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Notfall Rettungsmed 2013 · 16:280–283 DOI 10.1007/s10049-013-1717-7 Online publiziert: 25. Mai 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 S.C. Compagnoni 1  · H. Kupferschmidt 2  · C. Scharf 3  · P. Glisenti 4 1 Departement Innere Medizin, Kantonsspital Graubünden, Chur 2 Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum, Assoziiertes Institut der Universität Zürich 3 Herzgefäss Zentrum Klinik im Park, Zürich 4 Klinik für Innere Medizin, Spital Oberengadin, Samedan Die blaue Blume  im Pilzsalat Eine beinahe tödliche Intoxikation mit  Aconitum napellus (Blauer Eisenhut) Anamnese Eine 41-jährige Patientin wurde we- gen plötzlichen Unwohlseins nach Ver- zehr eines Salats mit selbst gesammelten Steinpilzen und Kräutern durch einen Nachbaren mittels Privatauto auf unse- re Notfallstation gebracht. Sie berichtete, dass sie ca. 20 min nach Verzehr des Sa- lats plötzlich ein Kribbeln in Mund, Ge- sicht und im Verlauf an den Extremitäten verspürte. Aktuell „fühle sie den Körper nicht mehr“. Dem Kribbeln folgten star- ke Atemnot, Übelkeit und stärkste diffu- se Bauchschmerzen. Zuhause war die Pa- tientin kollabiert, als sie aufstehen und Hilfe holen wollte, eine Bewusstlosigkeit wurde jedoch verneint. Anamnestisch wurden eine methadonsubstituierte Poly- toxikomanie und die regelmäßige Ein- nahme von Benzodiazepinen und Venla- faxin angegeben. Aktuell seien keine Dro- gen konsumiert worden. Befund Beim Eintreffen auf der Notfallstation präsentierte sich eine äußerst agitierte, aber orientierte Patientin mit einem GCS von 14 Punkten. In dem Zustand konnte die Anamnese nur suggestiv mit geschlos- senen Fragen erhoben werden. Der „primary survey“ ergab offene Atemwege, eine ausgeprägte Hyperven- tilation mit einer Atemfrequenz von ca. 50/min, einer Herzfrequenz von 85/min und einem Blutdruck von 124/82 mmHg. Das Integument war kaltschweißig bei pe- ripher gut palpablen Pulsen, die Rekapil- larisationszeit normal. Ferner imponierte eine ausgeprägte Sialorrhö. Das subjektiv schmerzhafte Abdomen war aufgrund der Agitation kaum untersuchbar, schien je- doch weich. Bei der Palpation wurden die Schmerzen nicht schlimmer. Die Herz- Lungen-Auskultation war unauffällig. Die Laboruntersuchung zeigte erhöhte Transaminase- und Cholestaseparameter bei bekannter Hepatitis C und sonst nor- malen Blutwerten, insbesondere norma- le Lipase, normales Kreatinin und norma- le Serumelektrolyte. Die arterielle Blutgas- analyse wies einen normwertigen Befund auf mit Tendenz zur respiratorischen Al- kalose bei einem pH von 7,45 (7,35–7,45) und einem pCO 2 von 33 mmHg (32– 42 mmHg). Das Drogenscreening aus dem Katheterurin war positiv auf Cocain, Methadon, Tetrahydrocannabinol und Benzodiazepine. Diagnose Klinisch zeigte sich ein Bild mit zentral- nervösen und vegetativen Symptomen mit ausgeprägter Agitation, Sialorrhö, Ta- chykardie und Tachypnoe. Der bei Into- xikationen zu bestimmende Poison Se- verity Score (PSS) betrug 3 Punkte. Da ein aktueller diese Symptome erklärender Drogenkonsum negiert wurde, jedoch ein Pilzsalat mit selbst gesammelten Steinpil- zen verzehrt worden war, fokussierten wir die Differenzialdiagnose zunächst auf eine mögliche Pilzintoxikation. Nach Rücksprache mit der amtlichen Pilzexpertin und der Person, welche die Steinpilze gesammelt hatte, sowie nach Konsultation des Schweizerischen Toxi- kologischen Informationszentrums wur- de die Arbeitsdiagnose einer Pilzintoxika- tion in den Hintergrund gestellt. Das kli- nische Bild passte schlecht zu einer Intoxi- kation mit Pilzen, die mit Steinpilzen ver- wechselt werden könnten. Die Suche wur- de somit nach einer anderen unklaren to- xikologischen Substanz fortgeführt. Ferner passten die erhobenen Befun- de, allen voran die eindrückliche Sialorr- hö, nicht zu einer Intoxikaton mit den im Drogenscreening positiv getesteten Subs- tanzen und auch nicht zu einer Venlafa- xin-Intoxikation. Therapie und Verlauf Die sehr starken Bauchschmerzen und das Erbrechen wurden intravenös mit Metoclopramid, Ondansetron sowie Sco- palamin und Fentanyl behandelt, was kei- nen Erfolg zeigte. Gegen die starke Agi- tation mussten der hyperventilierenden Patientin mehrmals 1 mg Midazolam in- travenös verabreicht werden, insgesamt 6 mg. Zirka 2 h nach Symptombeginn Kasuistiken Redaktion M. Fischer, Göppingen W. Schreiber, Wien F. Walcher, Frankfurt/Main 280 | Notfall + Rettungsmedizin 4 · 2013

