16
Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

  • Upload
    others

  • View
    21

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in TokyoEin Stück deutsch-japanischer Geschichte

Page 2: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“, der vom preußischen Gesandten Friedrich Albrecht Graf zu Eulenburg am 24. Januar 1861 mit der japanischen Regierung, dem Bakufu, geschlossen wurde, markiert den Beginn der offiziellen deutsch-japanischen Bezie-hungen. Damit wurde der Grundstein für den regen Austausch gelegt, der bis heute vor allem in Wissenschaft und Kultur zwischen Deutschen und Japanern besteht. Er hat das enge wirtschaftliche und politische Verhältnis zwischen den beiden Ländern ermöglicht, von dem wir bis heute profitieren.Das Gebäude der Deutschen Botschaft Tokyo, die Residenz des Botschafters und vor allem der malerische Residenzgarten, sie spiegeln die Intensität dieser Beziehungen wider. Mit der vorliegenden Broschüre laden wir Sie zu einem Spaziergang durch Vergangenheit und Gegen-wart der Anlage wie auch der deutsch-japanischen Beziehungen ein.

Ihre Mitarbeiter der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo

Titelfoto: Einfahrt zur Botschaftsresidenz mit Steininschrift: „不老門“ (furomon – „Tor der ewigen Jugend“)

Page 3: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

3

„Dieses Feld heißt auch Tsukushi-ga-oka (Schachtelhalmhügel) und war früher be-rühmt für das Sammeln von Kräutern und das Zirpen der Insekten. Auch die Herbst-landschaft des Feldes, von verdorrten Schilf-landschaften geprägt, ist allgemein bekannt. Obwohl sich die Landschaft mit der Zeit all-mählich verändert hat, ist ihr ursprüngli-cher Reiz erhalten geblieben – mit ihren kla-ren Flüssen und wehenden Schilfblüten er-innert sie lebhaft an das alte Musashino.“ So heißt es 1907 in dem Reiseführer „To-kyo Annai“. Noch in dieser Zeit machte sein ländlicher Charme den Stadttei l Azabu, in dem sich heute die Deutsche Botschaft Tokyo befindet, zu einem be-liebten Ausflugsziel. Bis heute ist Azabu ein an Gärten reicher, angenehmer Stadt-teil Tokyos, in dem sich zahlreiche Bot-schaften befinden und wo sich alter japa-nischer Reichtum mit moderner Bebau-ung mischt.Das Gelände der Botschaft mit der Kanz-lei, der Residenz des Botschafters und dem Residenzgarten liegt an der Spitze ei-ner zweigförmigen Hügelkette der Ebe-ne von Musashino und fällt von der Resi-denz an steil nach Süden hin ab. Von die-sem Gelände aus bot sich früher ein weiter Blick über Land und Siedlungen bis hin zum Meer. Archäologische Funde aus prähistorischer Zeit belegen, dass die Ge-gend bereits in der Jomon-Zeit (ca. 10.000 – 300 v. Chr.) besiedelt war und dass der Meeresspiegel, damals noch weitaus hö-her, bis dicht an die Siedlungen heran-reichte.

