kambodscha: Er machte den kambodschanischen Prinzen N~c Thu zum König mit Long-uc (Oudong) als Hauptstadt und setzte Non als zweiten König mit Saigon als Residenz ein. Beide wurden zu jährlichen Tributsendungen an den chua verpflichtet tsa.

Obwohl die Vietnamesen hiermit massiv in die Interessensphäre Siams eingegriffen hatten und so der Keim zu Konflikten gelegt war, scheint das Verhältnis zwischen ihnen zunächst davon nicht ernstlidl belastet worden zu sein. Hierauf deutet nicht nur, daß ihre Annalen und Chroniken in dieser Zeit von keinerlei Feindseligkeit zwischen ihnen berichten, sondern im besonderen die im DNThL überlieferte Tatsache, daß im Jahre 1702 eine mit dem Schiff reisende siamesische Gesandtschaft nadl China, die vor einem Sturm in einem Hafen Cochinchinas Schutz gesucht hatte, von den Vietna­mesen mit Lebensmitteln versorgt wurde und dafür zwei Chinesen, die beim chua zur Audienz gewesen waren, mit in ihre Heimat zurücknahm 14•

Schlacht mit den Vietnamesen mußte diese jedoch eine Niederlage hinnehmen, und das Vorhaben scheiterte. -Die kambodschanische Chronik berichtet zwar von die­s:m KI!egszug Siams nach Kambodscha (Phongsäwadän Khamen, 197; Rätdtaphong­sawadan krung Kamphütdtä, 86 f), erwähnt aber nichts von der Eroberung Loveks t.~u~ die Vietnamesen, so daß Zweifel an der Korrektheit dieser Angabe der thai-andischen Annalen angebracht erscheinen.

12 DNThL I, 122; vgl. Rätchaphongsäwadän krung Kamphütchä, 106 f sowie MoURA,

a. a. 0 ., 64 . • 13

Die Tatsache, daß von alledem in den thailändischen Chroniken nichts erwähnt w;~~· deu!et daraufhin, daß dieses Gerücht 1eder Grundlage entbehrte.

S. hterzu auch LECLERE, a. a. 0 ., 335; MAYBON, a. a. 0 ., 117ff u. LE THANH Kam, a. a .. 0 .,. 266. - Trotz der Tributpflichtigkeit Kambodschas gegenüber dem chua :emt Stam seinen politischen Einfluß in diesem Land nicht völlig verloren zu haben.

_er_auf deutet die Tatsache, daß der kambodschanische König im Jahre 1697 dem ~~g von A.Y:uthayä (Phra Pheträtchä) einen der seltenen und im indischen Kultur­-ets als heilig verehrten "weißen • Elefanten als Geschenk übersandte (s. Phra ~~chaphongsäwadän dzabap phra rätchahatlekhä, 149 f, wo zu diesem Ereignis die

221 resza_hl <?· S. 1053 (A. D. 1691) angegeben wird, die jedoch mit Wooo- a. a . 0., 14 -DWIN e hier geschehen in 1697 zu korrigieren ist).

ThL 1,158.

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Drei Jahre später jedoch (1705) führte der siamesisch-cochinchinesisdle Interessenkonflikt in bezug auf Kambodscha erstmals zur bewaffneten Aus­einandersetzung: Derkambodschanische König N~c Tham (Prea Srey Tho­mea) hatte seinen Schwager N~c Yem {Ern), den Sohn Non's des Verrats verdächtigt und - mit siamesischer Unterstützung - seine Truppen zum Kampf gegen ihn geführt. Y em floh nach Gia-dinh und bat um Hilfe. Der chua schickte daraufhin eine Armee, die bei Säm-khe auf siamesische Trup­pen traf und sie vernichtend schlug. N~c Tham und sein jüngerer Bruder flohen nach Siam, während N~c Y em in Oudong den Thron bestieg 15•

Der Konflikt war hiermit jedoch noch nicht beendet. Im Jahre 1711 kehrte N~c Tham aus Siam nach Kambodscha zurück und nahm seinen Kampf gegen N~c Yem wieder auf18• Nach wechselvollen Kämpfen, in denen N~c Yem von Cochinchina Truppenunterstützung erhielt, wurde N~c Tham im Jahre 1715 ein zweites Mal zur Flucht gezwungen 17• Doch bereits einen Monat später erschien er wieder auf dem Plan 18, dieses Mal begleitet von siamesi­schen Truppen, mit denen er Ha-tien, den am weitesten nach Westen vorge­schobenen Stützpunkt des cochinchinesischen Herrschaftsgebietes an der kambodschanisdlen Grenze 19, eroberte. Er begnügte sich damit die Stadt zu plündern, unternahm jedoch nichts, um sie zu halten, so daß nach seinem Fortgang der Statthalter von Ha-tien, M~c-Cti'u, der beim Angriff der sia­mesischen Truppen geflohen war, sie wieder in Besitz nehmen konnte 20 •

In diesem Zusammenhang verschweigt das f>NThL völlig den Erfolg, den eine zweite, gegen Oudong marschierende siamesische Armee erzielte!1:

15 ibid., 162 f; vgl. hierzu auch LECLERE, a. a. 0., 369 f; LE THANH KHOI, a. a. 0., 268 f. u. MAYBON, a. a. 0 ., 123 ff.- Die thailändischen Annalen melden nichts über diese Ereignisse, was die Annahme nahelegt, daß das militärische Engagement Siams in diesem Konflikt nicht allzu stark war.

11 DNThL I, 174. 17 ibid., 180. 18 ibid., 181. 11 Die Grenzmark von Ha-tien war die Gründung eines Chinesen namens Meou

Kieu (vietn. M~c-Crru), der gegen Ende des 17. Jahrhunderts vor den Ts'ing aus seiner Heimat Kouang-Tong emigriert war. Im Jahre 1708 unterstellte er sich dem chua, der ihn zum Gouverneur von Ha-tü~n ernannte (s. hierzu MAnoN, a. a. 0 ., 122 sowie LE THANH KIIOI, a. a. 0 ., 268).

!0 In Abweichung von dieser Darstellung des DNThL heißt es in den thailändi­schen Chroniken (Phrif rätchaphongsäwadän chabap phrif rätchahatlekhä, 191 f; Phrif rätchaphongsäwadän krung Si Ayuthayä chabap Phancanthanumät, 397), ~aß die mit Sd:tiffstruppen unternommene Kampagne gegen Ha-tien den Siamesen eme Niederlage einbrachte. Dies wird auch durch den zeitgenössischen Bericht des eng­lischen Reisenden A. Hamilton bestätigt (s. hierzu MAYBoN, a. a. 0., 124, bes. ~· 4) . Auch die kambodschanische Chronik (Phongsäwadän khamen, 222) spricht vo~ emem Rückzug der siamesischen Truppen, nachdem eine ihrer großen Barken zerstort wor­den war; s. auch MoURA, a. a. 0., 72.

11 Phrif rätchaphongsäwadän chabap phra rätchahatlekhä, 195; Phra rätchaphong­säwadän krung Si Ayuthayä dlabap Phancanthanumät, 397. Auch die kambod~~a­nische Königsd:tronik erwähnt die Unterwerfung des kambodschanischen Korugs unter siamesische Oberherrschaft (Phongsäwadän Khamen, 222). Abweichend vom DNThL geben die beiden thailäodischen Chroniken als Jahr der hier betrachteten Kampagne gegen Kambodscha 1711 bzw. 1119. Diese Datierung läßt sich nicht auf­rechterhaltungund ist auf die bekannte Fehlerhaftigkeit nahezu aller Jah~esanga~ in den gen. thailäodischen Chroniken der Ayuthayä-Zeit- beginnend nnt dem J oik 1370- zurückzuführen (s. Wooo, a. a. 0 ., 24). -Die kambodschanische Chro 8 nennt als Datum für den siamesischen Kriegszug gegen Kambodscha das Jahr 1717/1 ·

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Nachdem diese den von den codlinchinesismen Hilfstruppen unterstützen kambodschanischen König in mehreren Schiamten besiegt hatte, erklärte sich der zur Anerkennung der siamesismen Oberherrsmaft bereit und über­sandte Vasallentribut in Form der traditionellen Gold- und Silberblumen nach Ayuthayä.

Es läßt sim aber aum dem VNThL mit hinreimender Deutlidlkeit soviel entnehmen, daß Siam nimt länger gewillt war, den wachsenden Einfluß Cochinchinas auf Kambodsma tatenlos hinzunehmen, sondern ihm nunmehr entschiedenen militärischen Widerstand entgegensetzte. Die vietnamesi­schen Annalen enthalten jedoch einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, daß Siam dabeidarangelegen war, sein Streben nach politischer Macht in Kam­bodscha nicht zu einer großen militärischen Konfrontation mit Cochinchina ausufern zu lassen: Im Jahre des siamesisch·en Angriffs auf Ha-tien, so wird im DNThL berichtet 22, traf beim chua ein Brief der Siamesen ein, in dem der Einmarsch der siamesischen Truppen in Kambodsma begründet wurde, und zwar damit, daß N~c Yem Unruhe im Lande gestiftet habe. Damit betonte der siamesische König - Thäi Sä (1709-33) - dem chua gegenüber zwar die Position seines Landes als eine Art Schutzmacht Kambodschas, doch zielte sein Schreiben ebenso deutlim erkennbar auch darauf ab, den cluia zu beruhigen und den nicht allzu fern liegenden Verdacht zu zerstreuen, Siam strebe die alleinige Oberherrsmaft über Kambodscha an. Allein in der Tatsache, daß Siam sein militärisches Vorgehen gegen N~c Yem Cochin­china gegenüber gleichsam rechtfertigte, lag bereits eine direkte Aller­china gegenüber gleichsam rechtfertigte, lag bereits eine indirekte Aner­der Siamesen, die sich nach ihren militärischen Erfolgen mit der Unterwer­fung N~c Yem's begnügten und nicht etwa versuchten, ihren eigenen Protege N~c Thäm auf den kambodschanischen Thron zu setzen, darf als Bestätigung ihrer auf Ausgleich mit den Nguyen ausgerichteten Haltung aufgefaßt wer­den. Eine derartige Bereitschaft zum Kompromiß hinsichtlich Kambodschas bildete - wie man sehen wird - wiederholt die Grundlage der Vietnam­politik siamesischer Könige.

Bereits für das Jahr 1748 aber meldete das VNThL neue Verwicklungen zwischen Siam und Cochinchina wegen Kambodschasu. In diesem Jahr starb N~c Thäm, der im Jahre 1738 aus Siam kommend König N~c Tha (Prea Sotha), den Sohn und Nachfolger N~c Yem's, gestürzt und den kambodscha­nischen Thron an sich gerissen hatte. Unmittelbar nach seinem Tod brach unter seinen drei Söhnen ein Streit um die Nachfolge aus. Diese Situation nutzen die Vietnamesen um Nac Tha der im Jahre 1738 zu ihnen geflohen war, mit Waffengewalt ~eder i~ seini.and zurückzubringen. Doch bereits im sechsten Monat des Jahres 1748 gelang es N~c Thäm's Sohn N~c Nguyen (Angk Snguon), der sich siamesische Truppenunterstützung gesichert hatte,

21 DNThL I, 182. a ibid., 210 f.

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N~c Tha ein weiteres Mal zur Flucht nach Cochinchina zu zwingen und selbst den Thron zu besteigen 24•

Es läßt sich unschwer vorstellen, daß Cochinchina hierin eine bedrohlidle Stärkung der siamesisdlen Position in Kambodsdla sah. Von hierher ist vermutlidl ein im DNThL überliefertes Schreiben des chua an den siamesi­sdlen König- BQromaköt (1733-58)- aus dem Jahre 1750 zu verstehen, in dem Siam unmißverständlich an die cochinchinesischen Ansprüche auf Kambodsdla erinnert wird 25 • Dieser Brief kündigt den Siamesen eine Kam­pagne Codlinchinas gegen Kambodscha an, die als Vergeltung für einen Angriff N~c Nguyen's auf den im kambodsdlanisch-cochinchinesisdlen Grenzgebiet ansässigen Volksstamm der Cön ausgegeben wurde 26: "Das kleine Kambodscha", so heißt es in dem Schreiben, "ist Vasall unseres Lan­des, wagt es aber, Banditen zu sammeln und gestützt auf diese Madlt die Grenzen zu überschreiten. Ein solches Verhalten muß auch Siam mißbilli­g-en" 21.

Mit diesem Brief wurde Siam aber nicht nur zu verstehen gegeben, daß Kambodschas Vasallenverhältnis gegenüber Cochinchina ein außer Frage stehendes Faktum sei; in ganz ähnlicher Weise wie in dem oben erwähnten siamesischen Brief an den chua aus dem Jahre 1715 lag in dem vorliegenden Sdlreiben des chua auch eine indirekte Anerkennung siamesischer Rechte in Kambodscha. Anders jed-enfalls scheint es kaum zu erklären, daß Cochin­china eine bevorstehende Kampagne gegen Kambodscha den Siamesen an­kündigt und ihr Verständnis dafür fordert.

Somit würde sich ergeben, daß Siam und Cochinchina gegen Ende der Ayuthayä-Zeit zu dem stillschweigenden Ubereinkommen gelangt waren, Kambodscha als einen gemeinsamen Vasallen zu betrachten, sich also mit einer Machtteilung zu begnügen und den bewaffneten Konflikt möglichst zu vermeiden. Hierauf deutet auch die Tatsache, daß in ihren Annalen seit dem Jahre 1715 (Eroberung Ha-tiem's mit Hilfe siamesischer Truppen) von keiner­lei offenen Feindseligkeiten zwisch-en ihnen mehr die Rede ist.

Das siamesisch-cochinch.inesische Arrangement auf machtpolitischem Ge­biet scheint König BQromaköt zu dem Versuch inspiriert zu haben, auch wirtschafts- und handelspolitisch mit den Vietnamesen zu einem in seinen Interessen liegenden Abkommen zu gelangen. Im April des Jahres 1755 ersch.ienen vor dem chua zwei siamesische Gesandte mit einem Brief, in dem darüber Klage geführt wurde, daß den im China-Handel verkehrenden sia-

u Das Phra rätchaphongsäwadän krung kau chabap phra rätchahatlekhä (227 f) gibt für dieses Ereignis die Jahreszahl 1750; das Phongsäwadän Khamen (233) 1749; so auch MoURA, a. a. 0., 81.

25 DNThL I, 212. 28 Bei dem hier im DNThL als Con bezeichneten Volksstamm handelt es sich ver­

mutlich um das Bergvolk der Khchuol, mit dessen Hilfe ein kambodsc:han.~sc:her Würdenträger 1751 versucht hatte, König Chey-Choettha (N~c Nguy~n) zu sturz~, aber von den Truppen des Königs besiegt worden war (s. hierzu LEcLERE, a. a. ·• 381).

21 DNThL I, 212.

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mesischen Schiffen, wenn sie vor Stürmen in cochinchinesischen Häfen Schutz suchten, von den einheimischen Beamten so hohe Zölle abverlangt würden, daß alle an Bord befindlichen Waren abgegeben werden müßten 28•

Man bäte daher um Rückzahlung dieser Gelder; außerdem schlüge man vor, sich gegenseitig zehn Urkunden auszustellen, aufgrund derer je zehn dem Staat gehörende Schiffe beider Länder beim Anlegen im Hafen des jeweils anderen Landes von Zöllen ausgenommen werden sollten.

Der chua hatte gegen diesen Vorschlag zwar grundsätzlich nichts einzu­wenden, vertrat jedoch die Ansicht, daß die Ausstellung von zehn solcher Ur­kunden nicht nötig sei, sondern eine einzige, die er den siamesischen Ge­sandten dann auch mitgab, vollauf genüge. Damit war im Unterschied zu dem siamesischen Vorschlag verhindert, daß gleichzeitig mehrere Schiffe des einen Landes zollfrei in den Häfen des anderen verkehren konnten. Dieses Nichteingehen des chua auf die siamesischen Wünsche nach Erleichterungen im Handelsverkehr erklärt sich vermutlich in erster Linie daraus, daß sia­mesische Schiffe - mitbedingt durch den an Cochinchinas Küsten vorüber­führenden siamesischen Chinahandel - viel häufiger cochinchinesische Häfen anliefen als dies umgekehrt der Fall war. Wäre der chua den Wün­schen der Siamesen nachgekommen, so hätte dies ihnen entschieden mehr Vorteile eingebracht als ihm selbst.

Die in dem Brief geäußerte Bitte um Rückzahlung der für überhöht er­klärten Zölle lehnte der chua mit dem Hinweis darauf ab, daß die Zolltarife festgelegt seien und seine Beamten sich streng an sie hielten, ohne jemals ungerechtfertigte Abgaben zu verlangen. In diesem Zusammenhang folgt eine Aufstellung über die verschiedenen Zolltarife für Handelsschiffe frem­der Länder, aus der hervorgeht, daß solche Schiffe beim Einlaufen in einen cochinchinesischen Hafen eine Abgabe zu entrichten hatten, deren Höhe mit der Entfernung ihres Heimathafens von Cochinchina zunahm. Siam ran­giert in dieser Aufstellung zusammen mit der Insel Luzon auf einer Stufe; seine Schiffe hatten bei der Ankunft in einem Hafen Cochinchinas 2000 quan (Geldeinheit) zu zahlen {zum Vergleich: Hai-döng [in Tongking] 500, Japan 4000, Schiffe aus dem Westen [Europa] 8000). Beim Auslaufen war nochmals ein Zehntel dieses Betrages zu zahlen.

Die hier betrachtete siamesische Mission hatte, wie der chua selbst er­kannte, im Wesentlichen nur das eine Ziel, in möglichst großem Umfang Frei­stellung von Zöllen für Schiffe des Königs von Ayuthayä beim Handel mit Cochin<:hina zu erlangen, wobei die Bitte um Rückerstattung von überhöhten Zollabgaben offenkundig nur als Vorwand diente. So gesehen muß diese handelspolitische Initiative BQromaköt's beim chua als wenig erfolgreich bezeichnet werden.

Unmittelbar im Anschluß an den Bericht über die siamesische Mission Wird im DNThL ein Zwischenfall berichtet, der möglicherweise in Zusam­menhang mit ihr stehtn: In einem Sturm waren ein cochinchinesisches

!II ibid., 223 f. a ibid., 224.

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Kriegsschiff, das Jagd auf Seeräuber gemacht hatte, sowie ein anderes co­chinchinesisches Schiff in siamesische Hoheitsgewässer abgetrieben worden. Die Besatzungen dieser beiden Schiffe waren zunächst von den Siamesen fest­gesetzt worden. Erst auf den Beschwerdebrief eines Beamten der cochin­chinesischen Provinz Gia-dinh wurden die Festgenommenen - im ganzen 50 Personen - wieder freigelassen. Es erscheint hierbei nicht ausgeschlos­sen, daß man auf siamesischer Seite diese Gefangenen als Druckmittel bei den etwa gleichzeitig stattfindenden Verhandlungen mit dem dlua einzu­setzen versuchte.

Die Erwähnung solcher Handel- und Schiffsverkehr betreffender Kontakte zwischen Siam und Cochinchina im DNThL ist insofern besonders wertvoll, als in den thailändischen Chroniken zu diesem Thema keinerlei Hinweise zu finden sind. Erst die vietnamesischen Annalen zeigen uns, daß in der Vergangenheit neben machtpolitischen auch handelspolitische Interessen eine nicht unbedeutende Rolle bei den Beziehungen zwischen Thai und Vietnamesen spielten.

Die letzte Erwähnung Siams vor der das Ende einer Epoche bezeichnenden Zerstörung Ayuthayä's durch die Burmesen am 7. April 1767 findet sich im DNThL unter dem Jahre 1766 (8. Monat) 30• Es heißt hier, daß Kundschafter Ha-tien's aus Siam mit der Nachricht zurückkehrten, der König von Ayu­thayä habe Kriegsschiffe ausrüsten lassen, um Ha-tien anzugreifen. Da Siam zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren in den Krieg mit Burma verwickelt war und der Feind im Februar des Jahres 1766 bereits unmittelbar vor den Mauern der Hauptstadt stand 31 , wird man diese Information über einen bevorstehenden Angriff Siams auf Ha-tien mit einiger Sicherheit als falsch bezeichnen dürfen. Die Erwähnung von cochinchinesischen Kund­schaftern in Ayuthayä zeigt aber, daß man auf Seiten der Vietnamesen­aus einem wachen Mißtrauen gegenüber dem als gefährlich erachteten Rivalen heraus- bemüht war, über die politischen Vorgänge in Siam unter­richtet zu sein.

lii.

Diese Beachtung, die man dem Nachbarland widmete, spiegelt sich auch darin, daß die in der Zerstörung Ayuthayäs gipfelnde Niederlage Siams gegen die Burmesen im Jahre 1767 und der darauffolgende Aufstieg Taksin's, eines ehemaligen Generals chinesischer Abkunft, zum neuen König von Siam im DNThL verzeichnet werden 32• Besonders wird in diesem Zusammen­hang erwähnt, daß ein Abkömmling des alten Königshauses von Ayuthayä nach Kambodscha floh, während ein anderer, Chieu Thuy (Thai: Cau Cui­Prinz Cui) in Ha-tien Zuflucht suchten. Bei dieser Flucht eines siamesischen

3& ibid., 233. 31 s. Wooo, a. a. 0 ., 245 f. 11 DNThL I, 233 u. 235; vgl. auch AUBARET, a. a. 0., 26 f u. 29. s. hierzu auch STRAN­

sn, a. a. 0., Kap. I u. Il. 33 I>NThL I, 233.- Uber die Flucht dieser beiden Prinzen s. besonders CL.-E. MArTRE.

Documents sur Pigneau de Behaine, in Revue Indochinoise, 1913, 1er sem. 177 ff ; vgl. auch STRANsn, a. a. 0., 126 f.

