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Die Diskussion des status prelationis im Gutachten De paupertate Christi et apostolorumdes Durandus von St. Pourçain Christoph Burdich

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Die Diskussion des status prelationis

im Gutachten

‚De paupertate Christi et apostolorum‘

des Durandus von St. Pourçain

Christoph Burdich

Die Diskussion des status prelationis

im Gutachten ‚De paupertate Christi et apostolorum‘

des Durandus von St. Pourçain

Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten

Staatsprüfung, dem Landesprüfungsamt für Erste

Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen vorgelegt

von:

Christoph Burdich

Köln, den 9.3.2015

Prof. Dr. Karl Ubl

Universität zu Köln

Historisches Institut

Abteilung für Mittelalterliche Geschichte

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 3

I Die Vollkommenheit des status prelationis 10

I.1 Der status prelationis als status perfectionis 10

I.2 Die Vollkommenheit des status prelationis im Vergleich

zur Vollkommenheit des status religionis 16

II Der Besitz des status prelationis – eine Legitimation 26

III Rekurs auf den Prälatenstand in den Argumenten gegen das

franziskanische Konzept apostolischer Armut 33

IV Vergleich zwischen Durandus‘ Standpunkt und den Positionen

anderer Autoren zum status prelationis in der Debatte über die

apostolische Armut (1322/23) 41

V Vergleich zwischen der Position zum status prelatorum et rectorum

in Durandus‘ Sentenzenkommentar und der Argumentation in

De paupertate Christi et apostolorum 54

Fazit 63

Quellen- und Literaturverzeichnis 69

1. Abkürzungen 69

2. Quellen 69 a) Handschriften 69 b) Gedruckte Quellen 69

3. Literatur 71

Erklärung zum Verfassen der Arbeit 76

3

Einleitung

Als falsch und als Wurzel eines überaus gefährlichen Irrtums bezeichnet der

dominikanische Theologe Durandus von St. Pourçain (1270/75-1334)1 in seinem

Gutachten ‚De paupertate Christi et Apostolorum‘ die Ansicht, Christus und die Apostel

hätten nichts persönlich oder in Gemeinschaft besessen, sondern nur einen usus facti,

einen faktischen Gebrauch von alltäglichen Dingen wie Nahrungsmitteln, Kleidung

und Geld, gehabt.2 Ein solches Verständnis der apostolischen Armut sei nämlich der

Grund, warum einige nicht näher genannte Personen bestreiten, dass der Papst und

die Prälaten dem Vorbild der Apostel folgen. Dadurch werde den Inhabern

kirchlicher Autorität und Amtsgewalt die Grundlage ihrer Legitimität entzogen. Weil

Durandus, zum damaligen Zeitpunkt selbst Bischof von Le Puy-en-Velay, aber

keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kirchenführung hat, dient ihm der

Prälatenstand, zu dem er auch den Papst zählt, als Einwand gegen die These, Christus

und die Apostel hätten auf jeglichen Besitz verzichtet und lediglich einen usus facti

ausgeübt.3

Das Gutachten ‚De paupertate Christi et Apostolorum‘ entstand im Kontext des

sogenannten ‚Theoretischen Armutsstreits‘, der in den Zwanziger- und

Dreißigerjahren des 14. Jahrhunderts über die Frage geführt wurde, ob Jesus und die

Apostel keinerlei persönlichen oder kollektiven Besitz gehabt hatten.4 Die Minoriten

waren von der totalen Besitzlosigkeit Christi und der Apostel überzeugt.5 Sie

1 Überblick über Durandus‘ Leben geben beispielsweise Joseph Koch: Durandus de S. Porciano.

Forschungen zum Streit um Thomas von Aquin zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Erster Teil: Literaturgeschichtliche Grundlegung (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen 26), Münster i. W. 1927, S. 396-436 und Isabel Iribarren: Durandus of St Pourçain. A Dominican Theologian in the Shadow of Aquinas, Oxford 2005, S. 1-9.

2 Durandus von St. Pourçain: De paupertate Christi et apostolorum, q. 1 (ed. Miethke (1993), S. 183): „Dicere autem quod in hiis, que habuerunt, non habuerunt nisi solum usum facti et nihil dominii seu proprietatis, non est adeo clare hereticum, quia scriptura sacra de hoc non loquitur pro vel contra. Puto tamen quod sit falsum et radix erroris periculosissimi, qui apud aliquos insurrexerit, videlicet quod potestas et auctoritas ecclesie, quam Christus commisit Petro et apostolis non manet apud papam nec apud prelatos pro eo, quod non sunt succesores (sic!) eorum, quia, ut dicunt, non imitantur vitam Christi et apostolorum nihil habendo in proprio vel communi.“

3 Ulrich Horst: Evangelische Armut und Kirche. Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, NF 1), Berlin 1992, S. 209f.; ders.: Evangelische Armut und päpstliches Lehramt: Minoritentheologen im Konflikt mit Papst Johannes XXII. (1316-34)(Münchener Kirchenhistorische Studien 8), München 1996, S. 130.

4 Für einen Überblick über den ‚theoretischen Armutsstreit‘ siehe Jürgen Miethke: Der „theoretische Armutstreit“ im 14. Jahrhundert. Papst und Franziskanerorden im Konflikt um die Armut, in: Heinz-Dieter Heimann [u.a.](Hgg.): Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn [u.a.] 2012, S. 243-284.

5 Ebd., S. 267; Jens Röhrkasten: Theorie und Praxis der Armut im mittelalterlichen Franziskanerorden, in: Heinz-Dieter Heimann [u.a.](Hgg.): Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn [u.a.] 2012, S. 347-366, bes. S. 347f. u. 350.