Es gibt zahlreiche Hinweise auf eine mehr oder weniger kontinuierliche Erschlie-ßung und Besiedelung des Gebietes über viele Jahrhunderte hin. Der Ortsname Azabu selbst fand erstmalig 1559 Erwäh-nung. Seit der Eingliederung Azabus 1713 in die Stadt Edo (alte Bezeichnung für Tokyo) hatte sich die Schreibweise 麻布eingebürgert, was vermutlich „das Land des Hanf- (麻 asa) Tuchs (布 fu)“ bedeu-tet, da hier reichlich Hanfleinen produ-ziert wurden. Azabu-Hiroo-cho (麻布広尾町) beschreibt jenes Feld, in dessen un-mittelbarer Umgebung sich die Botschaft heute befindet.Um 1644 sind das Grundstück der heuti-gen Botschaft und seine Umgebung zum ersten Mal auf einem Stadtplan „Sho-ho Nenkan Edo Ezu“ verzeichnet. Dieser zeigt auch einen berühmten Heilkräu-tergarten, O-Yakushu-Batake, oder auch Azabu O-Yakuen, am Südhang des Ge-ländes der im selben Jahr vom dritten To-kugawa-Shogun Iemitsu (1604-1651) be-sucht wurde. In der Nähe des Kräutergar-tens ließ Shogun Tsunayoshi (1646-1709) im Jahr 1698 eine Privatvilla errichten, den „Silberpalast“ (Shirogane Goten), der wegen seines Ausblicks auf den Berg Fuji im Volksmund auch „Fujimi Goten“ (Fu-ji-mi = „Fuji-Blick“) genannt wurde. Ob-wohl der Lauf des Flüsschens Furukawa am Fuß des Hügels für den Bau der Vil-la extra erweitert worden war, um den Transport der Baumaterialien über den Seeweg zu ermöglichen, erfolgte schon 1708 ihr Abriss und eine Verlegung des

Geschichte der Umgebung der heutigen

Botschaft der Bundesrepublik Deutschland

Page 4: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

4

einem südlichen Teil, den nacheinander die adligen Familien Saegusa, Sakai und Koike bewohnten. Darüber hinaus bele-gen Karten des Gebiets aus der Meiji-Zeit (1868-1912), dass sich hier in den 1880er Jahren ein Marinegefängnis befand. Schließlich wurde das Grundstück in der Taisho-Zeit (1912-1926) vom Politiker Sakutaro Koizumi (1872-1937)(1), der im-mer wieder eine äußerst bedeutende Rol-le in der Partei Seiyukai spielte, erworben. Koizumi war ein leidenschaftlicher Anti-quitätensammler. Er erbaute ein Wohn-haus im japanischen sowie ein Gästehaus in westlichem Stil und ließ einen Garten anlegen, welcher einige seiner Antiquitä-ten beherbergte. Nach Koizumis Tod ging das Grundstück 1937 an Hyogoro Sakurai, den damali-gen Präsidenten von Nippon Typewriter, über. Sakurai bewohnte es bis Kriegsende und vermachte es an den Korakuji-Tem-pel. Später wurde es der chinesischen Bot-schaft zur Verfügung gestellt.

Kräutergartens nach Hakusan Goten, dem Vorläufer des heutigen Botanischen Gartens Koishikawa.In einem sich bis zum Ende der Toku-gawa-Zeit fortsetzenden Prozess über-gaben die Shogune ehemalige Ackerflä-chen an die Daimyos und deren Vasallen zum Wohnungsbau, wodurch die Urbani-sierung des Gebietes einerseits beschleu-nigt, die hohe Dichte an Bauernhäusern und Ackerland andererseits aber reduziert wurde. Für das heutige Botschaftsgrund-stück hatte dieser Prozess mehrfache Be-sitzaufteilungen zur Folge. So bestand das Gebiet im Zeitraum von 1708 bis 1848 aus einem nördlichen und

Sakutaro Koizumi im „Gästehaus“

Page 5: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

5

in Japan, darunter auch das Botschafts-grundstück. Auf dem Gelände steht heu-te die japanische Nationale Parlamentsbi-bliothek. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 und der Wie-derherstellung der staatlichen Souverä-nität Japans mit dem Friedensvertrag von San Francisco im Jahr 1952 waren auch die Voraussetzungen für die Wiederauf-nahme von offiziellen Beziehungen zwi-schen Deutschland und Japan geschaffen. Noch im gleichen Jahr bereitete ein Stab unter der Leitung von Wolfgang Galinsky

Die Deutsche Botschaft in Tokyo wech-selte mehrere Male ihren Standort, bis sie auf dem heutigen Grundstück erbaut wur-de.