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Prinzen in den cochinchinesisd:len Mad:ltbereich spielte es vermutlich eine Rolle, daß in den letzten Jahrzehnten ein siamesisch-vietnamesischer Inter­essenausgleich hinsid:ltlid:l Kambodsd:las geherrsd:lt hatte, und möglicher­weise ließ sid:l Prinz Cui bei seinem Entschluß nach Ha-tien zu gehen, sogar von der Hoffnung leiten, mit cod:linchinesischer Hilfe den Thron seiner Vor­fahren zurü<kzugewinnen. Dies freilid:l hätte das Risiko in sich geborgen, Siam unter den dauernden politisd:len Einfluß Cochinchinas zu bringen 34•

Im Zusammenhang mit der Machtergreifung Taksin's im Jahre 1767 er­wähnt das DNThL die für Cod:linchina besonders bedeutsame Tatsache, daß der neue Herrscher Siams sogleich an den kambodschanischen König N~c Tön (Neak-Angk Tan, gen. Preah Outey) die Forderung rid:ltete, die durch den Krieg mit Burma unterbrochenen Tributzahlungen an Siam wieder auf­zunehmen und damit die Vasallenschaft gegenüber Taksin anzuerkennen 35•

N~c Tön, der im Jahre 1758 mit Hilfe Cochinchinas den Thron usurpiert und dem chua seine Unterstützung mit beträd:ltlichen territorialen Abtretungen vergolten hatte 36, lehnte diese Forderung Taksin's mit der Begründung ab, daß er kein legitimer Erbe des siamesischen Königshauses sei 37• Taksin wurde so mit aller Deutlid:lkeit vor Augen geführt, daß Codlinchina Siams langwierige Verwicklung in den Krieg mit Burma (seit 1759) entschlossen dazu benutzt hatte, sich auf Kosten Siams die alleinige Macht über Kam­bodscha zu sichern.

Es liegt auf der Hand, daß Taksin, der sich die Wiederherstellung des Ayuthayä-Reiches in seiner früheren Größe zum Ziel gesetzt hatte, eine der­artige Zurückweisung siamesisd:ler Ansprüche auf Kambodscha nicht tatenlos hinnehmen konnte. So antwortete er schon bald (1769) auf die offene Unbot­mäßigkeit N~c Tön's mit einem Angriff auf Kambodscha, der jedoch - mit nur schwachen Kräften durchgeführt - abgeschlagen wurde 38• "Als M~c Thien-ttr die Nachricht (von dem siamesischen Angriff auf Kambodscha) erhieltu, so heißt es im DNThL, "widmete er der Verteidigung (HiHien's)

• 34 !vf~c Thien-tli', der damalige Gouverneur von Ha-tien, erkannte jedenfalls

die ~Ich hier eröffnende Möglichkeit sofort, wie aus der Tatsache hervorgeht, daß er s1ch unmittelbar nach der Ankunft Curs vom chua freie Hand für das weitere Vorgehen in dieser Angelegenheit geben ließ (s. MAITRE, a. a. 0., 177, sowie MAYBON, a. a. 0., 129).

35 DNThL I, 235; AUBARET, a. a. 0., 29. 38 s. hierzu LECLERE, a. a. 0., 384; MAnoN, a. a. 0., 128. ~~ So auch Phongsäwadän Khamen, 242 f u. Rätd!aphongsäwadän krung Kamphü­

lcha, 139 f . • 38 In der thailändischen Chronik wird die abgewiesene Tributforderung Taksins

n~cht erwähnt. Sein Kriegszug gegen Kambodscha wird hier (Phra rätchaphongsäwa­dan chabap phra rätdtahatlekhä, 326) allein damit begründet, daß ein vor König Outey (N~c Tön) nach Siam geflohener kambodschanischer Prinz, Phra Rämäthibodi, T~ksm zur Intervention gegen den von Codlinchina gestützten König gebeten hatte. 01~ Beteiligung des Prinzen Phrä Rämäthibodi (Phrä Rämrätcha; vietn. N~c Nön) bei der siam~sischen Kampagne gegen Kambodscha wird auch in der ~amb~dschani­schen C_hronik erwähnt (Phongsäwadän Khamen, 243; Rätchapho.ngsawadan k~.ung ~amp~utcha, 140), nicht jedoch daß er den Anlaß zu ihr gegeben hätte. - Es drangt Sich hier der Eindruck auf, in der thailändischen Chronik sei der Hinweis des kam­bodsch~ischen Königs auf die nicht-königliche Abstammung Taksins . absichtli;ch unt~rdruckt worden, weil dies einen wunden Punkt in der Biograph1e des Sla­mestschen Königs berührte.

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noch größere Aufmerksamkeitu 39• Die hieraus sprechende Sorge des Gou­verneurs vor feindlichen Aktionen Siams gegen seine Stadt rührt daher, daß sich dort noch immer Prinz Cui aufhielt, was Taksin von Anfang an als eine Bedrohung seiner Sicherheit empfunden hatte ' 0

Nachdem bereits im achten Monat des Jahres 1711 Nachrichten von einem bevorstehenden Angriff Siams nach Ha-tien gelangt waren, erschien Taksin im zehnten Monat desselben Jahres mit einer Flotte vor der Stadt und er­oberte sie nach schweren Kämpfen ' 1 • M~c Thien-tu selbst gelang die Flucht. Siamesische Truppen, die die Verfolgung aufnahmen, mußten- wegen ihrer mangelnden Ortskenntnisse in einen Hinterhalt geraten - eine verlust­reiche Niederlage hinnehmen; die Uberlebenden zogen sich nach Ha-tien zurück, das in siamesischer Hand blieb u.

Taksin setzte Trän Lien (in den thailändischen Quellen Phrayä Phiphit) als Kommandanten der Stadt ein und zog dann von Ha-tien nach Kambodscha weiter. Dort zwang er N~c Tön zur Flucht und machte seinen eigenen Kandi­daten, den kambodschanischen Prinzen N~c N9n (Angk Non-angk-Ream; Phra Rämäthibodi), zum König 43• Im DNThL wird hierzu die Ansicht vertre­ten, daß die Siamesen Kambodscha erorbert hätten, weil sie es auf den Süden Cochinchinas abgesehen hatten 44• Derartige Eroberungspläne lassen sich jedoch weder aus irgendwelch·en Dokumenten belegen, noch spricht die Wahrscheinlichkeit für sie. Denn da Siam bis zum Jahre 1775 fast ununter­brochen in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Burmesen verwickelt war, hätte Taksin es kaum wagen können, einen risikoreichen militärischen Vorstoß nach Osten zu unternehmen und dabei die Westflanke seines Rei­ches der Schutzlosigkeit preiszugeben. So wird man davon ausgehen dürfen,

u DNThL I, 235. 40 Als wie ernst er diese Bedrohung einschätzte läßt sich daran erkennen, daß er

im Jahr 1767 eine Gesandtschaft mit Geschenken an Mac Thien-trr geschickt und um die Auslieferung Prinz Cui's gebeten hatte, wofür er. als Ausgleich sogar terri­toriale Abtretungen anbot. M~c Thien-trr hatte dieses Angebot nicht nur abgelehnt, sondern sogar wiederholt versucht, Taksin zu stürzen, um seinen Protege Prinz Cui auf den siamesischen Thron zu setzen (s. hierzu MAITRE, a. a. 0., 189 f, sowie MAYBoN, a. a. 0., 129 f U . STRANSKY, a . a. 0., 127 f).

41 DNThL I, 239 f; vgl. AUBARET, a. a. 0., 32 ff. 42 Der Bericht über diese Kampagne aus siamesischer Sicht findet sich in Phrli

rätchaphongsäwadän chabap phra rätchahatlekhä, 346 ff. Er ist bedeutend ausführ­licher als der des DNThL, verschweigt jedoch die verlustreiche und erfolglose Ver­folgung M~c Thien-ttr 's.

43 Das DNThL erwähnt nicht, daß parallel zu dem Angriff Taksins mit einer Flotte eine siamesische Landarmee unter Cau phrayä Cakri über Battarnbang und Pursat nach Kambodscha einmarschierte (Phra rätchaphongsäwadän chabap phra rätch~a ~­lekhä, 341 u. 349 f), die den kambodschanischen Prätendenten Phrä Rämäthibodt mtt sich führte und bis zur Hauptstadt Phuttaiphet (Oudong) vorstieß. Hiervon wieder­um weicht die kambodschanische Chronik ab, die zwar die siamesische Landarmee erwähnt, jedoch nur von deren Vorrücken bis Pursat berichtet. Abweichend vom thailändischen Phongsäwadän wird in der kambodschanischen Chronik auch .. gesagt, daß Phra Rämäthibodi nicht mit dieser Landarmee nach Kambodscha zuruckkam, sondern zusammen mit Täksins Flotte (Phongsäwadän K.hamen, 244 f u. Rätdla­phongsäwadän krung Kamphütchä, 141 ff). -Zu Taksins Kampagne gegen Kag­bodscha s. auch LEcLtRE, a. a. 0 ., 387 f; STRANSKY, a. a. 0., 131 f; MAYBoN, a. a. ·• 130 f; LE THANH KHm, a. a. 0 ., 271.

« DNThL I, 240; vgl. AUBARET, a. a. 0., 35.

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daß das einzige Ziel von Taksins Kampagne gegen Kambodscha im Jahre 1771 die Rückführung dieses Landes in das frühere Vasallenverhältnis gegen­über Siam war. Alle weitergehenden ihm unterstellten Absichten scheinen dagegen nur auf übertriebene Befürchtungen der Vietnamesen zurückzu­gehen45.

Die Reaktion Cochinchinas auf Taksins Vorgehen in Kambodscha erfolgte laut tJNThL im sechsten Monat des Jahres 1772 46: Auf getrennten Wegen stießen mehrere Armeen des chua gegen die siamesischen Truppen in Kam­bodscha vor. Die 3000 Mann und 50 Schiffe umfassende cochinchinesische Teilarmee unter Nguy~n Khoa Thuyen stellte die Siamesen zum Kampf, wurde aber von ihnen zum Rückzug gezwungen. Khoa Thuyen machte dar­aufhin den Kambodschaner Nhä.m-l9ch Toi zum Führer seiner Avantgarde­truppen und ging erneut zum Angriff vor. Diesmal gelang es, die Siamesen zu besiegen und Phnom Penh und Lovek einzunehmen. Taksin zog sich nach Ha-tien zurück, von wo aus er einen Brief mit einem Friedensangebot an MCilc Thien-ttr richtete. Was er hiermit bezweckte ist nicht ganz klar. Wollte er versuchen, den Gouverneur von Ha-tien auf seine Seite zu ziehen, einen Keil zwischen ihn und den chua treiben? Oder beabsichtigte er über Miilc Thien-tu einen Kontakt zu dem chua herzustellen, um mit diesem dann zu einem Abkommen über Kambodscha zu gelangen? Wie dem auch sein mag, seine Absichten erfüllten sich nicht, denn M9c Thien-tu lehnte das Friedensangebot des siamesischen Königs ab.

Taksin kehrte daraufhin nach Siam zurück, hinterließ jedoch in Ha-tien eine Besatzungstruppe unter Trän Lien. Mit sich führte Taksin den Prinzen Cui, der Anlaß zu seinem Vorgehen gegen Ha-tien gewesen war und der ihm bei der Eroberung der Stadt in die Hände gefallen war. In Thonburi, der neuen siamesischen Hauptstadt, angekommen, ließ Taksin ihn hinrich­ten 47

• Außer dem Prinzen hatte Taksin auch einige Kinder M9c Thien-tu 's als Gefangene mitgebracht, die ihm u. U. als Geiseln gegenüber dem Gou­verneur von Ha-tien dienen konnten.

Wird man Taksins militärische Aktion gegen Ha-tien als weitgehend er­folgreich bezeichnen dürfen, so gilt dies sicher nicht für sein anderes Kriegs­ziel, die Unterwerfung Kambodschas. Denn nach seiner Niederlage gegen Khoa Thuyen und seinem Rückzug nach Ha-tien, floh auch der erst kurz zuvor von ihm als König eingesetzte N~c NQn vor den feindlichen Truppen

45 Daß Taksin den Konflikt mit Codlinchina scheute, zeigt sich audl daran, daß ~r während seines Kriegszuges gegen Kambodscha einen Brief an den chua schrieb, m dem er erklärte, er wünsche keine Feindsmatt mit Cochindlina und in dem er den Vorsdllag unterbreitete, Kambodscha in eine siamesische Einflußsphäre unter Phra Rämäthibodi und eine codlinchinesische unter Outey (N~c Tön) aufzuteilen. Der chua jedodl ging hierauf nidlt ein (s. Cotmäi räiwan thap khräu präp mllöng Phutthaimat Jä Khamen samai krung Thonburi - Prachum Phongsäwadän 66 -B~gkok 2480 (1937), 21; s. auch STRANSKY, a. a . 0 ., 132).

47 DNThL I, 241 f; vgl. AuBARET, 36 f . . .

. Der nach der Zerstörung Ayuthayä's nadl Kambodscha geflohene ~1ames1sche P!:mz s_tarb dort im seihen Jahr (1171) (Phongsäwadän Kllamen, 245; Ratchaphong­sawadän krung Kamphütchä, 144; MouRA, a. a. 0., 88) .

und zog sich nach Cän-vQt (Kampot) zurück 48• Sein Rivale N~c T(m kam aus Cochindtina, wohin er vor den Siamesen geflohen war, in sein Land zurück. Somit war es Taksin also nicht gelungen, die vietnamesische Vorherrschaft in Kambodscha zu brechen.

Dennoch hatte seine Kampagne den Vietnamesen gezeigt, daß Siam nach der Niederlage von 1767 seine Stärke rasch zurückgewonnen hatte und wieder als ein ernst zu nehmender Rivale betrachtet werden mußte. Aus dieser Einschätzung der Lage heraus ist es auch zu verstehen, daß M<iic Thien­tU:- im zweiten MonatdesJahres 1773 im Auftrag des chua eine Gesandtschaft mit einem Brief und Geschenken zu Taksin nach Thonhuri sdtickte 49 • Ent­gegen dem äußeren Anschein hatte diese Mission keineswegs das Ziel, freundschaftliche Beziehungen zu dem siamesischen König einzuleiten. Wie uns das DNThL berichtet, hatte sie vielmehr den Geheimauftrag, Erkundi­gungen über die politisch-militärische Lage und die Absichten Siams ein­zuholen, woran sich deutlich Beunruhigung und Mißtrauen des chua gegen­über Taksin ablesen lassen.

Taksin durchschaute die geheimen Absichten der cochinchinesischen Gesandtschaft nicht. Er sah in ihr nur ein Zeichen der Versöhnungsbereit­schaft von M<iic Thien-tU:-, um die er sich bereits im Vorjahre mit seinem Friedensangebot - vergeblich - bemüht hatte. Erfreut gab er daher bei dieser Gelegenheit nicht nur die aus Ha-tien mitgebrachten Kinder M<iic Thien-tU:- 's frei, sondern beorderte auch den als Statthalter in Ha-tien ein­gesetzten Trän-Lien zurück und gab die Stadt damit auf 50 • Auchhieristnicht klar, ob Taksin durch sein Entgegenkommen M<iic Thien-tU:- als Verbündeten gegen den chua oder als Vermittler für ein Friedensabkommen mit diesem gewinnen wollte. Die Tatsache jedoch, daß Siam in Kambodscha gerade das Feld vor den Cochinchinesen hatte räumen müssen, läßt annehmen, Taksin sei zu diesem Zeitpunkt nicht sosehr auf ein Abkommen mit dem chua aus gewesen als darauf, Bundesgenossen für die Rückgewinnung der siamesi­schen Machtposition in Kambodscha zu werben. Falls es wirklich sein Plan gewesen sein sollte, M<iic Thien-tU:- auf seine Seite zu ziehen, so hatte Taksin damit keinen Erfolg. Es gibt in den Quellen keinerlei Anzeichen dafür, daß sich der Gouverneur in der Folgezeit vom chua abgewandt und auf Taksins Seite gestellt hätte.

Zwischen der Erwähnung der Gesandtschaft M<iic Thien-tU:-'s nach Thon­huri und der nächsten Siam betreffenden Eintragung im DNThL liegt eine

48 In der kambodschanischen Chronik heißt es (Phongsäwadän Khamen, 245 u. Rätchaphongsäwadän krung Kamphütchä, 143), daß Taksin N~c Nön 500 siamesische Soldaten zu seinem Schutz hinterlassen hatte.

41 DNThL I, 242; vgl. AuBARET, a. a. 0., 38. 50 Die Aufgabe Ha-tü~n ·s ist zwar auch in der thailändischen Chronik überliefert

(Phra rätchaphongsäwadän dtabap phra rätchahatlekhä, 352), doch wird sie ]lier nicht als Folge der Gesandtschaft von M~c Thü~n-tfr - die hier gar nidlt erwahnt wird - dargestellt, sondern damit begründet, daß die Stadt für Siam auf die. D~.u~r zu schwierig zu halten gewesen wäre. Angesichts der großen Entfernung Ha-tien s von Siam erscheint diese Begründung plausibel; Taksins Rü<Xzug aus der Stadt war also kein großes Opfer für ihn.

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Spanne von ca. fünf Jahren, innerhalb derer hier von keinerlei Kontakten Codtindtinas mit Siam die Rede ist. Dieses, verglichen mit den vorangegan­genen Jahren, lange Schweigen der vietnamesischen Annalen über das Nach­barland spiegelt indirekt die schwere innere Krise wider, in die Codtinchina im Laufe dieser Jahre geraten war und die alle Kräfte des Landes sosehr in Anspruch nahm, daß den Außenbeziehungen nur noch geringe Aufmerk­samkeit gewidmet werden konnte. Die Krise, von der hier die Rede ist, ist der Volksaufstand der Täy Scrn, der im Jahre 1777 zur Eroberung der wich­tigen Südprovinz Gia-dinh durch die Rebellen führte 51 • Der cluia und seine Familienangehörigen, die in den äußersten Süden Codlinchinas, nach Long­xuy€m, geflohen waren, wurden von den Täy Scrn ermordet. Ein einziger Prinz, Nguyen Anh, entging dem Massaker und begann die Getreuen seines Hauses um sich zu sammeln in dem Entschluß, die von seinen Vorfahren innegehabte Herrschaft zurückzugewinnen.

Nguyen Anh war es, der neue Kontakte zu Siam anknüpfte: Im sechsten Monat des Jahres 1778 schickte er den Militärmandarin L\l'U Phtrcrc Trtrng nach Thonburi, um freundsdlaftliche Beziehungen herzustellen und um sich nach dem Ergehen von Tön-that-Xuän, einem seiner Verwandten, und M~c Thien-trr zu erkundigen, die beide nadl dem Blutbad von Long-xuyen nadl Siam geflohen waren 52•

Es ist nidlt schwer zu erraten, daß Nguyen Anh - in bedrängter Lage -bei dieser Mission zu Taksin darauf hoffte, Siam als Verbündeten in seinem Kampf gegen die Täy Scrn zu gewinnen. Mit diesem offenen Werben eines Nguyen um die Freundschaft Siams gewannen die bis dahin vorwiegend von Rivalität und gegenseitigem Mißtrauen bestimmten cochinchinesisdl-siame­sischen Beziehungen einen gäJ171ich neuen Aspekt. Vermutlich ist es nidlt zu­letzt dem tief eingewurzelten Feinddenken Taksins gegenüber Cochinchinas zuzuschreiben, daß er auf die Avancen Nguyen Anh's allem Ansmein nadl nicht einging. Jedenfalls erwähnt das f>NThL keinerlei Folgen der Mission, und in der siamesischen Chronik ist überhaupt nicht von ihr die Rede.

Der zweiten um Freundschaft werbenden Gesandtschaft Nguyen Anh's, die im sechsten Monat des Jahres 1780 in Thonhuri eintraf, bereitete Taksin sogar ein grausames Ende 58: Er ließ nidlt nur ihre beiden leitenden Man­darine Sam und Tinh hinrichten, sondern gleichzeitig auch die sidl in Thon-

51 s. hierzu besonders MAYBoN, a. a. 0., 183 ff u. LE THANH KBor, 296 ff. st DNThL ll, 31; vgl. AUBARET, a. a. 0., 45 f u. NÄI YQNG, a . a. 0 ., 370 f. - Die

Flucht _M~c Thien-tli"'s (Phrayä rätd:lasetthi yüon) und Tön thät Xuä.n's (im Thai: ong ch1eng d:lun) nad:l Siam ist in der thailändischen Chronik überliefert (Phrli rä­tchaphongsäwadän cnabap phra rätcttahatlekhä, 411). In dieser Quelle wird darüber­hmaus berichtet, daß Tön thät Xuan den Versuch unternahm wieder nach Cochin­china zurückzukehren, um sich Nguy~n Anh anzuschließen. Auf Befehl Taksins aber v.:urde .er unterwegs dorthin gefangen genommen und zusammen mit seinem Anhang ~genchtet. Hieraus erhellt, daß Taksin die vietnamesischen Emigranten nid:lt etwa Im Geist selbstloser Menschenfreundlichkeit in Thonhuri aufgenommen hatte, son­de~ daß er in ihnen vielmehr Faustpfänder sah, die er bei sich bietender Gelegen­he:; gegen Nguy~n Anh in Einsatz zu bringen beabsichtigte.

DNThL Il, 34 f; vgl. AtmARET, a. a. 0., 46 f u. NÄI YQNG, a. a. 0., 371 f.

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buri aufhaltenden Angehörigen Mc;t.c Thh~n-tcr's, der aus Verzweiflung hier­über Selbstmord beging 54 • Alle übrigen codtindtinesischen Emigranten, die mit Tön-that-Xuän und Mi;ic Thien-Tt:r nach Thonhuri gekommen waren, ließ Taksin in hauptstadtferne Grenzprovinzen evakuieren.