4

vertraten damit diejenige Position, die aus Durandus‘ Sicht wegen ihrer gefährlichen

ekklesiologischen Konsequenzen abzulehnen ist.6 Sich selbst sah der

Franziskanerorden als Gemeinschaft, die gemäß dem Beispiel der Apostel auf jegliche

Form von Eigentum (proprietas) oder Besitzrecht (dominium) verzichtet.7 Ihrem eigenen

Verständnis zufolge entsprachen die Minoriten dem apostolischen Vorbild

‚extremster Armut‘ (altissima paupertas), indem sie zeitliche Güter nur im Sinne eines

‚einfachen faktischen Gebrauchs‘ (simplex usus facti) nutzten, ohne sie

eigentumsrechtlich zu besitzen.8 Um den Angehörigen des Minoritenordens ein

Leben in persönlicher und kollektiver Besitzlosigkeit zu ermöglichen, übernahm seit

der Bulle Ordinem vestrum Innozenz‘ IV. von 1254 der Papst stellvertretend das

dominium über die temporalia, die von den Franziskanern genutzt wurden.9 Johannes

XXII. distanzierte sich jedoch anlässlich eines Ketzereiprozesses, in dem 1321 von

einem Inquisitor Zweifel an der Richtigkeit der minoritischen Auffassung von

apostolischer Armut geäußert worden waren, vom Kurs seiner Vorgänger.10 Zunächst

hob der Papst am 26. März 1322 durch seine Dekretale Quia nonnumquam das Verbot

auf, die Bulle Exiit qui seminat (1279) zu kommentieren.11 In Exiit hatte Nikolaus III.

nämlich festgelegt, dass der Verzicht auf persönlichen und gemeinschaftlichen Besitz

durch das Wort und Vorbild Christi als Weg zur Vollkommenheit aufgezeigt worden

sei.12 Um eine endgültige Klärung der Frage nach dem Besitz Christi und der Apostel

herbeizuführen, bat Johannes XXII. im Frühjahr 1322 zahlreiche Bischöfe und

Theologen um eine Antwort auf die Streitfrage.13 Nachdem zunächst im März

6 Vgl. Anm. 3. 7 Janet Coleman: Property and Poverty, in: James Henderson Burns (Hg.): The Cambridge History

of Medieval Political Thought c. 350-c. 1450, Cambridge 1988, S. 607-648, hier S. 635f. 8 Ebd.; Jürgen Miethke: Paradiesischer Zustand – Apostolisches Zeitalter – Franziskanische Armut.

Religiöses Selbstverständnis, Zeitkritik und Gesellschaftstheorie im 14. Jahrhundert, in: Franz J. Felten/Nikolas Jaspert (Hgg.): Vita Religiosa im Mittelalter. FS Kasper Elm (Berliner Historische Studien 31, Ordensstudien XIII), Berlin 1999, S. 501-532, bes. S. 513f. Die Frage, wie eingeschränkt oder freizügig der tatächliche Gebrauch von Gütern gehandhabt werden sollte, war im Franziskanerorden umstritten, wie unter anderem die Debatte beweist, die ungefähr zwischen 1279 und 1318 über den usus pauper geführt wurde; siehe hierzu David Burr: Olivi and the Franciscan Poverty. The Origins of the Usus Pauper Controversy, Philadelphia 1989.

9 Miethke: Paradiesischer Zustand (1999), S. 515. 10 Miethke: Armutsstreit (2012), S. 265f. 11 Malcolm D. Lambert: Franciscan Poverty. The Doctrine of the Absolute Poverty of Christ and the

Apostles in the Franciscan Order 1210-1323, rev. and expand. ed., New York 1998, S. 243f. 12 Ebd., S. 151; Exiit qui seminat, § Porro (Corpus Iuris Canonici 2, ed. Friedberg (1881), Sp. 1112):

„...abdicatio proprietatis huiusmodi omnium rerum non tam in speciali, quam etiam in communi propter Deum meritoria est et sancta, quam et Christus viam perfectionis ostendens, verbo docuit et exemplo firmavit, quamque primi fundatores militantis ecclesie, prout ab ipso fonte hauserant, volentes perfecte vivere, per doctrinae ac vitae exempla in eos derivarunt.“

13 Jürgen Miethke: Das Votum De paupertate Christi et apostolorum des Durandus von Sancto Porciano im theoretischen Armutsstreit. Eine dominikanische Position in der Diskussion um die franziskanische Armut (1322/3), in: Stuart Jenks/Jürgen Sarnowsky/Marie-Luise Laudage (Hgg.): Vera Lux Historiae. Studien zu mittelalterlichen Quellen. FS Dietrich Kurze, Köln 1993, S. 149-196, hier S. 154-158.

5

mündliche Beiträge zu der Debatte vor dem Konsistorium vorgetragen worden

waren, legten viele Experten – darunter auch Durandus als episcopus Aniciensis – auf

päpstlichen Wunsch ihre Positionen in schriftlicher Form dar. Die Abhandlung des

Bischofs aus dem Dominikanerorden und 65 Stellungnahmen anderer Autoren

wurden im Codex Vat. lat. 3740 gesammelt.14 Mit Hilfe dieses Manuskripts

informierte sich der Papst über die Argumente der verschiedenen Gutachter, wie

Marginalien aus der Hand Johannes‘ XXII. belegen.15 Die Randbemerkungen zu

Durandus‘ Votum lassen darauf schließen, dass sich der Papst eingehend mit diesem

Beitrag beschäftigt hat.16

Nach Ansicht Jürgen Miethkes war Johannes XXII. nicht an einer ergebnisoffenen

Diskussion über die Armut Christi und der Apostel interessiert.17 Stattdessen dienten

die Debatte an der Kurie und die theologischen Gutachten der Vorbereitung der

Dekretalen, durch die der Papst das franziskanische Armutskonzept widerlegen

wollte.18 Die Bulle Cum inter nonnullos vom 12. November 1323, in der Johannes XXII.

