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Deutsche Zeitschrift fiir Nervenheilkunde J 85, 411--430 (1963) Aus der Schweizerischen Anstalt fiir Epileptische in ZfilSch (Med. Direktor: Dr. H. LANDOLT) Die D~immer- und Verstimmungszust~nde bei Epilepsie und ihre Elektrencephalographie + Von H. LANDOLT Mit 3 Textabbildungen (Eingegangen am 8. Jull 1963) Elektrencephalographische Verlaufsuntersuchungen bei D~mmer- und Verstimmungszust~nden haben zu gewissen Einblicken in ihr Wesen, ihre Psychopathologie und Klinik und vor allem auch in ihre therapeutische Zugi~nglichkeit geffihrt, die hier nochmals besprochen werden sollen. Als erstes soll der Standort der DKmmer- und Verstimmungszusbi~nde im gro$en Gebiet der Epilepsie aufgezeigt und umschrieben werden. Wir teilen das ganze Gebiet in drei groi3e Gruppen auf: die paroxysmalen, a nfallsartigen Erscheinungen, die psychotischen Episoden und die chro- nischen psychischen StSrungen (s. Tabelle). Die D~mmer- und Verstim- mungszust~nde gehSren zur zweiten Gruppe. Unter psychotischen Episoden verstehen wir jene krankhaften psychi- schen VerKnderungen, die 1Knger dauern als die Paroxysmen und kfirzer als die chronischen psychischen StSrungen, die man bei Epflepsie und anderen Krankheiten des Gehirns sehen kann, wobei die Ausgangslage psychopathologisch dem Endzustand entspricht. Diese Episoden unterscheiden sich aber auch nach anderen Gesichts- punkten yon den Paroxysmen und den chronischen psychischen Ver- ~nderungen. Aus bisher noch weitgehend unbekannten Gr/inden, die wahrscheinlich mit der Eigenart der Organisation des Gehirns und ihrer nerv5sen Elemente zusammenh~ngen, ist, in groBen Zfigen gesehen, der paroxysmale Ablau/ offensichtlich weitgehend zwangsliiufig, und wenn auch alle Abstufungen zwischen den roll ausgebfldeten Anfallsformen bis zu ganz rudimentKren beobachtet werden kSnnen, so ist doch, besonders im Einzelfall, die Sukzession der Anfallsphasen immer die gleiche. Der Vorgang ist immer zeitlich beschr5nkt, und seine Dauer ist, in der GrSBen- ordnung yon Sekunden bis wenigen Minuten, gewissermaBen zeitlich * Nach einem Referat, getmlten am KongreI~ der Deutschen, (~sterreichischen und Sehweizerischen Gesellschaften f'th-Elektrencephalographie und der Deutschen und Schweizerischen Ligen gegen Epilepsie, in Zfirich, 28.--30. M~rz 1963. Dtsch. Z. Nervenheilk., Bd. 185 28a

Die Dämmer- und Verstimmungszustände bei Epilepsie und ihre Elektrencephalographie

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Deutsche Zeitschrift fiir Nervenheilkunde J 85, 411--430 (1963)

Aus der Schweizerischen Anstalt fiir Epileptische in ZfilSch (Med. Direktor: Dr. H. LANDOLT)

Die D~immer- und Verstimmungszust~nde bei Epilepsie und ihre Elektrencephalographie +

Von

H. LANDOLT

Mit 3 Textabbildungen

(Eingegangen am 8. Jull 1963)

Elektrencephalographische Verlaufsuntersuchungen bei D~mmer- und Verstimmungszust~nden haben zu gewissen Einblicken in ihr Wesen, ihre Psychopathologie und Klinik und vor allem auch in ihre therapeutische Zugi~nglichkeit geffihrt, die hier nochmals besprochen werden sollen.

Als erstes soll der Standort der DKmmer- und Verstimmungszusbi~nde im gro$en Gebiet der Epilepsie aufgezeigt und umschrieben werden. Wir teilen das ganze Gebiet in drei groi3e Gruppen auf: die paroxysmalen, a nfallsartigen Erscheinungen, die psychotischen Episoden und die chro- nischen psychischen StSrungen (s. Tabelle). Die D~mmer- und Verstim- mungszust~nde gehSren zur zweiten Gruppe.

Unter psychotischen Episoden verstehen wir jene krankhaften psychi- schen VerKnderungen, die 1Knger dauern als die Paroxysmen und kfirzer als die chronischen psychischen StSrungen, die man bei Epflepsie und anderen Krankhei ten des Gehirns sehen kann, wobei die Ausgangslage psychopathologisch dem Endzustand entspricht.

Diese Episoden unterscheiden sich aber auch nach anderen Gesichts- punkten yon den Paroxysmen und den chronischen psychischen Ver- ~nderungen. Aus bisher noch weitgehend unbekannten Gr/inden, die wahrscheinlich mit der Eigenart der Organisation des Gehirns und ihrer nerv5sen Elemente zusammenh~ngen, ist, in groBen Zfigen gesehen, der paroxysmale Ablau/ offensichtlich weitgehend zwangsliiufig, und wenn auch alle Abstufungen zwischen den roll ausgebfldeten Anfallsformen bis zu ganz rudimentKren beobachtet werden kSnnen, so ist doch, besonders im Einzelfall, die Sukzession der Anfallsphasen immer die gleiche. Der Vorgang ist immer zeitlich beschr5nkt, und seine Dauer ist, in der GrSBen- ordnung yon Sekunden bis wenigen Minuten, gewissermaBen zeitlich

* Nach einem Referat, getmlten am KongreI~ der Deutschen, (~sterreichischen und Sehweizerischen Gesellschaften f'th- Elektrencephalographie und der Deutschen und Schweizerischen Ligen gegen Epilepsie, in Zfirich, 28.--30. M~rz 1963.

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vorbestimmt. Die letzte .~ffallsphase, die des postparoxysmalen D~mmer- zustandes, ist dabei allerdings nicht zu den paroxysmalen Erscheinungen zu rechnen und davon abzutrennen. Sie hat mehr den Charakter psy- chotiseher Episoden. LSuft der Anfallsvorgang immer wieder erneut in kurzen Abst~nden ab, dann sprechen wir yon Serien oder Gruppen von Anf£11en, gesehieht dies fast pausenlos, von einem Status, nie handelt es sich dabei aber um einen Dauerzustand dieser oder jener Anfallsphase

Tabelle. Erscheinungsformen bei Epilepsie

A) Paroxysmale Erscheinungen bzw. Anfiflle (Absenzen, Myoklonien, D~mmer- attacken, Jackson-Anf~ille, andere systemgebundene Anfallsarten ; generalisierte Anfi~lle)

B) Episodische Formen 1. psychotische Episoden

a) postp~roxysmale D~mmerzust~inde (frontal betonte tr~ge Dysrhythmie), b) Petit Mal-Status (Spike and Wave-Komplexe), c) D~tmmerzust~nde organiseher Pr~gung anderer Art (pathologisches EEG), d) produktiv-psychotische D~mmerzust~nde (forcierfie Normalisierung).