Die blaue Blume im Pilzsalat; The blue flower in the mushroom salad;

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Page 1: Die blaue Blume im Pilzsalat; The blue flower in the mushroom salad;

Notfall Rettungsmed 2013 · 16:280–283DOI 10.1007/s10049-013-1717-7Online publiziert: 25. Mai 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

S.C. Compagnoni1 · H. Kupferschmidt2 · C. Scharf3 · P. Glisenti4

1 Departement Innere Medizin, Kantonsspital Graubünden, Chur2 Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum, Assoziiertes Institut der Universität Zürich3 Herzgefäss Zentrum Klinik im Park, Zürich4 Klinik für Innere Medizin, Spital Oberengadin, Samedan

Die blaue Blume im PilzsalatEine beinahe tödliche Intoxikation mit Aconitum napellus (Blauer Eisenhut)

Anamnese

Eine 41-jährige Patientin wurde we-gen plötzlichen Unwohlseins nach Ver-zehr eines Salats mit selbst gesammelten Steinpilzen und Kräutern durch einen Nachbaren mittels Privatauto auf unse-re Notfallstation gebracht. Sie berichtete, dass sie ca. 20 min nach Verzehr des Sa-lats plötzlich ein Kribbeln in Mund, Ge-sicht und im Verlauf an den Extremitäten verspürte. Aktuell „fühle sie den Körper nicht mehr“. Dem Kribbeln folgten star-ke Atemnot, Übelkeit und stärkste diffu-se Bauchschmerzen. Zuhause war die Pa-tientin kollabiert, als sie aufstehen und Hilfe holen wollte, eine Bewusstlosigkeit wurde jedoch verneint. Anamnestisch wurden eine methadonsubstituierte Poly-toxikomanie und die regelmäßige Ein-nahme von Benzodiazepinen und Venla-faxin angegeben. Aktuell seien keine Dro-gen konsumiert worden.

Befund

Beim Eintreffen auf der Notfallstation präsentierte sich eine äußerst agitierte, aber orientierte Patientin mit einem GCS von 14 Punkten. In dem Zustand konnte die Anamnese nur suggestiv mit geschlos-senen Fragen erhoben werden.

Der „primary survey“ ergab offene Atemwege, eine ausgeprägte Hyperven-tilation mit einer Atemfrequenz von ca.

50/min, einer Herzfrequenz von 85/min und einem Blutdruck von 124/82 mmHg. Das Integument war kaltschweißig bei pe-ripher gut palpablen Pulsen, die Rekapil-larisationszeit normal. Ferner imponierte eine ausgeprägte Sialorrhö. Das subjektiv schmerzhafte Abdomen war aufgrund der Agitation kaum untersuchbar, schien je-doch weich. Bei der Palpation wurden die Schmerzen nicht schlimmer. Die Herz-Lungen-Auskultation war unauffällig.