Als Gründe für diese überaus feindselige Handlungsweise Taksins wird im DNThL angeführt, der König habe kurz vor Eintreffen der Gesandten in Thonhuri Nachricht davon erhalten, daß ein siamesisches Handelsschiff auf der Rückkehr von Kanton im Meer vor Ha-tien von dem cochinchinesi­schen Mandarin Thang gekapert und seine Besatzung getötet worden war, ein Fall von Piraterie, der vermutlich dem allgemeinen Verfall von Gesetz und Ordnung in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Cochindtina anzulasten ist und sicherlich nicht die Billigung Nguyen Anh's hatte.

Kurz darauf war Taksin auch noch von einem Kambodschaner namens Bö-Ong-giao hinterbracht worden, daß die cochinchinesischen Emigranten in Thonhuri von Nguyen Anh den Auftrag erhalten hätten, Spionage als Vor­bereitung zu einem Angriff auf Siam zu treiben, eine in hohem Maße unwahr­scheinliche Behauptung, hält man sich die damalige Situation des Nguyen­Prinzen vor Augen. Wenn sie dennoch bei Taksin Glauben fand, so zeigt dies nur, in welchem Maße Taksins Haltung gegenüber den Vietnamesen von tiefem Mißtrauen beherrscht war.

Ein weiterer im DNThL nicht genannter Grund für Taksins feindselige Reaktion auf Nguyen Anh's Gesandtschaft des Jahres 1780 liegt vermutlich in Ereignissen, die sich ein Jahr zuvor in Kambodscha abgespielt hatten 55•

Nach dem Abzug Taksins im Jahre 1772 war es dort zwischen dem von Siam unterstützten Ream-Reachea (N~c N(>n) und dem von Cochinchina favorisier­ten Outey (N~c Tön} zu einem ununterbrochen schwelenden Kleinkrieg gekommen, der das Land in ein Chaos gestürzt hatte. Dieser innerkambod­schanische Streit fand im Jahre 1775 damit sein Ende, daß Outey freiwillig auf sein Thronred:lt zugunsten Ream-Reachea's verzichtete, um so den Nöten der unter den Kriegswirren schwer leidenden Bevölkerung ein Ende zu machen. Mit der Thronbesteigung Ream-Reachea's hatte Taksin verspätet sein Kriegsziel von 1771 doch noch erreicht. Siams Stellung in Kambodscha war wieder fest etabliert.

Im Jahre vor der Ankunft der zweiten Gesandtschaft Nguyen Anh's jedoch (1779) hatte eine Gruppe von kambodschanischen Adligen, die dem inzwi­schen verstorbenen Outey nahegestanden hatten, König Ream-Reach.ea ge­stürzt und unter der Regentschaft eines hohen Würdenträgers einen noch. unmündigen Sohn Outey's Angk-Eng (N~c Än), auf den Thron gesetzt. Bei diesem Unternehmen hatten sie von Nguyen Anh Truppenunterstützung

54 Es heißt an dieser Stelle im DNThL, Taksin habe bei dieser Gelegenheit auc:b. Tön thät Xuan umbringen lassen. Dies ist e.in Irrtum der vietnamesisc:b.en Chronisten, da wir aus der siamesisc:b.en Chronik wissen, daß die Hinric:b.tung dieses Vietname-sen bereits im Jahre 1771 erfolgte (s.o. Anm. 52). _

55 hierzu und zum folgenden s. Phongsäwadän Khamen, 246 f; Rätchaphongsawa­dän krung Kamphiltdtä, 144 ff; MoURA, a. a. 0., 89 f; s. auch LEcLERE, a. a. 0 ., 389 u. MAYBoN, a. a . 0 ., 132.

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erhalten 58 • Kambodscha begann damit wieder der siamesischen Oberherr­schaft zu entgleiten und stärker bei dem Nguy~n-Prinzen als dem Repräsen­tanten des alten cochinchinesischen Fürstenhauses Anlehnung zu suchen.

Nachdem Nguy~n Anh durch sein Eingreifen in Kambodscha Siams Stel­lung in so eklatanter Weise geschädigt hatte, wirkt es verwunderlich, daß er dennoch glaubte, )'aksin für ein Bündnis gewinnen zu können. Denkbar wäre, daß der Prinz die Absicht hatte, für siamesische Militärhilfe Taksin eine Teilung der Herrschaft über Kambodscha anzubieten, doch ist hierüber nichts bekannt.

Die Unversöhnlichkeit und Feindschaft, die Taksin Nguy~n Anh gegen­über bisher an den Tag gelegt hatte, lassen es nur als folgerichtig erscheinen, daß er sich dazu entschloß, die siamesischen Ansprüche auf Kambodsdla mit Waffengewalt gegen den Vietnamesen durchzusetzen. "Im zehnten Monat des Jahres 1781", so meldet das f>NThL, "ließ Siam die beiden Brüder Chät­tri (Cau phrayä Cakrt = Cau phrayä Mahäkrasatsük) und Sö-si (Cau phrayä Surasl) als Generäle in Kambodscha einmarschieren 57." - Nguy~n Anh, der sidl im südlichen Cochindlina eine halbwegs gesidlerte Operations­basis gesdlaffen hatte, schickte auf die Naduicht hiervon - im 1. Monat 1782 - eigene Truppen unter Nguy~n Hrru Th\lY und Ho Van Lan den an­rückenden siamesisdlen Armeen entgegen 58• Damit gab er zu erkennen, daß er trotz seiner bedrängten Lage entschlossen war, die alten Ansprüche des Nguy~n-Hauses auf Kambodsdla zu verteidigen.

Wie aus der siamesisdlen Chronik wohlbekannt, wurde der Ausbruch der Kampfhandlungen zwischen der siamesischen und der codlinchinesisdlen Armee dadurdl verhindert, daß die siamesische Heeresführung Naduidlt von der in Thonhuri ausgebrodlenen Revolte gegen Taksin und seinem Sturz erhielt und daraufhin sofort den Rüdanarsdl anordnete 59 • Das DNThL liefert hierzu eine für die weitere Entwicklung der siamesisch-codlinchinesi­schen Beziehungen nicht unwidltige Ergänzung 60• Man liest hier, daß Chat-tri und Sö-si bereits vor der Benadlridltigung über den Umsturz in Thonhuri den Entschluß gefaßt hatten, anKönigTaksinRache zunehmen, da dieser, von einer Geisteskrankheit befallen, ihre Frauen und Kinder hatte gefangen neh­men lassen. Die beiden ließen daher den codlinchinesisdlen General Htru Thl,ly zu sich ins Lager kommen und sdllossen mit ihm ein Friedens- und

56 Phrii rätchaphongsäwadän chabap phrii rätchahatlekhä, 425 f; Phongsäwadän Khamen, 251 ff; Rätchaphongsäwadän krung Kamphütchä, 153 ff.

57 DNThL Il, 37; vgl. AUBARET, a. a. 0., 47 u . NÄI YQNG, a. a . 0 ., 383. 58

• DNThL 11, 38 f; vgl. AuBARET, a. a. 0., 47 ff u. NXI YQNG, a. a. 0., 383. -Zur Sdnlderung dieser siamesischen Kampagne zur Rückgewinnung Kambodschas s. auch Phra rätchaphongsäwadän chabap phrii rätchahatlekhä, 425 ff; dieser Quelle zufolge war es hierbei Taksins Ziel, einen seiner Söhne, Krom khun Intharäphithak -auf den kambodschanischen Thron zu setzen. Vgl. auch Phongsäwadän Khamen, 254ft u. Rätchaphongsäwadän krung Kamphütchä, 259ff, ebenso STRANSKY, a. a. 0., l33f; vgl. auch LECLERE, a. a. 0 ., 396f; MAYBON, a. a. 0., 197; LE THANH KHoi, a . a. 0., 300.

51 Phrii rätchaphongsäwadän chabap phrii rätchahatlekhä, 431 ff; vgL auch STRA sn, a . a . 0 ., Kap. VI, ebenso WENK, a. a. 0., 5 ff.

80 DNThL Il, 38 f; vgl. auch NÄI YQNG, a. a. 0., 383 ff.

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Freundschaftsbündnis. In diesem Akt kündigte sich ein neuer, von mehr gegenseitigem Vertrauen und Einvernehmen bestimmter Abschnitt in der Geschichte der Beziehungen zwischen Siam und Vietnam an.

IV.

Er begann, nachdem Chät-tri, aus Kambodscha zurückgekehrt, die siame­sische Königswürde zugesprochen erhielt und als Phra Rämäthibodi - in der neueren europäischen Literatur Räma I. genannt - Bangkok zur Haupt­stadt Siams machte. Seine Bereitschaft zur Verständigung mit Nguyen Anh, die er bereits als General bei seinem Friedensschluß mit dem cochinchinesi­schen Herrführer in Kambodscha demonstriert hatte, bekräftigte der neue König Siam's schon kurz nach seiner Thronbesteigung damit, daß er die von Taksin aus der Hauptstadt ausgewiesenen Vietnamesen nach Bangkok zu­rückkehren und sie in großzügiger Weise mit Geld und Lebensmitteln ver­sorgen ließ 81•

Die Gründe Räma's I. für seine grundlegende Neubestimmung der siame­sidlen Politik gegenüber Vietnam scheinen im wesentlichen in seiner Sorge vor neuen kriegerischen Verwicklungen mit dem Erbfeind Burma zu liegen, die nur drei Jahre später- 1785 -auch wirklich wieder ausbrachen n. Diese Gefahr ließ es ihm offenbar geraten erscheinen, Ruhe an der Ostflanke seines Reiches zu erstreben, wenn dabei auch - zumindest vorerst - auf eine Kontrolle Kambodschas verzichtet werden mußte.

Die Friedensbereitschaft signalisierende Geste Räma's I. wurde von Nguyen Anh, der sich zu Zeiten Taksins bereits so lange vergeblich um die Freundschaft Siams bemüht hatte, sofort aufgenommen: Noch im Jahre 1782 (8. Monat) schickte er eine Gesandtschaft nach Bangkok, die dem siamesi­schen König die traditionell als Vasallentribut geltenden Gold- und Silber­blumen überbrachte und den Auftrag hatte, Siam als militärischen Verbün­deten gegen die immer bedrohlicher werdenden Täy San zu gewinnen 83•

Das VNThL enthält keinen Hinweis auf ein Ergebnis dieser Mission, doch unter dem Datum des zweiten Monats des Jahres 1784 heißt es hier, daß Nguyen Anh selbst nach Siam ging 114 • Dies steht insofern nicht mit den thai­ländischen Chroniken in Einklang, als in diesen übereinstimmend berichtet wird, daßderPrinz- hierChi:engSÜ genannt- bereitsimJahre 1782 nach Bangkok gekommen war 85• Es heißt hierzu, daß Nguyen Anh im Jahre 1782 nach der Eroberung Saigons durdl die Täy-San-Rebellen mit seinen Ver-

11 DNThL 11, 39; vgl. A UBARET, a. a. 0., 49 u. NXI YQNG, a. a. 0 ., 389. 11 s . hierzu WENK, a. a . 0 ., 43 ff. 113 DNThL 11, 44; vgl. NÄI YQNG, a. a. 0 ., 403. sc ibid., 53 ft ; vgl. AUBARET, a. a. 0., 54 u. NXI YQNG, a. a. 0., 424ff; vgl. auch

MAYBoN, a. a. 0 ., 207 u. 221 ff; LE THA.NH Kam, a. a . 0 ., 301 u. 313 u. WENK, a . a. 0., 110ff.

15 Phra rätdtaphongsäwadän chabap phriJ rätdtahatlekhä, 455f; CAu _P~YÄ THIPHÄKARAWONG, Phra rätdtaphongsäwadän krung ratanakösin ratchakän thJ nung, 48 ff.- Auf diese Unstimmigkeit hat bereits WEm. (a. a. 0., 111) hingewiesen.

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wandten zunächst auf die Insel Döt vor der Küste von Ha-tü~n (Phutthaimät) geflohen war 66 • Dort fanden ihn die beiden siamesischen Provinzverwalter Phrayä Chonburi und Phra Ray~mg 67, die mit ihren Schiffen in dieser Gegend Jagd auf Seeräuber machten. Sie überredeten Nguyen Anh dazu, nach Bang­kok zu kommen und sich dort unter den Schutz Räma's I. zu stellen. Dieser empfing den vietnamesischen Thronprätendenten mit großer Freundlichkeit, ließ ihm und seinem Anhang Wohnquartiere zuweisen und setzte ihnen eine Art jährlicher Apanage aus.

Die Quelle dieses Berichts in der Chronik Cau phrayä Thiphäkarawong's ist das sogenannte Phongsäwädän Yüon, ein kurzgefaßter Uberblick über die Geschichte Vietnams im Zusammenhang mit der Tay-San-Revolte bis zur endgültigen Rückkehr Nguyen Anh's aus seinem Bangkoker Exil im Jahre 1786 68• Diese "Chronik Vietnams" ist auf Veranlassung Räma's I. von zwei vietnamesischen Mandarinen aus dem Gefolge Nguyen Anh's verfaßt wor­den 69 und besitzt aufgrund dessen ein hohes Maß an Authentizität. Hinzu kommt, daß die darin gemachte Jahresangabe für die erste Ankunft Nguyen Anh's in Bangkok von zwei weiteren, voneinander unabhängigen Quellen bestätigt wird: Die eine sinddiesogen. "AufgezeidlnetenErinnerungen" der siamesischenAdligenKrom lüong Narinthewi, in denen es heißt, daßNguyen Anh Ende des Jahres 1782 nach Bangkok kam 70• Die andere ist die kam­bodschanische Chronik, die ebenfalls sagt, daß Nguyen Anh im Jahre 1782 nach Siam ging 11.

Angesichts dieser Zeugnisse fällt es schwer, dar an zu zweifeln, daß Nguyen Anh bereits im Jahre 1782 erstmals nach Bangkok kam, zumal der Be­richt des DNThL dies nicht aussdlließt, sondern es lediglidl nidlt bestätigt. Die vietnamesisdlen Annalen beridlten nämlich in dem fraglichen Jahr - 1782 - von dem Prinzen, daß er im vierten Monat nach der Eroberung Saigons durch die Tay San auf die Insel Phu-Quöc (Döt) floh 72• Dann schweigt

• 88 so Phra rätchaphongsäwadän chabap phra rätchahatlekhä, 455; die vietname­

Sische Bezeichnung dieser Insel lautet Phu-Quoc (vgl. hierzu die Karte im Anhang vo~ PALLEGOIX, Description du royaume Thai ou Siam, Bd. I- Paris 1854). Bei Tm­PHAKA~wo G (a. a. 0 ., 48) heißt es, Nguy~n Anh sei nach Kc} Kräbü geflohen, eine Insel, die etwas weiter westlich, vor der Küste Kompong Som's liegt.

_67

so THIPHAKARAWONG, a . a. 0., 48; in Phra rätchaphongsäwadän chabap phra ratchahatlekhä (455) werden die Namen der beiden Beamten, die Nguy~n Anh f~den, mit Phrayä Rätchasetthi (siames. Bezeidlnung des Gouverneurs von Ha­t(Ien) und Phrayä Thatsadä angegeben; dies ist jedoch wahrscheinlich ein Irrtum s. u. Anm. 76).

88 in Prachum Phongsäwadän phäk thi 28, Khuru Saphä Bd. 17 - Bangkok 2508

(1965) - S. 3-22. -Daß THIPHÄKARAWONG diese Quelle benutzt hat, geht daraus herv~r , daß sein Bericht über die hier betrachteten Ereignisse nicht nur in allen Ein­zelheiten, sondern zu einem großen Teil sogar wörtlich mit dem entsprechenden Teil au~ dem Phongsäwadän Yüon (S. 15--17) übereinstimmt.

. THIPHÄJrARAWONG, a . a. 0., 50; das Jahr der Abfassung dieser . Chronik" ist ~~chht bek~t, aus einer einleitenden Bemerkung geht jedoch hervor, daß man es im a re 1793 ms Thai übersetzte.

(17° CoT MÄI HET KHUÄM SONG CAM KHQNG KROM LÜONG NARINTHEwi - Bangkok 2482 939) -15. ~~ Phongsäwadän Khamen, 258 u. Rätchaphongsäwadän krung Kamphütchä, 165.

DNThL 11, 40.

105

das DNThL über das weitere Schicksal Nguyen Anh's und erwähnt ihn erst wieder im achten Monat desselben Jahres, als sein General Chu Vän Thiep Saigon zurückerorberte und die Nachricht davon an den Prinzen auf Phu-Quoc schickte 73• Zwischen dem vierten und dem achten Monat des Jahres 1782 er­fahren wir aus dem DNThL also nichts über Nguyen Anh. Es ließe sich daher denken, daß seine in den thailändischen und kambodschanischen Chroniken erwähnte Ankunft in Bangkak 1782 gerade innerhalb dieser vier Monate stattfand. Man müßte hierbei allerdings von der Annahme ausgehen, daß der Prinz- was nirgends belegt ist- innerhalb dieser vier Monate Bangkak auch wieder verließ und nach Phu-Quoc zurückkehrte, da er dort dem DNThL zufolge im achten Monat 1782 die Nachricht von der Rückeroberung Saigon's erhielt und sich daraufhin nach dort begab. Diese Annahme erscheint inso­fern nicht abwegig, als in der Chronik Thiphäkarawong's in Ubereinstim­mung mit dem Phongsäwädän Yüon erwähnt wird, daß Räma I. dem viet­namesischen Prinzen und seinem Anhang völlige Freizügigkeit gestattet und sogar ausdrücklich angeordnet hatte, die Vietnamesen jederzeit ungehindert ins offene Meer hinausfahren zu lassen 74 •

Wenn der hier unternommene Versuch, die vietnamesischen und thai­ländischen Chroniken miteinander in Einklang zu bringen zutreffend ist, Nguyen Anh also bereits im Jahre 1782 kurzfristig in Bangkak war, so ist die im DNThL erwähnte Gold- und Silberblumen überbringende Gesandt­schaft des Prinzen nicht mehr seine erste direkte Kontaktaufnahme mit Räma I., sondern erscheint nur noch als offizielle Besiegelung eines Freund­schaftsverhältnisses, das mit der gastfreundlichen Aufnahme des Vietname­sischen Prätendenten in Bangkak bereits begonnen hatte.

Nguyen Anh's Gang nach Siam im zweiten Monat des Jahres 1784, wie er im DNThL überliefert ist, erscheint im Lichte der thailändischen Quellen betrachtet nur als eine Rückkehr nach fast zweijähriger Abwesenheit. Es kam hierzu, weil die Tay Scrn bereits Anfang 1783 Saigon wieder zurück­eroberten und den Prinzen und seine Getreuen damit erneut zur Flucht zwangen 75• Während sein General Chu Vän Thiep sofort nach Bangkak ging, zog Nguyen Anh selbst sich zunächst ein weiteres Mal auf die Insel Phu-Quoc zurück. Auf Bitten Chu Vän Thiep's, so berichtet das DNThL weiter, schickte Räma I. Schiffstruppen nach Ha-tien, die vorgeblich Nguyen Anh militärische Unterstützung bringen sollten, jedoch im Geheimen den Auftrag hatten, den Prinzen nach Bangkak zu holen. Nguyen Anh traf sich mit dem General dieser siamesischen Truppen in Long-xuyen und akzeptierte schließlich eher unwillig die von ihm überbrachte Einladung Räma's I. nach

73 ibid., 43. 74 THIPHÄKARAWONG, a . a. 0., 50; Phongsäwadän Yüon, 17. - Nicht in Einklang

mit der Annahme, Nguy~ Anh sei zwischen dem vierten und dem achten !"fonat des Jahres 1782 erstmals in Bangkak gewesen, steht allerdings die Angabe m d~n Erinnerungen Krom lüong Narinthewi's, der vietnamesische Prinz sei gegen En e dieses Jahres in Bangkak eingetroffen.

75 fJNThL IJ, 46 f; MAnoN, a. a. 0., 201 f u. LE THANH KHOI, a. a. 0., 300 f.

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Bangkak zu kommen 78• 77• Als er dort begleitet von seinem Hofstaat und einigen hundert Soldaten anlangte, wurde er von dem siamesischen König nicht nur mit allen Ehren empfangen, sondern erhielt auch die Zusicherung für weiteren militärischen Beistand zur Rückgewinnung seines Reiches.

Dies war kein leeres Versprechen: Bereits im sechsten Monat desselben Jahres (1784) konnte Nguyen Anh mit einer siamesischen Armee von 20 000 Mann auf 300 Schiffen unter den beiden Neffen Räma's I., Chieu Tang und Chieu Strang, nach Gia-dinh aufbrechen 78• Das Unternehmen scheiterte jedoch: Nach einigen Anfangserfolgen ließen sich die siamesischen Generäle mit ihren Truppen von den Tay San in einen Hinterhalt locken und erlitten schwere Verluste. Die Reste der Armee - 2000 bis 3000 Mann- flohen nach Kambodscha. Zuvor war bereits Nguyen Anh's fähigster General Chu Vän Thiep in einer Schlacht tödlich verwundet worden, und hatte sich die siamesische Soldateska durch brutale Ausschreitungen bei der cochinchine­sischen Bevölkerung so verhaßt gemacht, daß diese Nguyen Anh ihre Unter­stützung zu entziehen drohte.

Niedergeschlagen kehrte der Prinz mit 200 Soldaten nach Bangkok zurück, wo er im dritten Monat des Jahres 1785 eintraf. Hier bereitete er sich nun auf ein längeres Exil vor und erhielt von Räma I. die Erlaubnis, sich zusam­men mit seinen Angehörigen, darunter seiner Mutter, am Rande Bangkoks anzusiedeln 79 • Für dieses Entgegenkommen sowie die zuvor geleistete Wal-

78 Dies und das Folgende nach DNThL II, 53 ff. - Der Name des siamesischen G~ner~ls, der von Räma I. geschickt mit Nguy~n Anh in Long-xuyen zusammentraf wud h1er im DNThL mit That-xi-da angegeben, wohinter sich die siamesische Form Thatsadä verbirgt. Phrayä Thatsadä war- nam THIPHÄKARAWONG, a . a . 0., 64- im Ja.hr~. 1783 von Räma I. zusammen mit Phrayä Rätchasetthi zur Verwaltung von Ha-tlen geschickt worden. Die Tatsache, daß es im Phra rätchaphongsäwadän chabap phrii rätchahatlekhä - abweichend von der Chronikversion THIPHÄKARAWONG's -geheißen hatte, Phrayä Thatsadä habe zusammen mit Phrayä Rätchasetthi im Jahre 1782 Nguy~n Anh überredet nach Bangkak zu kommen (s.o. Anm. 67), ist vermutlich auf Verwechslung mit dem hier im DNThL überlieferten Zusammentreffen zwischen ~hrayä Thatsadä (That-xi-da) und Nguy~n Anh im Jahre 1784 zurückzuführen, das m kemer der thailändischen Chroniken erwähnt wird.