die franziskanische Armutsauffassung als Häresie deklarierte, bildet Miethke zufolge

den sicheren terminus ante quem für die Entstehung von Durandus‘ Votum.19 Gian

Luca Potestà nimmt zwar an, dass bereits die Promulgation der Dekretale Ad

conditorem canonum (8. Dezember 1322) den Abschluss der Phase markierte, in welcher

der Papst die Gutachter um ihre Meinungen ersuchte.20 Er räumt jedoch ein, dass

auch danach noch Beiträge Eingang in den Codex Vat. lat. 3740 fanden. Der jüngste

Beitrag in der Handschrift wird nämlich auf den Zeitraum zwischen Frühjahr und

Sommer 1323 datiert.21

14 Für eine detaillierte Beschreibung des Codex und eine Auflistung der enthaltenen Texte siehe Louis

Duval-Arnould: Les conseils remis à Jean XXII sur le problème de la pauvreté du Christ et des apôtres (Ms. Vat. lat. 3740), in: Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae III (Studi e Testi 333), Città del Vaticano 1989, S. 121-201.

15 Identifizierung der Handschrift Johannes’ XXII. durch Anneliese Maier: Annotazioni autografe di Giovanni XXII in codici vaticani, in: RSCI 6 (1952), S. 317-332, hier S. 319-322 (danach abgedruckt in: dies.: Ausgehendes Mittelalter. Gesammelte Aufsätze zur Geistesgeschichte des 14. Jahrhunderts, Bd. II (Storia e Letteratura. Raccolta di Studi e Testi 105), Roma 1967, S. 81-96, hier S. 84-86).

16 Ebd.; Horst: Armut und Kirche (1992), S. 207; Miethke: Votum (1993), S. 161, Anm. 50. 17 Miethke: Votum (1993), S. 155. 18 Ebd., S. 157 u. 159. 19 Louis Duval-Arnould: La Constitution „Cum inter nonnullos“ de Jean XXII sur la pauvreté du Christ

et des Apôtres: Rédaction préparatoire et rédaction définitive, in: AFH 77 (1984), S. 406-420, hier S. 419f.

20 Gian Luca Potestà: Ubertino da Casale e la altissima paupertas, tra Giovanni XXII e Ludovico il Bavaro, in: Oliviana (online) 4 (2012) <URL: http://oliviana.revues.org/471> (abgerufen am 18.02.2015), §9. Potestà bezieht sich hier auf die erste Fassung der Bulle.

21 Louis Duval-Arnould: Élaboration d’un document pontifical: les travaux préparatoires à la constitution apostolique Cum inter nonnullos (12 novembre 1323), in: Aux origines de l’état moderne. Le fonctionnement administratif de la papauté d’Avignon. Actes de la table ronde d’Avignon, 23-24 janvier 1988, Roma 1990, S. 385-409, hier S. 401, bes. Anm. 47; Potestà: Ubertino (2012), §10, Anm. 15.

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Das eingangs zitierte Argument des Durandus, dass Christus und die Apostel über

gemeinschaftliche Habe verfügten, weil andernfalls die Autorität der Prälaten infrage

gestellt würde, folgt einem Muster, das in der damaligen Auseinandersetzung

verbreitet war. Wie Andrea Tabarroni aufzeigt, zogen die verschiedenen

Konfliktparteien in der Debatte vielfach von einer zeitgenössischen Lebensform, die

sie als Realisierung des apostolischen Ideals betrachteten, Rückschlüsse auf Jesus und

seine Begleiter.22 Im Zuge einer argumentativen ‚Inversion‘ wurden die

unterschiedlichen zeitgenössischen Konzepte einer Apostelnachfolge gewissermaßen

zu ‚Vorbildern ihres Vorbildes‘.23

Der Stand der Prälaten fungiert im Gutachten des Durandus nicht nur als Beleg

dafür, dass Christus und die Apostel gemeinschaftlich etwas besaßen. Im zweiten Teil

von De paupertate Christi et apostolorum setzt sich der dominikanische Autor mit der

Frage auseinander, ob der Verzicht auf jeglichen persönlichen und

gemeinschaftlichen Besitz einen höheren Grad an Vollkommenheit konstituiere als

jede andere Lebensform. Eine zentrale Stellung nimmt dabei der Beweis ein, dass

religiöse Orden durch keine Form der Armut die Vollkommenheit des status

prelationis24 erreichen können. Durandus‘ Argumentation wurde in groben Zügen

bereits von Ulrich Horst skizziert.25 Es fehlt jedoch bislang eine ausführliche Analyse

der Position, die der Bischof von Le Puy in seinem Votum zum Prälatenstand

einnimmt.

Eine solche Untersuchung des status prelationis im Gutachten De paupertate Christi et

apostolorum ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Für diese Studie wird einerseits analysiert,

wie Durandus die Vollkommenheit des Prälatenstandes beweist (Kapitel I.2) und

dessen Besitz legitimiert (Kapitel II). Andererseits ist herauszuarbeiten, inwiefern der

Autor auf den status prelationis rekurriert, um dadurch franziskanische Argumente zu

entkräften (Kapitel III). Zuvor muss jedoch geklärt werden, was in dem Votum unter

dem status prelationis zu verstehen ist (Kapitel I.1). Die Analyse von Durandus‘

Standpunkt wird durch die ideengeschichtliche Fragestellung begleitet, inwiefern der

Autor Argumente nutzte, die zuvor schon in anderen historischen Kontexten

verwendet worden waren. Horst stellte bereits fest, dass sich das Gutachten eng an

22 Andrea Tabarroni: Paupertas Christi et Apostolorum. L’ideale francescano in discussione (1322-

1324)(Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, Nuovi Studi Storici 5), Roma 1990, S. 42, Anm. 48 u. S. 51, Anm. 65.

