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AKTUELLE MEDIZIN KONGRESSBERICHTE Verdacht auf Krampfanfall Die Diagnostik ist ein Indizienprozess k k Die Epilepsie ist eine häufige Erkrankung von besonderer biopsychosozialer Relevanz. Die Diagnosestellung ist nicht immer einfach, sie gleicht einem Puzzle. Entscheidend ist die Anamnese bzw. die Fremdanamnese. Der Thera- pieerfolg ist erfreulicherweise relativ hoch. - Mit einer Lebenszeitprävalenz von 510% sind einmalige epileptische An- fälle ein häufiges Phänomen. 8 von 1000 Personen leiden an einer Epilepsie. Be- sonders häufig betroffen sind Kinder bis zehn Jahre und Erwachsene ab dem 60. Lebensjahr. Entscheidend ist die Anamnese Die Diagnosestellung ist nicht immer ein- fach. „Sie ähnelt einem Indizienprozess oder einem Puzzle“, sagte Priv.-Doz. Dr. Stephan Rüegg vom Universitätsspital Ba- sel. Am wichtigsten ist die Anam t t nese bzw. die genaue Schilderung des Anfallgesche- hens im Rahmen der Fremdanamnese. Bei einem erstmaligen Ereignis sollte zunächst eine gründliche neurologische Untersu- chung erfolgen, außerdem ein EKG abge- leitet und einige Laboruntersuchungen (Blutzucker, Elektrolyte, Drogenscree- ning) veranlasst werden. „Wenn keine Kopfverletzung besteht und der Patient nicht unter einer Antikoagulation steht, ist ein CT nicht erforderlich, das ist eine un- nötige Strahlenbelastung“, betonte Rüegg. Als weitere Untersuchungen nach einem vermuteten Krampfanfall empfehlen sich ein ambulantes EEG innerhalb von 714 Tagen. „Ein MRT ist erst nach dem EEG sinnvoll, da dieses evtl. einen Fokus zeigt, nach dem dann im MRT gezielt gesucht werden kann“, so Rüegg. Wann behandeln? Ob bereits nach dem ersten Anfall behan- delt werden soll, muss individuell ent- schieden werden. Für eine erapie spre- chen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis des Patienten beim Autofahren, Beruf oder Sport, ein Erstanfall mit gravierenden Fol- gen, eine bekannte Ursache (Tumor, Schlaganfall, degenerative Erkrankung), ein generalisierter tonisch-klonischer An- fall oder ein pathologisches EEG bzw. neu- rologische Ausfälle. erapeutische Zu- rückhaltung dagegen ist angezeigt bei ei- nem durch Alkohol, Drogen, Intoxikation oder Schlafmangel induzierten Anfall, bei einem Anfall im Schlaf, einem partiellen Anfall oder einem unauffälligen EEG bzw. neurologischen Status. Neue oder alte Antikonvulsiva? Ein epileptischer Anfall benötigt meist keine Akutbehandlung, d. h. die Epilep- siebehandlung ist in der Regel eine Re- zidivprophylaxe. Grundsätzlich ist eine Epilepsie gut behandelbar, 75% der Be- troffenen werden anfallsfrei. In den letz- ten Jahren wurde eine Reihe neuer An- tikonvulsiva auf den Markt gebracht. „Alte und neue Medikamente sind zwar gleich wirksam, aber die neuen verursa- chen weniger Nebenwirkungen und In- teraktionen“, so Rüegg. Bei einem pri- mär generalisierten Anfall sind Valproat, Lamotrigin und Levetiracetam die Mit- tel der Wahl, bei fokalen Anfällen Lamo- trigin, Levetiracetam und Oxcarbazepin. Eine solche Medikation erfordert je nach Substanz regelmäßige Laborkontrollen (Blutbild, Leberwerte, Nierenwerte). Die Frage, ob Generika gleich wirk- sam sind und deshalb ohne Bedenken eingesetzt werden können, muss differen- ziert beantwortet werden. „Bei einer Neu- einstellung oder bei einer Behandlung ei- ner bisher therapieresistenten Epilepsie ist der Einsatz von Generika problemlos, bei bisher gut behandelten Patienten soll- te jedoch kein Präparatewechsel erfolgen“, lautet die Empfehlung von Rüegg. t t Besondere Vorsicht ist bei älteren Men- schen wegen des erhöhten Verletzungsri- sikos bei einem Anfall geboten. Schon nach dem ersten Anfall haben diese Pati- enten ein Rezidivrisiko von über 90%, wenn sie nicht behandelt werden. Deshalb sollte bei Älteren die antiepilepische e- rapie keinesfalls beendet werden, auch wenn sie über einige Jahre anfallsfrei wa- ren. „Im Alter wird das Gehirn nicht ge- sünder“, so Rüegg. sti Quelle: medArt Basel, 25.6.2014 © mujdatuzel / iStockphoto Was verraten die Hirnströme? Patient mit Krampfanfall Trotz Epilepsie ans Steuer? Diese Frage stellt sich bei jedem Pati- enten mit einem Krampfanfall. „Bei dem ersten provozierten Anfall ist die Fahreignung mindestens zwei Mona- te, beim ersten unprovozierten Anfall sogar mindestens sechs Monate auf- gehoben“, so Rüegg. Nach einem 2. Anfall sollte der Betroffenen mindes- tens ein Jahr kein Auto lenken. Um die Fahrerlaubnis wieder zu erhalten, sind jährliche neurologische Kontrol- len erforderlich, wobei evtl. auch Spiegel-Bestimmungen durchge- führt werden sollten, um die Adhä- renz bzgl. der antikonvulsiven Thera- pie beurteilen zu können. MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (14) 31

Die Diagnostik ist ein Indizienprozess

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AKTUELLE MEDIZIN_KONGRESSBERICHTE

Verdacht auf Krampfanfall

Die Diagnostik ist ein Indizienprozesstik ist ein IndizienprozesstikDie Epilepsie ist eine häu� ge Erkrankung von besonderer biopsychosozialer Relevanz. Die Diagnosestellung ist nicht immer einfach, sie gleicht einem Puzzle. Entscheidend ist die Anamnese bzw. die Fremdanamnese. Der Thera-pieerfolg ist erfreulicherweise relativ hoch.

