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Die chinesische Kinder- und Jugendliteratur als Autorität für ihre Leser unter besonderer Berücksichtigung des Jugendromans der 1990er Jahre Inaugural-Dissertation in der Philosophischen Fakultät II (Sprach- und Literaturwissenschaften) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Andrea Beständig aus Nürnberg D 29

Die chinesische Kinder- und Jugendliteratur als Autorität ... · 3.4 Transformationsprozess 34 3.5 Kinder- und Jugendliteraturpreise 38 4 Das Autoritätsverständnis in der chinesischen

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Die chinesische Kinder- und Jugendliteratur als Autorität für ihre

Leser unter besonderer Berücksichtigung des Jugendromans der

1990er Jahre

Inaugural-Dissertation

in der Philosophischen Fakultät II

(Sprach- und Literaturwissenschaften)

der Friedrich-Alexander-Universität

Erlangen-Nürnberg

Andrea Beständig

aus Nürnberg

D 29

Tag der mündlichen Prüfung: 08.10.2007

Dekan: Universitätsprofessor Dr. Mechthild Habermann

Erstgutachter: Universitätsprofessor Dr. Klaus Flessel

Zweitgutachter: Universitätsprofessor Dr. Monika Motsch

Danksagung

Nach dem Abschluss eines langjährigen Projekts ist die Liste derer, die in der

Danksagung Erwähnung finden sollten, sehr lang.

Zu allererst danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Klaus Flessel, der sich

ohne Zögern dazu bereit erklärte, diese abseits der gängigen sinologischen The-

men gelegene Arbeit zu betreuen. Da ich während der gesamten Promotionszeit

beruflich tätig war, wusste ich die mir von ihm gewährten Freiheiten sehr zu schät-

zen. Ebenso danken möchte ich Frau Prof. Dr. Monika Motsch, die sich der Zweit-

korrektur annahm.

Besonders großer Dank gebührt dem Buchinformationszentrum (BIZ) Peking,

ohne dessen Hilfe diese Arbeit nicht hätte erstellt werden können. Frau Claudia

Kaiser, die ehemalige Leiterin des BIZ und heutige Leiterin der Internationalen

Abteilung der Frankfurter Buchmesse, stellte freundlicherweise nach einem persön-

lichen Treffen im Herbst 2002 den Kontakt zu Frau Dr. Jing Bartz, der derzeitigen

Leiterin des BIZ Peking, her. Frau Dr. Jing Bartz unterstützte mich kontinuierlich

über die Jahre, zunächst durch die Zusendung von Kopien und Büchern, später

durch das Angebot, dass ich im Herbst 2004 zwei Monate im BIZ arbeiten und

Informationen sammeln konnte. Während dieses Aufenthaltes organisierte sie für

mich ein Treffen mit den Autoren Cao Wenxuan und Qin Wenjun – und ich kam

sogar ins Chinesische Staatsfernsehen! Frau Dr. Jing Bartz setzte sich darüber

hinaus inhaltlich mit meiner Arbeit auseinander, gab wichtige Impulse und unter-

stützte mich moralisch bei meinem Vorhaben. Ihrer überaus hilfsbereiten Assis-

tentin Wang Xin möchte ich ebenfalls ganz herzlich danken.

Zu Beginn meiner Recherchen suchte ich Kontakt zu chinesischen Verlegern und

traf dabei glücklicherweise auf Herrn Sun Jianjiang vom Zhejiang Children’s and

Juvenile Publishing House und dessen Sekretärin Wu Shan, die mir in einem lang

anhaltenden E-Mail-Kontakt zahlreiche Links und Tipps für die weitere Recherche

gaben. Ich freue mich sehr, dass ich im September 2006 beim Weltkongress des

International Board on Books für Young People (IBBY) in Macau die Gelegenheit

hatte, Herrn Sun persönlich kennenzulernen und ihm für seine Hilfe zu danken.

Mein großer Dank gilt außerdem Johannes Lohner, der mich durch alle Höhen und

Tiefen der vergangenen Jahre begleitete, der sich in vielen fruchtbaren Gesprä-

chen intensiv mit meinem Promotionsthema auseinandersetzte und mir unermüd-

lich bei der Lösung scheinbar unlösbarer Probleme behilflich war.

Sonja Hansjürgen danke ich sehr für das Lektorieren meiner Arbeit – ich hätte sie

nicht in bessere Hände geben können.

Ich danke Alexander Nuißl dafür, dass er mir den Rücken freihielt, wo er nur konnte,

und dass er es nicht leid wurde, sämtliche Schattierungen der chinesischen Kinder-

und Jugendliteratur mit mir durchzudiskutieren.

Schließlich möchte ich mich bei meiner Familie bedanken, die mich in all den

Jahren in jeglicher Hinsicht unterstützte und förderte. Mein Vater brachte vor

knapp fünf Jahren den Stein ins Rollen und nun, da alles geschafft ist, bin ich sehr

dankbar dafür. Ohne seinen Anstoß wäre die Arbeit wohl nie entstanden und ich

wäre heute um einige wertvolle Erfahrungen ärmer.

Zuallerletzt sei all denjenigen gedankt, die trotz des immer wiederkehrenden

Themas Doktorarbeit in den letzten Jahren den Kontakt zu mir nicht scheuten, die

Durchhalteparolen skandierten und die mir durch interessierte Detailfragen aus so

mancher gedanklicher Sackgasse halfen.

Zusammenfassung

Das Thema Autorität ist in einem Staat wie der Volksrepublik China von grund-

legender Bedeutung für die Anerkennung der alleinherrschenden Partei. Mit zu-

nehmendem Einfluss aus demokratischen, kapitalistischen Ländern sieht sich die

KPCh womöglich in Zukunft mit dem Problem ihrer eigenen Machtlegitimierung

konfrontiert. Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln

es der Partei gelingen kann, auch bei den nachkommenden Generationen ein

Autoritätsverständnis auszubilden, das die alleinige Autorität der Partei und Regie-

rung akzeptiert und diese im besten Fall als unumstößliche Tatsache sieht.

Der Kinder- und Jugendliteratur wird in China seit ihrer Entstehung zu Beginn des

20. Jahrhunderts große Bedeutung als Mittel zur Umgestaltung und Modernisie-

rung des Landes beigemessen. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage,

inwiefern die chinesische Kinder- und Jugendliteratur in der Kinder- und Jugend-

literaturwissenschaft als Erziehungsmittel angesehen wird, wobei der Schwerpunkt

auf der Kinder- und Jugendliteratur seit 1978 liegt. Die theoretische Forschung

und die Produktion im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur sind in China eng

miteinander verflochten, so dass theoretische Forderungen verstärkt ihren Nieder-

schlag in den Werken finden. Das in der Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft

vorherrschende Autoritätsverständnis wird vor seinem konfuzianischen Hinter-

grund untersucht und das daraus resultierende Kindheitsbild in seiner historischen

Entwicklung herausgearbeitet. Beides sind Faktoren, die auf die Kinder- und

Jugendliteratur maßgeblichen Einfluss haben. Anhand der Gattung des Jugend-

romans, die zum einen Hauptvertreter der chinesischen Kinder- und Jugendlitera-

tur der 1990er Jahre ist und sich zum anderen mit seiner jugendlichen Zielgruppe

besonders gut für die Beeinflussung bezüglich des Autoritätsverständnisses

eignet, wird die zuvor herausgearbeitete Erziehungsfunktion von Kinder- und

Jugendliteratur konkretisiert und im Hinblick auf die Einflussnahme auf das Autori-

tätsverständnis an zwei Werken exemplarisch analysiert.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

1.1 Untersuchungsgegenstand und methodischer Ansatz 3

1.2 Aktueller Forschungsstand und Quellenlage 8

1.2.1 Westliche Quellen 8

1.2.2 Chinesische Quellen 10

2 Der wissenschaftliche Begriff der „ertong wenxue“

( ) 15

2.1 Grundlegende Definition des Begriffs „ertong wenxue“ 15

2.2 „Ertong wenxue“ im „klassischen“ und im „modernen Sinn“ 19

2.3 „Ertong wenxue“ im „engeren“ und im „weiteren Sinn“ 20

3 Grundlegendes zum chinesischen Buchmarkt 22

3.1 Zahlen und Daten 22

3.1.1 Fakten zum Buchmarkt insgesamt 22

3.1.2 Fakten zum Kinder- und Jugendbuchmarkt 24

3.2 Kinder- und Jugendbuchverlage 28

3.3 Kontrollinstanzen 31

3.4 Transformationsprozess 34

3.5 Kinder- und Jugendliteraturpreise 38

4 Das Autoritätsverständnis in der chinesischen

Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft 40

4.1 Der konfuzianische Hierarchiebegriff als zentrales

Element des chinesischen Autoritätsverständnisses 41

4.1.1 Grundlegende Elemente des konfuzianischen

Hierarchiebegriffs 41

4.1.2 Die Bedeutung des konfuzianischen Hierarchiebegriffs 44

4.1.2.1 Konfuzianische Einflüsse in den Jahren um die

4.-Mai-Bewegung 44

4.1.2.2 Konfuzianische Einflüsse unter Mao 46

4.1.2.3 Konfuzianische Einflüsse im post-maoistischen

Autoritätsverständnis 48

4.2 Das Kindheitsbild als zentrales Element der chine-

sischen Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft 51

4.2.1 Die „Entdeckung“ der Kindheit 1919 52

4.2.1.1 Modernisierungswunsch als treibende Kraft 55

4.2.1.2 Berührung mit einem fremden westlichen Kindheitsbild 58

4.2.2 Die Entwicklung des Kindheitsbildes bis 1978 61

4.2.3 Die „Wiederentdeckung“ der Kindheit nach 1978 66

5 Erziehung durch Kinder- und Jugendliteratur 72

5.1 Grundlegende Aufgaben der Kinder- und Jugendliteratur 73

5.2 Die Erziehungsfunktion der Kinder- und Jugendliteratur

in ihrer historischen Entwicklung 74

5.2.1 Die Erziehungsfunktion im Konfuzianismus 74

5.2.2 Die Erziehungsfunktion vom Ende des Kaiserreichs

bis 1978 75

5.2.3 Die Erziehungsfunktion seit 1978 78

6 Der Jugendroman – Hauptgattung der chinesischen

Kinder- und Jugendliteratur der 1990er Jahre 84

6.1 Definition und Abgrenzung 85

6.1.1 Definition 85

6.1.2 Formale Einteilung 87

6.1.3 Abgrenzung von der Kinderliteratur 89

6.1.4 Abgrenzung von der Erwachsenenliteratur 90

6.2 Die wichtigsten Phänomene im chinesischen

Jugendroman 92

6.2.1 Die „drei ästhetischen Banner“ 92

6.2.2 Cao Wenxuan und Qin Wenjun 96

6.2.3 Verschiedene Autorengenerationen 100

6.3 Der Jugendroman als Anleitung für „gesundes

Heranwachsen“ 102

6.3.1 Sozialisationsphase Pubertät 104

6.3.1.1 „Gesundes Heranwachsen“ durch „suzhi jiaoyu“ ( ) 105

6.3.1.2 Der „Nationalcharakter von morgen“ 108

6.3.2 Vorbildfunktion von literarischen Figuren 111

7 Exemplarische Figurenanalyse von Qin Wenjuns

„Nansheng Jia Li“ ( ) und „Nüsheng Jia

Mei“ ( ) 119

7.1 Auswahlkriterien 119

7.1.1 Autorin 119

7.1.2 Werk 122

7.2 Kurze Einführung 124

7.3 Die Protagonisten als Identifikationsfiguren und Vorbilder 125

7.3.1 Charakterisierung der jugendlichen Protagonisten 126

7.3.1.1 Jia Li 126

7.3.1.2 Jia Mei 128

7.3.2 Vorbildhafte Verhaltenselmente der jugendlichen

Protagonisten 129

7.3.2.1 Konkurrenzfähigkeit und Loyalität 129

7.3.2.2 Individualität und Gemeinschaft 132

7.3.2.3 Innovationsgeist und Regeltreue 133

7.3.2.4 Moral und Tugend 134

7.4 Die Darstellung von Autoritätsverhältnissen 135

7.4.1 Beziehung zwischen Eltern und Kindern 136

7.4.2 Beziehung zwischen Lehrern und Schülern 141

7.5 Ergebnisse 145

8 Die chinesische Kinder- und Jugendliteratur als

Anleitung für Chinas „kleine Kaiser“? 148

9 Anhang 154

9.1 Glossar der wichtigsten chinesischen Ausdrücke 154

9.2 Literaturverzeichnis 156

9.2.1 Literatur in westlichen Sprachen 156

9.2.2 Literatur in chinesischer Sprache 171

1

„Die Kinder- und Jugendliteraturträgt auf ihren Schultern die heiligeMission, die zukünftige Generationunserer Nation zu geistiger Qualitätheranzuziehen.“1

1 Einleitung

Die Volksrepublik China hat trotz umfangreicher Veränderungen und Liberalisie-

rungen in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren nach wie vor den Grundcharakter

eines autoritären Staates. Das Machtmonopol und die damit einhergehende Auto-

rität der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) sind als Basis der chinesischen

Regierungs- und Gesellschaftsordnung in der Verfassung der Volksrepublik in den

„Vier Grundprinzipien“2 (Präambel Abs. 7) verankert. Die Anerkennung der KPCh

als oberste Autorität ist grundlegend für ihre Legitimation und ihren Machterhalt. In

einem solchen Autoritätsverhältnis zwischen Regierenden und Regierten müssen

propagierte Inhalte nicht mehr überzeugend sein, da die Tatsache, dass sie von

der obersten Autorität ausgesprochen werden, als Argument genügt, damit diese

als wahr und verbindlich akzeptiert werden. Es ist demnach nicht primär entschei-

dend, was gesagt wird, sondern von wem. Grundlegend für das Aufrechterhalten

eines solchen Autoritätsverhältnisses ist, dass den heranwachsenden Generatio-

nen von klein auf ein Autoritätsverständnis vermittelt wird, in dem unter anderem

Autoritätshörigkeit als zentrale Tugend enthalten ist.

Das früheste Verständnis von Autorität erlernen Kinder unbewusst in der primären

Sozialisationsinstanz Familie durch ihr Verhältnis zu Vater und Mutter sowie ge-

gebenenfalls zu Geschwistern. Für die vorliegende Arbeit interessanter ist aber die

1 Ertong wenxue jianfu zhe peiyang women minzu weilai yidai jingshen suzhi de shensheng shi-ming. Wang Quangen 2004: S. 3

Der Einfachheit halber werden in der vorliegenden Arbeit bei chinesischen Schriftzeichen durch-gängig Kurzzeichen verwendet. Im Deutschen findet durchgängig die neue Rechtschreibung An-wendung, auch bei Zitaten, die vor Einführung der Rechtschreibreform verfasst wurden.2 Festhalten an (1) der Führung der KPCh, (2) am Marxismus-Leninismus, den Mao-Zedong-Ideenund der Deng-Xiaoping-Theorie, (3) an der demokratischen Diktatur des Volkes und (4) am sozia-listischen Weg.

2

spätere bewusste Sozialisationsphase, die mit der Pubertät beginnt. Bei dieser

Auseinandersetzung mit der Gesellschaft spielen neben der Sozialisationsinstanz

Familie vor allem auch die Schule und das kulturelle Umfeld eine entscheidende

Rolle.

In einem sozialistischen Staat wie der Volksrepublik China zählt die Kulturpolitik

zum Kernbestand der Parteipolitik.3 Erziehung wird nicht nur als Aufgabe der Fa-

milie, sondern in erster Linie auch als Aufgabe des Staates erachtet: Die Politik

beschränkt „den Kontakt zwischen Herrschern und Beherrschten nicht auf die

Administration, sondern weist den Regierenden darüber hinaus die Aufgabe zu,

die Regierten zu erziehen und zu formen“.4 Neben der Erziehung in staatlichen

Kindergärten und Schulen herrscht in China seit jeher die Auffassung von der Er-

ziehbarkeit des Menschen durch Literatur, wodurch dem Lesen großer Einfluss für

das Lernen und die Charakterbildung eines Menschen zugesprochen wird. Bis

heute wird gerade der chinesischen Kinder- und Jugendliteratur (KJL), deren Ziel-

gruppe sich noch im Prozess der Charakterbildung und Orientierung befindet,

besonders große pädagogisch-erzieherische Bedeutung beigemessen. Da man

davon ausgeht, dass jedes Kinder- und Jugendbuch – ob es nun von der Realität

abweicht oder genau diese abbildet – seine Leser auf eine wie auch immer geartete

Weise berührt und dadurch Einfluss auf deren soziales und politisches Verständ-

nis nimmt, ist es aus chinesischer Sicht naheliegend und folgerichtig, Erziehung

auch über diese Sozialisationsinstanz vorzunehmen: Die KJL soll als gezielter

Vermittler für bestimmte Inhalte dienen und die kindlichen und jugendlichen Leser

in die von Partei und Regierung erwünschte Richtung hin beeinflussen. Damit die-

se Inhalte in den Werken der KJL platziert werden können, bedarf es einer insti-

tutionellen Struktur, die eng mit Partei und Regierung verwoben ist – eine auf dem

chinesischen Kinder- und Jugendbuchmarkt vorhandene Gegebenheit.

3 Hanke 1989: S. 2334 Sun Longji 1994: S. 272

3

1.1 Untersuchungsgegenstand und methodischer Ansatz

Bei der deutschen Begriffsdefinition von Autorität wird in der Regel unterschieden

nach Autorität im Staatsrecht, in der Pädagogik und in der Soziologie.5 Für die

vorliegende Arbeit sind die beiden letzteren Disziplinen relevant, die beim Autori-

tätsbegriff definitorisch große Ähnlichkeit aufweisen. Büschges bietet für Autorität

im soziologischen Sinne folgende Definition an: Autorität ist

„das Objekten, Symbolen, Personen, Personengesamtheiten, Institutionenoder metaphysischen Wesenheiten nebst deren Repräsentanten oder Agen-ten als absolutes (meist psychologisch) oder rationales (meist soziologisch)Merkmal zugeschriebene Vermögen, Ziel, Inhalt und Form des Denkens oderVerhaltens von Personen oder Personengesamtheiten zu bestimmen, wennund insofern es in gewisser Weise institutionalisiert ist“.6

Nach einer in der Pädagogik üblichen Definition ist

„Autorität [...] die anerkannte Fähigkeit einer Person, einer Gesellschaft odereiner Einrichtung, auf andere einzuwirken, um sie einem bestimmten Ziel nä-herzubringen. Autorität kann sich dabei auf verschiedene Weise begründen:durch gegebenen Sachverstand [...], durch einen erreichten Status [...], durchdas wahrgenommene Amt [...]. Pädagogische Autorität kann sich nicht nurauf Amt und Status berufen, ihre Anerkennung muss sich vielmehr auf diefachliche und persönliche Kompetenz des Lehrers bzw. Erziehers stützen.“7

Der Schwerpunkt liegt beim Begriff der Autorität im pädagogischen Sinne somit

auf den Eltern und Lehrern als einwirkende Subjekte.

Bezogen auf die chinesische KJL kommen die genannten Gruppen beider Defini-

tionen zum Tragen. Bei dem KJL-Betrieb mit KJL-Wissenschaftlern, Autoren, Ver-

legern und dem sie verbindenden institutionellen Rahmen handelt es sich um eine

in der soziologischen Definition genannte institutionalisierte Personengesamtheit,

die ihrem Selbstverständnis nach durch das ausgewählte Bereitstellen von Lese-

stoff Einfluss auf die Leser nimmt. Eltern und Lehrer stellen bezüglich der KJL auf

zweierlei Art und Weise eine Autoriät dar: Außerliterarisch fungieren sie als Ver-

mittler zwischen KJL und Leser, der in den meisten Fällen die Lektüre für den

Leser auswählt, literaturimmanent dienen sie als Rollenmodell für literarische Figu-

ren, die ein bestimmtes Autoritätsverständnis verkörpern. Nach Ansicht der chine-

5 Da die Fragestellung der Arbeit vom deutschen Autoritätsbegriff ausgeht, wird nicht näher auf dieDefinition der chinesischen Übersetzug „quanwei“ ( ) eingegangen, zumal dieser Begriff sei-nem chinesischen Sprachgebrauch nach nicht eins zu eins mit dem deutschen Wort Autoritätgleichzusetzen ist. Vgl. dazu o.V. 1999a: S. 17356 Büschges 2002: S. 417 Böhm 1994: S. 60

4

sischen KJL-Wissenschaft hat die KJL eine Vorbild- und Erziehungsfunktion als

„guter Lehrer“8, was ihr auf theoretischer Ebene zusätzlich Autorität im pädagogi-

schen Sinne verleiht. 9

Ein konstitutiver Bestandteil von Autorität ist die Anerkennung der Hierarchie, die

dieser Autorität zugrunde liegt, durch die Untergebenen: „Autorität [...] setzt [...]

grundsätzlich die freie Zustimmung dessen voraus, über den Autorität ausgeübt

wird.“10 Insgesamt ist in der chinesischen Gesellschaft eine wesentlich größere

Bereitschaft zu Gehorsam und zur Akzeptanz von Hierarchien festzustellen als in

westlich-demokratischen Gesellschaften, was auf den chinesischen kulturhistori-

schen Hintergrund und soziopolitische Gegebenheiten in China zurückzuführen

ist, in denen Autorität nicht primär als Einschränkung und Entmündigung empfun-

den wird, sondern vielmehr als Erleichterung und Entlastung: Stabilität und Ord-

nung, welche die Akzeptanz von Hierarchie und Autorität voraussetzen, werden

dem im Konfuzianismus so gefürchteten Chaos vorgezogen, so dass der Begriff

der Autorität in China wesentlich positiver konnotiert ist, als dies in unserer demo-

kratisch-pluralistischen Gesellschaft häufig der Fall ist.11 Mit fortschreitender Öffnung

des Landes seit den 1980er Jahren sieht sich aber die KPCh mit zunehmendem

westlichen Einfluss konfrontiert, der das in China vorherrschende staatsbezogene

Autoritätsverständnis aufzuweichen und zu untergraben droht.

Aufgrund der der KJL zugeschriebenen Bedeutung und der strukturellen Gege-

benheiten im chinesischen KJL-Betrieb ist an der für Kinder und Jugendliche be-

stimmten Lektüre ablesbar, welche Ziele sich die Regierung für die Zukunft steckt

und welche politischen Grundsätze Gültigkeit haben. Sie spiegelt sowohl tatsäch-

liche Gegebenheiten im Land12 wider als auch erwünschte Entwicklungen. Bei

ihrer Funktion als Autorität sind zwei Aspekte zu unterscheiden, die zentraler Ge-

genstand der vorliegenden Arbeit sind: Zum einen wird aufgezeigt, inwiefern der

8 Chen Zidian 2003: S. 689 Die vorliegende Arbeit kann nicht klären, inwiefern die chinesische KJL tatsächlich von ihrenLesern als Autorität anerkannt wird, da dafür empirisch untersucht werden müsste, inwiefern dieLektüre von KJL das Verhalten der Leser tatsächlich beeinflusst.10 Böhm 1994: S. 6011 Vgl. o.V. 1999a: S. 173512 Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf das chinesische Festland als Untersuchungsgebiet.Hongkong und Taiwan werden nicht berücksichtigt. Bei Ausnahmen wird an entsprechender Stelledarauf hingewiesen.

5

chinesischen KJL auf literaturtheoretischer Ebene eine Erziehungsfunktion zuge-

wiesen wird, mit der der Wunsch verknüpft ist, dass die Erziehungsinhalte vom

Leser angenommen und beherzigt werden, die KJL also als normgebende Autori-

tät fungieren soll. Die Akzeptanz dieser Autorität setzt ein Autoritätsverständnis

voraus, bei dem Autorität als etwas Positives und Sinnvolles angesehen wird. Da-

her ist der zweite Aspekt der Arbeit die Frage, wie Autorität und Autoritätsverhält-

nisse in der KJL dargestellt werden, wofür die Vorbildfunktion von literarischen

Figuren und die Darstellung von Figurenkonstellationen anhand einer exemplari-

schen Analyse untersucht werden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem chi-

nesischen Jugendroman der 1990er Jahre, da diese damals neue Gattung als

Hauptvertreter der chinesischen KJL der 1990er Jahre gilt und wegen seiner Ziel-

gruppe für erzieherische Absichten von besonders großem Interesse ist.13

Der vorliegenden Arbeit liegt ein literatursoziologischer Ansatz zugrunde, der, wie

bei der Definition des Autoritätsbegriffs deutlich wurde, auch Berührungspunkte

mit der Pädagogik hat. Im chinesischen Sozialistischen Realismus14, der auf Maos

bis heute als gültig erachteten Ausspruch von 1942 basiert, dass jegliche Kunst

die wirtschaftliche Grundlage und das gesellschaftliche Leben widerspiegeln

müsse,15 ist die Literatursoziologie die literaturwissenschaftliche Hauptrichtung in

China: Die chinesische Literaturwissenschaft vertritt die Ansicht, dass Literatur

ihre wichtigen Charakteristika aus dem soziokulturellen Zusammenhang, in dem

sie entsteht und rezipiert wird, erhält. Die enge Verbindung zwischen Literatur und

Gesellschaft in China zeigt sich im wissenschaftlichen Bereich in der Zuordnung

der Literaturwissenschaften zu den Sozialwissenschaften. Der literatursoziologi-

sche Ansatz bietet sich aber auch aus deutscher literaturwissenschaftlicher Sicht

an, da die Arbeit einen eng mit der Gesellschaft verbundenen Untersuchungs-

gegenstand hat, nämlich die Fragestellung, welches Autoritätsverständnis angesichts

13 Da es sich um keine komparatistische Arbeit handelt, können nur an ausgewählten Stellen fürdas Verständnis erforderliche Bezüge zur deutschen KJL hergestellt werden. Ein Mindestmaß anKomparatistik ist somit gegeben, eine durchgängige komparatistische Darstellung ist im Rahmender vorliegenden Arbeit jedoch weder möglich noch intendiert.14 Der Sozialistische Realismus wurde Anfang der 1940er Jahre von China aus der Sowjetunionübernommen und war bis Maos Tod die einzige akzeptierte ästhetische Doktrin in der Volksrepub-lik, die zunächst nur für die Literatur, dann für alle Bereiche der Kunst Gültigkeit hatte.15 Mao stellte seine Kulturpolitik 1942 in den „Yan’an-Reden über Literatur und Kunst“ (Zai Yan’anzuotanhui shang de jianghua ) vor.

6

der in China bereits stattgefundenen, gerade stattfindenden und noch bevorste-

henden Veränderungen im gesellschaftlichen Bereich über die KJL-Wissenschaft

propagiert wird und wie dieses in den Werken der KJL ihren Niederschlag finden soll.

Bei dem Begriff der Kinder- und Jugendliteratur stößt man bei der definitorischen

Abgrenzung in der chinesischen Literaturwissenschaft auf große Schwierigkeiten,

weil sich in diesem Bereich noch keine verbindliche Terminologie etabliert hat und

die Begriffe von Wissenschaftler zu Wissenschaftler unterschiedlich verwendet

werden. Die Verwendung der chinesischen Begriffe – allen voran des Begriffs der

„ertong wenxue“ ( ) – sowie deren Übertragung in die deutsche kinder-

und jugendliteraturwissenschaftliche Terminologie müssen somit als Grundlage

am Anfang im zweiten Kapitel geklärt werden.

Da sich der chinesische Buchmarkt mit seinen noch stark von staatlichen Vorga-

ben und Strukturen geprägten Funktionsweisen fundamental von dem deutschen

unterscheidet, werden im dritten Kapitel die Rahmenbedingungen des chinesi-

schen Buchmarktes anhand des Kinder- und Jugendbuchsegments dargestellt.

Nur mit dem Hintergrundwissen der institutionell-organisatorischen Voraussetzun-

gen und der Kenntnis der Einbettung der chinesischen KJL in politische und öko-

nomische Verhältnisse können Vorgänge und Entwicklungen in diesem Bereich

analysiert und eingeordnet werden.

Das Autoritätsverständnis in der chinesischen KJL-Wissenschaft ist Gegenstand

des vierten Kapitels. Für die Untersuchung werden zwei zentrale Komponenten

herausgegriffen: der konfuzianische Hierarchiebegriff und das Kindheitsbild. Der

konfuzianische Hierarchiebegriff wird als grundlegender und maßgeblicher Ein-

flussfaktor für das chinesische Autoritätsverständnis mit seinen beiden zentralen

Konzepten „xiao“ ( ) und „zhong“ ( ) vorgestellt und seine je nach politischem

Umfeld unterschiedlich stark ausgeprägte Bedeutung herausgearbeitet, wobei der

Schwerpunkt auf dem Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern liegt. Im

zweiten Schritt wird anhand von Debatten der chinesischen KJL-Wissenschaft das

dort vorherrschende Kindheitsbild, das aus dem Autoritätsverständnis resultiert, in

seiner historischen Entwicklung bis heute dargestellt.

7

Dem in der chinesischen KJL-Wissenschaft vorherrschenden Autoritätsverständ-

nis entsprechend wurde und wird der KJL in China eine ausgesprochen große

Bedeutung im Hinblick auf ihre pädagogisch-erzieherische und sozialisierende

Funktion beigemessen. In welcher Form und mit welchen Zielsetzungen diese

Ausdruck finden soll, wird im fünften Kapitel an dem von der KJL-Wissenschaft

aufgestellten Anforderungskatalog an die KJL abgelesen.

Als besonders einflussreich für die Charakterformung seiner Leser gilt die in China

noch junge Gattung des Jugendromans, die im darauf folgenden sechsten Kapitel

näher beleuchtet wird. Zum einen wird Grundlegendes zur Gattung gesagt – ihre

Entstehung und Entwicklung, verschiedene Romantypen, typische Merkmale –,

zum anderen wird auf die ihm zugeschriebene zentrale Funktion als Sozialisa-

tionsliteratur und die Bedeutung seiner speziellen Leserzielgruppe genauer einge-

gangen.

Da die Figurenzeichnung als eines der wichtigsten Elemente des Jugendromans

im Bezug auf die Charakterbildung gilt, wird im siebten Kapitel eine exemplarische

Figurenanalyse zweier repräsentativer Jugendromane aus den 1990er Jahren

durchgeführt, bei der zunächst die wichtigsten literarischen Figuren charakterisiert

werden, um im Anschluss die Darstellung der Autoritätsverhältnisse zwischen

kindlichen und erwachsenen Figuren herauszuarbeiten.

Im Schlusskapitel wird überprüft, inwiefern die chinesische KJL als tatsächliche

Autorität gelten kann. Zugleich soll eingeschätzt werden, inwiefern die Ergebnisse

Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung der chinesischen KJL und des chi-

nesischen Buchmarktes erlauben.

8

1.2 Aktueller Forschungsstand und Quellenlage

1.2.1 Westliche Quellen

Der Einstieg in das Thema gestaltete sich schwierig, weil die chinesische KJL in

der Forschung außerhalb der Volksrepublik weder in der Literaturwissenschaft

noch in der Sinologie eine große Rolle spielt. Entsprechend wenige Untersuchun-

gen gibt es dazu aus dem europäischen und dem nordamerikanischen Raum.

Die einzige umfangreiche westliche Quelle für einen Überblick über die Entwick-

lung der chinesischen KJL war die Monographie von Mary Ann Farquhar mit dem

Titel „Children’s Literature in China“.16 Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die theore-

tischen Anfänge der „ertong wenxue“ bei Lu Xun und die Entwicklung der revolu-

tionären KJL nach 1949, als sie sich unter Mao Zedong zu einem bedeutenden

Instrument der Erziehung entwickelte. Farquhar verwendete für ihre Studie, abge-

sehen von den Jahren 1938-1947, zeitgenössische Quellen. Der Untersuchungs-

zeitraum endet jedoch mit Maos Tod, so dass die Periode, die in der vorliegenden

Arbeit schwerpunktmäßig behandelt wird und in der grundlegende Veränderun-

gen, sowohl in der KJL-Wissenschaft als auch auf dem Kinder- und Jugend-

buchmarkt, stattfanden, nicht abgedeckt ist.

Die Dissertation von Heike Frick mit dem Titel „,Rettet die Kinder!‘: Kinderliteratur

und kulturelle Erneuerung in China, 1902-1946“17 beschäftigt sich mit der Ent-

wicklung des Kindheitsbildes während der 4.-Mai-Bewegung. Die damaligen Dis-

kussionen bilden bis zur Gegenwart die Grundlage und Referenz für die literatur-

wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Kindheitsbild, was diese Studie

zur wertvollen Quelle machte.

Für das Verständnis der Vorgänge auf dem chinesischen Buchmarkt in den Jah-

ren 1978 bis 1995 bot Christina Neders „Lesen in der Volksrepublik China“18

umfangreiche und detaillierte Informationen. Der Untersuchungszeitraum endet

jedoch auch hier bereits 1995, so dass aktuelle Entwicklungen nicht enthalten sind.

16 Farquhar 199917 Frick 200218 Neder 1999

9

Als unersetzliche Quelle für aktuelle Informationen zum chinesischen Buchmarkt

und dem Segment Kinder- und Jugendbuch erwies sich das Buchinformations-

zentrum (BIZ) Peking der Frankfurter Buchmesse, das aktuelle Vorgänge auf dem

chinesischen Buchmarkt in Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern vor Ort ver-

folgt und analysiert. Sowohl eine im Internet veröffentlichte Marktstudie19 als auch

regelmäßige Nachrichten über den chinesischen Buchmarkt auf den Internetseiten

der Frankfurter Buchmesse enthielten aktuelle Daten und Informationen.20 Der

langjährige persönliche Kontakt zur Leiterin des BIZ ermöglichte aufgrund ihrer

Erfahrung und ihrem direkten Kontakt zu chinesischen Verlegern und allen wichti-

gen Institutionen des chinesischen Buchmarktes Einblicke in die tatsächlichen

Gegebenheiten dieses Bereichs, wie es keine Studie hätte bieten können. Aus

dem persönlichen Kontakt resultierte eine zweimonatige Tätigkeit der Verfasserin

im BIZ in Peking, die darin bestand, Inhalte für den Internet-Auftritt des BIZ zur

Verlagslandschaft, zum Buchmarkt und zu Buchmessen in China zusammen-

zustellen.21 Dafür notwendige Recherchen vertieften das Verständnis für die kom-

plizierten Vorgänge auf dem sich im Wandel befindenden chinesischen Buch-

markt.

Zuletzt ist noch die Arbeit Jean-Pierre Diénys zu nennen, in der etwa 180 zufällig

ausgewählte, zwischen 1964 und 1966 erhältliche chinesische Bücher für Kinder

zwischen 4 und 10 Jahren ausgewertet werden. Diény ist sich der Zufälligkeit sei-

ner Auswahl durchaus bewusst. Trotz dieses Mangels gewährt seine Arbeit einen

umfangreichen Einblick in die KJL während der Kulturrevolution.22

Die wenigen weiteren westlichen Studien, die es zur chinesischen KJL gibt, be-

handeln nur Einzelaspekte und sind meist älteren Datums. Westliche aktuelle Un-

tersuchungen, die sich mit den Entwicklungen seit 1978 befassen, gibt es nur zum

chinesischen Buchmarkt. Zur Entwicklung der chinesischen KJL seit 1978 muss

man auf chinesische Studien zurückgreifen.

19 Frankfurter Buchmesse 200120 Bei Zahlen zum chinesischen Buchmarkt beruft sich das BIZ auf offizielle Daten.21 Die Artikel sind einzusehen unter www.biz-peking.org, „Buchmarkt China“.22 Diény 1973

10

1.2.2 Chinesische Quellen

In China wird der KJL seit ihren Anfängen große Bedeutung für die Entwicklung

der chinesischen Gesellschaft beigemessen, da sie als entscheidender Aspekt für

eine langfristige Modernisierung Chinas gilt. Entsprechend aktiv ist die chinesische

KJL-Wissenschaft, was sich in einer Vielzahl von Veröffentlichungen zeigt. Nach

dem wissenschaftlichen und weitgehend auch publizistischen Stillstand während

der Kulturrevolution begann die KJL-Wissenschaft ab den 1980er Jahren, sich neu

zu formieren, zuvor denunzierte Wissenschaftler zu rehabilitieren und die Grund-

lagen der weiteren Forschung zu legen. Als man sich der mangelnden Theorie

bewusst wurde, kam im Juni 1984 der Ruf nach dem „Aufbau eines theoretischen

Systems der sozialistischen KJL mit chinesischen Eigenheiten“23 auf und wurde zu

einem der Hauptthemen der KJL-Wissenschaft in den darauf folgenden Jahren.

Ein eigenständiger Wissenschaftszweig wurde die KJL-Wissenschaft in China je-

doch erst ab den 1990er Jahren. Hauptauslöser dafür war zum einen der damals

stattfindende Generationenwechsel innerhalb der Wissenschaftler, die sich mit

KJL beschäftigen. Zum anderen nahm der westliche Einfluss bei den Geisteswis-

senschaften insgesamt zu, v.a. in den Bereichen der Entwicklungspsychologie,

der Pädagogik und der Literaturwissenschaft, wodurch neue Forschungsansätze

und Methoden nach China kamen, die aus Disziplinen wie der Soziologie und der

Pädagogik in die Literaturwissenschaft übernommen wurden. Die Herangehens-

weise an den Forschungsgegenstand erfuhr dadurch eine Spezialisierung und

Systematisierung. Gewisse Defizite sind jedoch auch heute noch in der recht

jungen Disziplin zu verzeichnen, was sich zum Beispiel in einer unbefriedigenden

Situation bei der wissenschaftlichen Terminologie zeigt.24

Für die vorliegende Arbeit von Interesse waren vor allem aktuelle Publikationen

der chinesischen KJL-Wissenschaft, aus denen die heutige Beurteilung der Ver-

gangenheit sowie aktuell gültige Ansätze ersichtlich werden. Ein Vergleich dieser

neueren Studien mit den Ergebnissen Farquhars, die von zeitgenössischen Quel-

23 jianshe you Zhongguo tese de shehuizhuyi ertongwenxue lilun tixi

Chen Zijun 1989: S. 224 Siehe dazu Kapitel 2

11

len zwischen 1919 und 1976 stammen, machte Veränderungen in der retrospek-

tiven Beurteilung durch die chinesischen KJL-Wissenschaft erkennbar.

Bei näherer Betrachtung des chinesischen Personals in der KJL-Wissenschaft

machte sich die Konzentration auf einige tonangebende Wissenschaftler bemerk-

bar, die in der Regel Mitglieder des Chinesischen Schriftstellerverbandes25 sind.

Die chinesischen Veröffentlichungen zur KJL sind zwar sehr umfangreich, bei vie-

len Wissenschaftlern herrscht jedoch weitgehende Übereinstimmung, so dass sich

ein sehr homogenes Bild ergibt.

Jahrgänge der Zeitschrift „Ertong wenxue yanjiu“26, der einzigen rein wissen-

schaftlichen chinesischen Zeitschrift zur KJL, stellten bei den verwendeten Aufsät-

zen zur chinesischen KJL die Hauptquelle dar. Da sie unter der Schirmherrschaft

der Kommunistischen Jugendliga27 und des chinesischen Schriftstellerverbandes

erscheint, ist davon auszugehen, dass dort erschienene Artikel der offiziellen Mei-

nung entsprechen. So heißt es auch in einer Selbstdarstellung der Zeitschrift, es

sei allgemein bekannt, dass dort erschienene Werke das Beste der chinesischen

KJL seien. Auf diese Art und Weise dienten dort erschienene Aufsätze als An-

haltspunkt für die Wahl der analysierten Jugendromane, die auf Qin Wenjuns

„Nansheng Jia Li“ und „Nüsheng Jia Mei“28 fiel.

Die chinesischsprachigen Monographien und Aufsatzsammlungen, die in der vor-

liegenden Arbeit berücksichtigt wurden, befinden sich zum Großteil in der Chinesi-

schen Nationalbibliothek in Beijing. Da es sich entweder um im staatlichen Auftrag

25 Zhongguo zuojia xiehui 26 Researches in Children’s LiteratureDiese Zeitschrift wird seit dem Jahr 2000 zusammen mit der Zeitschrift „Ertong Wenxue Xuankan“

(Selections of Children’s Literature) unter dem Titel „Zhongguo Ertong Wenxue“ (The Chinese Children’s Literature) fortgeführt.

27 In der Darstellung des chinesischen Erziehungsministeriums wird die Kommunistische Jugendli-ga folgendermaßen vorgestellt: „The Chinese Communist Youth League [...] under the leadershipof the Chinese Communist Party is [...] a core around which young students in general are unitedand educated, it serves as a link between the Party and the students. It has its grassroots units inall secondary schools, whose task is to help the school authorities do ideological and politicalwork.“ (Department of Education of the State Education Commission of the People’s Republic ofChina 1989: S. 39f.)28 „Der Schuljunge Jia Li“, „Das Schulmädchen Jia Mei“

12

unternommene Studien, um Lehrbücher oder um von namhaften Wissenschaftlern

mit entsprechender institutioneller Verflechtung verfasste Werke handelt, ist auch

hier anzunehmen, dass die Darstellungen mit der offiziellen Sichtweise und Lite-

raturgeschichtsschreibung übereinstimmen. Entsprechend schwierig ist zu beur-

teilen, inwiefern die offizielle Sichtweise und Darstellung mit der tatsächlichen Situ-

ation übereinstimmen. Da der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit

jedoch primär die in der chinesischen KJL-Wissenschaft geführten Debatten sind,

ist die offizielle Sichtweise am interessantesten, spiegeln sich doch gerade darin

die großen Zielsetzungen und Visionen für die nationale Zukunft wider.

Ein sehr wichtiges Werk für die Untersuchung der chinesischen KJL seit 1978 war

die von Wang Quangen 2004 kompilierte Aufsatzsammlung mit dem Titel „Studies

on children’s literature of China in the new period“ 29, die als Studienprojekt zum

9. Fünfjahresplan vom Erziehungsministerium in Auftrag gegeben wurde und in

der Volksrepublik als Grundlagenwerk zur chinesischen KJL seit 1978 gilt. Die

gesammelten Aufsätze, wovon eine Vielzahl von Wang Quangen selbst verfasst

wurde, behandeln die unterschiedlichsten Aspekte der chinesischen KJL seit 1978

und bieten einen Überblick über Entwicklungstrends und Besonderheiten. Wang

Quangen ist Professor am Institut für Chinesische Literatur der Beijing Shifan

Daxue und Mitglied des „Komitees für KJL des chinesischen Schriftstellerverban-

des“30. Er gilt als bedeutendster chinesischer KJL-Wissenschaftler nach 1978 und

war in den 1980er Jahren führend in der Untersuchung der Beziehung zwischen

den Ausführungen Zhou Zuorens zur KJL Anfang des 20. Jahrhunderts und der

KJL seit 1978.31

Einen sehr guten Überblick über die Entwicklung und Genres der KJL gibt außer-

dem das Lehrbuch „Kinder- und Jugendliteratur“32 von Huang Yunsheng, dem

Inhabers des Lehrstuhls für KJL der Zhejiang Shifan Daxue, das sich an Hoch-

schulstudenten der Fachrichtung KJL richtet.

29 Wang Quangen 200430 Zhongguo zuojia xiehui ertong wenxue weiyuanhui 31 Zhu Ziqiang 2000a: S. 37032 Huang Yunsheng 2004

13

Einen Vergleich der Positionen einzelner Wissenschaftler bietet der niederge-

schriebene Verlauf einer Diskussion unter fünf der angesehensten chinesischen

KJL-Wissenschaftler „Gespräch von fünf Leuten über die chinesische Kinder- und

Jugendliteratur“33: Mei Zihan, Fang Weiping, Zhu Ziqiang, Peng Yi und Cao Wen-

xuan – außer Peng Yi allesamt Professoren für Chinesische Literatur oder KJL34 –

diskutieren über zentrale Themen der KJL-Wissenschaft.

Die auf Englisch erschienene Studie „Publishing in China. An Essential Guide” von

Xin Guangwei35, die sich nach eigener Aussage als erste Veröffentlichung zu die-

sem Thema explizit an westliche Leser richtet, enthält umfangreiche Informationen

zum Publikationswesen in China. Der Autor arbeitet seit 1991 bei der „Presse- und

Publikationsbehörde der VR China“ (GAPP) im Department of Book Publication

und schildert somit die offizielle chinesische Sichtweise. Zusatzinformationen aus

dem BIZ Peking ermöglichten eine kritische Auswertung der Informationen, die

einen guten Überblick über Institutionen und Zuständigkeiten auf dem chinesi-

schen Buchmarkt boten.

Jing Bartz und Wang Xin vom BIZ Peking organisierten ein Treffen mit dem Ju-

gendbuchautor und Professor Cao Wenxuan. Er, der Hauptvertreter und -verfechter

des „chengzhang xiaoshuo“36, sprach unter anderem über seine Affinität zum

Adoleszenzroman und seine Vorliebe für das „Klassische“ in der KJL, mit der er

sich von der gegenwärtigen Hauptströmung des aktuellen Zeitbezugs abgrenzt.37

Als Sekundärliteratur zu den beiden analysierten Werken von Qin Wenjun dienten

in erster Linie Zeitschriftenaufsätze der letzten zehn bis fünfzehn Jahre. Dieser

relativ lange Zeitraum, über den sich die Beschäftigung mit den Werken bereits

33 Zhongguo ertong wenxue wu ren tan Mei Zihan u.a. 200134 Mei Zihan ist Professor am Institut für Chinesische Literatur der Shanghai Shifan Daxue; FangWeiping ist Professor am Lehrstuhl für KJL der Zhejiang Shifan Daxue; Zhu Ziqiang ist Professoram Institut für Chinesische Literatur der Dongbei Shifan Daxue und Cao Wenxuan ist Professor amInstitut für Chinesische Literatur der Beijing Daxue.35 Xin Guangwei 200536 Adoleszenroman37 Siehe Kapitel 6.2.2

14

erstreckt, zeigt sowohl zeitgenössische als auch retrospektive Beurteilungen. Eine

weitere Quelle war Qin Wenjun selbst, die so freundlich war, per E-Mail Fragen zu

ihren Werken zu beantworten und bei einem ersten persönlichen Treffen im Okto-

ber 2004 Unterlagen zu einer Konferenz über sie und ihre Werke aus dem Jahr

1996 zur Verfügung zu stellen. Bei einem weiteren Treffen auf dem Weltkongress

des International Board on Books for Young People im September 2006 in Macau

bot sich die Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch über ihre Aktivitäten

der letzten Jahre.

15

2 Der wissenschaftliche Begriff der „ertong wenxue“ ( )

Die grundsätzliche Frage bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kinder-

und Jugendliteratur lautet: Was ist Kinder- und Jugendliteratur? Bezugnehmend

auf die Ausführungen Ewers’ wird hier auf den Versuch verzichtet, eine „allumfas-

sende, in jeder Hinsicht und zu allen Zeiten gültige Definition dieses kulturellen

Phänomens“ zu geben, da dort auf die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens

aufgrund der „tiefgreifende[n] Inhomogenität des Gegenstandes“38 hingewiesen

wird. Diese Inhomogenität ist darauf zurückzuführen, dass jede Definition von Kin-

der- und Jugendliteratur geprägt ist von der sozial-historischen Situation, in der sie

entsteht, sowie dem in einer Gesellschaft gültigen Kindheitsbild und Wertesystem.

Unternommen werden soll aber hier der Versuch, eine Definition für den chinesi-

schen Begriff der „ertong wenxue“39 zu geben. Um diesen definieren und in die

dem deutschsprachigen KJL-Wissenschaftler vertraute wissenschaftliche Termi-

nologie übertragen zu können, muss zum einen die Abgrenzung des Begriffs in

der chinesischen theoretischen Diskussion, zum anderen die Verwendung seiner

deutschen Entsprechung dargelegt werden. Dafür wird zunächst auf die Geschich-

te des Begriffs „ertong wenxue“ eingegangen, um im Anschluss daran die in der

chinesischen KJL-Wissenschaft übliche Kategorisierung in „ertong wenxue“ im

„klassischen“ und im „modernen Sinn“ sowie „ertong wenxue“ im „engeren“ und im

„weiteren Sinn“ darzustellen.

2.1 Grundlegende Definition des Begriffs „ertong wenxue“

Der Begriff „ertong wenxue“ setzt sich aus den Wörtern „Kind“ (ertong ) und

„Literatur“ (wenxue ) zusammen. Das Literarisch-Künstlerische in der KJL –

also alles, was den zweiten Wortbestandteil betrifft – wurde in China erst sehr

spät, nämlich ab den 1990er Jahren, als notwendiger Bestandteil erachtet. Darauf

wird in den folgenden Kapiteln noch näher eingegangen. Die Adressatenbezogen-

38 Ewers 2000b: S. 239 Kindertheater und Kindermusik werden in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt, da diesegenau genommen nicht zur „ertong wenxue“, sondern zu „ertong wenyi“ ( ) gehören. Die-se beiden Begriffe werden allerdings in chinesischen Publikationen bisweilen synonym verwendet.

16

heit dieser speziellen Literatur auf die Lesergruppe „ertong“ dagegen gilt seit An-

beginn als das verbindende Kriterium jeglicher KJL in China.40 Der mit „ertong“

bezeichnete Adressat veränderte sich jedoch im Laufe der Zeit. Er weitete sich

vom Kind auch auf den Jugendlichen aus und wurde in seinen besonderen Be-

dürfnissen in der historischen Entwicklung der KJL in unterschiedlichem Ausmaß

berücksichtigt.

Erst im Zuge der 4.-Mai-Bewegung41 entstanden erste begriffliche Termini für den

Korpus der KJL.42 Zhou Zuoren (1885-1967), einer der frühesten und bedeutends-

ten Theoretiker der wissenschaftlichen Beschäftigung mit chinesischer KJL,43

äußerte im Jahr 1913 als Erster öffentlich, dass China im Gegensatz zu den west-

lichen Ländern keine Literatur speziell für Kinder habe und dass es darunter leide.

In diesem Zusammenhang verwendete er erstmals den Begriff „Kinderliteratur“

(ertong (de) wenxue). Vorher hatte es diesen Terminus nicht gegeben.44 Im Jahr

1918 wurde die Kinderliteratur dann in einem Artikel über die Probleme von Frauen

und Kindern in der Zeitschrift „Neue Jugend“45 zum öffentlichen Thema.46 Unmit-

telbar danach existierten sehr viele unterschiedliche Definitionen parallel, welche

die verschiedenen Vorstellungen vom Kind der damaligen Zeit widerspiegelten.47

40 Pu Manting 1991: S. 1241 wusi xin wenhua yundong Mit dieser Bezeichnung wird meist nicht nur das Datum der namengebenden Bewegung von 1919gemeint, sondern ein Zeitraum von mehreren Jahren um dieses Ereignis herum bzw. mit diesemEreignis beginnend, der geprägt war von komplexen emotionalen, kulturellen und politischen Ent-wicklungen.42 Frick 2002: S. 4343 Müller 1975: S. 257; Farquhar 2003: S. 370Dennoch gilt in China bis heute sein Bruder Lu Xun (1881-1936) als der einzige wirklich bedeutendeLiterat und Kritiker vor 1949, der sich speziell um die Schaffung chinesischer Kinderbücher bemüh-te. Lu Xun wurde zu Maos Zeiten glorifiziert, Zhou Zuoren dagegen verachtet, da er in den späten1930er Jahren als Reaktionär und Kollaborateur der Japaner galt. Nach Maos Tod wurde er weit-gehend rehabilitiert, seine Bedeutung wird aber bis heute in China als geringer betrachtet als dieseines Bruders Lu Xun. (Farquhar 1999: S. 27)44 Wang Quangen 1999a: S. 4345 Xin Qingnian Neben der „Neuen Flut“ (Xinchao ) und dem „Jungen China“ (Shaonian Zhongguo

) gehörte die „Neue Jugend“ zu den wichtigsten Zeitschriften der damaligen Zeit, die dasSprachrohr der Intellektuellen waren. (Weggel 1989a: S. 35)46 Joó 1999: S. 6; Farquhar 1999: S. 3247 Frick 2002: S. 116

17

Zum Beispiel verstand Zhou Zuoren, wie auch andere Vertreter der Kulturbewe-

gung, 1920 in einem in Beijing gehaltenen Vortrag darunter die „Literatur der Ele-

mentarschule“.48

Die „Entdeckung der Kindheit“ als besondere Lebensphase zu Beginn des 20.

Jahrhunderts und die damit einhergehende Konzentration auf die Kindheitsjahre

erklärt, warum in China – gerade zu Beginn der eigenständigen KJL – nicht von

„shaonian ertong wenxue“ ( ) die Rede war, also von Literatur für

Kinder und Jugendliche, sondern nur von „ertong wenxue“ ( ), Kinderlite-

ratur. Der Jugendphase wurde erst sehr viel später Aufmerksamkeit geschenkt.49

Doch trotz der später ausgeweiteten Zielgruppe blieb die Bezeichnung für den

Korpus der KJL unverändert. Der Begriff der „ertong wenxue“ wurde vor diesem

Entwicklungshintergrund in die theoretische Diskussion als Sammel- und Ober-

begriff übernommen, um die gesamte Produktion von Werken für Kinder und Ju-

gendliche zu bezeichnen, und ist daher mit dem in der deutschen Literaturwissen-

schaft dafür üblichen Terminus „Kinder- und Jugendliteratur“50 wiederzugeben.51

Ob „wenxue“ dabei nur literarische Werke bezeichnet oder auch nicht-literarische

Bücher mit einschließt, wird sowohl im Chinesischen als auch im Deutschen nicht

einheitlich gehandhabt. Da aber in den allermeisten Fällen sämtliche Arten von

Kinder- und Jugendbüchern gemeint sind, werden beide Begriffe – das chinesi-

sche „ertong wenxue“ im weiteren Sinne und sein deutsches Gegenstück KJL – in

der vorliegenden Arbeit in dieser umfassenden Bedeutung synonym verwendet.

Da die chinesische theoretische Diskussion zur KJL im Vergleich zur deutschen

KJL-Wissenschaft eine nur relativ kurze Geschichte hat, bildete sich bei bestimm-

ten Phänomenen und Begrifflichkeiten, so auch bei der detaillierten Abgrenzung

48 Frick 2002: S. 94, 99, 115; Ma Li 2000: S. 96Der Bezug zwischen Literatur und Schule war wegen des konfuzianischen Kanons seit jeher inChina sehr eng.49 Lu Xun, Zhou Zuoren und Guo Moruo veröffentlichten zwar auch theoretische Überlegungen zurKJL, die sich primär auf die jugendliche Zielgruppe bezogen, diese zogen aber keine Entwicklungeiner modernen spezifischen Jugendliteratur nach sich. (Farquhar 1999: S. 26)50 Doderer 1977: S. 16151 Man liest bisweilen auch die Bezeichnung „shaonian ertong wenxue“ ( ), und auchdie Kinder- und Jugendbuchverlagen nennen sich üblicherweise „Shaonian Ertong Chubanshe“( ), in wissenschaftlichen Aufsätzen ist die Verwendung von „ertong wenxue“ abermit Abstand die häufigste.