23 Ebd. 24 Für lateinische Termini wird nach Möglichkeit die Schreibweise der jeweils zitierten Quelle

beibehalten. Im Folgenden ist daher beispielsweise je nach Autor vom status prelationis oder vom status praelationis die Rede.

25 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210.

7

der Vollkommenheitslehre und Ekklesiologie des Thomas von Aquin orientiert.26

Auch Jürgen Miethke bemerkt, dass der Bischof von Le Puy in seinem Votum auf

Argumente zurückgriff, die Thomas in seinen Auseinandersetzungen mit Autoren aus

dem Weltklerus und aus dem Minoritenorden gebraucht hatte.27 Welche Parallelen

zwischen Durandus‘ Standpunkt zum status prelationis und Thomas‘ Schriften

bestehen, wurde aber bislang noch nicht im Detail aufgezeigt.

Tabarroni betont, dass die Kritik an den minoritischen Armutskonzeptionen um 1322

in der Tradition weltgeistlicher Polemik stand, die sich seit Mitte des 13. Jahrhunderts

gegen die Bettelorden und besonders gegen die Franziskaner richtete.28 Die

Berührungspunkte zwischen den Positionen, die Autoren aus dem Weltklerus

unterstützten, und Durandus‘ Argumentation zum status prelationis sind jedoch bis jetzt

nicht hinreichend erforscht. In die hier angestrebte Untersuchung werden diejenigen

Quästionen aus den Quodlibeta der Weltgeistlichen Heinrich von Gent und Gottfried

von Fontaines einbezogen, die sich mit der Vollkommenheit des Prälatenstandes

befassen.

Die Studie erhebt nicht den Anspruch, alle Quellen zu ermitteln, die der Bischof von

Le Puy für die Anfertigung seines Votums nutzte.29 Stattdessen sollen durch die

Identifikation argumentativer Ähnlichkeiten ideengeschichtliche Kontinuitäten

sichtbar werden. Zugleich ist bei der Suche nach Parallelen aber zu berücksichtigen,

dass sich sowohl Thomas als auch Heinrich und Gottfried jeweils in einer

historischen Situation zum status praelationis äußerten, die sich deutlich vom

Entstehungskontext des Gutachtens De paupertate Christi et apostolorum unterschied.

Thomas und die beiden genannten Weltgeistlichen entwickelten ihre Positionen zum

Prälatenstand unter dem Eindruck des Konfliktes zwischen Mendikanten und

Weltklerus, der ab dem Pariser Bettelordenstreit (ab 1252) in einer Serie von

Auseinandersetzungen ausgetragen wurde.30 Gegenstand des Streites, der in einer

Vielzahl von Streitschriften, Traktaten und Quästionen seinen Niederschlag fand,

waren zunächst die Pastoralprivilegien der Bettelorden und deren Status an der

26 Ebd. 27 Miethke: Votum (1993), S. 161. 28 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 31. 29 Interessant wäre beispielsweise ein Vergleich zwischen Durandus‘ Text und den Quodlibeta des

Weltgeistlichen Jean de Pouilly. Eine solche Gegenüberstellung kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht vorgenommen werden, da die relevanten Quästionen aus dem Werk des Jean de Pouilly noch nicht ediert sind.

30 Eine knappe Zusammenfassung des Streitverlaufs im 13. Jahrhundert bietet Clifford Hugh Lawrence: The Friars. The Impact of the Early Mendicant Movement on Western Society, London – New York 1994, S. 152-161. Für einen chronologischen Überblick über bedeutende Quellen zu dem Konflikt siehe Yves M.-J. Congar: Aspects ecclésiologiques de la querelle entre mendiants et séculiers dans la seconde moitié du XIIIe siècle et le début du XIVe, in: AHDLMA 28 (1961), S. 35-151, hier S. 45-52.

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Universität von Paris. Darüber hinaus wurde aber auch das grundsätzliche Problem

diskutiert, ob der Prälatenstand oder der Stand der Religiosen vollkommener sei als

der jeweils andere status.31 Die Seite der Weltkleriker sprach dem status praelationis32

größere Vollkommenheit zu als den Bettelorden und bestritt, dass die Bettelorden

einen Stand der Vollkommenheit (status perfectionis) bilden.33 In dieser Tradition stehen

die Äußerungen Heinrichs und Gottfrieds zum Prälatenstand aus den Achtziger- und

Neunzigerjahren des 13. Jahrhunderts.34 Zuvor hatte Thomas in seinen Schriften auf

ältere weltgeistliche Kritik an den Bettelorden reagiert.35 Wie im Verlauf der Arbeit

noch näher zu erläutern ist, formulierte Thomas seine Ansichten über das Verhältnis

zwischen Prälatenstand und status religionis aber auch in Abgrenzung zu

franziskanischen Überzeugungen.36 Thomas‘ Vollkommenheitslehre stieß daher auf

den Widerspruch minoritischer Theologen und wurde zum Objekt einer erbitterten

Debatte zwischen Dominikanern und Franziskanern, die als ‚Korrektorienstreit‘

bekannt ist.37

Nach der Analyse von Durandus‘ Argumentation wird untersucht, welche Positionen

andere Gutachter in der Debatte der Jahre 1322/23 zum status prelationis einnahmen