77 Wie die thailändischen Chroniken übereinstimmend berichten (THIPHÄKARA­

: o G, a. a: 0 ., 12 ff; Phra rätchaphongsäwadän chabap phra rätchahatlekhä, 458 u . . 60 f), sch1ckte Räma I. -wahrscheinlich aufgrund der Bitten Chu-Van-Thi~p's -un Jahre 1783 auch eine Landarmee nach Cochinchina zum Kampf gegen die Täy SO'n. Durch kam~odschanische Kontingente verstärkt focht sie mehrere Schlachten mit den von Sa1gon kommenden Rebellentruppen aus. Doch obwohl sie hierbei siegreich ~a~, ~onnte die siamesische Armee ihr Ziel, die Eroberung Saigons, nicht erreichen, F ~il lhr General, Phrayä Sawan, Verrat beging und gemeinsame Sache mit_ dem Aelnd machte. Auf die Nachricht hiervon, beorderte ihn Räma I. zusammen mit der ~~e nach ~angkok zurück und ließ ihn hinrichten. -Diese gescheiterte Kampagne

5 78emt den Vletnamesischen Chronisten unbekannt geblieben zu sein.

B . DNThL ll, 55 ff; vgl. AUBARET, a. a. 0 ., 50 ff u. NXI YQNG, a. a. 0., 427 ff.- Der a encht von . diesem Kriegszug in den thailändischen Chroniken (THIPHÄKARA woNG, ,;, ~· 0., 77 ff; Phra rätchaphongsäwadän chabap phra rätchahatlekhä, 461 f) stimmt n ·~Itgehend mit dem des DNThL überein. Allerdings ist in den thailändischen Chro­~· en nur von 5000 Soldaten die Rede, die Räma I. mit Nguy~n Anh nach Cochin­'" mda entsandte, eine Truppe, die aber in HiHien durch lokale Kontingente verstärkt .. ur e .

78 DNThL II . - · An . dl '59, vgl. AUBARET, a. a. 0., 57 f u. NAI YQNG, a . a. 0 ., 437 ff.- D1ese (T:e _ ung Nguy~n Anh's in Bangkak wird in den thailändischen Chroniken Iekh_HAKARAwoN~, a. a. 0., 49 f; Phra rätchaphongsäwadän citabap phra rätchahat­tr ff a, 455) S?Wle im Phongsäwadän Yüon (16) im Zusammenhang mit dem Ein-

e en des Prmzen in der siamesischen Hauptstadt im Jahre 1782 erwähnt.

107

seiner Unterstützung des vietnamesischen Prinzen in erster Linie eigen­nützige Pläne verfolgte. Es ist aus dem Erkennen dieser Absichten zu ver­stehen, daß Nguyen Anh sich dazu entschloß, Siam auf eigene Faust zu ver­lassen und nach Codlinchina zurückzukehren.

Zur Ausführung gelangte dieser Entschluß im siebenten Monat des Jahres 1787, wobei die Wahl des Zeitpunktes davon bestimmt wurde, daß Nachrich­ten von Streitigkeiten unter den Vietnam gemeinsam regier~nden Täy San­Führern zu Nguyen Anh gelangt waren 84 • Da er fürchtete, die Siamesen wür­den versuchen, ihn zurückzuhalten, bradl der Prinz nachts in aller Heimlichkeit mit seinen Schiffen von Bangkok auf. Wie berechtigt seine Befürdltungen waren, zeigte sidl daran, daß am nädlsten Morgen, als seine Flucht bemerkt worden war, der siamesische Mahä Uparät (designierter Thronfolger) so­gleich die Verfolgung der Vietnamesen aufnahm. Es gelang ihm jedoch nidlt mehr, sie einzuholen.

Nguyen Anh war offensidltlich darum bemüht, es trotz seines Fortgangs von Bangkok zu keinem endgültigen Bruch mit Räma I. kommen zu lassen. So hinterließ er einen Absdliedsbrief, in dem er dem siamesisdl~n König für seine Gastfreundschaft dankte 85 , und von seinem vorläufigen Aufenthalts­ort, der Insel Tre im Golf von Siam, aus nahm er einen vietnamesischen Mandarin gefangen, der Seeräuberei getrieben und ein siamesisdles Han­delsschiff gekapert hatte. Nguyen Anh ließ ihn enthaupten und sdlick.te den abgeschlagenen Kopf nadl Bangkok ss. ·

84 DNThL Il, 64 f; vgl. AUBARET, a. a. 0., 59 f u. NÄI YQNG, a. a. 0., 454 ff. - Zur Schilderung von Nguy~n Anh's Weggang von Bangkok in den thailändiscben Quel­len s. THIPHÄKARAWONG, a. a. 0., 146 ff; Phrli rätchaphongsäwadän chabap phrli rät­chahatlekhä, 503 f; Phongsäwadän Yüon, 18 ff.- Vgl. auch WENK, a . a. 0., 111 ff; MAYBON, a. a. 0 ., 222 f u. LE THANH KIIOI, a. a. 0., 313 f.

85 Eine Wiedergabe des Inhalts dieses Briefes findet sieb bei THIPHÄKARAWONG, a. a. 0., 150 u. in Phrli rätchaphongsäwadän chabap phrli rätchahatlekhä, 504. Nach ~enntnisnahme dieses Schreibens gab König Räma I. zu erkennen, daß auch er an emer Aufrechterhaltung seiner guten Beziehungen zu Nguy~n Anh interessiert w_ar: E.r erklärte, Verständnis für die Handlungsweise des Prinzen zu haben, da dieser Ja habe erkennen müssen, daß Siam ihm wegen der anhaltenden kriegerischen v.~rwiddungen mit Burma in absehbarer Zeit würde keine wirksame Hilfe leisten ~?nnen. Der Mahä Uparät jedoch vertrat eine entgegengesetzte Ansicht: Er be­fur.chtete, der Prinz könnte, einmal an die Spitze eines mächtigen vietnamesiscben Reiches gelangt, zu einem gefährlichen Feind Siams werden, da er die innere Ver­fassung und den Zustand des Landes aufgrund seines langen Aufenthaltes hier g~~aue~ten~ kenne und gestützt darauf etwaige feindliebe Absichten umso leichte~ ~urd~ lD d1e Tat umsetzen können. Der hieran geknüpften Forderungen des Maha

parat, Nguy~n Anh unter allen Umständen wieder nach Bangkok zurückzuholen, entspradl der König nicht, jedoch gab er Anweisung zur Erridltung von Befestigungs­~a~en am Mänam zwischen Bangkok und dem Meer als Schutzmaßnahme gegen m~~h~e Angriffe auf dem Wasserwege (s. hierzu THIPHÄKARAWONG, a. a. 0 ., 151) . th .. ~le.se Obersendung des abgeschlagenen Kopfes eines Seeräubers wird von der

a.lland1schen Chronik bestätigt (THIPHÄKARAWONG, a. a. 0 ., 165, wo audl noch von (;eiteren ~urdl Nguy~n Anh unschädlich gemachten Seeräubern die Rede ist}. Hi~r (~4 ff}. Wird darüber hinaus berichtet, Räma I. habe den sich auf der Insel Kut k-::- Tre?) aufhaltenden vietnamesiscben Prinzen sogar ausd~cklicb mit .?e~ Be­d~Pfung der Seeräuber im Golf von Siam beauftragt und thm zur Bewältigung

0teser.:A~fgabe ein Kriegsschiff sowie Feuerwaffen und M~tion üb~rsandt (178~. er Kc:>rug gab Nguy~ Anh daiilit zu verstehen, daß er d1e alten Bmdungen ZWl­

~en ~en nicht abreißen lassen wollte. Im Jahre 1788 erfolgte noch eine zweite affenlieferung Räma's I. an Nguy~ Anh auf Küt (ibid. 179).

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Wenn der Prinz auf diese Weise bemüht war, sich das Wohlwollen des siamesischen Königs zu erhalten, so sicherlich vor allem in der Hoffnung, von ihm in den bevorstehenden Auseinandersetzungen mit den Täy Scrn unterstützt zu werden- wenn auch nicht durch Entsendung von Hilfstrup­pen, so doch durch die Lieferung dringend benötigten Kriegsmaterials. Aus diesem Wunsch heraus ist es auch zu verstehen, daß Nguyen Anh sich dazu entschloß, sein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Siam, in das er sich im Jahre 1782 durch die Obersendung von Gold- und Silberblumen formal be­geben hatte, weiterhin anzuerkennen: In den Jahren 1790, 1793, 1795 und 1801, so berichtet das DNThL, schickte er Gesandtschaften zu Räma I., die Gold- und Silberblumen sowie andere Geschenke wie z. B. Spiegel, Laternen, Zucker, Bienenwachs und aus bestimmten Pflanzen gewonnene Arzneimittel überbracb.ten 87 • Die thailändischeChronik derRegierungszeitRäma's I. ver­zeichnet dieseGesandtschaftenNguyenAnh's und die vonihnenüberbrachten Geschenke in genauer Obereinstimmung mit der vietnamesischen Quelle 88

und erwähnt darüber hinaus noch zwei weitere in den Jahren 1788 und 1797 89• Damit ergibt sich das Bild, daß der vietnamesische Thronprätendent nach seinem Weggang von Bangkok in der Art und Weise eines Vasallen­fürsten regelmäßig alle zwei bis drei Jahre Tributmissionen an den siame­sischen König entsandte. Seinedarangeknüpften Hoffnungen erfüllten sich: In den Jahren 1795, 1796 und 1800 übersandte ihm Räma I. bis zu zwanzig Kriegselefanten, im Jahre 1800 darüber hinaus 30 Wagenladung·en Reis 90 •

In Erwiderung auf Nguyen Anh's Tributmission des Jahres 1790 schickte ihm Räma I. zwei Pferde, Seidenstoffe und Bronzegongs 91 •

Auf diese Weise etablierte sich zwischen Nguyen Anh und Räma I. ein festes Bündnis, das dem vietnamesischen Prinzen den Vorteil siamesischer Hilfeleistungen und dem siamesischen König die Anerkennung der Vasallen­schaft durch den Beherrscher des südlichen Cochinchina eintrug. In dieser Lage der Dinge zeigt sich deutlich die Machtverschiebung zugunsten Siams, die sich im siamesisch-vietnamesischen Verhältnis bedingt durch den inner­vietnamesischen Konflikt zwischen Nguyen Anh und den Täy Scrn ergeben hatte. Eine Änderung trat hierin erst ein, nachdem Nguyen Anh im Jahre

87 DNThL 11, 128, 182, 224 u. 390 f. 88 THIPHÄKARAWONG, a. a. 0., 202 f, 234 f, 252 f u . 267 f. 88 ibid., 181 f u. 261. - Das DNThL (II, 80) erwähnt für das Jahr 1788 eine

Gesandtschaft Nguy~n Anh's nach Siam, die eine Siegesbotschaft überbrachte. Es darf vermutet werden, daß es sich bei dieser um die bei THIPHÄKARAWONG für das­selbe Jahr verzeichnete Tributmission des Prinzen handelt und daß die vietname­sische Quelle die Uberbingung der Gold- und Silberblumen an dieser Stelle un­erwähnt gelassen hat. Auch Nguy~n Anh's Missionen der Jahre 1793, 1795 und 1801 überbrachten Siegesnachrichten. - Eine bei TBIPHÄKARAWONG nicht verzeichne~e Geschenkmission Nguy~n Anh's nach Bangkak meldet das DNThL (II, 230) noch fur das Jahr 1796.

80 DNThL II, 208, 237, 361 u. 350.- Lediglich für eine dieser Lieferungen Räma's I. an Nguy~n Anh gibt es bei THIPHÄKARAWONO (a. a. 0., 253) eine- indirekte- Be­stätigung: Im Zusammenhang mit der Tributmission des Prinzen vom Jahre 1795 heißt es hier, daß dieser sich bei der Gelegenheit für die zwanzg übersandten Ele-fanten bedankte. · _ .

81 DNThL II, 140; vgl. THIPHÄKARAWONG (206), wo noch weitere Geschenke Rama 5 I aufgezählt werden.

110

1802 durch seinen endgültigen Sieg über die Rebellen das gesamte Vietnam unter seiner Herrschaft vereinigt hatte und von da an seine Tributsendungen nadl Bangkok einstellte.

Die getreue Einhaltung der Verpflichtungen Nguy~n Anh's als Vasall und Räma's I. als Oberherr führte zu einem überaus guten Einvernehmen zwi­sdlen ihnen, wie sich zahlreimen im DNThL überlieferten Fällen entnehmen läßt. Der erste dieser Art gehört in das Jahr 1788 92 : Nguy~n Hoimg Duc, ein Nguy~n Anh treuer Mandarin war nach vorübergehender Gefangen­sdlaft bei den Tay San über Laos nach Bangkok geflohen in der Hoffnung, dort den Prinzen zu finden. Dieser hatte jedoch zu diesem Zeitpunkt sein Exil bereits verlassen. Die dringende Bitte Hoä.ng Dtrc's unverzüglich seinem Herrn folgen zu dürfen, gab Räma I. zunächst nicht statt, sondern ließ den Flüdltling vorerst im Lande festhalten. Er scheint dabei die Absicht verfolgt zu haben, diesen Anhänger Nguy~n Anh's als eine Art Faustpfand für die Treue des erst vor kurzem außer Landes gegangenen Prinzen zu benutzen. Als dieser jedoch, von dem Schicksal Hoang f>(rc's unterrichtet, brieflich darum bat, den Mandarin ziehen zu lassen, widersetzte sich der König nicht länger. Zusammen mit Hoang Duc übersandte er dem Prinzen 50 Kriegs­schiffe, sowie Feuerwaffen, Schwefel und Salpeter.

Im Jahre 1789 kam eine Gesandtschaft des kleinen malaiischen Staates Tani zu Nguy~n Anh mit dem Ansinnen, gemeinsam gegen Siam. Krieg zu führen 93 • Unter Hinweis auf die bestehende Freundschaft mit Räma I. lehnte Nguy~n Anh diesen Vorschlag strikt ab, ließ die überbrachten Geschenke zurückschicken und unterrichtete Räma I. von dem Vorfall 94•

War es hier ein Feind Siams gewesen, der das Bündnis mit Nguy~n Anh gesucht hatte und abgewiesen worden war, so waren es im Jahre 1794 -gerade umgekehrt- Nguy~n Anh's Feinde die Tay San, die den Versuch unternahmen, Räma I. auf ihre Seite zu ziehen und damit scheiterten 95•

Beunruhigt durch die wachsenden Erfolge des Prinzen hatte der Tay San Führer Nguy~n Quang Toan eine Gesandtschaft mit Gold und Silber als Ge­schenk nach Bangkok geschickt, um Räma I. für eine Allianz gegen Nguy~n Anh zu gewinnen. Dieses Ansinnen ließ Räma I. sofort einem zufällig zur selben Zeit in Bangkok angekommenen Gesandten Nguy~n Anh's mitteilen. Gleichzeitig ließ er dem Prinzen folgenden Plan unterbreiten: Er werde da­von absehen, die Tay San-Gesandten an Nguy~n Anh zur Aburteilung aus­zuliefern, um so das Vertrauen der Rebellen zu gewinnen. Dies - so der Vorschlag Räma's I.- sollte dann zu einem vereinten Angriff auf die in der Hand der Rebellen befindliche, strategisch wichtige Stadt Phu-xuan ausge­nutzt werden, wobei die siamesischen Truppen, auf dem Landwege an-

~2 DNThL II, 87 ff. - In genauer Obereinstimmung hiermit wird dieser Fall auch be~ TBIPHÄKARAWONG (a. a. 0., 165 u. 179 f) geschildert.

DNThL Il, 106 . •

14 THIPHÄKARAwoNG (a. a. 0., 201) bestätigt diesen Sachverhalt vollauf und be­~d!tet, daß Siam auf die Benaduichtigung durch Nguy~ Anh hin eine Strafexpedi­tion gegen den rebellierenden Räja unternahm.

85 DNThL II, 204.

111

rückend, von der einen und die Soldaten Nguyen Anh's auf Schiffen von der anderen Seite angreifen sollten. Nguyen Anh war mit diesem Plan einver­standen, doch gelangte er nicht zur Ausführung, da Siam inzwischen in neuerliche Auseinandersetzungen mit Burma verwickelt wurde 96•

Bereits zwei Jahre zuvor hatte Nguyen Anh schon einmal vergeblich ver­sucht, Räma I. für einen gemeinsamen Angriff auf die in Rebellenhand befind­liche Stadt Qui-Nhan zu gewinnen 97 • Auch damals hatte Siam- wie wir aus der thailändischen Chronik wissen -mit dem Hinweis auf drohende kriege­rische Auseinandersetzungen mit Burma ablehnen müssen 98• Räma I. konnte hierbei mit dem Verständnis Nguyen Anh's rechnen, der während seines Bangkoker Exils erfahren hatte, welche überragende Rolle der permanente Konflikt mit Burma im außenpolitischen Denken der Siamesen spielte.

Wieweit dieses Verständnis und die Loyalität Nguyen Anh's gegenüber Räma I. reichten, zeigt sich besonders deutlich in seinem Brief an den siame­sischen König vom achten Monat des Jahres 1797 99 . Er berichtet darin über den Fortgang seines Krieges gegen die Tay San und erwähnt, daß er von einem bevorstehenden Angriff Burmas auf Siam mit Hilfe englischer Kriegs­schiffe gehört habe. Falls es wirklich dazu kommen sollte, sei er bereit, eine Flotte zur Unterstützung Siams zu sChicken. Im zweiten Monat des Jahres 1798 erschien daraufhin eine siamesisdle Gesandtsdlaft bei ihm, die ihn angesichts des drohenden burmesisdlen Angriffs um Truppenunter­stützung bat1°0 • Der Prinz ließ daraufhin eine Flotte von 100 Schiffen und 7000 Soldaten ausrüsten und nach Siam in Marsch setzen. Bevor diese jedoch ihr Ziel erreichten, traf die Nadlricht ein, daß der burmesische Angriff bereits abgeschlagen worden sei, woraufhin sie nach Vietnam zurückkehrte. Immer-

95 Dieser Bericht von der Täy SO'n'Mission an Räma I. wird von THIPHÄKARAWONG (a. a. 0., 238 ff) bestätigt, doch wird hier nicht der Plan des siamesischen Königs zu einer militärischen Aktion gegen die Aufständischen erwähnt.

17 DNThL Il, 154. 98 THIPHÄKARAWO G, a. a . 0., 218 f.- Im DNThL heißt es in diesem Zusammen­

hang, Siam habe von sich aus angeboten, Nguy~n Anh Truppenhilfe zu leisten und dieser habe erst daraufhin seinen Plan eines gemeinsamen Angriffs auf Qui-NhO'n unterbreitet. Dies erscheint angesichts des zu diesem Zeitpunkt bereits absehbaren Beginns einer siamesischen Kampagne gegen Burma unwahrscheinlich. Das DNThL erwähnt keine Antwort Siams auf den Vorschlag Nguy~n Anh's, doch heißt es dort, (ibid., 117 f), Siam habe im Jahre 1793 (9. Monat) eine 50000 (!)Mann starke Armee unter dem Mahä Uparät und Phrayä Cakri sowie eine Flotte von 500 Schiffen in Marsch gesetzt, um mit Nguy~n Anh gegen die Täy SO'n zu kämpfen. Die Lan.~armee habe zunächst bei Phnom Penh Halt gemacht, während die Flotte in Ha-tien vor Anker gegangen sei. Dann jedoch habe Nguy~n Anh das geplante Unternehmen ~b­gesagt, da die Jahreszeit der Nordostwinde bereits nahe gewesen sei und. de~ Ern­satz der siamesischen Flotte damit nicht mehr möglich gewesen wäre. D1e slam~­sischen Truppen hätten sich daraufhin zurüdcgezogen. In der thailändischen Chromk fehlt nicht nur jeder Hinweis auf einen derartigen siamesischen Truppenaufmarsch in Kambodscha, sondern er ersch.eint hiernach auch als geradezu undenkbar .. Denn die Jahre 1792 und 1793 waren ausgefüllt von einem alle Kräfte des Landes m ::r spruch nehmenden Kriegszug Siams gegen Burma (THIPHÄKARAWONG, a. ~· 0 ., ~2 • vgl. WENK, a. a. 0., 73 f). Es ist nicht ersich.tlich, worauf die mit der s1ames1s~en Chronik unvereinbaren Angaben des DNThL an dieser Stelle zurüdczuführen smd.

11 DNThL Il, 269. 100 ibid., 280; ebenso THIFHÄKARAWONG, a . a. 0., 259 f.

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hin hatte Nguy~n Anh mit dieser Aktion Räma I. gegenüber auch demon­strieren können, daß seine Position in Vietnam zu diesem Zeitpunkt bereits so stark geworden war, daß er nicht mehr nur der Hilfe und Unterstützung bedurfte, sondern u. U. auch bereits selbst in der Lage war, militärische Hilfe zu leisten.