Die Laboruntersuchung zeigte erhöhte Transaminase- und Cholestaseparameter bei bekannter Hepatitis C und sonst nor-malen Blutwerten, insbesondere norma-le Lipase, normales Kreatinin und norma-le Serumelektrolyte. Die arterielle Blutgas-analyse wies einen normwertigen Befund auf mit Tendenz zur respiratorischen Al-kalose bei einem pH von 7,45 (7,35–7,45) und einem pCO2 von 33 mmHg (32–42 mmHg). Das Drogenscreening aus dem Katheterurin war positiv auf Cocain, Methadon, Tetrahydrocannabinol und Benzodiazepine.

Diagnose

Klinisch zeigte sich ein Bild mit zentral-nervösen und vegetativen Symptomen mit ausgeprägter Agitation, Sialorrhö, Ta-chykardie und Tachypnoe. Der bei Into-xikationen zu bestimmende Poison Se-verity Score (PSS) betrug 3 Punkte. Da ein aktueller diese Symptome erklärender

Drogenkonsum negiert wurde, jedoch ein Pilzsalat mit selbst gesammelten Steinpil-zen verzehrt worden war, fokussierten wir die Differenzialdiagnose zunächst auf eine mögliche Pilzintoxikation.

Nach Rücksprache mit der amtlichen Pilzexpertin und der Person, welche die Steinpilze gesammelt hatte, sowie nach Konsultation des Schweizerischen Toxi-kologischen Informationszentrums wur-de die Arbeitsdiagnose einer Pilzintoxika-tion in den Hintergrund gestellt. Das kli-nische Bild passte schlecht zu einer Intoxi-kation mit Pilzen, die mit Steinpilzen ver-wechselt werden könnten. Die Suche wur-de somit nach einer anderen unklaren to-xikologischen Substanz fortgeführt.

Ferner passten die erhobenen Befun-de, allen voran die eindrückliche Sialorr-hö, nicht zu einer Intoxikaton mit den im Drogenscreening positiv getesteten Subs-tanzen und auch nicht zu einer Venlafa-xin-Intoxikation.

Therapie und Verlauf

Die sehr starken Bauchschmerzen und das Erbrechen wurden intravenös mit Metoclopramid, Ondansetron sowie Sco-palamin und Fentanyl behandelt, was kei-nen Erfolg zeigte. Gegen die starke Agi-tation mussten der hyperventilierenden Patientin mehrmals 1 mg Midazolam in-travenös verabreicht werden, insgesamt 6 mg. Zirka 2 h nach Symptombeginn

Kasuistiken

RedaktionM. Fischer, GöppingenW. Schreiber, WienF. Walcher, Frankfurt/Main

280 |  Notfall + Rettungsmedizin 4 · 2013

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und eine halbe Stunde nach der letzten Verabreichung von Midazolam kam es auf der Notfallstation plötzlich zu einer respi-ratorischen Erschöpfung mit Bra dypnoe, weshalb die Patientin kurzzeitig assistiert beatmet werden musste. Im EKG fielen rezidivierende Herzrhythmusstörungen mit Herzfrequenzen bis 150/min auf, die als intermittierende bidirektionale vent-rikuläre Tachykardien interpretiert wur-den (. Abb. 1). Es erfolgte die Verlegung auf die Intensivstation, wo im weiteren Verlauf eine rein supportive Behandlung durchgeführt wurde. Die formal indizier-te Verabreichung von Aktivkohle konn-te nicht durchgeführt werden, da die Pa-tientin permanent erbrach. In diesem Zu-stand wäre die Gabe von Aktivkohle nur

mittels Intubationsnarkose zum Aspi-rationsschutz vertretbar gewesen. Rund 18 h nach Symptombeginn stellte sich spontan wieder ein stabiler Sinusrhyth-mus ein, die Zeichen der Intoxikation wa-ren verschwunden und die Patientin war beschwerdefrei.