(Kapitel IV). Der Vergleich zwischen dem Standpunkt, der in De paupertate Christi et

apostolorum vertreten wird, und den Auffassungen anderer Autoren soll zentrale

Gemeinsamkeiten und Unterschiede hervortreten lassen. Dies erlaubt erstens eine

Einordnung von Durandus‘ Ansicht über den Prälatenstand in den Kontext der

Debatte über die apostolische Armut. Die Gegenüberstellung der Texte ist zweitens

auch deshalb erforderlich, weil in den Voten teilweise Anzeichen einer Beeinflussung

durch andere Gutachten zu finden sind. So führt Patrick Nold insgesamt drei

Textstellen an, in denen der Bischof von Le Puy die Dicta des franziskanischen

Kardinals Bertrand de la Tour zu widerlegen scheint.38 Interdependenzen dieser Art

31 Kurt Schleyer: Disputes scolastiques sur les états de perfection, in: RTAM 10 (1938), S. 279-293,

hier S. 279f. 32 Was die weltgeistlichen Autoren unter dem status praelationis verstanden, ist im Folgenden noch

näher zu erläutern. Siehe hierzu Kap. I.1, S. 13. 33 Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 54 u. 58f. 34 Schleyer: Disputes scolastiques (1938), bes. S. 286f. u. 289. 35 Ludwig Hödl: Die Theologische Diskussion des Heinrich von Gent († 1293) über die thomasische

Lehre vom vollkommenen christlichen Leben (Quodl. XII 28-29), in: Willehad Paul Eckert (Hg.): Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption. Studien und Texte (Walberberger Studien, Philosophische Reihe 5), Mainz 1974, S. 470-487, hier S. 472-474.

36 Ebd.; Ulrich Horst: Evangelische Armut und Kirche. Ein Konfliktfeld in der scholastischen Theologie des 13. Jahrhunderts, in: Jan A. Aertsen/Andreas Speer (Hgg.): Geistesleben im 13. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 27), Berlin – New York 2000, S. 308-320, hier S. 312f.

37 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 177-189. 38 Patrick Nold: Pope John XXII and his Franciscan Cardinal. Bertrand de la Tour and the Apostolic

Poverty Controversy, Oxford 2003, S. 87, Anm. 73. Nold identifiziert drei solcher Textstellen, wie aus seinem Apparat zur Edition von Bertrands Dicta hervorgeht, vgl. ebd., S. 182, Anm. 41; S. 190, Anm. 95 u. 96. Siehe hierzu unten, Kap. IV, S. 43, Anm. 267.

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sind möglich, da die verschiedenen Voten der Kardinäle, Bischöfe und Theologen

nicht alle zeitgleich verfasst und beim Papst eingereicht wurden. Nach Ansicht Nolds

zirkulierten während der Debatte der Jahre 1322/23 Meinungen und zentrale

Argumente in mündlicher und schriftlicher Form, sodass die Gutachter in ihren

Texten teilweise aufeinander Bezug nehmen konnten.39 Vor diesem Hintergrund

betrachtet Nold die Sammlung an Expertenmeinungen, die im Codex Vat. Lat. 3740

überliefert ist, nicht als historische Momentaufnahme, sondern als „series of frames, each

slightly different from the last“, die Prozesse gegenseitiger Beeinflussung und auch

individueller Neupositionierung innerhalb der Debatte widerspiegele.40 In der

vorliegenden Studie werden nur Voten aus Codex Vat. lat. 3740 berücksichtigt, die

den status prelationis behandeln. Die Auswahl der hier untersuchten Gutachten

konzentriert sich zudem auf edierte Texte. Im Rahmen des Vergleichs wird jedoch

auch auf einige nicht edierte Voten Bezug genommen, die in der Fachliteratur über

den ‚Theoretischen Armutsstreit‘ bereits erforscht worden sind.

Durandus hebt die Vollkommenheit des Prälatenstandes nicht nur in seinem

Gutachten, sondern auch in der dritten Redaktion seines Sentenzenkommentars

hervor. In der zweiten Quästion von In III Sent. (Red. C), d. 35 bezeichnet der

Dominikaner die vita activa der Prälaten als Lebensform, die edler und vollkommener

ist als jede Form der vita contemplativa im Diesseits.41 Joseph Koch erkannte bereits

eine ‚enge Berührung‘ zwischen den Argumentationen im Votum und in der

genannten Quästion aus Durandus‘ vierbändigem Hauptwerk.42 Er nahm jedoch

keinen ausführlichen Vergleich der entsprechenden Textstellen vor. Daher werden im

letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit (Kapitel V) die Beweisführungen im

Sentenzenkommentar und im Gutachten einander gegenübergestellt, um

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu ermitteln. Dieser Vergleich gibt zugleich

Aufschluss darüber, wie sich die Position, die Durandus in seinem Votum zum status

prelationis einnimmt, entwickelte.

39 Nold: Pope John XXII (2003), S. 86f. 40 Ebd., S. 90. 41 Koch: Durandus (1927), S. 419f.; Guy Guldentops: Struggling with Authority. Durand of Saint-

Pourçain on the Origin of Power and on Obedience to the Pope, in: Kent Emery, Jr./William J. Courtenay/Stephen M. Metzger (Hgg.): Philosophy and Theology in the Studia of the Religious Orders and at the Papal and Royal Courts (Rencontres de Philosophie médiévale 15), Turnhout 2012, S. 107-138, hier S. 134, Anm. 84.

42 Koch: Durandus (1927), S. 420.

10

I Die Vollkommenheit des status prelationis

I.1 Der status prelationis als status perfectionis

Die Vollkommenheit des Prälatenstandes zeigt Durandus im Kontext der Frage auf,

ob derjenige, der sowohl persönlich als auch in Gemeinschaft mit anderen besitzlos

ist, einen höheren Grad an Vollkommenheit innehabe als derjenige, der

gemeinschaftlich etwas besitzt.43 Der Aufbau von Durandus‘ Argumentation ist hier

knapp darzustellen, um die Äußerungen des Autors zur Vollkommenheit des

Prälatenstandes in ihrem Zusammenhang verstehen zu können.