18

des grundlegenden Begriffs der „ertong wenxue“, bis heute noch keine verbindli-

che und konsequente Fachterminologie heraus. In den letzten Jahren wurde dieses

Problem einer verwirrenden begrifflichen Vielfalt erkannt und es wurden daraufhin

Versuche einer begrifflichen Systematisierung im wissenschaftlichen Diskurs un-

ternommen.52 Ungeklärt sind Differenzen bei der Ansicht darüber, ob unter „ertong

wenxue“ speziell für Kinder und Jugendliche geschaffene Werke zu verstehen

sind,53 was der spezifischen KJL nach Ewers entspricht,54 oder aber auch jene

Werke aus der Erwachsenenliteratur mit hinzugezählt werden sollen, die ursprüng-

lich nicht als KJL intendiert waren, im Laufe der Zeit aber als den psychischen

Besonderheiten der Kinder und ihren ästhetischen Interessen entsprechend ein-

gestuft und bisweilen dafür umgeschrieben wurden.55 Letzteres entspricht der in-

tentionalen KJL nach Ewers.56

Eine Trennung zwischen Sachbüchern und literarischen Werken in der chinesi-

schen KJL ist erst seit den 1980er Jahren üblich,57 wird in der KJL-Wissenschaft

aber nicht weiter thematisiert und die beiden Bereiche werden nicht immer klar

unterschieden: Sämtliche Ausführungen chinesischer KJL-Wissenschaftler bezie-

hen sich undifferenziert auf den gesamten Korpus der chinesischen KJL. Wegen

der übergroßen Bedeutung von literarischen Gattungen in wissenschaftlichen Ab-

handlungen sind die Bezüge zu literarischen Werken jedoch besonders häufig,

weshalb auch für die vorliegende Arbeit das literarische Kinder- und Jugendbuch

als Schwerpunkt gewählt wurde.

52 Da es zahlreiche inhaltliche Übereinstimmungen mit der theoretischen Diskussion zur deutschenKJL gibt, lassen sich – häufig umständliche – chinesische Ausführungen in den allermeisten Fällenmit der im deutschen Sprachraum verwendeten Terminologie prägnant wiedergeben, so dass eslegitim erscheint, diese zu übernehmen und im Falle von Abweichungen darauf hinzuweisen.53 Hai Fei 1999: S. 7; o.V. 1999c: S. 1299; Fang Weiping 2004: S. 454 Ewers 1996: S. 847; Ewers 2000b: S. 5Eine weitere Differenzierung der spezifischen KJL nach sanktionierter und nicht-sanktionierter bzw.kommerzieller KJL (Ewers 2000b: S. 4) ist nicht nötig, da in China nach wie vor die einschlägigenKontroll- und Bewertungsinstanzen nicht umgangen oder ignoriert werden können und somit jedeserschienene Buch gewissermaßen als sanktioniert gelten kann.55 Han Jin 1999: S. 18; Pu Manting 1991: S. 4, 1256 Ewers 1996: S. 84757 In der „klassischen KJL“ (siehe S. 19f.) waren Literatur und die Vermittlung von – meist konfu-zianischem – Sachwissen eng verbunden, so dass eine Trennung nach literarischen Werken undSachbüchern kaum möglich war. Die Ausführungen der 4.-Mai-Bewegung bezogen sich, ausge-hend von aus dem Ausland nach China gekommenen Märchen und Fabeln, meist auf literarischeWerke. In den Kriegsjahren und den darauf folgenden Jahrzehnten der jungen Volksrepublik kames zu einer Vermischung von politischer Propaganda, Sachinhalten und literarischen Gattungen.

19

2.2 „Ertong wenxue“ im „klassischen“ und im „modernen Sinn“

Seit wann gibt es in China „ertong wenxue“? Eine Frage, welche die chinesische

KJL-Wissenschaft seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, also seit Beginn

ihres Bestehens, beschäftigt. Kann man behaupten, dass es bereits im kaiserli-

chen China „ertong wenxue“ gab? Die Diskussion um diese Frage ist so langwierig

und problematisch, weil der Terminus „ertong wenxue“, wie oben erläutert, erst zu

Beginn des 20. Jahrhunderts als Ausdruck des veränderten Verständnisses von

Kindheit und der Entstehung einer eigenständigen KJL aufkam.

Im vormodernen China gab es keine Unterhaltungsliteratur für Kinder. Die „mo-

derne KJL“58 ist aus der Ablehnung von allem stark konfuzianisch Geprägtem,

zuvor von Kindern Rezipiertem enstanden. Da die KJL vorher noch nicht als ei-

genständiger, spezieller und bewusst abgegrenzter Bereich existierte, steht die

Mehrzahl der chinesischen KJL-Wissenschaftler der Übertragung des Begriffs

„ertong wenxue“ auf diese Literatur des kaiserlichen Chinas ablehnend gegen-

über. Diese Ablehnung zeigt sich neben expliziten Stellungnahmen zu dieser

Frage auch darin, dass literaturgeschichtliche Abhandlungen zur chinesischen KJL

in der Regel erst mit dem Aufkommen der modernen KJL um 1919 beginnen. Dies

lässt darauf schließen, dass das zielgerichtete und dadurch kindgerechte Verfas-

sen als konstitutives Kriterium von KJL erachtet wird, so dass man nicht von klas-

sischer KJL sprechen kann.59 Sollte jedoch das tatsächlich von jungen Lesern

Rezipierte als KJL bezeichnet werden, so gibt es eine Vielzahl von Texten und

Inhalten aus dem vormodernen China, die diese Bedingung erfüllen. Die Antwort

hängt somit von der Definition des Begriffs „ertong wenxue“ ab, die innerhalb der

chinesischen KJL-Wissenschaft jedoch noch nicht befriedrigend vorgenommen

wurde.

58 In der chinesischen KJL-Wissenschaft ist folgende Einteilung üblich: 1919-1949 = „moderneKJL“ (xiandai ertong wenxue ), 1949-1976 = „gegenwärtige KJL“ (dangdai ertongwenxue ), seit Oktober 1976 = „KJL der neuen Zeit“ (xin shiqi ertong wenxue

) (Fan Fajia 1999a: S. 21). Wegen der großen Veränderungen nach Einführung dersozialistischen Marktwirtschaft wird die „KJL der neuen Zeit“ nach 1992 auch als „KJL der späterenneuen Zeit“ bezeichnet. (Wang Quangen 2006a: S. 75)59 Hai Fei 1999: S. 4

20

Da die spezifische KJL zwar weitgehend der heutigen Produktionssituation in China

entspricht, deren historischer Gesamtheit aber nicht gerecht wird, unterscheiden

beispielsweise Fang Weiping und Huang Yunsheng nach „KJL im klassischen“

und „KJL im modernen Sinn“ und betrachten erstere als Basis der zweiten.60

2.3 „Ertong wenxue“ im „engeren“ und im „weiteren Sinn“

Erst in den 1980er Jahren wurde die Alterseinteilung innerhalb der KJL zum zen-

tralen Thema der theoretischen Diskussion. Es hatte zwar schon um die 4.-Mai-

Bewegung und während der 1960er Jahre dahingehende Gedanken gegeben,

wirklich aufgenommen und weitergeführt wurden sie aber erst nach 1978, mit dem

Beginn der Modernisierungspolitik, die auch in der KJL einen Modernisierungs-

schub auslöste.61 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand primär die Abrenzung der

Kinderliteratur von der Erwachsenenliteratur im Mittelpunkt, die Einteilung dieser

neuen Literatur in verschiedene Altersstufen galt zunächst als zweitrangig.62 In

den 1980er Jahren begann u.a. Wang Quangen, als einer der wichtigsten chine-

sischen KJL-Wissenschaftler, sich intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen. Er

führte die Fachtermini der „you’er wenxue“ ( ), der „ertong wenxue“ im

engeren Sinn und der „shaonian wenxue“ ( ) ein, da man sich aufgrund

der Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie, die weitgehend aus westli-

chen Studien stammten, den altersabhängig unterschiedlichen Ansprüchen und

Anforderungen bewusst wurde und diesen gerecht werden wollte.63 So unter-

scheidet man in der heutigen chinesischen Forschungsliteratur üblicherweise nach

zwei Verwendungen von „ertong wenxue“: Im engeren Sinn bezeichnet sie, wie

ihre wörtliche deutsche Übersetzung, „Kinderliteratur“ – Werke für die Altersgrup-

pe zwischen etwa 6 und 10 Jahren, also die Grundschulzeit – in Abgrenzung zur

sogenannten „Kleinkindliteratur“ (you’er wenxue ), im Deutschen üblicher-

60 gudian yiyi shang de ertong wenxue , xiandai yiyi shang de ertong wen-xue Fang Weiping 2004: S. 3f.; Huang Yunsheng 2004: S. 13f.61 Als Beginn der Modernisierungspolitik gilt das 3. Plenum des 11. Parteitags im Dezember 1978.62 Wang Fenghua 1999: S. 1263 Wang Fenghua 1999: S. 12

21

weise als Bilderbücher bezeichnet, und der Jugendliteratur (shaonian wenxue

) für die etwa 10- bis 15-Jährigen. „Ertong wenxue“ im weiteren Sinn da-

gegen entspricht wie oben erläutert dem deutschen Sammelbegriff „Kinder- und

Jugendliteratur“, der in China sämtliche Werke für Kinder und Jugendliche zwi-

schen 0 bzw. 364 und 18 Jahren umfasst.65

Problematisch ist die Wiedergabe des frühen „ertong wenxue“-Begriffs, als es eine

Unterscheidung nach „engerem“ und „weiterem Sinn“ noch nicht gab. Da sich die

Zielgruppe damals auf Kinder beschränkte und die Jugend nicht als spezielle Le-

bensphase galt, wäre es schlüssiger, im Deutschen den Begriff Kinderliteratur zu

verwenden. Um aber den Überbegriffscharakter zu wahren, der bei dem Ausdruck

„xiandai ertong wenxue“ vorhanden ist, wird auch dafür der deutsche Überbegriff

KJL gewählt, so dass er mit „moderner KJL“ wiedergegeben wird.66

In der vorliegenden Arbeit wird demnach der deutsche Überbegriff der KJL für

die Gesamtheit der „you’er wenxue“, der „ertong wenxue“ im engeren Sinn und der

„shaonian wenxue“ verwendet. Wenn nur die Literatur für einen Teil dieser Ziel-

gruppe gemeint ist, werden die Begriffe Kinderliteratur bzw. Jugendliteratur

gewählt. Inkonsequente Begriffsverwendungen in chinesischsprachigen Publika-

tionen wurden den oben genannten Ausführungen entsprechend im Deutschen

vereinheitlicht.

64 Je nachdem, ob die Altersstufe der 0-3-Jährigen als „ying’er wenxue“ ( ) separat be-trachtet oder zur „you’er wenxue“ hinzugezählt wird.65 Chen Zidian 2003: S. 40; Farquhar 2003: S. 369; Hai Fei 1999: S. 4; Han Jin 1999: S. 9; HuangYunsheng 2004: S. 7; Ma Li 2000: S. 16666 In einigen chinesischen Publikationen wird auf den Unterschied zwischen „ertong wenxue“ und„ertong duwu“ ( Kinderbücher / -lektüre) hingewiesen. Da die Definitionsversuche jedochzum einen voneinander abweichen, zum anderen bisweilen im Widerspruch zu oben genannterVerwendung des Begriffs „ertong wenxue“ im weiteren Sinn stehen und für die Arbeit darüber hin-aus von zu vernachlässigender Bedeutung sind, wird hier nicht näher auf dieses Problem einge-gangen. Die Gleichsetzung mit dem deutschen Begriff der „Kinder- und Jugendlektüre“, also dervon Kindern und Jugendlichen tatsächlich konsumierten Literatur, welche die Rezeption nicht-intendierter Werke mit einschließt, wäre in jedem Falle nicht korrekt. Vgl. dazu Chen Zidian 2003:S. 55-58; Fang Weiping 2004: S. 5f.; o.V. 1999b: S. 21f., Pu Manting 1991: S. 4. Außerdem be-schränkt sich die vorliegende Untersuchung ohnehin auf das, „was Kinder und / oder Jugendlichekonsumieren sollen“ (Ewers 2000b: S. 3), also die intentionale KJL, so dass der Begriff der Kinder-und Jugendlektüre nach deutschem Sprachgebrauch nicht weiter zum Tragen kommt.

22

3 Grundlegendes zum chinesischen Buchmarkt

In einem verfassungsgemäß kommunistischen Land wie China wird der Buch-

markt von zahlreichen außerliterarischen Faktoren gelenkt, deren Strukturen und

Abhängigkeiten bei einer Untersuchung der chinesischen KJL nicht unberücksich-

tigt bleiben dürfen. Trotz zunehmender Liberalisierung im wirtschaftlichen Bereich

in den letzten Jahrzehnten und trotz eines seit etwa zehn Jahren stattfindenden

Transformationsprozesses wird das chinesische Verlagswesen bei der inhaltlichen

Arbeit nach wie vor staatlich gelenkt und kontrolliert.67

3.1 Zahlen und Daten

3.1.1 Fakten zum Buchmarkt insgesamt

Der chinesische Buchmarkt ist seit 1978 um ein Vielfaches gewachsen. Allein in

den Jahren zwischen 1992 und 2002 hat sich sein Gesamtvolumen68 laut offizieller

Angaben von 506 Mio. US$ (ca. 417,3 Mio. €) auf 5,24 Mrd. US$ (ca. 4,32 Mrd. €)

mehr als verzehnfacht.69 Die Frankfurter Buchmesse meldet sogar einen Umsatz

von 5,6 Mrd. US$ (ca. 4,6 Mrd. €) für das Jahr 2002, womit China unter den Top

Fünf der Welt rangierte, und zwar auf Platz 4, vor Großbritannien und nach den

USA, Japan und Deutschland.70 Für das Jahr 2005 betrug der Umsatz nach offi-

67 Das Publikationswesen wird in China üblicherweise in drei große Bereiche unterteilt: das Verle-gen, den Vertrieb und den Druck. (Xin Guangwei 2005: S. 291) Die Bereiche Druck und Vertriebwerden im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt. Zum Vertrieb siehe z.B. Politis 2004:S. 25-30; Xin Guangwei 2005: S. 142ff.68 Es geht nicht hervor, ob die angegebenen Umsatzzahlen die – statistisch kaum erfassbaren –Zahlen aus den privaten Vertriebskanälen enthalten.69 Xin Guangwei 2005: S. 18Seit 1998 gibt es zwar ein Forschungsinstitut für den chinesischen Buchmarkt, das Beijing KaijuanBook Market Research Institute, verlässliche Zahlen sind aber dennoch kaum zu bekommen – dasräumt selbst die „Presse und Publikationsbehörde der VR China“ ein. (Li Yuanjun 2003: S. 99; o.V.2005: S. 7) Die hier wiedergegebenen Zahlen beziehen sich vermutlich auf den gesamten chinesi-schsprachigen Buchmarkt, von dem der volksrepublikanische nur einen Anteil von 65% ausmacht.Die Buchmärkte Taiwans und Hongkongs liegen umsatzmäßig zwar mit einem Anteil von 27% bzw.7% weit hinter dem der Volksrepublik, sie zählen der Wettbewerbsfähigkeit nach jedoch zu den ammeisten entwickelten Regionen des chinesischsprachigen Buchmarktes mit einem vollkommenmarktorientierten System. (Xin Guangwei 2005: S. 3, 19)70 Politis 2004: S. 44

23

ziellen Zahlen bereits knapp 6,2 Mrd. US$.71 Dieses rasante Wachstum spiegelt

sich in den geradezu exponentiell ansteigenden Titelzahlen wider: Waren es 1978

noch etwa 15.000 Titel pro Jahr, hatten sie sich bis 1982 bereits mehr als verdop-

pelt und lagen 1985 bei 45.600 – ein Wachstumstrend, der sich mit 190.391 Titeln

im Jahr 2003, 208.000 Titeln 2004 und 222.473 Titeln 2005 langfristig fortzusetzen

scheint.72 Chinesische Marktbeobachter schätzen die Lage des eigenen Buch-

marktes jedoch kritischer ein als das euphorische Ausland und geben zu beden-

ken, dass die hohe Zahl der jährlichen Titelproduktion allein noch nichts über den

Entwicklungsstand des Buchmarktes aussage, so der Vize-Direktor der GAPP

(General Administration of Press and Publication of the People’s Republic of Chi-

na)73 Wu Shulin am 18. Juni 2006. China habe noch einen langen Weg vor sich,

bis es zu den großen internationalen Buchmärkten gehören wird.74

Eine Besonderheit des chinesischen Buchmarktes ist seine Unterteilung in drei

Hauptsegmente: Bücher75, Lehr- und Schulbücher sowie Bildkarten. Die Lehr- und

Schulbücher, die sogenannten „textbooks“, die sowohl bei der Erstellung als auch

beim Vertrieb nach wie vor fest in staatlicher Hand liegen und in der Regel direkt

über Schulen vertrieben werden, machten 2003 34,9% des Gesamtumsatzes aus.

Ihr Anteil an der Gesamtauflage lag sogar bei 48,8%.76 Laut offizieller Angaben

haben 93% der chinesischen Verlage Titel aus diesem Segment im Programm.77

Die beiden Segmente der Bücher (64,4% Umsatzanteil) und der Bildkarten (0,7%

71 Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi 2006: S. 172 Frankfurter Buchmesse 2006; Feldman 1986: S. 521; Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi2004: S. 173 Mehr Informationen zur GAPP siehe Kapitel 3.374 o.V. 2006: S. 275 Offiziell wird der Bereich Bücher in 22 Bereiche untergliedert: Kunst, Agrarwissenschaften, Luft-und Raumfahrt, Biologie, Kultur / Wissenschaften / Pädagogik / Sport, Wirtschaft, Ingenieurwesen,Umwelt, allgemeine Naturwissenschaftten, Geschichte und Geographie, Sprachen, Literatur,Marxismus / Leninismus / Mao-Zedong-Ideen / Deng-Xiaoping-Theorien, Mathe / Physik / Chemie,Medizin, Militär, Philosophie, Politik / Jura, Sozialwissenschaften, Transportwesen und Sonstiges.In den Verlagen ist aber eine Einteilung in acht Kategorien üblich: Sozialwissenschaften, Naturwis-senschaft und Technik, Kunst und Literatur, Kinder- und Jugendbuch, Chinesische Klassiker, Er-ziehung / Ausbildung / Pädagogik, Fachbücher und Nachschlagewerke. (Xin Guangwei 2005:S. 42f.) Eine Unterscheidung nach Hardcover und Taschenbuch gibt es nicht.76 Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi 2004: S. 177 Xin Guangwei 2005: S. 65

24

Umsatzanteil) werden über den regulären Buchhandel vertrieben. Strukturelle

Umgestaltungen, wie sie in den letzten Jahren stattfanden,78 bezogen sich wegen

des zu vernachlässigenden Anteils der Bildkarten primär auf das Buchsegment.

3.1.2 Fakten zum Kinder- und Jugendbuchmarkt

Die Entwicklung des chinesischen Kinder- und Jugendbuchmarktes begann erst

verhältnismäßig spät. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufbaus und der Modernisie-

rungspolitik Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre wurden zwar auch auf

dem Kinder- und Jugendbuchmarkt Institutionen gegründet und neue Grundlagen

nach den Jahren der „Bücherwüste“79 geschaffen, die eigentliche Entwicklung fand

aber erst ab Mitte der 1990er Jahre statt. Dies zeigt sich unter anderem in der

Tatsache, dass es erst seit 1994 Bestsellerlisten zum Kinder- und Jugendbuch

gibt80 und dieses als eigenes Marktsegment behandelt wird.81

1977 gab es nur zwei auf Kinder- und Jugendbücher spezialisierte Verlage und

weitere 30 Verlage, die unter anderem Kinder- und Jugendbücher im Programm

hatten. Nur 200 Titel erschienen damals pro Jahr, mit einer Gesamtauflage von 26

Mio. Exemplaren, was auf die damalige Bevölkerung übertragen ein Exemplar für

acht Kinder bedeutete.82 Zwischen 1977 und 1980 wuchs die Titelproduktion an

und entwickelte sich bis heute kontinuierlich und zügig weiter, wie dem folgenden

Diagramm zu entnehmen ist.

78 Siehe Kapitel 3.4 zum Transformationsprozess79 tushu huangmo 80 Die Bestsellerlisten unterscheiden sich jedoch je nach Quelle stark voneinander. Wegen der gro-ßen regionalen Unterschiede bezüglich der Kaufkraft und Versorgungssituation mit Büchern wärenregionale Bestsellerlisten wesentlich aussagekräftiger. (Politis 2004: S. 30f.)81 Xu Lu 2004: S. 6Der Auslöser für diese bewusste Wahrnehmung dieses vorher stiefmütterlich behandelten Segmentswar nach der Aussage Xu Lus der Erfolg zweier Werke: Qin Wenjuns Jugendroman „Nansheng JiaLi“ ( ) und Zheng Chunhuas Kinderbuch „Datou erzi he xiaotou baba“ (

), die beide 1994 den renommierten „Nationalen Preis für hervorragende Kinderliteratur“gewannen. (Xu Lu 2004: S. 6)82 Li Xia 1995: S. 32

25

Abb.: Kinder- und Jugendbuchtitel pro Jahr in der VR China84

Trotz des kontinuierlichen Titelwachstums – das gerade in den letzten Jahren zu

einem Großteil auf Lizenzeinkäufe aus dem Ausland zurückzuführen ist – wuchs

die Gesamtauflage nicht, sondern ging 2003 im Vergleich zum Vorjahr sogar um

13,66% zurück. Somit ist im Kinder- und Jugendbuch das gleiche Phänomen wie

auf dem chinesischen Buchmarkt insgesamt zu verzeichnen: Die Titel diversifizie-

ren sich zunehmend, erscheinen aber in kleinerer Auflage,85 so dass die Gesamt-

auflage nicht in dem Maße wächst, wie es die steigenden Titelzahlen vermuten

lassen. Um die tatsächliche Wachstumsrate des chinesischen Buchmarktes in den

letzten Jahren zu ermitteln, müssten außerdem die Umsatzzahlen um den stetig

gestiegenen Buchpreis bereinigt werden. Zwischen 1979 und 1990 lagen die

Preissteigerungsraten bei chinesischen Büchern zwischen 300 und 600%.86 Die

Preissteigerungen halten bis heute an und sind besonders im Kinder- und Ju-

gendbuchsegment gravierend: Während die Preise im Jahr 2005 auf dem ge-

samten Buchmarkt um durchschnittlich 6,6% stiegen, lag die Verteuerungsrate

84 Li Yuanjun 2003: S. 88 (für die Jahre 1977, 1997, 2000 bis 2002); Liu Yuanhua 1996: S. 2 (fürdie Jahre 1980, 1989 und 1992); Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi 2004: S. 1 (für das Jahr2003); Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi 2005: S. 1 (für das Jahr 2004); Xinwen ChubanZongshu Jihua Caiwusi 2006: S. 1 (für das Jahr 2005)85 Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi 2004: S. 1, 4; Li Yuanjun 2003: S. 8886 Neder 1999: S. 71

26

beim Kinder- und Jugendbuch bei 24,31%.86 Dieser entscheidende Faktor für die

nominal hohen Umsatzmeldungen ist in den letzten Jahren in Folge des Subven-

tionsabbaus – z. B. von Papier – um ein Vielfaches gestiegen und hat so die Zah-

len ins Positive verzerrt.87 Auch die stark zunehmende Titelanzahl im Kinder- und

Jugendbuch – 2005 lag die Wachstumsrate der Titelanzahl bei 19,5%, wohin-

gegen sie im Jahr 2004 nur bei 5,3% lag, 2003 bei 2,6% – lässt die Entwicklung

dieses Segments florierender erscheinen, als sie tatsächlich ist. Von chinesischen

Marktbeobachtern wird bemängelt, dass zunehmend Quantität vor Qualtität gehe

und die Umsatzinteressen der Verlage zu sehr im Mittelpunkt stünden.88 Hai Fei ist

gar der Meinung: „[...] publishing for children has reached saturation point, [...]

publishing should be slowed down.“89

Die chinesische Verlagsindustrie wuchs dem Umsatz nach zwar in den letzten

zehn Jahren immens, hinkt jedoch der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate in

China – 2004 lag sie bei 9,4%90 – hinterher.91 Hinzu kommt, dass der Marktanteil

des Segments Kinder- und Jugendbuch am Gesamtumsatz aller Bücher, ohne Be-

rücksichtigung der „textbooks“ und Bildkarten, in den letzten Jahren stetig zurück-

ging: Lag er 1997 noch bei 6%, waren es 2002 nur noch 4,5%, 2003 4,14%, 2004

3,85%92 und im Jahr 2005 nur noch 2,7%.93

Dennoch war der Wachstumssprung in China im Kinder- und Jugendbuch hin-

sichtlich der Diversifizierung und Titelzahl seit Mitte der 1990er Jahre gewaltig.

86 Der Buchpreis in China liegt jedoch im Vergleich zu den Buchmärkten europäischer Länder undder USA noch sehr niedrig. (o.V. 2006: S. 3)87 Politis 2004: S. 9Seit 1994 können die Verlage, außer bei Schulbüchern sowie Partei- und Staatsdokumenten, dieBuchpreise selbst bestimmen. Es gibt in China keine Buchpreisbindung. Der Preis errechnet sich inder Regel aus dem Umfang – in etwa 10 Renminbi (€ 1) pro 100.000 Zeichen, was je nach Formatund Schriftgröße etwa 12 bis 14 Seiten Text entspricht. (Neder 1999: S. 70f.; Politis 2004: S. 8f.)88 Liu Gao 2006: S. 12; o.V. 2006: S. 2f.89 Hai Fei 2006: S. 8290 Melzer 2006: S. 9991 Liu Gao 2006: S. 1092 Frankfurter Buchmesse 2006; Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi 2004: S. 1, 493 Frankfurter Buchmesse 2006Der Anteil des Kinder- und Jugendbuchs nach Titelzahl lag 2005 bei 4,3%. (Frankfurter Buchmes-se 2006) Zum Vergleich: 2004 lag der Anteil der KJL in Deutschland bei 7 %. (Frankfurter Buch-messe 2005)

27

Trotz oben genannter kritischer Stimmen aus der chinesischen KJL-Wissenschaft

wird in offiziellen Verlautbarungen voller Optimismus ein kontinuierliches weiteres

Wachstum in den kommenden zehn Jahren prophezeit. Ein Grund dafür ist die

Masse der potentiellen Leserschaft: In der Volksrepublik besuchten im Jahr 2004

etwa 238 Millionen junge Chinesen Kindergärten, Grund- und Mittelschulen.94 An-

gesichts dieser gewaltigen Zahl wird bis 2015 eine Umsatzverdopplung im Bereich

Kinder- und Jugendbuch erwartet.95 Dabei wird jedoch ungenügend berücksichtigt,

dass die absolute Zahl an Kindern und Jugendlichen allein nichts über die tatsäch-

liche Leserschaft aussagt. Durchschnittliche Auflagenhöhen von 10.000 Exempla-

ren im Kinder- und Jugendbuch96 lassen erahnen, dass die tatsächliche Leser-

schaft zahlenmäßig deutlich unter der potentiellen liegt, so dass das Potential des

chinesischen Kinder- und Jugendbuchmarktes häufig wegen seiner schieren Grö-

ße überschätzt wird, vor allem im literarischen Bereich.97 Ein entscheidender

Faktor für das mangelhafte Erreichen der Leserschaft ist – ganz abgesehen von

Faktoren wie Analphabetentum – das fehlende nationale Vertriebsnetz, so dass

Bücher entlegene Regionen nicht erreichen können. Schätzungsweise werden

60% der chinesischen Bücher nicht landesweit vertrieben.98 Hinzu kommt, dass

selbst mit einem funktionierenden nationalen Vertriebsnetz die Kaufkraft in ländli-

chen Gebieten deutlich steigen müsste, damit die potentiellen auch zu tatsächli-

chen Lesern werden können.99 Nach Einschätzungen können sich mehr als 60%

der Kinder auf dem Land außer schulbezogene Büchern keine Lektüre leisten.100

94 2004: 20,26 Mio. in Kindergärten, 122 Mio. in der Grundschule, 95,96 Mio. in der Mittelschule.(Xin Guangwei 2005: S. 3)95 Xin Guangwei 2005: S. 52; Li Yuanjun 2003: S. 9896 Chen Danyan 2006: S. 19; Melzer spricht sogar von nur 5.000 bis 8.000. (Melzer 2006: S. 46)97 Licher 2005: S. 66; Politis 2004: S. 1998 Politis 2004: S. 2744,6% des gesamten Buchumsatzes in China werden in der für den Buchmarkt bedeutendstenRegion, dem „mittleren Osten“ um Shanghai, gemacht. An zweiter Stelle kommt mit nur 14,6% der„mittlere Norden“ mit Beijing. (Li Yuanjun 2003, S. 93) 59,2% aller chinesischen Bücher werdendemnach alleine in diesen beiden Ballungsräumen verkauft.99 2004 wurden durchschnittlich 33 Yuan pro Kopf für Bücher ausgegeben, was bei dem chinesi-schen Buchpreisniveau vier bis sechs Büchern entspricht. Dabei lagen die Pro-Kopf-Ausgaben derStadtbevölkerung mit 82 Yuan 6,7 Mal so hoch wie die der Landbevölkerung mit 12 Yuan. (XinGuangwei 2005: S. 7, 135f.)100 Li Yuanjun 2003: S. 96In wenig entwickelten Regionen machen Schulbücher 80-90% der verkauften Bücher aus. Da beiSchulbüchern der Staat nach wie vor das Monopol hat, sind staatliche Institutionen in manchenRegionen die Hauptkäufer. (Politis 2004: S. 9)

28

Andererseits wird gerade in diesem bisher so mangelhaft ausgeschöpften Poten-

tial die Möglichkeit eines schnellen Wachstums gesehen, da der Konsumlevel

noch langfristig deutlich gesteigert werden könne.101 Der diesbezügliche Optimis-

mus könnte außerdem damit zusammenhängen, dass die GAPP (General Admini-

stration of Press and Publication of the People’s Republic of China)102 im Mai 2004

beschloss, den chinesischen Kinder- und Jugendbuchmarkt durch spezielle Pro-

gramme und einen Staatsfonds zu unterstützen,103 anlässlich des Weltkongresses

des International Board on Books for Young People (IBBY), der im September

2006 in Macau stattfand und an dem 354 Menschen aus 59 Ländern teilnahmen,

darunter alle namhaften Vertreter der chinesischen KJL sowie der KJL-Forschung.104

3.2 Kinder- und Jugendbuchverlage

Die erste große, wegweisende Arbeitskonferenz zur chinesischen KJL nach dem

Tod Maos fand im Oktober 1978 in Lushan / Jiangxi statt (Lushan-Konferenz): die

„Nationale Konferenz zur Verlegerarbeit im Bereich Kinder- und Jugendbücher“105,

veranstaltet von der Staatlichen Verlegerbehörde, dem Erziehungs- und dem Kul-

turministerium sowie zahlreichen weiteren staatlichen Institutionen. Mit ihr sollte

nach dem von der Kulturrevolution verursachten Entwicklungsstillstand eine Wie-

derbelebung der KJL eingeleitet werden. An dieser ersten Konferenz ihrer Art

nahmen 217 Fachleute teil, darunter Verleger, Herausgeber, Autoren, Künstler,

Lehrer, Pädagogen und Politiker.106 An der Zusammensetzung der Teilnehmer ist

die gesellschaftliche Relevanz, die dieser Konferenz beigemessen wurde, deutlich

abzulesen, ebenso wie alle von ihr tangierten Bereiche.

101 Li Yuanjun 2003: S. 98102 Mehr Informationen zur GAPP siehe Kapitel 3.3103 BIZ Peking; Politis 2004: S. 20104 Zu den chinesischen Referenten zählten u.a. Wang Quangen, Sun Jianjiang, Qin Wenjun undZhang Zhilu.105 Quanguo shaonian ertong duwu chuban gongzuo huiyi 106 Hai Fei 1999: S. 7; Huang Yunsheng 2004: S. 166; Jóo 1999: S. 48; Li Xia 1995: S. 32; WangQuangen 2004a: S. 13; Zhang Meini 1996: S. 9

29

Als Folge der Lushan-Konferenz 1978 wurde das chinesische Verlags- und Buch-

wesen im Bereich Kinder- und Jugendbuch grundlegend neu aufgebaut.107 Hatte

es vorher in der Volksrepublik nur zwei auf Kinder- und Jugendbücher speziali-

sierte Verlage gegeben – nämlich die Traditionshäuser „Chinesischer Kinder- und

Jugendbuchverlag“108 in Beijing und „Kinder- und Jugendbuchverlag“109 in Shang-

hai – wurde danach in jeder Provinz ein Verlag für Kinder- und Jugendbücher ge-

gründet, dessen Name jeweils aus dem Provinznamen und dem Zusatz „Shaonian

Ertong Chubanshe“ zusammengesetzt wurde.110

Im Mai 1981 wurden auf der nach ihrem Veranstaltungsort benannten Tai’an-

Konferenz111 die Beschlüsse der Lushan-Konferenz in konkreten Vorschriften for-

muliert.112 Um diese bis hinunter zur lokalen Ebene implantieren zu können, kam

es noch im selben Jahr auf Provinzebene zur Gründung von „Komitees für Kultur

und Kunst für Kinder und Jugendliche“113 und auch auf lokaler Ebene wurden ent-

sprechende Abteilungen innerhalb der Kulturämter eingerichtet, so dass – wie

107 Die meisten Verlagsgründungen in China fanden in den späten 1970er und frühen 1980er Jah-ren statt, als nach den Jahren der Kulturrevolution eine neue Infrastruktur im Verlagswesen aufge-baut wurde. In jeder Provinz wurde derselbe Grundstamm an Verlagen zu den ThemenbereichenPolitik und Recht, Erziehung / Ausbildung / Pädagogik, Literatur, Wissenschaft und Technik, AlteKlassiker, Kunst sowie Kinder- und Jugendbuch mit Verlagssitz in der jeweiligen Provinzhauptstadtgegründet. Durch die Zuteilung des Bereichs war die Programmausrichtung offiziell festgelegt.108 Zhongguo Shaonian Ertong Chubanshe“ 109 Shaonian Ertong Chubanshe 110 Wang Quangen 2004a: S. 18; Li Yuanjun 2003: S. 85So heißt beispielsweise der Kinder- und Jugendbuchverlag der Provinz Zhejiang „Zhejiang Shao-nian Ertong Chubanshe“ ( Kinder- und Jugendbuchverlag der Provinz Zhe-jiang ). Sitzt der Verlag in Beijing, erscheint „China“ anstatt des Provinznamens, so z.B. bei „ChinaChildren’s Publishing House“ ( Chinesischer Kinder- und Jugendbuchver-lag). (Xin Guangwei 2005: S. 10) Ein chinesischer Verlagsname setzt sich in der Regel prinzipiellaus dem Provinznamen, dem Themengebiet und der Bezeichnung für Verlag zusammen. Heutegibt es aber auch Verlage mit frei gewähltem Namen.111 Es wurden zahlreiche weitere Konferenzen auf regionaler und nationaler Ebene abgehalten.Vgl. Huang Yunsheng 2004: S. 166; Zhang Meini 1996: S. 9112 Wang Quangen 2004a: S. 13113 Shaonian ertong wenhua yishu weiyuanhui Wang Quangen 2004a: S. 13; Chen Zijun 1989: S. 4Es wurden über die Jahre noch zahlreiche weitere KJL-Komitees gegründet. So wurde z.B. imDezember 1979 die Gründung eines zentralen Komitees für KJL (Ertong wenxue weiyuanhui

) innerhalb des Chinesischen Schriftstellerverbandes beschlossen, im Oktober 1980wurde das „Komitee des Kulturministeriums für Kultur und Kunst für Kinder und Jugendliche“(Wenhuabu shaonian ertong wenhua yishu weiyuanhui )gegründet, im Mai 1981 das „Nationale Komitee für Kultur und Kunst für Kinder und Jugendliche“(Quanguo shaonian ertong wenhua yishu weiyuanhui ). (WangQuangen 2004a: S. 13), 1994 das „Komitee für Kinder- und Jugendbuchverlage“ (Shaoer duwuchuban gongzuo weiyuanhui ) (Hai Fei 1999: S. 12) und noch vieleweitere.

30

auch in anderen Buchmarktsegmenten – im Bereich des Kinder- und Jugendbuchs

„von der Zentrale bis zur lokalen Ebene, von der Regierung bis zu den Volksmas-

sen“114 entsprechende Organisationsstrukturen geschaffen wurden.115

Im Jahr 2005 gab es 573 staatliche Verlage in der Volksrepublik,116 darunter

31 auf Kinder- und Jugendbücher spezialisierte Häuser.117 Die Regelungen be-

züglich der Verlagsprogramme wurden in den letzten Jahren gelockert, so dass

die Programmplanung zunehmend eigenständig gehandhabt wird und die ur-

sprünglich staatlich festgelegten Profile der Verlage immer mehr verschwimmen.118

Die Möglichkeit, sich auf andere Programmbereiche auszudehnen, sowie die star-

ke Entwicklung des Kinder- und Jugendbuchsegments in den letzten Jahren lockten

zahlreiche neue Mitstreiter in diesen Bereich, so dass immer mehr chinesische

Verlage mit ursprünglich anderer Programmausrichtung Kinder- und Jugend-

bücher in ihr Programm mit aufnahmen und sich die Konkurrenz deutlich ver-

schärfte. Hai Fei sprach 1999 von etwa 130 solcher Verlage, Li Yuanjun 2003

schon von 500, was bedeuten würde, dass annähernd jeder chinesische Verlag

dieses Segment bedient.119

114 Wang Quangen 2004a: S. 13115 Die Aufgaben dieser Institutionen umfassen auch die Förderung und Regulierung der Kinder-und Jugendarbeit in den Bereichen Kunst und Kultur (Autoren, Verlage, Presse, Radio, Fernsehen,Film, Theater, Musik, Tanz, Kunst, Freizeit). Der Arbeitsschwerpunkt jedoch liegt auf der KJL.(Wang Quangen 2004a: S. 13; Chen Zijun 1989: S. 4)116 Xinwen Chuban Zongshu Jihua Caiwusi 2006: S. 1; Wei Ze 1995: S. 447f.Fast 40% der Verlage haben ihren Hauptsitz in Beijing und werden direkt von der GAPP (siehe S.31f.) verwaltet. Shanghai ist mit nur 7% der Verlagssitze die zweitwichtigste Verlagsstadt. (XinwenChuban Zongshu Jihua Caiwusi 2004: S.1; Frankfurter Buchmesse 2001: S. 2)117 Zu den führenden Kinder- und Jugendbuchverlagen zählen derzeit China Children’s PublishingHouse, Zhejiang Children’s and Juvenile Publishing House und Jieli Publishing House. (FrankfurterBuchmesse 2004)118 Heute kann man beispielsweise bei einem Wissenschaftsverlag bisweilen auch belletristischeTitel im Programm finden.119 Hai Fei 1999: S. 11; Li Yuanjun 2003: S. 87

31

3.3 Kontrollinstanzen

Der chinesische Buchmarkt ist nach wie vor ein monopolistischer Markt, auf dem

die Anzahl von Verlagen angesichts der potentiellen Größe des Marktes gering ist.

Hinzu kommen eine Zentralisierung und Konzentrierung von Zuständigkeiten in

einigen wenigen Institutionen sowie die Organisierung der Beteiligten in Verbän-

den, wie zum Beispiel dem Verlegerverband120 und dem Chinesischen Schriftstel-

lerverband, in dem alle namhaften Autoren und Literaturwissenschaftler Mitglied

sind. Diese beiden Verbände durchdringen die gesamte Buchproduktion und um-

fassen auch Teile des wissenschaftlichen Betriebs.

Offiziell sind in China nach wie vor alle Verlage staatlich und einer öffentlichen

Einrichtung121 angeschlossen. Innerhalb des chinesischen Publikationswesens

gibt es drei Ebenen122 von Verwaltungsorganen, deren höchstes adminsitratives

und kontrollierendes Organ die „Presse- und Publikationsbehörde der Volksre-

publik China“123 (GAPP) ist. Die GAPP untersteht dem Staatsrat direkt und hat

somit im Grunde den Rang eines Ministeriums.124 Die Kontrolle der GAPP er-

streckt sich in der Hauptsache darauf, das Erscheinen von Publikationen, welche

„die gesellschaftliche Ordnung durcheinanderbringen oder die gesellschaftliche

120 Zhongguo chuban gongzuozhe xiehui 121 Dem Staat, einem Ministerium, der Armee, der Provinzregierung, einer Universität etc.122 Auf Provinz- und Kreisebene, der zweiten und dritten Verwaltungsebene, gibt es zur GAPPanalog strukturierte Behörden, die „Presse- und Publikationsbüros“. (Xin Guangwei 2005: S. 13)123 Zhonghua renmin gongheguo xinwen chuban shu , GeneralAdministration of Press and Publication = GAPP124 Neder 1999: S. 125f.; Staiger 1987: S. 477, Xin Guangwei 2005: S. 13Diese Institution wurde 1987 als Reaktion auf Demonstrationen nach dem Rücktritt Hu Yaobangsals Generalsekretär der KPCh als Kontrollinstanz und Aufsicht gegründet. Ihr gingen über die Jahr-zehnte eine Vielzahl von Einrichtungen voraus. (Mehr dazu siehe Neder 1999: S. 125f.) Zu ihrenHauptaufgaben zählt das Erstellen eines Entwicklungsplans für das gesamte nationale Publikations-wesen, was heute neben dem Buchmarkt auch Zeitungen und Zeitschriften sowie audio-visuellePublikationen und Veröffentlichungen im Internet, den gesamten Vertrieb und die Druckindustrieumfasst. Sie erlässt außerdem Richtlinien und Vorschriften für das chinesische Publikationswesen,welche die bisher noch fehlende Gesetzgebung ersetzen, und überwacht die Einhaltung derselben.(Xin Guangwei 2005: S. 12) Sämtliche Verlage und Xinhua-Buchhandlungen sind ihr weisungs-befugt untergeordnet. (Neder 1999: S. 126) Auch das Import- / Exportgeschäft in den genanntenBereichen unterliegt der Kontrolle der GAPP. (Xin Guangwei 2005: S. 13) Bei der Gründung einesneuen Verlags werden die Zustimmung der GAPP und das „Referenzschreiben“ einer Regierungs-institution benötigt, die als finanzielle Absicherung und zuständige Aufsichtsbehörde fungiert. (XinGuangwei 2005: S. 11)

32

Stabilität erschüttern“125, zu verhindern, also als Zensurbehörde zu fungieren.126

Neben der GAPP ist gemäß ZK-Direktiven auch das Kultur- und Propaganda-

ministerium mit seinen Abteilungen auf allen Ebenen für die Zensur zuständig.127

Eine bedeutende Rolle im „Kampf für gesunde Literatur“ wird außerdem dem Ver-

band der Literatur- und Kunstschaffenden zugeschrieben, dem der chinesische

Schriftstellerverband angehört. Eines der Hauptkriterien für die inhaltliche Über-

prüfung ist die Übereinstimmung sämtlicher Publikationen mit den „Vier Grund-

prinzipen“, welche die Anerkennung der Führung durch die KPCh beinhalten.

Auch der Verlegerverband128 soll die Einführung und Umsetzung der KPCh-Politik

gewährleisten und hat eine stark dominierende Kontrollfunktion. Er führt beispiels-

weise im Auftrag der Regierung Schulungen für die im Verlagswesen Arbeitenden

durch und ist für die Überwachung der Angestellten verantwortlich. In diesen Zen-

surbemühungen zeigt sich die bedeutende Rolle, die der Literatur zugeschrieben

wird: Würde man den Werken nicht die Fähigkeit zur Veränderung der Gesell-

schaft zutrauen, wäre die Literatur weniger Zwängen unterworfen. Seit 1982 ist in

der Verfassung zwar erstmalig in der volksrepublikanischen Geschichte die „Frei-

heit der Rede, der Publikation, der Versammlung“ (Art. 35) rechtlich verankert, die

Inanspruchnahme dieser Rechte kann jedoch durch die staatliche Autorität einge-

schränkt werden: Art. 51 der Verfassung legitimiert die Einschränkung der Frei-

heitsrechte, wenn „die Interessen des Staates, der Gesellschaft und des Kollektivs

oder die rechtmäßigen Freiheiten und Rechte anderer Bürger“ verletzt würden.129

125 Vgl. § 11 Abs. 6 der „Verwaltungsvorschrift des Publikationsmarktes“, deutsch zitiert nach einemHandout vom Sommersemester 2005 eines Seminars zum chinesischen Buchmarkt, erarbeitet vondeutschen und chinesischen Studenten, Lehrstuhl für Buchwissenschaft an der Friedrich-Alexan-der-Universität Erlangen-Nürnberg, betreut durch Frau Professor Ursula Rautenberg.126 Bis in die 1990er Jahre war außerdem eine Kontrolle für die staatliche Ressourcen-Allokationwie die Verteilung von Papier und Druckmaschinen notwendig. (Spence 2001: S. 846)127 Bucher 1986: S. 58; Klemm 2004: S. 634128 Der Verlegerverband wurde im Dezember 1979 gegründet und ist als verlängerter Arm der Re-gierung in alle Bereiche der Publikationsarbeit involviert. Außer in Qinghai und Tibet gibt es in allenProvinzen, autonomen Regionen und regierungsunabhängigen Städten lokale Verlegerverbände,die dem zentralen Verband untergeordnet sind. Er bringt jährlich das „Chinesische Verlegerjahr-buch“ (Zhongguo chuban nianjian ) heraus und sieht sich als Interessensvertretungder Verlage. Innerhalb des Verlegerverbandes gibt es 31 Arbeits- und Forschungskomitees – dar-unter auch eines zum Kinder- und Jugendbuch –, die theoretische Studien in Auftrag geben undfördern.129 Neder 1999: S. 112

33

Mit dem starken Anwachsen der Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenproduktion in

den letzten Jahren wurde eine Prüfung eines jeden Titels vor dessen Erscheinen

jedoch unmöglich. Daher sind die chinesischen Behörden mittlerweile dazu über-

gegangen, die Überprüfung in Form von Stichproben nach Erscheinen durchzu-

führen.130 Auf diese Weise kann die Regierung zwar nicht sichergehen, eine um-

fassende Zensur zu erreichen – eine „liebevolle Hilfestellung an unerfahrene Auto-

ren“131, als die sie von offizieller Seite bezeichnet wird –, da die Sanktionen und

Konsequenzen für einen Verlag bei Missfallen eines Titels jedoch gravierend sind,

hat sich in den Verlagen eine Selbstzensur, ein vorauseilender Gehorsam, eta-

bliert, der bisweilen noch effektiver ist, da heikle Themen vorsichtshalber nicht be-

rührt werden.132 Zu erklären ist dieses unter Verlegern, Buchhändlern und Schrift-

stellern verbreitete Phänomen zum einen mit kommerziellen Eigeninteressen: Die

Verlage fürchten seit ihrer zunehmenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit einen

finanziellen Verlust durch ein nachträgliches Veröffentlichungsverbot und somit die

Rücknahme und Makulatur eines Titels – und dazu kann schon ein unerwünschter

Satz zur Tibetpolitik, zur Religion oder zur Menschenrechtsfrage führen oder eine

von der offiziellen Sichtweise abweichende Meinung zur Kulturrevolution oder zum

„Tian’anmen-Zwischenfall“. Die Selbstzensur hängt zum anderen aber auch mit

der direkten ideologischen Verantwortung zusammen, die ein Verleger oder Chef-

redakteur für seine Veröffentlichungen trägt: Man fürchte um seinen Posten oder

gar den ganzen Verlag, wenn es inhaltliche Beanstandungen von offizieller Seite

gibt.133

130 Frankfurter Buchmesse 2004; Politis 2004: S. 23Indirekte Zensurmaßnahmen, wie sie zu rein planwirtschaftlichen Zeiten gang und gäbe waren –die Nicht-Zuteilung von Papier, Druckmaschinen und Druckerschwärze –, fielen mit den zu-nehmend marktwirtschaftlichen Strukturen weg.131 Bucher 1986: S. 53132 Politis 2004: S. 23133 Neder 1999: S. 119, 129; Staiger 1987: S. 479

34

3.4 Transformationsprozess

Mitte der 1980er Jahre kam als Folge der chinesischen Reform- und Öffnungs-

politik im Verlagswesen ein Transformationsprozess in Gang, der auf zwei Ebenen

stattfindet und auch in den nächsten Jahren noch nicht vollkommen abgeschlos-

sen sein wird: Zum einen wird der Markt sukzessive für private und ausländische

Unternehmen geöffnet, zum anderen sollen die staatlichen Verlage in eigenver-

antwortliche Unternehmen umgestaltet werden.134 Im Zuge der zweitgenannten

Umgestaltung konnten die Verlage nach und nach die Auflagenhöhe und Titelzahl

selbst festlegen und bekamen mehr Unabhängigkeit in der Programmgestaltung

und Rechnungsführung.135 Nach dem Erlass des neuen Urheberrechts der VR

China136 im September 1990 bekamen die Verlage außerdem das Bestimmungs-

recht über die Autorenhonorare und sollten langfristig auch finanziell eigenständig

werden. Subventionen wurden deshalb sukzessive abgebaut.137 Der damit einher-

gehende steigende Konkurrenzdruck war für einen jahrzehntelang planwirtschaft-

lich gehandhabten Markt eine völlig neue Situation. Die Regierung erachtete eine

stärkere Marktorientierung des Verlagswesens – und des gesamten kulturellen

Bereichs – für notwendig: Anfang 2000 erließ die GAPP eine Reihe von Richtlinien

zur Neuordnung des chinesischen Verlagswesens, die besagten, dass bis zum

Jahr 2009 alle Verlage138 in Wirtschaftsunternehmen umgestaltet und im Zuge

dessen privatisiert werden sollen. Eine vorverlegte Vollendung des Transforma-

tionsprozesses auf Ende 2005 wurde aus Gründen, die auch Branchenkennern

unbekannt sind, letztendlich doch verlangsamt und in manchen Provinzen zu-

nächst unterbrochen.139 Falls der Transformationsprozess weiter fortgeführt wer-

den wird, werden wirtschaftlich schwache Verlage – und manche Marktbeobachter

beurteilen zwei Drittel aller chinesischen Verlage als wirtschaftlich schwach140 –,

134 Melzer 2006: S. 38135 Bucher 1986: S. 57; Neder 1999: S. 67-74136 Zhonghua renmin gongheguo zhuzuo quanfa 137 Xin Guangwei 2005: S. 11; Neder 1999: S. 67-74138 Ausgenommen sind alle Renmin Chubanshe ( People’s Literature House), derenProgramm überwiegend aus politischer Propaganda und Veröffentlichungen zur Theorie des Mar-xismus-Leninismus besteht. Diese werden langfristig weiter staatlich finanziert werden. (FrankfurterBuchmesse 2004; Politis 2004: S. 15)139 Cai 2006140 Politis 2004: S. 13

35

die bisher nur durch staatliche Finanzierung aufrecht erhalten werden konnten, auf

lange Sicht aus der chinesischen Verlagslandschaft verschwinden.

Trotz weiterer Reformmaßnahmen seit dem WTO-Beitritt Chinas im Dezember

2001 und dem 16. Nationalkongress im Jahr 2002 ist das Verlagswesen noch im-

mer unter staatlicher Kontrolle. Bei der inhaltlichen Arbeit sehen sich die Redak-

teure und Verleger nach wie vor mit einer strengen Kontrolle konfrontiert, so dass

mit der finanziellen Unabhängigkeit und Eigenverantwortung bislang keine inhaltli-

che einherging. Auch wenn die Zahl der sogenannten Kulturagenturen, hinter denen

sich de facto private Verlage verbergen, in den letzten Jahren sprunghaft zunahm

– was der Regierung durchaus bekannt ist –, sind die Abläufe und Mechanismen

dergestalt, dass sich auch diese nicht der Kontrolle entziehen können: Die ISBN

(International Standard Book Numbers) werden zentral von der GAPP ausschließ-

lich an staatliche Verlage vergeben. Sie sind zu einem Symbol für legales Ver-

legen geworden, da ohne ISBN kein Buch erscheinen darf. Daher muss ein „pri-

vater Verlag“141 mit einem staatlichen zusammenarbeiten, der ihm einen Anteil

seiner zugeteilten ISBN verkauft.142 Die Bücher der „privaten Verlage“ erscheinen

dann aber unter dem Hauptlabel des staatlichen Verlags, so dass dieser im Fall

einer inhaltlichen Beanstandung dafür haften muss und demnach in der Regel wie

oben ausgeführt frühzeitig Selbstzensur übt und zu keinen riskanten Veröffent-

lichungen bereit ist.143 Durch ihre größere Offenheit und ihre stärker marktwirt-

schaftlich geprägte Herangehensweise werden die „privaten Verlage“ trotz der

genannten Einschränkungen von in- und ausländischen Marktbeobachtern als

141 Nach Angaben Chen Sanguos, des Chefredakteurs der China Book Business Review (gilt alsPendant zum deutschen „Börsenblatt“), innerhalb seines Vortrags auf der Frankfurter Buchmesseim Oktober 2005 gibt es schätzungsweise landesweit 13.000 „private Verlage“, wovon etwa 2.000in Beijing sind.142 Laut Tao Li vom Kinder- und Jugendbuchverlag Dolphin Cartoon (Vortrag auf der Frankfurter Buch-messe im Oktober 2005) gibt es zwei Arten der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und „privatenVerlagen“: Der „private Verlag“ kann entweder nur die ISBN kaufen und die eigenen Bücher mit vol-lem Risiko eigenständig veröffentlichen, oder er teilt sich die Vertriebsarbeit mit dem staatlichen Verlag,der die staatlichen Buchhandlungen betreut, und teilt den Gewinn. Zum Preis einer ISBN wollte sichTao Li nicht äußern. Politis nennt einen Preis von € 1.000 bis € 5.000 (= 10.000 bis 50.000 Renmin-bi), was ein lukratives Zubrot für die staatlichen Verlage darstellt. (Politis 2004: S. 11) Doch auchzwischen staatlichen Verlagen kommt es zum Kauf und Verkauf von ISBN, da die Vergabe zentralgesteuert ist und in manchen Fällen zu viele, in anderen zu wenige vergeben werden. (Politis 2004:S. 11)143 Viele juristische Fragen sind noch ungeklärt, z.B. wer die Rechte an den veröffentlichten Wer-ken hat. Bisweilen werden Lizenzverträge direkt mit den „privaten Verlagen“ geschlossen, was mitder mangelnden Kenntnis des chinesischen Buchmarktes seitens der ausländischen Verlage zu-sammenhängt, so dass man sich dieses Problems nicht bewusst ist.