Erst im Nachhinein wurde durch An-gehörige in Erfahrung gebracht, dass der Lebenspartner der Patientin im Kräuter-beet auf dem heimischen Balkon einen blauen Eisenhut züchtete. Es kam der Ver-dacht auf, dass davon in den Salat geraten war. In den Blutasservaten konnten dar-aufhin hohe Konzentrationen von Aconi-tin (4 μg/l) nachgewiesen werden.

Diskussion

Aconitum napellus (Blauer Eisenhut, engl. Monkshood, Wolfsbane) ist eine sehr häufig vorkommende, äußerst giftige Ge-birgs- und Zierpflanze aus der Familie der Ranunculaceae, die v. a. auf feuchten Wie-sen oder an Bachufern bis über 2000 m über dem Meeresspiegel anzutreffen ist (. Abb. 2, 3). Typisch ist außerdem das gehäufte Auftreten auf überdüngten Bö-den rund um Alphütten, wo nur wenige Pflanzen wachsen, welche vom Vieh nicht gefressen werden.

In allen Pflanzenteilen sind das Haupt-alkaloid Aconitin (Acetylbenzoylaconin), ein Diterpen, und andere verwandte Alka-loide (Mesaconitin, Hypaconitin und die

Abb. 1 8 EKG der Patientin: 25 mm/s, bidirektionale ventrikuläre Tachykardie, Originalbefund

Abb. 2 8 Aconitum napellus (Copyright: Paolo Glisenti)

Abb. 3 8 Aconitum napellus: Ansammlung nahe eines Wanderwegs (Copyright: Paolo Glisenti)

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freien Alkamine Asonin, Napellin, Neo-pellin und Neollin) enthalten. Die Neben-wirkstoffe 1-Ephedrin und Spartein sind in der Knolle zu finden. Der Aconitinge-halt ist in Wurzeln (0,3–2%) höher als in Blättern (0,2–1,2%) und Samen (1–2%). Reines Aconitin gilt ab einer Dosis von 3–6 mg für den Erwachsenen als poten-ziell letal [1]. Somit können bereits weni-ge Gramm Pflanzenmaterial zu lebensge-fährlichen Vergiftungen führen. Serum-konzentrationen können unbehandelt ab 3,6 ug/l potenziell tödlich sein. [2]. Oft er-wähnt wird das berühmte Beispiel des rö-mischen Kaisers Claudius (40 v. Chr.), der von seiner Gattin Agrippina mit Aconitin vergiftet worden sein soll, damit ihr Sohn Nero den Thron erben konnte [3].

Heute wird die Pflanze v. a. in der Homöopathie und in der Traditionellen Chinesischen Medizin zu verschiedens-ten Zwecken (z. B. gegen Muskelschmer-zen oder Grippe etc.) eingesetzt. Entspre-chend stammen die meisten Fallbeschrei-bungen akzidenteller Intoxikationen aus dem asiatischen Raum, wobei nur selten die Serumkonzentration der toxischen Substanz bestimmt worden ist. Eine mög-liche Einnahmeform ist Tee oder Suppe, gewonnen aus den Wurzeln. Das zwin-gend notwendige lange Kochen (ca. 3 h) führt zu einer Hydrolyse des Aconitins und reduziert den Alkaloidgehalt um 65–90%. Eine fehlerhafte Zubereitung oder eine unkorrekte Einnahme durch den Pa-tienten kann somit schnell zur Intoxika-tion führen.

In der Schweiz sind aktuell ca. 100 Aconitum enthaltende Präparate erhält-lich, jedoch ausschließlich in homöopa-thischer Verdünnung. Sowohl in der ak-tuellen schweizerischen wie auch europäi-schen Pharmakopöe ist die Pflanze oder das Aconitin nicht mehr aufgeführt [4, 5]. In den Jahren 1995 bis 2009 wurden in der Schweiz nur 5 Fälle von Aconitin-Intoxi-kationen registriert [6].