Durandus gliedert seine Antwort auf die Frage in drei Schritte. Zunächst differenziert

er zwischen perfectio personalis, der persönlichen Vollkommenheit, und perfectio status,

der Vollkommenheit des Standes, den eine Person innehat. Anschließend bestimmt

er, was für die beiden Vollkommenheitstypen konstitutiv ist. In einem dritten Schritt

widmet er sich der oben genannten Hauptfrage, ob Personen ohne kollektiven Besitz

größere Vollkommenheit zukommt als solchen, die in Gemeinschaft etwas besitzen.

Als erstes konstatiert Durandus, dass der Mensch die höchste Stufe persönlicher

Vollkommenheit erreicht, wenn er mit seinem Intellekt Gott betrachtet und ihn mit

seinem Willen liebt.44 Im Diesseits bleiben den Menschen die unverhüllte

Gottesbetrachtung und die vollkommene Gottesliebe verwehrt, sodass die perfectio in

via nie an die perfectio patrie, die Vollkommenheit im Jenseits, heranreichen wird.45

Persönliche Vollkommenheit eines Christen im gegenwärtigen Leben besteht für

Durandus in den Habitus und Akten der Tugenden, vor allem im Habitus und Akt

der caritas.46 Mit dieser Definition steht der Autor eindeutig in der Tradition des

Thomas von Aquin,47 worauf Horst bereits hinwies.48 Aus der Bestimmung der

perfectio personalis als caritas und als deren Ausübung folgt implizit, dass die Frage nach

Besitz und Besitzlosigkeit für die persönliche Vollkommenheit des Individuums nicht

43 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183-194). 44 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 184): „Et ideo summa perfectio hominis consistit in actu intellectus

contemplantis deum et in actu voluntatis diligentis ipsum secundum habitus utrique actui congruentes, et secundum differentiam perfectionis dictorum actuum.“

45 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 184): „Est differentia perfectionis personalis propter quod, cum in patria sit contemplatio clara et dilectio perfecta excludens omne impedimentum ex parte creature, quod in via esse non potest. [...] Ex quo manifeste apparet, quod perfectio personalis vie non attingit ad perfectionem patrie.“

46 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 184): „Nihilominus tamen perfectio Christiane vite in presenti consistit, ut dictum est, in habitibus virtutum et in earum actibus, maxime tamen consistit in habitu et actu caritatis, que in via preeminet ceteris virtutibus.“

47 Thomas von Aquin: S.th. II-II, q. 184, a. 2 (ed. Caramello (1952), S. 797): „Respondeo dicendum quod, sicut dictum est, perfectio Christianae vitae in caritate consistit.“

48 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210.

11

entscheidend ist.49 Deshalb braucht Durandus im dritten Abschnitt seiner responsio das

Verhältnis zwischen Besitz und Vollkommenheit nicht mehr allgemein zu

untersuchen. Stattdessen fragt er präziser, ob der Verzicht auf gemeinschaftlichen

Besitz zu einem Stand führe, der vollkommener ist als derjenige status, den man mit

gemeinschaftlichem Besitz erreichen könne.50 Bevor sich Durandus aber dieser Frage

widmet, definiert er die perfectio status und erläutert ihr Verhältnis zur perfectio personalis.

Als Stand der Vollkommenheit (status perfectionis) versteht Durandus eine Lebensweise,

die gewisse Verpflichtungen umfasst, um entweder leichter Vollkommenheit für die

eigene Person zu erwerben oder Vollkommenheit unter anderen Menschen zu

verbreiten.51 Ähnlich wie Thomas und zahlreiche andere Autoren, darunter

beispielsweise Gottfried von Fontaines oder der Franziskaner Johannes Pecham,52

unterscheidet Durandus zwei status perfectionis. Den einen dieser beiden Stände,

nämlich den status perfectionis acquirende et conservande, bildet der status religionis, also der

Stand derjenigen, die einem Orden (religio) angehören.53 Der andere Stand der

Vollkommenheit, der status perfectionis in alios diffundende, ist der status prelationis.54 Bevor

näher erläutert werden kann, aufgrund welcher Verpflichtungen die beiden Stände bei

Durandus als status perfectionis gelten, ist zunächst zu klären, was der Begriff ‚status

prelationis‘55 in dem Votum bedeutet.

49 Ebd. 50 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „De tertio principaliter quesito, videlicet utrum nihil habere

in proprio vel in communi faciat statum perfectiorem, quam aliquid in communi...“ 51 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „...status perfectionis…non est aliud quam certus modus

vivendi, per quem aliquis se obligat ad aliqua, que sunt supererogationis, ut perfectionem sibi facilius acquirat vel in alios diffundat.“

52 Thomas von Aquin: Super Evangelium S. Matthaei lectura, c. 19 (ed. Cai (1951), Nr. 1594, S. 244): „Status perfectionis duplex est, praelatorum et religiosorum; sed aequivoce, quia status religiosorum est ad acquirendum perfectionem; unde isti dictum est: Si vis esse perfectus, et si vis ad perfectionis statum venire. Status autem praelationis non est ad acquirendum sibi, sed ad habitam communicandam...“ Vgl. Thomas: S.th. II-II, q. 186, a. 3, ad 5 (S. 820); Gottfried von Fontaines: Quodlibet V, q. 16 (ed. Wulf/Hoffmans (1914)(Les Philosophes Belges, Textes et Études 3), S. 76): „Et ideo bene dicitur quod status praelatorum est status perfectionis non acquirendae, sed exercendae, quia illi statui repugnat quod in ipso ab imperfecto perfectio acquiratur, immo exigit iam perfectum et potentem perfecte operari. Status autem religionis dicitur perfectionis acquirendae, quia bene sustinet imperfectum qui in illo perfectionem possit acquirere.“ Johannes Pecham: Quaestio de perfectione evangelica, §96 (S. 164, Z. 17-20): „Amplius status praelationis est status perfectionis exercendae, non est status perfectionis acquirendae, quia primo debet esse virtutibus plenus, ut Gregorius, quam officium suscipiat pastorale.“ Vgl. Nold: Pope John XXII (2003), S. 48; vgl. außerdem die Gutachten im ‚Theoretischen Armutsstreit‘, die in Kap. IV, S. 41-54 beleuchtet werden.