36

einflussreich und für den chinesischen Buchmarkt als große Bereicherung gewer-

tet. Unklar ist, wie diese Entwicklung, von der die GAPP und andere involvierte

Institutionen unterrichtet sind, weitergehen wird. Bisher wurde aus Ratlosigkeit und

Unklarheit über den einzuschlagenden Weg noch nichts unternommen, abge-

sehen von der Ankündigung im Juli 2005, dass man strenger gegen den Handel

mit ISBN vorgehen wolle, mit der offiziellen Begründung, auf diese Weise Raub-

kopien zu bekämpfen.144 Langfristig wird das Problem aber nicht übergangen wer-

den können, da die private Buchindustrie beginnt, sich zu organisieren, um ihre

Interessen besser vertreten zu können.145

Für ein besseres Behaupten auf dem zunehmend marktwirtschaftlich ausgerich-

teten Buchmarkt ordnete die Regierung den Zusammenschluss von Verlagen zu

Verlagsgruppen an. Durch bessere Ausnutzung der Ressourcen könnten diese an

Konkurrenzfähigkeit gewinnen.146 Die Argumentation lässt einen wirtschaftlichen

Hintergrund dieser Maßnahmen vermuten, tatsächlich sind sie aber kein Markt-

144 Frankfurter Buchmesse 2005Das Problem der Raubkopien – auf das in der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werdenkann – ist in China gravierend, obwohl institutionelle Grundlagen zur Bekämpfung bestehen. Esgibt die „National Copyright Administration of China“ (NCAC), die der GAPP einverleibt ist. (Xin Guang-wei 2005: S. 13) Auf Provinz- und Kreisebene gibt es analog zu den Verwaltungsebenen der GAPPCopyright Bureaus, die der NCAC unterstehen. Die NCAC ist speziell für das Erlassen von Regelun-gen zum „geistigen Eigentum“ sowie Änderungen bestehender Vorschriften und die Einhaltung der-selben zuständig, ein Bereich der seit dem WTO-Beitritt der Volksrepublik stark an Bedeutung ge-wann und die staatlichen Stellen zum Handeln zwingt. In China gab es jedoch zwischen 1949 und1991 kein Urheberrechtsgesetz, weshalb sich das Bewusstsein für „geistiges Eigentum“ erst sehrspät entwickelte. Seit Juni 1991 ist das 1990 erlassene Urheberrechtsgesetz in Kraft und 1992 tratdie Volksrepublik der Berner Konvention bei, aber das Gesetz bedarf trotz bereits vorgenommenerÜberarbeitungen einer weiteren Ausreifung. Piraterie und Raubkopien stellen nach wie vor ein un-gelöstes Problem dar, von dem nicht nur lizenzgebende ausländische, sondern auch chinesischeVerlage betroffen sind. Die staatlichen Stellen lassen zwar ein verstärktes Vorgehen dagegen ver-lauten, einen durchschlagenden Erfolg gibt es aber bisher nicht zu verzeichnen.145 Seit 2005 gibt es das China Private Book Industry Committee (CPBIC), dessen Ziel es ist, denDialog mit der Regierung zu suchen, um den Status der privaten Akteure zu verbessern. Denn dieInteressen der „privaten Verlage“, die zunehmend an Einfluss gewinnen, sind im Verlegerverbandnicht vertreten, da sie offiziell nicht den Status eines Verlags haben und daher auch keine Mitglied-schaft bekommen. Man wird in den nächsten Jahren mit Spannung beobachten können, zu wel-chen Zugeständnissen der Chinesische Verlegerverband gegenüber den „privaten Verlegern“ be-reit ist, um seine Aufnahme in den Internationalen Verlegerverband zu ermöglichen. Auch privateVertriebsunternehmen, die bereits offiziell erlaubt sind, sehen sich nach wie vor den staatlichenUnternehmen gegenüber benachteiligt, da zum Beispiel der gesamte Bereich der Schulbücher, derin China mit knapp 35% einen übergroßen Anteil am Gesamtmarkt ausmacht, ausschließlich denstaatlichen Unternehmen vorbehalten ist.146 Licher 2005: S. 64; Politis 2004: S. 15Meist schließen sich entweder Verlage einer Provinz oder einer Fachrichtung zusammen. Nebenmehreren Verlagen gehören in der Regel auch ein Vertriebsunternehmen, eine Druckerei und eineImport-Export-Firma fest in einen solchen Verlagskonzern modernen Zuschnitts. Bis Ende 2006gab es bereits über 50 solcher Verlagsgruppen. (Cai 2007)

37

erfordernis. Sie sind aus ökonommischer Sicht sogar eher kontraproduktiv, weil

sich bisweilen Verlage innerhalb einer Gruppe gegenseitig Konkurrenz machen

und die Vertriebsstrukturen viel zu geringe Kapazitäten und zu kleine Netze ha-

ben, um den Vertrieb der großen Titelzahl einer solchen Verlagsgruppe zu bewäl-

tigen.147 Dies und die Unklarheit von Kompetenzen und Hierarchien zwischen den

einzelnen Unternehmen lassen die einzelnen Unternehmen nach wie vor weit-

gehend unabhängig voneinander agieren.148 Es handelt sich somit vielmehr um

einen politisch motivierten Zusammenschluss: Mit der Konzentration mehrerer

Verlage unter einer Administration erhofft sich die Regierung, ihre staatliche Kon-

trolle, die mit dem schnellen Wachstum des Buchmarktes immer schwieriger wur-

de, in Zukunft wieder leichter durchführen zu können.149 So untersteht beispiels-

weise die im Mai 2000 gegründete China Childrens’ Press and Publication

Group150 (CCPPG) dem Zentralkomitee der Kommunistischen Jugendliga und er-

möglicht somit die Kontrolle von etwa einem Neuntel der gesamten jährlichen Pro-

duktion chinesischer Kinder- und Jugendbuchtitel.151

Neder kommt in ihrer Analyse, welche die Jahre 1978 bis 1995 umfasst, zu dem

Schluss, dass „die KPCh die zentrale und absolute Entscheidungsgewalt und den

Führungsanspruch [...] für das chinesische Buch- und Verlagswesen offiziell niemals

aufgegeben oder auch nur eingeschränkt“ hat.152 Grundlegend hat sich daran seit-

dem nichts geändert. Somit wird wohl trotz der bereits vorgenommenen allmähli-

chen Transformation im Buch- und Verlagswesen vom staatlich-planwirtschaftlichen

zum marktwirtschaftlichen System, trotz der Entwicklung des Buchmarktes vom

Monopol- zum Wettbewerbsmarkt und trotz des Wandels von einem geschlossenen

zu einem sowohl national als auch international offenen Markt der Gegensatz zwi-

schen Diversifizierung, Privatisierung und Kommerzialisierung auf der einen und

ideologischer Funktionalisierung und staatlicher Kontrolle auf der anderen Seite

147 Politis 2004: S. 44148 Licher 2005: S. 65; Politis 2004: S. 16149 Frankfurter Buchmesse 2004150 Zhongguo shaonian ertong xinwen chuban zongshe 151 Xin Guangwei 2005: S. 51f.152 Neder 1999: S. 127f.

38

ohne politische Reformen weiterhin bestehen bleiben.153 In der Verwaltungsvor-

schrift für den Publikationsmarkt“ vom 1. September 2003 heißt es in §1 Absatz 3:

„Der Verlagsbetrieb hat an der Linie des Dienstes am Volke und am Sozialismus

festzuhalten, sich fest vom Marxismus-Leninismus, den Mao-Zedong-Ideen und der

Theorie Deng Xiaopings leiten zu lassen [...].“154 Seit April 2005 gibt es politische

Fortbildungsmaßnahmen für die Verlagsbranche zum Thema „Fortschrittlichkeit der

Kommunistischen Partei Chinas“155, Verleger werden nach wie vor von der Partei

ernannt.156 Doch die staatliche Kontrolle wird in dem Maß, in dem sich der Markt

öffnet und diversifiziert, immer schwieriger. Die Regierung sieht sich mit dem Pro-

blem konfrontiert, in einem Publikationswesen, dass sich zunehmend an den Markt-

gesetzen orientiert, ihre Ideologie, Ideale und Werte zu sichern.157

3.5 Kinder- und Jugendliteraturpreise

In den 1980er und 1990er Jahren kam es kontinuierlich zur Schaffung neuer Lite-

raturpreise für KJL. Die Vergabe von Literaturpreisen zählt in China zu den ein-

flussreichen Maßnahmen der Steuerung der Lesermotivation, indem Werke von

offizieller Seite als lesenswert hervorgehoben werden. Zu den Beurteilungskrite-

rien nominierter Werke zählen das Thema, das positiv sein soll, eine realistische

und lebendige Figurenzeichnung mit eindeutigen Charakteren, eine abwechs-

lungsreiche Handlung, gute Lesbarkeit und literarische Qualität.158 Die Preise wer-

den meist von zentralen Institutionen vergeben, die eng mit Partei und Regierung

zusammenhängen: Der „Nationale Preis für künstlerisches Schaffen für Kinder

153 Neder 1999: S. 90154 Deutsch zitiert nach einem Handout vom Sommersemester 2005 eines Seminars zum chinesi-schen Buchmarkt, erarbeitet von deutschen und chinesischen Studenten, Lehrstuhl für Buchwis-senschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, betreut durch Frau ProfessorUrsula Rautenberg.155 Frankfurter Buchmesse 2005156 Politis 2004: S. 9157 Wei Ze 1995: S. 459Das Vorgehen gegen unerwünschte ausländische, v.a. japanische Comics von Seiten der Regie-rung ist ein Beispiel für eine weitgehend erfolglose staatliche Intervention: Um die Verbreitung derals negativen Einfluss erachteten Mangas einzudämmen, sollte ab 1996 die Produktion einheimi-scher Comics durch gezielte Verlagsgründungen und Veröffentlichungen gefördert werden. Dochnach wie vor dominieren vor allem japanische Comics den Markt. (Wang Quangen 2004: S. 15)158 Han Jin 1999: S. 41

39

und Jugendliche“159 wird vom Chinesischen Schriftstellerverband, dem Kultur- und

dem Erziehungsministerium sowie zahlreichen weiteren Institutionen verliehen,160

der „Nationale Preis für hervorragende Kinderliteratur“161, der heute zu den wich-

tigsten Preisen zählt, wenn nicht sogar der wichtigste für die chinesische KJL

überhaupt ist, wird vom Chinesischen Schriftstellerverband verliehen.162 Darüber

hinaus gibt es Preisträger in der Kategorie KJL beim „Chinese Book Award“ und

dem „National Book Award“, die jeweils zweimal pro Jahr von der GAPP verliehen

werden.163 Die Tatsache, dass Institutionen auf höchster Ebene mit dieser Aufga-

be betraut sind, lässt erkennen, welchen hohen Stellenwert die KJL in der Volks-

republik einnimmt.

159 Quanguo shaonian ertong wenyi chuangzuo pingjiang 160 Bereits 1954 hatte die erste Verleihung des „Nationalen Preises für künstlerisches Schaffen fürKinder und Jugendliche“ stattgefunden. Wegen der politisch instabilen Situation und der Jahre derKulturrevolution dauerte es aber bis 1980, bis die zweite Verleihung dieses Preises stattfand, mitdem als herausragend geltende Werke aus den Jahren 1954 bis 1979 ausgezeichnet wurden.Diese stammten zum Großteil aus der Zeit vor der Kulturrevolution. Die Preiskategorien umfassenLiteratur, Theater, Film, Musik und Kunst. (Wang Quangen 2004a: S. 13f.; Huang Yunsheng 2004:S. 166)161 Quanguo youxiu ertong wenxue jiang 162 1988 wurde er zum ersten Mal verliehen, vier Jahre später zum zweiten Mal, dann im Abstandvon zwei bis drei Jahren.163 Weitere Preise für KJL: 1981 wurde der „Chen-Bochui-Kinderliteraturpreis“ (Chen Bochui er-tong wenxue jiang ) gegründet, zu dem es bei jeder Verleihung eine Veröffent-lichung mit Auszügen aus den preisgekrönten Werken gibt (Chen Bochui ertong wenxue jiang huo-jiang zuopin ji ). 1987 kam der „Song-Qingling-Preis für KJL“(Song Qingling ertong wenxue jiang ) hinzu, der gemeinsam von der Song-Qingling-Stiftung, dem Kultur-, dem Erziehungsministerium, dem Kommunistischen Jugendverbandund in Zusammenarbeit mit vielen weiteren Institutionen einmal pro Jahr verliehen wird. (WangQuangen 2004a: S. 20f.) 1990 wurde der jährlich verliehene Bing-Xin-Kinderbuchpreis (Bing Xinertong tushu jiang ) ins Leben gerufen, bei dem es ebenfalls zu jeder Preisver-leihung eine Veröffentlichung gibt (Bing Xin ertong wenxue xinzuojiang huojiang zuopin ji

). (Wang Quangen 2004a: S. 20f.) Zusätzliche Informationen zu deneinzelnen Preisen siehe Wang Quangen 2004a: S. 13, 19ff.

40

4 Das Autoritätsverständnis in der chinesischen Kinder- und

Jugendliteraturwissenschaft

Bei näherer Beschäftigung mit der chinesischen KJL-Wissenschaft stößt man im-

mer wieder auf dieselben Namen. Es gibt eine Handvoll Wissenschaftler, die sich

auf dieses Thema spezialisiert haben und zumeist in mehreren Funktionen tätig

sind: Literaturwissenschaftler sind gleichzeitig als Autoren tätig – z.B. Mei Zihan

und Cao Wenxuan –, Autoren führen Verlage – z.B. Qin Wenjun und Qi Zhi – und

meist sind sie Mitglied eines oder mehrerer Komitees, die wiederum einer staat-

lichen Einrichtung unterstehen. Diese personale Konzentration erleichtert die

Homogenisierung eines eigentlich sehr komplexen und vielfältigen Bereichs, da

die KJL-Wissenschaft auf diese Weise sowohl mit dem institutionellen Rahmen als

auch der Produktion eng verbunden ist. Wegen dieser engen Vernetzung ist an-

zunehmen, dass die theoretische Diskussion der chinesischen KJL-Wissenschaft

zum einen die Wünsche der Regierung widerspiegelt, zum anderen relativ großen

Einfluss auf die tatsächliche Entwicklung der KJL nimmt, indem Themen und Ein-

stellungen, die in wissenschaftlichen Debatten erarbeitet werden, ihre unnmittel-

bare Umsetzung finden.

Um das in der chinesischen KJL-Wissenschaft vorherrschende Autoritätsver-

ständnis herauszuarbeiten, werden im Folgenden zunächst die Hauptbestandteile

des konfuzianischen Hierarchiebegriffs und deren Einfluss auf das Autoritätsver-

ständnis aufgewiesen. Im Anschluss daran wird das Kindheitsbild in der chine-

sischen KJL-Wissenschaft als Resultat dieser Sichtweise in seiner historischen

Entwicklung dargestellt.

41

4.1 Der konfuzianische Hierarchiebegriff als zentrales Element des chine-

sischen Autoritätsverständnisses

Auch wenn es ein bis heute mentalitätsprägendes, durchwegs konfuzianisches

China nie gab, war der Konfuzianismus164 doch ein sehr bedeutender Einfluss-

faktor.165 Er wurde zwar im Laufe der Jahrhunderte als führende Geistesrichtung

wiederholt vehement angegriffen und zeitweise auch in seiner Bedeutung stark

beschränkt, er wurde aber bis heute nie vollkommen außer Kraft gesetzt.166 Gerade

im Bezug auf die Kindererziehung und das Autoritätsverhältnis zwischen Erwach-

senen und Kindern spielt die konfuzianische Tradition mit ihrer auf Hierarchie und

gesellschaftlichen Unterschieden basierenden sozialen Ordnung seit Jahrhunder-

ten eine zentrale Rolle, z.B. waren alle Texte, die im klassischen China von Kin-

dern und Jugendlichen rezipiert wurden, konfuzianisch geprägt. Um sich dem in

China vorherrschenden Autoritätsverständnis nähern zu können, ist daher der

konfuzianische Hierarchiebegriff ein zentraler Ansatzpunkt.

4.1.1 Grundlegende Elemente des konfuzianischen Hierarchiebegriffs

Konfuzius (551-479 v. Chr.) betrachtete die Herrschafts- und Gesellschaftsord-

nung der Zhou (11. Jh.-221 v. Chr.)167 als vom Himmel gegebene Naturordnung

und somit als vollkommen und abstrahierte aus den Zhou-Riten, den „li“ ( ), einem

Regelwerk, das die gesellschaftliche Ordnung gewährleisten sollte, eine absolute

und allgemeingültige Gesellschaftsordnung für die Zeit des sozialen und politi-

schen Aufbruchs, in der er lebte. Seiner Meinung nach lag der Hauptgrund für die

Gesellschaftskrise und die Kriege zu seinen Lebzeiten in der moralischen Ver-

164 Der Konfuzianismus ist schwerlich mit einer exakten Definition zu erfassen, doch steht er fürWerte wie Gemeinschaftsbezogenheit, Hierarchie, Ordnung, Erziehung und Lernen, bürokratischeStrukturierung und Wirtschaftstugenden wie Fleiß und Sparsamkeit. (Möller 2000: S. 15)165 Roetz 2003: S. 385f.Neben dem Konfuzianismus zählen auch der Daoismus und der chinesische Buddhismus zu dengrundlegenden Bestandteilen des chinesischen Denkens (Linck 1986: S. 76), auf die bis auf weni-ge Hinweise jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen wird, da ihr Einfluss keinesolche mentalitätsprägende Kontinuität aufweist wie der des Konfuzianismus.166 Liang Yong 1998: S. 73167 Die Zhou-Dynastie wird unterteilt in die westliche (11. Jh.-770 v. Chr.) und die östliche Zhou-Dynas-tie (770-256 v. Chr.). Die östliche wiederum teilt sich in die „Frühlings- und Herbstzeit“ (chunqiu

) (770-476 v. Chr.) und die Zeit der „Streitenden Reiche“ (zhanguo ) (475-221 v. Chr.).

42

kommenheit, weshalb er die Lösung dieses Problems im Ideal des „junzi“ ( )

sah, des Edlen, des moralisch integren Herrschers, der sich den „li“ entsprechend

verhalten und somit als Vorbild fungieren sollte. Diesem sollte das untergeordnete

Volk die Herrschaft anvertrauen.168 Das „li“-konforme Handeln und Verhalten war

für Konfuzius die Grundlage einer menschlichen sozialen Ordnung, da ohne

Kenntnis der „li“ niemand seine Rolle und Stellung innerhalb der Gesellschaft fin-

den könne. Genau das hielt er aber für elementar, weil diese Stellung die Rechte

und Pflichten eines jeden definierten. Die Akzeptanz und Einhaltung dieses genau

definierten Platzes in der gesellschaftlichen Ordnung setzt die Anerkennung von

Hierarchien und somit von Autorität voraus.

Als zentraler Knotenpunkt innerhalb des „li“-Systems galt „ren“ ( ), die Mensch-

lichkeit oder Herzensgüte oder, wie Metzger es ausdrückt, „die der Eigenliebe

gleich starke Nächstenliebe“169. Als die wichtigsten Ausprägungen von „ren“ galten

neben der Sittlichkeit, der Rechtschaffenheit, der Vertrauenswürdigkeit und der

Weisheit170 die kindliche Ehrfurcht oder Pietät den Eltern gegenüber, „xiao“ ( ),

und „zhong“ ( ), die Loyalität dem Staat gegenüber.171 Diese beiden Tugenden

sind grundlegend für das konfuzianische Hierarchieverständnis und gleichzeitig

sind es die beiden bedeutendsten Konzepte der traditionellen chinesischen Moral:

„xiao“ als Basis der familiären und „zhong“ als Basis der gesellschaftlichen Moral.

Als solche – eng miteinander verbunden – hatten sie großen Einfluss auf die über-

lieferten politischen und gesellschaftlichen Muster in China.172 Sie werden in den

ersten beiden der konfuzianischen „Drei Grundregeln”173 genannt: „Der König

herrscht über seine Untertanen, der Vater herrscht über seinen Sohn.“174 Bei ers-

terem steht die Loyalität im Mittelpunkt, bei zweitem die kindliche Pietät.175

168 Liang Yong 1998: S. 53; Song 1983: S. 74f.169 Metzger 1990: S. 324170 li , yi , xin , zhi 171 Lau Kweuk Keung 1990: S. 245; Liang Yong 1998: S. 62f.172 Lee Cheuk Yin 1990: S. 114173 sangang Die dritte Grundregel lautet: „Der Mann herrscht über seine Frau.“ (fu wei qi gang )(Liang Yong 1998: S. 50)174 jun wei chen gang, fu wei zi gang ,, 175 Liang Yong 1998: S. 50

43

Das Konzept der kindlichen Ehrfurcht ist älter als das der Loyalität. Konfuzius hat

es nicht selbst entworfen, sondern aus der Zhou-Zeit übernommen und stark her-

vorgehoben, da er „xiao“ für die Ausprägung eines idealen moralischen Charak-

ters als unabdingbar erachtete.176 „Xiao“ setzt sich aus drei Bereichen zusammen:

der Ehrfurcht vor den Eltern als Grundstein allen moralischen Handelns, dem Un-

terhalt für die Eltern und dem Gehorsam gegenüber den Eltern.177 Konfuzius prä-

zisierte, dass die Ausübung von „xiao“ keine reine Formalität oder Pflichterfüllung

sein sollte, „sondern das natürliche, spontane Produkt kindlicher Zuneigung, ein

inniger Herzenswunsch, der respektvoll und aufrichtig verwirklicht werden muss

[...]“178. Eine solche durch „xiao“ gekennzeichnete Eltern-Kind-Beziehung sollte

auch die Grundlage und das Vorbild für die Beziehung zwischen Herrscher und

Untertanen sein.179 Der Begriff der kindlichen Ehrfurcht schließt demnach den der

Loyalität gewissermaßen mit ein.180 Dabei ist zu beachten, dass sich der konfuzia-

nische Hierarchiebegriff, der beiden Konzepten zugrunde liegt, aus zwei Haupt-

elementen zusammensetzt: zum einen aus dem Respekt vor der Autorität an sich,

was mit der Akzeptanz einer genau festgelegten gesellschaftlichen Position eines

jeden einhergeht, zum anderen aus der Überordnung der Moral über die Autori-

tät.181 Demnach ist der Respekt vor Autorität im konfuzianischen Konstrukt kei-

neswegs unbegrenzt: Untertanen sollten nur dann zur Loyalität verpflichtet sein,

wenn der Herrscher das Primat der Moral befolgte und somit seine Pflicht, als mo-

ralisches Vorbild zu dienen, erfüllte.182 Bei moralischen Vorbehalten waren sowohl

Minister und Beamte gegenüber dem Herrscher als auch Kinder gegenüber ihren

Eltern zu Kritik aufgerufen.183 Als Reaktion auf Nichtbefolgung von Kritik durch

Beamte sollte im Falle eines Herrscher-Untertanen-Verhältnisses sogar die Auflö-

sung der Beziehung in Erwägung gezogen werden, da diese, anders als bei der

Eltern-Kind-Beziehung, künstlich geschaffen und daher veränderlich sei.184 In der

Realität aber wurden mit zunehmender Macht des Herrschers die hierarchischen

176 Lee Cheuk Yin 1990: S. 118177 Liang Yong 1998: S. 55178 Lee Cheuk Yin 1990: S. 119179 Liang Yong 1998: S. 55180 Lee Cheuk Yin 1990: S. 121181 Metzger 1990: S. 322182 Lee Cheuk Yin 1990: S. 132183 Lee Cheuk Yin 1990: S. 120; Metzger 1990: S. 321; Roetz 2003: S. 387184 Lee Cheuk Yin 1990: S. 120

44

Unterschiede immer ausgeprägter, so dass Beamte und Minister von ursprünglich

Gleichgestellten zu Dienerfiguren wurden und das konfuzianische Hierarchiever-

ständnis auf einen blinden Gehorsam gegenüber Autoritäten reduziert wurde. Das

moralische Bewusstsein, das diesem Konzept ursprünglich zugrunde lag, rückte

allmählich in den Hintergrund und die ursprünglich auf Reziprozität angelegte

Hierarchie und Differenz, die für alle Beteiligten vorteilhaft sein sollte, wurde ein-

seitig. Der Kern der ursprünglichen konfuzianischen Ideen, nach denen Tugenden

wie „zhong“ und „xiao“ nicht als Unterwerfung unter eine von außen aufgezwun-

gene Autorität und Hindernis der Selbstverwirklichung aufgefasst wurden, sondern

als Appell an quasi naturgegebene gesellschaftliche Verpflichtungen als Vorbe-

dingung der Selbstverwirklichung, ging somit verloren.185

4.1.2 Die Bedeutung des konfuzianischen Hierarchiebegriffs

4.1.2.1 Konfuzianische Einflüsse in den Jahren um die 4.-Mai-Bewegung

Nach dem Eindringen von sozio-ökonomischen Lehren aus dem Westen sowie

von westlicher Philosophie und Literatur kam in China ab dem späten 19. Jahr-

hundert ein euphorisches Interesse am Westen auf, das mit einer Skepsis gegen-

über der eigenen Tradition einherging.186 Da die technische Überlegenheit der

westlichen Mächte deutlich wurde, wurden die Staatsform und das Ausbildungs-

system der westlichen Länder als vorbildhaft erachtet. Es wurden in China auslän-

dische Missionarsschulen eingerichtet, durch die das westliche Gedankengut

schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend das chinesische

Bildungssystem durchdrang, so dass westlicher Lernstoff sogar vorübergehend

Gegenstand der Beamtenprüfungen wurde.187 Die primär moralisch ausgerichtete,

traditionelle konfuzianische Erziehung und Ausbildung erlitt dadurch einen deutli-

chen Bedeutungsverlust, da ihr bis dahin normativer Charakter zunehmend aufge-

hoben wurde.

185 Lee Cheuk Yin 1990: S. 123-133; Metzger 1990: S. 310f.; Roetz 2003: S. 387186 Möller 2000: S. 18187 Farquhar 1999: S. 21

45

Die Intellektuellen der 4.-Mai-Bewegung um Lu Xun188 stellten der alten, dunklen

traditionellen Welt des Konfuzianismus die strahlend helle Zukunft gegenüber, für

welche die Kinder zum Symbol wurden.189 Die neuen Werte der meist jungen,

westlich gebildeten revolutionären Intellektuellen lauteten Freiheit, Gleichheit, De-

mokratie190 und Wissenschaft. Für sie war ein siegreicher Kampf für diese Werte

nur in Verbindung mit dem Bruch mit der eigenen Tradition durchführbar, allen

voran mit dem dominierenden konfuzianischen Einfluss.191 Der Konfuzianismus

sollte als verbindliche Staatsphilosophie ausgedient haben und seine jahrhunder-

telange, wenn auch wechselnd starke Dominanz sollte beendet werden. Zur anti-

konfuzianischen Losung der 4.-Mai-Bewegung wurde das von Hu Shi geprägte

Schlagwort „Nieder mit dem Konfuzius-Laden“192, mit dem der Konfuzianismus als

System der Ungleichheit und Unterdrückung angegriffen wurde. Die Befreiung aus

seiner Moral, insbesondere die Befreiung aus der durch Gehorsam gegenüber

Älteren und der durch ein patriarchalisches System geprägten Familienmoral,

wurde als Voraussetzung für die Freiheit des chinesischen Volkes und die Schaf-

fung eines modernen Staatswesens betrachtet, die China aus der Isolation führen

sollte.193 Das Ziel der Reformer für die Zukunft Chinas war die Gleichheit aller –

eine vom Marxismus beeinflusste egalitäre Gesellschaft –, die durch eine Revolu-

tionierung des bestehenden Klassensystems verwirklicht werden sollte.194 Der So-

zialismus sollte der Weg zur Erneuerung Chinas sein.195 Dabei entdeckte man die

Kinder, die zukünftige Generation, als zentrale Träger der Modernisierung, wes-

halb man sich verstärkt über ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft Gedanken

machte. Zu jener Zeit war die stark verwurzelte hierarchische Sozialstruktur nach

wie vor gültig, die besagte, dass das Kind die Basis der Familie und die Familie

188 Zu den führenden Reformern zählten in erster Linie Intellektuelle um die Beijing Daxue, die zumGroßteil mehrere Jahre im Ausland verbracht hatten und dementsprechend sensibilisiert waren fürdie Rückständigkeit Chinas. (Weggel 1989a: S. 36ff.)189 Farquhar 1999: S. 115190 Staiger 1990: S. 140Mit den Rufen nach Demokratie ging es den Intellektuellen weniger um Bürgerrechte und die Be-teiligung des Volkes an der Regierung, „sondern um die Formulierung einer starken, vom Patrio-tismus des Einzelnen getragenen Nation“. (Seitz 2000: S. 144)191 Staiger 1990: S. 140192 dadao kongjiadian Liang Yong 1998: S. 73; Möller 2000: S. 18f.; Staiger 1990: S. 141193 Liang Yong 1998: S. 74; Staiger 1990: S. 141194 Farquhar 1999: S. 115, 143; Hsü 1995: S. 505; Seitz 2000: S. 143f.195 Frick 2002: S. 9

46

wiederum die Basis des Staates sei, was die Unterordnung unter die Autorität des

Vaters und der Gruppe und somit Verzicht auf individuelle Autonomie bedeute-

te.196 Doch nach Wunsch der Intellektuellen der 4.-Mai-Bewegung sollten Kinder

nicht mehr nach konfuzianischer Tradition primär der Familie verpflichtet sein,

sondern vor allem zu Staatsbürgern mit entsprechenden Rechten und Pflichten

erzogen werden.197 Kindererziehung wurde demnach nicht mehr nur als Sache der

Familien, sondern auch und sogar primär als soziale Frage mit großer politischer

Relevanz angesehen,198 was zu einem Umdenken bei traditionellen Mustern führte

und die Bedeutung der Tugend „xiao“ zugunsten von „zhong“ verringerte.

4.1.2.2 Konfuzianische Einflüsse unter Mao

Der Gedanke, Kinder in erster Linie zu Staatsbürgern zu erziehen, wurde in den

Jahren vor und besonders nach der Gründung der Volksrepublik bis zur totalen

Verpflichtung gegenüber dem Staat übersteigert. Die vorher durch das konfuziani-

sche Sozialsystem vorgegebene Hierarchie innerhalb der Familie und zwischen

den Generationen verlor an Bedeutung. Die besondere Rolle der „Roten Garden“

während der Kulturrevolution stellte das traditionelle Autoritätsverhältnis völlig auf

den Kopf: Es fand eine Umkehrung der traditionellen kindlichen Pietät statt, indem

man Kinder und Jugendliche dazu aufrief, sich gegen Eltern und Lehrer – vormals

unangetastete Autoritäten – aufzulehnen, sie bloßzustellen und sogar zu schla-

gen, nachdem man sie jahrhundertelang gelehrt hatte, die Alten zu ehren und zu

respektieren. Maos ablehnende Haltung gegenüber der konfuzianischen Tradition

war allerdings wechselhaft und ebenso widersprüchlich wie sein gesamter politi-

scher Kurs der 1960er und 1970er Jahre. Propagierte er noch in den 60er Jahren,

die konfuzianische Tradition dürfe nicht aufgegeben werden, griff er sie in den

Jahren der Kulturrevolution im Kampf gegen die „Vier Alten“ radikal an. Konfuzius

wurde „in ein negativ übersteigertes Symbol verwandel[t], das dem aktuellen poli-

tischen Kampf diente“.199 Den Höhepunkt erreichte die Anti-Konfuzius-Kampagne

196 Farquhar 1999: S. 33; Frick 2003: S. 371197 Frick 2003: S. 371198 Farquhar 1999: S. 33199 Staiger 1990: S. 146

47

in den Jahren 1973-74, in denen Konfuzius als Synonym für das Böse schlechthin

galt.200 Gegen Ende der Kulturrevolution dagegen lautete die Parole, Altes solle in

den Dienst der Gegenwart gestellt werden.

Auch wenn die Haltung Maos gegenüber der konfuzianischen Tradition wechsel-

haft und uneindeutig war, war das Ziel der maoistischen Politik klar: Die traditio-

nelle Loyalität gegenüber der Familie sollte vollkommen auf den Staat und die

Partei umgelenkt werden. Die Parole lautete: „Du sollst nicht deinen Vater lieben,

du sollst nicht deine Mutter lieben; du sollst nur dein Land lieben.“201 Die lange

Tradition von Abhängigkeiten in der konfuzianischen Gesellschaftsordnung – Ab-

hängigkeit vom Beamten, Vater, Ehemann, Sohn – wurde im Kommunismus ge-

zielt umfunktioniert in Abhängigkeiten von Funktionären und der Partei, womit vor

allem eine geistige Abhängigkeit von Doktrin und Ideologie bezweckt wurde.202

Kirsch und Mackscheidt machen darauf aufmerksam, dass trotz all der fundamen-

talen Veränderungen, die China in den Jahren vor und nach der Gründung der

Volksrepublik durchlief, allen voran die Veränderung des geistesgeschichtlichen

Hintergrundes vom Konfuzianismus als Hauptprägung hin zum Marxismus, bei

Betrachtung der jeweiligen Terminologie erstaunlich viele Parallelen zu entdecken

seien. Diese seien auf die Betonung zurückzuführen, die sowohl im Konfuzianis-

mus als auch im Marxismus auf die Bedeutung der vertikalen Ordnung gelegt wird.

Darüber hinaus seien Werte wie Kollektivismus, Selbstlosigkeit und Altruismus

beiden Lehren eigen.203 So könne der Fürst mit dem ZK der KPCh gleichgesetzt

werden, die Riten mit der revolutionären Praxis, die Autorität des Fürsten mit der

Führungsrolle der Partei usw.204

„Die Ansicht ist nicht völlig abwegig, dass Mao Zedong unter dem Bannerdes Marxismus seine Revolutionäre anführte, aber in der Tat und Wirk-lichkeit ein konfuzianischer Kaiser geworden war; die Rotgardisten riefenihm zu, er möge zehntausend Jahre leben; es ist dies der Huldigungsruf,der allein dem Sohn des Himmels gebührte.“205

200 Roetz 2003: S. 389; Staiger 1990: S. 146201 Zitiert nach Lee Cheuk Yin 1990: S. 132202 Jóo 1999: S. 91203 Wu 1996: S. 20204 Vgl. Kirsch und Mackscheidt 1990: S. 428205 Kirsch und Mackscheidt 1990: S. 429

48

Der Maoismus versuchte zwar, das konfuzianische Gedankengut durch maoisti-

sches zu verdrängen, führte es aber de facto, wenn auch mit anderer Schwer-

punktsetzung, weiter. Die ehemals feudale hierarchische Gesellschaft wurde

durch eine neue kommunistische Parteihierarchie ersetzt.

4.1.2.3 Konfuzianische Einflüsse im post-maoistischen Autoritätsverständnis

Mitte der 1980er Jahre kam es in der Volksrepublik zu einem erneuten Aufschwung

der Konfuzius-Forschung.206 Die verstärkte Rückbesinnung auf die eigene kulturelle

Tradition mag auf den ersten Blick überraschen, darf aber wohl nicht als Stärkung

des Konfuzianismus auf Kosten des Kommunismus fehlinterpretiert werden. West-

liche Sinologen deuten sie vielmehr als gezielte Instrumentalisierung der volkstüm-

lichen konfuzianischen Tradition durch die Kommunistische Partei „als Bollwerk

gegen das Eindringen unliebsamer ‚westlicher Werte‘“207 und Ausdruck eines zu-

nehmenden kulturellen Nationalismus.208 Seit den Opiumkriegen wurde die Identität

Chinas durch den Ansturm westlicher Ideen wiederholt schwer erschüttert. Sie

erfuhr in der Ära Mao Zedong eine vorübergehende Festigung, wird aber seit der

Reformpolitik der 1980er Jahre erneut stark in Frage gestellt.209 Je mehr sich die

kommunistische Ideologie verbraucht, desto wichtiger scheint die identitätsstiftende

und politisch-legitimatorische Funktion der Kulturtradition, die außerdem das Kollek-

tiv und nicht den Einzelnen betont und somit der kommunistischen Propaganda

sehr dienlich ist.210 Möller erklärt diese vorher in der Volksrepublik nicht gekannte

affirmative Haltung dem Konfuzianismus gegenüber als Mittel für die Reform, als

Lehre aus dem Scheitern der radikalen Neuerung während der Kulturrevolution:

„Man unterstützt den Konfuzianismus und inszeniert ihn jetzt, um ein neues China

zu begründen, das nicht sofort wieder an der Radikalität seiner Neuheit zerbricht.”211

In der Rückbesinnung auf den Konfuzianismus erhoffte sich die chinesische Füh-

206 Staiger 1990: S. 146207 Roetz 2003: S. 389208 Möller 2000: S. 25; Staiger 1990: S. 147209 Scharping 1990: S. 381210 Roetz 2003: S. 389; Staiger 1990: S. 147211 Möller 2000: S. 25

49

rung, einen „Weg aus der moralischen Krise“212 zu finden, die sich ab Mitte der

1980er Jahre mit vermehrtem Eindringen westlicher Einflüsse und kapitalistischer

Wertvorstellungen zunehmend abzeichnete. Durch den immer stärker werdenden

Konkurrenzkampf im Zuge der wirtschaftlichen Umgestaltung und des Abbaus von

Sozialleistungen kamen Orientierungslosigkeit und ein häufig zitiertes „Werte-

vakuum“ auf: Für das Selbstverständnis der Chinesen grundlegende traditionelle

Wertvorstellungen gerieten durch die Dominanz ausländischer Einflüsse in den

Hintergrund.213 Die befürchtete „Krise der chinesischen Kultur“ und der drohende

Verlust der „kulturellen Identität“214 zeigte sich zum Beispiel in einer drastisch zu-

nehmenden, den chinesischen – sowohl traditionellen als auch sozialistischen –

Gepflogenheiten widersprechenden Ich-Bezogenheit, welche die etablierte Gesell-

schaftsordnung zu gefährden drohte. Hierbei sollte die Wiederbelebung des Kon-

fuzianismus als Gegenmittel helfen, schätzt er doch mit seiner Betonung auf

„menschliche[r] Verbundenheit und Pflichten den Eigennutz gering“.215 Die Rück-

besinnung auf die konfuzianische Tradition war Teil des sogenannten „Kultur-

fiebers“ der 1980er Jahre, im Rahmen dessen die chinesische Kulturtradition zum

Gegenstand offizieller, intellektueller und populärwissenschaftlicher Diskussionen

wurde und der Konfuzianismus eine Neubewertung erfuhr.216

„[...] in China war die konfuzianische Tradition lange Zeit als das Hinder-nis bei der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung betrachtetworden. Die rapide wirtschaftliche Entwicklung der ostasiatischen Länderführte [...] [jedoch] zu der Überzeugung, dass der Konfuzianismus für einWirtschaftsswachstum von Nutzen ist und außerdem zur Behebung derwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Missstände der modernen Indus-triegesellschaft herangezogen werden kann.“217

Die Wiederbelebung des konfuzianischen Gedankenguts kam der Machtlegiti-

mierung der KPCh nur zugute: So wie der Konfuzianismus einen intellektuell-

moralischen Elitismus vertritt, bei dem die gesellschaftliche Elite, nämlich die Be-

amten im kaiserlichen China, „advokatorisch das Interesse des Volkes [vertritt],

statt diesem eine grundsätzliche Beteiligung an der Politik zuzutrauen“218, genau-

212 Liang Yong 1998: S. 75213 Ommerborn 2000: S. 58214 Geist 1996: S. 3215 Liang Yong 1998: S. 75216 Geist 1996: S. 3ff.217 Geist 1996: S. 242218 Roetz 2003: S. 390

50

so meint die KPCh die Interessen der Genossen so gut zu kennen und repräsen-

tieren zu können, dass das Volk erst gar nicht nach seiner Meinung gefragt wer-

den muss. Dabei stützt sich die Partei jedoch nicht auf den konfuzianischen Kau-

salzusammenhang, dass sie ihrer moralischen Vorbildfunktion wegen als Autorität

anerkannt wird, sondern auf den im Marxismus verankerten Anspruch, „als revolu-

tionäre Avantgarde im Besitz marxistischer Erkenntnistheorie ganz besonders

fähig zu sein, die Gesellschaft und ihre Entwicklungstendenzen wissenschaftlich-

objektiv zu analysieren“, woraus sie ihre „Elitefunktion in allen Domänen des Le-

bens“219 ableitet. Liang Yong kommt darüber hinaus zu dem Schluss, dass sowohl

der im Konfuzianisumus als auch der im Kommunismus angestrebte Typus von

Mensch in einem zentralen Punkt übereinstimmen: Sowohl ein konfuzianischer

„junzi“ ( ) als auch ein kommunistischer „hao ren“ ( ) soll ein starkes Zuge-

hörigkeitsgefühl zum Kollektiv und einen unkritischen Glauben an Autorität und

Autoritäten haben.220

Ein letzter, nicht zu vernachlässigender Aspekt bezüglich des konfuzianischen

Einflusses auf das heutige chinesische Autoritätsverständnis zwischen Kindern

und Erwachsenen ist die Ein-Kind-Politik der letzten zweieinhalb Jahrzehnte. Die

chinesische Bevölkerungspolitik führte dazu, dass die moderne chinesische Ge-

sellschaft Phänomene aufweist, die im konfuzianischen Gedankengut nicht be-

rücksichtigt wurden, wie die „kleinen Kaiser“221. Besonders in den entwickelten

Großstädten in der Küstenregion im Osten Chinas droht dieses Phänomen der

verwöhnten Einzelkinder zu einem gesellschaftlichen Problem zu werden, für des-

sen spätere, zwangsläufig auftretenden Konsequenzen, wie z.B. fehlende soziale

Kompetenzen und eine mangelnde Alterssicherung durch die Kinder, noch keine

Lösungen gefunden wurden. In diesem Zusammenhang wird an die junge Genera-

tion appelliert, ihren traditionellen kindlichen Pflichten, nämlich der Pflege und

Versorgung der alten Eltern, nachzukommen. Doch gerade im Bezug auf die kind-

liche Pietät und den traditionellen Respekt vor den Alten bemerkt Lee Cheuk Yin

mit ironischem Unterton, dass die „neue“ kindliche Ehrfurcht nicht mehr von unten

219 Bucher 1986: S. 38220 Liang Yong 1998: S. 257221 xiao huangdi

51

nach oben, sondern umgekehrt sei: „Alle Familienmitglieder, Eltern wie Groß-

eltern, tun ihr Möglichstes, um dem ‚kleinen Kaiser‘ Freude zu bereiten.“222

Darüber hinaus erfuhr „xiao“ eine Veränderung dadurch, dass sich allmählich ein

verändertes, weniger autoritäres Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern

im realen gegenwärtigen China bemerkbar macht, das auf die Einführung der

Ein-Kind-Politik zurückgeführt wird: Die Tatsache, dass Kinder aus Mangel an

Geschwistern die meiste Freizeit mit den Eltern verbringen, hat nach Untersuchun-

gen Chen Danyans großen Einfluss auf das Verhältnis zwischen Eltern und Kin-

dern sowie zwischen Kindern und Erwachsenen allgemein, da Eltern zunehmend

zu Freunden und Spielgefährten für ihre Kinder werden, wodurch die autoritäre

Komponente in den Hintergrund rückt.223

4.2 Das Kindheitsbild als zentrales Element der chinesischen Kinder-

und Jugendliteraturwissenschaft

Seit dem frühen 20. Jahrhundert gelten Kinder in der chinesischen Gesellschaft

als zentrales Element für soziale Veränderungen und die zukünftige nationale

Entwicklung. Dass den Kindern in China bis heute große Bedeutung beigemessen

wird, zeigt sich in zahlreichen Äußerungen in kinder- und jugendliteraturwissen-

schaftlichen Abhandlungen, wie z.B der folgenden:

„Kinder sind die Hoffnung der Menschheit, die Zukunft der Welt. Die Entwick-lung der Gesellschaft, das Blühen der Nation, das Gedeihen des Staates –all diese Hoffnungen liegen auf ihnen.“224

Das Kindheitsbild – die Betrachtungsweise und Einstellung zu Kind und Kindheit –

ist ausschlaggebend für die Ausprägung jeglicher KJL. Da die KJL Inhalte zwi-

schen zwei Generationen vermittelt, beeinflusst das Autoritätsverständnis der er-

wachsenen Autoren, Verleger, KJL-Wissenschaftler und meist auch Käufer über

die Art der literarischen Darstellung: welche Inhalte für die kindliche und jugend-

222 Lee Cheuk Yin 1990: S. 133223 Chen Danyan 1992: S. 6f.224 Haizimen tamen shi renlei de xiwang, shijie de weilai. Shehui de fazhan, minzu de changsheng,guojia de fanrong, dou ji xiwang yu tamen.

Chen Zidian 2003: S. 42

52

liche Leserschaft als geeignet erachtet werden und wie diese aufbereitet werden,

mit welchen Charaktereigenschaften literarische Figuren ausgestattet werden und

in welchem Verhältnis diese zueinander stehen.

Bei der Entwicklung des Kindheitsbildes gab es in China im 20. Jahrhundert zwei

Hauptperioden: die „Entdeckung“ der Kindheit in den Jahren um die 4.-Mai-

Bewegung und die „Wiederentdeckung“ der Kindheit Ende der 1970er, Anfang der

1980er Jahre.225

4.2.1 Die „Entdeckung“ der Kindheit 1919

Im kaiserlichen China waren Kinder als Fortführung der Familie und für die Wei-

terführung traditioneller Werte von Bedeutung.226 Auch wenn bereits in der Song-

Zeit (960-1279) eine Wende in der Betrachtung und Behandlung von Kindern

stattfand,227 ist erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der „Entdeckung der

Kindheit“ zu sprechen. Denn in der neokonfuzianischen Schule standen nicht die

kindlichen Bedürfnisse im Mittelpunkt, sondern ein systematisches Gehorsams-

training.228 Da man die Kindheit nicht als Lebensabschnitt mit besonderen Bedürf-

nissen betrachtete, sah man auch keine Notwendigkeit darin, eine spezielle Lite-

ratur für Kinder zu schreiben, die auf die kindliche Zielgruppe zugeschnitten ist

und auf die kindlichen Bedürfnisse, so wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts

herausgearbeitet wurden, Rücksicht nimmt.229

225 Wang Yonghong 2004: S. 135226 Farquhar 1999: S. 1; Linck 1986: S. 75Es waren zwei konträre Kindheitsbilder verbreitet: Das konfuzianische Kindheitsbild vom „Jade-stein, der noch geschliffen werden muss“, erachtete Erziehung und Selbsterziehung für unabding-bar. Dies spiegelte einerseits die Überzeugung vom großen geistigen und moralischen Potentialdes Kindes wider, betonte aber andererseits seine Unvollständigkeit und Unreife. (Frick 2003:S. 371; Linck 1986: S. 76) Das daoistische Kindheitsbild vom „unbehauenen Holzblock“ dagegen,beinhaltete das Streben, „alle Wesen in ihrer naturhaften, unberührten Spontaneität zu belassenoder wieder dorthin zurückzuführen“. (Linck 1986: S. 76) Welche der beiden Ansichten vorrangigwar, war von Zeit zu Zeit und je nach gesellschaftlicher Schicht unterschiedlich. Zu ausgewähltenKindheitskonzepten im kaiserlichen China siehe auch Xiong Bingzhen 1999: S. 29-32227 Linck 1986: S. 77228 Linck 1986: S. 91229 Han Jin 1999: S. 13; Müller 1975: S. 256; Wong und Ho 1996: S. 832Mehr dazu siehe Linck 2003: S. 76ff.

53

Bei den in der chinesischen KJL-Wissenschaft als „KJL im klassischen Sinn“ be-

zeichneten Werken werden üblicherweise drei Kategorien unterschieden: erstens

mündlich tradierte Volksliteratur wie Mythen, Märchen und Fabeln, zweitens Werke

oder Passagen aus Werken der Erwachsenenliteratur, die entweder als „positive

Beeinflussung für den Charakter“230 erachtet oder dahingehend umgeschrieben

wurden, sowie drittens – der Löwenanteil – pädagogische Werke, die als Lehrbü-

cher, sogenannte „Lehrbücher zur Aufklärung“231, Verwendung fanden.232 Diese

wurden in den „Mengguan“ ( ), einer Art Privatschule auf Elementarstufe, ver-

wendet und sollten drei Funktionen erfüllen: erstens die Kinder mit den Schriftzei-

chen und Satzstrukturen vertraut machen, zweitens Allgemeinwissen und drittens

traditionelle Werte der chinesischen Kultur vermitteln, allen voran die konfuziani-

schen Verhaltensmaximen.233 Es wurde die hierarchische Ordnung dargestellt,

denen Staat und Familie nach konfuzianischer Auffassung zu folgen hatten, näm-

lich das patriarchalische Prinzip, das sich in „zhong“ für den Staat und „xiao“ für

die Familie ausdrücken sollte.234 Die drei am weitesten verbreiteten Lehrbücher –

der „Tausend-Zeichen-Klassiker“, der „Drei-Zeichen-Kanon“ und „Die Hundert

Stammnamen der Familien“235 – waren unter dem Namen „san bai qian“236 als

konfuzianischer Kinderkanon bekannt und wurden von der Yuan-Dynastie bis ins

20. Jahrhundert weitgehend unverändert als Grundlage für eine konfuzianische

Bildung auswendig gelernt.237

Wenn Kinder im traditionellen China zu Geschriebenem Zugang hatten, mussten

sie meist mit diesen von konfuzianischen Tugenden durchdrungenen Lehrbüchern

230 taoye xingqing Fang Weiping 2004: S. 5231 mengxueshu Sie wurden auch „qimengshu" ( erzieherische Texte, die die Unwissenheit der Kinder„erleuchten“ sollten) genannt. (Farquhar 2003: S. 370)232 Fang Weiping 2004: S. 4f.; Huang Yunsheng 2004: S. 14233 Farquhar 1999: S. 16; Liang Yong 1998: S. 68234 Liang Yong 1998: S. 63235 Qianziwen , Sanzijing , Baijiaxing 236 drei, hundert, tausend237 Farquhar 1999: S. 14f., 19; Linck 2004: S. 256; Zhang Meini 1996: S. 8Heute erhältlich sind neue Ausgaben des „Drei-Zeichen-Kanons“, z.B. erschien 1994 der „Drei-Zeichen-Klassiker zur Familienethik“ (Jiating lunli sanzijing ), 1995 der „Drei-Zeichen-Klassiker der Tugenden“ (Pinde sanzijing ). (Liang Yong 1998: S. 69, 81f.)

54

oder den konfuzianischen Klassikern Vorlieb nehmen.238 Außerschulischer Lese-

stoff wurde in der konfuzianischen Tradition aus Angst vor schädlichen Auswir-

kungen auf die Entwicklung des Kindes abgelehnt.239 Die Gesellschaft musste

Kinder erst als „vollständige“ Menschen anerkennen, bevor sie die Notwendigkeit

einer ihnen eigenen Literatur erkannte.240

Der Begriff „ertong wenxue“ und das, was man heute in der chinesischen Litera-

turwissenschaft darunter versteht, konnte erst entstehen, nachdem das Kindheits-

bild zum zentralen gesellschaftlichen Thema geworden war. Das Aufkommen die-

ses Themas wiederum hing aus zwei Gründen eng mit dem Eindringen westlicher

Mächte zusammen: Zum einen, weil dem bis dahin weitgehend isolierten China –

das überlegen zu sein glaubte – die eigene technische Unterlegenheit im Ver-

gleich mit dem industriell fortgeschrittenen Ausland vor Augen geführt wurde. Dies

löste den Wunsch nach Modernisierung aus, der mit Hilfe der nachkommenden

Generation verwirklicht werden sollte. Zum anderen kamen die konfuzianischen

Gelehrten mit westlichem Gedankengut in Berührung, das ein für Chinesen völlig

fremdes Kindheitsbild enthielt.241 Dies waren ineinandergreifende Voraussetzun-

gen für die Entstehung einer selbstbewussten und eigenständigen, speziell für Kin-

der geschriebenen chinesischen KJL, die den kindlichen literarischen Interessen

238 Frick 2002: S. 103Eine Ausnahme stellen Kinderbücher aus der Ming-Zeit dar: Durch Veränderungen im gesellschaft-lichen Denken geriet vorübergehend der traditionelle Konfuzianismus ins Wanken, was Auswirkun-gen auf die damalige Betrachtung der Kinder und somit auch die Kindererziehung hatte. Ming-Schulbücher waren sowohl formal als auch inhaltlich wesentlich weiter entwickelt als die üblichenkonfuzianischen Lehrbücher und es wurde bereits damals auf den Geschmack und die Besonder-heiten bei Kindern Rücksicht genommen, z.B. durch die Verwendung von Illustrationen. Währendder Qing-Zeit kehrte man jedoch zu den alten Büchern mit erhobenem Zeigefinger zurück. DieMing-Bücher hatten aber auf die Entwicklungen im 20. Jahrhundert noch Einfluss. (Ma Li 2000:S. 91, 93)239 Frick 2002: S. 103Es gab zwar auch lyrische und Prosatexte, die speziell für Kinder geschrieben waren, wie die„Tagebuch-Geschichten“ (Riji gushi ) von Lu Shao aus der Yuan-Dynastie (1271-1368)und eine Sammlung von Kinderliedern namens „Yan xiaoer yu“ ( ) von 1593, diese wer-den aber von chinesischen Literaturwissenschaftlern nicht als Freizeitektüre betrachtet, sondernrein im Hinblick auf ihren erzieherischen Wert. Die pädagogischen Absichten – die Vermittlung vontraditionellen Werten wie Pietät, Loyalität, Aufrichtigkeit, Pflicht und Ehre – hätten unverkennbar imMittelpunkt gestanden. (Farquhar 1999: S. 15f.)240 Wang Yonghong 2004: S. 135241 Farquhar 1999: S. 18; Farquhar 2003: S. 369; Huang Yunsheng 2004: S. 150

55

und ästhetischen Bedürfnissen entsprechen sollte. Das neu erwachte Bewusstsein

für Kind und Kindheit stand am Anfang einer Kette von Reformvorschlägen, die

von großer gesellschaftlicher Tragweite waren.242

4.2.1.1 Modernisierungswunsch als treibende Kraft

Bereits ab dem Ersten Opium-Krieg (1840-1842) sah sich China aufgrund seiner

Rückständigkeit gegenüber den eindringenden westlichen Mächten in der nachfol-

genden Zeit einem starken Wandel unterworfen.243 Nachdem in den vorausge-

gangenen Jahrhunderten die Kontinuität das vorherrschende Muster in Gesell-

schaft und Politik war, schien von da an die Veränderung alles zu durchdringen.