Der erste Gesandte Preußens, Max Au-gust Scipio von Brandt (1835-1920), eröff-nete seine Kanzlei 1862 zunächst in Yo-kohama. Vier Jahre später verlegte er sie nach Edo, auf das Gelände des Shunto-in-Tempels (heute: 3-18-8 Minami-Azabu), wo einige Tempel durch das Shogunat zu offiziellen Vertretungen der damals einge-troffenen ausländischen Gesandtschaften bestimmt worden waren. Von 1872 bis 1945 befand sich die Deut-sche Gesandtschaft („Botschaft“ erst ab 1906) in Kojimachi-ku, Nagata-cho, ne-ben dem japanischen Parlamentsgebäude und in der Nähe des Kaiserpalastes. En-de Mai 1945 wurden die Botschaftsgebäu-de nach einem Bombenangriff durch ei-nen Brand zerstört. Nach Kriegsende ent-eigneten die USA den deutschen Besitz Botschafterresidenz in Nagata-cho kurz vor

Ausbruch des Zweiten Weltkriegs

Geschichte der Deutschen Botschaft

Erste Deutsche Gesandtschaft in Tokyo, Mitte 1870er Jahre; Gebäude der Gesandtschaft Tokyo, Anfang der 1880er Jahre

Page 6: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

6

zu einem Freundschaftspreis von einem Yen.(3) Zu jener Zeit stand dort noch das Dienstwohnungsgebäude der Botschaft der Republik China (Taiwan). Zwei Jahre später konnte mit den Bau-arbeiten für die Kanzlei und eine neue Re-sidenz auf dem 14.500 m² großen Grund-stück begonnen werden. Beide waren her-ausragende Beispiele der zeitgenössischen Architektur. Die Residenz wurde von der Bundesbaudirektion Bonn und Matsuda & Hirata, Architects & Engineers, Inc. als Stahlskelettbau realisiert. Die Kanzlei wurde von der Bundesbaudirektion Berlin (heute Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung – BBR) geplant und er-richtet. Die Residenz wurde 1957 bezo-gen, 1960 die Kanzlei. Diese wies eine über die gesamte Höhe reichende Trep-penhausmauer aus Glasbausteinen auf. Das geschwungene Dach verband ästhe-tisch anspruchsvoll westlichen Funktio-nalismus mit ostasiatischen Architektur-elementen.

vom Imperial Hotel aus die Einrichtung einer neuen Botschaft vor. Die „Deutsche Überseevertretung Tokyo“ unter der Lei-tung von Dr. Heinrich Northe als Bot-schaftsrat und Geschäftsträger, nahm bald darauf ihre Arbeit auf und konnte noch im selben Jahr in eine Botschaft um-gewandelt werden. Als erster offizieller Botschafter der Bundesrepublik Deutsch-land (2) nahm schließlich Dr. Hans Kroll ab 1955 die Amtsgeschäfte wieder auf. Da das ehemalige Botschaftsgelände im Regierungsviertel nicht mehr zur Verfü-gung stand, residierte die Deutsche Bot-schaft von 1952 bis 1960 zunächst in Aza-bu (Higashi Toriizaka, heute Roppongi 5-chome).

1954 vermittelte die japanische Regierung der Bundesrepublik Deutschland – gewis-sermaßen im Tausch gegen das Vorkriegs-grundstück – das heutige Gelände in Mi-nami-Azabu im Stadtteil Minato-ku,

Die alte Kanzlei mit der Residenz in den 60er Jahren auf dem heutigen Grundstück

Page 7: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

7

Neues Botschaftsgebäude, Außenansicht

Neues Botschaftsgebäude, Atrium

Das verheerende Erdbeben von Kobe im Jahr 1995 führte zur Überprüfung der Erdbebensicherheit der Kanzlei und Resi-denz, mit der Folge, dass erstere durch ei-nen Neubau ersetzt werden musste. Zur Erinnerung an den schönen 50er-Jahre-Bau blieb das Wandmosaik von Hedja Freese-Luckhardt, heute im großen Kon-ferenzraum, erhalten.Das Stuttgarter Architektenbüro Mahler Günster Fuchs ging mit seinem Entwurf eines fünfgeschossigen Kubus erfolgreich aus einem internationalen Wettbewerb hervor. Durch die leicht vom Hang abge-rückte Lage wirkt die neue Kanzlei prä-gnant, gleichzeitig aber auch leicht und zeitlos; offen, solide und transparent. Im Inneren der Kanzlei leitet ein et-wa 200 m² großes Atrium mit asymmet-risch durchbrochenen Wänden das Tages-licht durch Deckenfenster bis zum Erd-geschoss. Zur Erdbebensicherheit verteilt der würfelförmige Bau die Massen gleich-