53 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „...status non dicitur perfectus, nisi quia ordinatur ad perfectionem acquirendam sibi et conservandam, ut est status religionis, vel diffundendam aliis, ut est status prelationis.“

54 Ebd. 55 Teilweise verwendet Durandus auch den Terminus ‚status prelatorum‘, der als Synonym zu ‚status

prelationis‘ zu begreifen ist; siehe z.B. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186).

12

Prelatio bezeichnet in einem allgemeinen Sinne die hierarchische Überordnung einer

Person über eine andere.56 In diesem Verständnis wird der Begriff beispielsweise in

einer Quästio von Durandus’ Sentenzenkommentar gebraucht, die der Autor später

in seinem Traktat De origine iurisdictionum verarbeitete.57 Auf die kirchliche Hierarchie

bezogen meint prelatio bei Durandus die Überordnung einer geistlichen

Führungsperson über die ihm untergebenen Personen (subditi).58 Eine solche prelatio

haben nach Auffassung des dominikanischen Theologen beispielsweise in einer

Ordensgemeinschaft Ordensobere wie Äbte über Religiose59 oder in einer Diözese

Bischöfe60 über die Gläubigen des jeweiligen Bistums inne. Dies entspricht der

geläufigsten Verwendungsweise des Begriffs ‚prelati‘ im Spätmittelalter als

Bezeichnung für Kardiäle, Erzbischöfe, Bischöfe und männliche Ordensobere.61

Unter dem Begriff ‚status prelationis‘ ist in dem Votum der Bischofsstand62

beziehungsweise die bischofsähnliche Stellung der Apostel63 zu verstehen. Zwar fehlt

eine explizite Gleichsetzung zwischen status prelationis und status episcopalis. Die

Erklärung, inwiefern der status prelationis als status perfectionis in alios diffundende

aufzufassen ist, behandelt jedoch, wie sich zeigen wird, nur den Episkopat.64 Auch an

anderen Textstellen bezieht sich der Terminus ‚status prelationis‘ – dies belegt der

jeweilige Kontext – eindeutig auf die Bischöfe oder die Apostel, die gemäß Durandus‘

56 Vgl. Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 107, Anm. 3. Auf ähnliche Weise versteht

Kenneth Pennington: Pope and Bishops. The Papal Monarchy in the Twelfth and Thirteenth Centuries, Philadelphia 1984, S. 178 den Begriff als ‚authority‘. Davon unterscheidet sich die Auffassung von John Finnis: Aquinas. Moral, Political, and Legal Theory, Oxford 1998, S. 220, Anm. 4, der ‚praelatio’ als ‚government’ wiedergibt.

57 Durandus: In II Sent. (Red. C), d. 44, q. 2 (ed. a Martimbos, Venedig 1571, fol. 206ra-b). Zum Verhältnis zwischen dem Sentenzenkommentar und De origine iurisdictionum siehe Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 111f.

58 Vgl. die allgemeinen Ausführungen zum Verständnis des Terminus ‚praelatio‘ in der scholastischen Theologie bei Rainer Zeyen: Die theologische Disputation des Johannes Polliaco zur kirchlichen Verfassung (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie 64), Frankfurt a. M. – Bern 1976, S. 58.

59 Durandus: In II Sent. (Red. C), d. 44, qq. 4-5 (fol. 207rb-208rb); vgl. Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 118-120.

60 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185); siehe unten, S. 14. 61 Martin Heale: Introduction, in: ders. (Hg.): The Prelate in England and Europe, 1300-1560, York

2014, S. 1-14, hier S. 2. 62 Die – letztendlich nicht plausible – Hypothese, dass sich der Begriff ‚status prelationis‘ in dem

Gutachten nicht nur auf Angehörige des Bischofsstandes, sondern auch auf niedere Geistliche oder Ordensobere bezieht, wird in der Forschung nicht diskutiert. Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210 setzt in seinen Erläuterungen zu Durandus‘ Standpunkt beispielweise stillschweigend voraus, dass der status prelationis identisch mit dem Stand der Bischöfe ist.

63 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192); siehe unten, Kap. II, S. 31f. 64 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Episcopi autem obligant se non solum ad ea, que sunt de

necessitate sue salutis, sed etiam ad habendam curam de salute subditorum predicando, corrigendo, sacramenta salutis ministrando, et si necesse sit, vitam suam pro salute subditorum exponendo. Et ideo dicuntur esse in statu perfectionis in alios diffundende.“

13

Verständnis Vorgänger des modernen Bischofsstandes sind.65 Dagegen geht aus

keiner Textpassage hervor, dass nach Meinung des Autors auch niedere Geistliche

dem ‚status prelationis‘ als einem der zwei ‚status perfectionis‘ angehören. Ähnlich verhält

es sich mit dem Begriff ‚prelati‘. Durandus verwendet den Terminus nachweislich für

Angehörige des Episkopats,66 während es keinen Hinweis darauf gibt, dass in dem

Gutachten auch Geistliche ohne bischöflichen Rang zu den Prälaten gezählt werden.