2. Epileptische Verstimmungen (forcierte Normalisierung). C) Chronische St6rungen (s. LANDOLT 1960, 1962)

1. Ausfallssyndrome (evtl. keine EEG-Ver~nderungen). 2. Primate StSrungssyndrome (pathologisches EEG). 3. Chronisehe epileptische Syndrome (hypothetiseh) (Krampfpotentiale). 4. SekundSre StSrungssyndrome

a) Induktionssyndrome (pathologiseheres EEG), b) Reaktionssyndrome (foreierte Normalisierung).

oder Anfallsart. Eine Ausnahme bilden lediglich die Absenzen mit ihren Spike and Wave-Komplexen. Wenn aueh die Komplexe selbst biphasiseh sind (ein bis etwa vier spikes einerseits, eine ~-Welle andrerseits) und an sich vielleieht den ganzen sieh st~ndig wiederholenden Anfallsablauf dar- stellen (man denke aueh an die Jungsche Bremswelle), so besteht doeh sowohl klinisch als in bezug auf die Komplexe im E E G als Ganzes w~th- rend der Absenz ein Dauerzustand mit hSchstens quanti tat iven und kaum je qualitativen Ver~nderungen, eia Dauerzustand ohne phasische Vorg~nge, der fast ausnahmslos abrupt erscheint und wieder verschwin- det. Insofern haben die Absenzen eine Sonderstellung unter den paroxys- malen Erscheinungen, und es ist offensiehtlich diese Eigenart der Grund daffir, da~ aus der Absenz ein D~mmerzustand werden kann, n~mlieh der sp~ter zu besprechende Peti t Mal-Status.

I m Gegensatz zu der Gruppe paroxysmaler Erscheinungen ist die Dauer der episodisehen Formen meist vonde r GrSSenordnung yon Stun- den bis Tagen, seltener Wochen, und einzelne Phasen oder phasisehe Vorg~nge qualitativer Art sind nicht zu erkennen.

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Bei den vhronischen psychischen VerSnderungen, die wir bei Epilepsie und anderen Hirnkrankheiten sehen, sind ebenfalls, wie bci den episodi- schen Formen, keine Phasen des Ablau/s, weder im E E G noch psycho- pathologisch zu erkennen. Sie unterscheiden sich yon den episodischen Erscheinungen eigentlich nur dadurch, dal~ letztere reversibel sind, erstere mehr den Charakter der Irreversibilit~it haben. Psychopathologisch sind sie aber yon den episodischen Erscheinungen oft kaum zu unterscheiden. Ja , es muff fiberhaupt zugegeben werden, da~ die Unterscheidung zwi- schen episodischen und chronischen psychischen St6rungen, am aller- wenigsten schon nach der Dauer derselben, nur eine vorl/iufige Notl6sung ist. Sobald das Gebiet, das beide umfal~t, sich noch klarer abgezeichnet haben wird, wird die gfiltigere und auch vielleicht cndfiltige M6glichkeit entstehen, eine scharfe Trennung nach hirnphysiologischen Gesichts- punkten zu schaffen, was eine Umordnung erfordert. Die rein patho- physiologisch bedingten Zust/inde chronischen oder episodischen Charak- ters w/iren dann yon den psychischen Korrelaten funktionell brach- liegender und ausgefallener Hirnzellen abzutrennen. Diese beiden Grup- pen entsprechen dem, was wir einerseits St6rungssyndrom, andererseits Aus/allssyndrom (LAlqDOLT 1957, 1960, 1962) genannt haben. Es soll hier nicht niihcr darauf eingegangen werden. Ffir die episodischen St6rungen kann aber nach der besagten Definition schon heute festgelegt werden, dal~ es sich hier, mi t Ansnahme des Peti t Mal-Status, um die psychischen Korrelate rein pathophysiologischer, nicht paroxysmaler und primdir nicht eigentlich somatischer Vorgdnge im Gehirn handeln muff.

Wenn wit t rotzdem noch an der Unterscheidung episodisch und chronisch festhalten, dann deswegcn, well es Arten yon D/immerzust/in- den gibt (z. B. den sogenannten Pet i t Mal-Status), die bisher als chro- nischer Dauerzustand nicht beobachtet werden konnten, vor allem aber auch aus rein/iul~erlichen, praktischen Grfinden.

Es ist n/imlich, wenn auch meist mit erheblichen Schwierigkeiten, m6g- lich, anf Tage und Wochen beschr/inkte psychische Ver/inderungen und die gleichzeitigen Ver/inderungen des pathophysiologischen Zustandes, wie er aus dem E E G zu erkennen ist, in zuverl/issiger Weise zu verfolgen, und es besteht dabei die Chance zu erkennen, welches die elektrencephalo- graphischen Ausgangspunkte und Endzust/inde solcher Episoden sind. Fiir die chronischen psychischen Ver/inderungen ist das aber kaum einmal der Fall. Schon bei den episodischen Formen ist es ja ein G1ficksfall, wenn unmit telbar vor Ausbruch des Leidens ein oder mehrere E E G gemacht worden waren. Traf das aber nicht zu, dann kann wenigstens aus dem E E G nach Ende der Episode vermute t werden, wie es vorher wohl aus- gefallen w/ire. Bedingung dazu ist allerdings, dal3 inzwischen kein Eingriff yon der Art des Elektroschocks oder sonst einer massiven Therapie stattgefunden hatte, obwohl es auch nicht ohne Bedeutung sein dfirfte,

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daB solehe Eingriffe das Ende gewisser psychotiseher Episoden bewirken k6nnen.

I m giinstigsten Fall werden also Kurven vor, w/ihrend und nach der Episode vorliegen, meist aber nur w/ihrend ihr und naehher. Bei den chronischen psychischen Ver/£nderungen ist es hingegen aussiehtslos, Kurve um Kurve anfertigen zu lassen, nachdem die Psychose begonnen hat, in der Hoffnung, dab der Zustand sich einmat bessern werde und damit Einsieht in das E E G des betreffenden Patienten in normaler psychischer Verfassung gewonnen werden kSnne. So ist es uns im Laufe dieser Jahre manchmal geschehen, dab wir nach Auftreten einer psychi- schen St6rung bis 30 und mehr Kurven aufgenommen haben, bis wir schlieBlich einsehen multten, dab der Zustand nieht episodisch, sondern chronischer Art war und deshalb keine Aussicht bestand, einen anderen als eben diesen Zustand elektrencephalographisch zu erfassen.

Und damit mSchten wir zum Ergebnis unserer psychopathologischen und elektrencephalographischen Verlau]suntersuchungen iibergehen.

Es lieBen sich dabei haupts/~chlich vier Formen yon psychotischen Episoden oder D/~mmerzust/tnden ausdifferenzieren, n/imlich

1. die postparoxysmalen D/immerzust/inde, 2. der Peti t Mal-Status von LENNOX, 3. die D/immerzust/inde vorwiegend organischer Pr/igung anderer als

der genannten Art und 4. die produktiv-psychotischen D/~mmerzust/tnde mit forcierter Nor-

malisierung. In der Reihenfolge der Bespreehung richten wir uns dabei neuerdings

nach den drei Reihen psychischer St6rungen, die BLEULER fiir die akuten exogenen Reaktionstypen aufgestellt hat. Er unterseheidet dabei - - wir modifizieren allerdings ad hoc - - :

erstens die bloBen BewuBtseinsminderungen, was fiir den Peti t Mal- Status und grSBtenteils fiir den postparoxysmalen D/tmmerzustand zutrifft,

zweitens die Vereinfachung psychischen Lebens bis zum schwersten amnestischen Psychosyndrom, was fiir die D/£mmerzust/inde organischer Pr/~gung gilt,

und schlieBlich die Verwirrung psychischen Lebens bis zur BewuBt- seinsverschiebung, was fiir die produktiv-psychotischen D/~mmerzust/~nde der Fall ist.