mäßig über die Gebäudehöhen, während die Wände des Atriums auch erdbebenge-recht konstruiert sind und die Tragglieder einschließlich der Wände so angeordnet sind, dass das statische Gesamtsystem die bei einem Beben auftretenden horizonta-len Lasten aus allen Richtungen auffan-gen kann.

Page 8: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

8

und Wasserelementen korrespondieren. Da an der ursprünglichen Komposition und den extra für den Garten erworbe-nen Bauten, Statuen und Steinmetzarbei-ten keine größeren Veränderungen vor-genommen wurden, bleibt der Charak-ter, den Sakutaro Koizumi dem Garten im frühen 20. Jahrhundert gegeben hat, bis heute erhalten. Koizumi war Politiker, aber auch Kunst-liebhaber, dessen besonderes Interesse dem alten Kyoto und der Kansai-Regi-on galt. Zahlreiche seiner Kunstschätze, auch die im Garten verbliebenen, stam-men von dort. So wird der Besucher be-reits am Tor durch einen mannshohen Stein (siehe Titelfoto) mit den eingemei-

Neben den Gebäuden kann sich die Deut-sche Botschaft Tokyo ihres Residenz-gartens rühmen. Bereits in den 60er Jah-ren wurde der Garten aus der Zeit Koizu-mis von Juki Iida (1890-1977), einem der bedeutendsten japanischen Gartenarchi-tekten der Nachkriegszeit, an die reprä-sentativen Bedürfnisse einer Botschafter-residenz angepasst und neu gestaltet. Er wurde 1969 vom japanischen Institut für Landschaftsarchitektur ausgezeichnet. Im Herbst 1963 konnte Heinrich Lübke bei seinem Besuch als erster Bundespräsi-dent in Japan den Tenno und die Kaiserin hier empfangen. Die blühenden Sträucher und Gehölze sind so angeordnet, dass sie mit den Stein-

Der Garten der Deutschen Botschaft in Tokyo

Page 9: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

9

ten angeschlossenen kleinen fensterlosen Raum zur Teezeremonie gebeten wur-de. Dieser Raum ist nicht erhalten. Auch das Azumaya war zu Beginn des 21. Jahr-hunderts vom Verfall bedroht. Das Fami-lienoberhaupt der Teezeremonieschule Urasenke, Dr. Sen Genshitsu, übernahm daher als Beitrag seiner Schule zur Fei-er des 150. Jahrestags der Aufnahme of-fizieller deutsch-japanischer Beziehun-gen im Jahr 2011 die Komplettrestaurie-rung des Häuschens. Er schuf dabei eine außergewöhnliche Novität – einen Platz für die Teezeremonie innerhalb des Azu-mayas, so dass es heutigen Gästen mög-lich ist, die Teezeremonie und zugleich den Blick in den Garten zu genießen. Von

ßelten Schriftzeichen 不老門 (furomon) empfangen. Dies war im Kyoto der Heian-Zeit der Name des Tors zum Palastbereich Buraku-in, in dem der Unterhaltung und der Entspannung dienende Veranstaltun-gen stattfanden – durchaus nicht unpas-send, wenn wir an die heutige Funktion der Residenz denken. (4)