China sollte aufholen und gleichziehen mit dem Ausland und wollte dies in der so-

genannten Selbststärkungsbewegung der Jahre 1861-1895 mit wohldosiertem

westlichen Einfluss erreichen. Dabei wurden aber die eigenen kulturellen Werte

und Errungenschaften besonders hervorgehoben. China reagierte auf die Konfron-

tation mit dem fortschrittlichen Westen mit einer Welle des Patriotismus und Natio-

nalismus.244 Die Reformstrategie der Selbststärker lautete „zhongxue wei ti, xixue

wei yong“.245 Sie versuchten, den Konfuzianismus so umzudeuten, dass er mit der

Modernisierung vereinbar war. Der Denker und Politiker Kang Youwei (1858-

1927), der führende Kopf der „Reform der hundert Tage“-Bewegung von 1898,

sah in Konfuzius nicht nur den Übermittler der alten Zhou-Kultur, sondern auch

den „Reformer, Neuerer und Erretter“246, den ersten aller Reformer.247 Die

Staatsmodernisierung sollte mit der Modernisierung des Konfuzianismus einher-

gehen, denn „im 19. Jahrhundert waren das Selbstbild des Staates und die konfu-

242 Frick 2002: S. 15243 Farquhar 1999: S. 19244 Eine wichtige Rolle hierbei spielten patriotische Lieder, die in Kindergärten und Grundschulengesungen wurden. Mehr dazu bei Huang Yunsheng 2004: S. 151245 Eine erläuternde Übersetzung nach Seitz 2000: S. 134: „chinesischesLernen für die Essenz [ti] – also für die Prinzipien des Lebens, die konfuzianische Moral, den kon-fuzianischen Lebensstil, die konfuzianische Sozial- und Staatsordnung –, westliches Lernen für dieFunktion [yong] – also für praktische Nutzanwendungen wie den Bau von Dampfschiffen“.Vgl. auch Acker und Turner 2002: S. 13246 Staiger 1990: S. 139247 Möller 2000: S. 18

56

zianische Tradition noch so eng miteinander verquickt, dass Modernisierung,

wenn überhaupt, meist nur in konfuzianischem Gewand zu vermitteln war“.248

Im Gegensatz zu den Reformern Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Reformidee

der 4.-Mai-Bewegung vom Konfuzianismus abgekoppelt und in einen Widerspruch

dazu gestellt. Da die Reformen innerhalb des Konfuzianismus gescheitert waren,

galt der Konfuzianismus als nicht reformfähige Erblast. Die konfuzianische „KJL im

klassischen Sinn“ wurde als feudaler Aberglaube, als alt und degeneriert angegrif-

fen, da sowohl die Reformer249 als auch chinesische Kinder- und Jugendbuchauto-

ren der ersten Stunde250 derartige Bücher als hinderlich für die Modernisierung

ansahen. Ihrer Ansicht nach hätten diese „China in einer rückständigen Kultur ge-

fangen“ gehalten, während „das Land ums Überleben gegen westlichen Imperialis-

mus [...] kämpfte“251 und sollten durch speziell für Kinder und ihre Bedürfnisse ge-

schriebene, phantasievolle Literatur ersetzt werden.252 Ein zentraler Kritikpunkt am

Konfuzianismus war die Ansicht, das Kind sei ein unvollständiger Mensch, ein „un-

fertiger“ Erwachsener, der ausschließlich in seiner Beziehung zu anderen definiert

werde und selbst ohne Wert sei.253 Diese traditionelle Sichtweise stellte für Refor-

mer wie Lu Xun, Zhou Zuoren254 und Zheng Zhenduo einen rigiden Verstoß gegen

die kindliche Welt dar und wurde zum Inbegriff kultureller Defizite.255 Die Kinder

sollten eine Literatur bekommen, die ihnen dient und ihrer gesellschaftlichen Rolle

gerecht wird.256 Der Schlusssatz von Lu Xuns erstem Roman „Tagebuch eines Ver-

rückten“257 – „Rettet die Kinder!” – wurde zur Losung der 4.-Mai-Bewegung und

veränderte die gesamte Herangehensweise an das Thema Kind von Grund auf.258

248 Möller 2000: S. 12249 Zu den Hauptakteuren zählten neben Lu Xun auch Zhou Zuoren, Ye Shengtao und Mao Dun.250 Dazu zählen Bing Xin, Zhang Tianyi, Ye Shengtao, Yan Wenjing u.v.a.251 Weggel 1989a: S. 36ff.252 Farquhar 2003: S. 370253 Frick 2003: S. 371254 Zhou Zuorens Kindheitsbild, das die Psyche des Kindes mit der des „Wilden“ gleichsetzte, warprägend für viele andere und leistete einem idealisierten und westlich romantisierten KindheitsbildVorschub. (Farquhar 2003: S. 370; Frick 2002: S. 39)255 Frick 2002: S. 47, 56256 Zhang Meini 1996: S. 9257 Kuangren riji , erstmals erschienen 1918258 Jiujiu haizi Fan Fajia 1999a: S. 21; Farquhar 2003: S. 28, 370; Huang Yunsheng 2004: S. 152; o.V. 1991:S. 9; Wong und Ho 1996: S. 832

57

Die Welt der Kinder sollte von der der Erwachsenen getrennt werden, weil „nur die

Existenz einer wissenschaftlich bestätigten eigenen Kinderwelt [...] auch die Anferti-

gung einer spezifischen, auf die Bedürfnisse der Kinder zugeschnittenen Kinderlite-

ratur legitimieren“ konnte.259 Das große Ziel der modernen Schriftsteller war es, die

Welt der Kinder in den Vordergrund zu stellen und so die Modernisierung und

Transformation eines rückständigen Chinas zu bewirken.

Die neo-konfuzianische Lehrmethode des „Vollstopfens“ der kleinen Köpfe mit

Dingen, die sie nicht verstanden und nur auswendig lernten, lehnten die Reformer

ebenfalls ab.260 Sie kritisierten an der traditionellen Erziehung, dass sie lehrer-

statt schülerbezogen sei und nur intellektuelle und moralische Fähigkeiten ausbil-

de, die vollständig auf das Erwachsenenleben ausgerichtet seien. Sie habe die

kindliche Emotionalität und Sensibilität negiert und in einer formalistischen Aneig-

nung klassischer Texte durch bloßes Auswendiglernen, ohne inhaltliches Ver-

ständnis, bestanden.261 Neben der Etablierung einer speziell auf die kindlichen

Bedürfnisse zugeschnittenen Literatur wurde daher auch eine Reform des Bil-

dungssystems und der Lehrmethoden als unerlässlich erachtet, da die ange-

strebte Modernisierung Chinas mit dem traditionellen, konfuzianischen Ausbil-

dungssystem unmöglich schien.262 Die konfuzianische Erziehung wurde gar für die

Rückständigkeit des Landes verantwortlich gemacht, habe sie doch „unmündige

und unkritische Menschen“ hervorgebracht, „die nicht gelernt [haben], selbständig

zu denken und zu handeln“.263 Es wurde ein unmittelbarer Zusammenhang gese-

hen zwischen dem konfuzianschen Kindheitsbild und der nationalen Schwäche

Chinas. Von einer neuen Behandlung der Kinder erhoffte man sich daher auch die

Rettung Chinas.264 Das traditionelle, konfuzianisch geprägte Ausbildungssystem

wurde zum 1. Januar 1906 abgeschafft, die Erziehungsinhalte reformiert: Die Be-

tonung sollte nicht mehr auf den konfuzianischen Klassikern liegen, sondern auf

259 Frick 2002: S. 48260 Wu 1996: S. 22Die neo-konfuzianische Auffassung war: Wenn man Kinder nur mit genügend „richtigen“ Gedankenfülle, bliebe kein Platz mehr für „falsche“. (Wu 1996: S. 22)261 Frick 2002: S. 51262 Pease 1995: S. 283263 Frick 2002: S. 53264 Frick 2002: S. 47

58

modernem Fachwissen.265 Die Blickrichtung war die Zukunft, nicht mehr die Ver-

gangenheit. Durch die Vermittlung neuer Werte und Inhalte sollte eine moderne

Gesellschaft aufgebaut werden.266 Kind und Kindheit galten dafür als Dreh- und

Angelpunkt, so dass ihnen eine ganz neue Aufmkerksamkeit zuteil wurde.

4.2.1.2 Berührung mit einem fremden westlichen Kindheitsbild

Neben der Neubetrachtung von Kindern und Erziehungszielen im Zuge der Moder-

nisierungsbestrebungen wurde China außerdem durch den Kontakt mit dem Aus-

land schon im 19. Jahrhundert mit westlichem Humanismus und einem ganz neu-

en Kindheitsbild konfrontiert.267 Reformer wie Kang Youwei und Liang Qichao268

führten daraufhin bereits Ende des 19. Jahrhunderts einen Diskurs über die Auf-

fassung von Kind und Kindheit. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zur KJL war

die Erziehung, da sie die Bedeutung ersterer für letztere erkannten.269 Darauf ba-

sierend wuchs in intellektuellen Kreisen das Bewusstsein für den Bedarf an spe-

ziell auf die Bedürfnisse von Kindern abgestimmtem Lesestoff. Infolgedessen

erschienen ab 1875 zahlreiche Zeitschriften für Kinder,270 in denen erstmals neue

pädagogische Ansätze umgesetzt wurden, die besagten, dass Texte für Kinder

spielerisch sein und ihren Lesern Spaß machen sollen.271 Damit wurden erstmals

Kinder als Leser von außerschulischen Texten direkt angesprochen.272

Die Reformer der 4.-Mai-Bewegung führten diese Vorarbeit weiter. Die aufgeklär-

ten frühen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts hatten ein westlich romantisches

265 Frick 2002: S. 69; Frick 2003: S. 371266 Durch neue pädagogische Ansätze und Inhalte wuchs der Bedarf an neuen Schulbüchern,was einen unvorhergesehenen Boom in der sich stark entwickelnden Verlags- und Druckindustriehervorrief. (Farquhar 1999: S. 23; Zhang Meini 1996: S. 9)267 Huang Yunsheng 2004: S. 150; Zhang Meini 1996: S. 8268 Liang Qichao gilt in der chinesischen KJL-Geschichtsschreibung als der früheste Gründungs-vater der KJL nach modernem Verständnis. (Ma Li 2000: S. 93)269 Huang Yunsheng 2004: S. 150f.270 Ma Li 2000: S. 94; Zhang Meini 1996: S. 8f.z.B. „Xiaohai yuebao“ ( ) 1875, 1897 folgte neben anderen die „Mengxuebao“ ( ),1903 die „Tongzi shijie“ ( ). (Ma Li 2000: S. 94; Zhang Meini 1996: S. 8f.) Sie enthieltenillustrierte Gedichte und Erzählungen sowie Sachtexte. (Ma Li 2000: S. 95)271 Ma Li 2000: S. 93272 Frick 2002: S. 103

59

Bild von der Kindheit als Zeit der Unschuld, das sich in den frühesten Werken nie-

derschlug.273 Großen Einfluss auf sie hatten die Ausführungen westlicher Wissen-

schaftler wie John Dewey274, der von Mai 1919 bis Juli 1921 in China war und in

verschiedenen Städten Vorlesungen zum Thema Kind und Erziehung hielt, in de-

nen er autoritäre, passive und mechanische Lehr- und Lernmethoden angriff.275

Seine Ausführungen beherrschten jahrzehntelang die Diskussionen der chinesi-

schen KJL-Wissenschaft. Er hatte das Kind in den Mittelpunkt gestellt und als

Ausgangspunkt genommen und brachte in diesem Zusammenhang die Schlag-

worte der „kindzentrierten Erziehung“, der „vom Kinde ausgehenden Erziehung“

und der „Welt der Kindheit“276 auf, die seitdem zu den strittig diskutierten Themen

innerhalb der chinesischen Kinderliteraturwissenschaft zählen.277

Die Suche nach einer Definition für diese neue „Welt der Kindheit“ war eines der

ersten Themen der jungen wissenschaftlichen kinder- und jugendliterarischen Dis-

kussion in China.278 Mit der Aufnahme des Begriffs „ertonghua“ ( ), wörtlich

„Verkindlichung“ bzw. kindgerechte Literatur, in die theoretische Diskussion, wur-

den erstmals die besondere physische und seelische Verfassung der kindlichen

und jugendlichen Leser als grundlegende Kriterien anerkannt, die in der für sie

geschriebenen Literatur Berücksichtigung finden sollten.279 Die KJL sollte als eine

auf die Bedürfnisse und Rezeptionsfähigkeiten ihrer Leser abgestimmte Literatur

definiert werden.280 Der führende Vertreter der „Welt der Kindheit“ war Zhou Zuo-

273 Farquhar 2003: S. 370274 Der amerikanische Philosoph, Pädagoge und Psychologe John Dewey (1859-1952) setztesich für die Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche ein. Seine Ansichten waren die Weiter-entwicklung einer Erziehungstheorie aus der europäischen Reformpädagogik (1890-1933), dieauf Rousseau zurückgeht. (Frick 1999: S. 54f.)275 Farquhar 1999: S. 30f.; Hsü 1995: S. 505; Pease 1995: S. 282f.; Spence 2001: S. 387f.276 ertong zhongxinlun , ertong zhongxin zhuyi , ertong benweilun

Diese Begriffe sind der europäischen Reformpädagogik entnommen. (Frick 1999: S. 54f.)277 Farquhar 1999: S. 31; Pease 1995: S. 282f.278 Huang Yunsheng 2004: S. 154279 Fang Weiping 2004: S. 6; Farquhar 1999: S. 283; Frick 2003: S. 371280 Hai Fei 1999: S. 8; o.V. 1999c: S. 9; Pu Manting 1991: S. 1ff., 12Die heutige chinesische KJL-Wissenschaft ist der Ansicht, dass zu Beginn der Diskussion um„ertonghua“ die kindliche Welt zu isoliert betrachtet wurde: Man habe außer Acht gelassen, dasses nahezu ausschließlich Erwachsene sind, die aus ihrer Sicht für Kinder schreiben, und dass auchKinder in Verbindung zu der sie umgebenden „erwachsenen“ Gesellschaft stehen. (Fang Weiping2004: S. 3; Han Jin 1999: S. 17)

60

ren, der die Kindheit zwar durchaus als Vorbereitungsphase für das Leben als

Erwachsener ansah, dieser Phase aber eine ganz besondere, eigene Bedeutung

zugestand.281

Das Interesse der chinesischen Intellektuellen an der westlichen Kultur und die

Beschaffenheit ausländischer Werke der KJL führten dazu, dass die ersten Werke

der modernen KJL in China Übersetzungen ausländischer Werke wie beispiels-

weise „Peter Pan“ und „Alice im Wunderland“ waren.282 Die europäischen Klassi-

ker fanden großen Anklang, da erstmals Literatur zur Verfügung stand, die völlig

frei war von konfuzianischer Moral, und neue Themen vor einem neuen Hinter-

grund behandelt wurden.283 Lu Xun und Zhou Zuoren befürworteten die Überset-

zungen fremdsprachiger Kinderbücher und machten sich selbst durch Übertragun-

gen ins Chinesische einen Namen – darunter Werke von Jules Verne, Daniel Defoe

und Jonathan Swift, Märchen von Hans Christian Andersen und den Gebrüdern

Grimm sowie russische Märchen. Die Reformer sahen die Anliegen der 4.-Mai-

Bewegung in diesen Werken widergespiegelt, da sie die Forderungen und Rezep-

tionsfähigkeiten der Leserzielgruppe berücksichtigten.

Kinderbücher sollten interessant und anregend und außerdem leicht lesbar sein.

Daher wurden sie in der neu eingeführten Umgangssprache „baihua“ ( ) ab-

gefasst.284 Die Einführung der Umgangssprache war für eine kindgerechte Litera-

tur notwendige Voraussetzung, da die in der klassischen Schriftsprache verfassten

Texte nur für Gebildete verständlich und für Kinder kaum zugänglich waren.285 Hu

Shi und andere Reformer forderten daher ab 1917 eine Sprachreform,286 im Rah-

281 Zhu Ziqiang 2000a: S. 370282 Es wird angenommen, dass die erste derartige Übersetzung bereits 1840 in einem Sprachlehr-buch veröffentlicht wurde: eine zweisprachige, englisch-chinesische Ausgabe von „Aesop’s Fable“.Weitere Übersetzungen – eine Chronologie der Übersetzungen ist nicht vorhanden – folgten erstviele Jahre später zu Beginn des 20. Jahrhunderts, übten dann aber großen Einfluss auf die chine-sische KJL aus. (Farquhar 1999: S. 20, 33ff.)283 Fan Fajia 1999a: S. 22; Huang Yunsheng 2004: S. 155; Wong und Ho 1996: S. 832f.284 Farquhar 1999: S. 33; Zhang Meini 1996: S. 9285 Jóo 1999: S. 17; Scott 1980: S. 112; Wong und Ho 1996: S. 832Laut Wong und Ho waren zu Beginn der Umstellung die in „baihua“ abgefassten Texte nicht un-bedingt einfacher für die Kinder, da sie es gewohnt waren, Texte mit Versmaß zu lesen. Es seiihnen zu Beginn sogar schwerer gefallen, sich einen Prosatext einzuprägen. (Wong und Ho 1996:S. 833)286 Die „baihua“-Bewegung begann mit einem in Amerika abgesendeten Artikel von Hu Shi, der1917 in der „Neuen Jugend“ veröffentlicht wurde. (Zhu Ziqiang 2000a: S. 168)

61

men derer das umgangssprachliche Chinesisch zur allgemeinen Schriftsprache

erhoben werden sollte.287 Es entstanden daraufhin die ersten Schulbücher in „bai-

hua“. Von offizieller Seite vorgeschrieben und unterstützt wurde die Herausgabe

solcher Textbücher erst ab 1920, so dass dann auch in den Schulen die Verwen-

dung der Umgangssprache offiziell eingeführt wurde.288

Innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums war das Kind in China den Umgrenzun-

gen der konfuzianischen Erziehung entwachsen und zum literarischen Thema von

noch nie dagewesener Bedeutung geworden. Da man Kinder als Wurzel und

Grundlage einer jeden Gesellschaftsreform entdeckt hatte, wurden sie zum Sym-

bol für die nationale Zukunft.

4.2.2 Die Entwicklung des Kindheitsbildes bis 1978

Die KJL sollte zwar in den darauf folgenden Jahrzehnten ihren hohen Stellenwert

zunächst behalten, eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Erkenntnisse und

Theorien der 4.-Mai-Bewegung fand jedoch trotz weitgehender Übernahme des

Kindheitsbildes nicht statt. Farquhar spricht von einer Entwicklung der mit der KJL

verbundenen Ziele von „evolutionary change“ während der 4.-Mai-Bewegung hin

zu marxistischem „revolutionary struggle“ ab den 1930er Jahren,289 als die sozio-

politischen Umstände – der drohende Krieg mit Japan und der im Zuge dessen

aufkeimende Nationalismus – dazu führten, dass militärisches Handeln und so-

ziale Reformen in das Zentrum des gesellschaftlichen Interesses rückten.290 Vor

diesem Hintergrund sollte die KJL als Erziehungsmittel dazu beitragen, den Natio-

nalismus und somit China zu stärken.291 Über die frühzeitige Konfrontation der

Kinder mit soziopolitischen Anliegen sollten sich diese so früh und erfolgreich wie

möglich in die gesellschaftliche Situation fügen, so dass patriotische Inhalte und

287 Frick 2002: S. 103288 Frick 2002: S. 69; Scott 1980: S. 112; Weggel 1989a: S. 38; Wong und Ho 1996: S. 832In der „Neuen Jugend“ waren bereits in den Jahren zuvor in Umgangssprache abgefasste Artikelerschienen. (Weggel 1989a: S. 38)289 Farquhar 1999: S. 1290 Farquhar 1999: S. 163, 165291 Frick 2002: S. 67-77

62

realistische Kriegsgeschichten die KJL zu durchdringen begannen.292 Mut und

Heldenhaftigkeit wurden besungen.293 Die kinderliterarischen Werke waren weit-

gehend durch äußere Umstände bestimmt und kamen kaum mehr den ursprüngli-

chen Forderungen nach Kindgerechtheit nach.294

Während der Kriegsjahre kam mit der Verlagerung des Kriegsgeschehens ins

Landesinnere eine Massenliteratur auf, die ihre Zielgruppe weniger in der städ-

tischen als in der ländlichen Leserschaft sah. Diese zog nach wie vor traditionelle

Werke der modernen KJL vor.295 Angesichts des verbreiteten Analphabetentums

wurden neben mündlich weitergegebener Literatur, dem (Kinder-)Theater und Lie-

dern Comics296 als Instrument der Massenmobilisierung entdeckt, mit dem man

sehr viele Menschen erreichen konnte.297 Die Absicht, diese ursprünglich für Kin-

der gedachte Gattung auch als Erwachsenenliteratur zu nutzen, war ein weiterer

Grund dafür, dass die Grenze zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur immer

unklarer wurde. Dies führte dazu, dass Kinder – wenn auch vor einem anderen

ideologischen Hintergrund als im Konfuzianismus – erneut wie „kleine Erwachsene“

behandelt wurden, und das obwohl ab 1937 auf KJL spezialisierte junge Autoren

wie Chen Bochui, He Yi und Yan Wenjing die chinesische KJL beherrschten, und

nicht wie vor Kriegsbeginn die Autorenriege der 4.-Mai-Bewegung – Lu Xun, Ye

Shengtao, Zhang Tianyi etc. –, die sich ursprünglich in der Erwachsenenliteratur

einen Namen gemacht hatte. Die Mehrheit der Autoren lehnte nun westliche Ro-

mantik zugunsten des Sozialistischen Realismus ab,298 in dem die Aufgabe der

Künstler darin gesehen wurde, die Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung

292 Huang Yunsheng 2004: S. 155, 157; Ma Li 2000: S. 103293 Fan Fajia 1999a: S. 22294 Farquhar 1999: S. 139; Huang Yunsheng 2004: S. 157295 Farquhar 1999: S. 167,173Bei der Entstehung der „modernen KJL“ handelte es sich nicht um eine völlig homogene Entwick-lung. Sie war zwar die Hauptströmung und Neuerung, aber vor allem auf dem Land waren traditio-nelle Werke und Stoffe noch lange Zeit die beherrschende Lektüre für Kinder und Jugendliche.296 Der chinesische Begriff lautet „lianhuan (tu)hua“ ( ). Die Übersetzung mit „Comics“ istirreführend, da sie eine falsche Vorstellung von den Bildergeschichten vermittelt, ist aber in eng-lisch- und deutschsprachigen Veröffentlichungen üblich. Zur Geschichte des chinesischen Comicssiehe Mo und Shen 2006297 Farquhar 1999: S. 167; Huang Yunsheng 2004: S. 157Es gab zwei Richtungen der Propaganda: Entweder wurde dem Publikum die finstere realeSituation und das traurige Schicksal der Kinder vor Augen geführt oder es wurde ein Loblied aufdie Revolution und heldenhafte Gesinnung gesungen. (Huang Yunsheng 2004: S. 157)298 Farquhar 2003: S. 370Hauptvertreter dieser Richtung war bis zu seinem Tod im Jahr 1936 Lu Xun. (Farquhar 1999: S. 143)

63

abzubilden, charakteristischerweise mit einem positiven Helden als Vorbild für die

kommunistische Idealgesellschaft. Das Bewusstsein für soziale Verantwortung

war zwar aus der 4.-Mai-Literatur übernommen worden, nicht aber die Betonung

der Erforschung der kindlichen Welt, die „Befreiung“ der Kinder aus einer erwach-

senen Welt, so dass von dem verklärt romantisierten Anliegen der 4.-Mai-Bewe-

gung, die kindgerechte Förderung des kindlichen Potentials in den Mittelpunkt zu

stellen, im Laufe der Entwicklung nichts übrig geblieben ist.299 Durch die völlige

Verlagerung der Forderungen und Anliegen entstand ein widersprüchliches litera-

risches Kindheitsbild: Einerseits galten Kinder als „Blumen der Zukunft“, anderer-

seits als „gestählte Soldaten“ für den revoutionären Kampf.300 Den Kindern wurde

aber eine unverändert große Bedeutung für die Zukunft beigemessen.

Nach 1949 fielen zahlreiche aus den 1920er und 1930er Jahren bekannte Autoren

in Ungnade und hörten auf zu schreiben. Es gab immer weniger Bücher zu klassi-

schen Kinder- und Jugendthemen, die Revolution und der Klassenkampf waren

allgegenwärtig.301 Die KJL verlor während der Kulturrevolution ihre zuvor hervor-

gehobene Rolle als Modernisierungsinstrument, weil sie in der offiziellen Ideologie

keine Rolle mehr spielte: Die Kinder, die „revolutionären Nachkommen“, sollten

Erfahrungen im revolutionären Kampf sammeln; sie sollten „Revolution machen“,

nicht darüber lesen.302 Die Besonderheiten der Lebensphase Kindheit und Jugend

wurden geleugnet, so dass – wie auch schon während der Kriegsjahre – der

299 Farquhar 1999: S. 163Besonders das Märchen wurde zunehmend für den sozialistischen Realismus instrumentalisiert.(Farquhar 2003: S. 370) Als gutes Beispiel dafür nennt Farquhar Ye Shengtaos erste Märchen-sammlung „Die Vogelscheuche“ (1921-1923), in der er sich „vom romantischen Bild des Kindeshin zur hässlichen Wirklichkeit der Kinderwelt“ bewege. (Farquhar 2003: S. 370)300 Farquhar 1999: S. 165f.301 Farquhar 1999: S. 167,179Die Autorenriege der 4.-Mai-Bewegung schaffte es jedoch bis in die 1950er Jahre, als Nebenströ-mung der chinesischen KJL trotz der offiziellen Ablehnung des 4.-Mai-Geistes weiterhin die kind-liche Welt in den Mittelpunkt zu stellen. (Fan Fajia 1999a: S. 23; Farquhar 1999: S. 255; HuangYunsheng 2004: S. 160; Zhang Meini 1996: S. 9) Sie thematisierte in der Mehrzahl ihrer Werkezwischen 1949 und 1956 die kindliche alltägliche Welt – Familie, Schule, Freunde, Junge Pioniere –,anstatt des Platzes der Kinder innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges. (Farquhar 1999: S. 257)Aber das ursprüngliche soziale Engagement der 4.-Mai-Bewegung bezüglich der gesellschaftlichenStellung und der Behandlung von Kindern war zum Großteil nach 1949 von der revolutionärenLiteratur verdrängt worden. Das Kindheitsbild aus der 4.-Mai-Bewegung hatte sich bis 1956 imMärchen halten können, das dann aber unter Beschuss geriet und als „bourgeoiser Kult kindlicherUnschuld“ verurteilt wurde. (Farquhar 1999: S. 281; Farquhar 2003: S. 370)302 Farquhar 1999: S. 283; Farquhar 2003: S. 371

64

künstlerische und kindgerechte Aspekt bei der KJL zunehmend „vernachlässigt“

wurde, wie es chinesische KJL-Wissenschaftler heute auszudrücken pflegen.303

Wie vorsätzlich diese „Vernachlässigung“ war, zeigt sich an der heftigen Kritik an

Chen Bochui Ende der 1950er Jahre, der bis dahin ein bekannter und erfolgrei-

cher Schriftsteller und Theoretiker war. Anlass für die Kritik waren seine Äußerun-

gen zur Sonderstellung der KJL, zur notwendigen Berücksichtigung der alters-

bedingten psychischen und physischen Besonderheiten der Leserschaft sowie zur

Betonung des Künstlerischen bei der KJL.304 Es wurde ihm vorgeworfen, dass er

künstlerischen, und nicht politischen Kriterien den Vorrang gebe, und dass er die

Kinder dazu verleite, den Klassenkampf zu vernachlässigen sowie maoistische

ideologische Grundsätze zu missachten.305 Dabei war Chen nicht der Ansicht,

dass Kinder von der Gesellschaft isoliert zu betrachten seien, sondern betonte

1956 lediglich, dass die kindliche Welt der Ausgangspunkt der KJL sein müsse:

„Ein erfolgreicher Autor, der auf der Seite der Kinder stehen möchte, musssich darauf verstehen, den Blickwinkel der Kinder zum Ausgangspunkt zumachen, er muss mit Kinderohren hören, mit Kinderaugen sehen und vorallem mit kindlicher Seele Erfahrungen machen [...].306

Ursache für die vehemente Kritik aber war die berechtigte Annahme, Chen stütze

sich bei seinen Ausführungen auf Theorien aus der westlichen Entwicklungspsy-

chologie wie die John Deweys, die als Antithese zur maoistischen Pädagogik –

die auf der Analyse des Klassenkampfes beruhte – erachtet wurde. Chens Sicht-

weise galt daher als „bourgeois“ und somit als schädlich für die chinesische sozia-

listische Gesellschaft.307 Kindgerechtheit wurde als „Diskussion über kindliche

Einfalt der kapitalistischen Klasse“308 bezeichnet, die Betonung des künstlerischen

Aspekts als „Revisionismus“309 bekämpft, so dass sich die KJL von ihrer jungen

303 Ma Li 2000: S. 113; Zhang Meini 1996: S. 9304 Huang Yunsheng 2004: S. 163Heute wird in China diese Kritik als falsch betrachtet. (Huang Yunsheng 2004: S. 163)305 Farquhar 1999: S. 281306 Yige you chengjiu de zuojia, yuanyi he ertong zhanzai yiqi, shanyu cong ertong de jiaodu chufa,yi ertong de erduo qu ting, yi ertong de yanjing qu kan, tebie yi ertong de xinling qu tihui [...].

[...]Farquhar 1999: S. 282; Huang Yunsheng 2004: S. 190307 Farquhar 1999: S. 282f.308 zichan jieji de tongxin lun 309 xiuzheng zhuyi

65

Leserschaft immer weiter entfernte.310 Die wenigen Werke, die es während der

Kulturrevolution gab, dienten als bloßes politisches Propaganda- und Erziehungs-

instrument, das höchst formalistisch und klischeehaft den Klassenkampf thema-

tisierte.311 Die übermäßige thematische Beschränkung führte dazu, dass es

schließlich keine Unterscheidung mehr gab zwischen Büchern für Kinder und Ju-

gendliche und Büchern für Erwachsene.312 Nicht mehr kindspezifische Wesens-

züge standen im Mittelpunkt, sondern die grundlegende Erneuerung des Men-

schen.313 Diény bestätigt das mangelnde Bewusstsein für die Phase der Kindheit:

„China behandelt[e] die Kinder wie Erwachsene und die Erwachsenen wie Kin-

der.“314 Kinder wurden wie Erwachsene permanent mit den Themen Revolution

und Klassenkampf konfrontiert, Erwachsene wurden wie Kinder von der Partei

bevormundet und erzogen.

Nach der „Entdeckung“ des Kindes in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhun-

derts kam es zu keiner kontinuierlichen Weiterentwicklung der theoretischen An-

sätze, sondern gleichermaßen zu einem Rückschritt. Die mit der KJL verbundenen

maoistischen Zielsetzungen unterschieden sich zwar von den konfuzianischen,

wegen der zahlreichen strukturellen und ideologischen Analogien war das Ergeb-

nis jedoch ähnlich. Der Unterschied lag darin, dass es im kaiserlichen China über

Jahrhunderte keine Überlegungen zur Besonderheit der Lebensphase Kindheit

gegeben hatte. Mao dagegen kannte die Überlegungen der 4.-Mai-Bewegung,

lehnte sie jedoch ab und stellte die Literatur in den Dienst der Propaganda und

des Klassenkampfes. Konfuzianische Inhalte wurden gegen maoistische ausge-

tauscht, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Leser.

310 Fan Fajia 1999a: S. 24311 Chen Zidian 2003: S. 105; Fan Fajia 1999a: S. 23; Farquhar 1999: S. 294; Stones 1977: S. 14f.312 Müller 1975: S. 260313 Frick 2003: S. 371314 Diény 1973: S. 7

66

4.2.3 Die „Wiederentdeckung“ der Kindheit nach 1978

Die ersten Jahre im Zeichen der Modernisierungspolitik wiesen zahlreiche Paral-

lelen zu den Ereignissen rund um die 4.-Mai-Bewegung auf, weshalb in Analogie

zur „Entdeckung“ der Kindheit zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der „Wieder-

entdeckung“ der Kindheit nach 1978 gesprochen wird. Beides waren Zeiten des

Aufbruchs mit dem Ziel der Modernisierung. In beiden Fällen galten die Kinder und

Jugendlichen als Dreh- und Angelpunkt, was sie bis heute tun:

„Die Jugend ist die Zukunft des Vaterlandes und die Hoffnung der Mensch-heit. Das Niveau ihrer moralischen und ideologischen Qualität hat nicht nurEinfluss auf die Sitten der gegenwärtigen Gesellschaft, sondern es bestimmtdie Zukunft des Landes und das Schicksal der Nation. Deshalb ist die Ver-stärkung der moralischen Erziehung der Jugendgeneration von weitreichen-der strategischer Bedeutung.“315

Die Formierungsjahre der KJL seit 1978, der „KJL des neuen Zeitalters“, werden in

der chinesischen KJL-Geschichtsschreibung als zweite Umwälzung betrachtet,

deren Ergebnisse ganz klar auf dem Fundament der Errungenschaften von 1919

stehen.316 Lauteten die Ziele 1919 „Modernisierung durch Demokratie und Wis-

senschaft“ und die „Befreiung der Kinder von den Fesseln des Feudalismus“, hie-

ßen sie in den 1980er Jahren „Modernisierung“, später „sozialistische Marktwirt-

schaft“. Erneut wurde die traditionelle chinesische Kultur als Hindernis für die Mo-

dernisierung betrachtet, sowohl die „alte Tradtition“ – der Konfuzianismus – als

auch die „neue Tradition“ – der Maoismus der Jahre 1949 bis 1976. Aufgrund der

strukturellen Gemeinsamkeiten dieser beiden Systeme galten beide als anti-

modern und schienen für die Modernisierung kontraproduktiv.317 Die Kinder und

vor allem ihre Literatur sollten ab Ende der 1970er Jahre von „linkem“ Denken und

dem schädlichen Einfluss der „Viererbande“ befreit werden. Ziel war, frühere Be-

schränkungen in der künstlerischen Entwicklung aufzuheben und die KJL nicht

länger zum Instrument des Klassenkampfes und der Kindererziehung zu ma-

315 Qingshaonian zuowei zuguo de weilai, renlei de xiwang, tamen sixiang pinde suzhi de gaodi,bujin yinxiang dao dangqian de shehui fengshang, erqie jueding zhe guojia de weilai yu minzumingyun. Suoyi shuo jiaqiang qingshaonian yidai de dejiao, juyou shenyuan de zhanlüe yiyi.

Ma Li 2000: S. 14f.316 Farquhar 1999: S. 301; Wang Quangen 2004: S. 12317 Geist 1996: S. 3

67

chen.318 Es folgten tatsächlich umfangreiche Lockerungen inhaltlicher, stilistischer

und formaler Art, doch wurde die KJL nun in den Dienst der Modernisierungspolitik

gestellt. Im August 1979 wurde auf dem 11. Parteitag eine neue Verfassung ver-

abschiedet, in der die „Vier Modernisierungen“319, nämlich die Modernisierung der

Landwirtschaft, der Industrie, der Wissenschaft und Technik sowie der nationalen

Verteidigung, festgehalten wurden.320 Das Ziel war, wie auch schon zu Beginn des

20. Jahrhunderts, mit den westlichen Ländern gleichzuziehen. Ganz im Gegensatz

zu den Jahren der Kulturrevolution waren nun Fachleute gefragt, Ausbildung er-

hielt wieder einen hohen Stellenwert. Da Deng Xiaoping deren zentralen Stellen-

wert für den Modernisierungsprozess betonte, wurde dieses Thema in schulmeis-

terhaften Erzählungen behandelt, nach dem Motto „wer brav lernt und ein guter

Schüler ist, der kann China auf dem Weg der Modernisierung unterstützen“.321

Nicht mehr der Klassenkampf stand im Mittelpunkt, sondern materielle Verbesse-

rungen waren das Ziel. Alle Bereiche sollten auf die erfolgreiche Umsetzung der

„Vier Modernisierungen“ ausgerichtet sein, auch die Kultur.322 So wurde im No-

vember 1979 auf dem bedeutenden Vierten Kongress der Schriftsteller und Künst-

ler die neue Linie für die Literatur und Kunst klar und unmissverständlich bekannt

gegeben:

„Literature and art [...] should be suited to the political needs of a given histo-rical period. At the present time they should harmonize with the needs ofsocialist modernization.“323

Erst Mitte der 1980er Jahre rückten in der chinesischen KJL gemäß der Tradition

des 4. Mai der literarische und der kindgerechte Aspekt wieder in den Mittelpunkt.324

Themen der literarischen Diskussion der frühen 1980er Jahre waren dementspre-

chend das Nebeneinander von Unterhaltung und Erziehung in der KJL, Kindge-

rechtheit und damit zusammenhängend die Rücksichtnahme auf die besonderen

318 Wang Quangen 2004a: S. 4319 sige xiandaihua Zhou Enlai hatte bereits im Jahr 1974 ein solches Modernisierungsbestreben formuliert, doch erstab Ende der 1970er Jahre – nach dem Sturz der „Viererbande“ – wurde es zum zentralen Themader Parteipolitik. (Herdan 1992: S. 131)320 Herdan 1992: S. 131321 Jóo 1999: S. 65, 68322 Bi Lijun 2003: S. 58; Herdan 1992: S. 131323 Zitiert nach Herdan 1992: S. 131324 Die Verbindung zur 4.-Mai-Bewegung wurde außerdem hergestellt, indem Autoren, die zu denersten der modernen chinesischen KJL gezählt hatten, zu Beginn der 1980er Jahre rehabilitiertwurden.

68

psychischen Besonderheiten der Zielgruppe.325 KJL wurde nun definiert als Litera-

tur, die „Kindern und Jugendlichen dienen soll“,326 womit die Adressatenbezogen-

heit zum Hauptcharakteristikum wurde. All diese Themen hatten ihren Ursprung in

früheren Diskussionen und fußten auf Ausführungen Chen Bochuis zu „kindzen-

trierter Erziehung“ und Kindgerechtheit und erforderten außerdem eine historische

Bewertung Zhou Zuorens und seiner Äußerungen bezüglich der „Welt der Kind-

heit“,327 da man der Ansicht war, dass Chen Bochuis Ausführungen alleine noch

keine echte Literatur für Kinder gewährleiste,328 auch wenn sein oben zitierter Aus-

spruch von 1956 – damals heftig kritisiert – in den 1980er und 1990er Jahren wieder

Gültigkeit hatte.329 Man war auf der Suche nach dem theoretischen Ursprung und

dem traditionellen Geist der chinesischen KJL und erkannte den in den 1960er und

1970er Jahren vorherrschenden „Erwachsenen-Zentrismus“330 als falsch. Neues

Ziel war die Rückbesinnung und das Zugehen auf das Kind und seine Bedürfnisse.

Politische Doktrinen und die Omnipräsenz der Themen Klassenkampf und Klassen-

bewusstsein galten nun als unpassend für die KJL, da man der Ansicht war, dass

diese mit sprachlichen, strukturellen und thematischen Mustern aus der Erwachse-

nenliteratur die KJL immer weiter von den Kindern entfernt hatten.331 Gleichzeitig

wurde aber darauf geachtet, dass durch die Betonung der Anpassung an die kindli-

chen und jugendlichen Leser die pädagogische Wirkung und die gesellschaftliche

Funktion von KJL nicht vernachlässigt wurde.332

Um der physischen und psychischen Verfassung der Zielgruppe sowie deren Re-

zeptionsfähigkeiten gerecht zu werden, wurden für literarische Werke folgende

Richtlinien festgelegt: Sie sollten mit knapper Sprache anschaulich geschrieben

sein; die Handlung könne theoretisch thematisch breit gefächert sein, praktisch sei

das Themenrepertoire jedoch aufgrund der Forderung, es müsse dem Alter an-

gemessen sein, stark eingeschränkt; die Werke sollen leicht verständlich, aber

325 Wang Quangen 2004: S. 4326 Wang Quangen 2004: S. 6327 Wang Quangen 2004: S. 4; Zhu Ziqiang 2000a: S. 369Beide Begriffe gehen wie oben angesprochen ursprünglich auf Ausführungen John Deweys zurück.328 Zhu Ziqiang 2000a: S. 370329 Han Jin 1999: S. 22330 chengren zhongxin zhuyi 331 Wang Quangen 2004: S. 4, 6332 Zhu Ziqiang 2000a: S. 371Mehr dazu siehe Kapitel 5

69

spannend, unterhaltend und interessant sein333 und einen deutlichen Haupthand-

lungsstrang haben; die Figuren sollen eindeutige und klare Charakterzüge ha-

ben.334 Diese Vorgaben zeigen, dass die chinesische KJL noch weit entfernt ist

von einer umfassenden thematischen Öffnung und dem „emanzipatorische[n] An-

spruch der KJL [...], über alles [zu] informier[en]“, wie er in der deutschen KJL-

Wissenschaft seit den 1970er Jahren vorherrscht und den Daubert als Mündig-

keitserklärung an den Leser, aber auch als Zumutung beurteilt.335

Über oben genannte Vorgaben hinaus wird bei zahlreichen literaturwissenschaft-

lichen Arbeiten das Adjektiv „chunzhen“ (klar, rein) als konstitutives Merkmal

genannt, besonders Fang Weiping betont die außerordentliche Bedeutung dieser

Eigenschaft: Klarheit sei „das grundlegende künstlerische Kriterium für die KJL“.336

Es sei nicht nur ein fakultatives, sondern obligatorisches Merkmal eines jeden

Kinder- und Jugendbuches.337 Die Aussage müsse somit eindeutig sein, der Inter-

pretationsspielraum möglichst gering. Die moralische Grundhaltung solle bei KJL

„allgemeiner“, „konzentrierter“ und „typischer / vorbildhafter“338 sein als in der Er-

wachsenenliteratur.339

Im Zuge des Bestrebens, eine möglichst kindgerechte KJL zu schaffen, kam es in

den 1980er Jahren zu Neuerungen in der Theorie, die weitreichenden Einfluss auf

die weitere Entwicklung der KJL hatten. In Anknüpfung an die Entstehung der mo-

dernen KJL ist dabei häufig von einer „zweiten Bewusstwerdung“ die Rede:340

1919 führte die „erste Bewusstwerdung“, nämlich das Herausbilden eines neuen

Kindheitsbildes, zur Etablierung der KJL als eigenständige Kategorie in Abgren-

zung zur Erwachsenenliteratur. Da die KJL erst im Entstehen war, wurde den un-

terschiedlichen Zielgruppen und Gattungen zunächst keine besondere Aufmerk-

333 Chen Zidian erachtet das Interessante als so grundlegendes Merkmal, dass er die KJL währendder Kulturrevolution, die weder Kinder noch Jugendliche angesprochen habe, nicht zur KJL zählt,da die nützliche Funktion von Literatur nur dann erfüllt sei, wenn sie interessant und unterhaltendist. (Chen Zidian 2003: S. 45)334 Chen Zidian 2003: S. 45-55; Huang Mingchao 2001: S. 4; o.V. 1999c: S. 1299335 Daubert 1999: S. 93336 Fang Weiping 2004: S. 6337 Fang Weiping 2004: S. 6338 geng wei pubian / geng wei jizhong / geng wei dianxing 339 Fang Weiping 2004: S. 6340 Wang Quangen 2004: S. 11

70

samkeit geschenkt.341 Zhou Zuoren hatte zwar bereits in den 1920er Jahren die

neu entstandene moderne KJL in Altersstufen unterteilt, mit denen die heute übliche

Einteilung weitgehend übereinstimmt,342 ihr wurde aber zum damaligen Zeitpunkt

keine allzu große Bedeutung beigemesssen. Zum großen Thema wurde die Alters-

einteilung erst in den 1980er Jahren, als die chinesische KJL-Wissenschaft im

Zuge der „zweiten Bewusstwerdung“ die Notwendigkeit einer altersgerechten Lite-

ratur angesichts einer sehr heterogenen Zielgruppe zwischen 3 und 18 Jahren

erkannte.343 Auslöser war der beginnende Boom der Jugendliteratur: Da dieses

Phänomen mit der vorhandenen theoretischen Basis nicht erklärt werden konnte,

da es weder gänzlich zur Kinder- noch zur Erwachsenenliteratur gehörte, wurde

das Thema Alterseinteilung in der theoretischen Diskussion vertieft und systema-

tisch aufgearbeitet.344 Ziel war die Schaffung einer genau auf ihre Leserschaft zu-

geschnittenen Literatur, die den unterschiedlichen Ansprüchen und Präferenzen

gerecht werden sollte.345 Die KJL wurde in drei große Altersstufen unterteilt: in die

sogenannte „Kleinkindliteratur“ für die 3- bis 6-Jährigen, die „Kinderliteratur“ im

engeren Sinn für die etwa 6- bis 10-Jährigen und die „Jugendliteratur“ für die etwa

10- bis 15-Jährigen.346 Die Literatur einer jeden Altersgruppe sollte ihre eigene

Ästhetik und auf die Zielgruppe genau abgestimmten Eigenheiten haben – eine

Ansicht, die in der heutigen chinesischen KJL-Wissenschaft fest verankert ist.347

341 Sun Jianjiang 1999: S. 115342 Farquhar 1999: S. 125Nach Zhou Zuorens Einteilung gab es Bücher für Kleinkinder im Alter von 0 bis 3 Jahren, Bücherfür die frühe (3 bis 6 Jahre) und die späte Kindheit (6 bis 10 Jahre), die Pubertät (10 bis 15 Jahre)und die Jugend im Alter von 15 bis 20 Jahren. Nach dieser Einteilung umfasste die Kinderliteraturdie Zielgruppe der 3- bis 15-Jährigen. (Farquhar 1999: S. 124; Sun Jianjiang 1999: S. 115) In den1960er Jahren brachte Chen Bochui die Diskussion um die Alterseinteilung erneut auf und machtesich primär Gedanken zu dem jeweilig altersgerechten erzieherischen Gehalt. (Sun Jianjiang 1999:S. 116) Er erkannte bereits damals die Bedeutung für den weiteren theoretischen Ausbau, konnteaber wegen der vernachlässigten Stellung der KJL, weit abgeschlagen durch das Primat der Poli-tik, kein Interesse dafür wecken. (Sun Jianjiang 1999: S. 116) Hinzu kam, dass man sich gemäßder heutigen Terminologie damals fast ausschließlich mit „you’er wenxue“ und „ertong wenxue“beschäftigte, so dass die Altersspanne geringer und daher die Einteilung weniger dringlich war.(Sun Jianjiang 1999: S. 116)343 Sun Jianjiang 1999: S. 118-121; Wang Quangen 2004: S. 10; Wang Quangen 2004b: S. 35344 Sun Jianjiang 1999: S. 118-122345 Wang Quangen 2004: S. 10346 you’er wenxue / ertong wenxue / shaonian wenxue Bi Bingbin1991: S. 40; Chen Zidian 2003: S. 52-55; Jiang Feng, 1998: S. 12; Pu Manting 1991:S. 17-27; Sun Jianjiang 1999: S. 119-123; Wang Quangen 1999a: S. 43Die Altersgrenzen zwischen Kinder- und Jugendliteratur variieren von Wissenschaftler zu Wissen-schaftler, orientieren sich aber an denselben entwicklungspsychologischen Kriterien. Die Grenzewird in der Regel frühestens bei 10 Jahren, spätestens bei 12 Jahren gezogen.347 Wang Quangen 2004: S. 10

71

Zhu Ziqiang fasst die Hauptentwicklungen zu mehr Kindgerechtheit in der „KJL der

neuen Zeit“ folgendermaßen zusammen: Während in den 1980er Jahren die

„kindliche Naivität“ und die Sicht vom Kind als „weißem Blatt“ im Mittelpunkt stan-

den, waren es in den 1990er Jahren das „Heranwachsen“ und die Sicht vom Kind

als „Samen“. Die KJL sollte nicht mehr nur „erziehen“, sondern die Kinder „befrei-

en“, sie sollte nicht mehr „nützlich“ und „streng“ sein, sondern „spielerisch“ und

„humorvoll“.348 Doch auch wenn in den letzten Jahren ein spielerischerer Ansatz

bevorzugt wurde, sind pädagogische Absichten in der KJL nach wie vor omni-

präsent. Die genaue Abstimmung der KJL auf ihre Leser dient nicht nur der besse-

ren Kindgerechtheit, dem größeren Vergnügen und besseren Verständnis der

Lektüre – auch wenn der Spaß an der Lektüre bisweilen als Hauptkriterium ge-

nannt wird349 –, sondern die chinesische KJL-Wissenschaft erhofft sich außerdem,

auf diese Weise größeren, da zielgerichteteren Einfluss auf die Leser nehmen zu

können. Denn was die gesamte KJL vereine, sei ihr „letztendliches Ziel, eine Ge-

neration von neuen Menschen mit gesunder kultureller Psyche und kultiviertem,

energiereichen Charakter aufzubauen“.350

348 Zhu Ziqiang 2000a: S. 376, 420349 Xu Lu 2004: S. 6350 juyou jianquan de wenhua xinli yu gaoya de jingshen xingge de yidai xinren wei zuizhong mudi

Wang Quangen 2004: S. 10

72

5 Erziehung durch Kinder- und Jugendliteratur

Der KJL wird international eine grundsätzliche gesellschaftliche Bedeutung zuge-

sprochen – selbst wenn sie nicht diese Intention hat –, da für geschilderte Situa-

tionen und Begebenheiten die persönliche Erfahrung des Lesers und die gesell-

schaftliche Realität unwillkürlich als Bezugssystem dienen, unabhängig davon, ob

das Gelesene mit der realen Lebenswelt des kindlichen oder jugendlichen Lesers

übereinstimmt oder davon abweicht. Gerade Kinder und Jugendliche gelten als

besonders leicht beeinflussbar. In China werden darüber hinaus ohnehin alle lite-

rarischen Werke und somit auch die Werke der KJL nach ihrer gesellschaftlichen

Wirkung beurteilt, wie es im Marxismus üblich ist.351 Während bei der deutschen

gegenwärtigen KJL eine zunehmende „Indirektheit in der Formulierung von Inten-

tionen“352 zu bemerken ist, bei der vor allem mentale Prozesse wie emotionale

Anteilnahme und Aktivierung des Vorstellungsvermögens betont werden, strebt

die staatlich gesteuerte chinesiche KJL danach, diese gesellschaftliche Wirkung

dafür zu nutzen, bestimmte Inhalte zu vermitteln und damit ausgewählte Ziele zu

verfolgen.353 Der KJL werden in China in der kinder- und jugendliteraturwissen-

schaftlichen Diskussion ganz offen vielfältige Aufgaben und Funktionen zugewie-

sen und dies wird sogar als herausragend positive Eigenschaft der KJL gewer-

tet.354 Der Erziehungsfunktion wird dabei besonders große Bedeutung beigemes-

sen, was auch schon im Konfuzianismus, basierend auf der Auffassung von der

Erziehbarkeit des Menschen durch Literatur, der Fall war. Die enge Verflechtung

zwischen Erziehung – speziell der politisch-ideologischen – und KJL ist somit in

China eine unumstrittene Tatsache und sogar ein konstitutives Merkmal von KJL.

Dementsprechend lauten die Anforderungen an Autoren von KJL: Sie müssen ein

351 Chen Zidian 2003: S. 45; Fang Weiping 2004: S. 20; Pu Manting 1999: S. 6; Zhang Jiling 1999:S. 19352 Hurrelmann 2000: S. 902353 Die Erziehungsschwerpunkte sind nach Gattung verschieden: Während bei der Poesie künstle-risch-sprachliche Aspekte im Mittelpunkt stehen, ist beim Sachbuch die Wissensvermittlung be-deutender als beispielsweise beim Roman, bei dem die Darstellung des gesellschaftlichen Lebenseine herausragende Stellung einnimmt.354 Die Ausdrücke „xuntao“ (auf jdn. günstig einwirken, jdn. allmählich positiv beeinflussen),„taoye“ (über lange Zeit auf jdn. einen guten Einfluss ausüben) oder „qianyi mohua“ (auf jdn. subtil einwirken, unauffällig Einfluss ausüben) werden in nahezu allen Abhandlungen alsangewandte Beeinflussungsmethode genannt und sind dem Kontext nach durchwegs positiv kon-notiert.

73

hohes Berufsethos haben und sich ihrer verantwortungsvollen Mission und gesell-

schaftlichen Aufgabe bewusst sein.355

5.1 Grundlegende Aufgaben der Kinder- und Jugendliteratur

Wie schon in der „Prodesse et delectare“-Ästhetik des Horaz wird auch in der

chinesischen KJL grundlegend zwischen diesen zwei Funktionen von Literatur

unterschieden: dem Nutzen und der Unterhaltung. Bei der Abgrenzung dieser

Grundfunktionen voneinander sowie der Kategorisierung des Nutzens in einzelne

Bereiche gibt es jedoch voneinander abweichende Ansätze.

Eine in der chinesischen KJL-Wissenschaft häufig verwendete Einteilung unter-

scheidet nach drei Funktionen von KJL: der pädagogisch-erzieherischen Funktion,

der Wissensvermittlung und der Ausbildung eines künstlerisch-ästhetischen Emp-

findens.356 Hierbei ist zu beachten, dass die Wissensvermittlung genau genom-

men zur Erziehungsfunktion gezählt werden kann, da darunter verstanden wird,

dass

„Werke den Kindern sagen sollen, was Wahres, Gutes und was Falsches,Böses ist. Die Kinder werden durch die Lektüre [...] positiv beeinflusst. Sieerhöht ihr Wissensniveau und fördert ihr Potential.“357

In anderen Darstellungen wird die Ästhetik als Grundanliegen über die anderen

Bereiche gestellt, da argumentiert wird, dass erst durch künstlerische Mittel die

anderen Aufgaben erfüllt werden könnten.358 Hai Fei dagegen unterteilt die Aufga-

ben in vier Bereiche, nämlich die Wissensvermittlung, die Erziehung, die Ästhetik

und die Unterhaltung, und trennt somit nicht die beiden Grundfunktionen Nutzen

und Unterhaltung, sondern stellt sie als zwei von vier gleichrangigen Bereichen

355 Han Jin 1999: S. 23; Wang Quangen 2004: S. 9356 Chen Zidian 2003: S. 43; Fang Weiping 2004: S. 4; Huang Yunsheng 2004: S. 167; Ma Li 2000:S. 168; Pu Manting 1991: S. 5-12357 [...] zuopin yinggai gaosu haizimen shenme shi shanmei, shenme shi jia choue. Ertong zai yue-du zhihou [...] dou hui shoudao ruogan lianghao de yingxiang, tigao tamen de renshi nengli, juyoudaoyin ertong xiangshang de qianli.

[...] [...]