Dies bedeutete freilich nicht, daß er zu diesem Zeitpunkt schon unmittelbar vor seinem Ziel, der Niederwerfung der Tay San, stand und auf keinerlei Unterstützung von außen mehr angewiesen war. Vielmehr schidde er noch im Jahre 1799 Gesandte mit zehn Kanonen und einem Schiff als Geschenk an Räma I. und ließ ihn bitten, einen siamesischen General mit kambodscha­nischen und laotischen Hilfstruppen zur Unterstützung eines geplanten An­griffs auf die in Rebellenhand befindliche Provinz Ngh~ An im nördlichen Mittelvietnam zu schicken 101• Der siamesische König gab dieser Bitte statt.

Das gute Einvernehmen zwischen Nguyen Anh und Räma 1., wie es in den hier dargestellten Beziehungen zwischen ihnen in der Zeit der Tay San Kriege herrsd:lte, setzte sich auch fort, nachdem der Prinz im Jahre 1802 durch seinen Sieg über die Rebellen und Vereinigung des ganzen Landes unter seiner Herrschaft Vietnam zu einer bedeutenden Macht im südostasia­tischen Kräftespiel gemacht hatte. Von nun an dokumentierte sich das gute Verhältnis zwischen den beiden vor allem im häufigen Austausch von Ge­sandtschaften, die Briefe und Geschenke von dem einem zum anderen brachten.

Im achten Monat des Jahres 1802 schickte Siam- ebenso wie Kambodscha und das Lao-Reich Vientiane- einen Brief an Nguy~n Anh, in dem er zu seinem Erfolg beglückwünscht wurde 102• Gia-long, wie sich Nguy~n Anh von nun an nannte, antwortete hierauf Anfang des Jahres 1803 mit einer Ge­sandtschaft nach Bangkok, die Geschenke wie Bienenwachs, Seidenstoffe und Zucker an Räma 1., den Mahä Uparät, hohe Würdenträger und an die vietnamesische Frau Räma's I. - NgQc Thöng - überbrachte 108. Unter den Geschenken an den siamesischen König befand sich auch eine größere Menge Gold und Silber, doch wurde es dieses Mal nicht wie bei den früheren Missio­nen in Form von Gold- und Silberblumen, dem Zeichen der Vasallenschaft, überreicht. Gia-long gab damit zu verstehen, daß er das bis dahin zumindest formal anerkannte Vasallenverhältnis gegenüber dem siamesischen König als beendet betrachtete. Dies war angesichts seiner neu gewonnenen Macht­fülle nur natürlich und scheint dementsprechend von Räma I. ohne weiteres akzeptiert worden zu sein.

Nur einige Monate später schickte der siamesische König dann eine Ge­sandtschaft unter Sa-phät Ba-ni (Phra Phetpäni) mit Geschenken zu Gia-long,

101 DNThL II, 298; ebenso TmPHÄKARAWONG, a. a. 0 ., 264. Erst im Jahre 1802, in der allerletzten Phase von Nguy~n Anh's Kampf gegen die Tay SO'n, berichtet das DNThL (lii, 12) vom Eingreifen der von Siam geschickten laotischen Hilfstruppen in Ngh~-An.

102 DNThL 111, 65. 103 ~bid., 113; vgl. THIPHÄXARAWONG, a. a. 0., 293. - NgQc-thöng war die Todlte~

des mit Nguy~ Anh verwandten Tön thät Xuan, der im Jahre 1777 nadl Thonbon gekommen und bald darauf auf Befehl Taksins hingeridltet worden war.

113

die im 11. Monat des Jahres 1803 in Vietnam eintraf 104• Bereits im folgenden Jahr kam die nächste Gesandtschaft Gia-long's mit ähnlichen Geschenken wie die vorangegangenen nach Bangkok 105• Dieses Mal bildete die Krema­tion des kurz zuvor verstorbenen Mahä Uparät den Anlaß. Im Jahre 1807 erschien eine Gesandtschaft Räma's I. bei Gia-long, die die Nachricht vom Tode des Krom phra rätchawang lang überbrachte 106• Der vietnamesische Kaiser entließ sie reich beschenkt und schickte sodann als Erwiderung eigene Gesandte nach Bangkok. Sowohl die siamesisch.e als auch die vietnamesische Gesandtschaft überbrachte Geschenke.

Im Anschluß an die Entsendung dieser Gesandtschaft des Jahres 1807 er­ließ Gia-long Bestimmungen zur Regelung des diplomatischen Verkehrs zwi­schen Siam und Vietnam 107 : siomesische Gesandtschaften nach Vietnam und vietnamesische nach Siam sollten, wenn sie auf dem Landweg reisten, zwölf Personen umfassen, auf dem Wasserwege 50. Dabei sollten sie im ersten Falle ihren Weg über Kambodscha nehmen, im zweiten sollten die aus Siam kommenden Gesandten mit ihren Schiffen bis Gia-dfnh fahren und von dort aus auf dem Landwege nach. Hue weiterreisen.

Die letzte Gesandtschaft Gia-long's zu Lebzeiten König Räma's I. erschien im elften Monat des Jahres 1808 in Bangkok tos.

Der rege diplomatische Verkehr zwischen Räma I. und Gia-long ist zwar der augenfälligste Ausdruck des guten Verhältnisses ihrer beiden Länder zueinander jedoch nicht der einzige. Ein anderer Aspekt von besonderer praktischer Bedeutung war die Art und Weise, in der siamesische Handels­schiffe beim Anlaufen vietnamesischer Häfen behandelt wurden. Dem DNThL zufolge wurden die hiermit zusammenhängenden Probleme in der Zeit Gia­long's erstmals im Jahre 1803 akut, als ein siamesischer Kauffahrer durch einen Sturm gezwungen wurde in Vietnam einen Nothafen anzulaufen 109•

Als dem Kaiser dies gemeldet wurde, erließ er die Bestimmung, daß künftig in derartigen Fällen den in Not Geratenen jeweils soviel Reis verkauft werden sollte, wie sie für ihren Eigenbedarf brauchten- jedoch nicht mehr. In dieser Einsduänkung ist kein unfreundlicher Akt gegen Siam zu sehen, sondern lediglich die Absicht, den Export von Reis grundsätzlich auszuschlie­ßen, der als knappes Grundnahrungsmittel allein dem Inlandsbedarf reser­viert bleiben sollte.

In der Folgezeit profitierten Sch.iffe aus Siam in Vietnam wiederholt von den neuen Bestimmungen Gia-long's: In den Jahren 1804 und 1809 berichtet das DNThL, daß an siamesisch.e Handelssch.iffe, die zum Anlaufen von Not­häfen in Vietnam gezwungen gewesen waren, Reis ausgegeben wurde 110

• Im Jahre 1807 war es eine siamesisch.e Gesandtsch.aft an den kaiserlich.en Hof

10' DNThL 111, 150; vgl. TmPHÄKARAWONG, a. a. 0 ., 297. 105 DNThL 111, 173; vgl. TmPHÄXARAWONG, a. a. 0., 312. 108 DNThL 111, 322; vgl. TBIPHÄXARAWONG, a. a. 0 ., 336 ff. 1°7 DNThL 111, 322. 108 ibid., 397. 108 ibid., 151. uo ibid., 179 u . DNThL IV, 33.

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von China, die in den Gewässern vor Blnh-Dinh in Seenot geraten war und einen vietnamesischen Hafen angelaufen hatte 111 • Sie benutzte die Gelegen­heit, um Gia-long ihre Aufwartung zu machen. Dieser ließ an die siamesi­schen Gesandten Reis und Geld austeilen und sorgte für die Reparatur ihres Schiffes. Siam bedankte sich später hierfür durCh die Obersendung eines entspreChenden Geldbetrages.

Eine besondere Lage ergab sich im Jahre 1804 durCh das Anlegen eines in Seenot geratenen siamesischen Schiffes im Hafen von R~Ch-gia (Gia-dinh) 112 :

Der Kapitän dieses Schiffes hatte, um siCh in den Besitz der geladenen Waren zu bringen, einen an Bord befindlichen siamesischen Beamten hohen Ranges (Phi-nha = phrayä) sowie dreizehn weitere Personen umgebraCht. Als die vietnamesischen Beamten davon Kenntnis erlangten, wurde der Kapitän auf Veranlassung des Gouverneurs von Gia-djnh festgenommen und naCh Siam ausgeliefert, worin ein Akt vietnamesischer "Rechtshilfe" an Siam zu sehen ist.

Wie sich leicht vorstellen läßt, begünstigte die naCh ca. dreißigjährigem Bürgerkrieg in der Epoche Gia-long's erreiChte Stabilität und innere SiCher­heit Vietnams auch Siams Handel mit diesem Lande und ließ ihn im Laufe der Zeit intensiver werden. Dieser Umstand bildete vermutliCh den Anlaß dafür, daß Gia-long im Jahre 1809 (siebenter Monat) eine Reihe neuer Be­stimmungen erließ, die dem Handel Siams mit seinem Lande eine verbind­liche Regelung geben sollten, um so eine mögliche Quelle siamesisch-vietna­mesischer Streitigkeiten zu beseitigen 113.

Die Bestimmungen Gia-long's sahen unter anderem vor, daß siamesische Handelsschiffe beim Anlaufen eines vietnamesischen Hafens eine Hafen­gebühr zu entrichten hatten, deren Höhe sich nach der Breite des betreffen­den Schiffes rühtete. Diese Gebühren wurden jedoch erlassen, wenn die ein­laufenden Handelsschiffe bestimmte, entsprechend ihrer Breite festgelegte Mindestmengen an Eisen zum Verkauf mitbrachten. Außerdem berechtigte erst der Verkauf des offenbar stark begehrten Eisens die siamesischen Han­delsherren zum Kauf bestimmter AusfuhrbesChränkungen unterworfener Waren wie Seide und Zucker in Vietnam. Für die Ausfuhr einiger als "wert­vouu klassifizierter Waren wie Elfenbein, Rhinozeroshorn, Cardamon, Kaneel, Pfeffer sowie verschiedener Edelhölzer aus Vietnam war ein Zoll von 5 quan je 10 quan des Warenwertes zu entrichten. In dem Fall, daß ein siamesisches Handelsschiff nacheinander mehrere vietnamesische Häfen an­lief, brauchte es jeweils nur im ersten die Hafengebühr zu entrichten ; ein von der betreffenden Hafenbehörde auszustellendes Dokument diente als Bestätigung hierüber. Ein absolutes Ausfuhrverbot bestand für Gold, Silber, Reis, Salz, Muskatnuß, Kupfermünzen (tien d5ng), Ky-Nam (ein Arzne.i­mittel) und Aloe-Holz. Lediglich zur Deckung des Eigenbedarfs war es den siamesischen Schiffen erlaubt am Tage ihrer Rückkehr ein phtrang Reis pro

~~ DNThL 111, 316. ibid., 215.

ua DNThL IV, 33 ff ••

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Kopf der Besatzung einzukaufen. Eine Beschränkung grundsätzlicher Art bestand für den siamesischen Vietnamhandel darin, daß lediglich Häfen in den südlichen Provinzen Vietnams von Gia-dinh bis Quang-ngäi angelaufen werden durften, nördlicher liegende jedoch nicht.

Diese und einige andere der insgesamt dreizehn Punkte umfassenden Handelsbestimmungen geben im Einzelnen mehr Aufsdlluß über die Wirt­schafts- und Innenpolitik Gia-long's als über die Beziehungen zwischen Siam und Vietnam in seiner Zeit, doch ist es im Hinblick auf sie aufschlußreich, daß dieselben Bestimmungen wie auf Siam auch auf Ha-tien Anwendung fanden, Siam also handelspolitisch mit Ha-tien gleichgestellt wurde. Da Ha-tien be­kanntlich seit den Zeiten M<,ic Thien-ttr's eng mit Cochinchina/Vietnam ver­bunden war, so muß in dieser Gleichstellung eine Begünstigung Siams als Handelspartner Vietnams gesehen werden m.

Das sich hier zeigende Entgegenkommen Gia-long's gegenüber den han­delspolitischen Interessen Siams erscheint um so bemerkenswerter, als der chua von Cochinchina im Jahre 1755 nicht einmal bereit gewesen war, auf der Basis von Gegenseitigkeit Siams Wünsche nach Handelserleid:lterungen zu erfüllen. Im Gegensatz hierzu ist im DNThL nirgends davon die Rede, daß Gia-long für seine Zugeständnisse an Siam irgendwelche Gegenforderungen erhoben hätte 115• Somit lassen also auch die SiamsSchiffsverkehr und Handel betreffenden Stellen in den vietnamesischen Annalen erkennen, daß Gia­long um die Aufrechterhaltung gutnachbarlicher, freundlicher Beziehungen zu Räma I. bemüht war.

Dieses Bestreben des vietnamesischen Kaisers kommt schließlich auch in der Beilegung eines vietnamesisch-siamesischen Konflikts zum Ausdruck, von dem das DNThL unter dem Jahre 1806 berichtet 116 : Zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt und aus ebensowenig genannten Gründen war eine Anzahl Siamesen unter der Führung von N<,ii Khäm-ti~p und N<,ii Cam-thac in die nordvietnamesische Provinz Htrng-h6a nach Ninh-bien gekommen und hatte sich dort niedergelassen. Im dritten Monat des Jahres 1806 er­schien der siamesische Beamte Phi-nhä Xuöng-ngän (Phrayä Chieng Ngön) mit Truppen an der Grenze der Provinz Htrng-h6a und schickte eine Abord­nung nach Hanoi, die dem dortigen Gouverneur die Aufforderung über­brachte, die in Ninh-bien siedelnden Siamesen nach Siam zurückkehren zu

114 Die Sonderstellung von Sdliffen Siams und Ha-tien's gegenüber solchen an­derer Herkunft ergibt sich deutlich aus Punkt vier der Handelsbestimmungen, wo es heißt, daß nur die größten Schiffe Siams und Ha-tiens, d. h. diejenigen mit einer Breite von mehr als 15 thtrO'C (vietn. Meter), Hafengebühren in derselben Höhe ~e Schiffe von der Insel Hainan zu entrichten hatten, während alle kleineren - w1e erwähnt - je nach Breite weniger zahlten. Hainan-Schiffe wiederum zahlten gemäß einer Bestimmung aus dem Jahre 1802 einen besonders niedrigen Zolltarif (s. Wood­side, a. a. 0., 114).

115 Man darf jedodl annehmen, daß hierbei auch ein Eigeninteresse Gia-long's an einer Steigerung des Außenhandels seines Landes mitspielte, worauf sein in .den Handelsbestimmungen erkennbar werdender Wunsdl nadl dem Import von Etsen nadl Vietnam hindeutet.

111 DNThL lll, 212; vgl. THIPHÄKARAWONG, a. a. 0., 324 ff.

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lassen 117• Der Gouverneur von Hanoi ließ die Gesandten Phrayä Chieng Ngön's festhalten und erstattete umgehend Bericht an den Hof von Hue. Gia-long beklagte sich daraufhin in einem Brief an Räma I. darüber, daß sich Siam grundlos eines feindseligen Aktes gegenüber Vietnam sdmldig ge­macht habe. Dieses Schreiben führte umgehend zur Beendigung des Streites: Räma I. ließ Phrayä Chieng Ngön abziehen und Gia-long gab Befehl, die in Hanoi festgehaltenen siamesischen Abgesandten versorgt mit Geld und Lebensmitteln in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, "damit Friede herr­scheu. - Räma I. antwortete hierauf mit einer Gesandtschaft nach Hue und entschuldigte den Zwischenfall damit, daß Phrayä Chieng Ngön eine Kom­petenzüberschreitung begangen habe und daher die alleinige Verantwortung für den Zwischenfall trage. Auch der siamesische König brachte bei dieser Gelegenheit seinen Wunsch zum Ausdrmk, der Frieden zwischen beiden Ländern möge lange erhalten bleiben. Gia-long kommentierte dieses Schrei­ben Räma's I. dahingehend, daß Siam seine Schuld in dieser Angelegenheit eingesehen habe und nunmehr alles auf die Eigenmächtigkeit des Phrayä Chieng Ngön zurückführe; doch trage er den Siamesen nichts nach. - Mög­licherweise war die siamesische Gesandtschaft, die im achten Monat des Jahres 1806 in Vietnam eintraf und Gia-long drei Kriegsschiffe als Geschenk überbrachte als eine Geste der Versöhnung und Wiedergutmachung von seiten Siams gemeint; einen besonderen Grund für ihr Kommen nennt das DNThL nicht us. Gia-long entließ die siamesischen Gesandten reichbeschenkt

Angesichts der zahlreichen im DNThL überlieferten Zeugnisse für das gute Verhältnis zwischen Siam und Vietnam unter Räma I. und Gia-long drängt sich die Frage auf, wie es den beiden Herrschern gelang, die in der Geschichte ihrer Länder angelegte machtpolitische Rivalität zu bewältigen, die noch unmittelbar vor der Thronbesteigung Räma's I. zur bewaffneten Konfronta­tion zwischen ihnen geführt hatte. Zur Beantwortung dieser Frage ist ein kurzer Rückblick auf das Schicksal Kambodschas hinsichtlich seiner Stellung zu Siam und Vietnam notwendig 110•

Nach dem Rückzug der siamesischen Truppen unter Cau phrayä Mahä­krasatsük aus Kambodscha im Jahre 1782 und unmittelbar nach der darauf­folgenden schweren Niederlage Nguy~n Anh's gegen die Rebellen waren in Kambodscha Unruhen und Parteienkämpfe ausgebrochen; weite Gebiete im mittleren und südlichen Teils des Landes waren unter die Kontrolle der Täy San geraten. In dieser bedrohlichen Lage war der unmündige König Angk-~ng in der Obhut einiger hochgestellter Persönlichkeiten des kambod­sdlanischen Hofes nach Bangkok zu Räma I. in Sicherheit gebracht worden. Unter der Oberherrschaft Siams übernahm ein kambodschanischer Würden-

117 Aus THIPBÄKARAWONG {a. a. 0 ., 325), geht hervor, daß Phrayä Chieng Ngön von Räma I. beauftragt worden war, Näi Khamthep und Näi Khanän Mahäwong nach Bangkak zurückzuholen, da der König die beiden für Staatsdienste in Ansprudl zu nehmen gedachte.

~:: DNThL 111, 308. s. hierzu LECLERE, a. a. 0., 396 ff; WENK, a. a. 0 ., 106 ff; D. P. CHANDLER, Cam­

bodia's Relations with Siam in the Early Bangkok Period: The Politics of a Tributary State, in Journal of the Siam Society LX/1 (1972), S. 153-170.

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träger namens Biin unter dem Titel Cau phraya Aphaiphübet die Regierung über das nördlidle Kambodsdla. Als Angk-:9ng im Jahre 1794 die Volljährig­keit erreidlte, ließ ihn Rama I. zum König von Kambodsdla krönen und an seinen Hof nadl Oudong zurückkehren. Gleidlzeitig wurden die beiden kambodsdlanisdlen Provinzen Battarnbang und Siemreap durch Siam von Angk-:9ng's Reidl abgetrennt und Cau phraya Aphaiphübet als Gouverneur über sie eingesetzt, was einer Annektion dieser Gebiete gleidlkam. Die in Kambodscha befindlidlen Tay-San-Truppen konnten jetzt vertrieben werden, lediglidl die Stadt Bassac blieb in ihrer Hand. Da Angk-:9ng bereits zwei Jahre nadl seiner Thronbesteigung starb und nur einen erst sechs Jahre alten Sohn- Angk Chant- hinterließ, setzte Rama I. einen kambod­sdlanisdlen Würdenträger als Regenten in Oudong ein, der unter der stren­gen politisdlen Aufsidlt Siams stand. Erst zehn Jahre später - 1806 -erhielt Angk-Chant in Bankok von Ramä I. die Investitur und nahm als neuer König von Kambodsdla die Regierungsgeschäfte in seine Hand.

Dodl wenn Siam audl, wie aus diesen Vorgängen deutlich wird, wegen der inneren Schwäche Vietnams über mehr als 30 Jahre hinweg nahezu unbe­schränkt seine Kontrolle über Kambodscha ausüben konnte, so finden sich im VNThL gleichwohl Anzeichen dafür, daß auch während dieser Zeit hodl­gestellte Persönlidlkeiten aus den Kreisen der kambodschanischen Hofbe­amtenschaft und des Adels Verbindung zu Nguy~n Anh hielten, und daß der Prinz selbst nicht daran dadlte, die alten Ansprüche seines Hauses auf dieses Land erlöseilen zu lassen. So heißt es in den Annalen z. B. unter dem Jahre 1788, daß ein seinem Titel nach hoher kambodschanisdler Würden­träger - Oc-nha Däu-rCSng-ong - Nguy~n Anh zwei Elefanten zum Ge­schenk machte 120 , und zwei Jahre später äußerte der Prinz, Kambodsdla sei "seit langem unser Vasa11" 121 • Weitere kambodschanische Missionen an Nguy~n Anh mit Geschenken in Form von Landesprodukten und Elefanten erwähnt das VNThL für die Jahre 1794, 1795, 1797 (nach dem Tode Angk­:9m's und der Königsweihe Angk-Chant's), 1798, 1802 und 1803 122. Wenn auch in keinem dieser Fälle etwas über die näheren Umstände dieser kam­bodschanisdlen Gesandtschaften mitgeteilt wird - die kambodschanisdlen Chroniken erwähnen sie überhaupt nidlt -, so sdleint doch die Vermutung geredltfertigt, daß sie ganz allgemein von dem Wunsdl kambodschanischer Hofkreise getragen waren, Vietnam für die Rolle eines politischen Gegen­gewichts zur Neutralisierung des übermächtigen siamesischen Einflusses auf Kambodsdla zu gewinnen. Dabei war es klar, daß diese provietnamesischen Kräfte wegen der von Siam ausgeübten Kontrolle nur mit größter Vorsidlt operieren konnten und ein Erfolg ihrer Bestrebungen angesichts der Bürger­kriegssituation in Vietnam nur auf lange Sicht möglich war.