Die erste Form, die der postparoxysmalen D/immerzust~nde, geht mit einer mehr oder weniger langsam abnehmenden, manchmal auch ffir l'£ngere Zeit konstant bleibenden globalen Bewu[3tseinsverminderung ein-

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her und ist wahrseheinlieh nur naeh Anfi~llen zu beobachten. Was sie neben der globalen Bewul~tseinstrfibung, die hier zweifelsohne das Kar- dinalsymptom ist, charakterisiert, ist das Ansprechen auf psychologisch elementare, primitive, und weniger auf komplexere Reize. Ferner Primi- tivrealctionen und natfirlieh vermindertes AuffassungsvermSgen und Schwerbesinnlichkeit. Es sei hier nieht welter auf die Psychopathologie dieser Art D£mmerzus~nde eingegangen (s. diesbeziiglieh z. B. LA~DOLT 1960 S. 46 und CgRISTIAN 1962). Sie kommen bei jeder generalisierten oder fokalen Form von Epilepsie vor, vor allem im Anschlu{~ an tonisch- klonische Anfi~lle und an die generalisierte Phase yon Di~mmerattacken. Sie stellen eines der Korrelate generalisierter StSrungen dar und sind als , ,ErsehSpfungspsychosen" mit dem Anfallsgesehehen eng verbunden, als dessen pathophysiologisehe Auswirkung sie wohl aufzufassen sind. Naeh den bisherigen Beobachtungen und Mitteilungen ist es wenig wahrschein- lich, da[~ solch ein Zustand auch spontan auftritt , also ohne da~ ein Vor- gang im Sinne der epileptisehen Anf~lle vorausgegangen wi~re.

I m letzten Jahrzehnt hat sich eine zweite, sowohl psychopathologisch als auch elektrencephalographisch wohl umrissene Form von D~mmer- zust£nden herausgesch£1t. Es handelt sich um diejenigen, deren Entdek- kung wir, wie so viel anderes, LENnox verdanken und die allgemein Petit Mal-Status genannt werden. Wir besitzen in der Literatur darfiber gute Einzelmitteilungen von T~cxE~ u. FO~STE~ (1950), VIZIOLI u. MAGLI- OCCO (1953), DAZZI u. LUGARESI, ZAPPOLI 11. a., unO haben 1955 selbst versucht, deren Psychopathologie an Hand unserer Erfahrungen yon damals 16 Fiillen zu beschreiben.

Auf die Sonderstellung der Absenzen mit Spike and Wave-Komplexen im Anfallsgeschehen haben wir schon hingewiesen. Die einzelnen Kom- plexe stellen hier wahrscheinlich den ganzen, sich st~ndig wiederholenden Anfallsablauf dar, wobei die Anfallsbremsung (im Sinne der Jungsehen Bremswelle) eine Weile versagt und keine ErschSpfung des Krampfvor- ganges eintritt. Offenbar wegen dieser Eigenarten kann die Absenz zum Dauerzustand werden. Das psychopathologische Zustandsbild ist dann allerdings etwas verschieden yon dem der Absenz, auch ist das Kurven- bild meist unruhiger und ungleichm£i~iger. Vor allem ~ndert die Ampli- tude der Spikes oft stark.

Wie bei der Absenz (Sc~[WAB 1947, •ANDOLT 1956), k6nnen auch beim Peti t Mal-Status kliniseh verschiedene Abstufungen der Bewu~t- seinslage erkannt werden. Insbesondere kSnnen solche andauernd auf- tretende Spike and Wave-Komplexe auch ohne jede erkennbare Ver- /inderung der Psyche, d. h. ohne D~mmerzustand, beobaehtet werden, so wie dies ja aueh ffir die kurzen Serien und Gruppen der Fall ist. Wie

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man von subklinischen Absenzen spricht, k6nnte man dann yon sub- klinischen D/~mmerzust/~nden sprechen, doch sind solche Bezeichnungen natfirlich unbefriedigend und irreffihrend. Wie bei der Absenz gibt es ferner einen Grad yon D/immerzustand, der durch/~uBere Reize, freilieh nach unseren Erfahrungen nur auf kurze Zeit, unterbroehen werden kann, wobei, wiederum wie bei der Absenz, die Reizschwelle f/ir Reize gleieher Art bei Wiederholungen zunimmt, so dab der Reiz schlieBlich wirkungslos wird. J~nderungen der Reizqualit/it, z. B. yon Zuruf auf Schmerz oder L~rm, bleiben jedoch wirksam. Wir sehen hier also ein /ihnliches Ver- halten wie zum Beispiel das beim Blinzelreflex auf Drohbewegungen und anderen hSheren Reflexen. Ein solcher Petit Mal-Status kann auch ge- legentlich durch die Forderung nach erhShter Aufmerksamkeit und psychischer Leistung psychopathologisch wie elektrencephalographisch unterbrochen werden, so etwa durch lesen und nacherz/~hlen lassen einer Geschichte (LANDOLT 1956). Unterbrechbarkeit heiBt also sowohl bei Absenzen als auch bei D/immerzust/inden nicht unbedingt etwa psyehogen oder hysterisch, was sehr leicht am EEG zu sehen ist. Jv•G war schon 1939 auf diese Erscheinung eingegangen. Ebensowenig diagnostisch ent- scheidend ist die AuslSsbarkeit dieser StSrungen durch bestimmte psy- chische Situationen; kennen wir doch zum Beispiel Sehulkinder, bei denen dann eine epileptische Absenz auftritt, wenn man ihnen - - meist muB es unvermutet, be/~ngstigend, pl6tzlich geschehen - - eine Reehen- aufgabe stellt. Der Petit Mal-Status kann aueh dureh Hyperventilation ausgel6st werden, was zur Verwechslung mit Hyperventilationstetanie fiih- ren kann. Nur das EE G kann hier also entscheiden, ob einerseits Verstoekt- heir, Trotz, Simulation, evtl. Hysterie, andererseits Epilepsie vorliegt.

Im Gegensatz zur Absenz haben wir bisher nie stundenlang andauernde Spikes and Waves mit vollst~indiger BewuBtlosigkeit gesehen, und es wfirde uns interessieren, ob solche Beobachtungen anderswo gemacht worden sind. W/~hrend dieser Form kSnnen Myoklonien beobachtet wer- den. Es kSnnen Anf/£11e auftreten und den D/immerzustand beenden. Aueh Sehlaf kann, wie in ausgepr/~gterer Form bei den postparoxysmalen D/~mmerzustiinden, den psychotischen Zustand beenden, ja er rut es oft. w/ihrend andererseits die Patienten oft unter Schlaflosigkeit leiden und es eine relativ hohe Dosis von Hypnotika braucht, um sie einzuschl/ifern. Der D/£mmerzustand dieser Art kann, wie die Absenz, plStzlich aufhSren - - w/ihrend er bei der ersten Form allm/~hlieh abklingt - - manehmal aber bricht die Folge von Spikes and Waves auf, und es erscheinen im Intervall normale Frequenzen. Die Spikes and Waves werden hingegen nun kompakter, und es kSnnen Absenzen erscheinen.