Han Jin 1999: S. 37358 Ma Li 2002: S. 213; Pu Manting 1991: S. 9

74

dar.359 Doch so unterschiedlich diese Kategorisierungen zunächst erscheinen mö-

gen, ist ihre Aussage letztendlich doch dieselbe, da die Erziehungsfunktion bei

weiteren Ausführungen eines jeden Ansatzes in den Mittelpunkt gestellt wird. Allen

anderen Aufgabenbereichen wird nur insofern Aufmerksamkeit geschenkt, als

dass sie für einen bestimmten pädagogischen Zweck von Bedeutung sind. Eine

klare Trennung von KJL und Erziehung gibt es in der chinesischen KJL-Wissen-

schaft bis heute nicht.360

5.2 Die Erziehungsfunktion der Kinder- und Jugendliteratur in ihrer

historischen Entwicklung

5.2.1 Die Erziehungsfunktion im Konfuzianismus

Im Konfuzianismus nehmen Erziehung und Bildung eine zentrale Funktion für die

charakterliche Vervollkommnung des Einzelnen und diese wiederum für die ge-

sellschaftliche Ordnung ein.361 Die Konfuzianer waren der Ansicht, „dass alle

Menschen gleichermaßen von Geburt an einen Geist besitzen, der lernfähig ist“.362

Für die Charakterformung und die Ausbildung von „li“-konformem Verhalten galten

Erziehung und Selbsterziehung – vor allem durch Lernen am Vorbild – als Grund-

voraussetzung, so dass die Ausbildung von Moral aufs Engste mit dem Lernen

verbunden war.363 Im „Drei-Zeichen-Klassiker“ wird dazu aus dem „Liji“, dem

359 Hai Fei 1999: S. 5Vereinzelt werden weitere Funktionen genannt, die aber meist den genannten Hauptfunktionen zu-geordnet werden können, wie z.B. die Verbesserung der „Lebensfähigkeit“ (o.V. 1999c: S. 1299),die Schulung des Sprachgefühls und des Umgangs mit Texten (Fang Weiping 2004: S. 15f.) oderder Kreativität, was erst im Laufe der letzten Jahre als Schlüsselqualifikation anerkannt wurde. (BiBingbin 1991: S. 41; Huang Mingchao 2001: S. 6) Siehe auch Ausführungen zur „suzhi jiaoyu“ inKapitel 6.3.1.1360 Zhu Ziqiang 2000a: S. 415361 Acker und Turner 2002: S. 12; Neder 1999: S. 45362 Metzger 1990: S. 329363 Acker und Turner 2002: S. 12; Cheng Hanbang 1990: S. 231; Liang Yong 1998: S. 61; Opitz1990: S. 510ff.; Pu Manting 1991: S. 5In der europäischen KJL-Geschichte findet sich bei dem dem humanistischen Bildungsideal ver-pflichteten niederländischen Gebildeten Erasmus von Rotterdam (1466-1536) ein sehr ähnlicherAnsatz: „Erasmus’ pädagogisches Programm gründete in der Auffassung von der natürlichen Nei-gung des Menschen zu moralischer Würde und Tugend. Doch bedurfte es für ihn der Erziehung,um die von der Natur vorgegebenen Anlagen der Kinder zur Entfaltung zu bringen.“ (Schikorsky2003: S. 11)

75

„Buch der Riten“, der für das konfuzianische Kindheitsbild grundlegende Satz zi-

tiert: „Wenn Jade nicht geschliffen wird, kann sie zu keinem Gebrauchsgegen-

stand werden: Wenn ein Mensch nichts lernt, dann kennt er seine Pflichten

nicht.“364 Für diese moralische und gesellschaftliche Erziehung wurden Kunst und

Literatur als sehr wirkungsvoll erachtet.365

5.2.2 Die Erziehungsfunktion vom Ende des Kaiserreichs bis 1978

Die Betonung der erzieherischen Funktion zieht sich wie ein roter Faden durch die

Entwicklungsgeschichte der chinesischen KJL. Die konfuzianische Auffassung,

dass Lektüre für die Erziehung und das Lernen von großer Bedeutung ist, fand

auch Ende des Kaiserreichs ihren Niederschlag. Die Dimension der der Literatur

zugesprochenen Wirkungskraft auf Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen

zeigt sich besonders eindrucksvoll in Ausführungen von Liang Qichao aus dem

Jahr 1903:

„Will man die Bürger eines Landes erneuern, muss zuerst die Literatur er-neuert werden. Beabsichtigt man die Moral zu erneuern, muss die Literaturerneuert werden; will man die Politik erneuern, muss die Literatur erneuertwerden; will man die sozialen Sitten erneuern, muss die Literatur erneuertwerden, will man das Wissen und die Künste erneuern, muss die Literaturerneuert werden; und selbst wenn der menschliche Verstand und Charakterneu gebildet werden sollen, muss die Literatur erneuert werden. Warum diesso ist? Dies resultiert aus der Macht der Literatur auf die Belange des Men-schen.“366

Insgesamt wurde der konfuzianische Einfluss zu Beginn des 20. Jahrhunderts

zwar stark geschwächt, die kontinuierliche Betonung der pädagogischen Funktion

von KJL stellte jedoch eine Kontinuität des konfuzianischen Einflusses dar.367 So

war die Auffassung von Literatur während der 4.-Mai-Bewegung trotz der ableh-

nenden Haltung der Reformer gegenüber dem Konfuzianismus diesbezüglich na-

hezu unverändert: Man erachtete die Literatur als einziges effektives Mittel, um

„die Einstellungen ihrer Leser zu ändern und über diesen Weg eine grundlegende

364 Yu bu zhuo, bu cheng qi, ren bu xue, bu zhi yi. Liang Yong 1998: S. 69365 Fan Fajia 1999a: S. 23 ; Farquhar 1999: S. 186366 Deutsch zitiert nach Frick 2002: S. 74; mit anderem Wortlaut auch in Wagner 1983: S. 13367 Wu 1996: S. 22

76

Umwandlung der gesamten Gesellschaft auf friedliche Weise einzuleiten“.368 Bei

nahezu allen Vertretern der 4.-Mai-Bewegung sollte die KJL nicht nur kindliche

Bedürfnisse befriedigen, sondern auch – je nach Vertreter unterschiedlich stark

gewichtet und ausgerichtet – erzieherisch wirken.369

Auch die KPCh legte seit der Parteigründung 1921 großen Wert auf die KJL. 1923

äußerte sie sich folgendermaßen zu der Funktion von KJL: sie solle „den Samen

des Kommunismus säen“ und „zukünftige Genossen heranziehen“.370 Im selben

Jahr wurde außerdem im Organ des chinesischen sozialistischen Jugendverban-

des „The Pioneer“371 gefordert, dass dafür die „Kinder- und Jugendbücher [...]

gründlich redaktionell bearbeitet werden“ sollten.372

Mao entwickelte die in der 4.-Mai-Bewegung als Reformwerkzeug entdeckte KJL

zum Propagandainstrument weiter. 1942 verkündete er in seinen berühmten

„Yan’an-Reden über Literatur und Kunst“ eine generelle Direktive mit Richtlinien

für jegliche revolutionäre Kunst – somit auch für die KJL –, die zunächst nur für die

von den Kommunisten „befreiten Gebiete“ galt und von 1949 bis zu seinem Tod

1976 als nationale Kulturpolitik Gültigkeit hatte.373 Demnach sollte die Volksre-

publik nur „eine Literatur und Kunst dulden, die dem Staate und der Revolution

dien[t]“.374 Jede Literatur sollte die „Realität“, d.h. in erster Linie den Klassen-

368 Frick 2002: S. 90369 Frick 2002: S. 97Die Erziehungsfunktion galt zwar bei allen als wichtiges Merkmal, doch die Auffassungen darüber,was man darunter zu verstehen habe, gingen auseinander: Zhou Zuoren sah „die Funktion derKinderliteratur in der Erziehung [...] literarischer, nicht ethischer Art“. (Zitiert nach Frick 2002: S.154f.) Er sprach sich für Wertfreiheit und gegen moralische sowie politische Inhalte und somit ge-gen „eine dem Kind fremde Funktionalisierung“ (Frick 2002: S. 153f.) aus. Andere Intellektuelle wieZhen Zhengduo, Chen Duxiu und Sun Yuxiu sahen die KJL durchaus als Erziehungsinstrumentund Vermittler von Ethik und Moral, wobei es sich aber eben nicht um konfuzianische Tugenden,sondern um moderne Normen und Werte handeln sollte. (Frick 2002: S. 98,108; Ma Li 2000: S. 96)Diese Verbindung von Literatur und Moral wurde kontrovers diskutiert, da sie manche Kritiker alsAusdruck einer traditionellen und somit verpönten Literaturauffassung mit traditionellem Kindheits-konzept erachteten. (Frick 2002: S. 109) Ye Shengtao und einige andere Reformer wollten mit demMedium Kinderliteratur primär den Bedürfnissen und Interessen der Kinder gerecht werden undverfolgten erst an zweiter Stelle erzieherische Zielsetzungen. (Frick 2002: S. 37)370 Chen Zidian 2003: S. 71371 Xianqu 372 Pu Manting 1991: S. 14Diese hier erstmals formulierten Ziele wurden nach Gründung der Volksrepublik noch deutlicherbetont und haben nach Ansicht Pu Mantings bis heute Gültigkeit. (Pu Manting 1991: S. 14)373 Farquhar 1999: S. 143, 176; Huang Yunsheng 2004: S. 154374 Seitz 2000: S. 128

77

kampf, darstellen und als in den Dienst der Politik gestelltes Erziehungsinstrument

das revolutionäre Bewusstsein der jungen Leser ausbilden und schulen.375 Der

Zweck jeglicher Publikationsarbeit waren die Stärkung des Sozialismus und die

Bekämpfung des Kapitalismus. Am 18.11.1955 wurde in dem Papier „Intentionen

des Chinesischen Schriftstellerverbandes zur Entwicklung der Kinder- und Ju-

gendliteratur“376 festgehalten, dass „die KJL [...] ein kraftvolles Werkzeug [ist], um

die junge Generation zu hervorragenden Fortführern der sozialistischen Sache

heranzubilden“.377 In den noch gemäßigten 1950er Jahren waren Patriotismus und

Liebe zum Volk, hochstehende Moral und Tugend die zu vermittelnden Wertvor-

stellungen bei der revolutionären Erziehung.378 Die KJL stand ganz im Dienst der

von der Regierung proklamierten Erziehungsdevise der „fünffachen Liebe“: der

Liebe zum Vaterland, zum Volk, zur Arbeit, zur Wissenschaft und zum Gemein-

gut.379 Ab Ende der 1950er Jahre wurde die KJL als revolutionäre Sache immer

stärker in die Arbeit von Partei und Regierung eingebunden und der politischen

Kontrolle durch die KPCh unterstellt.380 Die theoretische pädagogische Grundlage

ergab sich aus der Parteiideologie und gab die Richtung der KJL und somit die

gezielte Beeinflussung der jungen Leser vor.381 Die zentrale Eigenheit der damali-

gen Literatur – und somit auch der KJL – und ihr alleiniges Beurteilungskriterium

war daher ihre Übereinstimmung mit den theoretischen Prinzipien der marxisti-

schen Ideologie.382 Einer der Hauptvertreter dieser exklusiv pädagogisch ausge-

richteten KJL war Lu Bing, der in den 1950er Jahren beim Shanghaier Kinder- und

Jugendbuchverlag arbeitete und darüber hinaus auch im Bereich der Theorie zur

KJL aktiv war.383 Er prägte Anfang der 1960er Jahre den Begriff von der „jiaoyu

375 Farquhar 1999: S. 334; Wang Quangen 2000: S. 701376 Zhongguo zuojia xiehui guanyu fazhan shaonian ertong wenxue de zhishi

377 Shaonian ertong wenxue shi peiyang nianqing yidai chengwei youxiu de shehuizhuyi shiye jie-banren de qiang youli de gongju

Wang Quangen 2004d: S. 783378 Ma Li 2000: S. 110379 Müller 1979: S. 257380 Chen Zidian 2003: S. 71; Farquhar 1999: S. 168; Huang Yunsheng 2004: S. 165381 Farquhar 1999: S. 302382 Es herrschte die Ansicht, dass ein gutes Buch wertvolle Hilfestellung bei der Erziehung leistenkönne, genauso wie ein schlechtes Buch mühevolle Erziehung zunichte machen könne. (Ma Li2000: S. 111) Als entsprechend wichtig galten Kontrolle und Zensur.383 Wang Quangen 2000: S. 701

78

ertong de wenxue“384 und hielt bis Anfang der 1990er Jahre an seiner Ansicht

von der KJL als „Erziehungsinstrument“385 fest, wenn auch ab 1978 etwas gemä-

ßigter.386

Die Lektüre von KJL sollte in den 1960er und 1970er Jahren Teil der Erziehung

sein, die im Maoismus als Bestandteil des „sozialistischen Aufbaus“ betrachtet

wurde.387 Alle gesellschaftlichen Bereiche wurden dazu aufgefordert, sich aktiv an

der Mitgestaltung der KJL zu beteiligen.388

5.2.3 Die Erziehungsfunktion seit 1978

Trotz aller rückblickender Kritik an der „force-feeding“-KJL der Mao-Zeit389 ließ die

chinesische Regierung auch zu Beginn der Reform- und Öffnungspolitik keine

Zweifel daran aufkommen, dass die KJL nach wie vor in erster Linie als Erzie-

hungsmittel angesehen wurde: als sozialistische Sozialisationsliteratur, deren So-

zialisationsrichtung mit der „Orientierung an der kommunistischen Erziehung“ ge-

nau vorgegeben war.390 Ziel der Lushan-Konferenz 1978, der ersten nationalen

Konferenz zur KJL nach Maos Tod, die als Wendepunkt in der chinesischen KJL

gilt,391 war die Schaffung von Kinderbüchern, welche die „moralische und geistige

Entwicklung der Kinder“392 unterstützen sollten. Deng Xiaoping forderte 1978,

dass die Kinder von klein auf im Sinne der revolutionären Ideale und kommunisti-

schen Tugenden zu erziehen seien, woraufhin verstärkt Werke mit patriotischem

Gehalt – über die Schönheiten des Vaterlandes, das hohe Ideal der Vaterlands-

liebe etc. – veröffentlicht wurden.393 Gerade vor den „historischen Voraussetzungen

384 Literatur, die die Kinder erzieht385 jiaoyu gongju 386 Wang Quangen 2000: S. 702; Zhu Ziqiang 2000a: S. 414387 Fan Fajia 1999a: S. 23388 Huang Yunsheng 2004: S. 159389 Farquhar 1999: S. 303390 o.V. 1991: S. 192391 Wang Quangen 2000: S. 688392 Li Xia 1995: S. 32393 Ma Li 2000: S. 169f.Auch politische Filme und Lieder für Kinder kamen vermehrt auf. (Ma Li 2000: S. 179)

79

für die Reform- und Öffnungspolitik“ sei es „umso wichtiger, die Kinder zu patrioti-

schem Denken zu erziehen“, weil der „Patriotismus eine wichtige geistige Stütze

für die Entwicklung sei“.394 Wie oben erwähnt, verlangte Deng Xiaoping auf dem

Vierten Kongress der Schriftsteller und Künstler im November 1979, dass die Lite-

ratur Propagandainstrument für die „Vier Modernisierungen“ wird. Die KJL wurde

somit nicht aus dem Dienst der Politik entlassen, sondern entwickelte sich nach

1978 zu einem integralen Bestandteil der Modernisierungs- und Entwicklungs-

strategie.395 Neues Beurteilungskriterium für jegliche Literatur und Kunst, und

somit auch die KJL, wurde der Nutzen für die Umsetzung der Modernisierungs-

politik.396

In der chinesischen KJL-Geschichtsschreibung gilt die Phase nach 1978 trotz der

weiterhin starken Betonung der erzieherischen Funktion als „grenzenlose Ent-

wicklung“ und völlig neue Entwicklungsstufe im Hinblick auf Kreativität, künstleri-

sche Freiheit und Vielfalt, welche die vorausgegangenen Jahre des Formalismus

und der Instrumentalisierung beendete.397 Doch auch wenn die KJL seit der Re-

form- und Öffnungspolitik in den Genuss zahlreicher Lockerungen und zunehmen-

der Freiheit kam und sich die chinesische KJL-Wissenschaft geschlossen von

einer Instrumentalisierung der KJL und ihrer Reduktion auf ein Erziehungsinstru-

ment distanzierte, haben sich grundlegende Einstellungen zum Thema KJL und

Erziehung zwar gemäßigt, in den Grundfesten aber nicht verändert. Beim Ver-

gleich des folgenden Auszugs aus einem Artikel der „Renmin Ribao“398 vom 16.

September 1955 mit den im Anschluss zitierten, für die heutige KJL gültigen For-

derungen fällt auf, dass sich zwar die Diktion etwas verändert hat, der Inhalt je-

doch weitgehend gleich geblieben ist:

„Die Literatur ist ein sehr gutes Werkzeug, um auf die moralische Veran-lagung über lange Zeit positiven Einfluss auszuüben und um der korrektenLebensanschauung Geltung zu verschaffen. [...] Heute wie auch morgenwollen wir unser Vaterland zu einem sozialistischen und kommunistischen

394 Ma Li 2000: S. 172395 Wang Quangen 2004b: S. 37396 Bi Lijun 2003: S. 95397 Wang Quangen 2004: S. 3398 Volkszeitung

80

Staat aufbauen. Diejenigen, die unser Vaterland aufbauen, müssen entspre-chende Menschen heranziehen – Menschen mit einem von kommunistischen[...] Moralvorstellungen geprägten Weltbild.“399

„Autoren von Kinder- und Jugendliteratur sollen bei der Produktion von Kin-der- und Jugendliteratur die kommunistische Ideologie als Anleitung nehmenund durch jede Art von lebhaften und bedeutungsvollen künstlerischen Figu-ren dabei behilflich sein, dass der Ideologie des Aufbaus der sozialistischenModernisierung bei den Kindern Geltung verschafft wird [...].“400

Die Literatur wird in den heutigen Richtlinien nicht mehr als „Werkzeug“ bezeich-

net, soll aber im Endeffekt weiterhin als solches dienen, wie aus dem zweiten obi-

gen Zitat deutlich wird. Die Beeinflussung im Sinne der sozialistischen Ideologie

steht nach wie vor im Mittelpunkt. Allein die abgeschwächte, veränderte Diktion

wurde in der chinesischen KJL-Wissenschaft als „Befreiung aus der Politik“ ge-

wertet.401

Eine fundamentale Neuheit nach dem Sturz der „Viererbande“ aber war, dass die

Vereinbarkeit der Erziehungsfunktion mit dem künstlerisch-ästhetischen Aspekt

von KJL zunehmend in die theoretische Diskussion mit aufgenommen wurde.

Schon ab dem 3. Plenum des 11. ZK im Dezember 1978 war die Rückbesinnung

auf das Literarische in der KJL ein Thema:402 KJL sei in erster Linie Literatur, und

kein Erziehungsinstrument – ein Ansatz, der heute auch in China als selbstver-

ständlich gilt, der bei den ersten diesbezüglichen Äußerungen jedoch heftige Re-

aktionen auslöste.403 Vor allem für jüngere Autoren wie Cao Wenxuan stand das

399 Wenxue zai taozhi daode pinzhi he shuli zhengque de renshengguan shang henhao de gong-ju [...]. Jintian he jinhou, women yao ba women de zuguo jianshe chengwei shehuizhuyi he gong-chanzhuyi de guojia, women guojia de jianshezhe jiu bixu taoyang cheng zheyang de renwu –juyou gongchanzhuyi de daode pinzhi [...] de shijieguan.

[...]–

[...] Chen Zidian 2003: S. 68Der Artikel bezieht sich nicht nur auf die KJL, sondern auf Literatur allgemein – es sollten also auchdie Erwachsenen entsprechend erzogen werden.400 Ertong wenxue zuozhe ying yi gongchanzhuyi sixiang lai zhidao ertong wenxue chuangzuo,tongguo gezhong shengdong huobo, fuyou yiyi de yishu xingxiang, bangzhu ertong shuli qi jiansheshehuizhuyi xiandaihua de sixiang [...].

[...]Chen Zidian 2003: S. 72401 Zhu Ziqiang 2000a: S. 352402 Zhu Ziqiang 2000a: S. 351403 Ma Li 2000: S. 116; Wang Quangen 2004: S. 4; Wang Yonghong 2004: S. 142

81

Streben nach Künstlerischem im Mittelpunkt.404 Cao Wenxuan, der auf der „Natio-

nalen Konferenz zur Produktion von KJL“ im November 1985 sagte „KJL ist Lite-

ratur und sonst nichts“405, begrüßte diese Entwicklung als das Verlassen eines

künstlerischen Irrwegs, um auf den rechten Weg zu kommen.406 Seiner Meinung

nach sollte das Künstlerisch-Literarische bei der KJL im Mittelpunkt stehen und

nicht die Erziehung, da Literatur ohnehin auf eine bestimmte Art und Weise erzie-

herisch wirke, ob sie nun explizit diese Absicht habe oder nicht, weil das Darge-

stellte den Leser berühre und dadurch beeinflusse.407

Eine richtungsweisende landesweite Konferenz mit dem Schwerpunktthema „Die

Beziehung zwischen KJL und Erziehung“ fand im Juni 1984 in Shijiazhuang statt.

Ergebnis der Diskussionen war, dass KJL zweifellos pädagogische Funktion habe,

dass aber die Ansicht, KJL sei eine „jiaoyu ertong de wenxue“ bzw. ein „jiaoyu de

gongju“408 ab den 1950er Jahren unter „linken“ Einfluss geraten und daher abzu-

lehnen sei, weil die künstlerisch-literarische Funktion damals völlig unberücksich-

tigt geblieben sei.409 Die Ansicht über die zentrale Bedeutung des Künstlerischen

blieb jedoch in der chinesischen KJL-Wissenschaft umstritten. Chen Bochui bei-

spielsweise gab in einem Artikel vom 4. Juni 1987 in der „Jiefang Ribao“410 dem

pädagogischen Aspekt erneut Vorrang:

„Das Wertvolle an Literatur ist nicht nur, dass sie dem Leser einen umfassen-den, angenehmen ästhetischen Genuss bereitet, sondern noch wichtiger ist,dass sie mit fortschrittlichem Denken den menschlichen Lebensweg inspiriertund so die Menschen zu hochstehendem Verhalten innerhalb moralischer Tu-genden veranlasst sowie den gesellschaftlichen Fortschritt vorantreibt.“411

404 Wang Quangen 2000: S. 723405 ertong wenxue shi wenxue, bushi biede 406 Wang Quangen 2004: S. 4407 Zhu Ziqiang 2000a: S. 355408 Erziehungsinstrument409 Zhu Ziqiang 2000a: S. 354410 „Befreiungszeitung“411 Wenxue de gao yichu, bujin zaiyu rang duzhe quanshen xin de huode yukuai de mei de xiang-shou, geng zhongyao de zaiyu yi xianjin de sixiang qishi rensheng daolu, cushi ren zuochu daodefanchou nei de gaoshang xingwei, tuidong shehui qianjin.

Zhu Ziqiang 2000a: S. 89

82

Pu Mantings Ansicht aus dem Jahr 1991 ist noch stärker pädagogisch ausgerichtet:

„Die Umsetzung der kommunistischen Erziehungsausrichtung bedeutet, dassdie Werke [der chinesischen KJL] dem grundlegenden Geist der Partei unddes Staates, dem Geist der gesellschaftlichen Erziehungsideale und -leitlinienentsprechen und diesen repräsentieren, um die Kinder mit Hilfe künstleri-scher Figuren noch besser dazu anzuleiten und zu erziehen, umfassend ent-wickelte Nachfolger der revolutionären Sache zu werden.“412

Auch der eingangs zitierte Ausspruch von Wang Quangen – „Die KJL trägt auf ihren

Schultern die heilige Mission, die zukünftige Generation unserer Nation zu geistiger

Qualität heranzuziehen“413 – lässt die Bedeutung, die der KJL als Erziehungsfaktor

beigemessen wird, unschwer erkennen. Fang Weiping wiederum ist der Meinung,

dass die KJL an „eigenem literarischen Stil und Wert“ verliere, wenn die erzieheri-

sche Funktion zum Ausgangspunkt gemacht würde.414 Auch Ma Li erachtet den

alleinigen Schwerpunkt auf der Erziehung als zu eng – vielmehr müsse die Ästhetik

in den Mittelpunkt gestellt werden.415 Er widerspricht sich jedoch selbst in seinen

weiteren Ausführungen, indem er die Erziehung als Bestandteil der Ästhetik defi-

niert: Nur wenn die Ästhetik und das Künstlerische vorhanden und ansprechend

seien, könne die erzieherische Wirkung erfolgreich sein. Daher könnten diese bei-

den Aspekte nicht isoliert voneinander betrachtet werden – die KJL sei die Einheit

von ideologischem Inhalt und künstlerischer Form.416 Fang Weiping dagegen, des-

sen Ausführungen in chinesischen Fachkreisen als sehr einflussreich gelten, warnt

davor, die Erziehung zum alleinigen Ausgangspunkt zu machen und auf diese Wei-

se dem künstlerisch-literarischen Wesen der KJL zu schaden.417

412 Guanche gongchanzhuyi jiaoyu fangxiangxing, jiushi yaoshi zuopin fuhe, tixian dang he guojia,shehui de jiaoyu lixiang, jiaoyu fangzhen de jichu jingshen, yibian genghao de tongguo yishuxingxiang yindao he jiaoyu haizi chengwei quanmian fazhan de geming shiye jiebanren.

Pu Manting 1991: S. 14Eine ähnliche Formulierung findet sich bei Chen Zidian: Die heutige KJL solle die „Nachfolger fürdas Unternehmen der sozialistischen Modernisierung heranziehen“ (peiyang shehuizhuyi xiandai-hua shiye jiebanren ). (Chen Zidian 2003: S. 71)413 Wang Quangen 2004: S. 3414 Zhu Ziqiang 2000: S. 89415 Ma Li 2000: S. 116416 Ma Li 2000: S. 116ff.417 Zhu Ziqiang 2000a: S. 356f.

83

Die Verbindung von KJL und Erziehung gilt bis heute in der chinesischen KJL-

Wissenschaft als untrennbar. Bei den beiden Aspekten Erziehung und Ästhetik ist

eine starke Verunsicherung zu bemerken. Den Diskussionen der letzten Jahre

meint man zwar eine stärkere Betonung des künstlerischen Aspekts entnehmen

zu können, bei genauerem Hinsehen ist aber – je nach Wissenschaftler unter-

schiedlich stark gewichtet – immer die Erziehung das eigentliche Anliegen. In den

Diskussionen der frühen 1980er Jahre zur Beziehung zwischen Literatur und Er-

ziehung wurde betont, dass die Erziehung nicht über politische Inhalte geschehen

solle, sondern durch ästhetische Werte und Wirkungen, da das Lesen keine „ge-

wöhnliche erzieherische Tätigkeit“ sei, sondern immer auch einen spielerischen

Anteil habe.418 Da der ästhetisch-künstlerische Aspekt nur deshalb als zentral an-

gesehen wird, weil man sich durch ein kindgerechtes, ansprechendes und interes-

santes Werk eine effektivere, da zielgerichtetere erzieherische Beeinflussung er-

hofft, sind die beiden Bereiche Erziehung und Ästhetik in der chinesischen KJL

untrennbar miteinander verquickt: Man bedient sich der Ästhetik, um erzieherische

Ziele durchzusetzen. Dennoch ist insgesamt eine tendenzielle Abwendung von der

Instrumentalisierung der KJL sowie von pädagogischen Dogmen zu verzeichnen,

die durch die wissenschaftliche Beschäftigung seit den 1980er Jahren mit der

4.-Mai-Bewegung, insbesondere mit Zhou Zuoren und seinen Ansichten zur „Welt

der Kinder“ zusammenhängt.419 In der heutigen chinesischen KJL leugnet nie-

mand erzieherische Absichten, der Ausgangspunkt jedoch ist nicht mehr aus-

schließlich pädagogisch oder ausschließlich politisch, sondern soll vielmehr aus

dem Leben gegriffen sein und Themen behandeln, welche die Kinder und Jugend-

lichen interessieren und berühren.420 Die Diskussionen um die Gewichtung aber

dauern bis heute an.

418 Fang Weiping 2000: S. 13; Pu Manting 1991: S. 11f.; Wang Quangen 2004: S. 4419 Wang Yonghong 2004: S. 142420 Zhu Ziqiang 2000a: S. 358

84

6 Der Jugendroman – Hauptgattung der chinesischen Kinder- und

Jugendliteratur der 1990er Jahre

Der Jugendroman konnte erst entstehen, als die Alterseinteilung der chinesischen

KJL Mitte der 1980er Jahre wieder aufgenommen, konkret formuliert und weiter-

geführt wurde. Wang Quangen zeigte auf einer nationalen Konferenz in Dalian

1985 die Notwendigkeit einer Altersdreiteilung auf, die er wegen grundlegender

Entwicklungsunterschiede der verschiedenen Altersstufen und der bis dahin ver-

säumten Anpassung an den internationalen Usus sah.421 Die Alterseinteilung wur-

de daraufhin zum Hauptthema der theoretischen Diskussion in der zweiten Hälfte

der 1980er Jahre. Seit Anfang der 1990er Jahre ist sie fester und allgemein an-

erkannter Bestandteil der Theorie und wird in der chinesischen KJL-Wissenschaft

als großer Fortschritt gewertet, weil sie zum einen als neue theoretische Grund-

lage für die gezielte Schaffung neuer Gattungen, die speziell auf eine Altersgruppe

und deren Rezeptionsfähigkeiten abgestimmt waren, von großer Bedeutung

war,422 und weil sie zum anderen dazu beitrug, dass bereits vorhandene Phäno-

mene in der Produktion nachträglich kategorisiert werden konnten.

Besonders großer Raum in Theorie und Produktion nahm ab Ende der 1980er

Jahre die Jugendliteratur und dabei ganz besonders der Jugendroman ein. Die

jugendliche Altersgruppe war vor der theoretischen Diskussion zur Alterseinteilung

insgesamt nur wenig berücksichtigt worden,423 so dass in diesem Bereich das

Umdenken am ausgeprägtesten war, schienen doch die theoretischen Kategorien

der Kinderliteratur für die der Erwachsenenliteratur wesentlich nähere Jugendlite-

ratur424 als ungeeignet.

421 Wang Yonghong 2004: S 136ff., 141422 Wang Quangen 1999: S. 4; Wang Quangen 2004: S. 11; Wang Yonghong 2004: S. 136ff.423 Laut Sun Jianjiang habe es zwar schon vor den 1980er Jahren Jugendromane gegeben, dasGenre sei aber wesentlich weniger entwickelt gewesen und außerdem hätten sich früher als Ju-gendroman bezeichnete Werke an eine jüngere Zielgruppe gerichtet als heute, so dass es für dieJugendlichen de facto keine speziell zugeschnittenen Werke gegeben habe. (Sun Jianjiang 1999a:S. 131) Die KJL-Autoren hätten damals eine „gemeinsame“ KJL für Kinder und Jugendliche, ohneklare Unterscheidung, verfasst. (Mei Zihan u.a. 2001: S. 111)424 shaonian wenxue

85

6.1 Definition und Abgrenzung

6.1.1 Definition

Zum Thema Jugendroman existiert in der chinesischen KJL-Wissenschaft keine

umfassende, verbindliche Fachterminologie. In wissenschaftlichen Abhandlungen

werden Begriffe wie „ertong xiaoshuo“425 und „shaonian xiaoshuo“426 uneinheitlich

definiert und häufig inkonsequent, bisweilen sogar synonym verwendet. Huang

Mingchao beispielsweise spricht vom „ertong xiaoshuo“, analog zum Begriff der

„ertong wenxue“ im weiteren Sinn, und unterteilt ihn weiter in die beiden Bereiche

„tongnian“ ( , 8 bis 12 Jahre) und „shaonian“ ( , 11 bis 18 Jahre).427 Daher

definiert er den „Kinderroman“ als „literarische Gattung, die dem kindlichen und

jugendlichen Leser gefallen und außerdem seinem ästhetischen Empfinden und

seinen ästhetischen Anforderungen angemessen sein soll“.428 In anderen Ab-

handlungen wird unterschieden zwischen „ertong xiaoshuo“ und „shaonian xiao-

shuo“ in Analogie zur Altersdreiteilung in „you’er wenxue“, „ertong wenxue“ (im

engeren Sinn) und „shaonian wenxue“. Als Zielgruppe werden in der Regel die 10-

bis 15-Jährigen bzw. die Klassenstufen fünf bis acht genannt.429 Dies ist z.B. bei

Pu Manting der Fall, der aber nur wenige Seiten später in der gleichen Veröffent-

lichung bezogen auf dieselbe Alterszielgruppe von den Adressaten als „Kindern

und Jugendlichen“ spricht, ebenso Han Jin,430 was nur zwei herausgegriffene Bei-

spiele für definitorische und terminologische Unklarheiten sind.

Ein Grund für diese terminologischen Schwierigkeiten ist womöglich die Verschie-

bung der Begriffe Kinder und Jugendliche: Laut Fang Weiping galten früher erst

Teenager ab etwa 14 Jahren als „shaonian“, alles darunter waren Kinder.431 Heute

425 Kinderroman 426 Jugendroman 427 Huang Mingchao 2001: S. 119, 124f.428 Huang Mingchao 2001: S. 119; Unterstreichung von der Verfasserin429 o.V. 1991: S. 99; Pu Manting 1991: S. 86Es gibt zahlreiche geringfügige Abweichungen davon: Bei Tang Rui werden die Klassenstufen vierbis sechs als Zielgruppe des „shaonian xiaoshuo“ genannt (Tang Rui 2004: S. 41), bei Fang Wei-ping dagegen die Viert- bis Siebtklässler. (Fang Weiping 2004: S. 158) Ma Li definiert „shaonianwenxue“ als „Literatur für Mittelschüler“, also Siebt- bis Zehnklässler. (Ma Li 2000: S. 210)430 Han Jin 1999: S. 66; Pu Manting 1991: S. 96; Unterstreichung von der Verfasserin431 Mei Zihan u.a. 2001: S. 107

86

dagegen wird schon ab dem 10., spätestens ab dem 12. Lebensjahr von Jugend

gesprochen. Mei Zihan weist darauf hin, dass die Bezeichnung „Kinderroman“

prinzipiell unpassend sei, da es kaum Werke gebe, die für Kinder – nach seiner

Definition Grundschüler bis einschließlich zur 4. Klasse – geeignet seien und

gleichzeitig die Merkmale der Gattung Roman aufwiesen: Thematisiert würden der

psychische und physische Reifungsprozess, wobei die Jugendlichen und nicht die

Kinder angesprochen seien, so dass im Grunde genommen alle Romane der KJL

Jugendromane seien.432 Cao Wenxuan widerspricht dieser These, indem er die

Werke Qin Wenjuns als Beispiele für gute Kinderromane nennt.433 In anderen Ab-

handlungen werden ihre Werke jedoch ebenfalls dem Jugendroman zugerechnet.

Angesichts der anhaltenden Diskussionen in der chinesischen KJL-Wissenschaft

ist bisher kein befriedigendes abschließendes Ergebnis bezüglich der definitori-

schen Abgrenzung zu verzeichnen.

Da es am einfachsten und logisch erscheint, sich an der oben dargelegten, heute

in der chinesischen KJL üblichen Alterseinteilung zu orientieren, sollen im Folgen-

den Romane Untersuchungsgegenstand sein, die an dieselbe Altersgruppe adres-

siert sind wie die „shaonian wenxue“, also Jugendliche zwischen 10 und 15 Jah-

ren. Als deutsche Bezeichnung wird der Ausdruck Jugendroman verwendet, auch

wenn in den chinesischsprachigen Texten aus oben genannten Gründen bisweilen

von „ertong xiaoshuo“, und nicht von „shaonian xiaoshuo“ gesprochen wird und

der deutsche Begriff im Gegensatz zum chinesischen sowohl realistische als auch

phantastische Romane umfasst.434

432 Mei Zihan 2000: S. 38; Mei Zihan u.a. 2001: S. 107433 Mei Zihan u.a. 2001: S. 107434 In der chinesischen KJL werden nur realistische Werke als Roman bezeichnet, das heißt Wer-ke, deren Erzählgeschehen in einem für den Leser genau lokalisierbaren räumlichen und zeitlichenKoordinatesystem stattfinden, wodurch ein größtmöglicher Realitäsbezug hergestellt werden soll.(Scheiner 2000: S. 159) Dies ist gerade im Hinblick auf die unten ausgeführte Vorbildfunktion vonLiteratur von großer Bedeutung.

87

6.1.2 Formale Einteilung

In China wird formal nach drei Arten von Romanen435 unterschieden: kurze, mit-

tellange und lange.436 Entscheidend für diese Einteilung ist zum einen der Um-

fang, zum anderen aber auch die Komplexität des Textes.437 Während in den

1980er Jahren beim Jugendroman der kurzen Form der Vorrang gegeben wurde,

wurde in den 1990er Jahren, vor allem ab Mitte des Jahrzehnts, der „lange Ju-

gendroman“ sehr populär.438 Besonders die Jahre 1992 bis 1995 werden als

„changpian nian“ ( ) bezeichnet,439 doch wurde der lange Jugendroman

auch zum Hauptphänomen der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und sein Boom

hält bis heute an. Es ist vom „Jugendroman-Fieber“ die Rede, das großen Einfluss

auf das kinder- und jugendliterarische „Gesamtklima“ gehabt habe.440 Als Grund

für das späte Aufkommen des langen Jugendromans nennt Cao Wenxuan das

politisch-ideologische Umfeld: In der langen Form könnten wesentlich komplexere

Handlungsverläufe geschildert und facettenreichere Charaktere entworfen werden,

als es bei den kurzen Formen der Kinderliteratur der Fall sei. Nach den strengen

Richtlinien für Kunst und Literatur während der Kulturrevolution, unter denen aus

Angst vor Tabubrüchen neben linien- und propagandatreuen sehr viele oberfläch-

liche Werke entstanden seien, sei zu Beginn der Reform- und Öffnungspolitik der

Wunsch nach neuen Themen groß gewesen.441 Diesem sei der Jugendroman mit

435 xiaoshuo Genau genommen umfasst die Gattung „xiaoshuo“ alle Formen der erzählenden Prosadichtung,sie wird in der Regel aber mit „Roman“ ins Deutsche übersetzt.436 duanpian / zhongpian / changpian Im Deutschen entspricht Ersterem am ehesten die Kurzgeschichte, Zweitem die Erzählung undLetzterem der Roman.437 Neben der formalen Einteilung nach Länge ist die Unterscheidung nach Inhalten sehr üblich.Jugendromane werden demnach in die Kategorien Campusroman (xiaoyuan xiaoshuo ),„Roman aus dem wahren Leben“ (shenghuo xiaoshuo ), historischer Roman (lishi xiao-shuo ) – seit Anfang der 1990er Jahre gibt es einen neuen Typus des historischen Ro-mans, in dem sich nicht mehr alles um ein historisches Ereignis oder eine historische Persönlich-keit dreht, sondern der damalige Alltag anhand eines kindlichen Protagonisten dargestellt wird(Zhou Xiaobo 1999: S. 20) –, Kriegsroman (zhanzheng xiaoshuo ), Generationskonflikt-Roman (daigou xiaoshuo ), Tierroman (dongwu xiaoshuo ), Abenteuerroman(jingxian xiaoshuo ), Mantel- und Degenroman (wuxia xiaoshuo ) uvm. einge-teilt. (Fang Weiping 2004: S. 168; Huang Yunsheng 2004: S. 169; Wang Quangen 2004: S. 5)438 Fan Fajia 1999b: S. 27; Huang Yunsheng 2004: S. 170; Shu Peide 2004: S. 113; Zhang Meini1996: S. 13; Zhou Xiaobo 2004: S. 168439 Zhou Xiaobo 1999: S. 25440 Zhou Xiaobo 2004: S. 168441 Mei Zihan u.a. 2001: S. 108

88

seiner Tiefgründigkeit nachgekommen und dieser begründe auch seinen durch-

schlagenden Erfolg nach Jahren des vorsichtigen Herantastens und Ausprobie-

rens zu Beginn der 1990er Jahre. Der Zeitpunkt des Jugendroman-Booms war aber

außerdem von strategischen Förderungsmaßnahmen durch Regierungsinstitutio-

nen mitbestimmt.442

Doch manche chinesische KJL-Wissenschaftler bemängeln, dass es während des

„changpian“-Booms der 1990er Jahre in China zahlreiche Werke gegeben habe,

die de facto „aufgeblasene duanpian-Werke“ waren.443 Dabei sollte die Formel

eigentlich lauten: Je größer der Umfang, desto komplexer die Handlungsstränge

und desto mehr Figuren. Während in einem „kurzen“ Roman nur wenige Haupt-

figuren aufträten und die Geschichte aus einem klaren Handlungsstrang bestehe,

der eine kurze, abgeschlossene Episode erzählt, bilde ein „langer“ Roman eine

„kleine Gesellschaft“ mit mehreren Figuren ab, so dass neben einer erzählerisch

anspruchsvollen Abfassung in Prosa der Schwerpunkt auf einer lebendigen Figu-

rengestaltung liege. In Haupt- und Nebensträngen, deren Handlung in sich ge-

schlossen sein sollen, könnten komplexere Situationen und Zusammenhänge dar-

gestellt werden, die einen längeren Zeitraum umspannen können. Diese lange

literarische Form soll detailreiche, tiefgründigere Darstellungen des jugendlichen

Lebens erlauben und vor allem auch das Einbeziehen des sozio-kulturellen Hin-

tergrundes ermöglichen – ein Aspekt, der im Sozialistischen Realismus als zentral

für die Beurteilung der Qualität eines Werkes gilt. Die Handlung soll demnach in

einem konkreten, also realistischen Umfeld stattfinden und anschaulich, für die

Zielgruppe interessant und begreifbar das reale gesellschaftliche Leben von Kin-

dern und Jugendlichen darstellen.444 Dabei soll die Darstellung des kindlichen

bzw. jugendlichen Lebens nicht von der des gesamtgesellschaftlichen Lebens ge-

trennt werden, da das eine Bestandteil des anderen sei. Ein wichtiges Merkmal sei

außerdem, dass das Werk „zeitgenössischen Geist“ enthalte.445 Auf diese Weise

soll der Jugendroman möglichst nah am realen Leben seiner Leser sein und mit-

442 Zhou Xiaobo 1999: S. 33; Zhou Xiaobo 2004: S. 168443 Wang Yonghong 2004: S. 148; Zhou Xiaobo 1999: S. 33444 Huang Mingchao 2001: S. 119; Huang Yunsheng 2004: S. 12; Tang Rui 2004: S. 41445 Chen Zidian 2003: S. 103

89

hilfe jugendgemäßer Behandlung und Aufbereitung von individuellen und gesell-

schaftlichen Konflikten ein „guter Lehrer und hilfsbereiter Freund“ sein.446

6.1.3 Abgrenzung von der Kinderliteratur

Auch wenn die terminologische Abgrenzung zwischen Kinder- und Jugendroman

in der chinesischen KJL-Wissenschaft wie oben beschrieben bisher nur in Ansät-

zen vorgenommen wurde, wird die Jugendliteratur in zahlreichen Veröffentlichun-

gen deutlich von der Kinderliteratur abgegrenzt. Ausschlaggebend dafür ist, dass

als grundlegender Unterschied zwischen der Lebensphase Kindheit und der Le-

bensphase Jugend die veränderte Rolle der Gesellschaft für das eigene Leben

gilt.447 „Sie [die Jugendlichen] fangen an, die Beziehung zwischen ihrem eigenen

Leben und dem großartigen Vaterland zu erkennen“, beschreibt es Pu Manting mit

patriotischem Pathos.448 In kinderliterarischen Werken gehe es um irgendein Kind

in irgendeiner Familie, irgendeinen Hund oder irgendeinen Freund, ohne konkre-

ten Bezug zur Realität. Ein konstitutives Merkmal von Jugendliteratur dagegen sei,

dass der gesellschaftliche Bezug hergestellt werde, Figuren in ihrer Beziehung zur

Gesellschaft und ihrer Stellung in der Gesellschaft gezeichnet werden.449 Berei-

che, die bei Kindern noch in der Entwicklung seien, wie abstraktes Denken, so-

ziales Verhalten, Selbstwahrnehmung und ein Bewusstsein für Gut und Böse, sei

bei den Jugendlichen weitgehend ausgeprägt. Dies solle sich in der literarischen

Umsetzung zeigen – auch wenn bei Letzterem, dem Bewusstsein für Gut und Bö-

se, auch bei der Jugendliteratur noch klare Vorgaben erwünscht sind, um „Miss-

verständnisse“ zu vermeiden: Wegen der durch den Zwiespalt zwischen Selbst-

ständigkeit und Unabhängigkeit, durch Unsicherheit, Veränderungen und Instabi-

lität gekennzeichneten Lebensphase Pubertät gelten jugendliche Leser als sehr

empfänglich für eine Beeinflussung jeder Art. Daher wird es als besonders wichtig

erachtet, ihr Urteilsvermögen bezüglich Gut und Schlecht in die richtigen Bahnen

zu lenken.450 Insgesamt müsse die Darstellung in der Jugendliteratur aber nicht

446 Huang Yunsheng 2004: S. 3; Marquardt 1992: S. 106447 Han Jin 1999: S. 10; Huang Yunsheng 2004: S. 5448 Pu Manting 1991: S. 25449 Huang Yunsheng 2004: S. 6450 Pu Manting 1991: S. 25

90

mehr ganz so eindeutig und klar in Handlung und Figurenzeichnung sein, wie dies

bei der Kinderliteratur der Fall ist. Die Figuren sollen vielschichtiger und psycholo-

gisch tiefgründiger sein und nicht mehr schwarz-weiß nach Gut und Böse einge-

teilt werden, sondern durchaus gleichzeitig gute und schlechte Eigenschaften ha-

ben.451 Auch Negativbeispiele seien erwünscht, solange sie eindeutig als solche

erkennbar sind und entweder abschreckend oder auf das spätere Leben in der

Gesellschaft vorbereitend wirken. Ein weiterer Unterschied der Jugendliteratur in

Abgrenzung zur Kinderliteratur sei außerdem, dass neben Schönem auch Raum

für Trauriges sei.452

Huang Yunsheng stellt zusammenfassend fest, dass das „erwachsene“ Bewusst-

sein den Jugend- vom Kinderroman unterscheide.453 Es sei typisch für Jugend-

liche, dass sie sich von Kindlichem distanzieren. Da ihnen die Kinderromane zu

häufig zu einfach gestrickt und kindisch gewesen seien, hätten Jugendliche vor

dem Aufkommen des Jugendromans Lesestoff in der Erwachsenenliteratur ge-

sucht, die aber als ungeeignet erachtet wird: Sie überfordere die Jugendlichen, da

sie nicht auf deren Ängste und Wünsche eingehe.454 Hier sollte der maßgeschnei-

derte Jugendroman Abhilfe schaffen und die zuvor bestandene Lücke füllen. Da-

bei stellte sich jedoch die Frage, wie „erwachsen“ ein Jugendroman sein darf.455

6.1.4 Abgrenzung von der Erwachsenenliteratur

Das Aufkommen der Jugendliteratur, insbesondere des Jugendromans, warf die

Frage auf, wie tiefgründig ein Jugendroman sein dürfe, ohne die Rezeptionsfähig-

keiten seiner Leser zu überfordern.456 Denn zum einen spielten gerade die Berüh-

rungspunkte mit der „erwachsenen Welt“ eine Rolle, zum anderen solle der

Hauptunterschied zwischen Jugend- und Erwachsenenroman, nämlich die unter-

451 Ma Li 2000: S. 211452 Pu Manting 1991: S. 26f.453 Huang Yunsheng 2004: S. 10454 Mei Zihan 2000: S. 38f.; Wang Yonghong 2004: S. 136ff.455 Mei Zihan 2000: S. 39456 Ma Li 2000: S. 113; Sun Jianjiang 1999a: S. 124

91

schiedliche Zielgruppe, in den charakteristischen Merkmalen Berücksichtigung

finden.457

Der Hauptunterschied zwischen Jugendlichen und Erwachsenen wird zum einen

in ihrer sexuellen Reife, zum anderen in ihrer Beziehung zur Gesellschaft gese-

hen,458 wobei Letzteres in wissenschaftlichen Ausführungen kaum weiter thema-

tisiert wird. Es wird in chinesischen Aufsätzen zwar häufig die thematische Vielfalt

ohne Einschränkungen betont, die sämtliche Aspekte des jugendlichen Lebens in

einem Jugendroman abdecke, bei Themen wie der ersten Liebe sowie typischen

Pubertätsproblemen scheiden sich jedoch die Geister – Bereiche, die bis in die

1980er Jahre tabuisiert wurden und bis heute umstritten sind: Jiang Feng, der zur

älteren Wissenschaftlergeneration gehört, hält diese Themen für ungeeignet,459

ganz im Gegensatz zu einigen seiner jüngeren Kollegen. Cao Wenxuan beispiels-

weise sieht die jugendgerechte Behandlung dieser Themen als grundlegend an,

da das erwachende Geschlechtsbewusstsein ein fundamentaler Lebensinhalt in

der Pubertät sei.460 Huang Yunsheng ist der Ansicht, dass die Thematisierung von

Pubertät und erstem Interesse am anderen Geschlecht erlaubt sei, dass es aber

dennoch Tabus gebe, da die Jugendliteratur als Übergangsliteratur auch „kindli-

che“ Züge haben müsse.461 Da aufkeimende sexuelle Bedürfnisse und Gefühle in

den Jahren zuvor als Tabu galten, müssen die Generationen, die für die Produk-

tion von KJL verantwortlich sind, sowie die Elterngeneration der heutigen Kinder

und Jugendlichen, die in ihrer eigenen Jugend nicht mit diesen Themen konfron-

tiert wurden, erst lernen, wie sie die Jugendlichen – denen zwar eine weitgehend

erwachsene physische, jedoch noch kindliche psychische Entwicklung bescheinigt

wird – in dieser Hinsicht unterstützen können.462

457 Han Jin 1999: S. 66458 Han Jin 1999: S. 11459 Jiang Feng 1998: S. 137460 Mei Zihan u.a. 2001: S. 147461 Huang Yunsheng 2004: S. 8f.462 Huang Yunsheng 2004: S. 9ff.; Jóo 1999: S. 109f.

92

6.2 Die wichtigsten Phänomene im chinesischen Jugendroman

In zahlreichen chinesischen literaturwissenschaftlichen Abhandlungen zur KJL

werden rückblickend die wichtigsten Phänomene der 1980er und 1990er Jahre

zusammengefasst. Zu den wichtigsten Phänomenen seit den 1990er Jahren, wie

sie unter anderem bei Wang Quangen genannt werden, zählen neben dem „lan-

gen Jugendroman“, die von Qin Wenjun und Cao Wenxuan vertretenen, gegen-

sätzlichen Strömungen des Zeitgenössischen und des Klassischen, die soge-

nannten „drei ästhetischen Banner“ und die verschiedenen Autorengenerationen.463

Auch wenn der Jugendroman, die erfolgreichste Gattung der chinesischen KJL der

1990er Jahre, als Trend neben die anderen Erscheinungen gestellt wird, beziehen

sich diese in erster Linie auf ihn und beleuchten seine Entwicklung unter verschie-

denen Aspekten.

6.2.1 Die „drei ästhetischen Banner“

Die „drei ästhetischen Banner“464 der chinesischen KJL seit Ende der 1990er Jahre,

die nach der Veröffentlichung je einer Buchreihe als solche betitelt wurden, waren

„humorvolle Literatur“, „phantastische Literatur“ und „Literatur über die Natur“,465

wovon sich die humorvolle Literatur langfristig als wichtigste Strömung erwies.466

Das Ziel, mehr humorvolle KJL zu veröffentlichen, fand unter dem Slogan „Gene-

ralmobilmachung des Humors“ sogar Eingang in den 9. Fünfjahresplan.467 Als

wegweisende, unter dieses Motto gestellte Publikation gilt die 1998 im Kinder- und

Jugendbuchverlag der Provinz Zhejiang468 erschienene „Buchreihe zur Produktion

chinesischer humorvoller Kinder- und Jugendliteratur“469, die 22 Bände verschie-

463 Wang Quangen 2001: S. 88464 sanmian meixue qizhi 465 youmo wenxue , huanxiang wenxue , ziran wenxue 466 Shu Peide 2004: S. 115; Wang Quangen 2004b: S. 34; Xu Lu 2004: S. 6467 Wang Quangen 1999a: S. 43; Zhu Ziqiang 2000a: S. 398468 Zhejiang Shaonian Ertong Chubanshe 469 Zhongguo youmo ertong wenxue chuangzuo congshu

93

dener literarischer Gattungen für alle Altersstufen zwischen 0 und 18 Jahren um-

fasst – darunter sieben Jugendromane – und von Sun Jianjiang herausgegeben

wurde.470 Explizit genannte Intention der Reihe war es, nicht mehr nur den päda-

gogischen, sondern den unterhaltenden Aspekt der Lektüre in den Mittelpunkt zu

stellen.471 In Zusammenarbeit mit anderen Medien und Literaturkritikern konnte

dieser neue Trend effektiv in der gesamten chinesischen KJL bekannt gemacht

und in seiner Bedeutung hervorgehoben werden. Man erhoffte sich dadurch einen

Entwicklungsschritt für die chinesische KJL, einen guten Umsatz und positive Aus-

wirkungen auf die Charakterentwicklung der Leser472 – letztendlich war also doch

die erzieherische Wirkung das Ziel. Kritiker bemängelten an diesen neuartigen

Werken jedoch, dass viele der Geschichten noch nicht ausgereift und dringend ver-

besserungswürdig seien, da sie nur Humor um des Humors willen beinhalteten.473

Phantastische Literatur wird in der chinesischen KJL-Wissenschaft nicht dem Ju-

gendroman zugeordnet, da dieser als realistischer Roman und als „Spiegel der

heutigen Generation, Gesellschaft und Literatur“474 aufgefasst wird, sondern wird

gewöhnlich als eigenes gleichgeordnetes Segment ausgewiesen. Daher müsste

sie genau genommen in einer Abhandlung über den Jugendroman nicht auftau-

chen. Da sich dieser Bereich in den letzten Jahren aber stark geöffnet und seine

„realistische Tradition ausgeweitet“ hat,475 so dass eine Mischung aus Realem und

Irrealem, aus Fakten und Fiktion, Leichtem und Ernstem, Traditionellem und Mo-

dernem im chinesischen Jugendroman des 21. Jahrhunderts erlaubt und sogar er-

wünscht ist – auch wenn insgesamt der Realismus mit gesellschaftlich relevanten

Themen weiterhin „die solide Basis“ des chinesischen Jugendromans bleiben

soll476 –, ist die phantastische Literatur kaum noch vom Jugendroman zu trennen

und soll daher Erwähnung finden.477

470 Zhu Ziqiang 2000a: S. 398f., 402Titel und Autoren der Werke siehe Zhu Ziqiang 2000a: S. 398f.471 Shu Peide 2004: S. 116472 Shu Peide 2004: S. 116, 121f.473 Huang Yunsheng 2004: S. 171474 Zhou Xiaobo 2004: S. 169475 Zhou Xiaobo 1999: S. 32476 Wang Yonghong 2004: S. 143477 Zhou Xiaobo 1999: S. 32; Zhou Xiaobo 2004: S. 172

94

Im Oktober 1997 wurde auf einer Konferenz des 21st Century Publishing House478

zum ersten Mal die phantastische Literatur als neuer künstlerischer Schwerpunkt

genannt: Diese weltweit sehr verbreitete und nicht zuletzt wegen des Erfolgs der

Harry-Potter-Bände so populäre Strömung sollte auch in China den Durchbruch

schaffen, da sie mit ihren Gedankenspielen und der Schaffung von Phantasie-

welten den Besonder- und Eigenheiten der KJL genau entspreche.479 Angestoßen

wurde diese Entwicklungsrichtung durch die japanische und westliche KJL.480 Be-

gonnen wurde bereits Anfang der 1980er Jahre auf theoretischer Ebene mit der

Untersuchung westlicher Werke der phantastischen KJL.481 Die darauf folgende

Entwicklung hin zur chinesischen phantastischen Literatur wird in der chinesischen

KJL-Wissenschaft üblicherweise in drei Stufen eingeteilt: Sie ging vom Volksmär-

chen482 aus und führte über das Kunstmärchen483 zur phantastischen Literatur, für

die der Ausdruck „huanxiang wenxue“ erst Ende der 1990er Jahre gebräuchlich

wurde. Als grundlegende Veränderungen zum Märchen gelten die komplexere

Struktur und das Verweben von realer und phantastischer Welt.484

Zur phantastischen Literatur gilt die im Verlag 21st Century erschienene „Buchreihe

der großen phantastischen Literatur“485, die 15 Bände umfasst, als einflussreichste

Publikation. Die Reihe enthält sowohl theoretische Abhandlungen über phantasti-

sche KJL als auch chinesische und ausländische Werke.486 Zielsetzung war die

Förderung der phantastischen KJL in China, die sich in den darauf folgenden Jah-

ren etablieren sollte.487 Dies scheint angesichts zahlreicher Abhandlungen zu die-

sem Thema und Erfolgen wie Zhang Zhilus „Unlawful Wisdom“488 gelungen zu

478 Ershiyi Shiji Chubanshe 479 Shu Peide 2004: S. 120480 Zhou Xiaobo 2004: S. 171f.; Zhu Ziqiang 2000a: S. 408481 Zhu Ziqiang 2000a: S. 407f.482 minjian tonghgua 483 wenxue tonghua 484 Zhu Ziqiang 2000a: S. 405f., 408In der westlichen KJL gibt es innerhalb der phantastischen Literatur die Subgattung Fantasy, beider „das Aufeinandertreffen von Real- und Wunderwelt kein konstitutives Merkmal“ ist. (Schikorsky2003: S. 171) Diese Subgattung ist im chinesischen Begriff der „huanxiang wenxue“ nicht enthalten.485 Da huanxiang wenxue congshu 486 Zhu Ziqiang 2000a: S. 409, Zhu Ziqiang 2000: S. 93Titel und Autoren der Werke siehe Zhu Ziqiang 2000a: S. 409487 Zhu Ziqiang 2000a: S. 408488 Feifa zhihui

95

sein, auch wenn es kritische Stimmen gibt: Der Leiter des Komitees für KJL des

chinesischen Schriftstellerverbandes Gao Hongbo hält die phantastische KJL in

China für noch nicht so weit entwickelt wie beispielsweise die britische, da China

die langjährige Erfahrung mit der Entwicklungspsychologie insbesondere der Kin-

der- und Jugendjahre fehle.489 Auch Cao Wenxuan sieht noch großes Entwick-

lungspotential, ist er doch der seinen nationalen Kollegen gegenüber kritischen

Ansicht, dass es den chinesischen Autoren noch an Kreativität für wirklich gute

phantastische Literatur fehle.490

Als drittes „ästhetisches Banner“ war die „Literatur über die Natur“ so wichtig, weil

in diesem Bereich gesellschaftspolitische Anliegen behandelt werden können –

wie z.B. das Thema Umweltschutz, das angesichts der Umweltverschmutzung in

China an Bedeutung für das weitere Wirtschaftswachstum gewonnen hat –, was

Anstöße und Impulse für den politischen Lernprozess der Jugendlichen geben

soll. Bei einer Konferenz des Kinder- und Jugendbuchverlags der Provinz Anhui491

im Oktober 2000 wurde die Natur als eines der großen Themen der KJL heraus-

gestellt, da gerade im Zuge der Modernisierung die Förderung eines „globalen

Bewusstseins, der Liebe zur Natur und des Umweltschutzes“ wichtig sei.492 Be-

sonderer Beliebtheit erfreut sich seit Mitte der 1990er Jahre der „Tierroman“493,

allen voran die Werke Shen Shixis, des „Königs des Tierromans“.494 Shen Shixi

orientiert sich in seinen Werke an der Realität, so dass die Romane trotz spre-

chender Tierfiguren realistische Züge haben. Manche seiner Kollegen dagegen

verlegen die Handlung in eine weit zurückliegende Zeit und heben phantastische

Elemente hervor.495 Ausgangspunkt der Geschichten ist meist nicht der Mensch

und seine Tugenden, sondern das Verhalten von Tieren, das aber auf das

489 www.chinabook.gapp.gov.cn, Oktober 2005490 Diese Ansicht äußerte er bei einem Treffen mit der Verfasserin im Oktober 2004.491 Anhui Shaonian Ertong Chubanshe 492 Wang Quangen 2004b: S. 38493 dongwu xiaoshuo Schon in mündlich überlieferten Geschichten spielten Tierfiguren eine große Rolle. Diese Traditionwird als Ursprung der Tierromane angesehen. (Wang Yonghong 2004: S. 157)494 Wang Quangen 1999a: S. 43495 Mehr dazu vgl. Zhou Xiaobo 1999: S. 30f.Auch hier ist die Trennung zwischen Roman, der realistisch sein soll, und phantastischer Literaturschwierig. Auf dieses Problem wird aber in keiner der ausgewerteten Abhandlungen eingegangen.