So dauerte es bis zum Jahre 1807- ein Jahr nach dem Herrschaftsantritt Angk-Chant's und vier Jahre nadl der Vereinigung Vietnams durch Nguy~n-

t!O DNThL II, 80. tU ibid., 151. tu ibid., 203, 221, 275, 287, DNThL 111,45 u. 143.

118

Anh/Gia-long -, ehe Vietnam auf kambods<hanis<he Initiative hin wieder in aller Offenheit eine politis<he Funktion in Kambodscha übernahm. In diesem Jahr s<hi<kte König Angk-Chant eine Gesandtschaft zu Gia-long und ließ dur<h sie den vietnamesischen Kaiser um seine Anerkennung bitten 123.

Gia-long kam dieser Bitte nach, übersandte ein Ernennungssiegel nach Ou­dong und bestimmte, daß alle drei Jahre Tributsendungen nach Hue zu schicken seien. Damit war die einseitige Kontrolle Kambodschas durch Siam gebrochen, Vietnam hatte einen Teil der Macht über dieses Land wieder an sich genommen.

Weder im DNThL noch in der thailändisdlen Chronik ist etwas über die Reaktion Räma's 1., der so vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, über­liefert. Es s<heint demna<h, als habe er si<h stillsdlweigend mit dieser Macht­teilung in Kambods<ha abgefunden. Dabei ließ er sich vermutlich von der Erkenntnis leiten, daß das Streben na<h der Suprematie in Kambodscha in der Vergangenheit lediglich zu Feindsmatt und Kriegen zwis<hen Thai und Vietnamesen geführt hatte, ohne daß eine der beiden Seiten stark genug gewesen wäre, einen Erfolg von Dauer zu erringen. Mit der gemeinsamen siamesisch-vietnamesischen Oberherrs<haft über Kambodscha war ein Kom­promiß erreicht, wie er ähnlich bereits gegen Ende der Ayuthayä-Zeit zwi­schen den beiden Rivalen bestanden hatte. Jetzt bildete er bis zum Tode Räma's I. die Grundlage des Friedens und der guten Beziehungen zwischen Siam und Vietnam. Es kann jedoch kaum einem Zweifel unterliegen, daß der so erreichte Ausgleich zwischen Siam und Vietnam als zwischen zwei glei­chermaßen expansiven Mä<hten in hohem Maße problematisch bleiben mußte und daß zu befürchten stand, die alte Rivalität werde sich früher oder später doch wieder in offenem Kampf entladen.

Dies gilt umso mehr, als zu dem traditionellen Streitobjekt Kambodscha im Jahre 1806 auch noch das Lao-Reich von Vientiane zu einem potentiellen Faktor siamesisch-vietnamesis<her Konflikte wurde. In diesem Jah~ schickte König Cau Anu von Vientiane, das Taksin siamesischer Oberheit unter­worfen hatte, eine Gesandtschaft mit reichen Geschenken na<h Hue 125

• In dem von den Gesandten überbrachten, in schmeichelhaftem Ton gehaltenen Brief an Gia-long hieß es, man wünsche, die während der Zeit der Tay-Scrn­Kriege unterbro<henen Tributsendungen an Vietnam wieder aufzunehmen und das Vasallenverhältnis gegenüber Hue wiederherzustellen, da das Volk von Vientiane von Siam unterdrückt werde. Cau Anu handelte mit diesem Streben nach Anlehnung bei Gia-long in nahezu derselben Weise wie Angk­Chant von Kambodscha, der ebenfalls Vietnam dazu benutzt hatte, Siams politische Kontrolle über sein Land zu neutralisieren. Gia-long war nur zu froh, diese Gelegenheit zur Ausdehnung seiner Einflußsphäre auszunutzen,

111 DNThL 111, 347. 1!4 Die Uberbringung des vietnamesischen Ernennungssiegels wird in der kam­

b«:dsdlanischen Chronik erwähnt (Phongsäwadän Khamen, 280; Rätchaphongsäwa­dan krung Kamphütchä, 192).

1 lta DNThL 111, 260; vgl. P. LE BOULANGER, Histoire du Laos Francals (Paris 1931},

60 (bes. Anm. 1).

119

erklärte sich bereit den Wunsch Cau Anu's zu erfüllen und setzte die drei­jährlich zu entrichtenden Tributzahlungen fest.

Es kann angesichts solcher Vorgänge kaum überraschen, daß das gute Verhältnis zwischen Siam und Vietnam gegen Ende der Regierungszeit König Räma's I. Anzeichen einer Beeinträchtigung erkennen ließ, daß der alte machtpolitische Gegensatz wieder in den Vordergrund drängte. Hierauf deutet z. B. folgender Vorfall 128 : Im Jahre 1809 übersandte Siam einen Brief an Gia-long, in dem es hieß, man befinde sich zur Zeit in einem Krieg mit Burma und bäte um Entsendung von 30000 Mann vietnamesischerSchiffs­und Landtruppen zur Unterstützung. In der auf den Eingang dieses Briefes hin stattfindenden Beratung äußerte Gia-long, daß Siam und Vietnam freund­liche Beziehungen miteinander unterhielten und man Räma I. daher militäri­schen Beistand nicht verweigern könne. Doch wies er gleichzeitig darauf hin, daß die Entsendung von Truppen in einen Krieg gegen Burma mit beträcht­lichen Problemen verbunden sei und daß darüber hinaus der siamesische Brief einige Unklarheiten enthielte. Er gelangte daher zu dem Schluß, es solle zunächst einmal ein Erkundigungsbrief nach Bangkok geschrieben werden, um sich ein genaues Bild der Lage zu verschaffen.

Die hier von Gia-long vorgebrachten Einwände gegen eine sofortige Er­füllung der siamesischen Wünsche mögen zwar durchaus begründet erschei­nen, doch wenn man sie der Tatsache gegenüberstellt, daß er im Jahre 1798 -obwohl selbst noch in den Krieg gegen die Täy-San verwickelt- ohne Zögern ein Heer zur Unterstützung Siams gegen Burma entsandt hatte, so wirken sie doch eher wie Ausflüchte, vorgebracht, um sich einer schnellen und wirksamen Unterstützung Siams zu entziehen. Ernstere Folgen hatte diese Reaktion des vietnamesischen Kaisers nicht, denn bereits kurze Zeit darauf traf aus Siam die Nachricht ein, daß die Burmesen zurückgeschlagen worden seien.

Eine schwere Belastung des Verhältnisses zwischen Siam und Vietnam ergab sich im Jahre 1809 wegen der Einsetzung eines Nachfolgers für den verstorbenen Gouverneur von Ha-tien, M1;1c Tir-thiem 127• Dieser Posten war bis dahin in der Familie der M1;1c quasi-erblich gewesen, worin sich die relative Selbständigkeit und Unabhängigkeit dieses Gouvernements gegen­über den Nguyen ausgedrückt hatte. Da M1;1c Tir-thü~m·s Söhne Cöng-the und Cöng-tai beim Tode ihres Vaters noch zu klein waren, um ihm im Amt folgen zu können und sein Neffe M1;1c Cöng-du, der auch hierfür in Frage gekommen wäre, sich durch Verfehlungen bei Gia-long mißliebig gemacht

ttt DNThL IV, 27. 1!7 DNThL IV, 46. - Mi;ic TÜ'-thiem, ein Sohn des 1777 zusammen mit seiner

Familie nach Thonhuri geflohenen und dort verstorbenen Mi;iC Thien-ttr, war laut DNThL (II, 33) im Jahre 1799 von den Siamesen nach Ha-tien gebracht worden . ?ort hatte ihn Nguy~n Anh im Jahre 1802 damit beauftragt, die während der Knegs­wirren weitgehend entvölkerte Stadt und Provinz neu zu besiedeln (DNThL 111, 83) · Mc,.c TÜ'-thiem scheint demnach zu diesem Zeitpunkt bereits von Nguy~ Anh als sein Statthalter in Ha-ti€m angesehen worden zu sein (vgl. auch AUBARET, a. a. 0 ., 63 f, wo es heißt, daß der .Mandarin Tiem • vor kurzem aus Siam gekommen zum Gouverneur von Ha-tien ernannt wurde (1802/3); so auch M.AYBON, a. a. 0., 353).

120

hatte, sdlickte der vietnamesische Kaiser im Jahre 1809 von Hue aus einen Beamten zur Verwaltung von Ha-tien und meldete dies nach Bangkok 12s. Empfindlich für jede Veränderung im fein ausbalancierten siamesisch-viet­namesischen Machtgleichgewicht erkannte man dort sogleich, daß mit dieser Maßnahme das strategisch wichtige Grenzgouvernement Ha-tien enger an das Zentrum des Reiches gebunden wurde. Dies konnte Bangkok nicht gleich­gültig sein. Man schickte daher eine Note an Gia-long, um ihn zur Zurück­nahme seiner Entscheidung zu bewegen, mit dem Hinweis, daß die M~c­Familie bereits seit Generationen und in lobenswerter Weise Ha-tien regiert habe. Gia-long solle in Hinblick darauf M~c Cöng-du seine Ver­fehlungen nachsehen und ihn zum Gouverneur machen. Der vietnamesische Kaiser .erwiderte hierauf, seine Position unmißverständlich klarstellend, daß Ha-tien stets zum vietnamesischen Reich gehört habe und die M~c-Familie von Generation zu Generation lediglich aufgrund ihrer Leistungen immer wieder mit der Verwaltung dieses Gouvernements beauftragt worden sei, nicht etwa weil es ihr erbliches Eigentum sei. Eine Rückgängigmachung der getroffenen Entscheidung wurde dementsprechend strikt abgelehnt.

V.

Die sich hier abzeichnenden Spannungen in den siamesisch-vietnamesi­schen Beziehungen ließen für das Verhältnis der beiden Länder in der nun beginnenden Regierungszeit Räma's II. (1807-24) - Räma's I. Sohn und Nachfolger - nicht das Beste erwarten. Zunächst aber wurde noch einmal von beiden Seiten Freundschaft und Eintracht demonstriert: Siam schickte eine Gesandtschaft mit Geschenken nach Hue, die Gia-long die Nachricht vom Tode Räma's I. überbrachte, worauf der vietnamesische Kaiser seiner­seits eine Gesandtschaft nach Bangkok sdlickte, die dem neuen König von Siam reiche Geschenke überbrachte 1211. Als wenig später- im dritten Monat des Jahres 1810 - wie schon so oft ein siamesisches Handelsschiff durch einen Sturm an die vietnamesische Küste getrieben wurde, erhielt die Be­satzungwie bereits in früheren Fällen von den Vietnamesen Verpflegung 130

Siam bedankte sich dafür mit einer Sendung von Geschenken an Gia-long 131•

l!8 In der thailändischen Chronik der Regierungszeit Räma's n. (SOMDET D\OM PBRA:_X DAMRoNo IUTGHÄNUPHÄP, Phra rätdwphongsäwadän krung Ratanakösin rat­chakan thi spng- Bangkok 2505 (1962) - Bd. I, 118 f; dieser Quelle zufolge ging d~r Ha-tien betreffende Brief Gia-long's unmittelbar zu Beginn der Regierungszeit R~a·s II. in Bangkok ein) heißt es sogar, Vietnam habe bei dieser Gelegenheit S~~m. um Uberlassung Ha-tien's gebeten, da die Stadt seit alters von Vietnam ab­hangJ.g gewesen sei. Demnach machte Siam zu diesem Zeitpunkt ebenfalls Ansprüche a~f Ha-tien geltend, was darauf zurückzuführen ist, daß während der Regierungszeit R~a·s I. die Gouverneure dieser Stadt - meist Söhne des mit ihrem Vater nach Siam gekommenen M9c Thien-tir - von Bangkok aus eingesetzt worden. waren (s.:. AUBARET, a. a. 0 ., 61, 63f; vgl. auch THIPHÄKÄRAWONG, a. a. 0., 64, wo es heißt, daß Räma I. im Jahre 1783 den Phrayä Rätchasetthi - thailändische Bezeichnung des Gouverneurs von Ha-tien- zur Verwaltung von Ha-tien entsandte).

: fJNThL IV, 48; vgl. DAMRONG, a. a. 0 ., 116. w ~f':/ThL IV, 69.

Ibld,, 81.

121

Danach jedoch begann sich die Situation zuzuspitzen, wobei wie stets das Problem der Oberherrschaft über Kambodscha Anlaß und Ursache bildete. Mit Angk-Chant war in Kambodscha ein König auf den Thron gelangt, der von Anfang an zu erkennen gegeben hatte, daß seine Sympathien Gia-long gehörten, was mit innerer Notwendigkeit auf eine Abkehr von Siam hinaus­lief.

Räma II. fühlte sich gleich zu Beginn seiner Regierungszeit dadurch von Angk-Chant brüskiert, daß dieser nach dem Tode Räma's I. und zur Thron­besteigung des neuen Königs nicht selbst nach Bangkok kam, sondern statt­dessen nur seine beiden jüngeren Brüder Snguon und Em sowie die beiden Würdenträger kralahom Moeung und chakrey Ben schickte 132• Räma li. rea­gierte hierauf in der Weise, daß er den beiden nach Bangkok gekom.menen kambodschanischen Prinzen von sich aus und ohne Konsultation mit Oudong die Würde des Mahä Uparät und des Upayorat 133 verlieh. Mit diesen Er­nennungen machte er sie sich gewogen und demonstrierte gleichzeitig ihrem Bruder Angk-Chant seine Entschlossenheit, Siams Machtposition in Kam­bodscha zu behaupten. Der Keim zur inneren Spaltung des Vasallenstaates in zwei feindliche Lager - prosiamesisch das eine, provietnamesisch das andere- war damit gelegt.

Da Bangkok zu diesem Zeitpunkt (1810) mit einem burmesischen Angriff rechnete, gab Räma II. der in ihre Heimat zurückkehrenden kambodschani­schen Abordnung einen Brief an König Angk-Chant mit, in dem er von ihm als seinem Vasallen die Entsendung einer Armee zur Unterstützung Siams in dem bevorstehenden Krieg gegen Burma verlangte 134• Angk-Chant jedoch traf keine Anstalten, dem siamesischen Verlangen nachzukommen, so daß schließlich die beiden von Räma II. zu Mahä Uparät und Upayörät ernannten PrinzenSnguon undEm sowie die mit ihnen inBangkok gewesenen kralahom Moeung und chakrey Ben auf eigene Faust damit begannen, Truppen auszu­heben, wobei sie vorgaben, in Erfüllung kambodschanischer Loyalitätspflicht gegenüber Siam zu handeln. Angk-Chant jedoch sah in dieser Eigenmächtig­keit offene Rebellion und ließ kralahom Moeung und chakrey Ben gefangen­nehmen und hinrichten 135 .

Wie das DNThL berichtet 136 erfuhr Gia-long von diesen Vorgängen im neunten Monat des Jahres 1810 durch einen Brief König Angk-Chant's, in dem dieser die eben geschilderten Ereignisse weitgehend in Ubereinstim­mung mit der Darstellung in der thailändischen Chronik mitteilte. Gia-long stellte den kambodschanischen Gesandten, die diesen Bericht überbrachten

m DAMRONG, a. a. 0., 111 ff; vgl. Phongsäwadän Khamen, 282 f; Rätchaphongsä­wadän krung Kamphütdtä, 196 f; MoURA, a. a. 0., 100; vgl. audl LECLbE, a. a. ~·· 401.

113 unmittelbar auf den Mahä Uparät folgender Rang der kambodsdlantsdlen Adelshirardlie.

tu DAMRoNo, a. a. 0., 128. m Vgl. hierzu audl die kambodsdlanisdlen Chroniken: Phongsäwadän ~am~d 283, Rätchaphongsäwadän krung Kamphütdtä, 198 ff, MoURA, a. a. 0., lOO;.hter w,tr die siamesisdle Forderung nadl kambodsdlanisdlen HUfstruppen allerdings rudlt erwähnt.

ue DNThL IV, 90.

122

die Frage, wie Kambodscha es habe wagen können, Siam in dieser Weise zu provozieren und was es zu tun gedenke, falls Siam nun mit einer militäri­schen Intervention in Kambodscha antworten würde. Die Kambodschaner erwiderten, daß man zunächst versuchen werde sich mit eigenen Kräften zu verteidigen, daß man aber, wenn dies nicht zum Erfolg führen sollte, Vietnam um seine Unterstützung bitten würde. - Gia-long besaß damit eine offizielle Berufung zum Protektor Kambodschas.

Er hatte jedoch nicht die Absicht hieraus sofort eigenen Vorteil zu ziehen und etwa unter dem Vorwand einer notwendigen Präventivmaßnahme Kam­bodscha militärisch zu besetzen. Vielmehr scheint ihm daran gelegen ge­wesen zu sein, eine kriegerische Auseinandersetzung mit Siam wegen Kam­bodschas möglichst zu vermeiden. Denn er äußerte vor seinen Ratgebern, daß man zunächst prüfen müsse, wie weit die Angaben Angk-Chant's der Wahrheit entsprächen bevor man sich auf ein so bedeutendes Unternehmen wie einen Truppeneinmarsch in einem anderen Land einlassen könne. So ordnete er zunächst lediglich eine Mobilmachung in der Grenzprovinz Gia­djnh an, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. - Wenig später gab er dem Statthalter von Gia-dtnh neue Anweisungen, durd:t die im Not­fall ein sd:tneller Einmarsch vietnamesischer Truppen nad:t Kambodsd:ta ermöglid:tt werden sollte, denn "wenn die Siamesen wissen, daß unsere Trup­pen vorher kommen, werden sie nichts (zu unternehmen) wagen, (und in) Kambodscha kann die Ruhe bewahrt werden" 137•

Im elften Monat des Jahres 1810 schickte Gia-long dann den Mandarin Nguyen Van Nhän von Gia-dinh aus nad:t Phnom Penh, um die Lage in Kambodsd:ta zu erkunden, wo nach der Hinrichtung kralahom Moeung's und chakrey Ben's deren Parteigänger Decho Moeung (De-dö-minh) die Provinz Kompong Svay vorübergehend in seine Gewalt gebracht hatte. Der von Siam abhängige Gouverneur von Battarnbang hatte zur selben Zeit seine Stadt militärisch befestigt, während siamesisd:te Truppen unter den Generä­len Phi-nhä Long-mang und Phi-nhä Na-trat zu seiner Unterstützung herbei­geführt wurden 138• Gia-long mißbilligte dieses militärische Eingreifen Siams mit dem Hinweis darauf, daß Battarnbang kambodsd:tanisches und nicht sia­mesisd:tes Territorium sei 139, woraus hervorgeht, daß er die faktische Annek­tion dieser Provinz durch Siam im Jahre 1794 nicht anerkannte.

Angesid:tts des ihm bedrohlich ersd:teinenden siamesischen Truppenauf­marsd:tes in Battarnbang hatte Angk-Chant Gia-long um militärisd:te Unter­stützung gebeten. Im zwölften Monat des Jahres 1810 traf daraufhin eine vietnamesische Armee unter Nguyen Van Nhän in Lovek ein, wo Angk­Chant den vietnamesisd:ten General sogleich aufforderte, Battarnbang anzu­greifen u.o. Dies lehnte der kaiserliche Hof auf Rückfrage Vän Nhan's strikt

lS7 ibid., 94. K

138 ibid., 98; vgl. Phongsäwadän Khamen, 283 f, Rätdtaphongsäwadän k.rung ~phütdtä, 200 u. AUBARET, a. a. 0., 124.

9 fJNThL IV, 98. tto ibid., 101; über den vietnames. Truppenaufmarsdl zur Unterstützung des kam­

b~dsch,?-llischen Königs und das Folgende vgl. DAMRONG, a. a. 0 ., 130 ff sowie Phong­sawadan Khamen, 284 f, Rätdtaphongsäwadän k.rung Kamphütdtä, 200 ff.

123

ab und gab Befehl, keine Truppenbewegungen durchzuführen, die Lage zu be­obachten und nur mit größter Vorsicht zu operieren, eine Anordnung, in der das zurückhaltende Taktieren Gia-long's.gegenüber Siam deutlich zum Aus­druck kommt.

Dem DNThL zufolge 141 genügten die militärischen Maßnahmen der Viet­namesen, um die siamesischen Generäle in Battarnbang so weit einzuschüch­tern, daß sie von einem weiteren Vorgehen gegen Angk-Chant Abstand nahmen. Stattdessen schickten sie ihm einen Brief, in dem sie ihm mitteilten, daß Siam die am Anfang des gegenwärtigen Konfliktes stehende Forderung nach kambodschanischen Hilfstruppen zurückzöge, da der Angriff Burmas inzwischen erfolgreich zurückgeschlagen worden sei.

Als Gia-long von diesem Schreiben unterrichtet wurde, sprach er Räma II. brieflich seine Mißbilligung wegen des siamesischen Truppenaufmarsches gegen Kambodscha aus. Denn, so argumentierte er, die Hinrichtung kralahom Moeung's und chakrey Ben's wegen ihrer Unbotmäßigkeit sei dunhaus legitim gewesen und hätte Siam nicht zu einer militärischen Aktion gegen den kambodschanischen König berechtigt. Was ihn, Gia-long, selbst beträfe, so habe er in dem gegenwärtigen Kambodschakonflikt nie irgendwelche Er­oberungsabsichten verfolgt, sondern lediglich versucht, Kambodscha Schutz zu gewähren und Unheil von ihm abzuwenden.