Selten ist der Petit Mal-Status, wenigstens ffir einige Zeit, die erste und einzige Erscheinungsform, das einzige Symptom der Epilepsie eines Patienteu.

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Psychopathologisch ist der voll ausgebildete Peti t Mal-Status im allgemeinen gut charakterisierbar. Er imponiert als ein stuporartiger Zu- stand mit ersehwertem Auffassungsverm6gen, Schwerbesinnlichkeit, starker Neigung zu psychischen und verbalen Perseverationen, allgemei- ner Antriebslosigkeit und Apathie. Die Reaktionszeiten, zum Beispiel beim L6sen yon Rechenaufgaben, sind meist verl£ngert, und die Rechen- aufgaben k6nnen - - vor allem wegen un/iberwindlieher Perseverationen

- - falsch gel6st werden. 0rtl ich und zeitlich k6nnen diese Patienten desorientiert sein und

wegen Fehlhandlungen sich, weir seltener die Umgebung, in Gefahr bringen. Gewohnheitshandlungen ffihren sie dennoch meist richtig aus, wenn gelegentlieh auch zu einem falschen Zeitpunkt oder in einer un- geeigneten Situation, welche sie nicht erfal3t oder falsch eingesch~tzt haben. Sie haben oft schon w~hrend, auf jeden Fall immer nach dem D~mmerzustand gute Einsicht in die Krankhaftigkeit des Zustandes und beklagen sich mitunter, sie seien einfach unf~ihig gewesen, ,,fertig zu denken". Sie k6nnen ratlos, verlegen und unbeholfen wirken. Die Per- s6nlichkeit ist nivelliert, verflacht, verliert an Pr/~gung und Eigenart.

Vom Peti t Mal-Status ist elektreneephalographisch und psychopatho- logisch der Zustand bei Absenzenserien (in kurzen Abst~nden st~ndig auftretenden Absenzen) zu unterscheiden. Dieses Krankheitsbfld mit seinen psychischen Ver~nderungen (periodisch schwankende Bewul]t- seinslage, starke Ermiidbarkeit und ideomotorische Verlangsamung, un- klarer Gedankengang und Schwerbesinnliehkeit, ein eigenartiger Zustand von psychischer Ersch6pfung mit nut langsamer Erholung w/~hrend Tagen und Wochen, selbst dann noch, wenn das EEG inzwischen wieder unauff~llig geworden ist) ist noch kaum bekannt. PINT~S u. ARDITO haben 1955 einen solchen Fall beschrieben, und auch wir sind 1956 an Hand unserer wenigen F/~lle kurz darauf eingegangen. Nicht selten arten solche Absenzenserien in einen Anfa]l aus, der sie ffir l~ngere Zeit beendet.

Und damit kommen wir zu einer dritten Gruppe von episodischen StSrungen, w&hrend welcher das E E G ebenfalls pathologischer wird. Wit nennen sie D~immerzusti~nde organischer Pri~ung.

Die postparoxysmalen D~mmerzust~nde und der Petit Mal-Status sind wohl, wie wir es getan haben, davon abzutrennen, well sie patho- physiologisch und psychopathologisch relativ gut umschriebene Einheiten sind. W/~hrend die postparoxysmalen D~mmerzust~nde abet die Aus- wirkungen und Folgen des epileptisehen Vorganges, der Peti t Mal-Status einen epileptischen Vorgang selbst darstellt (und die noch zu bespre- chenden produktiv-psychotischen Episoden mit forcierter Normalisierung als antagonistisch zum epileptischen Vorgang aufzufassen sind), scheint diese Restgruppe gr6~tenteils in ]ceinem direkten Zusammenhang mit

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dem eigentlichen epileptischen Vorgang oder dessen unmittelbaren Folgen zu stehen.

Immerhin gehSren hierher die durch ~berdosierung von A ntiepileptica bedingten Zust5nde yon erschwertem AuffassungsvermSgen, Schwerbe- sinnlichkeit, Triebhaftigkeit, Bradyphrenie und Merkschwiiche. Auch ohne Miidigkeit und Schl~frigkeit gehen sie mit einer oft stark ausge- pr~gten, diffusen, tr~gen Dysrhythmie, mit oder ohne Epilepsiepoten- tialen einher. Das Bestehen yon Ataxie, Dysarthrie, ~ystagmus, unter Umst~nden Bromismus mit hohem Bromspiegel, erleichtert die Diagnose. Brompriiparate, Barbiturate und Hydantoine, seltener Phenylacetyl- harnstoffe, Oxazolidin-Dione und Succinimide kSnnen nach unserer Er- fahrung dazu fiihren. Eigentlich handelt es sich ja dabei um Zust~nde cerebraler Intoxikation, und auch ganz andere Medikamente als die ge- nannten kSnnen sie hervorrufen.

~hnlich sind das E E G und die Psychopathologie yon reversiblen Zu- st~inden sicher anderer, aber noch weitgehend ungekl~rter ~tiologie. Eine allgemeine oder zumindest ausgedehnte cerebrale DysfunktioR unspezi- fischer Natur dfirfte die unmittelbare Ursache darstellen, welche primer oder sekundi~r entstanden ist (infolge Auswirkung yon L~sionen, infek- tiSsen, hirnatrophischen, raumfordernden Prozessen, HirnSdem sowie endogen und exogen toxischen Einflfissen u. a. m.). Hierher gehSren auch die reversiblen Episoden dementieller Prdgung. Teilweise sind diese Zu- st~nde wohl auf die Epilepsie selbst und ihre Folgen zuriickzuffihren (u. a. auf Krampfsch~digungen und ihre pathophysiologischen Auswirkungen), teilweise jedoch auf das zur Epilepsie fiihrende Grundleiden, sofern sie fiberhaupt etwas damit zu tun haben.

Aus praktischen Grfinden muB diese ganze Gruppe, vor allem ~tio- logisch, welter aufgeteilt werden, psychopathologisch ist sie jedoch recht einheitlich. Ihr sind n~mlich diejenigen psychischen StSrungen gemein- sam, aus denen wir herk6mmlicherweise und mit Reeht auf eine L~sion des Gehirns schlieBen, wie Gedi~chtnisschw~che, Desorientiertheit in Zeit und I~aum, BewuBtseinsverminderung, Abnahme der psychischen Leistungsfghigkeit, erh6hte Empfindlichkeit und Reizbarkeit, ferner Merkschwi~che, Abnahme der Kritik- und Urteilsf~higkeit und ein krank- haft erhShtes instinktbedingtes Handeln und Denken, sei es ad£quat oder nicht.