96

menschliche Leben und die menschliche Gesellschaft übertragbar ist.496 Die Ge-

schichten werden aus der Perspektive des Tierprotagonisten erzählt, wie es Kin-

dern aus Märchen bekannt ist, und darüber hinaus wird die Tierwelt aus der Innen-

und Außenperspektive beschrieben und untersucht. Themen sind Konkurrenz-

kampf, die Gesetze der Natur und die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Es

soll vermittelt werden, dass Tiere gleichberechtigte Lebewesen sind und dass die

Natur geschützt werden muss, da sie nicht nur der Lebensraum der Tiere, sondern

auch der Menschen ist.497 Nach der Einschätzung Huang Yunshengs wird diese

Gattung in erster Linie als Erzieher zum Umweltbewusstsein betrachtet, so dass

hier der pädagogische Aspekt eindeutig im Vordergrund steht.498

Insgesamt wird dem Jugendroman seit den 1990er Jahren eine gewisse Verflachung

nachgesagt, die auf die Veränderung der Marktgesetzmäßigkeiten zurückgeführt

wird. Mit der zunehmenden Beliebtheit und somit Markttauglichkeit von humorvoller

und unterhaltender Literatur in den 1990er Jahren seien die in den 1980er Jahren

noch vorherrschende Tiefgründigkeit und Rationalität verlorengegangen.499

6.2.2 Cao Wenxuan und Qin Wenjun

Zu den herausragenden und am meisten besprochenen Autoren des chinesischen

Jugendromans der 1990er Jahre zählen Cao Wenxuan und Qin Wenjun. Ihre zeit-

gleiche große Popularität ist besonders interessant, weil sie sehr unterschiedliche

Arten und Stile von Jugendromanen vertreten, hinter denen stark voneinander

abweichende künstlerische Bestrebungen stehen. Wegen ihrer Wohnorte werden

sie in Fachpublikationen einander auch geographisch als „Qin aus dem Süden und

Cao aus dem Norden“500 gegenübergestellt.501

496 Wang Yonghong 2004: S. 157; Zhou Xiaobo 1999: S. 30497 Wang Quangen 1999a: S. 43; Wang Yonghong 2004: S. 157; Zhang Meini 1996: S. 12; ZhouXiaobo 1999: S. 30Eine Unterteilung der Tiere in Klassen – Tiere wie Füchse, Wölfe, Tiger, Löwen und Bären alsKlassenfeind – ist seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr üblich. (Bi Lijun 2003: S. 63, 65)498 Huang Yunsheng 2004: S. 170499 Tang Rui 2004a: S. 123500 nan Qin bei Cao 501 Shu Peide 2004: S. 114

97

Cao Wenxuan, Professor für chinesische Literatur an der renommierten Beijing

Daxue, ist seit den 1980er Jahren als Literaturwissenschaftler und Autor in der

chinesischen KJL aktiv. Er gab den Anstoß zur Diskussion über die Prägung des

chinesischen „Nationalcharakters“ durch KJL502 und knüpfte an diese Forderung

drei Ansprüche an kinder- und jugendliterarische Werke, die in der chinesischen

KJL-Wissenschaft als grundlegende ästhetische Bestrebungen des Jugendromans

der 1980er und 1990er Jahre gelten: Erstens solle es – wie in den Märchen von

Hans Christian Andersen – auch Raum für Trauriges geben, da dies ebenso wie

das Schöne und Heitere Teil des Lebens sei: „Children’s literature should not only

give children a sense of comic pleasure, it should also bring them tragic plea-

sure.“503 Zweitens sei die Betonung des Künstlerisch-Literarischen zentral, d.h.

eine schöne, präzise Sprache, die auch sprachliche Experimente zulässt und sich

nicht auf das Niveau einer vereinfachten Kindersprache begibt. Sein Anspruch

verlangt nach einer poetischen Sprache und einem elaborierten Stil, wie man ihn

in seinen Werken findet.504 Drittens sei die Darstellung des Landlebens wichtig.505

Über sich selbst sagt er: „Rational bin ich ein Anhänger des Modernen, aber emo-

tional und ästhetisch bin ich ein Anhänger des Klassischen.“506 Ein Anhänger des

Modernen muss er zwangsläufig sein, da er sich ansonsten in Zeiten, in denen

sämtliche soziokulturellen Aktivitäten den „Vier Modernisierungen“ dienen sollen,

selbst disqualifizieren würde. Hauptcharakteristikum seines Stils aber ist nicht das

Moderne, sondern sein klassisches ästhetisches Prinzip, wobei er „klassisch“ als

„Streben nach Zeitlosem“507 versteht. „Da er der Meinung ist, dass das, was die

Menschen berührt, zeitlos und unveränderlich ist“,508 sieht er keine Notwendigkeit,

im chinesischen Jugendroman Bezug auf aktuelle gesellschaftliche, politische und

502 Siehe Kapitel 6.3.1.2503 Internationales Literaturfestival Berlin 2006504 Shu Peide 2004: S. 115; Wang Quangen 2004b: S. 33Mit seinen anspruchsvollen Werken, die teilweise sowohl als Jugendliteratur als auch als Erwach-senenromane veröffentlicht wurden, verwischt er die Grenze zur Erwachsenenliteratur.505 Shu Peide 2004: S. 115; Wang Quangen 1999: S. 2; Wang Quangen 2000: S. 775f.; Xu Lu2004: S. 6506 Wo zai lixing shang shi ge xiandaizhuyizhe, er zai qinggan shang yu meixue quwei shang que shige gudianzhuyizhe. Shu Peide 2004, S. 114507 Xu Lu 2004, S. 6508 Shu Peide 2004: S. 115

98

ökonomische Gegebenheiten zu nehmen. Er hält es für wichtiger, dass in Ju-

gendromanen auch Grundlegendes des menschlichen Lebens thematisiert wird,

das über die unmittelbare Erfahrungswelt der Leser hinausreicht.509

Eine dem Anspruch des Klassisch-Zeitlosen entgegengesetzte Literatur finden wir

bei Qin Wenjun – der sogenannten „Meisterin der genauen Abbildung von heuti-

gen Kindern und Jugendlichen“.510 Ihr ästhetisches Ideal seit den 1990er Jahren

ist der aktuelle Realitätsbezug: Sie will den Nerv der Zeit treffen, indem sie mög-

lichst realistisch und nah am aktuellen jugendlichen Leben schreibt und sich den

jeweiligen Moden anpasst.511 Das Rezept ihres Erfolgs ist laut chinesischer KJL-

Wissenschaft und laut ihrer eigenen Aussage die Nähe zu ihren Lesern, die immer

wieder stark betont wird. Ihr Einfühlen sei nur möglich durch den engen Kontakt zu

ihren Lesern: Zum einen erhalte sie unzählige Briefe, wodurch sie von den Sorgen

und Nöten ihrer Leser erfahre, zum anderen besuche sie seit einigen Jahren

Schulklassen und suche den Dialog mit den Kindern.512 Dadurch könne sie ihre

Figuren lebensnah zeichnen und Verständnis für die Freuden und Sorgen der jun-

gen Leser zeigen. Darüber hinaus habe sie einen Stil gefunden, der mit seinem

Humor und seiner Leichtigkeit massentauglich und unterhaltsam sei.513 Ihre Lite-

ratur gilt als „perfekte Verbindung von Kunst, Masse und Kindgerechtheit“.514 Sie

zeige die tatsächlichen Lebensumstände und den Reifungsprozess der Jugend-

lichen in Bezug auf ihre Lebensanschauung, ihr Denken und ihre Wertvorstellun-

gen.515

Auch wenn Qin Wenjun und Cao Wenxuan als Hauptvertreter des chinesischen

Jugendromans der 1990er Jahre gelten, sind ihre Werke im Grunde genommen

509 Wang Quangen 2004b: S. 33510 Shu Peide 2004: S. 115511 Shu Peide 2004: S. 115; Wang Quangen 2004b: S. 33; Xu Lu 2004: S. 6; Zhou Xiaobo 2004:S. 171512 Vortrag von Qin Wenjun auf dem 30th IBBY World Congress in Macau, 21. September 2006513 Shu Peide 2004: S. 115514 Shu Peide 2004: S. 115; Xu Lu 2004: S. 6515 Wang Quangen 1999: S. 2Eine in den letzten Jahren äußerst erfolgreiche chinesische Autorin, deren Werke Qin WenjunsRichtung repräsentieren, ist Yang Hongying. Ihre Bücher wurden im Jahr 2004 laut China Publi-shing Journal häufiger verkauft als die Harry-Potter-Bände. (China Publishing Journal, 6 / 2006,S. 43) Auf der Bestsellerliste vom Januar 2006 waren z.B. von 15 Plätzen sieben Werke von YangHongying vertreten. (China Publishing Journal, 3 / 2006, S. 9)

99

nicht miteinander vergleichbar. Es gelten zwar die Werke beider als „shaonian

xiaoshuo“, bei Qin ist aber die Tendenz zum Kinderroman vorhanden, bei Cao

eher zur Erwachsenenliteratur. Trotz der in der KJL-Wissenschaft vorgenommen

Altersdreiteilung ist der Altersbereich „shaonian“ relativ weit gefasst. Diese Pro-

blematik wird jedoch in den meisten Aufsätzen und Abhandlungen in der chinesi-

schen KJL-Wissenschaft nicht thematisiert. Die Werke beider Autoren werden in

der Regel in einem Atemzug genannt, nur Cao Wenxuan selbst distanziert sich

von seiner Kollegin, indem er ihre Werke eindeutig dem Kinderroman zurechnet.

Zhou Xiaobo aber nennt beispielsweise bei der Aufzählung besonders guter Wer-

ke mit gesellschaftlichem Einfluss Cao Wenxuans „Cao fangzi“ ( ) und Qin

Wenjuns „Nansheng Jia Li“ ( ), ohne auf bestehende grundlegende Un-

terschiede einzugehen.516 Auch unter den ausgezeichneten Werken anlässlich

des 50. Geburtstages der Volksrepublik China waren diese zwei Bücher vertreten,

da sie beispielhaft für die außergewöhnliche Entwicklung des Jugendromans sei-

en.517 Auf ihre gegensätzlichen Herangehensweisen wird auch dort nicht hinge-

wiesen, lediglich auf ihren unterschiedlichen Stil. Cao Wenxuan wird wegen seiner

anspruchsvolleren, künstlerisch wertvolleren Werke gerühmt, Qin Wenjun wegen

ihres Humors und ihrer Nähe zum Leser. Zu einer Bevorzugung einer der beiden

Strömungen lässt sich die chinesische KJL-Wissenschaft nicht hinreißen: Die bei-

den Herangehensweisen seien zwar sehr unterschiedlich, es sei aber keine besser

oder schlechter – zumal beide auf großes Leserinteresse stießen und beide das-

selbe Ziel verfolgten:518 Sie wollen

„die Herzen der neuen Generation nähren, ihre Gefühle festigen, sie zuMenschen aus Fleisch und Blut heranziehen, mit weitem Horizont, ge-festigtem Willen, hochstehenden Wertvorstellungen und reicher Intelli-genz“519.

516 Zhou Xiaobo 2004: S. 168517 Wang Yonghong 2004: S. 136518 Shu Peide 2004: S. 115; Xu Lu 2004: S. 6519 rang xin yidai de xinling dedao ziyang, qinggan dedao chuilian, peiyang tamen chengwei shiyekaikuo, yizhi jianding, qingcao youmei, xinling fengfu de youxue yourou de ren

Shu Peide 2004: S. 115

100

6.2.3 Verschiedene Autorengenerationen

Als wichtiges Qualitätskriterium für die Beurteilung eines chinesischen Jugend-

romans gilt dessen Verweisfunktion auf die reale gesellschaftliche Situation. Ge-

nau darin liege jedoch laut Chen Danyan, die selbst Kinder- und Jugendbuchauto-

rin ist, eine grundlegende Schwierigkeit in der gegenwärtigen chinesischen KJL,

weil die Autoren von KJL durch die rasante Veränderung des sozio-politischen und

wirtschaftlichen Umfelds und auch durch die Auswirkungen der Ein-Kind-Politik

immer mehr von ihrer Leserschaft getrennt worden seien. Ihre eigenen Kindheits-

und Jugenderfahrungen mit Geschwistern und Mehrgenerationenfamilie hätten

nichts mehr mit denen der heutigen Generation gemein, die als Einzelkinder in

Kernfamilien aufwachsen, so dass es umso schwieriger sei, Romane zu schrei-

ben, die von der unmittelbaren Lebenswelt der Leser erzählen.520 Aus diesem

Grund würden bei den populären Jugendromanen die relativ jungen Autoren

überwiegen: Je jünger die Autoren seien, desto besser könnten sie die Situation

der heutigen Jugend nachvollziehen und sie in einer Art und Weise literarisch ver-

arbeiten, die den Jugendlichen nahesteht.521 Für ältere Autoren sei es kaum nach-

vollziehbar, wie ein Jugendlicher im digitalen Informations- und Medienzeitalter

aufwächst. Vor diesem Hintergrund kam in den 1990er Jahren das Phänomen der

„pubertierenden Autoren“522 auf. Jugendliche begannen selbst zu schreiben, bis-

weilen mit ungeheurem Erfolg. Prominentestes Beispiel hierfür war die zum Zeit-

punkt der Veröffentlichung 16-jährige Yu Xiu, Mittelschülerin aus Shenzhen, die

1996 mit ihrem Roman „Huaji yuji“ ( ) über Nacht berühmt wurde und ein

regelrechtes „Huaji yuji“-Fieber auslöste. Es wurden mehr als eine Million Exem-

plare davon verkauft, das Werk erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise.

Wang Quangen betitelt dieses Phänomen gar als „Wunder der KJL der 1990er

Jahre“.523 Ein weiteres Erfolgsbeispiel, gegen das Erwachsene wegen der grund-

legend ablehnenden Haltung des Helden Vorbehalte äußerten, ist der im Jahr

2000 erschienene Roman „San chong men“ ( ) von dem damals 17-jährigen

Han Han.524 Nach diesen Überraschungserfolgen schrieben immer mehr Mittel-

520 Chen Danyan 1992: S. 8; Chen Danyan 2006: S. 17521 Zhou Xiaobo 1999: S. 29522 qingchun zuojia 523 Wang Quangen 1999: S. 3524 Chen Danyan 2006: S. 18f.; Shu Peide 2004: S. 119; Xu Lu 2004: S. 6

101

schüler über ihr unmittelbares schulisches Umfeld. Der Erfolg dieser „Pubertäts-

literatur“ bzw. „Pubertäts-Campusromane“ wird der Unmittelbarkeit der Schilderung

zugeschrieben, die durch die Innenperspektive ermöglicht wird, da die Autoren

aus ihrem direkten Lebensumfeld erzählen.525 Dieser als „unmittelbares Erle-

ben“526 bezeichnete Schreibstil bot Pädagogen und anderen Autoren einen neuen

Einblick in das Innenleben eines zeitgenössischen Teenagers.527 Zunächst wurde

dieses neue Feld innerhalb des chinesischen Kinder- und Jugendbuchmarktes

gefördert mit der Ausschreibung zahlreicher Schreibwettbewerbe für Jugend-

liche528 – auch Han Han hatte im Jahr vor seinem Durchbruch mit Erfolg am

Schreibwettbewerb einer kinder- und jugendliterarischen Zeitschrift teilgenom-

men529 –, dann sollte jedoch vermieden werden, dass dieser Trend Überhand

nimmt, da literarisch wertvolle Werke von derart jungen Autoren die Ausnahme

seien.

Es gibt derzeit mehrere Autorengenerationen innerhalb der chinesischen KJL, die

in chinesischen Fachkreisen nicht einheitlich eingeteilt werden: Wang Quangen

unterscheidet fünf Generationen nach dem Beginn ihrer schriftstellerischen Tätig-

keit: Die erste aus den 1920er und 1930er Jahren, die zweite aus den 1930er und

1940er Jahren, die dritte aus den 1950er und 1960er Jahre, die vierte aus den

1980er und beginnenden 1990er Jahre und die fünfte bis in die Gegenwart.530 Shu

Peide unterscheidet dagegen nur vier Autorengenerationen nach ihrem heutigen

Lebensalter. Zu den „alten“ zählten danach Autoren, die schon vor der Gründung

der Volksrepublik geschrieben haben und ursprünglich aus der Erwachsenenlite-

ratur kamen wie Yan Wenjing und Sun Youjun, und die bis in die 1990er Jahre

schriftstellerisch aktiv waren. Die „Autoren mittleren Alters“ seien die wichtigste

Autorengruppe. Zu ihnen zählten Schriftsteller, die in den 1980er Jahren sehr jung

zum Schreiben kamen und in den 1990er Jahren tonangebend waren. Als wichtig-

ste, bis heute sehr erfolgreiche Vertreter sieht er Cao Wenxuan und Qin Wenjun.

Die „jungen“ Autoren seien in den 1980er Jahren aufgewachsen und somit mit der

525 Fan Fajia 1999b: S. 28; Huang Yunsheng 2004: S. 11; Shu Peide 2004, S 118f.; Wang Quan-gen 1999a: S. 4; Xu Lu 2004: S. 6; Zhou Xiaobo 2004: S. 173526 Wang Quangen 1999: S. 3527 Zhou Xiaobo 2004: S. 173528 Wang Quangen 2004b: S. 36; Xu Lu 2004: S. 6529 www.bjreview.com.cn/En-2005/05-22-e/china-3.htm, Zugriff am 2. November 2006530 Wang Quangen 1999a: S. 43

102

Modernisierung groß geworden. Sie verfügten meist über einen Hochschulab-

schluss und seien Neuerungen gegenüber künstlerisch und auch ideologisch offe-

ner. Ihr Vorteil wird, wie oben angesprochen, in der relativ geringen Distanz im

Dialog mit dem Leser gesehen, so dass sie eigene Erfahrungen und Erinnerungen

in die Geschichten mit einfließen lassen können, ohne zu weit von der Lebenswelt

der heutigen Jugendlichen entfernt zu sein. Die vierte Gruppe besteht aus den

oben genannten „pubertierenden Autoren“.531 Zhang Meini dagegen unterscheidet

nur drei Autorengenerationen, die aber mit den ersten drei Gruppen nach der

Einteilung Shu Peides übereinstimmen.532

Die zahlreichen im gegenwärtigen chinesischen Jugendroman aktiven Autoren-

generationen bescheren der KJL zwar auf der einen Seite eine große Vielfalt an

Themen, Stilen und literarischen Ansätzen, die KJL-Wissenschaft sieht aber mit

Bedenken, dass sie auf der anderen Seite völlig unterschiedliche Wertesysteme

und ästhetische Normen verkörpern, was für die Rolle des Jugendromans als Er-

ziehungs- und Sozialisationsinstrument problematisch ist.

6.3 Der Jugendroman als Anleitung für „gesundes Heranwachsen“

Bereits zu Beginn der Reform- und Öffnungspolitik hatte die KJL-Wissenschaft

beschlossen, dass das Hauptthema der KJL der 1980er Jahre das Heranwachsen

und Erwachsenwerden sein sollte, da diese – sehr weit gefassten – Themenberei-

che die Lebenswelt und Stimmung der Kinder und Jugendlichen am besten reprä-

sentierten.533 In diesem Zusammenhang taucht in zahlreichen wissenschaftlichen

Aufsätzen zur chinesischen KJL das Schlagwort des „gesunden Heranwach-

sens“534 auf, das ab Mitte der 1990er Jahre zur Hauptzielsetzung der KJL erklärt

wurde: Die KJL habe die zentrale Aufgabe, die passende Umgebung für das „ge-

sunde Heranwachsen“ ihrer Leser zu schaffen.535 Dafür bietet sich auch nach An-

531 Shu Peide 2004: S. 114-118532 Zhang Meini 1996: S. 10533 Wang Quangen 2004b: S. 31534 jiankang chengzhang 535 Bi Bingbin 1991: S. 40; Chen Zidian 2003: S. 43ff., 74; Hai Fei 1999: S. 4; Ma Li 2000: S. 178;Pu Manting 1991: S. 1, 4

103

sicht der deutschen KJL-Wissenschaft der realistische Jugendroman besonders

gut an: Denn er enthält ein Figurenrepertoire, „das das Kind in seinem Bezie-

hungsverhältnis zu Eltern, Geschwistern, Freunden oder Erwachsenen zeigt [...] [,]

es auf die Werte der von den Erwachsenen repräsentierten Gesellschaft hin orien-

tiert“536 und auf diese Weise eine ethische Beziehung zwischen dem Kind und der

Welt, in die es hineinwächst, herstellt.537 Nach chinesischer Meinung soll dem Le-

ser durch die Darstellung des gesellschaftlichen Lebens korrektes Verhalten in

dieser Gesellschaft und zugleich die richtige ideologische Gesinnung vermittelt

werden.538 Gerade realistische Werke in einem sozialistischen Umfeld mit ihrem

Streben nach einer modellhaften Wirklichkeitsdarstellung sind für die Vermittlung

vorherrschender Ideologien und Werte bestens geeignet.539 Trotz dieses Modell-

charakters sei es zwar erlaubt, auch gesellschaftliche Probleme anzusprechen,

um den Leser zum Nachdenken anzuregen, die Aussage eines jeden Buches

müsse aber so eindeutig sein, dass eine Problemlösung mitgeliefert wird.540

Als Hilfsmittel zur Umsetzung des „gesunden Heranwachsens“, das besonders in

der Sozialisationsphase Pubertät in die richtigen Bahnen gelenkt werden soll, kam

der Begriff der „suzhi jiaoyu“ ( ), der „Erziehung und Ausbildung nach

Veranlagung“541, in der pädagogischen und kinder- und jugendliteraturwissen-

schaftlichen Diskussion in China auf. Dieser sollte das Erreichen des langfristigen

Ziels jeglicher KJL gewährleisten: die Ausbildung des „Nationalcharakters von

morgen“.

536 Scheiner 2000: S. 158537 Scheiner 2000: S. 160538 Huang Mingchao 2001: S. 6; Ma Li 2000: S. 212f.; Pu Manting 1991: S. 7539 Scheiner 1984: S. 39, 42540 Chen Zidian 2003: S. 75f.541 Die Übersetzungsvarianten für den chinesischen Terminus „suzhi jiaoyu“ sind vielfältig. Schonbei dem Begriff „jiaoyu“ stellt sich die Frage, wie er am besten im Deutschen wiederzugeben ist, daer die beiden deutschen Begriffe der „Erziehung“ und „Bildung“ umfasst. Wegen der umfassendenBedeutung des Begriffs der „suzhi jiaoyu“ erscheint es sinnvoll, im Deutschen „jiaoyu“ mit beidenÜbersetzungsmöglichkeiten, nämlich „Erziehung und Ausbildung“, wiederzugeben. Wörtlich über-setzt handelt es sich demnach um „Qualitätsausbildung und -erziehung“, auch mit „Erziehung undAusbildung nach Veranlagung“ bzw. „Bildung für Dispositionen“ widergegeben. Wegen der um-fassenden Reichweite der Erziehungsbereiche wird auch von „allseitiger Entwicklung“ gesprochen.Den offiziellen Ausführungen nach erscheint die Übersetzung „Erziehung und Ausbildung nachVeranlagung“ am treffendsten.

104

6.3.1 Sozialisationsphase Pubertät

Die Jugend ist eine Phase des Lernens und Orientierens, in der eigene Ziele ge-

steckt und neue Interessen geweckt werden, die für die weitere Charakterbildung

prägend sind.542 In der chinesischen Psychologie543 und Soziologie wird die Be-

sonderheit der Lebensphase Jugend zum einen in der physiologischen Entwick-

lung mit dem Beginn der Pubertät gesehen, zum anderen in der psychischen und

geistigen Entwicklung. Die Jugendlichen befänden sich in einer Entwicklung vom

„natürlichen“ zum „sozialen Menschen“, in der sie sich erstmals mit sich und der

Gesellschaft auseinandersetzten.544 Gerade vor dem marxistischen Hintergrund,

dass der Mensch als „soziales Wesen“545 gilt, d.h. als „Ensemble der gesellschaft-

lichen Verhältnisse“546 – die Beziehung zwischen Mensch und Gesellschaft also

als sich reziprok konstituierend betrachtet wird –, wird dem Sozialisationsprozess

Pubertät sowohl in der chinesischen Soziologie als auch der chinesischen KJL-

Wissenschaft besonders große Bedeutung beigemessen.547 In dieser Sozialisa-

tionsphase, in der die Persönlichkeit in Abhängigkeit von der gesellschaftlich ver-

mittelten sozialen und materiellen Umwelt und der Auseinandersetzung mit der-

selben entsteht und sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen

Subjekt entwickelt, soll den Jugendlichen die Literatur angemessene und ihren

Rezeptionsfähigkeiten und -gewohnheiten gemäße Hilfestellung leisten, da der

Entwicklung der Jugend gemäß der als „korrekt“ erachteten politischen Ideologie

für die Gesellschaft größte Bedeutung beigemessen wird.548

542 Huang Yunsheng 2004: S. 3543 Die chinesische Psychologie entwickelte sich erst verstärkt ab den 1990er Jahren. Der Zweigder Entwicklungspsychologie existiert in China nicht. (Mei Zihan u.a. 2001: S. 147f.) Sämtlichediesbezügliche Erkenntnisse, die in die chinesische KJL-Wissenschaft einflossen, wurden auswestlichen Untersuchungen übernommen, was angesichts der soziokulturellen Unterschiede pro-blematisch ist.544 Huang Yunsheng 2004: S. 2, 6; Wang Quangen 2004b: S. 32; Wang Yonghong 2004: S. 153545 shehui cunzaiwu Huang Yunsheng 2004: S. 5546 yiqie shehui guanxi de zonghe Huang Yunsheng 2004: S. 5Deutsche Übersetzung nach Haas 1984: S. 30547 Huang Yunsheng 2004: S. 5548 Hai Fei 1999: S. 4; Huang Yunsheng 2004: S. 5; Ma Li 2000: S. 214

105

Ein grundlegendes Problem beim Sozialisationsprozess ist der Konflikt zwischen

persönlicher Autonomie und sozialer Determiniertheit. In individualisierten westli-

chen Gesellschaften mag dieser Konflikt massiver sein als in konfuzianisch ge-

prägten und dazu autoritären Gesellschaften wie der chinesischen, in der auch für

Jugendliche die Auffassung von einer quasi natürlichen Abhängigkeit vom Staat

noch fest verankert ist.549 Dennoch will man es in der chinesischen Jugendliteratur

nicht versäumen, die erwünschte Richtung unmissverständlich vorzugeben und

diesen Konflikt gar nicht erst aufkommen zu lassen, da gerade in dieser Lebens-

phase die Weichen gestellt werden für spätere Einstellungen und Ansichten. Vor

dem Hintergrund des tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels in China will die

Regierung verloren gegangene Orientierungspunkte für Jugendliche vorgeben, um

zu vermeiden, dass Werte und Normen im Prozess der Selbstfindung fragwürdig

erscheinen und zu Widerstand motivieren.550 Die Literatur soll daran maßgeblich

beteiligt sein.

6.3.1.1 „Gesundes Heranwachsen“ durch „suzhi jiaoyu“ ( )

Im Gegensatz zum deutschen Jugendroman, bei dem – wie auch beim Kinder-

buch – nach realistischen und phantastischen Texten unterschieden wird,551 wird

in der chinesischen KJL trotz des vermehrten Aufkommens und zunehmender Be-

liebtheit von phantastischer Jugendliteratur unter „shaonian xiaoshuo“ meist – bis

vor wenigen Jahren ausschließlich – der realistische Jugendroman verstanden,

dessen Ausgangspunkt das „reale sozialistische Leben“ sein soll: Denn nur wenn

Jugendromane die gesellschaftlichen Verhältnisse möglichst realistisch abbilden,

könnten sie beim Heranziehen der zukünftigen Generation eine zentrale Rolle

spielen. Die Auffassung davon, wie dieses Heranziehen aussehen soll, erfuhr in

den 1990er Jahren mit dem neuen Schlagwort und Ansatz der „suzhi jiaoyu“ eine

549 Geist 1996: S. 173550 Bockhorst 1999: S. 3551 Marquardt 1992: S. 106

106

pädagogische Reform.552 Hintergrund waren die wirtschaftlichen Reformen. China

sah sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten mit rasanten Veränderungen

konfrontiert, die unter anderem zu einem verstärkten Konkurrenzkampf führten –

nicht nur auf internationaler Ebene, sondern auch im Alltäglichen für alle spürbar

auf nationaler Ebene. Denn die neue sozio-ökonomische Situation stellte neue

Anforderungen: Gute Ausbildung, Know-how und Durchsetzungsvermögen waren

gefragt, um im Wettbewerb bestehen zu können. Mit Hilfe der „suzhi jiaoyu“ sollten

Kinder und Jugendliche auf diesen Konkurrenzkampf vorbereitet werden und für

diesen gewappnet sein. Sie sollte das Mittel für die Modernisierung des Menschen

sein, d.h. für den „Wandel von der ‚traditionellen Persönlichkeit‘ (chuantong renge)

der Agrargesellschaft zur ‚modernen Persönlichkeit‘ (xiandai renge) der Industrie-

gesellschaft“553, die moderne Auffassungen und Fähigkeiten wie Ehrgeiz, Kon-

kurrenzdenken und Effektivitätsbewusstsein haben sollte. Dieser Wandel wurde

gezielt vorangetrieben, wobei man nach wie vor an der Auffassung von der nahe-

zu unbegrenzten Formung des Menschen durch Erziehung festhielt. Dabei nah-

men die Schulen eine zentrale Rolle ein, da dort die genannten Qualitäten heran-

gebildet werden sollten, um die erfolgreiche Umsetzung der Modernisierungspolitik

verwirklichen zu können.554 Es wurde erkannt, dass für diese neuen pädagogi-

schen Ziele auch neue Lehrmethoden nötig waren: Die Vorgaben lauteten, dass

die Schüler zum Fragen stellen aufgefordert werden sollen, dass Raum für Dis-

kussionen gegeben werden soll, dass der Schüler als Gleichberechtigter angese-

hen und zum eigenständigen Nachdenken angeregt werden soll.555 Kreativität und

innovatives Denken wurden als Schlüsselqualifikationen erkannt und sollten in die

Vermittlung von Werten und Tugenden integriert werden – Fähigkeiten, die in Chi-

na lange Zeit vernachlässigt oder sogar unterdrückt und bekämpft wurden. Das

damit verbundene Risiko wurde weiterhin gesehen, zugleich aber galten diese

552 Die „Erziehung und Ausbildung nach Veranlagung“ wird in der chinesischen Pädagogik unter-teilt in ideologisch-moralische Erziehung, wissenschaftlich-kulturelle und technische Ausbildungund Anleitung bei der physischen und psychischen Entwicklung. Die konkrete Abgrenzung dereinzelnen Bereiche ist jedoch wegen großer Überschneidungen kaum möglich. Ähnlich verhält essich bei den genaueren Ausführungen zur ideologisch-moralischen Erziehung, die erneut unterteiltwird in die Bereiche „politisch-ideologisch“, „moralisch-ideologisch“ und „charakterlich“. Als wich-tigste Inhalte werden die „Liebe zum Vaterland, zum Volk, zur Arbeit, zur Wissenschaft und zumSozialismus“ genannt. (Fang Weiping 2004: S. 20; Ma Li 2000: S. 120)553 Geist 1996: S. 127554 Geist 1996: S. 131-136555 Geist 1996: S. 138

107

Qualitäten als essentiell für die erfolgreiche Modernisierung.556 Neben den staat-

lichen Ausbildungseinrichtungen wurde dabei auch die KJL als wichtiges Erzie-

hungsmittel betrachtet:557

„Kinder- und Jugendbücher erziehen und bereiten Freude [...] und sindfür die Entfaltung der ‚Erziehung und Ausbildung nach Veranlagung‘ [su-zhi jiaoyu] von Kindern und Jugendlichen von unschätzbarem Wert.“558

Zwei der drei oben genannten Hauptströmungen im chinesischen Jugendroman,

die des Humors und die des Phantastischen, gelten diesbezüglich als ausgespro-

chen wertvoll, besonders für die Entwicklung von Kreativität und Innovationsgeist,

da man ihnen die Fähigkeit zuspricht, eingefahrene Denkmuster durchbrechen zu

können.559

Doch ganz so weitreichend, wie die obigen Ausführungen vermuten lassen, sollten

die Bestrebungen der „Erziehung und Ausbildung nach Veranlagung“ nicht gehen.

Sie sollten sich im engen Rahmen der Parteiwünsche bewegen, was im „Be-

schluss des ZK der KPCh und des Staatsrats über die Vertiefung der Bildungsre-

form und das umfassende Vorantreiben der ‚Bildung für Dispositionen‘“560 vom

Juni 1999 deutlich wird:

„Durchführung der ‚Bildung für Dispositionen‘ [suzhi jiaoyu] heißt umfassendeAusführung der Bildungsrichtlinien der Partei mit der Anhebung der Disposi-tionen der Bevölkerung als Hauptziel und mit der Heranbildung eines Innova-tionsgeistes und von Praxisfähigkeiten der Schüler und Studierenden alsSchwerpunkt sowie [...] moralisch, geistig, körperlich umfassend entwickelterAufbau und Erhalt des sozialistischen Wesens. [...] ‚Bildung für Dispositionen‘erfolgt auf der Basis von individuumseigenen Persönlichkeitsmerkmalen, siebedeutet Korrektur, Ergänzung und Vervollständigung der Persönlichkeits-merkmale jedes Menschen.“561

556 Ma Li 2000: S. 119557 Ma Li 2000: S. 169558 Shaonian duwu yu jiao yu le [...] dui kaizhan shaoer suzhi jiaoyu qizhe buke guliang dezuoyong.

[...]Aus dem Vorwort des Ausstellungskatalogs der Shanghai International Children’s Book Exhibition2004Um die „suzhi jiaoyu“ durch Freizeitlektüre zu fördern, startete das Erziehungsministerium im Jahr2000 eine Kampagne zum Lesen jenseits der Schul-, Lehr- und Sachbücher. (Frankfurter Buch-messe 2001: S. 8-11; Lin Chenglin 2003: S. 104)559 Zhu Ziqiang 2000a: S. 395560 Titel der Resolution zitiert nach Cao Nengxiu 2002: S. 406561 Zitiert nach Cao Nengxiu 2002: S. 406; vgl. auch Huang Mingchao 2001: S. 13

108

Bei der „suzhi jiaoyu“ genannte Neuerungen wie die „Heranbildung eines Innova-

tionsgeistes“ müssen demnach den „Bildungsrichtlinien der Partei“ entsprechen,

die Berücksichtigung „von individuumseigenen Persönlichkeitsmerkmalen“ wird

durch „Korrektur, Ergänzung und Vervollständigung“ gelenkt. Dennoch stellte das

erwachende Bewusstsein für die Notwendigkeit solcher neuen pädagogischen

Ansätze und Zielsetzungen eine große Veränderung in der lange Zeit durch Aus-

wendiglernen und Drill geprägten chinesischen Pädagogik dar.

6.3.1.2 Der „Nationalcharakter von morgen“

1984 sagte Cao Wenxuan in Shijiazhuang auf der „Nationalen Konferenz zur

Theorie der KJL“562:

„Die grundlegende Aufgabe von Schriftstellern ist es, einen ganz neuenchinesischen Nationalcharakter zu formen. Kinder sind die Zukunft derNation, wir sind die Bildhauer des Nationalcharakters von morgen.“563

Diese von Wang Quangen als wichtigstes „ästhetisches Prinizip“ bezeichnete

Aussage564 – was erneut die Verquickung von erzieherischer Absicht und Ästhetik

verdeutlicht – wurde verkürzt zum Aufruf an die Kinder- und Jugendbuchautoren,

„den Nationalcharakter von morgen zu formen“565, und wurde zur Parole, die in der

chinesischen KJL-Wissenschaft breite Zustimmung fand.566 Der von Cao Wen-

xuan mittlerweile vor über 20 Jahren getätigte Ausspruch und Aufruf wird bis heute

in der chinesischen KJL-Wissenschaft angesichts der nach wie vor sich verän-

dernden Anforderungen an die zukünftige Generation als zentral erachtet: Die

Ausbildung des „Nationalcharakters von morgen“ sei für die Zukunft des Landes

von tiefgreifender Bedeutung.567

562 Quanguo ertong wenxue lilun zuotanhui 563 Zuojia de genben shiming shi suzao zhonghua minzu de zhanxin xingge [...] Haizi shi minzu deweilai, women shi minzu weilai xingge de suzaozhe.

[...]Huang Yunsheng 2004: S. 167; Ma Li 2000: S. 115; Wang Yonghong 2004: S. 143564 meixue yuanze Wang Quangen 2000: S. 724565 suzao minzu de weilai xingge 566 Huang Yunsheng 2004: S. 167; Wang Yonghong 2004: S. 143Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich bei Chen Zidian, der behauptet, die Autoren seien die„Baumeister der kindlichen Seelen“ (ertong wenxue zuojia shi diaosu ertong linghun de gong-chengshi ). (Chen Zidian 2003: S. 43)567 Wang Quangen 2004b: S. 38

109

Hinter der „Nationalcharakter“-Diskussion verbirgt sich die Suche nach einer ange-

messenen Umgangsweise mit den auf China einströmenden Veränderungen und

westlichen Einflüssen – ähnlich wie bei der „suzhi jiaoyu“, jedoch weniger im päda-

gogischen als vielmehr im kulturellen Bereich: Seit Beginn der Reform- und Öff-

nungspolitik richtet sich der Blick Chinas nach Westen, bei einem gleichzeitigen

Wiederaufleben traditioneller Werte. Dies führte zu einem paradoxen Anforde-

rungsprofil an junge Chinesen. Das von chinesischen Intellektuellen entworfene

Konzept des „modernen Menschen“ enthält in erster Linine oben genannte „mo-

derne“, durch westliche Einflüsse geprägte Charakteristika wie Individualität,

Kreativität und Innovationsgeist, die z.B. durch die Lektüre literarischer Werke an-

geregt werden sollten.568 Da dies aber nur zum Teil dem offiziellen Wertesystem

von Partei und Regierung entspricht,569 soll der „moderne Mensch“ im Sinne der

Partei außerdem konfuzianische und kommunistische Eigenschaften aufweisen

wie Kollektivgeist und Selbstdisziplin, was unter dem Schlagwort des „National-

charakters von morgen“ subsumiert wird. Um einem Übermächtigwerden moder-

ner Eigenschaften vorzubeugen, sollen traditionelle Tugenden, die verloren zu

gehen drohten, durch eine gezielte Wiederbelebung der chinesischen Tradition

bewahrt werden. So werden Tugenden wie „zhong“ und „xiao“ als Elemente der

heutigen gesellschaftlichen Moral betont, gleichzeitig soll aber die traditionelle

Hierarchie- durch eine moderne Gleichheitsauffassung ersetzt werden, die tradi-

tionelle Verehrung von Macht durch ein Bewusstsein für Demokratie.570 Das Pro-

blem ist, dass die moderne Lebensweise nicht mit der Tradition vereinbar scheint,

so dass man den Anforderungen an den „Nationalcharakter“ in ihrer paradoxen

Gesamtheit nicht gerecht zu werden weiß.571 Geist führt diesen widersprüchlichen

Prozess der Konstruktion einer modernen nationalen Kultur auf der Basis der chi-

nesischen Tradition Mitte der 1990er Jahre sehr treffend und anschaulich anhand

des Beispiels Individualisierung aus:

„China sucht gegenwärtig nach einer nichtindividualistischen Form derModerne. Die Mehrzahl der chinesischen Intellektuellen, und vor allem auchdie Partei, wehrt sich vehement gegen eine Gleichsetzung von Modernisie-rung und Individualisierung. Vor dem kulturellen Hintergrund der chinesi-schen Gemeinschaftsbezogenheit bedeutet Individualisierung Zersplitterung

568 Wang Quangen 2004b: S. 38569 Geist 1996: S. 211570 Geist 1996: S. 128ff., 224571 Wang Quangen 2004b: S. 38

110

und Chaos. Zwar wird im Interesse der (Wirtschafts-)Reformen allgemeineine stärkere Beachtung und Berücksichtigung von Individualität und indivi-duellen Interessen verlangt, doch ist ‚Individualismus‘ (geren zhuyi) äußerstnegativ besetzt. Individualität wird vor allem gefordert, da ein unmittelbarerZusammenhang zwischen Individualität und Innovation, Unternehmergeist,Überlegenheitsstreben etc. angenommen wird, die wiederum als wichtigeFaktoren für die gesellschaftliche Entwicklung gelten. Individualitiät aber sollmit Kollektivismus und dem Streben nach Harmonie in den zwischen-menschlichen Beziehungen verbunden sein, d.h. mit den zentralen Wertender traditionellen chinesischen – oder konfuzianischen – Ethik.“572

Dementsprechend gilt das traditionelle Kollektivbewusstsein – das auch ange-

sichts der zunehmenden Zahl von Einzelkindern als besonders wichtig erachtet

wird – neben Patriotismus und Sozialismus als einer der „ideologischen Grund-

pfeiler“ des „Nationalcharakters“,573 der aber zugleich Eigenschaften wie Selbst-

bewusstsein, Entschlossenheit und Hartnäckigkeit beinhalten soll.574 In einem

Aufsatz wird sogar die Überwindung der Hörigkeit gegenüber Autoritäten als Cha-

raktermerkmal dieses „Nationalcharakters“ genannt, sowie die Fähigkeit von Kin-

dern und Jugendlichen, eine eigene Meinung zu entwickeln.575 Angesichts der an-

sonsten sehr linientreuen Ausführungen in ebendiesem Artikel ist jedoch anzu-

nehmen, dass diese Forderung ebenfalls auf den erwünschten Innovationsgeist

abzielt und vor dem bei Geist ausgeführten Hintergrund zu sehen ist. Bei der „su-

zhi jiaoyu“ sind die Grenzen durch den politischen Rahmen genau vorgegeben

und werden nicht in Frage gestellt. Solange sich die revolutionär klingenden Neue-

rungen innerhalb dieses eng abgesteckten Feldes bewegen, sollen sie der Moder-

nisierung dienen und für die Führung unbedenklich bleiben. Es ist jedoch anzu-

nehmen, dass diese, wenn auch eingeschränkten, Lockerungen und Neuansätze

Auswirkungen auf das chinesische Autoritätsverständnis hatten und haben.

Das widersprüchliche Anforderungsprofil jedoch bedarf seit seinem Bestehen der

offiziellen Interpretation und Erklärung, um verständlich zu werden. Denn die Ju-

gendlichen finden weder im traditionellen noch im modernen Denken Halt und

übernehmen vorgegebene Slogans oberflächlich, ohne ihnen eindeutige Verhal-

tensvorgaben entnehmen zu können.576 Der Staat und die chinesische KJL-

572 Geist 1996: S. 259573 Ma Li 2000: S. 170, 216, 219; Zhang Jiling 1999: S. 19574 Ma Li 2000: S. 216, 223; Pu Manting 1991: S. 6575 Bi Bingbin 1991: S. 40576 Geist 1996: S. 203

111

Wissenschaft erhoffen sich bei der Vermittlung dieses komplexen Anliegens Hilfe-

stellung von der KJL: Durch die Darstellung klarer literarischer Vorbildfiguren, die

sich im Sinne der offiziellen Vorgaben verhalten, soll auf Einzelsituationen bezo-

gene Erklärungen verzichtet werden können und die Erziehung durch gute Bei-

spiele erfolgen. In diesem Zusammenhang rückt die Vorbildfunktion literarischer

Figuren in den Mittelpunkt des Interesses.

6.3.2 Vorbildfunktion von literarischen Figuren

Das Lernen anhand von konkreten Beispielen und Vorbildern hat in China eine

lange Tradition. Schon bei Konfuzius, der für einen „Edlen“ unter anderem „hinge-

bungsvolles Lernen [...] [und] Charakterbildung“577 für unbedingt erforderlich er-

achtete, spielte das Lernen am guten Beispiel eine bedeutende Rolle. Wie sich die

Schüler am Vorbild des Lehrers orientieren sollten, so fungierte der Herrscher als

Vorbild für seine Untertanen. Vor dem Hintergrund der Beamtenprüfungen578 und

den damit verbundenen Bildungs- und Erziehungszielen ist verständlich, dass die

Betonung von konfuzianischen Werten ihren Niederschlag in nahezu sämtlichen

Werken der klassischen chinesischen Literatur fand und die literarische Bildung

zur angesehensten wurde. Diese beinhaltete das starke Bewusstsein für Gut und

Böse und hatte stets das Ziel, den Leser zu einem guten Menschen, einem „Edlen“,

zu erziehen.579 Diese klare Unterscheidung nach eindeutig guten und eindeutig

bösen Figuren führte zu einer starken Typisierung und Schwarzweißmalerei und

ermöglichte die Vermittlung einer unmissverständlichen moralischen Aussage, wie

es ein immer wiederkehrendes Element in den mündlich tradierten Volkserzäh-

577 Darga 2001: S. 44578 Bis zur Abschaffung des traditionellen Staatsprüfungswesens im Jahr 1905 bestand das Zieleiner jeden Ausbildung in China darin, auf diese Beamtenprüfungen, für die man die „Vier Klassi-ker“ auswendig kennen musste, vorzubereiten, so dass die genaue Kenntnis der konfuzianischenKlassiker zum Synonym für Bildung wurde. Zusätzlich verstärkt wurde die konfuzianische Ausrich-tung dadurch, dass durchgefallene Prüflinge häufig Lehrer wurden und ihre starke konfuzianischeBildung weitergaben. (Acker und Turner 2002: S. 13, 33; Farquhar 1999, S. 13; Weggel 1989a:S. 35; Wong und Ho 1996, S. 832)579 Wong und Ho 1996: S. 831

112

lungen580 aus dem kaiserlichen China war.581 Die Darbietungen rankten sich the-

matisch meist um Volkshelden und historische Begebenheiten, um die heroische

Geschichten gesponnen wurden.582

Die klare Typisierung der Figuren und die Vorliebe für Heldenhaftes zeigte sich

auch in der chinesischen KJL der 1930er und 1940er Jahre, als China innen zer-

rissen war und von außen bedroht wurde.583 Die vorherrschende literarische Figur

bis in die 1970er Jahre war die des heroischen, kämpferischen Helden mit über-

mäßig positiver Charakterzeichnung, der sich vom proletarischen Kämpfer zum

Kriegshelden entwickelt hatte und sein Leben aus Patriotismus für sein Land ein-

setzte.584 1958 ließ der damalige Propaganda-Minister Zhou Yang verlauten: „Die

Schaffung neuer heroischer Charaktere ist die ruhmreiche Pflicht der sozialisti-

schen Literatur und Kunst.“585 Als Vorbild fungierende literarische Figuren sollten

den jungen Leser „auf den korrekten Weg bringen“.586 Für die Erziehung im sozia-

listischen Geist galten Biographien wichtiger Persönlichkeiten als besonders gut

geeignet. Die Kinder sollten die angebotenen Modelle imitieren und die Ideen der

Autoren übernehmen, ohne sie zu hinterfragen.587

Die wohl bekannteste Vorbildfigur jener Zeit war die des Lei Feng (1940-1962).

1963 initiierte Lin Biao mit einer Kalligraphie Mao Zedongs eine Kampagne zu die-

sem Soldaten der Volksbefreiungsarmee, der angeblich wirklich gelebt haben und

580 Bis 1911 gab es keine öffentlichen Schulen und nur maximal ein Prozent der chinesischen Ge-samtbevölkerung konnte lesen, so dass die mündliche Tradition im kaiserlichen China eine ent-scheidende Rolle bei der Weitergabe von Geschichten spielte. (Müller 1975: S. 256) Dies geschahin erster Linie in Form von Theateraufführungen und Erzählungen, die auf zentralen Plätzen inStädten zum Besten gegeben wurden. (Wong und Ho 1996: S. 830; Müller 1975: S. 257) Bei Kin-dern waren Volksmärchen, Lieder und Reime, die zum Teil bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. ent-standen waren, besonders beliebt. Da sie in der alltäglichen Volkssprache vorgetragen wurden,waren sie für die breite Masse zugänglich. (Müller 1975: S. 257)581 Müller 1975: S. 257Die damaligen Geschichten waren zwar nicht speziell für Kinder und Jugendliche geschrieben undersonnen worden, entsprachen aber mit ihren Übertreibungen, Symbolen, Personifizierungen undVerwandlungen meist ohnehin den Rezeptionsfähigkeiten, dem Verständnis und den Interessender jungen Zuhörer oder aber sie wurden beim Erzählen daran angepasst. (Fang Weiping 2004:S. 4; Huang Yunsheng 2004: S. 143ff.)582 Huang Yunsheng 2004: S. 143; Wong und Ho 1996: S. 830583 Ma Li 2000: S. 103584 Farquhar 1999: S. 168585 Übersetzt nach dem Zitat in Farquhar 1999: S. 272586 Ma Li 2000: S. 110587 Bi Bingbin 1991: S. 40

113

heldenhaft für sein Vaterland gestorben sein soll. In seinem angeblichen Tage-

buch, das während der „Von dem Genossen Lei Feng lernen“-Kampagne Pflicht-

lektüre an allen staatlichen Schulen wurde, betonte er seine immerwährende Lie-

be zur Revolution, zu seinem Land und seinen Kameraden, aber auch seine uner-

schütterliche Verehrung für den Vorsitzenden Mao.588

In den durchwegs moralisierenden Kinder- und Jugendbüchern der 1970er Jahre

wurden „immer wieder die höchsten Autoritäten, die Partei und Präsident Mao zi-

tiert. Die Helden der Erzählungen [...] w[u]rden am Ende der Schilderungen regel-

mäßig als gute Kommunisten und als gute Schüler von Präsident Mao vorge-

stellt.“589 Damit wurde in der Literatur die offiziell propagierte und erwünschte Er-

gebenheit eines jeden Genossen gegenüber der Partei dargestellt. Diény schreibt

zur chinesischen KJL jener Zeit:

„Schon lange, bevor der kleine Leser in ein Alter kommt, in dem er aus ratio-nalen Erwägungen heraus ein Treueverhalten zu Präsident Mao finden undseine Zustimmung zu der Politik der Kommunistischen Partei artikulierenkönnte, versucht die Propaganda, das Gefühl sentimentaler Abhängigkeit inihm zu wecken.“ 590

Bei allen Helden ergebe sich

„die Charakterfestigkeit aus der politischen Reife, die gekennzeichnet wirddurch die revolutionäre Gesinnung, den absoluten Gehorsam gegenüber denAnordnungen der Partei, durch die andachtsvolle Vertiefung in die Werke vonPräsident Mao und die Umsetzung ihrer Lehren in die Wirklichkeit“.591

Ende der 1970er Jahre, als die Aufarbeitung der Erlebnisse der Kulturrevolution

das Hauptthema war, bediente man sich meist einer Schwarzweißmalerei, in der

Mao der Gute und die „Viererbande“ die Bösen waren.592

Zusammenfassend können in den Kinder- und Jugendbüchern zwischen 1949 und

1976 fast ausschließlich folgende drei Typen von kindlichen und jugendlichen Fi-

guren ausgemacht werden: der „kämpferische kleine Held“, der für die Erziehung

in der kommunistischen Ideologie unverzichtbar war, das „arme Kind“, meist ein

Bauernkind, und das „brave Kind“, das der häufigste Typus war und das neue

588 Geist 1996: S. 209; Spence 2001: S. 704f.; Sun Longji 1994: S. 419589 Müller 1975: S. 259590 Diény 1973: S. 47591 Diény 1973: S. 52592 Jóo 1999: S. 59f.