Räma II. ließ daraufhin seine Truppen aus Battarnberg abziehen und schick­te- im zweiten Monat des Jahres 1811- eine Gesandtschaft unter Phi-nha Phi-phat {Phrayä Phiphat Kösä) zu Gia-long, die den Konflikt endgültig bei­legen sollte 142• In einem von den Gesandten überbrachten Brief wurde der siamesische Standpunkt in dem Streit noch einmal dargelegt und alle Schuld auf Angk-Chant geschoben, der durch die Hinrichtung des mit Siam sym­pathisierenden kralahom Moeung den Konflikt ausgelöst habe. Als die Viet­namesen darauf- wie bereits in dem letzten Brief Gia-long's an Räma II. geschehen - die Ansicht vertraten, Angk-Chant's Maßnahme sei in Anbe­tracht der Sachlage rechtens gewesen, wies der siamesische Gesandte darauf­hin, daß sich der kambodschanische König nicht persönlidl zu einem Kondo­lenzbesuch zum Tode Räma's I. in Bangkok eingefunden habe, sondern sich habe vertreten lassen. Dodl auch dieses Argument ließ Gia-long nidlt gelten: Nie sei bisher ein kambodschanisdler König aus solchem Anlaß in ein ande­res Land gereist. Im übrigen würde es, wenn sidl der kambodsdlanische König einen Fehler zuschulden kommen ließe, genügen, ihm einen tadelnden Brief zu sdlreiben, denn "daß ein großes Land ein kleines liebevoll behandelt, das ist ein Gesetz des Himmels•m. Mit dieser moralisdlen Ermahnung, mit

ut f>NThL IV, 103; vgl. AUBARET, a. a. 0., 124. . 1ü f>NThL IV, 110 f . - Der Text des von Phrayä Phiphat überbradlte!l S<!_lrei~ens

an Gia-long findet sich in der Dokumentensammlung der Regierongszelt_R~a s ß . Cotmäihet radlakän thi spng, C.S. 1111-1172 (MÜNNITHI PHRl BQROMARATCHANUS?~ PHRA BÄT SOMDET PHRX PHUTI'HALÖTLÄNAPHÄLAI ed., 2513 (1970}), unter der ~.er.s~n Phrä rätdlasän mi pai mä kap krung Vietnam C.S. 1111 1! C.S. 11 ~2 (k~ruglidle Korrespondenz mit Vietnam C.A. 1171 (1809) und 1172 (1810) (keine Seitenzählungl).

tu f>NThL IV, 110 f.

124

der er Siam indirekt, aber wohl unmißverständlich vor allzu massivem Vorgehen in Kambodscha warnte, fand die Aussprache ein Ende.

Die siamesischen Gesandten kehrten im folgenden Monat in ihre Heimat zurück, wobei sie von einer Gegengesandtschaft Gia-long's nach Bangkok begleitet wurden 144• Außer Geschenken als Ausdruck seiner Versöhnungs­bereitschaft ließ der vietnamesische Kaiser durch sie einen Brief an Räma II. überbringen, der inhaltlich weitgehend mit seinem voraufgegangenen Schrei­ben an den siamesischen König übereinstimmte und seinen Wunsch, die Situation zu entspannen, deutlich hervortreten läßt. Er führt darin zu Beginn zwar den gegenwärtigen Konflikt auf die Tatsache zurück, daß in Kambo­dscha neben König Angk-Chant auch noch seine Brüder Snguon und Em einen Teil der Herrschaftsgewalt für sich beanspruchten und mad:l.t damit Räma II., der den beiden Prinzen erst zu ihrer starken Position verholfen hatte, indirekt für den innerkambodschanischen Streit mitverantwortlich, dod:l. ändert dies nichts an dem versöhnlichen und beschwichtigenden Grund­ton des Schreibens; es heißt darin weiter 145 : "Als wir vor kurzem erfuhren, es herrsche keine Ruhe in dem Barbaren-Volk (d. h. Kambodscha) , da gaben wir dem khon-than (Amtstitel) von Gia-dinh den Befehl, Truppen hinzu­führen und Frieden zu stiften. Dies geschah nicht etwa aus Eigennutz oder aus Freude an militärischen Unternehmungen, zumal ja Angk-Chant das Volk seines Landes (unseren) beiden großen Ländern Respekt bezeigen läßt und lediglich wünscht, mit Hilfe unserer (beider) Majestät und Tugend seine Grenzen unversehrt zu bewahren. Während Angk-Chant in Schwierigkeiten war, Siam aber im Inneren Staatstrauer hatte, nach außen Krieg führte und daher nicht auf alles achten konnte, da ließ unser Land Truppen an der Grenze patrouillieren - nicht nur um Angk-Chant, sondern auch um Siam zu helfen. Da die Entfernungen (zwisdlen Siam und Vietnam) so groß sind. fürd:l.teten wir, Ihr könntet unsere Absichten nicht verstehen, daher haben wir sie (hiermit) erklärt."

Wie aus diesen Sätzen hervorgeht, kam es Gia-long vor allem darauf an, Siam davon zu überzeugen, daß er keineswegs die Absicht verfolge, Vietnam durch militärische Interventionen zum alleinigen Oberherrn Kambodschas zu machen 148• Vielmehr betont er ausdrücklich die gemeinsame Verantwortung Siams und seines Landes für das Wohlergehen des kleinen Vasallenstaates.

Wie ernst es Gia-long damit war, Spannungen oder gar militärische Kon­flikte mit Siam zu vermeiden, zeigt auch der Brief, den er kurz nach dem Ein­treffen der siamesischen Gesandten unter Phi-nhä Phi-ph~t an Angk-Chant

14• ibid., 112 f.- Die offizielle thailändische Ubersetzung des von dieser Gesandt­

schaft überbrachten Briefes von Gia-long findet sich in der in Anm. 142 genannten ~okumentensammlung an derselben Stelle, wie das von Phrayä Phiphat nach Hu~ uberbrachte Schreiben.

145 ibid. 141 In nahezu derselben Weise hatte im Jahre 1715 der siamesische König Thäi-Sä

nadi seinem militärischen Eingreifen in die kambodschanischen Thronfolgekämpfe versucht, den chua davon zu übeneugen, daß Siam mit seinem Eingreifen keine Eroberungspläne verbunden habe.

125

schrieb 14i. Derkambodschanische König war über diese siamesisdl-vietname­sische Kontaktaufnahme in hohem Maße beunruhigt gewesen, da er fürchtete, Gia-long und Räma II. könnten miteinander ein Abkommen zu Lasten Kam­bodschas aushandeln. Gia-long beruhigte ihn hierüber, wies ihn aber an, künftig Provokationen Siams zu vermeiden und zu den bevorstehenden Kre­mationsfeierlichkeiten für Räxpa I. zwar nicht selbst nach Bangkak zu gehen, jedoch eine Abordnung zu sdlidcen.

Somit zeigt das Verhalten Siams und Vietnams in dem hier betrachteten Kambodscha-Konflikt, daß beide Seiten nicht darauf aus waren, die Kraft­probe auf die Spitze zu treiben und es zu einem offenen Entscheidungskrieg kommen zu lassen. Denn zwar hatte Räma II. die erste sich bietende Gelegen­heit zu nutzen versucht, um die siamesische Position in Kambodscha, dessen König offen mit Vietnam praktierte, zu verbessern, dodl war er sofort zurüdc­gewichen, als Vietnam mit massivem Widerstand gedroht hatte. Er sdlien sich dabei von der Erkenntnis leiten zu lassen, daß sein Land militärisch nicht stark genug war, um Vietnam gewaltsam aus Kambodscha verdrängen zu können, zumal der gleich zu Beginn seiner Regierungszeit unternom­mene Angriff der Burmesen ihm vor Augen geführt hatte, daß die traditio­nelle Bedrohung Siams durch den Nachbarn im Westen unverändert weiter­bestand und ständige Abwehrbereitschaft erforderte. - Gia-long auf der anderen Seite, der Sympathien Angh-Chant's gewiß, war- wie sich denken läßt- bestrebt, die für ihn günstige Konstellation in Kambodscha möglichst zu erhalten und nidlt durch einen Krieg mit Siam aufs Spiel zu setzen.

Doch wenn audl die akute Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Siam und Vietnam fürs erste beseitigt war, so hatten die tiefer­liegenden Spannungen in ihrem Verhältnis zueinander eher noch zugenom­men, da im Laufe des Konflikts Vietnams Position in Kambodsdla stärker, Siams dagegen schwächer geworden war und mithin das Machtgleidlgewicht, das in der Regierungszeit Räma's I. den Frieden zwischen ihnen gesichert hatte, entscheidend gestört war. Es kann daher nicht überraschen, daß die vietnamesischen Gesandten, die im elften Monat des Jahres 1811 aus Bang­kak zurüdckehrten, aus ihrer unmittelbaren Kenntnis der Atmosphäre in Bangkok heraus die - von Gia-long geteilte - Ansidlt äußerten, "die An­gelegenheit Kambodscha ist noch nidlt bereinigt" 148• Daß sie mit dieser Be­urteilung der Lage redlt hatten, erwies sich schon einen Monat später.

Der bereits gegen Ende des Jahres 1811 wieder aufflammende siamesisch­vietnamesische Konflikt war hinsichtlidl der Grundzüge seines Verlaufs sowie der Intentionen und Verhaltensweisen seiner beiden Hauptakteure, Räma's II. und Gia-long's, eine in nahezu allen Teilen genaue Replik der gerade zu Ende gegangenen Streitigkeiten und brachte auch dementspre­chend keinerlei neue Ergebnisse. Ausgelöst wurde er dadurch, daß der von Räma II. zum Upayörät gemachte kambodschanisdle Prinz Snguon nach einem Streit mit seinem Bruder, dem König, nadl Pothisat nahe der Grenze zu der

147 DNThL IV, 111. 148 ibid., 134.

126

Provinz Battarnbang floh, dort eine Armee aufstellte und von Angk-Chant die Uberlassung von drei Provinzen zu seiner persönlichen Verfügung for­derte. Gleichzeitig bat er Siam um militärische Unterstützung. Räma II. wurde damit vor eine unangenehme Entscheidung gestellt, da er erst kurz zuvor zu einem friedlichen Ausgleich mit Vietnam hinsichtlich Kambodschas gelangt war. Dabei waren zwar Siams Interessen beeinträchtigt worden, doch ließ sich hieran, wie der König wohl eingesehen hatte, angesichts der gegen­wärtigen Situation und der bestehendenmilitärischen Kräfteverhältnisse vor­läufig nichts ändern. Wenn Räma II. dennoch Truppen nach Kambodscha ent­sandte, so geschah dies vermutlich in erster Linie deshalb, weil er seinem Protege Snguon den Beistand ohne Prestigeverlust kaum verweigern konnte und vielleicht auch mit dem Gedanken, noch einmal zu unterstreichen, daß Siam sich weiterhin als eine politische Ordnungsmacht in Kambodscha be­trachtete.

Als die siamesischen Truppen unter Phi-nhä Nham-ba-l~c (Phrayä Yoma­rät) nach Battarnbang marschierten, unterrichtete Angk-Chant eilends seinen Protektor Gia-long von der drohenden Gefahr und wie es dazu gekommen war 14e. Der Kaiser reagierte ebenso wie beim vorigen Mal mit vorsichtiger Zurü<khaltung. Nach Beratung der zu unternehmenden Maßnahmen ge­langte der Hof von Hue zu dem Schluß, daß gute (I) Verhältnis zu Siam dürfe wegen der innerkambodschanischen Querelen nicht durch überstürztes mili­tärisches Eingrellen gefährdet werden, zumal noch gar nicht klar sei, ob der von Angk-Chant geschilderte Sachverhalt in allem den Tatsachen entspreche. Da Vietnam aber andererseits den Schutz des kambodschanischen Königs zu gewährleisten hatte, wurde beschlossen, zunächst einmal Nguyen Vän Thuy unter dem Vorwand Holz holen zu wollen, mit Truppen nach Lovek zu schik­ken, die dann im Notfall Angk-Chant militärischen Beistand leisten konn­ten. Dieses Truppenkontingent hatte sein Ziel noch nicht erreicht, als bereits eine zweite Bitte des kambodschanischen Königs um militärischen Beistand in Hue eintraf.

Angk-Chant's Beunruhigung war begründet, denn im dritten Monat des Jahres 1812 marschierten die siamesisdlen Truppen von Battarnbang aus und zusammen mit Sgnuon in Richtung auf die kambodsdlanisdle Hauptstadtl50 •

Zwei weitere Brüder Angk-Chant's, der von Räma II. zum Mahä Uparät gemachte :9m und Duong, liefen zu den Siamesen über, während der König selbst nadl Phnom Penh floh. Dort traf er auf die gerade angelangten viet­namesischen Truppen unter Nguyen Vän Thuy, unter deren Schutz er außer Landes nach Gia-djnh ging. Gia-long ließ alle notwendig~:m Vorkehrungen zu seiner Unterbringung und Versorgung treffen, ordnete jedoch keinerlei mili­tärische Aktionen gegen Siam an. Er gab lediglich den Auftrag, die Bewe­gungen der siamesisdlen Kambodscha-Armee genau zu verfolgen und ihm die gemachten Beobachtungen zu melden.

_a• ibid., 139 f; s. hierzu und zum Folgenden auch DAMBONG, a. a. 0 ., 151 ff, Phong­:a.wadän Khamen, 287 ff, Rätdtaphongsäwadän krung Kamphütdtä, 206 ff, MoURA, · a. 0 ., 101 ff, AUBARET, a. a. 0., 124 f u. LEcLiu, a. a. 0 ., 409 ff.

150 DNThL IV, 146 f; dies in Ubereinstlmmung mit den in Anm. 149 zitierten Stel­len der anderen Werke.

127

Der vietnamesische Kaiser behielt seine defensive Haltung auch dann noch bei, als ihn - im fünften Monat des Jahres 1812 - ein Brief seines Generals Trän Vän Näng erreidlte, der nach der Flucht Angk-Chant's nach Gia-djnh mit Truppen in die Nähe der kambodschanischenGrenze beordert worden war 151 und nun die Ansicht äußerte, es bestünde die Gefahr eines Angriffs der siamesischen Flotte auf Ha-tien, Long-xuyen oder Kieng-giang m.

Da man dadurch in ernste Bedrängnis geraten könne, sei es ratsam, dem zu­vorzukommen und das von den Siamesen gehaltene Phnom Penh zurückzu­erobern. Gia-long lehnte diesen Vorsch.lag mit der von großer Selbstsicher­heit zeugenden Begründung ab, daß siamesische Truppen selbst in größerer Zahl keine ernste Gefahr für Vietnam darstellten. Man müsse eine endgültige Verfeindung mit Siam vermeiden und werde daher erst bei einer militäri­schen Offensive der anderen Seite den Kampf aufnehmen. Die siamesische Heeresführung sch.ien jedoch ebensowenig den Befehl zu haben, die militä­rische Entscheidung mit den Vietnamesen zu suchen, denn - wie es im DNThL heißt 153 - "jedesmal wenn die siamesischen Truppen auf die unseren trafen, bekamen sie Angst und wagten nicht anzugreifen." -Die Nachgie­bigkeit der Siamesen zeigte sich auch., als sie auf Protest des vietnamesischen Generals Trän Vän Näng's eine Anzahl von Vietnamesen freiließen, die, als sie wie gewohnt in Phnom Penh hatten Handel treiben wollen, festgenommen worden waren; auch. ihre von den Siamesen konfiszierten Boote wurden wie­der herausgegeben 154.

Im sechsten Monat des Jahres 1812 schließlich nahm Siam wegen des schwelenden Konfliktes auf höchster Ebene Kontakt zu Vietnam auf. In einem Brief, den der Gesandte S9--tr~t Si-na (Phra Rätchasenä) überbrachte, teilte Räma II. Gia-long mit, daß er seine Truppen nur deshalb nach Kambodscha geschickt habe, um den Bruderzwist im dortigen Königshaus zu schlichten 155

Gia-long äußerte Zweifel an dieser Begründung, betonte dem siamesischen Gesandten gegenüber die "ewige" (deri deri) Vasallenschaft Kambodscha's im Verhältnis zu Vietnam und warnte Siam vor weiteren Aktionen zur Ein­schüchterung Angk-Chant's, durch die das gute Einvernehmen zwischen Siam und Vietnam gefährdet würde.

Obwohl diese siamesische Mission nach Hu~ in einer als explosiv zu be­zeichnenden Situationen stattfand, läßt sich doch das Bemühen beider Seiten erkennen, jeden Anschein schroffer Unversöhnlichkeit oder gar Feindschaft

151 ibid., 147. 151 ibid., 153. 153 ibid. 154 ibid. 155 ibid., 154 f; der Text dieses von Phrä Rätchasenä überbrachten Schreibens

findet sich in der Sammlung historischer Dokumente aus der Zeit König Räm_a·s J!· (Jahr 1811) Cot mäi het ratcha.kän thi sp.ng C.S. 1113 (MÜNNITHI PHRl BQROMARATCHA­NUSQN ed., 2514 (1971)), S. 57. - Auffällig ist, wie Räma II. hier Gia-long in ganz derselben Weise zu beschwichtigen sucht, wie dieser es in seinem Brief des Jahres 1811 gegenüber dem siamesischen König getan hatte. - DAMRONG, a. a. 0 ., 155f, erwähnt die Mission Phra Rätchasenä's nach Hu~, spricht jedoch nidlt von. der l:!her­bringung des hier betrachteten Schreibens, sondern sagt nur, daß der s1ames1s~e Gesandte zur Absattung eines Kondolenzbesuches anläßtich des Todes der VIet­namesischen Kaiserin Mutter zu Gia-long geschickt worden war.

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zu vermeiden und stattdessen etwas von der zu Zeiten Räma' s I. herrschen­den Atmosphäre des guten Einvernehmens zwischen Siam und Vietnam zu bewahren. So kamen die siamesischen Gesandtschaften nicht nur wegen des Kambodscha-Konflikts nach Hue, sondern auch um Gia-long im Namen Räma's II. einen Kondolenzbesuch zum Tode seiner Mutter abzustatten 15&,

und als sie nach Bangkok zurückkehrte, gab ihr der Kaiser wie in früheren Zeiten Geschenke an ihren König und dessen Mahä Uparät mit. Der Weg zu einer friedlichen Einigung war damit offengehalten.

Mit der Entsendung Khön-a-no L9-c-phu-thöng's (Khun AnurakphüthQn) nadl Hue im neunten Monat des Jahres 1812 leitete Räma II. dann die end­gültige Beilegung der gegenwärtigen Streitigkeiten ein 157• In dem von dem Gesandten überbrachten Schreiben, das im wesentlichen dasselbe besagte wie das einige Monate zuvor von Phrä Rätchasenä überreichte, versicherte der siamesische König Gia-long, daß man mit der Flucht Angk-Chant's nach Vietnam nicht gerechnet habe, da man ja nur zur Sicherung des Friedens in sein Land einmarschiert sei und daß man ständig die Rückkehr des kambod­sdlanischen Königs erwarte.

Die Versicherung, nur zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in Kam­bodsdla einmarschiert zu sein, bestätigt zusammen mit dem auffällig zurück­haltenden Operieren der siamesischen Kambodscha-Armee, daß Räma II. wie bereits bei den Spannungen des Vorjahres so auch diesmal, den friedlichen Ausgleich mit Vietnam suchte.

In seinem Antwortbrief an Räma Il. gab der vietnamesisdle Kaiser seine Absicht bekannt, Angk-Chant nunmehr wieder in sein Land zurückbringen zu lassen 158• Hiervon unterrichtete er auch den kambodschanischen König selbst, dem er darüber hinaus mitteilte, er habe Siam zu einer Konferenz über dieses Vorhaben aufgefordert 1511•

Die Gesandten unter Phi-nhä Ma-kha A-m~c (Phrayä Mahä-ammät), die Räma II. zur Teilnahme an der Rückführung Angk-Chant's nach Kambodsdla zu Gia-long schickte, trafen im dritten Monat des Jahres 1813 in Hue ein 180

151 Gia-long hatte den Trauerfall zuvor durch seine Gesandten nach Bangkok gemeldet (DNThL IV, 139).

157 DNThL IV, 163 f; nach DAMBONG (a. a . 0., 165), schickte Räma 11. Khun Anurak­montri mit dem Brief über die Gründe des siamesischen Vorgehens in Kambodscha nac:h Vietnam, als Phra Ratc:hasenä sic:h noch dort aufhielt. Die Inhaltswiedergabe d~eses Sc:hreibens bei Damrong stimmt mit derjenigen des DNThL sinngemäß über­em.

158 DNThL IV, 164. 151 Dies wird bestätigt durch DAMRONG (a. a. 0., 166 f), wo der Antwortbrief Gia­

long's in größerer Ausführlichkeit inhaltlich wiedergegeben wird. 118 DNThL IV, 184; vgl. AUBARET, a. a. 0., 126; ebenso DAMRONG (a. a. 0., 1?d ff),

w~ es heißt, daß man sic:h in Bangkok sehr wohl darüber im klaren war, m1t der Wtede~einsetzung Angk-Chant's die Mac:htposition Vietn~s in Kambodsc:h~ zu konsolidieren. Dies wäre nur mit militärisc:hen Mitteln zu verhmdern gewesen. Emen K_rieg mit Vietnam wollte man jedoch wegen des schwelenden Konfliktes mit ~urma 01c:ht riskieren und fügte sich daher den Vorschlägen Gia-long's. Die. siamestsch.en Ge.s~dten hatte man in Vietnam vielfältigen militärischen DemonstratiOnen .der e~n­helllllsc:hen Truppen beiwohnen lassen, was offenkundig den Zweck hatte, Stam em­ZUsc:hüchtem.