Ganz andere Charakteristiken hut eine vierte Form. Wir nennen sie die der produktiv-psychotischen Di~mmerzustSnde. Das Krankheitsbild ist hier sehr polymorph, die Betroffenen sind mituater psychisch ~uBerst produktiv, und zwar in jeder Hinsicht. Sie kSnnen dauernd erregt sein, ununterbrochea reden und auch schreien, unruhig und st~ndig in Be- wegung sein, und es besteht manehmal eine bis ins Mal~lose gehende

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Steigerung der Dynamik der Ideation mit gleichzeitig starker Einengung und Zuspitzung des Gedankenbereiehs. Letzteres gilt auch f/Jr die Appe- tenz. Es treten ferner tIalluzinationen, Illusionen, Wahnideen und Zwangshandlungen auf. Die Patienten ffirchten mitunter zu sterben und meinen, die Welt gehe unter. Seltener f/ihlen sie sich erleuehtet, iiberaus gliicklich und selig-verziickt. Die meisten haben den Eindruck, als gingen die Gedanken besonders gut. Wie bei den drei erstgenannten Dgmmer- zust~nden kann Amnesie bestehen, sie kann aber bei dieser vierten Form aueh vollsti~ndig fehlen und ist eindrueksm~13ig weniger durch eine Be- wui3tseinsverminderung bedingt als dadurch, dab die zentripetalen und reflektiven Funktionen in der Erregtheit und dem Sich-vSllig-Hingeben und Ausgeben nur flfichtig bleiben und die Wahrnehmungen und das Erfal3te nicht haften, wenn sie zum eingeengten BewuBtseinsbereich nicht passen. Hierher gehSren abet auch die orientierten und besonnenen D/~mmerzust/inde, bei welchen die Patienten ruhig und gefaBt, h6chstens etwas gespannt erscheinen, und die so auffallend h/iufig yon schizophrenen Zustandsbildernnicht zu unterscheiden sind. Die seheinbare Desorientiert- heir, die hier manchmal zu beobachten ist, ist dann nieht die Folge einer Bewuttseinstriibung, sondern einer abnormen Vorstellungswelt, in welcher der Patient lebt. Bei den anderen drei Formen steht sie hingegen, wie die Amnesie, eindeutig mit dem Grad der BewuBtseinstrfibung in Zu- sammenhang und hat oft auch, besonders beim Peti t Mal-Status, kon- fabulatorisehen Charakter.

Diese D/~mmerzust/~nde kSnnen Tage und Woehen lang bestehen blei- ben, sie kSnnen auch bei Patienten, die rde an Anf/~llen gelitten haben, beobachtet werden; bei solchen abet, die an noch so h/~ufigen Anf/illen leiden, bleiben die Anf/~lle w/~hrend dieser I)/immerzust/~nde - - solange diese andauern - - meist vollst~ndig aus oder werden bedeutend seltener.

W/ihrend der Pet i t Mal-Status haupts/ichlich dan~ auftritt, wenn die antikonvulsive Medikation abgesetzt wurde, t r i t t diese Form yon D/~m- merzust/~nden leieht bei Einsetzen der Behandlung auf, und Herabsetzen der Medikation wirkt h/iufig gfinstig. Manchmal 15st sich der Zustand freilieh erst nach Tagen. Gelegentlich kann man einen solehen D/immer- zustand dureh Cardiazol- oder Elektroschoek unterbrechen, die Cardiazol- Krampfschwelle pflegt abet erhSht zu sein.

Sehon aus diesen Beobachtungen heraus kann also vermutet werden. dab diese vierte Form yon D/~mmerzust~nden, die psychopathologisch fast diametral verschieden zum Peti t Mal-Status steht, sich antagonistisch zum gel/iufigen epileptischen Geschehen verh/~lt.

Im E E G wird das noch deutlicher, denn wenn, wie das meist der Fall ist, bei diesen Patienten im psychiseh unauff/illigen Intervall Krampf- potentiale und eine Dysrhythmie bestehen, dann sind w/~hrend dieser D/~mmerzust/inde die Krampfpotentiale und die Dysrh.v~hmie zuriick-

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gegangen, ja die Krampfpotentiale sind w~hrend der Dauer dieser D~m- merzust~nde oft ganz verschwunden, und die Kurve kann dann vSllig normal erscheinen. Der a-Rhythmus, der dana besteht, blockiert auf AugenSffnen und scheint fiberhaupt ein gew6hnlicher a-Rhythmus zu sein. Mit dem Abklingen des D~mmerzustandes - - wenn der Patient wieder psychisch unauff~llig geworden ist - - treten im E E G auch wieder die Dysrhythmie und die Krampfpotentiale auf.

Es ist in diesen FKllen also eine Korrelation zwischen dem Verlauf des psychotischen Geschehens und den Ver~nderungen im E E G zu erkennen, jedoch in dem Sinne, dab der Krampffocus, der vor und nach dem D~m- merzustand akt iv ist, w~hrend dieser D£mmerzust~nde erlischt, und zwar oft so vollstKndig, dab die Kurve normal wird. Es sieht, mit anderen Worten, so aus, als gebe es, grob gesagt, Epileptiker, die ein pathologi- sches E E G haben mfissen, um psychisch unauff~llig zu sein, und die bei einer bestimmten, aber auf die verschiedenste Art bewirkten oder ein- tretenden elektrencephalographischen •ormalisierung, und was ihr zu- grunde liegt, in einen D~mmerzustand geraten bzw. produktiv psychotisch werden. Wir haben dieses Ph£nomen forcierte Normalisierung genannt.

Die /orcierte Normalisierun 9 w~re also das Ph£nomen, dab mit dem Auftreten yon produktiv-psychotischen Zustandsbildern das E E G im Vergleich zu vorher und nachher normaler bis ganz normal wird und vor allem die Krampfpotentiale wesentlich zurfickgehen oder ganz verschwin- den. Sie erinnert an die Ver£nderungen im EE G bei erhShter emotionaler Spannung - - also weitgehend normalpsychologischen Vorg£ngen - - und bei den epileptischen Verstimmungen. Sie dfirfte der Ausdruck einer erh6hten Reaktivit~t des gesunden auf das erkrankte Gewebe bzw. auf dessen Dysfunktion sein und tr i t t unter der Voraussetzung in Erschei- nung, dab das E E G vorher pathologisch war. Dal~ aber umgekehrt eine Abnormit£t der biologischen Vorgiinge im Gehirn die Voraussetzung ffir das ist, was der forcierten Normalisierung zugrunde liegt, das l~Bt sich vorl~ufig nur vermuten. Wir glauben allerdings, auf Grund unserer Untersuchungen einige Grfinde daffir zu haben.

Ganz allgemein spricht also ein normales E E G wi~hrend eines D~m- merzustandes nicht gegen das Vorliegen einer Epilepsie, was umgekehrt beim Peti t Mal-Status ffir das psychisch freie Intervall gilt. Verlaufs- oder L~ngsschnittuntersuchungen sind hier mehr denn je unerl~Blich. Dort abet, wo die Methodik und die lokalisatorischen Besonderheiten des Einzelfalles eine Abnormiti~t nicht zur Darstellung kommen lassen, wird im produktiv-psychotischen D~tmmerzustand keine Ver~nderung im Kurvenver lauf zu erkennen sein. t i ler versagt das EEG. DONGIE~ besti~tigt unsere Befunde an Hand einer Sammlung yon F~llen verschie- dener ]-Ierkunft, darunter auch den unsrigen. CHRISTIAN (1956) hat als erster weitere F~lle von forcierter Normalisierung publiziert und hat sie

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D/immer- und Verstimmungszustgnde bei Epilepsie 421

1962 eingehend besprochen. SCHO~SCH u. V. HEDENSTR6M haben die Beziehung des Ph/inomens zu den Anf~llen untersucht. Da keine auslese- freien Reihen bisher vorliegen, kann fiber die H~ufigkeit der Erscheinung bei Epflepsie noch nichts ausgesagt werden. V~DEAUX U. Mitarb. haben an Quersehnittsuntersuchungen das Ph/~nomen rein statistiseh ebenfalls nachweisen k6nnen, indem sie feststellten, dab psychotische Epileptiker ein normaleres EEG haben als psychiseh unauff/illige.