114

Denken sowie die neuen Tugenden in der sozialistischen Gesellschaft verkör-

perte.593 Wie auch in der damaligen Erwachsenenliteratur spielten Arbeiter-, Bauern-

und Soldatenfiguren eine wichtige Rolle, da die Literatur diesen dienen sollte.594

Nach 1976 wurden zwar die heldenhaften Figuren als zu langweilig, zu einseitig

und fern der Lebensrealität der Leser abgelehnt,595 doch wurde an der Ansicht der

Vorbildhaftigkeit von Literatur und literarischen Figuren festgehalten. Im Februar

1980 forderte der damalige Propagandaverantwortliche Hu Yaobang, „die Literatur

solle Modellcharaktere anbieten, von denen die Jugend ‚korrektes‘ Verhalten ler-

nen könne“.596 Doch schon in den frühen 1980er Jahren wurden die Figuren zu-

nehmend realistisch und vielschichtig, sie wurden „entheroisiert“, waren nicht mehr

ausschließlich mustergültig – wenn auch weiterhin mit eindeutig positivem Tenor,

da man sich davon eine größtmögliche erzieherische Wirkung durch „unauffälligen

Einfluss“ des Romanhelden auf den Leser versprach:597 Je sympathischer der

Held, desto größer sei die Identifikation und somit auch die potentielle Beeinflus-

sung, wobei das Charakteristikum „sympathisch“ die Vorbildlichkeit durchaus be-

inhalten sollte. Von einem solchen sympathischen Protagonisten versprach man

sich eine effektivere erzieherische Funktion als mit propagandistisch überhöhten

Heroen. Die Figurenzeichnung hat sich damit von der Schwarzweißmalerei, die

vor allem vor 1976 die einzig gültige Variante war, weiterentwickelt hin zu einer

weniger klischeehaften, detailreicheren, realistischeren Darstellung, die ab Mitte

der 1980er Jahre begann, mit dem Anspruch und Ziel, Figuren mit verschiedenen,

durch die chinesische Gesellschaft geprägten, also typischen Charakterzügen zu

zeichnen.598 Dennoch wurde 1989 bis 1991, ähnlich wie die Lei-Feng-Kampagne

in den 1960er Jahren, die Lai-Ning-Kampagne ins Leben gerufen. Lai Ning, der als

Jugendlicher für die Interessen des Volkes starb – er kam beim Bekämpfen eines

Waldbrandes ums Leben –, wurde von Partei und Regierung zum wichtigsten Vor-

bild für Grund- und Mittelschüler erhoben. Neu war allerdings, dass mit solch einer

wegen ihrer Selbstlosigkeit gerühmten Figur Werte wie Kreativität und das Finden

593 zhandou xiao yingxiong , ku haizi , hao haizi Zhang Jinjiang 1987: S. 38f.; vgl. auch Gu Jianmei 1999: S. 2ff.594 Gu Jianmei 1999: S. 2595 Wang Quangen 2000: S. 718596 Wagner 1983: S. 19597 Pu Manting 1991: S. 93; Wang Fenghua 1999: S. 16598 Zhang Jinjiang 1987: S. 51

115

selbständiger Lösungen in Verbindung gebracht wurden,599 in denen das Anforde-

rungsprofil des „Nationalcharakters“ durchschien.

Eine neue Anforderung an literarische Figuren war deren Entwicklungsfähigkeit.

Der Leser sollte diese Entwicklung nachvollziehen und die (neuen) Werte der Ge-

wandelten als seine annehmen können.600 In diesem Zusammenhang war der in

den 1990er Jahren neu aufgekommene Typus des ungezogenen Kindes von Be-

deutung, der zum einen der realistischeren Darstellung, zum anderen als Negativ-

beispiel dienen sollte, anhand dessen Belehrung und Besserung gezeigt werden

sollten.601 Die deutliche Typisierung und klare Unterscheidung von Gut und Böse

gingen nach und nach zurück.602 Neues Ziel war die größtmögliche Identifikation

des Lesers mit der literarischen Figur und die möglichst realistische Widerspiege-

lung des jugendlichen Lebens, weshalb auch meist ein Protagonist im Alter des

Lesers gewählt wurde, also zwischen 10 und 15 Jahren.603

Die Charakterbildung und -beeinflussung sollen laut chinesischer wissenschaftli-

cher Abhandlungen der letzten Jahre in erster Linie durch einen Prozess der „Rei-

nigung“604 geschehen, was dem Begriff und der Funktion nach an die kathartische

Wirkung von Literatur nach der aristotelischen Tragödientheorie erinnert.

„Hervorragende Werke der KJL reinigen die Seelen der Kinder und be-einflussen ihre Wertvorstellungen langsam positiv. Gleichzeitig mit demästhetischen Genuss helfen sie den Kindern auch, das Wahre, Gute undSchöne zu kennen, zu beurteilen und zu bewerten.“605

599 Geist 1996: S. 211600 Bucher 1986: S. 536601 Ma Li 2000: S. 114602 Jiang Feng 1998: S. 137603 Jiang Feng 1998: S. 143Ein erwachsener Protagonist wird theoretisch auch für möglich gehalten, wenn er dem kindlichenUmfeld entstammt. (o.V. 1991: S. 11)604 jinghua Fang Weiping 2004: S. 14; Ma Li 2000: S. 213605 Youxiu de ertong wenxue zuopin zai jinghua ertong xinling, taozhe qi qingcao, gei ertong yi mei-gan xiangshou de tongshi, ye [...] bangzhu ertong xuehui dui zhen shanmei de renshi, panduan hepingjia. [...]

Fang Weiping 2004: S. 14

116

Entscheidend für diesen Prozess sei, dass es sich beim Lesen um keine rein ratio-

nale, sondern eine ebenso emotionale Tätigkeit handle. Das Mitgefühl mit dem

Helden stehe im Mittelpunkt.606

In den 1980er Jahren kam im Umfeld der von Cao Wenxuan angestoßenen Dis-

kussion um den „Nationalcharakter“ ein völlig neuer jugendlicher literarischer Held

auf, der vor allem zwei Eigenschaften hatte: Er war rebellisch – widersetzte sich

dem Lehrer, gehorchte nicht und stand gerne im Mittelpunkt – und eigenständig,

d.h. er dachte und löste seine Probleme selbstständig.607 Dieser Typus, der in der

chinesischen KJL als „ein ganzer Kerl“ / „ein echter Mann“608 betitelt wurde, stand

in starkem Kontrast zum klassischen „hao haizi“ ( ), das sich durch Gehor-

sam und Abhängigkeit auszeichnete. Er war stark und selbstbewusst und durchlief

durch das Bewältigen einer schwierigen Situation eine charakterliche Reifung.609

Das Aufkommen dieser literarischen Figur in den 1980er Jahren hatte laut Wang

Yonghong zwei Hauptursachen. Zum einen führt er die gravierenden Veränderun-

gen in allen Lebensbereichen nach den ersten Jahren der Reform- und Öffnungs-

politik an, die zu Besorgnis und Unsicherheit geführt hätten. Daher seien neue

Charaktere gebraucht worden, die dem zunehmend spürbaren Konkurrenzdruck

gewachsen waren, mit ihrem Beispiel das soziale Verantwortungsgefühl stärkten

und auf den Leser motivierend wirkten. Der zweite Grund sei, dass man aus den

Erfahrungen der Kulturrevolution gelernt habe, wohin mangelndes Selbstbewusst-

sein führen könne. Auch wenn Gehorsam immer noch als grundlegende Eigenheit

eines Schülers galt, sollte die Literatur mit einem solchen „xiao nanzi han“ alte

pädagogische Ansichten reformieren und zu einer „Waffe“ für eine neue Genera-

tion werden.610

Die Autoren, die solche rebellischen Helden schufen, allen voran Cao Wenxuan,

standen in der Tradition der 4.-Mai-Bewegung, deren Ziel ebenfalls die Umgestal-

tung des „Nationalcharakters“ gewesen war, widersprachen aber den Gepflogen-

606 Fang Weiping 2004: S. 14607 Huang Yunsheng 2004: S. 167ff.; Wang Yonghong 2004: S. 144Solche Protagonisten finden sich zum Beispiel in Werken Cao Wenxuans wie „Gubao“ ( ) undLiu Jianpings „Wo yao wo de diaokedao“ ( ). (Wang Yonghong 2004: S. 144)608 xiao nanzi han 609 Wang Yonghong 2004: S. 156610 Wang Yonghong 2004: S. 144

117

heiten seit 1949, da die Figuren nicht dem traditionellen Bild eines perfekten,

sprich braven Kindes entsprachen. In ihrem Rebellischsein aber waren sie als

Ideal und somit perfekt gezeichnet, wodurch man auf neue Art und Weise der For-

derung nach klar gezeichneten Figuren nachkam. Der Forderung nach einem po-

sitiven Helden, wie es in offiziellen Verlautbarungen stand, wurde man jedoch

nicht gerecht. Auch dem ursprünglichen Anliegen, das Individuelle darzustellen,

kamen die Autoren auf Dauer nicht nach, da durch die Überbetonung des Idealen

die Figuren erneut zu Stereotypen erstarrten. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass

Romane mit solchen Protagonisten in der Regel humorlos seien611 und somit dem

allgemeinen Trend im chinesischen Jugendroman widersprachen. In der folgen-

den Entwicklung konnte sich dieser Figurentyp auch nicht durchsetzen.612 Vielmehr

kamen in den 1990er Jahren humorvollere und „individuellere Figuren“613 auf, wie

zum Beispiel in den Werken Qin Wenjuns, die trotz oder gerade wegen ihrer

„Normalität“ als typisch im Sinne von vorbildhaft gelten.614

In der chinesischen KJL-Wissenschaft ist die Bedeutung literarischer Vorbilder und

typischer Figuren für die Erziehung von Jugendlichen unbestritten. Weil Jugend-

liche bei ihrer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich vorgegebenen Werten,

Normen und Handlungsanforderungen auf der Suche nach Vorbildern sind und

sich im Prozess der Identitäts- und Charakterbildung befinden, gelten die Figuren-

zeichnung und die Typisierung literarischer Figuren für die Einflussnahme auf die

Leser als besonders effektiv.615 Jugendromane sollen demnach ideale Charaktere

611 Wang Yonghong 2004: S. 145612 Dieser rebellische Typus ist dem vieler deutscher Jugendromane ähnlich, in denen es, wie Mar-quardt es formuliert, um Folgendes geht: „Das von der (Erwachsenen-)Gesellschaft angeboteneWeltbild wird systematisch nach seiner Deutungsleistung abgefragt, wobei Defizite und Leerstellen,Widersprüche und Ambivalenzen Ausgangspunkt und Auslöser für heftige Orientierungs- undSelbstwertkrisen sein können.“ (Marquardt 1992: S. 107)613 gexing renwu 614 Nach wie vor vernachlässigt werde beim chinesischen Jugendroman das Innenleben der Figu-ren und ihre psychologische Entwicklung. Mitte der 1980er Jahre kam zwar in der Erwachsenen-literatur der „psychologische Roman“ (xinli xiaoshuo ) auf und Zhou Xiaobo weist daraufhin, dass inzwischen in China die literarische Welt aus zwei Komponenten bestehend betrachtetwerde – nämlich sowohl aus der Beziehung des Einzelnen zur Außenwelt als auch der Beziehungdes Einzelnen zu seiner eigenen Innenwelt –, dennoch werden nach wie vor äußere Gegebenhei-ten wie Gesellschaft, Klasse, Politik und Nation als Haupteinflussfaktoren auf die Figuren erachtet.(Zhou Xiaobo1999: S. 18)615 Chen Zidian 2003: S. 42; Ma Li, 2000: S. 298; Pu Manting 1991: S. 89, 92; Wang Yonghong2004: S. 141

118

schaffen, an deren Verhalten sich die kindlichen und jugendlichen Leser orientie-

ren sollen.

Wegen dieser großen Bedeutung, die beim chinesischen Jugendroman der Figu-

renzeichnung beigemessen wird, wird im Anschluss die exemplarische Analyse

zweier repräsentativer Werke aus den 1990er Jahren im Hinblick auf die Gestal-

tung der Figuren sowie die Figurenkonstellationen und ihre Vorbildfunktion durch-

geführt.

119

„Wenn man das Niveau der Kinder-und Jugendliteratur eines Landesuntersuchen möchte, ist das Niveauder Kunstfertigkeit der Figuren-zeichnung der kindlichen Heldenein wichtiger Indikator.“616

7 Exemplarische Figurenanalyse617 von Qin Wenjuns „Nansheng

Jia Li“ ( ) und „Nüsheng Jia Mei“ ( )618

7.1 Auswahlkriterien

7.1.1 Autorin

Bei der Beschäftigung mit der chinesischen KJL nach 1978 stößt man unwillkürlich

auf den Namen Qin Wenjun (Jahrgang 1954). Wie oben ausgeführt gilt sie als „Phä-

nomen“ der chinesischen KJL der 1990er Jahre, speziell des Jugendromans, und

somit als Repräsentantin dieser Gattung.619 Ihr umfangreiches Werk von über 40

Büchern620 – Zhu Ziqiang spricht von einer Rekordproduktion621 – beschränkt sich

jedoch nicht auf Romane, sondern enthält auch sogenannte Reportageliteratur und

Essays622 für Kinder und Jugendliche sowie Abhandlungen über das Schreiben.

Qin Wenjun arbeitete ab 1979 nach acht Jahren Landverschickung und einer Tä-

tigkeit als Grundschullehrerin nebenberuflich als Zeitungsredakteurin und veröf-

fentlichte Anfang der 1980er Jahre erste Texte für Kinder und Jugendliche in der

616 Jiancha yige guojia de ertong wenxue shuiping de gaodi shi, yige zhongyao de zhishi jiu shizhuoqi suzao ertong xingxiang de yishuli de gaodi.

Zhu Ziqiang 2000a: S. 58617 Eine Querschnittsanalyse, die mehrere Autoren und Werke untersucht und daher an Aussage-kraft gewinnt, war im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu bewerkstelligen. Wie weiter untenausgeführt, stellen die beiden ausgewählten Werke jedoch Hauptvertreter des chinesischen Ju-gendromans der 1990er Jahre dar und können daher stellvertretend Einblicke in diese Gattunggewähren.618 Verweise auf die Werke beziehen sich auf die in der Bibliographie genannten Ausgaben.619 Zhang Meini 2000: S. 260620 Diese Zahl nannte sie in ihrer Rede auf dem 30th IBBY World Congress in Macau, 21. Septem-ber 2006.621 Zhu Ziqiang 2000a: S. 361622 baogao wenxue , sanwen

120

Zeitschrift „Juren“ ( ).623 Parallel zu ihrer schriftstellerischen Tätigkeit war sie

Mitherausgeberin verschiedener Zeitschriften zur KJL. Sie ist als Vizevorsitzende

des Shanghaier Schriftstellerverbandes, als Mitglied des Chinesischen Schrift-

stellerverbandes und als Verlegerin – seit 2004 leitet sie das China Welfare Insti-

tute Publishing House624 – fest in der chinesischen KJL und der sie umgebenden

Struktur verankert. Einige ihrer Werke, darunter „Nansheng Jia Li“, dienten als

Vorlage für Fernsehadaptionen, was den Figuren zu immenser Popularität verhalf.

Als Ausgangspunkt ihrer Werke sieht sie seit Beginn ihrer schriftstellerischen Tä-

tigkeit die Kinder. Sie vertritt dem Kindheitsbild der 4.-Mai-Bewegung folgend den

Ansatz, dass die „Welt der Kinder“ in den Mittelpunkt zu stellen sei.625 Traditionelle

Erziehungsmethoden wie Auswendiglernen und Eintrichtern von komplizierten In-

halten ohne Durchdringen der Materie lehnt sie ab.626 Die Hauptfunktion von KJL

sieht sie zwar nicht im Erziehen, sondern im Unterhalten, ihre Figuren sollen aber

zugleich durchaus als Vorbilder für einen sozialen Umgang dienen,627 ihre Werke

als moralisches Beispiel „reinigend“ auf die Leser wirken.628 Mit dieser Intention

entspricht sie den oben ausgearbeiteten Zielen der kinder- und jugendliteratur-

wissenschaftlichen Diskussion.

In ihren Werken der 1980er Jahre legte sie besonderen Wert auf die Gefühlslage

und das Innenleben ihrer jungen Protagonisten und hatte noch einen stärker auf

ästhetisch-literarische Aspekte ausgerichteten Stil, den sie aber Anfang der

1990er Jahre mit Erscheinen von „Nansheng Jia Li“ in einen leichten, humorvollen

Stil abwandelte und damit immensen Erfolg hatte.629 Besonders lobend hervorge-

hoben wird in der chinesischen KJL-Wissenschaft, dass sie sich auch noch nach

diesem großen Erfolg künstlerisch weiterentwickelt habe und die nachfolgenden

Werke „Nansheng Jia Li“ sogar noch übertroffen haben.630 Als herausragendes

623 Jakobs 2002: S. 10f.624 Zhongguo Fulihui Chubanshe 625 Zhang Meini 2000: S. 260626 Jakobs 2002: S. 11f.627 Interview mit Qin Wenjun auf www.tynews.com.cn (Taiyuan Xinwen Wang) vom 2.9.2004628 Qin Wenjun 2006: S. 6629 Fan Fajia 1999c: S. 60; Huang Yunsheng 2004: S. 218; Jakobs 2002: S. 14; Zhou Xiaobo 2004:S. 176630 Fan Fajia 1999c: S. 61; Zhou Xiao 1997: S. 20

121

Charakteristikum gilt dabei weniger der literarische Anspruch, sondern die detail-

lierte und treffende Darstellung der jugendlichen Psyche und des jugendlichen

Lebens, was angesichts der fundamentalen Veränderungen in sämtlichen Le-

bensbereichen in den letzten Jahrzehnten als eine der schwierigsten Herausforde-

rungen in der chinesischen KJL gilt. Auch nach wie vor weitgehend tabuisierte

Themen wie erste aufkeimende Sexualität und Gefühle für das andere Geschlecht

versuche sie behutsam zu brechen. Da Kinder weder in der Schule noch zu Hause

mit ihren Eltern darüber sprechen würden, sei es dringend notwendig, dass die

KJL in dieser Hinsicht Aufklärungsarbeit leistet und Gefühle als etwas Schönes

und nicht als etwas Angsteinflößendes darstellt.631

Alle auf den Erfolg von „Nansheng Jia Li“ folgenden Werke waren laut Zhou Xiao-

bo Bestseller – ein zuvor noch nie dagewesenes Phänomen in der chinesischen

KJL.632 Qin Wenjun war in den 1990er Jahren dreimal in Folge Preisträgerin des

bedeutenden „Nationalen Preises für hervorragende Kinder- und Jugendlitera-

tur“633 und gewann zahlreiche weitere nationale Auszeichnungen. Als Besonder-

heit wird bei Qin Wenjun hervorgehoben, dass sie Bücher schreibt, die sowohl

preisgekrönt als auch Bestseller sind – eine Kombination, die höchst selten vor-

komme.634 Ihr wurde in der chinesischen KJL-Wissenschaft so viel Aufmerksam-

keit zuteil – es wird gar von einem „Qin Wenjun-Fieber“ in den 1990er Jahren ge-

sprochen –, dass im Mai 1996 eine Konferenz in Shanghai635 speziell zu ihren

Werken stattfand, veranstaltet vom Chinesischen Schriftstellerverband, dem Pro-

pagandaministerium Shanghai, dem Schriftstellerverband Shanghai und dem in

Shanghai ansässigen Kinder- und Jugendbuchverlag.636 Auf dieser Konferenz

wurde lobend bemerkt, dass sie mit ihren wenig klischeehaften Figuren ihre ju-

gendlichen Leser auf lockere und humorvolle Art und Weise auf deren spätere

gesellschaftliche Rolle vorbereite. Gerade in Campusromanen637 wie „Nansheng

631 Interview mit Qin Wenjun auf www.tynews.com.cn (Taiyuan Xinwen Wang) vom 2.9.2004632 Zhou Xiaobo 2004: S. 176633 Wang Quangen 2004c: S. 836ff.634 Fan Fajia 1999c: S. 61f.635 Kurz darauf fand eine weitere Konferenz in Beijing statt. (Martin 1997: S. 295)636 Der Name der Konferenz lautete „Qin Wenjun ertong wenxue zuopin yantaohui“

Martin 1997: S. 295; Zhou Xiao 1997: S. 20637 xiaoyuan xiaoshuo

122

Jia Li“ und „Nüsheng Jia Mei“, in denen die Miniatur-Gesellschaft einer Schule

dargestellt wird, spiegelten sich gesellschaftliche Verhältnisse wider, so dass

Huang Yunsheng diese Romanart sogar als „gesellschaftliches Barometer“ und

als „Fenster zur Gesellschaft“ bezeichnet. Qin Wenjun verbinde in ihren Werken

das Schöne und Tugendhafte der traditionellen Literatur mit zeitgenössischem

Geist.638 Sie reflektiere „Moral, Lebensauffassung und Ideale der neuen Genera-

tion“.639 Das in ihren Werken Dargestellte wird demnach zum einen als Spiegel

des jugendlichen Lebens gesehen, zum anderen als Vorbild und Anleitung dafür.

7.1.2 Werk

Qin Wenjuns Campusromane zählen nach Einschätzung der chinesischen Kritiker

zu den besten nationalen Werken der 1990er Jahre. „Nansheng Jia Li“ wiederum

gilt innerhalb der Campusromane als ihr bedeutendstes Werk, das sie am besten

repräsentiert.640 „Nansheng Jia Li“ erschien erstmals 1991 als Fortsetzungsroman

in der Zeitschrift „Juren“, wurde seitdem vielfach aufgelegt und ist bis heute im

chinesischen Buchhandel erhältlich. Die zuletzt erschienene Ausgabe stammt aus

dem Jahr 2006: „Nansheng Jia Li“ wurde in die bei Hubei Children’s and Juvenile

Publishing House641 erschienene Reihe „A Hundred Books of the Chinese Child-

ren Literary Classics in the 20th Century“642 aufgenommen und somit in den Rang

eines Kinderbuchklassikers erhoben. Es ist seit seinem ersten Erscheinen vor

über 15 Jahren ein Dauerrenner, von dem nach Aussagen der Autorin bis Sep-

tember 2006 über 1,2 Millionen Exemplare verkauft wurden.643 Nahezu jeder

638 Mao Shian äußerte diese Einschätzung in einem Artikel über den Kongress zu Qin WenjunsWerken. Da der Artikel der Verfasserin nur als Kopie ohne Quellenangabe vorliegt und aus demArchiv von Qin Wenjun stammt, ist es leider nicht möglich, die Quelle dem wissenschaftlichen Ususgemäß anzugeben.639 Jakobs 2002: S. 17640 Fang Weiping 2004: S. 174; Huang Yunsheng 2004: S. 219; Jakobs 2002: S. 15Da mit dem Erscheinen von „Nansheng Jia Li“ die große Popularität von Qin Wenjun begann, wirddiesem Werk in der chinesischen KJL-Wissenschaft wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenktals dem Folgeroman „Nüsheng Jia Mei“, der aber, aufbauend auf dem großen Erfolg von „Nan-sheng Jia Li“, eine ganz ähnliche Erfolgsgeschichte hat.641 Hubei Shaonian Ertong Chubanshe 642 Bainian baibu Zhongguo ertong wenxue jingdian shuxi 643 Qin Wenjun 2006: S. 2

123

Mittelschüler kenne die äußerst beliebten Figuren des Mittelschülers Jia Li und

seiner Zwillingsschwester Jia Mei, welche die tatsächliche Situation des Heran-

wachsens und das städtische Leben an einer chinesischen Mittelschule in den

1990er Jahren widerspiegelten.644 Qin Wenjun wurde für „Nansheng Jia Li“ mit

zahlreichen nationalen Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem dritten „Nationalen

Preis für hervorragende Kinder- und Jugendliteratur“, mit dem Werke aus den Jah-

ren 1992-1994 ausgezeichnet wurden und der als bedeutendster Preis für KJL in

China gilt. Das Buch erschien 1996 auf Japanisch und 1999 auf Niederländisch.645

Bis auf eine Ausnahme sind in der chinesischen KJL-Kritik nur lobende Stimmen

zu diesem Werk zu hören. Besonders hervorgehoben wird zum einen der humor-

volle Stil, der ab den 1990er Jahren eines der Hauptanliegen der chinesischen

KJL war und eine Neuerung darstellte, zum anderen die realistische Darstellung

und Figurenzeichnung, wodurch sich der Leser sehr gut mit dem Protagonisten

identifizieren könne. Zeng Zhenman bemängelt als Gegenstimme zum ansonsten

geschlossenen Lob die zu geringe Rolle von Patriotismus und Politik in „Nansheng

Jia Li“. Außerdem stünden moderne Erscheinungen wie Konsumfreude zu unkri-

tisch im Vordergrund und es fehle den Werken an Tiefgang.646 Abgesehen von

dieser negativen Kritik lautet die Meinung der chinesischen KJL-Wissenschaftler

jedoch, dass die beiden Werke die Anforderung, eine Anleitung für das „gesunde

Heranwachsen“ zu sein, vollauf erfüllen, dass sich die Autorin in die Perspektive,

Situation und Gemütslage der Jugendlichen versetzt und auf diese Weise das

wahre Gesicht der zeitgenössischen Jugend zeigt.

All diesen Kritiken nach zu urteilen handelt es sich bei „Nansheng Jia Li“ und „Nü-

sheng Jia Mei“ um zwei sehr weit verbreitete und bekannte Werke mit großer positi-

ver Leserresonanz, die trotz ihres relativ geringen literarischen Anspruchs auch in der

KJL-Wissenschaft in aller Ausführlichkeit gewürdigt wurden, verkörpern sie doch den

644 Interview mit Qin Wenjun auf www.tynews.com.cn (Taiyuan Xinwen Wang) vom 2.9.2004;Huang Yunsheng 2004: S. 219; Zhou Xiaobo 2004: S. 171645 Die häufig wiederholte Behauptung, das Buch sei auch auf Englisch erschienen, bezieht sichauf eine in den 1990er Jahren in Teilen Chinas vertriebene Ausgabe, die jedoch nicht mehr er-hältlich ist und der Verfasserin nicht vorlag.646 Zeng Zhenman: S. 14

124

erwünschten humorvollen und realitätsnahen Ansatz mit zeitbezogenem Hintergrund.

Da sie zur wichtigsten Gattung der chinesischen KJL der 1990er Jahre gehören und

zentrale Anliegen der chinesischen KJL-Wissenschaft derselben Zeit umsetzen, bie-

ten sie exemplarisch Einblicke in den chinesischen Jugendroman der 1990er Jahre.

7.2 Kurze Einführung

In den Romanen begleitet man das Leben des 14-jährigen Jia Li und seiner Zwillings-

schwester Jia Mei, die mit ihren Eltern in einer Kernfamilie ohne Großeltern aufwach-

sen.647 Die großen Themenbereiche sind Schule, Familie und Freunde, den Hinter-

grund bilden realistische Schauplätze eines von der sozialistischen Marktwirtschaft

gekennzeichneten gesellschaftlichen und jugendlichen Lebens, in dem Themen wie

Markenbewusstsein, die Bedeutung von Geld und der Umgang damit sowie der aus-

geprägte Geschäftssinn Jia Lis in mehreren Geschichten eine Rolle spielen.

Die beiden Protagonisten wachsen in materieller und emotionaler Sicherheit in

einer chinesischen Großstadt – bei der es sich wohl um Shanghai handelt648 – auf.

Der Vater ist Kinder- und Jugendbuchautor, die Mutter Schauspielerin, die in ers-

ter Linie in Kinderstücken mitspielt, so dass es sich um einen Künstlerhaushalt

handelt, der sich intensiv mit Kindheit und Jugend befasst. Durch die Wahl eines

männlichen Protagonisten in „Nansheng Jia Li“ und eines weiblichen Protagonis-

ten in „Nüsheng Jia Mei“ werden alltägliche Probleme sowohl von Jungen als auch

von Mädchen thematisiert und eine Leserschaft beider Geschlechter angespro-

chen. Inzwischen ist eine Reihe von zehn Romanen um Jia Li, Jia Mei und ihre

Freunde entstanden, bei denen immer ein anderer Freund als Protagonist im Mit-

647 Die gesellschaftliche Realität der Ein-Kind-Problematik wird durch die Wahl eines Zwillingspär-chens als Protagonisten ausgeklammert, was für die Mehrzahl der städtischen Leserschaft nichtrealitätskonform ist. Dies wird jedoch in Untersuchungen, die die Realitätsnähe der Werke loben,nicht thematisiert.648 Zum einen lässt der biographische Hintergrund der Autorin darauf schließen, zum anderen wirdin chinesischen Kritiken Shanghai als Handlungsort genannt, obwohl dieser im Roman selbst nienäher bestimmt wird, z.B. bei Zhang Jiahua 2006: S. 49.

125

telpunkt steht, aus dessen Perspektive erzählt wird. In vorausgegangenen Roma-

nen bereits eingeführte Figuren tauchen in späteren Werken wieder auf.649

Beide Romane sind analog in 18 Kapitel aufgeteilt, jedem ist ein Tagebucheintrag

des Protagonisten vorangestellt. In jedem Kapitel wird eine abgeschlossene

Geschichte erzählt. Es gibt zwar zeitliche und inhaltliche Bezüge zwischen den

Kapiteln, diese sind für das Verständnis aber nicht essentiell. Die einzelnen Ge-

schichten werden schnell und einfach und meist ohne Nebenhandlung erzählt, wie

es für einen „duanpian“-Roman charakteristisch ist. „Nansheng Jia Li“ wird aber

trotz seiner chronologisch-episodischen Komposition, bei der keine durchgängige

Geschichte erzählt wird, in der chinesischen KJL-Wissenschaft dem „changpian“-

Roman zugeordnet, der sich in diesem Fall aus mehreren „duanpian“-Romanen

zusammensetzt.650 Das verbindende Element ist nicht der große Handlungsver-

lauf, sondern der Protagonist.

7.3 Die Protagonisten als Identifikationsfiguren und Vorbilder

Die Untersuchung von literarischen Figuren – „körperlich manifeste[r], kommunizie-

rende[r] Bewusstseinsinstanzen innerhalb eines literarischen Textes“651 – und Figu-

renkonstellationen wird meist beim Drama vorgenommen. Im Kontext der chinesi-

schen Literaturwissenschaft und des zu Kapitelbeginn genannten Zitats wird jedoch

deutlich, dass in der chinesischen Literaturwissenschaft die Figurenanalyse gerade

beim chinesischen Jugendroman als aufschlussreich gilt. Die beiden Werke „Nan-

sheng Jia Li“ und „Nüsheng Jia Mei“ sind sowohl aus theoretisch-wissenschaftlicher

und institutioneller Sicht als auch aus Lesersicht für eine solche Analyse bestens

geeignet: In der chinesischen theoretischen Diskussion zur KJL gelten die Figuren

649 Ein Vergleich mit Balzacs „Comédie humaine“ scheint zwar der wesentlich kleineren Dimensionund auch des geringeren literarischen Anspruchs wegen gewagt, drängt sich wegen der Beson-derheit der wiederkehrenden Figuren aber geradezu auf.650 In den allermeisten Kritiken wird auf diese strukturelle Besonderheit des Romans nicht weitereingegangen. Die leicht verständlichen, in sich geschlossenen kurzen Geschichten werden alsbesonders leserfreundlich eingestuft, der humorvolle Stil einer leichten Komödie als ausgespro-chen unterhaltend.651 Schneider 1998: S. 34

126

aus der Jia Li-Reihe als „für den chinesischen Stil typisch“652, als besonders gute

Repräsentanten für das zeitgenössische Bewusstsein und das Lebensgefühl der

Großstadtjugendlichen der 1990er Jahre.653 Der Chinesische Schriftstellerverband

befand im Vorfeld einer Preisverleihung die Figurenzeichnung einstimmig für bei-

spielhaft654 und der Leserresonanz und Beliebtheit nach zu urteilen werden die Fi-

guren als realistisch und lebensecht empfunden.655 Dies dient der Identifikation, die

wiederum als essentiell für die Orientierung an dem Verhalten der Figuren gilt656 –

beste Voraussetzungen dafür, dass KJL zur Autorität werden kann.

7.3.1 Charakterisierung der jugendlichen Protagonisten

7.3.1.1 Jia Li

Jia Li ist ein 14-jähriger Schüler, der das erste Jahr auf die Mittelschule geht, was

der deutschen 7. Klassenstufe entspricht. Da er einige Minuten älter ist als seine

Zwillingsschwester Jia Mei, bezeichnet er sich selbst als großen Bruder und sieht

sie als intellektuell unterlegen an: ihr Wissen sei zum Fürchten gering.657 Entspre-

chend herablassend behandelt er sie in manchen Situationen. Er versucht immer

wieder, sie für seine Zwecke einzuspannen und glaubt, über sie bestimmen zu

können, was Jia Mei aber nicht immer mit sich machen lässt.658 Gleichzeitig sieht

er sich aber in seiner Rolle als großer Bruder auch als ihr Beschützer659 und sorgt

sich um ihr Wohl.660

Jia Li hat ein gesundes Selbstbewusstsein und hält sich selbst für sehr intelligent –

eine Eigenschaft, die er bei Männern als wesentlich erachtet.661 Daher begeistert

652 Zhongguo fengge de dianxing renwu xingxiang Wang Quangen 2004b: S. 23653 Wang Quangen 1999a: S. 44; Xu Wenyu 1997: S. 12654 Xu Wenyu 1997: S. 12655 Wang Quangen 2004b: S. 23656 Zeng Zhenman 1996: S. 13; Zhou Xiaobo 2004: S. 171657 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 113658 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 40f.659 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 184660 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 7, 149ff.661 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 2

127

er sich auch weniger für Popstars als vielmehr für große Wissenschaftler.662 Diese

Begeisterung beinhaltet aber kein Streben nach Lernen und Wissen: Er ist zwar

ein guter Schüler, aber nicht sonderlich fleißig oder strebsam, wie etwa sein

Freund Chen Yingda. Jia Li hat bei den Lehrern auch nicht den besten Ruf,663 ob-

wohl er, wie auch seine beiden besten Freunde Lu Zhisheng und Chen Yingda,

Mitglied des Klassenkomitees ist.664

Ein Hauptcharakteristikum für ihn ist sein Talent, sich unabsichtlich in Schwierig-

keiten zu bringen, sei es mit ursprünglich guten Absichten, sei es, um als Held

dastehen zu können, oder ganz einfach aus Unüberlegtheit. Um aus solchen Si-

tuationen wieder möglichst unbeschadet herauszukommen, denkt er sich biswei-

len hanebüchene Geschichten aus, in die er sich immer tiefer verstrickt. In diesen

Verstrickungen beweist Jia Li rege Phantasie und Vorstellungskraft, entkommt

aber doch meist nicht, ohne letztendlich die Wahrheit zu sagen.

Im Gegensatz zu früheren typischen Figuren der chinesischen KJL, die klar typi-

siert und dadurch eindeutig getrennt nach Gut und Böse waren, verkörpert Jia Li

weder ausschließlich positive noch ausschließlich negative Eigenschaften. Er hat

einen facettenreichen Charakter mit Vorzügen und Schwächen. Jia Li ist ein bra-

ves und ungezogenes Kind zugleich: Er hat seine eigenen Ideen und Vorstellun-

gen, Ambitionen und Ziele, die er verwirklichen und erreichen will, um aus der

Masse herauszuragen und um sich nicht mit Mittelmäßigem zufrieden geben zu

müssen. Doch trotz seiner Intelligenz und seines Ideenreichtums kommt er häufig

nicht an seinem Ziel an, weil ihm seine überbordende Phantasie, sein Streben

nach „eitlem Ruhm“665 und der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen, einen Streich

spielen. Er zeigt sich einerseits egoistisch und von sich eingenommen, anderer-

seits fürsorglich, hilfsbereit und loyal, wobei die seinem Handeln zugrunde liegen-

de Motivation meist eine Mischung aus Egoismus und Altruismus ist. Die Domi-

nanz einzelner Charakterzüge differiert je nach Episode. Doch seine Fehler und

Schwächen erscheinen so menschlich, dass er, wahrscheinlich gerade weil er sie

hat, dem Leser realistisch erscheint, was für die Identifikation mit dem literarischen

662 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 101663 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 27664 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 13665 Wang Quangen 1999a: S. 44

128

Helden förderlich ist. Manche von Jia Lis Ideen, oder auch die seines Freundes Lu

Zhisheng, wirken jedoch derart naiv, dass sie dem Alter von 14 Jahren nicht an-

gemessen erscheinen und ihn wie einen Lausbuben wirken lassen – wie einen

chinesischen Michel von Lönneberga im Teenageralter. In dieser Hinsicht scheint

der Humor höchste Priorität zu haben. Nach den Kritiken und der Leserresonanz

zu urteilen gelingt es der Autorin dennoch, beim Leser den Eindruck zu erwecken,

es handle sich um eine besonders lebensnah gezeichnete Figur.

7.3.1.2 Jia Mei

Jia Mei ist in zahlreichen Charaktereigenschaften gegensätzlich zu ihrem Bruder.

Sie ist sehr bescheiden und wenig überzeugt von ihren Fähigkeiten, so dass sie

nicht weiß, ob die Leute, die über sie sagen, sie sei intelligent und talentiert, recht

haben oder nicht. Sie wünscht sich lediglich, dass sie recht haben666 und sie hat

das Ziel, ein gutes Mädchen zu sein, auch wenn sie das als schwierig erachtet.667

Ihrem Bruder fühlt sie sich sowohl körperlich als auch intellektuell unterlegen, was

sie aber nicht zu belasten scheint.668 Sie akzeptiert die Überlegenheit des Bruders

und sieht ihn als gewisse Autorität, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie

seinen Anweisungen in Situationen, in denen eine schnelle Lösung gefragt ist,

Folge leistet, ohne diese zu hinterfragen oder deren Unzulänglichkeit zu bemer-

ken.669 Sie wird beschrieben als jemand, der angeleitet werden will.670 Durch die-

sen Wunsch nach Orientierung ist auch ihr Verhältnis zu ihrer Freundin Lin Shao-

mei geprägt: Jia Mei bewundert die Freundin für ihre Schönheit, ihren Stil und ihr

Talent. Entsprechend leicht lässt sie sich von dieser beeinflussen, ob es um eine

neue gewagte Frisur geht oder die Auswahl eines Ferienjobs.671 Jia Mei ist durch

und durch gutherzig, was ihr manchmal zum Nachteil gereicht, da andere diese

Gutmütigkeit auszunutzen wissen.672

666 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 32667 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 11668 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 53669 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 47f.670 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 53671 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 13, 22672 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 78f.

129

Jia Meis Lehrerin ist vom Talent ihrer Schülerin, was das Singen und Tanzen an-

geht, überzeugt, sieht aber mangelnden Ehrgeiz als Grund für ihre nur durchschnitt-

lichen Leistungen.673 Bei einem Casting für einen Film kann Jia Mei aber auch ohne

allzu großen Ehrgeiz überzeugen: nicht durch hervorragende Leistung, sondern

durch ihre Begeisterungsfähigkeit und ihre natürliche, unprätentiöse Art.674

Jia Mei hat zwar auch eine selbstbewusste, bestimmte Seite, wenn sie von einem

Vorhaben sehr überzeugt ist, diese tritt jedoch seltener in Erscheinung und ist für

den Handlungsverlauf weniger ausschlaggebend.675 Sie wirkt überwiegend naiv

und unselbständig und erweckt den Eindruck, als habe sie kein Gefühl dafür, was

richtig und was falsch ist.

7.3.2 Vorbildhafte Verhaltenselmente der jugendlichen Protagonisten

Den Protagonisten der KJL wird von der KJL-Wissenschaft eine klare Vorbildfunk-

tion zugewiesen. Inwiefern Jia Li und Jia Mei gemäß der oben vorgestellten Ziel-

setzungen der chinesischen KJL-Wissenschaft als Vorbilder gelten können, wird

im Folgenden anhand zentraler moderner und traditioneller Eigenschaften, die es

beim „Nationalcharakter“ miteinander zu vereinbaren gilt, herausgearbeitet.676

7.3.2.1 Konkurrenzfähigkeit und Loyalität

Konkurrenzfähigkeit und Konkurrenzbewusstsein sind Eigenschaften, die, wie

oben dargestellt, im Zuge der Modernisierungspolitik zunehmend an Bedeutung

gewannen. Jeder muss versuchen, mit den anderen mithalten oder, noch besser,

die anderen übertreffen zu können, um nicht zu den Verlierern der Modernisierung

zu gehören. Leistung ist gefragt, um aus der Masse herauszuragen. Jia Li ist

673 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 3674 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 74675 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 22676 Die beiden zentralen konfuzianischen Tugenden „zhong“ und „xiao“ werden in diesem Abschnittausgeklammert, da sie in Kapitel 7.4 ausführlich behandelt werden.

130

selbstbewusst genug, um sich selbst als etwas Besonderes anzusehen. Er

schreibt in sein Tagebuch: „Ich wage es zu behaupten, dass ich die Qualitäten

eines herausragenden Menschen habe.“677 Aus der Masse herauszuragen ist ein

häufig genanntes Ziel und ein drängender Wunsch von Jia Li. Es ist ihm dafür fast

jedes Mittel recht – er will zum Beispiel die Rettung seines Freundes fingieren, um

als Held dazustehen678 –, er will aber mit möglichst wenig Einsatz ans Ziel kom-

men und kein echtes Risiko eingehen.679

Eine Gelegenheit, die eigenen Qualitäten unter Beweis zu stellen und mit denen

anderer zu messen, bieten die zahlreichen Wettbewerbe im Schulalltag von Jia Li

und Jia Mei. Bisweilen scheint wegen der Vorbereitung auf einen Wettbewerb für

das reguläre Lernen kaum Zeit zu bleiben.680 Die Schüler sind einem permanenten

Konkurrenzkampf ausgesetzt und werden für besondere Leistungen belohnt. Un-

glaubwürdig häufig sind die Zwillinge und ihre Freunde unter den Siegern der

Wettbewerbe oder mitbestimmend bei der Auswahl des Gewinners – egal ob es

um das Vortanzen für eine Schulaufführung681 oder das Casting für einen Film

geht,682 ob ein Kandidat für den Vorsitzenden des Schulkomitees gesucht wird683

oder ein Kochwettbewerb stattfindet.684 Der zuletzt genannte Kochwettbewerb

stellt eine besondere Konkurrenzsituation dar, weil in diesem Fall die Zwillinge in

unmittelbarer Konkurrenz zueinander stehen. Jia Li meint die Sache besonders

geschickt und trickreich anzugehen, indem er Jia Mei ihre Ideen klaut. Letztendlich

gewinnt aber Jia Mei, die dem Bruder in anderen Situationen fast immer unterle-

gen ist, womit die Gerechtigkeit und nicht die Dreistigkeit siegt.685

677 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 184678 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 59679 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 61680 Andauernde Wettbewerbe sind eine Eigenheit, die man nach der persönlichen Erfahrung derVerfasserin tatsächlich im chinesischen Schulalltag findet. Sie unterrichtete im WS 2001/2002 aneiner Grundschule in Dalian. In diesen Monaten fanden ein Gymnastik-Wettbewerb statt, ein Eng-lisch-Vokabel-Wettbewerb und ein Kalligraphie-Wettbewerb. Die Schüler waren häufig so sehr mitden Vorbereitungen für diese Wettbewerbe beschäftigt, dass der normale Unterrichtsablauf gestörtwurde.681 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 7682 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 66683 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 78684 Siehe Qin Wenjun 1999: S: 54ff.685 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 58ff.

131

Zwischen Jia Li und seinem Freund Lu Zhisheng ist keine Konkurrenzsituation

auszumachen. Sie begeistern sich gegenseitig für ihre abstrusen Pläne und Ideen,

wobei Lu Zhisheng eher dazu tendiert, Jia Li zu folgen als umgekehrt. Ihrem

Freund Chen Yingda gegenüber, der sowohl Jia Li als auch Lu Zhisheng intellek-

tuell überlegen ist, macht sich bei beiden ebenfalls kein Konkurrenzdenken be-

merkbar. Im Gegenteil – sie schätzen und bewundern ihn wegen seiner außerge-

wöhnlichen Fähigkeiten.

Jia Mei wird zwar als wenig ehrgeizig geschildert, fühlt sich jedoch in einer Kon-

kurrenzsituation zu ihrer schönen und talentierten Freundin Lin Shaomei, die ihr

fast immer eine Nasenlänge voraus ist. Jia Mei bewundert sie zwar einerseits und

schaut zu ihr auf, sie ist aber gleichzeitig auch neidisch auf sie und mag es nicht,

wenn Lin Shaomei zu viel Aufmerksamkeit bekommt.686 In einer für Jia Mei wichti-

gen Situation jedoch, nämlich bei Filmaufnahmen, zu denen beide ausgewählt

werden, verhält sich Jia Mei aufgrund ihrer Bescheidenheit und ihrer natürlichen,

unprätentiösen Art geschickter als ihre Freundin, was ihr zu Anerkennung in der

ganzen Schule verhilft. Lin Shaomei dagegen, die schon lange davon träumt,

eines Tages berühmt zu werden, muss einsehen, dass man mit blindem Ehrgeiz

nicht weit kommt.

Mit dem Thema Konkurrenzkampf ist das der Loyalität eng verbunden, was in

oben genannter Casting-Szene ebenfalls deutlich wird: Beide Mädchen müssen

beim Casting etwas vorführen. Lin Shaomei, die ihren Tanz mit Bravour hinter sich

bringt, gönnt es der weniger talentierten Freundin nicht, ebenfalls ausgewählt zu

werden, und äußert sich der auswählenden Regisseurin gegenüber abfällig über

Jia Meis Vorführung, in die einige Patzer geraten. Von Loyalität ist hier nichts zu

bemerken. Jia Mei dagegen verhält sich trotz der Neidgefühle der Freundin gegen-

über loyal, was jedoch weniger ihrer Prinzipientreue und ihren moralischen Grund-

werten zuzuschreiben ist als vielmehr ihrer Gutmütigkeit und Naivität. Auch ihrem

Bruder ist sie nach einer desaströsen Schulaufführung, für die er verantwortlich ist,

nicht böse: Schließlich habe er mit guter Absicht gehandelt.687 Jia Li schätzt ihr

Verhalten in dieser Situation sehr hoch, da er große Loyalität darin sieht – fast wie

686 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 13687 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 12

132

bei einer Männerfreundschaft. Denn bei den Jungenfreundschaften wird an mehre-

ren Stellen auf die gegenseitige Loyalität hingewiesen und betont, wie wichtig diese

Charaktereigenschaft für sie sei. Für Jia Li und Lu Zhisheng ist es z.B. eine Selbst-

verständlichkeit, dass sie ihrem zu Unrecht des Diebstahls beschuldigten Freund

Chen Yingda helfen, seine Unschuld zu beweisen – auch wenn sie dabei wieder

einmal über das Ziel hinausschießen.688

7.3.2.2 Individualität und Gemeinschaft

Eine Untersuchung aus dem Jahr 1996 stellte fest, dass bei chinesischen Behör-

den und Erziehern noch die Ansicht vorherrschte, dass das „kleine Ich“ zugunsten

des „großen Ich“ zurücktreten müsse, sowie das konfuzianische Ideal, dass der

als Einzelperson geringe Mensch sich einem größeren kollektiven Ziel verpflichten

müsse.689 In ihrer Untersuchung aus demselben Jahr stellte Geist fest, dass in

chinesischen Grundschulen auch in dieser schon deutlich von der Einführung der

sozialistischen Marktwirtschaft geprägten Zeit noch von Lei Feng gelernt wurde, er

noch immer das Symbol für den Geist der Hingabe und den selbstlosen Dienst am

Volk und für die Gemeinschaft war.690

Auch bei „Nansheng Jia Li“ fällt der Name Lei Feng mehrmals, um zum Ausdruck

zu bringen, dass sich jemand besonders selbstlos verhält. Dies geschieht jedoch

nicht von Seiten der Lehrer, um zur Nachahmung zu animieren, sondern vielmehr

in ironischer Bedeutung aus dem Munde Jia Lis oder seiner Freunde. Als sich Jia

Li und Lu Zhisheng beispielsweise mit einem ihrer Streiche in Schwierigkeiten ge-

bracht haben und eine Toilette putzen müssen, finden sie ein Stofftaschentuch. Jia

Li fordert Lu Zhisheng auf, dieses Taschentuch zum Fundbüro zu bringen,

schließlich nenne er sich doch den leibhaftigen Lei Feng. Doch Lu Zhisheng sieht

gar nicht ein, warum er so niedere Aufgaben erledigen sollte.691 Da der Name Lei

Feng allen Kindern und Jugendlichen ein Begriff ist, kann er geradezu sprichwört-

lich eingesetzt werden. Die vorbildhafte Bedeutung seines Verhaltens wird aller-

688 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 145ff.689 Wu 1996: S. 24690 Geist 1996: S. 209691 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 107

133

dings im Munde der beiden Jungen lächerlich gemacht und als nicht zielführend

erachtet. Sie werden jedoch eines Besseren belehrt: Denn in dem vermeintlich

wertlosen Taschentuch ist ein Ring eingewickelt, den jemand verloren hat.692 Als

sie diesen schließlich doch im Fundbüro abgeben, ist die Dankbarkeit des Eigen-

tümers groß. Sie kommen auf diese Art und Weise ganz unverhofft zu der An-

erkennung, nach der sie, besonders Jia Li, so häufig streben – gerade selbstloses

Verhalten scheint sich demnach auszuzahlen.

Obwohl die Geschichten der analysierten Werke entweder in der Schule oder der

Familie spielen, also immer eine Gemeinschaft eine Rolle spielt, gibt es für diesen

Themenkomplex wenig aussagekräftige Situationen und Szenen. Individualität

wird noch am ehesten über die Beschreibung des Kleidungsstils einzelner Perso-

nen deutlich, wofür Lin Shaomei das deutlichste Beispiel ist: Sie hat ihren ganz

eigenen und modernen Stil und hat damit großen Einfluss auf Jia Mei. Diese trägt

ihre gewagte Frisur, die ihr von Lin Shaomei gemacht wurde, aber mit wesentlich

weniger Selbstbewusstsein zur Schau, als es Lin Shaomei selbst tun würde. Für

die Ausprägung von Individualität aber wäre Selbstbewusstsein in einem gewissen

Maß nötig. Jia Li hat dieses Selbstbewusstsein, es kommt aber weniger in Bezug

auf Individualität zur Geltung als vielmehr in Bezug auf den Themenkomplex Kon-

kurrenzfähigkeit, wie es oben dargestellt wurde.

7.3.2.3 Innovationsgeist und Regeltreue

Kreativität und Innovationsgeist spielen bei dem angestrebten Erfolg im Konkur-

renzkampf eine zentrale Rolle, denn wer bessere Ideen hat als andere, kann diese

übertreffen. Jia Li hat jede Menge Ideen, nur taugen sie meist nicht dafür, anderen

tatsächlich einen Schritt voraus zu sein, sondern werfen ihn in den allermeisten

Fällen sogar zurück, z.B. als Jia Li auf Wunsch von Lehrerin Xing mit Jia Mei für

eine Tanzaufführung in der Schule trainiert. Da er mit der Rolle, die seine Schwes-

ter bekommen hat, nicht zufrieden ist und ihr Talent fördern will, möchte er die

Choreographie so abändern, dass sie die Möglichkeit hat zu zeigen, was sie kann.

Jia Mei hat Hemmungen, so eigenmächtig zu handeln, woraufhin Jia Li meint,

692 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 109ff.

134

dass nur durchschnittliche Menschen Regeln befolgen würden. Es sei kreativ, sich

Anweisungen zu widersetzen.693 Jia Mei befolgt zwar widerwillig – und ganz un-

kreativ – die Vorgaben des Bruders, doch ist das Ganze nicht von Erfolg gekrönt:

Die Aufführung endet im Chaos, weil in der Tanzgruppe keiner weiß, was der an-

dere macht.

Der „kreative Regelverstoß“ ist ein Handlungselement, das sich durch das ganze

Buch „Nansheng Jia Li“ zieht und in fast jedem Kapitel vorkommt. Jia Lis Phantasie

scheinen bei dem Erdenken von Ausreden und dem Schmieden von Plänen keine

Grenzen gesetzt, jedoch müssen Jia Li und Lu Zhisheng meist am Ende eines Ka-

pitels feststellen, dass sie das angestrebte Ziel auf ihre „kreative“ Art und Weise

nicht erreichen, weil sie sich gleichzeitig über Regeln hinwegsetzen und dadurch

das Zusammenleben in der Gemeinschaft nicht mehr reibungslos funktioniert. Au-

ßerdem wird für erfolgreiche und zielführende Kreativität auch Know-how benötigt,

was beim Kochwettbewerb deutlich wird: Jia Li verliert trotz geklauter Idee, weil ihm

das Wissen für die Zubereitung seines Gerichts fehlt und so der Ideenklau nichts

bringt.

7.3.2.4 Moral und Tugend

Jia Mei verkörpert mit ihrer zurückhaltenden und bescheidenen Art wesentlich

deutlicher traditionelle Tugenden als Jia Li. Doch auch bei Jia Li scheinen in be-

stimmten Situationen traditionelle Tugenden durch, auch wenn sie bei ihm nicht so

dominant sind. Seine Unbestechlichkeit zählt zum Beispiel dazu, die sich bei der

Wahl des Schulsprechers zeigt: Lu Zhisheng versucht, die anderen Mitglieder des

Klassenkomitees mit Schokolade zu bestechen, damit diese seine Cousine zur

Schülersprecherin wählen. Obwohl Jia Li sie vor dem Bestechungsversuch ohne-

hin wählen wollte, tut er es nun extra nicht, um ja nicht als bestechlich zu gelten.694

Auch wenn er in dieser konkreten Situation gegen seinen eigenen Wunsch han-

deln muss, ist ihm die herausragende Bedeutung der Unbestechlichkeit wichtiger.

693 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 9694 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 80ff.

135

Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass man sich nicht selbst zum Sklaven sei-

ner Prinzipien machen soll und später womöglich, wie Jia Li, das Ergebnis, das

man mit seiner eigenen Stimme herbeiführte, bereut.

Eine weitere Tugend von Jia Li ist seine Aufrichtigkeit, die im Endeffekt immer

stärker ist als alle Lügen- und Phantasiegeschichten. Sein Gewissen plagt ihn so

sehr, z.B. wenn er den Vater anlügt, dass ihm erst wieder wohl ist, wenn der

Sachverhalt geklärt ist. Und selbst dann beschäftigt ihn das Vorgefallene häufig

noch eine Weile. Dies zeugt von seinem klaren Bewusstsein für Gut und Böse,

das Jia Mei bisweilen zu fehlen scheint.

Eine im Konfuzianismus wenig geschätzte Eigenschaft dagegen ist Jia Lis ausge-

prägter Geschäftssinn, der sich in zahlreichen Situationen bemerkbar macht. Er

versucht auf unkonventionellste Art und Weise, an Geld zu kommen und schreckt

auch nicht davor zurück, seinen Eltern und seiner Schwester die abwegigsten An-

gebote zu machen.