129

Im darauffolgenden Monat wurde der kambodschanische König von viet­namesischen Würdenträgern und 13 000 Soldaten unter Le V an Duy~t sowie von den siamesischen Gesandten unter Phrayä Mahä-ammät nach Oudong geleitet 161• Die Generäle der siamesischen Truppen, die sich noch immer in Kambodscha aufhielten bezeigten dem König zwar ihre Verehrung, doch trafen sie noch keine Anstalten, sich nach Siam zurückzuziehen 162• Dies miß­fiel den Vietnamesen verständlicherweise ebenso wie die Tatsache, daß der kambodschanische Prinz Snguon, durch den die jetzt beigelegte Kambod­scha-Krise ausgelöst worden war, sich seit dem Jahre 1812 in Bangkok auf­hielt 163• Vän Duy~t äußerte daher in einem Brief an Gia-long die Befürchtung, Siam werde möglicherweise mit Hilfe des Prinzen erneut versuchen, Kam­bodscha in seine Hand zu bekommen 164• Der Kaiser ließ daraufhin ein Schrei­ben nach Bangkok überbringen, in dem er Räma li. die vorwurfsvolle Frage stellte, warum er noch immer nicht seine Truppen aus Kambodscha abziehe, obwohl er doch angeblich nur deshalb dort militärisch interveniert habe, um den Streit zwischen Snguon und Angk-Chant zu schlichten 165• Auch machte es der Kaiser Räma II. zum Vorwurf, daß er "den Rebellen" Snguon bei sich behielte. "Als die Siamesen (diesen) Brief erhalten hatten", so heißt es im DNThLl66 , "fürchteten sie sich und ließen (ihre) Generäle die Truppen nach Battarnbang zurückführen." - Den Prinzen Snguon bewegte Räma II. dazu, einen Versöhnungsbrief an seinen Bruder, König Angk-Chant, zu schreiben, doch blieb er selbst weiterhin in Bangkok.

Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß der siamesisdl-vietnamesi­sche Machtkampf um Kambodscha zu Beginn der Regierungszeit Räma's Il. nunmehr sein Ende gefunden hatte. Das Ergebnis war die nahezu unein­geschränkte Kontrolle des Vasallenstaates durdl Vietnam, ein Erfolg, den Gia-long in erster Linie durch sein geschicktes, vorwiegend defensives Tak­tieren und unter Vermeidung einer offenen militärischen Kraftprobe mit dem Rivalen Siam errungen hatte. Dabei war Gia-long klug und vorsichtig genug, Siam nicht etwa durch nachdrückliche Demonstration seiner neu gewonnenen Vormachtstellung zu provozieren. Im Gegenteil war er bemüht, die Gegen­seite ihre Machteinbuße so wenig wie möglich fühlen zu lassen und ihr trotz ailem die "Wahrung des Gesichts" zu ermöglichen. So wurde - wie wir sahen- siamesische Würdenträger an der Rückführung Angk-Chant's nach Oudong beteiligt und erhielt Siam - wie die thailändisdle Chronik be­ridltet 167 - auch künftighin alljährlich Tributsendungen des kambodschani-

1111 fJNThL IV, 187; vgl. AUBARET, a. a. 0., 127; DAMRONG, a. a. 0., 170; Phong­säwadän Khamen, 293 f; Rätchaphongsäwadän krung Kamphütchä, 214 ff; s. auch LECLERE, a. a . 0 ., 410.

m Im DNThL (IV, 187) wird behauptet, die Siamesen hätten ursprünglich g:plant, die Wiedereinsetzung Angh-Chant's im letzten Augenblick doch noch zu verhindem und seien nur durch die Stärke des ihn begleitenden vietnamesischen Heeres davon abgebracht worden.

tas s. DAMRONG, a . a . 0., 165. tM DNThL IV, 187 f. l&$ ibid., 188 f. Ut ibid. ta7 DAMRoNG, a. a . 0., 172.

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sehen Königs. Dieser handelte damit entsprechend den Wünschen Gia-long's, der ihm während seines vietnamesisdlen Exils in Hinblick auf die bevor­stehende Rückkehr auf seinen Thron nahegelegt hatte, "daß (Kambodscha) mit Siam in Einklang stehe, damit künftig Kummer vermieden werde" 168.

Wie ersidltlidl kam es Gia-long wie sdlon früher so audl jetzt darauf an, die starke Position Vietnams in Kambodscha nicht durch Streitigkeiten und Verwicklungen mit Siam zu gefährden. Zu diesem Zweck war es nötig, Siam zumindest nach außen hin, wenn auch nicht real, als zweiten Oberherrn über Kambodscha anzuerkennen. Vietnam konnte dann seine Kontrolle über dieses Land um so wirksamer ausüben.

Bereits unmittelbar nach der Wiedereinsetzung Angk-Chant's begannen die Vietnamesen mit der Durdlführung von Maßnahmen, die eindeutig dar­auf abzielten, Kambodscha politisch enger an Vietnam zu binden 169 : Auf Vorschlag Vän Duy~t's beließ Gia-long Besatzungstruppen "zum Schutz" des Landes in Kambodscha und ordnete den Ausbau Phnom Penh's und Lö-yen's an. Symbolisiert wurde die "Befriedung" Kambodschas durch Vietnam mit der Errichtung des An-bien-Turmes, sowie durch den Bau eines tempelartigen Gebäudes, in dem der kambodschanische König dem vietnamesischen Kaiser zeremoniell seine Verehrung zu bezeigen hatte. Auch baute man eine Pagode für den vietnamesischen Mandarin Nguyen Hü-u Kinh, der im Jahre 1698 als Inspekteur kambodschanisdler Gebiete dort Verwaltungsmaßnahmen durch­geführt hatte 170 . Im zehnten Monat 1813 schickte Hue "auf Bitten Kambod­schas" vietnamesische Zeremonialgewänder an Angk-Chant, der damit auch die äußeren Attribute der Zugehörigkeit zu Vietnam annahm tn. Zur gleichen Zeit gab Gia-long den Befehl zur Vermessung Kambodschas sowie zum Bau von drei Straßen mit Etappenstationen, die zur verkehrsmäßigen Erschlie­ßung des Landes dienen sollten 172• Später, im Jahre 1819, ließ Gia-long mit Hilfe kambodschanischer Arbeitskräfte den Vinh-te-Kanal bauen, der- von Ha-tien nach Chaudoc verlaufend- eine direkte Verbindung zwischen dem Golf von Siam und dem Mekhong herstellte 173• Welche materiellen Vorteile Vietnam aus seiner Herrschaft über Kambodscha erwuchsen, hatte sich be­reits im neunten Monat des Jahres 1813 gezeigt, als Angk-Chant Gia-long 88 Elefanten übersandt hatte, was eine nicht unbeträchtliche Stärkung des militärischen Potentials Vietnams darstellte 174• Gia-long hatte allerdings in Anbetracht der sch.wierigen wirtschaftlichen Lage Kambodschas Angk-Chant hierfür einen angemessen Preis gezahlt.

Diese Verhaltensweise des vietnamesischen Kaisers entsprang seinem poli­tischen Konzept, gegenüber Kambodscha überzogene Forderungen und jede

188 DNThL IV, 164. ::: ibid., 187 ff; vgl. AUBARET, a. a. 0., 128.

171 s. DNThL I, 153 f. DNThL IV, 198; vgl. AUBARET, a. a. 0., 129.

171 DNThL IV, 199. 173 ibid., 389 f; vgl. Phongsäwadän K.hamen (300), Rätchaphongsäwadän krung

Kamphütdtä 225 f, u. MoURA, a. a. 0., 105, wo es allerdings heißt, daß dieser Kanal bereits im Jahre 1815 gebaut wurde.

m DNThL IV, 195.

131

Form der Unterdrückung möglidlst zu vermeiden, um dort keine antivietna­mesisdlen Reaktionen auszulösen. So hatten die Offiziere der in Kambodsdla stationierten vietnamesisdlen Truppen bereits vom Augenblick der Rück­führung Angk-Chant's ihren Leuten Plünderungen in Kambodsdla streng verboten und ihnen befohlen, durdl diszipliniertes Verhalten das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen 176• Im fünften Monat des Jahres 1814, als Nadlridlten von DrangsaUerungen der kambodschanisdlen Bevölkerung durdl die vietnamesischen Besatzungstruppen nach Hue gelangten, gab Gia­long strikte Anweisung, dies zu unterbinden 1711•

Wie angemessen eine soldle mit Mäßigung und Zurückhaltung betriebene Kambodschapolitik Vietnams war, erwies sich mit aller Deutlidlkeit unter Gia-long's Sohn und Nadlfolger Minh-m~g (1820--41), der durdl seine rückhaltlos betriebene "Vietnamisierung" des Vasallenstaates kambodscha­nische Gegenkräfte auf den Plan rief, die schließlich mit Hilfe Siams der viet­namesischen Herrschaft über Kambodscha ein Ende machten 177•

Die erfolgreime Behauptung der vietnamesisdlen Stellung in Kambodscha wurde Gia-long aber nidlt zuletzt audl deshalb ermöglidlt, weil Siam unter Räma II. sich mit seiner im Grunde nur nodl formal bestehenden Partizipa­tion an der Oberherrschaft über Kambodsdla abfand und sidl damit begnügte, diese gegenüber früheren Zeiten stark beeinträdltigte Position zu behaup­ten. Diese Haltung läßt sich einem Brief entnehmen, den eine Gesandtschaft Räma's li. Gia-long im sedlsten Monat des Jahres 1814 überbradlte 178. Der siamesische König dankte darin für die gute Behandlung Kambodsdlas durch Vietnam, betonte aber gleichzeitig, daß Angk-Chant von Anfang an ein Vasall Siams gewesen sei und man daher Respekt von ihm verlange, anderen­falls werde man Angh-Snguon, den nodl immer in Bangkok lebenden Bruder Angk-Chant's, nicht herausgeben.

Gia-long ließ sidl durdl diesen etwas drohend klingenden Hinweis auf den kambodschanischen Prinzen, von dem eventuell eine Gefährdung der viet­namesisdlen Position in Kambodscha ausgehen konnte, nidlt provozieren. Und audl als gleichzeitig Nadlridlten aus Gia-<1inh eintrafen, denen zufolge man sidl dort Sorgen wegen der Sidlerheit der Grenzen madlte und daher einen Präventivkrieg gegen Siam erwog, betonte Gia-long, daß er den Frie­den mit diesem Land zu erhalten wünsdle. Dabei wies er auf sein gutes Ver­hältnis zu Räma I. hin und äußerte, es ginge nidlt an "mit den Eltern befreun­det zu sein, aber ihre Kinder zu sdllagen". Außerdem wolle er, nun da er Kambodsdla bekommen habe, seine Offiziere und das Volk nidlt sdlon wie­der in einen neuen Krieg schicken. Die siamesischen Gesandten entließ er nadl einem Monat mit Gesdlenken an Räma II. in ihre Heimat.

m ibid. IV, 187; dies wird von DAMRONG (a. a. 0 ., 171) bestätigt, der sogar einige Beispiele für die skrupulöse Einhaltung dieser Befehle durch die vietnamesischen Truppen anführt.

m VNThL IV, 223. 177 s. hierzu besonders VELLA, a. a. 0., 99 ff, sowie A.NABMWAT, a. a. 0., 110 ff. t78 VNThL IV, 226.

132

Die bestehende Obereinstimmung in der politischen Konzeption Räma's Il. und Gia-long's, den neu erreichten modus vivendi und damit den Frieden zwi­schen ihren beiden Ländern möglichst zu erhalten, wirkte sich auch bei der Beilegung des Battambang-Zwischenfalls vom Jahre 1815 aus 1n: Im zwölften Monat dieses Jahres führte ein kambodschanischer Würdenträger, Tham­dich-tay, Truppen auf das Gebiet der seit nunmehr fast 20 Jahren von Siam gehaltenen Provinz Battambang, wurde jedoch von den dort stationierten siamesischen Truppen unter schweren Verlusten bis nach Pursat zurück­getrieben. Als Gia-long von diesem Zwischenfall erfuhr, ordnete er eine Un­tersuchung an, und da diese ergab, daß Tham-dich-tay der Urheber des Kon­fliktes gewesen war, wies der Kaiser Angk-Chant an, ihn zu bestrafen 180•

Räma II. schickte im achten Monat des Jahres eine Gesandtschaft mit Ge­schenken zu einer Aussprache über den Zwischenfall nach Hue. Gia-long wies den Gesandten gegenüber darauf hin, daß er den verantwortlichen kambodschanischen Offizier bereits habe bestrafen lassen und obwohl er auch von der Schuld des siamesischen Generals in Battarnbang sprach, entließ er die Siamesen schließlich mit Geschenken an Räma Il. und seinen Mahä Uparät 181•

Hält man sich vor Augen, wie Siam seit dem Herrschaftsantritt Gia-long's durch Vietnam nach und nach aus einer zuvor nahezu uneingeschränkten Machtposition in Kambodscha verdrängt worden war, so stellt sich einem die Frage, ob in der siamesischen Staatsführung die nachgiebige Haltung Räma's II. gegenüber der vietnamesischen Expansion zu Lasten Siams all­gemein gutgeheißen wurde oder ob es nicht auch Kräfte gab, die im Gegen­satz dazu eine Politik der Stärke und der Konfrontation gegenüber Vietnam verlangten mit dem Ziel, Siam wieder echten politischen Einfluß in Kam­bodscha zu verschaffen. Das DNThL enthält hierzu einen aufschlußreichen Hinweis 18!: Im dritten Monat des Jahres 1816 kehrte der vietnamesische Gesandte Bui f>li'c Man aus Siam zurück, der das Ende der vietnamesi­schen Staatstrauer an den Hof von Bangkok gemeldet hatte. Er berichtete

17t ibid., 269. 180 s. auch DAMRONG (a. a. 0., 218 ff), wo es heißt, daß König Angk-Chant von

Kambodscha und der ihm als eine Art Hochkommissar beigegebene vietnamesische Mandarin gemeinsam den Plan gefaßt hatten, Siam aus dem eine strategische Schlüs­selstellung einnehmenden Battarnbang zu vertreiben. - Die kambodschanische Chronik dagegen (Phongsiiwadiin Khamen, 299; Riitdtaphongsiiwadän krung Kam­phütchii, 223 f) weist die alleinige Schuld an dem Zwischenfall der siamesischen Be­satzung von Battarnbang zu: Die Kambodschaner hätten auf dem Gebiet der Provinz Battarnbang - gemäß Gewohnheitsrecht (s. DAMRONG, a. a. 0., 220) - lediglich F.ledermausexkremente (Salpeter!) sammeln wollen und seien dabei von den siame­Sischen Truppen angegriffen worden. Das von .ANARMWAT (a. a. 0 ., 51 ff u. 104 ff) ver­wendete Dokumentenmaterial läßt jedoch kaum einen Zweifel daran, daß König Angk-Chant hier eine Aktion unternahm, um Battarobang seinem Land zurückzu­gewinnen, wobei er von den vietnamesischen Besatzungstruppen - doch vermutlich o~e Billigung Gia-long's - Unterstützung erhielt. Hierauf deutete ja auch bere.its d1e Tatsache, daß der Kaiser die Bestrafung des an dem Zwischenfall maßgehheb beteiligten kambodschanischen Offiziers angeordnet hatte.

181 DNThL IV, 299; vgl. DAMRONG, a. a. 0 ., 220ft, wo der ins Thai übersetzte Text des vietnamesischen Antwortbriefes auf die Gesandtschaft Räma's ll. wiedergegeben ist; er besagt in größerer Ausführlichkeit dasselbe wie die im DNThL zusammenfas­send wiedergegebenen Worte Gia-long's an die Gesandten Räma's II.

181 DNThL IV, 281 f.

133

Gia-long, daß in Siam hinsichtlich der Vietnam- und Kambodscha-Politik grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen Räma II. und seinem Mahä Uparät bestünden. Dieser vertrete die Auffassung, man müsse ver­suchen, durch gezielte Provokationen das gute Einvernehmen zwischen Angk­Chant und Gia-long zu zerstören, um auf diese Weise Siams Machtstellung in Kambodscha zurückzugewinnen. Der siamesische König selbst lehne diese Pläne jedoch entschieden ab und habe sogar für den Fall ihrer Verwirkli­chung mit dem Rücktritt gedroht.

Gia-long wurde durch diesen Bericht vor Augen geführt, daß Räma II. mit seiner auf friedlichen Ausgleich mit Vietnam gerichteten Politik keinen leich­ten Stand in seinem Land hatte. Dies konnte den vietnamesischen Kaiser, dem an einer Beibehaltung der siamesischen Vietnam-Politik im Sinne Räma's II. gelegen war, nicht gleichgültig lassen; vielmehr mußte er daran interessiert sein, die Position des siamesischen Königs gegenüber seinen politischen Gegnern zu stärken. Dazu brauchte dieser vor allem Beweise, daß Siams Position in Kambodscha durch seine Politik nicht verspielt wurde und daß eine Politik des friedlichen Ausgleichs mit Vietnam mehr Vorteile brachte als ein Konfrontationskurs. Aus diesen Uberlegungen heraus ist es zu verstehen, daß Gia-long unmittelbar nach der Rückkehr f>rrc Man's König Angk-Chant von Kambodscha anwies, Gesandte nach Siam zu schicken, um auf diese Weise "als kleines Land dem größeren gegenüber seine Verehrung zu bezeigen" 183•

Von nun an bis zum Ende der Regierungszeit Gia-long's (1820) und- wie die thailändische Chronik zeigt- darüber hinaus bis zum Tode Räma's II. (1824) blieb das Verhältnis zwischen Siam und Vietnam von Erschütterungen frei. Dabei bestanden deutliche Parallelen zu der Situation, wie sie in den siamesisch-vietnamesischen Beziehungen im Anschluß an die Vereinigung Vietnams durch Gia-long im Jahre 1803 geherrsdlt hatte: Damals wie jetzt hatte sich der vietnamesische Kaiser nach Festigung seiner Machtposition in Kambodscha bemüht, gute Beziehungen zu Siam aufrechtzuerhalten; und sowohl Räma I. als schließlich auch Räma II. hatten die Einflußnahme Viet­nams in Kambodscha hingenommen, um zu einem friedlichen Ausgleich mit dem traditionellen Rivalen zu gelangen, wobei freilich Räma Il. erheblich größere Opfer gebracht hatte als sein Vater Räma I.

Entsprechend dieser grundsätzlichen Ähnlichkeit der Situation finden sich im DNThL in den letzten Regierungsjahren Gia-long's ähnliche von gut­nachbarlichen Beziehungen Vietnams zu Siam zeugende Eintragungen wie sie für die letzten Jahre der Herrschaft Räma's I. kennzeichnend gewesen waren: Im sechsten Monat des Jahres 1817, als ein Schiff mit einer siamesi­schen Gesandtschaft nach China wegen eines Sturmes f>a-näng als Nothafen anlaufen mußte, wurde die Besatzung auf Veranlassung Gia-long's mit Reis versorgt 184 und drei Monate später zog eine vietnamesische Gesandtschaft mit Geschenken zu einem Kondolenzbesuch nach Bangkok, wo der Mahä

1111 ibid., 282; es heißt hier - was wohl eine Ubertreibung sein dürfte --:• daß dadurc:h die freundsc:haftlic:hen Beziehungen zwisc:hen Siam und Kambod.sdla Wieder­hergestellt wurden.

tS. ibid., 324.

134

Uparät verstorben war; sie kehrte mit einem Dankesbrief Räma s II. und Gegengeschenken zurück 185

• - Dies ist die letzte Siam betreffende Ein­tragung im Dgi Nam Thr,rc Lr,zc chinh bien d~ nhdt ky.

VI.

Es läßt sich zusammenfassend sagen, daß die hier untersuchten vietname­sischen Annalen ein Bild der Beziehungen zwischen Siam und Vietnam von ihren Anfängen bis in die ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein ergeben, das grundsätzliche Ubereinstimmung mit demjenigen der thailändischen Chroniken aufweist. Ein solches Ergebnis war von vornherein nicht zu erwarten gewesen, da sowohl die traditionelle vietnamesische als auch die thailändische Geschichtsschreibung in den Händen von Hofbeamten lag und nicht etwa in denen von unabhängigen, dem wissenschaftlichen Ob­jektivitätsideal verpflichteten Historikern 186• Es hätte daher kaum über­raschen können, wenn die vorliegende Untersuchung ergeben hätte, daß zwischen der geschichtlichen Uberlieferung Siams und Vietnams hinsichtlich ihres Verhältnisses zueinander unvereinbare Widersprüche bestehen und daß die Historiegraphien beider Länder eine manipulierte Darstellung vom Gang der Ereignisse geben, um die Rolle der eigenen Seite, d. h. vor allem die des jeweiligen Monarchen, dem sie dienten, in einem besonders vorteil­haften Licht erscheinen zu lassen, also z. B. eine militärische Niederlage in einen Erfolg umzuinterpretieren. Tendenzen dieser Art konnten nicht festge­stellt werden; die untersuchten Chroniken und Annalen sind -mit der Aus­nahme von Damrog's "Chronik" (Phongsäwadän} der Regierungszeit Räma's II. - im wesentli"chen unkommentierte Kompilationen historischer Original­dokumente wie offizieller Briefe, Berichte und chronikalischer Aufzeichnun­gen, die nur wenige Spuren von Uberarbeitung zeigen.

Der besondere Nutzen der Verwendung von sowohl vietnamesischen wie thailändischen Quellen für die Untersuchung der Beziehungen dieser beiden Länder liegt somit nicht darin, daß sie sich gegenseitig korrigieren, sondern darin, daß sie sich vielfach ergänzen und somit zur Aufhellung und zum bes­seren Verständnis zahlreicher Einzelvorgänge entscheidend beitragen. Denn wenn die Autoren der vietnamesischen und der thailändischen Annalen und Chroniken auch kein bewußt verfälschtes Bild historischer Ereignisse zeich­nen, so mangelt es ihren Werken doch oft erheblich an Vollständigkeit hin­sichtlich der mitgeteilten historisch relevanten Fakten. Von hierher gesehen liefert die Untersuchung der siamesisch-vietnamesischen Beziehungen an­hand des DNThL lohnende Ergebnisse, obwohl in der eingangs erwähnten Arbeit ANARMWAT's dieses Thema bereits unter erschöpfender Verwendung historischen Chronik- und Dokumentenmaterials thailändischer Herkunft behandelt worden ist.

185 DNThL IV, 332; zum Tode des Mahä Uparät s. D.umoNG, a. a. 0., Bd. II, 10 ff. 188 Die in der vorljegenden Untersuchung benutzte thailändische Chronik der

Regierungszeit Räma's II. ist allerdings von einem Historiker, Prinz Damrong, ver­faßt worden, der bereits mit den Grundprinzipien moderner westlicher Geschichts­wissenschaft vertraut war.

135