Das rot lackierte traditionelle Eingangs-tor eines Samurai-Anwesens (bukemon), flankiert den Ostausgang des Residenz-gartens. Als symbolische Wächter stehen auf seinem Dach oni, japanische Dämo-nen, und steinerne Löwen. Das bukemon wurde von Koizumi als Antiquität hier-her gebracht. Seine Herkunft ist nicht be-kannt.Nicht weit vom Samurai-Tor entfernt, im südlichen Teil des Gartens, befindet sich ein ganz besonderes Kleinod, das der Re-sidenz gegenüberliegende Teehaus. Es wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg im Auftrag Koizumis im Garten errich-tet. Die vier charakteristisch gekrümmten Holzpfosten unter dem Vordach (dobi-sa-shi) kennzeichnen den „Sukiya-Zukuri“-Stil. Trotz der kleinen Ausmaße erkennt man typische Merkmale dieser Bauwei-se. Generell ist die räumliche Ausstat-tung von Teehäusern bewusst schlicht ge-halten, um die Aufmerksamkeit der Gäs-te auf die Teezeremonie zu lenken. Das Machiai- (Warteraum) oder Azumaya-Häuschen war ein Ort zum Innehal-ten, der zum Verweilen und zum Genie-ßen des Ausblicks in den Garten einlud, bevor der Gast in den ursprünglich hin-

Bukemon

Page 10: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

10

der japanischen Behörde für kulturelle Angelegenheiten liegt ein Gutachten vor, nach dem das Teehaus möglicherweise in die Kategorie „moderne Kulturgüter in ja-panischem Stil“ fallen könnte. Das Gut-achten schließt mit der Bitte, das Teehaus und den umliegenden Garten zu pflegen, um den lokalgeschichtlichen Wert auch an nachfolgende Generationen zu über-liefern. Dem Teehaus gegenüber steht ein Stein chinesischer oder koreanischer Herkunft, in den das Bild des berühmten indischen Mönches Bodhidharma (Daruma) einge-meißelt ist, der im 6. Jahrhundert n. Chr. die Zen-Lehre von Indien nach China ge-bracht haben soll. Einer Legende nach hat Bodhidharma den Fluss Jangtse auf einem Schilfrohr überquert. Dies ist ein häufig dargestelltes Motiv in der vom Zen ins-pirierten Kunst. Neben seinem Abbild ist ein chinesisches Gedicht eingemeißelt:

Teehaus

Page 11: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

11

Ein Ried brechen, über den Jangtse setzen Gestiftet von Hui WangGedichtet von Li Zhongsheng (Künstlername Jinping, Meister des Pinsels)

Was trägt der Jangtse den göttlichen Mönch?Er überquert ihn gen Norden, auf Fahrt aus mitfühlendem Geist, die Lehre des Großen Fahrzeugs zu verbreiten (5) Willst du sein Herz ergründen, schau nur, wie er das Ried sich brachKostbare Sandelholz-Opfergaben schänden nur die Lehren des Shurangama-Sutra (6)

Geschrieben von Chong Chen

An einem Glückstag des 2. Monats des Jahres 22 der Ära Jiajing der großen Ming- Dynastie (1543) errichtete der in den Bergen lebende (Name unleserlich) aus dem Shaolin-Lu-Tempel diesen Stein.

In Sichtweite des Daruma-Steins be-finden sich zwei „Wächter“ Figuren, die gleichfalls vermutlich aus Korea oder Chi-na stammen, dann von Koizumi gekauft und im Garten aufgestellt wurden. Sie sind Symbole des Konfuzianismus.

Page 12: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

12

Weitere Zeugnisse des Buddhismus sind im vorderen Teil des Gartens zu finden. Zum einen befindet sich dort eine auf ei-ner Lotusblüte sitzende Buddhastatue, und gleich dahinter steht eine zwölfstö-ckige Steinpagode, mutmaßlich ebenfalls koreanischer oder chinesischer Herkunft.Der einzige Gegenstand, den Koizumi beim Kauf des Grundstücks vermutlich schon vorgefunden hat, war der etwas ab-seits liegende Fuchs-Schrein (Inari-Jin-ja) im südwestlichen Teil des Gartens. Die shintoistische Inari-Gottheit trägt traditionell Sorge für Erntereichtum und Fruchtbarkeit. Gemäß dem Historikergutachten, das die Botschaft zur Geschichte des Grund-stücks hat anfertigen lassen, ist der