7.4 Die Darstellung von Autoritätsverhältnissen

„Wie man seinem Vater dient, so dient man auch seiner Mutter, und manliebt beide gleichermaßen. Wie man seinem Vater dient, so dient manauch seinem Herrscher, und man respektiert beide gleichermaßen. DerMutter erweist man also hauptsächlich Liebe, dem Monarchen haupt-sächlich Verehrung, aber beides gebührt dem Vater.“695

Der konfuzianischen Auffassung nach sollten die Beziehungen auf diese Weise

geregelt sein. Wie in Kapitel 4.1.2.3 beschrieben, hat dieses Gedankengut bis

heute Einfluss auf das chinesische Autoritätsverständnis. Wie werden „xiao“ und

„zhong“, also die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern bzw. Kindern und

dem Staat – im vorliegenden Fall zwischen Kindern und Lehrern, da der Lehrer ein

Repräsentant des Staates ist –, die als Vorbild zur Nachahmung anregen sollen, in

modernen Werken wie „Nansheng Jia Li“ und „Nüsheng Jia Mei“ dargestellt? Für

die Beantwortung dieser Frage ist die Figurensoziologie interessant, die sich aus

695 Zitiert aus dem „Buch der kindlichen Ehrfurcht“, aus dem Englischen übersetzt nach Lee CheukYin 1990: S. 126

136

den verschiedenen Figurenkonstellationen ergibt. Es handelt sich zwar um eine

erfundene Gesellschaft im fiktiven Raum, diese weist aber große Ähnlichkeiten mit

dem realen sozialen Raum auf. Die Handlungsweisen der literarischen Figuren

können somit – und, wie in Kapitel 5 dargestellt, sollen sie es auch – von den

Lesern als Vorbild für das eigene Verhalten dienen.

7.4.1 Beziehung zwischen Eltern und Kindern

Vater und Mutter Jia sind zwei sehr unterschiedliche Figuren, die für die chinesi-

sche Literatur traditionelle geschlechtsspezifische Eigenschaften haben: Der Vater

wird als Autoritätsfigur eingeführt – was der Vater sagt, werde getan696 –, ist

streng, meist rational handelnd, konsequent, konservativ, konsumkritisch und

sparsam und somit relativ altmodisch; er wird als intellektueller, ernsthafter

Mensch beschrieben, dessen bester Freund die Tageszeitung ist.697 Eine gute

Ausbildung ist für ihn das Wichtigste. Die Mutter dagegen fungiert als emotionaler

Part. Sie ist offen, modern698 und fürsorglich und sieht die Mutterliebe als höchstes

Gut an. Bei den Zwillingen versuchen die Eltern jedoch, die geschlechtsspezifi-

sche Zuordnung aufzubrechen, so dass sich z.B. auch Jia Li um den Abwasch und

andere häusliche Pflichten kümmern muss. Der Vater selbst muss allerdings zu-

geben, diesbezüglich ein schlechtes Beispiel abzugeben.699 In anderer Hinsicht

jedoch ist eine deutlich geschlechtsspezifische Behandlung der Kinder durch die

Eltern festzustellen: Trotz ihres fast identischen Alters, wird Jia Mei als die kleine,

behütete Schwester behandelt, Jia Li als der große, reifere Bruder, der auf die

696 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 40697 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 41; Qin Wenjun 1999: S. 20698 Der Mutter mit ihren modernen Ansichten wird die Figur der Mama Wu gegenübergestellt, einerNachbarin, die im Haushalt hilft und traditionelle Ansichten verkörpert. Großeltern kommen alsunterstützendes Element traditioneller Ansichten nicht vor. Mama Wu legt zum Beispiel bei Jia Meigroßen Wert auf das Erlernen der häuslichen Pflichten, was sowohl die Kinder als auch die Elternbelächeln und für wenig wichtig erachten. (Siehe Qin Wenjun 1997: S. 39) Im Gegensatz zumebenfalls altmodischen Vater scheint Mama Wu keine Berührungspunkte mit der modernen Weltzu haben – Jia Mei meint, Mama Wu sei in der Qing- oder sogar der Ming-Zeit steckengeblieben.(Siehe Qin Wenjun 1999: S. 11). Entsprechend wenig Einfluss haben diese traditionellen Ansichtenauf das Verhalten der anderen, weshalb die Figur im Weiteren nicht näher betrachtet wird. DieTatsache, dass sie, die die Tradition verkörpert, einen so geringen Stellenwert in diesem fiktivenZusammenhang bekommt, weist auf die unbedeutende Rolle dieser traditionellen Ansichten immodernen China der 1990er Jahre hin.699 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 40

137

kleine Schwester aufpasst, wenn kein Erwachsener zu Hause ist. Dementspre-

chend ist von den beiden auch als „xiongmei“700 die Rede. Dies ist wohl nicht auf

die tatsächliche Reife und Vernunft Jia Lis zurückzuführen – da eher auf ihn jemand

aufpassen müsste, mit all den Streichen, die er ausheckt –, sondern vielmehr auf

die geschlechtsspezifische Zuordnung von Autorität und Verantwortung beim

männlichen „Familienoberhaupt“.701

Zwischen den Eheleuten herrscht ein sehr ausgewogenes und gleichberechtigtes

Verhältnis. Der Vater erscheint den Kindern zwar stärker als Autoritätsperson als

die Mutter – weshalb die Kinder lieber zuerst zur Mutter gehen, wenn sie etwas

durchsetzen wollen –, bei Erziehungsangelegenheiten sprechen sich jedoch Vater

und Mutter ab und vertreten eine gemeinsame Meinung.

Am interessantesten ist das ambivalente Verhältnis zwischen Jia Li und seinem

Vater. Es ist relativ komplex, weil zwei sehr unterschiedliche Charaktere aufeinan-

derstoßen. Jia Li sieht den Vater durchaus als Autoritätsperson, wie aus einem

seiner Tagebucheinträge deutlich wird, ist über dieses hierarchische, wie er sagt

„feudale“ Verhältnis zwischen Vater und Sohn aber nicht glücklich und wünscht

sich vielmehr einen gleichberechtigten Umgang miteinander, wie er es bei seinem

Freund Lu Zhisheng und dessen Vater sieht.702 Er äußert diesen Wunsch seinem

Vater gegenüber nicht, freut sich aber umso mehr über Situationen, in denen er

sich als gleichberechtigter Gesprächspartner fühlt. Er lehnt sich nicht auf gegen

die Autorität des Vaters, sondern akzeptiert sie, wenn auch manchmal zähneknir-

schend. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der immer wieder thematisierte Kalligra-

phiekurs, den Jia Li von seinem Vater geschenkt bekommt. Zum einen hätte Jia Li

viel lieber wie seine Schwester eine Konzertkarte geschenkt bekommen, zum an-

deren sieht er es als Affront, dass er einen Kalligraphiekurs nötig hat, um auch so

schön schreiben zu können wie Jia Mei. Doch er wagt es nicht, ein Geschenk vom

Vater abzulehnen.703 Er versucht also gar nicht, sich dem Wunsch des Vaters zu

700 großer Bruder und kleine SchwesterSiehe Qin Wenjun 1997: S. 89701 Zum Thema Gender bei „Nansheng Jia Li“ und „Nüsheng Jia Mei“ siehe Zhang Jiahua 2006702 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 112703 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 102, 114

138

widersetzen und besucht widerwillig den Kurs, verbirgt dem Vater gegenüber sei-

nen Unwillen aber nicht. Wegen seiner eigenen Begeisterung für alles, was mit

Schreiben zu tun hat, kann der Vater das Desinteresse des Sohnes nicht nach-

vollziehen und verstehen.704 Der Konflikt löst sich erst, als Jia Li von einem ande-

ren Kursteilnehmer die positiven Seiten des Kurses aufgezeigt bekommt: Man

könne mit einer schönen Handschrift Eindruck bei den Mädchen machen. Dieses

Argument erscheint ihm überzeugend. Nur ist er enttäuscht über die Reaktion des

Vaters auf seine neu erwachte Begeisterung für die Kalligraphie: Dieser lobt ihn

nicht etwa, sondern mahnt ihn zur Kontinuität.705

Jia Li wünscht sich in verschiedensten Situationen die Anerkennung des Vaters,

meint sie aber nie in vollem Umfang zu bekommen. Er fühlt sich ungerecht behan-

delt, sieht seine Schwester als bevorzugt: Der Vater sehe seine Vorzüge nicht und

behandle ihn wesentlich strenger als Jia Mei. Doch in einem offenen Gespräch

erklärt ihm der Vater, dass er ihn nur deshalb strenger behandle, weil die Welt hö-

here Ansprüche an Männer stelle706 und er ihn auf sein späteres Leben vorberei-

ten wolle.707 Diese Aussage schmeichelt Jia Li und er fühlt sich in diesem Moment

wie durch eine Freundschaft mit dem Vater verbunden – es handelt sich also um

einen jener kostbaren Momente, in denen sich Jia Li dem Vater gegenüber gleich-

berechtigt fühlt.708 Dem Vater geht es dieser Begründung nach zu urteilen bei der

Ausübung seiner Autorität nicht um die Demonstration von Macht, sondern darum,

den Sohn möglichst gut auf seine spätere gesellschaftliche Rolle vorzubereiten. In

einer anderen Szene wird deutlich, dass der Vater seine Konsequenz und Strenge

einsetzt, um einen Lernprozess zu bewirken, und wenn es nur um so alltägliche

Dinge wie den Abwasch geht, den Jia Li so lange machen muss, bis er wirklich

zufriedenstellend erledigt wird.709

704 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 117705 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 118706 Auf das Frauenbild und die geschlechtsspezifische Rollenverteilung kann an dieser Stelle nichteingegangen werden, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.707 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 102, 113708 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 112, 121709 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 42ff.

139

Obwohl Jia Li den Wunsch äußert, möglichst wie der Vater zu werden, nämlich

wie ein alter Baum, der auch bei Sturm fest stehen bleibt,710 denkt er häufig wenig

respektvoll über den kränkelnden Vater und dessen ausbleibenden beruflichen

Erfolg, über dessen altmodische Art und konservative Sichtweise. Eine offene

Auflehnung und Distanzierung davon findet aber nicht statt. Als er in einer Situa-

tion auf Wunsch des Vaters tatsächlich Kritik an dessen neuestem Werk übt,

schreckt er vor seinen eigenen Worten zurück und behauptet, die Meinung eines

Schulfreundes wiederzugeben – zum einen, aus Respekt vor der Autorität des

Vaters, zum anderen aus Mitleid, da er den Vater nicht verletzen will, dem sein

Werk so sehr am Herzen liegt.711

Vater und Sohn scheinen in unterschiedlichen Welten zu leben, die nur wenige

Schnittpunkte haben, sie scheinen aber gleichzeitig zu wissen, dass sie voneinan-

der lernen können und respektieren die Lebensweise des anderen.

Das Verhältnis zwischen Jia Mei und ihrem Vater ist wesentlich einfacher ge-

strickt. Für Jia Mei stellt der Vater im besten Sinne eine Autoritätsperson dar, also

ohne angsteinflößend oder autoritär zu sein.712 Sie wird als Vaters brave Tochter

beschrieben,713 die zum Beispiel keine Kritik an dessen Werken übt, selbst wenn

sie dazu aufgerufen wird. Jia Mei findet die Bücher des Vaters zwar ebenfalls nicht

spannend, bewundert aber sein Talent und nennt ihn sogar in einem Atemzug mit

Lu Xun.714 Sie lobt und bewundert den Vater, hat ein Idealbild von ihm. Dieses wird

zwar angekratzt – als sie mitbekommt, dass der Vater mit dem Rauchen aufhören

soll, ihm dieses Vorhaben jedoch so schwer fällt, dass er heimlich weiterraucht und

sich in Ausreden und Lügen flüchtet715 –, aber nicht langfristig beschädigt.

Mit der Mutter gibt es bei Jia Li weniger Reibungspunkte als mit dem Vater, was

mit ihrer modernen Einstellung und ihrem Verständnis für die schwierige Zeit der

Pubertät zusammenhängt. Die Mutter ist für beide Zwillinge eine Vertraute. Sie hat

710 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 86711 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 49ff.712 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 53713 Siehe Qin Wenjun 1997: S: 40714 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 2715 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 3ff.

140

ein inniges Verhältnis zu Jia Mei, aber auch Jia Li sucht bei emotionalen Angele-

genheiten zuerst ihren Rat. Da er sich von der Mutter jedoch nicht so ernst ge-

nommen fühlt wie vom Vater – er sieht sich von der Mutter zu sehr als Kind be-

handelt –, zieht er auch den Vater bei Gefühlsdingen ins Vertrauen. Die Mutter

sieht sich selbst weniger als strenge Autoritätsperson, was sie weniger konse-

quent sein lässt als den Vater. Sie hat auch keine Hemmungen, sich von ihrer

Tochter Englischvokabeln für eine neue Rolle beibringen zu lassen. Für Jia Mei ist

es eine eigenartige Situation, dass sie der Mutter etwas beibringt, sozusagen die

Rolle der Lehrerin einnimmt, für die Mutter stellt dies kein Problem dar.716

In der chinesischen KJL-Wissenschaft gelten Eltern in ihren Ansichten und Erzie-

hungsansätzen in der Regel als traditionell und unzeitgemäß, da sie keine päda-

gogische Ausbildung haben und ihnen nachgesagt wird, dass sie Erziehungs-

methoden aus ihrer eigenen Kindheit anwenden. Auch wenn Ziele wie Patriotis-

mus und Handeln zum Wohl für die Gesellschaft mittlerweile zugunsten von guter

Ausbildung, Erfolg und Wohlstand in den Hintergrund gerückt seien, stünde meist

noch immer nicht das Ziel eines glücklichen Lebens bei der Kindererziehung im

Mittelpunkt.717 Genau dies aber wird mit den modernen pädagogischen Ansätzen

angestrebt. Auch wenn Vater Jia eindeutig altmodischer und konservativer ge-

zeichnet ist als die Mutter, verkörpern doch beide das Bild moderner Eltern, denen

das seelische Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt. Sie nehmen die Wünsche ihrer

Kinder ernst – ob es sich um die Planung einer Geburtstagsfeier oder den Besuch

eines Konzerts geht – und versuchen ihnen nachzukommen, verlangen aber auch,

dass die Zwillinge dafür Einsatz zeigen. Sie werden als kritikfähig und als Autori-

tätspersonen im besten Sinne gezeichnet, als liebende Eltern, an die sich die Zwil-

linge mit ihren Anliegen wenden können. Die Kinder können darauf vertrauen,

dass sich die Eltern mit ihren Sorgen und Nöten auseinandersetzen. Als sich zum

Beispiel Jia Li und Jia Mei in einem Kapitel beide ungerecht behandelt fühlen und

sich mit ihrem Anliegen unabhängig voneinander in Form eines Briefes an die

Eltern wenden, sind diese für ein offenes Gespräch dankbar und erkennen, dass

man als Eltern nie auslernt – sie zeigen also die Bereitschaft, sich den Wünschen

der Kinder anzunehmen und diese zu nutzen, um die Kinder besser kennenlernen

716 Siehe Qin Wenjun 1999: S. 43ff.717 Davin 1991: S. 46

141

und verstehen zu können.718 Die Eltern versuchen zu akzeptieren, dass ihre Kin-

der allmählich eigenständig Entscheidungen treffen können und reden ihnen nicht

in alle Bereiche hinein, sie nutzen aber auch ihre Autorität, um die Kinder bei es-

sentiellen Dingen anzuleiten und auf ihr späteres eigenständiges Leben vorzube-

reiten. Am Ende einer Episode müssen die Kinder meistens einsehen, dass die

Erwachsenen doch besser wissen, was gut für Kinder ist, was ihre Position als

Autorität legitimiert. Die pädagogische Absicht ist jedoch nicht plakativ und morali-

sierend, sondern wird mit einem Augenzwinkern auf humorvolle Art und Weise

vermittelt. Die Eltern werden nicht als übermächtige Autoritätspersonen darge-

stellt, sondern vielmehr als Verbündete, die zwar manchmal etwas unbequem und

anstrengend, gleichzeitig aber als Ratgebende und Vertraute unentbehrlich sind.

Da beide Elternteile der Familie Jia beruflich im kulturellen Bereich für Kinder und

Jugendliche tätig sind, ist diese Aufgeschlossenheit glaubwürdig, entspricht aber

wohl einer sehr privilegierten Situation.

7.4.2 Beziehung zwischen Lehrern und Schülern

Da die Geschichten aus „Nansheng Jia Li“ und „Nüsheng Jia Mei“ neben familiä-

ren Schauplätzen in erster Linie in der Schule angesiedelt sind, spielen Lehrerfigu-

ren eine relativ wichtige Rolle. Die Figur des Lehrers trägt als Repräsentant einer

staatlichen Bildungsinstitution noch größere Verantwortung im Hinblick auf vorbild-

haftes Verhalten als die Eltern und gilt als noch größere Autorität – eine Einstel-

lung, die, aus einer Bemerkung von Vater Jia zu schließen, auch dieser teilt: Vater

Jia möchte gerne einen von Jia Li erfundenen Schulfreund kennenlernen. Um sich

herauszureden, gibt Jia Li vor, dieser Freund sei sehr schüchtern und würde die

Einladung des Vaters daher sicher nicht annehmen. Daher schlägt der Vater vor,

ihn über den Klassenlehrer einladen zu lassen, da der Schüler dann die Einladung

auf keinen Fall ablehnen könne.719

718 Siehe Qin Wenjun 1997: S: 45f.719 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 55

142

Im Folgenden werden die Lehrerfiguren herausgegriffen, die in mehreren Ge-

schichten vorkommen und deren Handeln das Verhalten der jugendlichen Figuren

beeinflusst.

Zum einen ist da Lehrerin Xing, die Lieblingslehrerin von Jia Mei, die Musik unter-

richtet und die Tanzgruppe leitet. Sie wird als gutaussehend, charmant, ge-

schmackvoll, modern gekleidet und freundlich beschrieben und scheint die Herzen

der jungen Männer höher schlagen zu lassen.720 Sowohl Jia Li als auch Lu Zhi-

sheng himmeln sie an und buhlen um ihre Gunst, was sich in einer Szene zeigt, in

der sie sich gegenseitig von der eigenen freundschaftlichen Sonderstellung zu ihr

überzeugen wollen. Doch sie müssen feststellen, dass ein Gruß von ihr keine

Auszeichnung, sondern eine Selbstverständlichkeit aufgrund ihrer Höflichkeit

ist.721 Ihrer Bewunderung für sie tut das keinen Abbruch. Jia Li fühlt sich sehr ge-

schmeichelt, als Lehrerin Xing ihn um Mithilfe bei Jia Meis Tanztraining bittet, da

er sich durch die respektvolle und ernsthafte Art, mit der sie mit ihm spricht, wie

ein Elternteil fühlt.722

Eine weitere Lehrerfigur ist Jia Lis Klassenlehrer Cha, der mit Herrn Jia befreundet

und einmal pro Woche bei den Jias zu Besuch ist. Die Bemerkung, dass dies an

seiner Behandlung von Jia Li nichts ändere, da er in der Schule ausschließlich

Lehrer sei, lässt auf seine Integrität und Unparteilichkeit schließen.723 Er gilt zwar

einerseits als verwirrt, wird andererseits aber als anspruchsvoller Lehrer beschrie-

ben, der guten Unterricht mit übersichtlichen Tafelbildern macht und als unkorrum-

pierbar bekannt ist.724 Die Schüler machen sich zwar lustig über ihn, schätzen

aber sein Wissen und seinen Unterricht. Auch hier wird ein positives Bild von ei-

nem Lehrer gezeichnet, das Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer wirkt hier

jedoch distanzierter als bei Lehrerin Xing.

720 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 2721 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 2f.722 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 4723 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 28724 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 29f., 165

143

In einer Episode aus „Nansheng Jia Li“ behandelt Lehrer Cha eine Mitschülerin

von Jia Li außergewöhnlich streng. Jia Li findet das ungerecht und möchte dies

dem Lehrer gegenüber auch äußern.725 Zum Schluss stellt sich heraus, dass es

sich bei der Schülerin um die Nichte des Lehrers handelt: Er behandelt sie, gerade

weil sie ihm so wichtig ist, mit dieser Strenge, damit sie später nicht überheblich

und selbstgefällig wird und es später im Leben leichter hat.726 Hier zeigt sich eine

ähnliche Auffassung wie bei Herrn Jia, der Jia Li strenger behandelt als dessen

Schwester: Autorität, Strenge und Vorschriften sollen nicht als Schikane oder Aus-

spielen von Macht missverstanden werden, sondern zum Wohle des Bevormun-

deten sein. Doch es zeigt sich auch an der Reaktion Jia Lis auf das unverständlich

strenge Verhalten des Lehrers, dass er den Lehrer zwar als Autoritätsperson sieht,

es aber für richtig und wichtig hält, diesem die eigene abweichende Meinung mit-

zuteilen. Er schreckt nicht widerspruchslos vor der Autorität zurück.

Sehr einflussreich ist auch Lehrer Qi bei Chen Yingda, einem Freund von Jia Li. Er

unterrichtet Englisch und wird als herausragender, kompetenter Lehrer und au-

ßergewöhnliche Persönlichkeit mit natürlicher Autorität beschrieben.727 Jia Li und

Lu Zhisheng wissen sich diesen Einfluss zu nutze zu machen: Chen Yingda, der

für sein großes Wissen bekannt ist, soll für die Klasse an einem Wettbewerb teil-

nehmen. Dieser will aber nicht, da er dadurch Zeit verlieren würde, die er zum

Englisch lernen nutzen will. Jia Li und Lu Zhisheng haben die Idee, ihn anzurufen

und sich mit verstellter Stimme als Lehrer Qi auszugeben, um ihm zu raten, bei

dem Wettbewerb teilzunehmen. Der Plan funktioniert – auf vermeintliches Anraten

des hochgeschätzten Lehrers sagt Chen Yingda zu.728

Das Verhältnis von Jia Li zu seinen Lehrern ist, ähnlich wie das zum Vater, ambi-

valent. Er achtet sie durchaus als Autorität und verkneift sich zum Beispiel eine

böse Bemerkung einer Mitschülerin gegenüber, wenn ein Lehrer anwesend ist,

aber er spielt seinem Klassenlehrer Cha auch so manchen Streich, zum Beispiel

725 Es kommt letztendlich nicht dazu, weil sich Jia Li vorher durch Schmeichleien von seinemursprünglichen Anliegen abbringen lässt. (Qin Wenjun 1997: S. 162)726 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 162727 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 130728 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 20

144

wenn er diesem seine Unterrichtsvorbereitungen entwendet und ihn auf diese

Weise in eine peinliche Situation bringen will. Jia Li muss allerdings feststellen,

dass der Klassenlehrer weniger verwirrt und von seinen Aufzeichnungen abhängig

ist als vermutet und die Situation überraschend souverän meistert.729

In Kapitel 12 bei „Nüsheng Jia Mei“ werden zwei sehr gegensätzliche Lehrerfigu-

ren einander gegenübergestellt: Die strenge und autoritäre Klassenlehrerin Liu,

die als zerbrechlich wirkende, schlanke Frau mittleren Alters mit stechenden Au-

gen beschrieben wird, und der Aushilfslehrer Chen, der den Schülern ungewohnte

Entscheidungsfreiheit lässt und sie damit überrascht und zunächst auch überfor-

dert. Lehrerin Liu wird zwar durchaus auch positiv geschildert, da ihr ehemalige

Schüler wegen der guten Ausbildung bei ihr viel zu verdanken haben und sie sich

für ihre Schützlinge einsetzt, gleichzeitig schreckt sie aber Schüler mit ihrer Härte

und Disziplin ab und schüchtert sie ein. Als sie eines Tages krank ist, wird sie von

Lehrer Chen vertreten, der von einer anderen Schule kommt und frischen Wind in

die Klasse von Jia Mei bringt. Mit seinen unorthodoxen Methoden wie z.B. der

selbstgewählten Teilnahme an so unbeliebten Dingen wie einer Putzaktion stößt

er bei den Schülern sowohl auf Begeisterung als auch auf Skepsis. Eine brave

Schülerin wie Jia Mei erledigt ihre Pflichten auch ohne die Strenge der Lehrerin

Liu, andere Mitschüler aber nutzen die neue Freiheit bei Lehrer Chen aus und

überlassen das Putzen unter fadenscheinigen Vorwänden den anderen. Als Leh-

rerin Liu wieder gesund ist, hält erneut eine strengere Führung Einzug, der Geist

von mehr Demokratie und Mitbestimmung ist aber geblieben.

In dieser Episode wird der Gegensatz zwischen den traditionellen „old style“-

Lehrern und den modernen „new style“-Lehrern, wie Chen Danyan730 sie nennt,

besonders deutlich. Die modernen versuchten, die Kinder zu verstehen und wen-

deten neue pädagogische Ansätze an, die traditionellen wollten mit Hilfe ihrer Au-

torität die Kinder verändern und zu Gehorsam anhalten. In der oben genannten

Geschichte ist das Ziel, die positiven Aspekte beider Herangehensweisen zu kom-

binieren, so dass die Schüler streng geführt werden und entsprechend diszipliniert

729 Siehe Qin Wenjun 1997: S. 33730 Chen Danyan 1992: S. 7f.

145

lernen, gleichzeitig aber keine Angst vor dem Lehrer haben und lernen sollen, sich

selbst zu disziplinieren und freie Wahlmöglichkeiten nicht auf Kosten anderer zu

missbrauchen.

Die anderen oben kurz charakerisierten Lehrerfiguren sind eher dem Typus des

modernen Lehrers zuzurechnen. Ein Problem, das sich sowohl in der realen als

auch der literarisch-fiktiven Schulwelt stellt, ist das Anforderungsprofil an die Leh-

rer, das ähnlich paradox ist wie das des „Nationalcharakters“: Auf der einen Seite

wird der Lehrer traditionell als Vorbildfigur betrachtet, wofür er eine Autorität dar-

stellen muss, auf der anderen Seite soll der Lehrer ein Vorbild für den „modernen

Menschen“ sein. Dafür muss er jedoch selbst die als modern geltenden Auffas-

sungen verkörpern, wozu neuere pädagogische Ansätze gehören, die den Lehrer

nicht mehr als absolute Autorität sehen, so dass bezüglich des Autoritätsverhält-

nisses ein Konflikt entsteht. Qin Wenjun versucht bei ihren Figuren diese schwierig

miteinander zu vereinbarenden Anforderungen zu lösen, indem sie die Lehrer in

Beschreibungen und Kommentaren, z.B. von Vater Jia, als unumstößliche Autori-

tätspersonen darstellt, so dass das Anzweifeln dieser Autorität völlig ausgeschlos-

sen wird. Qin Wenjun zeichnet die Lehrer in ihrer Rolle als Autoritätspersonen als

relativ offen und sehr menschlich, so dass sie in ihrem Verhalten gegenüber den

Schülern ein sehr „modernes“ Bild abgeben. Dies funktioniert aber nur wegen der

Grundvoraussetzung ihrer unangefochtenen Autorität konfliktfrei.

7.5 Ergebnisse

In der chinesischen KJL-Wissenschaft gelten die Bücher von Qin Wenjun als

echte Bereicherung und Hilfestellung für die Heranwachsenden, da sie auf humor-

volle Art und Weise zeigen, dass man bei Problemen nicht verzweifeln oder resi-

gnieren soll, sondern dass man mit seinem eigenen Verhalten etwas an der Situa-

tion ändern kann und viele Probleme nicht so gravierend sind, wie sie zunächst

erscheinen mögen.731 Dieser Ansatz, Kinder und Jugendliche aufzurufen, durch

eigenes Nachdenken und eigene Ideen zu Lösungen zu kommen, ist ganz im Sin-

ne der „suzhi jiaoyu“, wobei Jia Li mit seiner überbordenden Phantasie meist über

731 Mei Zihan 1998a: S. 30

146

das eigentliche Ziel hinausschießt und mit den Regelverstößen, die er dafür in

Kauf nimmt, ganz und gar nicht auf einer Linie mit den staatlichen Vorgaben liegt.

Doch er verkörpert „moderne“ Eigenschaften wie Kreativität und innovatives Den-

ken, Selbstbewusstsein und Entschlossenheit. Auch an eigenem Willen und Kon-

kurrenzbewusstsein mangelt es Jia Li nicht. Das Gegengewicht an traditionellen

Eigenschaften scheint auf den ersten Blick kaum gegeben, doch ist auffällig, dass

Jia Li trotz seiner innovativen Ideen immer erst das geplante Ziel erreicht, wenn

diese in irgendeiner Form mit dem Korrektiv traditioneller Werte und Tugenden in

Berührung kommen, so dass die Übereinstimmung mit den Anliegen der „suzhi

jiaoyu“ wieder hergestellt ist: Kreativtät wird nur dann als zielführend dargestellt,

wenn sie regelkonform ist und in Verbindung mit dem nötigen Know-how auftritt.

Hinsichtlich seiner fehlenden Lernfähigkeit – er bringt sich immer wieder aufs

Neue in Schwierigkeiten – ist er zwar nicht vorbildlich, auf diese Weise kann aber

die Korrektur durch Eltern und Lehrer wiederholt stattfinden und sich beim Leser

deutlicher einprägen.

Bei Jia Mei dagegen überwiegen traditionelle Eigenschaften wie Bescheidenheit

und Autoritätshörigkeit, was sie für den durch ihre Figur dargestellten Umgang mit

Autorität interessant macht. Sie wird als Figur gezeichnet, die Regeln und Vorga-

ben anderer sucht und als Orientierung und Entscheidungshilfe empfindet. Autori-

tät ist für sie etwas eindeutig Positives. Jia Li dagegen hat ein stärker reflektiertes

und differenziertes Verhältnis zu Autoritätspersonen, wie es oben in der Figuren-

analyse herausgearbeitet wurde.

Interessant ist, dass die Autoritätspersonen in erstaunlich ausführlichem Maße

den genannten Forderungen der „suzhi jiaoyu“ nach Gleichberechtigung und offe-

nem Meinungsaustausch nachkommen: Die Eltern und Lehrer behandeln ihre

Kinder bzw. Schüler in bestimmten Situationen wie Gleichberechtigte, wollen ihre

Meinung erfahren und Meinungsverschiedenheiten durch Diskussionen beilegen,

sind aber gleichzeitig wichtige Bezugspersonen und Vorbilder, die in essentiellen

Dingen entscheiden. Sie wissen am besten, was für das Kind gut ist, und sie sind

bei der Lösung von Problemen behilflich. Das Kind bzw. der Jugendliche akzep-

tiert diese Lösung, ohne dass eine pubtertätstypische Auflehnung gegen gesell-

schaftliche Zwänge und Gepflogenheiten stattfindet. Auch wenn erwachsene Figu-

147

ren nicht frei von charakterlichen Schwächen sind – z.B. der Vater, dem es trotz

aller guten Vorsätze und Versprechen nicht gelingt, mit dem Rauchen aufzuhören

oder der Restaurantbesitzer, für den Jia Mei arbeitet und der sie um ihren Lohn

bringt –, sind die Autoritätsfiguren geradezu ideal gezeichnet, indem sie die Moral

über die Autorität stellen – wie es der konfuzianische Hierarchiebegriff vorsieht.

Sie üben ihre Autorität nur zum Wohl der Jugendlichen aus, lassen diese aber in

Bereichen, die in diesem Alter als selbstbestimmbar erachtet werden, wie die Klei-

dungswahl, die Verwaltung des Taschengeldes etc., mitbestimmen und stellen

ihre Autorität zurück. Die Jugendlichen bekommen in einem klar abgesteckten

Rahmen die Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen zu machen.

148

8 Die chinesische Kinder- und Jugendliteratur als Anleitung für

Chinas „kleine Kaiser“?

Die chinesische KJL gilt als „Barometer für gesellschaftliches Denken und kultu-

relle Strömungen“732 und somit als zeitdiagnostisches Medium – sowohl für ge-

genwärtige Vorgänge als auch für zukünftige Absichten. Der Blick in die Zukunft ist

gerade aufgrund der jungen Leserschaft gegeben, der unter anderem in Form von

Kinder- und Jugendbüchern das Rüstzeug für ihre späteren gesellschaftlichen und

politischen Aufgaben gegeben werden soll. Doch selbst wenn man den Aspekt,

inwiefern sich kindliche und jugendliche Leser in ihrem Handeln tatsächlich von

Lektüre beeinflussen lassen, ausklammert, stellt sich doch die Frage, wie effektiv

die chinesische KJL als pädagogisches Medium einzuschätzen ist. Wie viele Men-

schen können in China tatsächlich mit KJL erreicht werden?

Ein Problem, dass sich bei nahezu allen Werken der KJL stellt, ist, dass sich nur

ein Teil der Leser in ihnen wiederfindet, im Falle von „Nansheng Jia Li“ und „Nü-

sheng Jia Mei“ ist dies beispielsweise die Stadtbevölkerung, und davon auch nur

der Teil der neuen Mittelschicht sowie der neureichen Oberschicht.733 Es gibt zwar

auch Bücher, die auf dem Land spielen und die das Leben der Landbevölkerung

thematisieren, doch wegen der unbefriedigenden Vertriebssituation in China ist die

Versorgung mit Büchern auf dem Land noch immer sehr schlecht.734 Dort ist das

Medium Buch als flächendeckendes Propagandamittel nicht geeignet. Und selbst

in den Städten, in denen die Versorgung mit Büchern kein Problem darstellt, wird

nur ein Bruchteil der potentiellen Leserschaft erreicht, da Freizeitlektüre ein selte-

732 Ertong wenxue shi shehui sixiang wenhua bodong de qingyubiao.

Zhu Ziqiang 2000a: S. 149733 Laut Melzer werden derzeit etwa 850 Mio. Chinesen der armen Unterschicht mit niedrigem Bil-dungsniveau zugeordnet, etwa 400 Mio. der neuen Mittelschicht und etwa 40 Mio. der neureichenOberschicht.734 Bei einem Anteil von etwa 35% Stadt- und etwa 65% Landbevölkerung lag im Jahr 2005 derVerkaufsanteil von Büchern in den Städten bei 75%, auf dem Land bei 25%. (China PublishingJournal, 3 / 2006, S. 24) Jedoch plant die Regierung, bis 2010 auf dem Land 200.000 neue Biblio-theken einzurichten, um das „Informations- und Kultur-Gefälle“ zwischen Stadt und Land zu verrin-gern. (Frankfurter Buchmesse 2007)

149

ner Zeitvertreib ist. Nach einem Bericht des China Publishing Research Institute

aus dem Jahr 2005 lesen nur 5% der 1,3 Mrd. Chinesen regelmäßig Bücher.735

Umfragen zu Lesegewohnheiten bei Mittelschülern zeigten bis in die späten

1990er Jahre hinein, dass Freizeitlektüre eher selten stattfand, weil ihnen durch ihr

enormes Lernpensum kaum Zeit dafür blieb. Wenn Jugendliche lasen, dann meist

schulrelevante oder zumindest Sachbücher, jedoch kaum Literatur. Dies hängt

zum einen mit den Aufnahmeprüfungen zusammen, für die viel Zeit ins Lernen

investiert werden muss, zum anderen sind Eltern besonders in den städtischen

Regionen seit der Ein-Kind-Politik sehr darum bemüht, ihrem einzigen Kind eine

besonders gute Ausbildung zu ermöglichen und daher auch die Freizeit auf die

zusätzliche Anhäufung von Wissen zu verwenden. Die Lektüre literarischer Bücher

wird demnach von Seiten der Eltern als weniger wichtig erachtet als von Seiten

der Regierung, die seit mehreren Jahren Eltern, Lehrer und Schüler dazu aufruft,

mehr Freizeitlektüre zu konsumieren und die Lernbürde und den Leistungsdruck

auf die Schüler zu reduzieren. Hinzu kommt, dass auch in China die Lektüre an-

gesichts zahlreicher anderer Unterhaltungsmedien an Popularität eingebüßt hat.736

Ein weiteres Problem für die gezielte pädagogische Wirkung von KJL stellt die zu-

nehmend schwieriger werdende Kontrolle dar: Damit KJL im Sinne des Staates als

Vermittlermedium eingesetzt werden kann, muss sichergestellt werden, dass die

Inhalte dessen Anliegen entsprechen. Doch zum einen steigen die Titelzahlen

kontinuierlich an, so dass die GAPP schon heute längst nicht mehr alle Bücher vor

ihrer Veröffentlichung prüfen kann. Zum anderen nimmt der Lizenzhandel mit dem

Ausland zu, so dass die Anzahl an Werken, die völlig frei sind von spezifisch

chinesischen Anliegen, stetig zunimmt. Gerade Kinder- und Jugendbücher aus

den Hauptlizenzgeberländern wie den USA, Großbritannien und Deutschland wei-

sen eine deutlich schwächere Betonung des Erzieherischen auf bzw. eine andere

pädagogische Ausrichtung. Das China Publishing Journal erwartet für die chinesi-

sche Lizenzbilanz, dass das Ungleichgewicht zwischen Lizenzein- und verkäufen –

das seit 1996 etwa bei 1:10 liegt – noch größer werden wird, die Zahl der interna-

735 China Publishing Journal, 4 / 2004, S. 4Die Zahlen umfassen sowohl erwachsene als auch kindliche und jugendliche Leser, die Lektürevon Sachbüchern und Belletristik.736 Frankfurter Buchmesse 2001: S. 8-11; Lin Chenglin 2003: S. 104-107

150

tionalen Lizenzeinkäufe Chinas mit zunehmender Liberalisierung des Buchmarktes

also weiter wachsen wird.737 Angesichts dieser Erwartung ruft es die chinesischen

Verlage dazu auf, beim Kauf von Lizenzen auf „gesunde“ Inhalte zu achten.738

Neben der zunehmend erschwerten inhaltlichen Kontrolle stellt auch die wachsende

internationale Konkurrenz, der sich die chinesischen Verlage stellen müssen, eine

Herausforderung dar. Der chinesische Markt muss versuchen, konkurrenzfähig zu

den aus dem westlichen Ausland eingeführten Büchern zu bleiben bzw. zu werden

und ist daher zur Entwicklung gezwungen. Die organisatorische und strukturelle

Unsicherheit auf dem chinesischen Buchmarkt mit zunehmend „privaten Verla-

gen“, ohne Lösungsansatz, wie diese regulär in den Buchmarkt zu integrieren

sind, bietet ungünstige Voraussetzungen für eine flächendeckende inhaltliche

Kontrolle, zumal gerade die „privaten Verlage“ der Konkurrenz aus dem Ausland

eher gewachsen zu sein scheinen als die staatlichen.739

Doch obwohl ein zunehmender Anteil ausländischer Bücher auf dem chinesischen

Buchmarkt die inhaltliche Ausrichtung in womöglich ungewünschtem Maße diver-

sifiziert, besteht von chinesischer Seite Interesse, die bestehenden Beziehungen

weiter auszubauen und zu intensivieren. So wird sich Deutschland 2007 auf der

Beijing International Book Fair (BIBF) – laut Aussage der Frankfurter Buchmesse

eine der wichtigsten Drehscheiben des internationalen Buchmarktes im Fernen

Osten – als Gastland präsentieren.740 Einer der Schwerpunkte wird das Kinder-

und Jugendbuch sein, das bei chinesischen Lizenzeinkäufen aus Deutschland

neben dem Sachbuch an der Spitze steht. Bilderbücher allerdings waren lange

Zeit nicht vermittelbar, da in China die Auffassung von der Funktion und dem Wert

eines Buches eine andere ist als bei uns: Die Textmenge wird in unmittelbarem

Zusammenhang mit dem Lerneffekt gesehen. Als entsprechend pädagogisch un-

nütz und inhaltlich wertlos gelten Bilderbücher, die in chinesischen Verlagspro-

grammen aus diesem Grund bis vor kurzem nicht zu finden waren. Erst die „Auf-

737 China Publishing Journal, 1 / 2006: S. 12738 China Publishing Journal, 1 / 2006: S. 14739 Diese unterstehen zwar, wie oben dargestellt, über die Vergabe der ISBN indirekt der Kontrolledurch die GAPP, der Buchmarkt wird dennoch immer schwieriger zu überblicken.740 Frankfurter Buchmesse 2007; Shi Zongyuan 2005: S. 12005 präsentierte sich als erstes Gastland auf der BIBF Frankreich, 2006 war Russland zu Gast.(Shi Zongyuan 2005: S. 1)

151

klärungsarbeit“ von Literaturagenten und Institutionen wie dem BIZ Peking führte

dazu, dass inzwischen Bilderbücher mit deutlicher pädagogischer Ausrichtung an

chinesische Verlage vermittelt wurden. Künstlerisch-ästhetisch wertvolle und an-

spruchsvolle Bilderbücher dagegen, deren pädagogische Wirkung weniger offen-

kundig und weniger deutlich vorgegeben ist, finden nach wie vor keine Abnehmer

in China.741

Dass diese gerade stattfindende, allmähliche Öffnung des chinesischen Buch-

markts von chinesischen KJL-Wissenschaftlern begrüßt wird, zeigt folgende Aus-

sage Wang Quangens: Die Globalisierung sei für die Kinder der 1990er Jahre und

des neuen Jahrtausends, die mit Fernsehen, Internet und wirtschaftlichem Plura-

lismus aufwachsen, Teil ihrer unmittelbaren kindlichen Lebenswelt. Angesichts der

unaufhörlich zunehmenden Globalisierung in allen Bereichen, auch dem Kinder-

und Jugendbuchmarkt, müsse ein verstärkter internationaler Dialog stattfinden.742

Es wird jedoch zugleich betont, dass der „Weg der KJL raus in die Welt“ die chine-

sische Literatur als Basis haben soll, so Shu Peide, der Vorsitzende des KJL-

Komitees des Schriftstellerverbandes. Die chinesische KJL solle zwar am auslän-

dischen Beispiel dazulernen und sich weiterentwickeln, die spezifisch chinesi-

schen Eigenschaften sollen jedoch weiterhin der Hauptbestandteil bleiben.743

Auch Wang Quangen betont, dass der Blick bei der Weiterentwicklung der chine-

sischen KJL nicht nur nach vorne und ins Ausland gerichtet sein dürfe, sondern

auch die Merkmale der „modernen KJL“ von 1919 aufweisen solle.744 Diese Anlie-

gen zielen vermutlich darauf ab, eine übermäßige Überfremdung des chinesischen

Kinder- und Jugendbuchmarktes abzuwenden, indem die eigene literarische Tra-

dition zur Grundlage gemacht wird. Es zeichnet sich somit auch für die Zukunft ein

schwieriges Vereinbaren von ausländischen Einflüssen und dem Bewahren der

nationalen Besonderheiten ab.

Trotz all der genannten Probleme und Einschränkungen, welche die KJL als flä-

chendeckendes Propagandamedium ungeeignet erscheinen lassen, wird ihr auf-

grund der ihr zugewiesenen Erziehungsfunktion von offizieller Seite große Be-

741 Cai 2007; Frankfurter Buchmesse 2007742 Wang Quangen 2004b: S. 37743 Shu Peide 2004: S. 122744 Wang Quangen 2004b: S. 38

152

deutung als Vermittler für gezielte Inhalte beigemessen. Sie soll für „gesundes

Heranwachsen“ sorgen, das Heranwachsen einer Generation von Einzelkindern,

welche die Volksrepublik in absehbarer Zeit mit völlig neuen Problemen und Her-

ausforderungen konfrontieren wird. Angesichts dieser von Staatswegen herbei-

geführten demographischen Situation, die langfristig Auswirkungen auf das Ver-

hältnis zwischen Kindern und Eltern bzw. Erwachsenen allgemein haben wird –

zum einen dadurch, dass Letztere zunehmend auch als Spielgefährten fungieren,

zum anderen dadurch, dass in einer quasi vertauschten Form von „xiao“ die Wün-

sche des Einzelkindes bestimmend sind für das Verhalten der Eltern –, erscheint

es der chinesischen KJL-Wissenschaft umso wichtiger, dass neben staatlichen

Institutionen wie der Schule auch die KJL als normgebendes Regulativ in Richtung

eines deutlichen Autoritätsverständnisses wirkt.

Die Tatsache, dass sich die KJL an den Zielen der Modernisierungspolitik aus-

richtet und dass ein Trend wie der der humorvollen Literatur Eingang in den Fünf-

jahresplan findet, zeigt die enge Verbindung zwischen Politik und KJL in China.

Eine weitere direkte Verbindung sind die strukturellen Gegebenheiten auf dem

chinesischen Buchmarkt, in denen Verleger, Autoren und Wissenschaftler in Ver-

bänden und Komitees, die einer Regierungsinstitution unterstehen, organisiert

sind. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass trotz der zunehmenden Un-

übersichtlichkeit auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt gewünschte Inhalte ihren

Weg in die Werke der KJL finden und – gemäß der Annahme, dass sie zum Vor-

bild genommen werden – entsprechend „positiv beeinflussend“ wirken.

Angesichts dieser Verflechtung ist zu vermuten, dass die Übertragung der in der

KJL dargestellten Autoritätsverhältnisse auf das Verhältnis zu Autoritäten wie Par-

tei und Regierung intendiert wird. „Nansheng Jia Li“ und „Nüsheng Jia Mei“ sind

vordergründig zwei Jugendromane ohne politischen oder propagandistischen In-

halt und frei von einer derartigen Terminologie. Dennoch wird dem Leser unterbe-

wusst ein positiv konnotiertes Verhältnis zu Autoritäten vermittelt. Womöglich ist

die beeinflussende Wirkung sogar besonders effektiv, weil die literarische Umset-

zung seit den 1990er Jahren immer weniger propagandistisch, dafür subtiler, nu-

ancierter und dadurch weniger leicht durchschaubar wurde: Der Leser nimmt bei

einem interessanten, humorvollen und unterhaltenden Buch die pädagogische

153

Absicht nicht bewusst wahr und lehnt sie daher auch nicht ab. Überträgt man das

in den beiden analysierten Werken dargestellte, beidseitig mustergültige Ver-

ständnis von Autorität auf die Staatsebene, stehen auch diese modernen, unpoliti-

schen Werke ganz im Dienste der Partei: Die KPCh wird als feststehende, unum-

stößliche Autorität in den Köpfen verankert. Es ist möglich, Widerspruch zu äußern

und neue Ideen hervorzubringen, so lange die Partei am Ende entscheiden kann,

was richtig und was falsch ist und das Volk diese Meinung als richtig akzeptiert.

Es ist nicht abzusehen, wie sich der chinesische Buchmarkt und mit ihm die

Inhalte der chinesischen KJL in den kommenden Jahren verändern werden. Deut-

sche Beobachter tendieren dazu, die Entwicklung der vergangenen Jahre in ihren

Prognosen fortzuführen, was bedeuten würde, dass sich der Buchmarkt mit anhal-

tendem Tempo weiter öffnen, diversifizieren und vergrößern würde, inklusive einer

rasanten strukturellen Umgestaltung in Richtung einer weitgehend marktwirtschaft-

lichen Orientierung mit nicht mehr überwiegend staatlichen, sondern privaten Ver-

lagen. Doch zum einen hat der chinesische Buchmarkt noch Defizite, die der

Fortführung einer solch fundamentalen Veränderung im Weg stehen, zum anderen

kann man davon ausgehen, dass sich die chinesische Führung zu keinen über-

stürzten Maßnahmen hinreißen lässt, die eine weitere inhaltliche Kontrolle zusätz-

lich erschweren oder gar unmöglich machen. Solange die KPCh an der Macht ist,

wird sie das Interesse haben, ihre Autorität zu sichern – ein Hilfsmittel unter vielen

wird für sie dabei auch in Zukunft die KJL darstellen.

154

9 Anhang

9.1 Glossar der wichtigsten chinesischen Ausdrücke

baihua Umgangssprache

„Baijiaxing“ „Die Hundert Stammnamen der Familien“

changpian lange literarische Form

chengzhang xiaoshuo Adoleszenzroman

chunzhen klar, rein

dangdai ertong wenxue gegenwärtige KJL (1949-1976)

duanpian literarische Kurzform

ertong Kind

ertong benweilun „Welt der Kindheit“

ertonghua Verkindlichung

ertong wenxue Kinder- und Jugendliteratur

ertong xiaoshuo Kinderroman

ertong zhongxinlun „kindzentrierte Erziehung“

ertong zhongxin zhuyi „vom Kinde ausgehende Erziehung“

huanxiang wenxue phantastische Literatur

jiaoyu ertong de wenxue Literatur, welche die Kinder erzieht

junzi Edler

li Sittlichkeit

lianhuan (tu)hua Comics

mengguan Privatschule auf Elementarstufe

mengxueshu Lehrbücher zur Aufklärung

„Nansheng Jia Li“ „Der Schuljunge Jia Li“

„Nüsheng Jia Mei“ „Das Schulmädchen Jia Mei“

„Qianziwen“ „Tausend-Zeichen-Klassiker“

quanwei Autorität

ren Menschlichkeit

sangang „Drei Grundregeln”

155

sanmian meixue qizhi „Drei ästhetische Banner“

„Sanzijing“ „Drei-Zeichen-Kanon“

shaonian Jugendjahre

shaonian ertong wenxue Kinder- und Jugendliteratur

shaonian wenxue Jugendliteratur

shaonian xiaoshuo Jugendroman

sige xiandaihua „Vier Modernisierungen“

suzhi jiaoyu „Erziehung und Ausbildung nachVeranlagung“

tongnian Kinderjahre

wusi xin wenhua yundong 4.-Mai-Bewegung

xiandai ertong wenxue moderne KJL (1919-1949)

xiao kindliche Ehrfurcht / Pietät

xiao huangdi „kleine Kaiser“

xiao nanzi han „ganzer Kerl“ / „echter Mann“

xiaoshuo Roman

xiaoyuan xiaoshuo Campusroman

xin Vertrauenswürdigkeit

xin shiqi ertong wenxue KJL der neuen Zeit (ab Oktober 1976)

yi Rechtschaffenheit

you’er wenxue Bilderbücher

youmo wenxue humorvolle Literatur

zhi Weisheit

zhong Loyalität dem Staat gegenüber

Zhongguo chuban Chinesischer Verlegerverbandgongzuozhe xiehui

Zhongguo zuojia xiehui Chinesischer Schriftstellerverband

Zhonghua renmin General Administration of Press and gongheguo xinwen Publication = GAPPchuban shu

zhongpian literarische Form mittlerer Länge

ziran wenxue Literatur über die Natur

156

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Wahrheitsgemäße Erklärung1)

ich erkläre hiermit wahrheitsgemäß, dass ich1.) die eingereichte Abhandlung selbständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt habe,2.) außer den im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Hilfsmitteln keine weiteren benutzt und alleStellen, die aus dem Schrifttum ganz oder annähernd entnommen sind, als solche kenntlichgemacht und einzeln nach ihrer Herkunft unter Bezeichnung der Ausgabe (Auflage und Jahr desErscheinens), des Bandes und der Seite des benützen Werkes in der Abhandlung nachgewiesenhabe,3.) alle Stellen und Personen, welche mich bei der Vorbereitung und Anfertigung der Abhandlungunterstützten, genannt habe,4.) die Abhandlung noch keiner anderen Stelle zur Prüfung vorgelegt habe, und dass dieselbenoch nicht anderen Zwecken – auch nicht teilweise – gedient hat1),5.) mich nicht in Erlangen oder anderswo ohne Erfolg einer Magisterprüfung unterzogen oder zupromovieren versucht habe2),6.) mich nicht in Erlangen oder anderswo einer Staats- oder Diplomprüfung ohne Erfolg unterzogenoder eine dieser beiden Prüfungen versucht habe2).

1) Ich bin darüber unterrichtet, dass die von mir zum Zwecke der Promotion abgegebene „Wahrheitsgemäße Erklärung“ imFall ihrer Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit eine Bestrafung wegen Betrugs zur Folge haben kann.

2) Nichtbestandene oder ohne Erfolg versuchte Prüfungen im Sinne von § 7 Abs. 1 sind auf gesondertem Blatt genauanzugeben.

Erlangen, den .................................... .................................................................................Vor- und Zuname

Erklärung

Ich bin darüber belehrt worden, dass ich den Dr.-Titel erst nach Aushändigung der Urkunde führendarf. Ferner ist mir bekannt, dass jeglicher Anspruch auf die durch die Prüfung erworbenen Rechteerlischt, wenn ich nicht innerhalb von zwei Jahren vom Tag der mündlichen Prüfung gerechnet anden Fachbereich die Pflichtexemplare meiner Dissertation nach den Bestimmungen des § 16,1 derPromotionsordnung abgeliefert oder sonst die in der Promotionsordnung gestellten Bedingungenerfüllt habe. Die Voraussetzungen zur Führung des Doktorgrades (Dr. phil.) sind mir bekannt.

Erlangen, den .................................... .................................................................................Unterschrift

Lebenslauf

Andrea BeständigSchnieglinger Straße 3390419 Nürnberg

Persönliche Daten

Name Andrea Beständiggeboren am 14. Mai 1977in NürnbergStaatsangehörigkeit deutschFamilienstand ledig

Ausbildungsdaten

seit WS 2002/03 Promotionsstudium zum Thema „Die chinesischeKinder- und Jugendliteratur als Autorität für ihre Leserunter besonderer Berücksichtigung des Jugendromansder 1990er Jahre“

SS 2002 Magisterabschluss, Note 1,2

WS 2001/02 Studienaufenthalt in Dalian / VR China

WS 1996 bis SS 2002 Magisterstudium der Sinologie, der GalloromanischenPhilologie und der Wirtschaftswissenschaften an derFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Juni 1996 Abitur am Von-Müller-Gymnasium Regensburg,Note 1,6

März bis Juni 1993 Gastschülerin an der Woodbridge High School in Irvine /Kalifornien

Berufliche Tätigkeiten nach dem Studium

seit Januar 2005 Tessloff Verlag, NürnbergLektorin im Bereich „Wissen“, Kinder- und Jugend-sachbuch

Sept. bis Okt. 2004 Buchinformationszentrum (BIZ) Peking (FrankfurterBuchmesse / Goethe Institut Peking)Projektarbeit „Internet-Auftritt: Business-Website desBIZ Peking“

März bis Juni 2004 Actes Sud Junior, ParisRechte und Lizenzen, Kinder- und Jugendbuch:Stipendiatin des Austauschprogramms für jungeVerlagsleute des Deutsch-Französischen Jugendwerks,der Frankfurter Buchmesse und des Bureau Inter-national de l’Edition Française

März 2003 bis Feb. 2004 Carl Hanser Verlag, MünchenLektoratsvolontariat, Belletristik und Sachbuch

Sept. 2002 bis Feb. 2003 Heinrich Hugendubel Verlag, MünchenLektoratsvolontariat, populäres Sachbuch und Ratgeber

Sonstige Tätigkeiten / Praktika

Nov. bis Dez. 2003 Atmosphären Verlag, MünchenBildredaktion in freier Mitarbeit

Jan. bis Feb. 2003 Management Forum StarnbergFreie Mitarbeit

Okt. bis Dez. 2001 Sunshine Grundschule und Yingjiali Foreign LanguageSchool, Dalian / VR ChinaAssistenzlehrerin für Englisch

Juli bis Sept. 2001 Heinrich Hugendubel Verlag, MünchenLektoratspraktikum, populäres Sachbuch

Mai 2000 bis Jan. 2001 Siemens AG, ErlangenWerkstudentin in der Marketingabteilung(Energieanlagen)

April 2000 Centre Culturel Européen, Nantes / FrankreichPraktikum

Februar 2000 Tessloff Verlag, NürnbergLektoratspraktikum, Kinder- und Jugendsachbuch

SS 1999 und WS 99/00 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergStudentische Hilfskraft in der sinologischen Bibliothekam Institut für Außereuropäische Sprachen undKulturen

April 1999 KRONES AG, NeutraublingPraktikum in der Abteilung Verkauf / Ausland, Asien-gruppe

Fremdsprachen Englisch, sehr gutFranzösisch, sehr gutChinesisch, gut