H~ss, wie/~hnlieh auch LOEB u. GIBERTI, bringen die foreierte Nor- malisierung in Zusammenhang mit einer gesteigerten T/~tigkeit der Weck- zentren, welche den Synchronisierungstendenzen der Hirnpotentiale ent- gegenwirken, wie es im Tierversuch n~ehgewiesen wurde (Mo~vzzI u. MAOOUN). CHRISTIAN sowie G);NSHI~T deuten den Vorgang als eine auf Kosten einer Psychose erzwungene elektrobiologisehe Homeostase, was der Vorstellung entsprieht, die uns bei dessert Benennung leitete.

Interessant ist der Versuch, das Ph/~nomen auf einen einzigen Nenner, n~mlich auf Ver/inderungen der emotionalen Spaunung zuriiekzuffihren. Tats~chlich beobachten wir hier ja auch/ihnliches (s. z. B. LANDOLT 1955 oder 1963). Wir mfissen uns dann aber aueh fragen, warum im hysteri- sehen D/immerzustand die EEG-Kurve unver/indert bleibt, und ob psychotisierende Pharmaka, wenn sie zu einem solchen D/~mmerzustand gefiihrt haben, tats/~chlieh fiber Ver/~nderungen der Emotivit/it oder nicht direkt hirnphysiologisch gewirkt haben. Wir sind der Auffassung, dab letzteres weitaus wahrscheinlieher ist: die pharmakologische Wirkung dieser Substanzen (vom LSD und Meskalin bis zu den Antikoavulsiva) besteht in einem patho-physiologischeu Funktionszustand, der ph/~no- menologisch als Psychose imponiert. Der pharmakologisehe Wirkungs- modus, die individuellen Funktionscharakteristiken und die funktionelle Ausgangslage des Gehirns d/irften am Zustandekommen des Effektes maBgebend beteiligt sein. In die psyehisehe Ph~nomenologie sind nat~r- lich alle Komponenten, darunter die Emotionalit/~t ebenso wie z .B. ideatorische Leistungen und instinktive Impulse miteinbezogen, wobei die Symptomatik so extrem sein kann wie undefinierbare, spannungs- geladeue Angst und Erregtheit, gel~ssen hingenommenes Halluzinieren oder z. B. gereizte Aggressivit/~t und Bereitschaft zu anderen Primitiv- reaktionen, das alles ohne andere Komponenten. Meistens wirken sich aber alle seelisehen Bereiche aus, und insofern muB man d~nn yon Zwischen- oder Mischformen dieser Extreme sprechen. DaB aber ledig- lich die emotionale Lage, und erst noch urs/~ehlieh, am Zustandekom- men der produktiv-psychotischen D/~mmerzust~nde und der forcierten Normalisierung (s. zu diesem Fragekomplex auch LANDOLT 1963) betei- ligt sei, scheint unwahrscheinlich.

KAr~ER~R U. Mitarb. stellten auf Grund ihrer EEG-Befunde und unabh/ingig yon uns die These auf, dab bei vorwiegend organiseher

29*

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422 H. LA~DOLT:

Pr£gung der episodischen Symptomatologie (St6rungen des Ged~chtnisses, der Merkf~higkeit und BewuBtseinsverminderung) das E E G pathologi- scher werde, hingegen bei produktiv-psyehotischer Symptomatologie (Depersonalisation, StSrungen des affektiven Kontaktes, Wahnvorstel- lungen, tIalluzinationen und Illusionen) das E E G normaler werde bzw. eine forcierte Normalisierung eintrete. Die Autoren konnten nie par- oxystische Dysrhythmien wi~hrend produktiv-psychotischen Episoden bei Epilepsie beobachten.

Damit haben wir die vier grol~en Gruppen yon D£mmerzust~nden, die sich bei unseren Untersuchungen herausdifferenzieren liel~en, beschrieben. Das Gebiet und seine Problematik sind damit aber nat/irlich nicht er- schSpft. Einmal wi~re noch viel zu erg~nzen, ferner hi~tten wir auf die F~lle einzugehei~, bei denen unsere Verlaufsuntersuchungen keine rele- vanten Ver£nderungen im E E G zeigten und die doch epileptischer Natur waren. DaB hysterische O£mmerzust~nde keine wesentlichen Ver~nde- rungen im E E G aufweisen, sei nut nebenbei erw~hnt, obwohl man dar- fiber interessante Betrachtungen anstellen kSnnte. Wir denken hier aber z. B. an die epileptischen D~mmerzust£nde, bei denen das E E G schon im voraus normal war und also fiberhaupt keine weitere Normalisierung eintreten konnte. Und wi~hrend anderer psychotischer Zust~nde blieben sowohl die Anf£11e oder Absenzen als auch die Krampfpotentiale im E E G unveri~ndert weiter bestehen. Diese Gruppe ist aber zweffellos klein. Manchmal bat ten wir den Verdacht, dal~ bei diesen Fallen neben der Epilepsie noch eine Prozel~psychose im Sinne der Schizophrenie vorliege.

Schliel~lich bleiben die F~lle, die wir persSnlich nur aus der Literatur kennen. So z. B. je einen Fall yon GASTAUT und yon Sc~o~sc~, bei denen offenbar die generalisierte Phase der Di~mmerattacken tagelang angehal- ten hatte, wobei klinisch ein Ditmmerzustand bestand. Wit fragen uns freilich, ob es sich nicht doch um F/~lle yon Peti t Mal-Status gehandelt hat. Oft ist das n~mlich erst dann zu entscheiden, wenn der D~mmer- zustand abgeklungen ist, well, wie gesagt, die Kurve im Petit Mal-Status sehr unruhig sein und derjenigen gegen Ende einer D~mmerat tacke dann sehr gleichen kann. Liegen aber naehher Gruppen yon Spikes and Waves vor, dann dfirfte es sich wohl mit Sicherheit um einen Peti t Mal-Status gehandelt haben.

Wenigstens diese vier Gruppen herausdifferenziert zu haben, scheint uns besonders deshalb yon Bedeutung, weft durch die Einblicke, die da- dutch gewonnen werden konnten, uns die MSglichkeit gegeben wurde, die Diimmerzust~nde, ja fiberhaupt die psychotischen Erscheinungen bei Epilepsie und anderen tI irnkrankheiten viel zielsicherer als frfiher thera-

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D~mmer- und Verstimmungszust~nde bei Epilepsie 423

peutisch anzugehen. Es sei deshalb hier noch auf die Therapie der Ddm. merzustdnde eingegangen.