Ebenfalls unweit des Teehauses und der Wächter-Statuen sind zwei der zahlrei-chen im Garten verteilten Wasserelemen-te und Steinlaternen platziert. Wie in al-len japanischen Gärten spielt die Anord-nung unterschiedlich großer Steine im Zusammenspiel mit Wasserläufen oder Teichen eine wichtige Rolle dabei, wie der Garten auf den Betrachter wirkt. Ne-ben mehreren Natursteinlaternen und ei-nem 19 Meter tiefen natürlichen Brunnen verfügt der Garten auch über fünf steiner-ne Becken, von denen sich einige kleine Wasserläufe speisen, die sich im Zentrum des Gartens beim Teehaus treffen.

Page 13: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

13

Schrein zu Beginn der Edo-Zeit erbaut worden, um den Heilkräutergarten des Shogunats vor bösen Geistern zu schüt-zen. Als der Silberpalast „Shirogane Goten“ gegen Ende des 17. Jahrhunderts errichtet wurde, genoss der Schrein lokale Vereh-rung. Nach dem Abriss des Palastes wurde das Grundstück in mehrere kleinere Par-zellen aufgeteilt, deren Besitzer eine Schreingemeinde bildeten, wobei der Platz des Schreins immer wieder gewech-selt zu haben scheint. Während viele klei-nere Shinto-Schreine in der Edo-Zeit erst gar nicht auf Karten verzeichnet wurden, lässt sich die Bekanntheit des Inari-Schreins wohl nicht zuletzt darauf zu-rückführen, dass er bei klarem Wetter ei-nen schönen Ausblick auf den Berg Fuji bot. Dies hat ihm den Beinamen „Fujimi-Inari-Schrein“ eingebracht. Seit dem Aus-zug der Familie Koizumi hat der Schrein keine religiöse Funktion mehr – der Fuchs hat das kleine Gebäude verlassen.

Die vielleicht interessanteste Anlage im Residenzgarten ist der hölzerne Glocken-turm eines buddhistischen Tempels in Nara. Der Glockenturm wurde von Bau-meister Kawaraya Kichiemon aus einem kleinen Dorf bei Kyoto gebaut und 1703 während der Regierungszeit von Kaiser Higashiyama eingeweiht. Er wurde von Koizumi erstanden.(7) Die ursprüngliche Glocke wurde während des Zweiten Weltkriegs entfernt und für die Rüstungsproduktion eingeschmolzen. Die heutige Glocke wurde im Auftrag des Industriellen Magokichi Yamaoka als „Glocke der deutsch-japanischen Freund-schaft“ – 日独友好親善之鐘, 1958 von Ma-sahiko Katori, einem Meister der Gieß-kunst aus Takaoka,(8) neu gegossen und ein Jahr später eingeweiht. Sie steht seither für die Freundschaft zwischen Deutschland und Japan. Yamaoka hatte sein Unterneh-men und sein Vermögen mit der Herstel-lung von Dieselmotoren aufgebaut, für die

Historische Aufnahme des Inari-Schreins Inari-Schrein heute

Page 14: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

14

er dem Erben des Erfinders Eugen Die-sel nie Lizenzgebühren bezahlen musste. Er machte die Glocke der Botschaft zum Geschenk. Sie trägt, abgesehen von ihrem Namen, zwei weitere Inschriften. Die japanische Inschrift lautet:美しい世界は感謝の心から昭和三十四年七月山岡孫吉Aus dankerfülltem Herzen entsteht eine schö-ne Welt (Juli 1959, Magoki-chi Yamaoka)Die deutsche Inschrift lautet:„Die Töne verhallen, aber die Harmonie bleibt. Goethe“Der Garten steht so in besonderer Wei-se für den Charakter des deutsch-japani-schen Verhältnisses. Er wurde Zeuge vie-ler historisch bedeutsamer Momente. So, als Bundeskanzler Konrad Adenauer im Frühling 1960 als erster Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland nach Ja-pan kam, oder 1963 als erster Bundesprä-sident Heinrich Lübke. Im Lauf der späteren Jahre waren auch die Kaiserin und der Kronprinz gelegent-