Wirkungsmechanismus und Symptome

Aconitin verursacht eine persistierende Aktivierung der spannungsabhängigen Natriumkanäle der Zellmembranen des Myokards, des zentralen und peripheren Nervensystems und der Muskeln. Da-

durch kommt es zu einer gesteigerten Au-tomatizität des Herzens. Wenige Minuten nach Einnahme der Pflanze erfolgt eine rasche Resorption über die Schleimhäu-te bzw. den Magendarmtrakt [2]. Jedoch ist aufgrund der hohen Lipophilie auch eine relevante Resorption über die intak-te Haut möglich [7]. Typischerweise tritt dann eine Trias von neurologischen, kar-diologischen und gastrointestinalen Sym-ptomen auf. Zunächst entwickelt sich ein Kribbelgefühl mit Parästhesien um den Mund, welches sich auf die Extremitäten und den ganzen Körper ausbreitet, gefolgt von starken Bauchkrämpfen und meist ta-chykarden Herzrhythmusstörungen. Eine detaillierte Auflistung der Symptome fin-det sich in . Tab. 1.

Therapie

Für die Therapie einer Intoxikation mit Blauem Eisenhut existiert kein spezifi-sches Antidot. Die Therapie erfolgt sym-ptomatisch mit Elekrolytausgleich, wenn nötig Intubation und Beatmung gemäß der geltenden ALS-Richtlinien. Ein kar-diales Monitoring für 24 h ist unerläss-lich. Bei Bradykardien kann Atropin ver-abreicht werden, bei Kammerflimmern ist eine sofortige Defibrillation durchzu-führen. Unter anderem wird eine bidirek-tionale Kammertachykardie beobachtet, welche von verschiedenen autonomen fo-kalen Zentren im Myokard herrührt. Der fokale Mechanismus der Arrhythmie er-klärt auch das häufig fehlende Anspre-chen auf Kardioversion bzw. Defibrilla-tion, da der Fokus auch nach der Schock-abgabe aktiv bleibt. Da Aconitin die Na-triumkanäle moduliert, könnte versuchs-weise ein Natriumkanal blockierendes Antiarrhythmikum versucht werden, je-doch sind die Daten hierfür nicht gesi-chert. Anhand von einzelnen Fallberich-ten und von Tierversuchen werden Amio-daron und Flecainid genannt [3]. Vor-dringlich sind das engmaschige Monito-ring und die aggressive Korrektur der Se-rumelektrolyte. Eine Anhebung vom Se-rumkalium auf 4,5–5 mmol/l stabilisiert den Herzrhythmus. Tierversuche lassen vermuten, dass auch eine Kalziumzufuhr günstig wirken könnte. Auf jeden Fall sollten Kalziumkanalblocker (Verapamil usw.) vermieden werden [8]. Da Vergif-

tungen in der Regel reversibel sind, sollen Reanimationsbemühungen nicht zu früh abgebrochen werden.

Aufgrund einer relativ hohen Lipophi-lie von Aconitin (Log P 2.0; [9]) könnte bei therapieresistenten, reanimationsbe-dürftigen Rhythmusstörungen eine Ver-abreichung von intravenöser Lipidemul-sion (ILE) als Antidot versucht werden.

Zusammenfassung · Abstract

Notfall Rettungsmed 2013 · 16:280–283DOI 10.1007/s10049-013-1717-7© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

S.C. Compagnoni · H. Kupferschmidt · C. Scharf · P. Glisenti

Die blaue Blume im Pilzsalat. Eine beinahe tödliche Intoxikation mit Aconitum napellus (Blauer Eisenhut)

ZusammenfassungHintergrund. Aconitum-napellus-Intoxika-tionen (Blauer-Eisenhut-Intoxikationen) sind in Asien bekannt, da die Pflanze dort in der Traditionellen Medizin angewendet wird. Bei uns sind sie selten und somit kaum bekannt, obwohl die Pflanze häufig anzutreffen ist. Die Klink besteht im Wesentlichen in einer Tri-as aus kardiologischen, neurologischen und gastrointestinalen Symptomen.Ziel des Beitrags. Es wird über eine Patientin berichtet, welche die Blüte des blauen Eisen-huts einem Pilzsalat beigefügt hatte.