Bei den postparoxysmalen D~mmerzust~nden erfibrigt sich allerdings eine Behandlung, da sie ohnehin, wenigstens nach unseren Erfahrungen, immer in nfitzlicher Frist abklingen.

Die Patienten mit Peti t Mal-Status wird man mit Oxazolidin-Dionen und Succinimiden behandeln. Viel schwieriger ist die Unterbrechung eines Pet i t Mal-Status, wenn er einmal ausgebrochen ist. Trotz aller neuer Medikamente bleibt das fiir uns immer noch ein ungel6stes Problem. Meist ging es uns bisher so, dab der Zustand schlieBlich abgeklungen war, ohne dab wit den Eindruck gewonnen hatten, wesentliches zur Unter- brechung beigetragen zu haben. Manchmal gelingt das aber einfach da- durch, dab man den Patienten zwingt, eine Geschichte zu lesen und nachzuerz~hlen.

Nfitzlich sind uns die gewonnenen Einsichten hingegen ganz wesentlich bei der Behandlung der produktiv-psychotischen und der D~mmerzu- st~nde organischer Pri~gung geworden.

Bei den produktiv-psychotischen D~mmerzust~nden mit forcierter Normalisierung wird man, mit aller Vorsicht, die antikonvulsiven Medi- kamente herab- oder ganz aussetzen und evtl. Neuroplegika hinzugeben oder mit dem Rest der Antikonvulsiva kombinieren. Ausschlaggebend ffir den Erfolg ist dann die Kuns t richtiger Dosierung und Kombinat ion der Mittel. Dabei ist zu beachten, dal3 es oft lange geht, bis die forcierte Normalisierung sich 15st oder durchbrochen werden kann bzw. auch bis der antikonvulsive Effekt der Medikamente erloschen ist. Pharmakolo- gisch ist das ja durchaus verstiindlich (s. im fibrigen dazu auch C~RISTZA~ 1962).

Nie kann in diesem Zusammenhang genug betont werden, daI~ es widersinnig und falsch ist, Erregungs- und D~mmerzust~nde dieser Art mit antikonvulsiv wirkenden Medikamenten bekhmpfen zu wollen. Man verschlimmert sie damit nur, und das war schon bekannt, bevor man vom E E G iiberhaupt etwas wuBte.

Aber auch auf eine andere Besonderheit mSchten wir dabei hinweisen. Wir beschiftigen uns nun mehr oder weniger intensiv seit fiber 12 Jahren mit solchen Problemen. Dabei iiberwogen in den ersten Jahren die cortical-fokalen Epilepsien unter denjenigen, die zu D~mmerzust£nden geffihrt hatten. Sparer verschob sich das Verh~ltnis aber gegen die generalisierten Epilepsien. Und das ging deutlich mit den Fortschrit ten in der Behandlung des Peti t Mal einher. Als wir 1954 die Succinimide bei uns einfiihrten, yon denen ja heute das Zarontin oder Suxinutin allgemein bekannt ist, da stiegen zugleich auch die F~lle yon forcierter Normalisierung bzw. die produktiv-psychotischen D~mmerzust inde beim Petit Mal. Je wirksamer dessen Behandlung wurde, um so h~ufiger sahen

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424 H. LANDOLT :

wir aueh D/~mmerzust/~nde bei dieser Form. I m Anfang war der Fall von CHR~STIA~ (1956) Yon Halluzinose mit forcierter Normalisierung bei einer generalisierten Epilepsie auch ffir uns eine Seltenheit. Zuerst dach- ten wir ja sogar, D/~mmerzust/£nde k/~men nur bei cortical-fokalen Epi- lepsien vor, und zwar vor allem bei den Temporallappenepilepsien (s. dazu aueh CHRISTIAN 1962).

GewiI~ bestehen nach unseren Gruppenuntersuchungen noch heute Anhaltspunkte dafiir, dab die multifokalen Epilepsien besonders zu

- - ISeC

Abb. 1. Siebenj~hriger Jungc . Therapieres is tenter Dfi, m m e r z u s t a n d

D/~mmerzust/~nden ne igen - - spontan oder infolge der Behandlung. Heute kommen wir aber mehr und mehr zur Auffassung, dab der Behandlung der Epilepsie iiberhaupt Grenzen gesetzt sind, indem die Penetranz oder Rasanz der antikonvulsiven Wirkung einiger neuer Medikamente uns nur mehr und mehr bei gewissen F/~llen vor die Alternative stellt: Geistes- krankheit oder Epilepsie, Anf/~lle oder Verriicktheit. Und natiirlich ist es noch immer besser, epileptische Anf/~lle zu haben als geisteskrank zu sein.

Der Behandlung der Epflepsie ist mit anderen Worte bei manehen F/£11en ein gewisser Plafond gesetzt, jedenfalls bei den heutigen MSglieh- keiten; ein Plafond, der dann weder dureh ~qeuroplegika noch Anti- konvulsiva, noeh durch die geschiekteste Kombination beider Mittel durch- brochen werden kann.

Die D/~mmerzust/~nde organiseher PrKgung miissen aber noch viel differenzierter behandelt werden. Die durch medikamentSse l~berdosie- rung entstandenen erfordern ein ad/~quates Herabsetzen der Dosis, w/£h- rend bei der Restgruppe unter Umst£nden gerade gegenteilige Mal~- nahmen oder solche ganz anderer Art notwendig sind.

Aber wenn wir auch froh sind, Richtlinien gewonnen zu haben, um zielsieherer den Patienten helfen zu k5nnen, so heil~t das durchaus nicht,

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D~mmer- und Verstimmungszust~nde bei Epilepsie 425

dab diese Richt l in ien sich immer bew/~hren. U n d mi t einem solchen Fal l soll das Kapi te l fiber die D/ immerzustande abgeschlossen werden.

Es handelt sieh um einen siebenjahrigen Jungen, der im Alter yon 3 Jahren an einer Epilepsie mit atonischen und tonisch-ldonischen Anfallen erkrankte. Die Eltern berichten, dab er nicht ,,normal" sei, wenn er keine Anfalle habe. Beim Eintritt in unser Institut ist er desorientiert, erkenn~ seine EItern nieht mehr, ist grundlos weinerlich, lacht manehmal und seheinbar ganz unmo$ivier% ist mutistisch, wirkt wie verstSrt und verwirrt und scheint doch hellwaeh, fast hypervigil und aufmerksam, aber auf eine eigentiimliche, schwer beschreibliche Art. Trotz aller therapeutischer Versuche bleibt dieser Zustand w~ihrend des ganzen Aufenthaltes

oP I oz ! ~

l~ec

Abb. 2. Der gleiche Pa t ien t . Der D ~ m m e r z u s t a n d , der t ro tz aller theraPeut i seher Versuehe wei te rbes tenden ha t te , ist ve r sehwunden . Die Elf~rn haben die versehr iebenen ~v[edikamente abgesetz t . I m E E G noch Ausbrfiche ~on Spikes w~hrend des Schlafes, sonst ann~he rnd

no rma l

bei uns bestehen. Das EEG ist schwer veri~ndert (Abb. 1). Nach Hause zuriick- gekehrt, setzen die Eltern alle Medikamente ab. Es treten in 10 Monaten zwei bis drei Anf~lle auf, der psychische Zustand normalisiert sich so, dab der Junge sogar die Schu]e besuchen kann (was ganz unmSglieh schien). Das EEG zeigt jetzt nur noeh ganz selten Ausbriiche yon Spikes im Sehlaf und ist sonst normal (Abb. 2).