−Mit einer Lebenszeitprävalenz von 5–10% sind einmalige epileptische An-fälle ein häu� ges Phänomen. 8 von 1000 Personen leiden an einer Epilepsie. Be-sonders häu� g betro� en sind Kinder bis zehn Jahre und Erwachsene ab dem 60. Lebensjahr.

Entscheidend ist die AnamneseDie Diagnosestellung ist nicht immer ein-fach. „Sie ähnelt einem Indizienprozess oder einem Puzzle“, sagte Priv.-Doz. Dr. Stephan Rüegg vom Universitätsspital Ba-sel. Am wichtigsten ist die Anamist die Anamist nese bzw. die genaue Schilderung des Anfallgesche-hens im Rahmen der Fremdanamnese. Bei einem erstmaligen Ereignis sollte zunächst eine gründliche neurologische Untersu-chung erfolgen, außerdem ein EKG abge-leitet und einige Laboruntersuchungen (Blutzucker, Elektrolyte, Drogenscree-ning) veranlasst werden. „Wenn keine Kopfverletzung besteht und der Patient nicht unter einer Antikoagulation steht, ist ein CT nicht erforderlich, das ist eine un-

nötige Strahlenbelastung“, betonte Rüegg.Als weitere Untersuchungen nach einem vermuteten Krampfanfall empfehlen sich ein ambulantes EEG innerhalb von 7–14 Tagen. „Ein MRT ist erst nach dem EEG sinnvoll, da dieses evtl. einen Fokus zeigt, nach dem dann im MRT gezielt gesucht werden kann“, so Rüegg.

Wann behandeln?Ob bereits nach dem ersten Anfall behan-delt werden soll, muss individuell ent-schieden werden. Für eine � erapie spre-chen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis des Patienten beim Autofahren, Beruf oder Sport, ein Erstanfall mit gravierenden Fol-gen, eine bekannte Ursache (Tumor, Schlaganfall, degenerative Erkrankung), ein generalisierter tonisch-klonischer An-fall oder ein pathologisches EEG bzw. neu-rologische Ausfälle. � erapeutische Zu-rückhaltung dagegen ist angezeigt bei ei-nem durch Alkohol, Drogen, Intoxikation oder Schlafmangel induzierten Anfall, bei einem Anfall im Schlaf, einem partiellen Anfall oder einem unau� älligen EEG bzw. neurologischen Status.

Neue oder alte Antikonvulsiva?Ein epileptischer Anfall benötigt meist keine Akutbehandlung, d. h. die Epilep-siebehandlung ist in der Regel eine Re-zidivprophylaxe. Grundsätzlich ist eineEpilepsie gut behandelbar, 75% der Be-tro� enen werden anfallsfrei. In den letz-ten Jahren wurde eine Reihe neuer An-tikonvulsiva auf den Markt gebracht.

„Alte und neue Medikamente sind zwar gleich wirksam, aber die neuen verursa-chen weniger Nebenwirkungen und In-teraktionen“, so Rüegg. Bei einem pri-mär generalisierten Anfall sind Valproat, Lamotrigin und Levetiracetam die Mit-tel der Wahl, bei fokalen Anfällen Lamo-

trigin, Levetiracetam und Oxcarbazepin. Eine solche Medikation erfordert je nachSubstanz regelmäßige Laborkontrollen (Blutbild, Leberwerte, Nierenwerte).

Die Frage, ob Generika gleich wirk-sam sind und deshalb ohne Bedenken eingesetzt werden können, muss di� eren-ziert beantwortet werden. „Bei einer Neu-einstellung oder bei einer Behandlung ei-ner bisher therapieresistenten Epilepsie ist der Einsatz von Generika problemlos, bei bisher gut behandelten Patienten soll-te jedoch kein Präparatewechsel erfolgen“, lautet die Empfehlung von Rüegg.lautet die Empfehlung von Rüegg.lautet

Besondere Vorsicht ist bei älteren Men-schen wegen des erhöhten Verletzungsri-sikos bei einem Anfall geboten. Schon nach dem ersten Anfall haben diese Pati-enten ein Rezidivrisiko von über 90%, wenn sie nicht behandelt werden. Deshalb sollte bei Älteren die antiepilepische � e-rapie keinesfalls beendet werden, auch wenn sie über einige Jahre anfallsfrei wa-ren. „Im Alter wird das Gehirn nicht ge-sünder“, so Rüegg. sti ■

■ Quelle: medArt Basel, 25.6.2014

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Was verraten die Hirnströme?

Patient mit Krampfanfall

Trotz Epilepsie ans Steuer?

Diese Frage stellt sich bei jedem Pati-enten mit einem Krampfanfall. „Bei dem ersten provozierten Anfall ist die Fahreignung mindestens zwei Mona-te, beim ersten unprovozierten Anfall sogar mindestens sechs Monate auf-gehoben“, so Rüegg. Nach einem 2. Anfall sollte der Betro� enen mindes-tens ein Jahr kein Auto lenken. Um die Fahrerlaubnis wieder zu erhalten, sind jährliche neurologische Kontrol-len erforderlich, wobei evtl. auch Spiegel-Bestimmungen durchge-führt werden sollten, um die Adhä-renz bzgl. der antikonvulsiven Thera-pie beurteilen zu können.

MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (14) 31