lich zu Gast bei Konzerten in der Residenz. Schließlich fanden hier einige der wichtigs-ten Veranstaltungen aus Anlass der Fei-ern zum 150. Jahrestag der Aufnahme der deutsch-japanischen Beziehungen statt, et-wa eine Begegnung zwischen Bundespräsi-dent Christian Wulff und Kronprinz Na-ruhito. Beide waren Schirmherren der Rei-he von mehr als 1.000 Veranstaltungen im ganzen Land. Auch heute noch sind Botschaft, Resi-denz und Residenzgarten mehr als nur Schauplatz des diplomatischen Alltags-geschäfts. Mit ihrer Geschichte, ihrer äs-thetischen Ausstrahlung und ihrer beson-deren Atmosphäre sind sie Ort der Be-gegnung zwischen Bürgern Deutschlands und Japans unabhängig von Status oder Funktion. Sie tragen dort zur Pflege der Freundschaft zwischen vielen Menschen unserer beiden Länder bei; eine Freund-schaft, die das deutsch-japanische Ver-hältnis seit langem auszeichnet.

Page 15: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

Anmerkungen

1 Keine Verwandtschaft mit PM Junichiro Koizumi (Ministerpräsident 2001-2006)

2 Auch die DDR unterhielt diplomatische Bezie-hungen zu Japan, jedoch erst ab 1973.

3 Für eine vom Grundstück eingeschlossene Enklave, auf der heute ein Dienstwohnungsgebäude der deutschen Botschaft steht, wurden später 900.000 DM gezahlt. Die Geschichte der Übertragung der Eigentumsrechte in der Zeit zwischen der Meiji-Restauration und der Übernahme des Grundstücks durch die Bundesrepublik Deutschland ist allerdings noch nicht präzise zu verifizieren.

4 Ebenso angemessen erscheint noch immer der dem Taoismus entstammende Wunsch ewiger Jugend („niemals zu altern“ – furo) – residieren doch die Botschafter hier gewöhnlich nicht länger als drei Jahre.

5 Das „Große Fahrzeug“ – der Mahayana-Buddhismus, die in China, Japan und Korea am weitesten verbreitete buddhistische Richtung.

6 Das Shurangama-Sutra, chin. Lengyan-jing, jap. Ryogon-kyo, eine der Sutren des Mahayana-Buddhismus, dem sich in China die Verbreitung der auf Mäßigung, Einfachheit und moralische Klarheit gerichteten Ideen des Zen (chin. Chan) verdankt.

7 In der Meiji-Zeit wurden staatlicherseits zahlreiche buddhistische Tempel dekommissioniert oder zum Teil auch zerstört.

8 Katori war Titelträger des Juyo-Mukei-Bunkazai, der höchsten japanischen Auszeichnung für einen Künstler, die ihn zu einem sogenannten „lebenden Nationalen Kulturschatz“ erhebt.

Impressum

Herausgeber: Deutsche Botschaft Tokyo

Redaktion: Dr. Volker Stanzel Dorothea Brödnow Dorothea Durutya Lisa GeorghiouShizuo Isobe Prof. Yoshimi Koike Koji KubotaTom de Laar Alexander PählerEmi Taguchi (Übersetzung)Motoaki Tawara Nina Wieczorek Eva Zimmermann

Bilder: © Deutsche Botschaft Tokyo

Ein besonderer Dank geht an die Familie Koizumi für die Bereitstellung ihres Familienalbums.

März 2013

Page 16: Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Tokyo · Bundesrepublik Deutschland in Tokyo Ein Stück deutsch-japanischer Geschichte. Der „Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag“,

www.japan.diplo.de