Es fifllt natfirl ich schwer, diesen Fal l un t e r die vier Gruppen yon D/immerzust/~nden einzuordnen. Sehr wahrscheinlich gehSrt or auch n icht zu den Fal len yon , ,epileptoiden Psychopa then" , die wir anderswo be- schrieben haben (LANDOLT 1960, S. 80), obwohl auch da uns kein Mittel je genfitzt hat.

U n d dami t mOchten wir zur Besprechung der epileptischen Verstim- mungen i ibergehen.

Auf den ersten ]}lick schein~ das Gebiet viel einfacher. Es t r i ~ sozu- sagen immer eine forcierte Normal is ierung auf. Bisher haben wir hie gegenteflige Befunde erheben k6nnen - - es sei denn natfirlich, das E E G sei schon vorher normal gewesen - - , u n d SCHO~SOH U. V. I - I E D E N S T R O M

haben das ffir die pr/~paroxysmalen Vers t immungszust i inde durchaus

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426 H. LANDOLT:

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A b b . 3a . D e r P a t i e n ~ i s t p s y c h i s c h u n a u f f g l l i g

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A b b . 3 b . B e g i n n des p s y c h o t i s c h e n S c h u b e s

15 9C ~ - - . . . . . .

A b b . 3c . ~V&hrend des p s y c h o t i s o h e n S c h u b e s f o r c i e r t e ~ o r m a l i s i e r u n g . D e r ~ - R h y t t u r t u s b l o c k i e r t u u f A u g e n b f f n e n u n d e r s c h e i n t be i Auge I l s ch l i eBen w i e d e r

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D~mmer- und Verstimmungszust~nde bei Epilepsie 427

l i

. .

n ~Senc ~ n n r l n n n

Abb. 3d. Der Pa t i e n t ist n icht m e h r koope ra t iv nnd hal t , bSse bliekend, die Augen geSffnet

l s ec ~ n n n ~ n n n . - -

Abb. 3e. Ende der forcier ten l~ormalisierung. P a t i e n t ist wieder psyehiseh unaufffi, Uig, im E E G wieder tr&ge, f ronta l be ton te D y s r h y t h m i e u n d steile Abl~ufe

best/~tigen kSnnen. Wir mSchten dazu nur bemerken, dal3 es auch pr/~- und postmorbide Verstimmungen gibt, ferner dal3 die Verstimmungszust/~nde w/~hrend des Leidens durchaus nicht immer pr~paroxysmal sein miissen, auch wenn in einzelnen F~llen ein Anfall manchmal daran vorausgesagt werden kann. Und schllei31ich, dab die Verstimmungen unseres Erachtens eher Korrelate der Abwehrkr~fte gegen die Epilepsie als Vorboten eines Anfalles sind. Der Anfall t r i t t dann auf, wenn die Verstimmung sich plStzlich 15st, und nicht well sie, etwa wie eine Aura mit ihrer Suppres- sion, schon zum Anfallsablauf gehSrt. Man kann freilich dariiber ver- schiedener Meinung sein, denn wir haben keinen konkreten Beweis fiir diese Vermutung. Ebensowenig bewiesen ist aber, da~ der a-Rhythmus in diesem Falle dureh Krampfpotentiale zustande komme, wie schon behauptet wurde.

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428 H. LANDOLT:

In diesem Zusammenhang sei ein Fall erw~hnt, der uns erlaubte, einen psychotischen Schub mit forcierter Normalisierung yon der Dauer yon 90 sec im EEG kontinuierlich zu registrieren (Abb. 3 a--e). Es mul3 dabei often bleiben, ob es sich um eine Verstimmung oder einen kurzen produktiv-psychotischen Di~mmerzustand gehandelt hat.

Ein 14jiihriger Junge litt seit dem 9. Lebensjahr an epileptischen Anf~llen und raptusartigen Verstimmungen, w~hrend welchen er unsinnige Handlungen be- ging, wie z. B. auf Tische zu steigen oder zu versuchen, sich aus dem Fenster zu werfen. Eine Motivierung (auch im Sinne yon I-lalluzinationen und Wahnvorstel- lungen w~hrend des Zustandes) war nicht zu erhalten, obwohl der Knabe intelligent und durchaus kooperativ war. Der Erfolg einer Behandlung mit Chlorpromazin (gegen die psychotischen Zust~nde) und geringen Dosen yon Antikonvulsiva (gegen die Epilepsie) war £rappant und vor allem auch dauerhaft (es liegen jetzt 2 Jahre zuriiek).

Wenn aber die Elektrencephalographie der Verstimmungen auch so einfach scheint, dab man einfach sagen k6nnte, sie sei die Domiine der forcierten Normalisierung, so ist doch gerade dieses Gebiet dasjenige, das uns am meisten zu denken aufgibt. Gerade diese Beobachtungen scheinen die interessantesten Einblicke in das Verh~ltnis zwischen Hirnfunktion und Psyche zu gewhhren, und zwar nicht nur in psychiatrischer, sondern auch in normal-psychologischer Hinsicht. Wir mSchten hier aber nicht n~her darauf eingehen und nichts fiber solche Begriffe sagen, wie die der unentwirrbaren Wechselbeziehungen, des psycho-physischen Gleichge- wichtes und der biologischen Kausaliti~tsform, die wir uns ja eigentlich nut ad usum proprium, in der Hoffnung, damit weiterzufinden auf diesem schwierigen Gebiet, zurechtgelegt haben.

Zusammenfassung Im ersten Abschnitt der Arbeit wird die Stellung der psychotischen

Episoden (Verstimmungs- und D/~mmerzust~nde) unter den Erschei- nungsformen der Epilepsie, also vor allem den paroxysmalen und den chronischen St6rungen besprochen.

Elektrencephalographische Verlaufsuntersuchungen wi~hrend epilep- tischer D~mmerzust~nde haben erlaubt, vier psychopathologisch und elektrencephalographisch gut abgegrenzte Gruppen zu unterscheiden, n/~mlich den postparoxysmaten D~mmerzustand mit globaler Bewu[3t- seinsverminderung und Primitivreaktionen; den Petit Mal-Status mit Spike and Wave Komplexen im EEG und einem stupor6sen Zustand mit weiteren Symptomen organischer Pr~gung; die I)~mmerzusti~nde organi- scher Pr~gung anderer als der genannten Art mit den bekannten psycho- organischen Symptomen, und schlie~lich den produktiv-psychotischen D~mmerzustand mit forcierter Normalisierung und Halluzinationen, Illusionen, Wahnideen und ~hnlichen psychotischen Symptomen. Nach der Beschreibung dieser vier Formen und der Erwiihnung von Ausnahmen

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D~mmer- und Verstimmungszusti~nde bci Epilepsie 429

aus der L i te ra tu r und der eigenen Erfahrung, wird die Therapie der vier Typen yon D/~mmerzust/~nden erlautert . I n einem letzten Absehn i t t gehen wir kurz auf die Elektrencephalographie der epileptisehen Ver- s t i m m u n g e n ein.

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