SchlüsselwörterBlauer Eisenhut · Intoxikation · Aconitin · Kardiotoxisch · Arrythmie

The blue flower in the mushroom salad. A nearly fatal intoxication with Aconitum napellus (monkshood)

AbstractBackground. Aconitum napellus (monks-hood) intoxications are well known in Asia because the plant is often used in traditional medicines. In western countries intoxications are rare and therefore barely known even though the plant is often encountered in na-ture. The symptoms include cardiological, neurological and gastrointestinal complaints.Objective of the article. This article re-ports the case of a patient who added some monkshood flowers to a mushroom salad.

KeywordsMonkshood · Intoxication · Aconitin · Cardiotoxic · Arrhythmia

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Kasuistiken

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Diese wird zunehmend nach Überdosie-rung stark lipophiler, kardiotoxischer Me-dikamente, insbesondere Lokalanästheti-ka, eingesetzt [10]. Das Schweizerische To-xikologische Informationszentrum kennt einen (unveröffentlichten) Fall einer Aco-nitinvergiftung, bei der erfolgreich Lipide-mulsion eingesetzt wurde. Andere Fallbe-richte existieren allerdings nicht.

Fazit für die Praxis

F  Bei Patienten mit gleichzeitigen un-klaren kardiologischen, neurologi-schen und gastrointestinalen Symp-tomen sollte aktiv nach einer Behand-lung mit Traditioneller (Chinesischer) Medizin gefragt werden.

F  Beim zugewiesenen Naturfreund oder Wanderer mit den gleichen Sym-ptomen sollte man nach blauen Blu-men fragen.

Korrespondenzadresse

Dr. P. GlisentiKlinik für Innere Medizin, Spital Oberengadin7503 [email protected]

Compliance with Ethics Guidelines

Conflict of interest. P. Glisenti declares that he has no conflict of Interest.

This article does not contain any studies with human or animal subjects.

Literatur

1. Frohne D et al (1997) Giftpflanzen; ein Handbuch für Apotheker, Ärzte, Toxikologen und Biologen, 4. Aufl. S 312, ISBN 3-8047-1466-8

2. Chan TYK (2009) Aconite poisoning. Clin Toxicol (Phila) 47(4):279–285

3. Weijters BJ, Verbunt RJ, Hoogsteen J et al (2008) Salade malade: malignant ventricular arrhythmi-as due to an accidental intoxication with Aconitum napellus. Neth Heart J 16(3):96–99

4. Pharmacopoea Helvetica (2012) Ausgabe 11.0 5. Pharmacopoea Europea (2012) Ausgabe 7.5 6. Fuchs J, Rauber-Lüthy C, Kupferschmidt H (2011)

Acute plant poisoning: analysis of clinical features and circumstances of exposure. Clin Toxicol (Phila) 49(7):671–680

7. Chan TYK (2012) Aconite poisoning following the percutaneous absorption of Aconitum alkaloids. Forensic Sci Int 223(1–3):25–27

8. Moroz VM, Lipnitskii TN (2006) Dysfunction of ionic channels in cardiomyocyte sarcolemma and cardi-ac arrythmias. Bull Exp Biol Med 141(4):397–399

9. Bello-Ramirez AM, Nava-Ocampo AA (2004) A QSAR analysis of toxicity of Aconitum alkaloids. Fundam Clin Pharmacol 18(6):699–704

10. Waring SW (2012) Intravenous lipid administration for drug-induced toxicity: a critical review of the existing data. Expert Rev Clin Pharmacol 5(4):437–444

Tab. 1 Symptome der Aconitinintoxikation

Zentrales/peripheres Nervensystem Herz Magen-Darm-Trakt

ParästhesienAgitationMuskelschwächeZuerst Tachypnoe, dann Brady- bis ApnoeHypothermieSchwindelTinnitusMydriase

Ventrikuläre TachykardienVentrikuläre Ektopien, z. B. BigeminiTorsades de pointesKammerflimmernSupraventrikuläre TachykardienVorhofarrhythmienEvtl. Bradykardie (via aktivierten N. vagus)

Vermehrte Dünndarm-kontraktionAbdominalkrämpfeNausea/ErbrechenHypersalivationDiarrhöHyperhydrosis