Im Gegensatz dazu differenzieren andere Autoren, wie beispielsweise Heinrich von

Gent oder Gottfried von Fontaines, zwischen höheren Prälaten, den Bischöfen, und

niederen Prälaten, worunter sie sacerdotes parochiales oder curati, also mit der Seelsorge

(cura animarum) betraute Priester verstehen.67 Als Vertreter des Weltklerus rechnen

Heinrich und Gottfried alle Prälaten dem status praelationis zu.68 Thomas von Aquin ist

dagegen der Ansicht, dass der Terminus ‚praelatus‘ nicht notwendigerweise

Zugehörigkeit zum status praelati als Stand der Vollkommenheit impliziert.69 Kuraten

(presbyteri curati) und Erzdiakone (archidiaconi) werden von Thomas zwar als Prälaten

bezeichnet,70 sie sind seiner Auffassung nach aber nicht Teil eines der beiden status

perfectionis. Die niederen Weltgeistlichen können sich Thomas zufolge nicht in einem

Stand der Vollkommenheit befinden, weil sie anders als Bischöfe und Religiose an

kein ewiges Gelübde gebunden sind.71

Die Verpflichtung zu einer bestimmten Lebensweise bildet auch in der oben

genannten Definition, die Durandus für den status perfectionis wählt, das konstitutive

Element für jeden der beiden Stände der Vollkommenheit.72 Hierin zeigt sich, dass

die Position, die der Bischof von Le Puy zu den status perfectionis vertritt, eng an

Thomas‘ Lehre von den Ständen der Vollkommenheit angelehnt ist, worauf bereits

65 Durandus: De paupertate, qq. 1-2 (S. 183, 186f., 190f. u. 192). Dass Durandus die Bischöfe als

Nachfolger der Apostel sieht, wird deutlich in De paupertate, q. 2 (S. 187): „Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi...“

66 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179). 67 Heinrich von Gent: Quodlibet XII, q. 29 (ed. Decorte (1987)(Henrici de Gandavo Opera omnia 16),

S. 193, Z. 8-19); Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72); vgl. zu diesen Unterscheidungen auch Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 84, Hödl: Theologische Diskussion (1974), S. 480f. und Zeyen: Theologische Disputation (1976), S. 68f.

68 Siehe vorherige Anm. 69 Thomas: Super Matt. lectura, c. 19 (Nr. 1595f., S. 244): „Item est aliud esse praelatum, et in statu

praelati. Numquid in statu perfectionis sunt sacerdotes plebei, vel curati? Dico quod non sunt in statu, quia non faciunt statum.

70 Thomas: S.th. II-II, q. 184, a. 6 (S. 801f). 71 Ebd.: „Non enim obligantur (sc. presbyteri et archidiaconi) ex hoc ipso vinculo perpetui voti ad hoc

quod curam animarum retineant, sed possunt eam deserere: [...] potest aliquis archidiaconatum vel parochiam dimittere et simplicem praebendam accipere sine cura. Quod nullo modo liceret si esset in statu perfectionis [...]. Episcopi autem, quia sunt in statu perfectionis, non nisi auctoritate summi pontificis, ad quem etiam pertinet in votis perpetuis dispensare, possunt episcopalem curam deserere [...]. Unde manifestum est quod non omnes praelati sunt in statu perfectionis, sed soli episcopi.“

72 Siehe S. 11, Anm. 51.

14

Horst aufmerksam machte.73 Die Differenzierung, die Thomas zwischen dem ‚Prälat

Sein‘ und dem status prelationis vornimmt, fehlt in De paupertate Christi et apostolorum

allerdings. Die Problematik eines weit gefassten Prälatenbegriffs, mit der sich Thomas

in seinen Ausführungen zu den status perfectionis auseinandersetzt, wird somit

übergangen. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Durandus in dem Votum den

Begriff ‚prelati‘ wie den Terminus ‚status prelationis‘ nur auf die Bischöfe bezieht.

Unbestreitbar ist, dass der Autor in seinem Gutachten mit den genannten

Bezeichnungen zuallererst den Episkopat assoziiert.

Der Vergleich zwischen Inhalt und Ausrichtung der unterschiedlichen

Verpflichtungen, denen Religiose einerseits und der Episkopat andererseits

unterliegen, lässt die Besonderheit des status prelationis hervortreten. Nach Auffassung

des Autors geloben die Angehörigen des status religionis, Genüssen wie der Ehe und

dem Eigentum zu entsagen, um dadurch leichter Vollkommenheit zu erlangen.74

Bischöfe tragen dagegen anders als Ordensleute nicht nur für das eigene Seelenheil,

sondern auch für die Seelen der Anderen Sorge.75 Diese Verpflichtung umfasst

Predigt, Zurechtweisung der Gläubigen, Spendung der Sakramente und im äußersten

Notfall den Einsatz des eigenen Lebens. In der Gegenüberstellung und der

Bestimmung des Prälatenstandes als Stand, der Vollkommenheit unter den

Mitmenschen verbreitet, deutet sich bereits an, dass die prelati für Durandus einen

vollkommeneren Stand einnehmen als die Religiosen, die nur für sich selbst

Vollkommenheit erwerben müssen. Durandus erklärt das hierarchische Verhältnis,

das zwischen den beiden Status hinsichtlich der unterschiedlichen Größe ihrer

Vollkommenheit besteht, aber erst,76 nachdem er die Beziehung zwischen perfectio

personalis und perfectio status dargestellt hat. Das Verhältnis zwischen diesen beiden

perfectiones ist hier zu beleuchten, um zu ermitteln, in welchem Sinne die Angehörigen

des status prelationis als vollkommen gelten.

Durandus zufolge ist es möglich, dass eine Person nur eine der beiden perfectiones ohne

die andere besitzt, was die Verschiedenheit von persönlicher Vollkommenheit und

73 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210. 74 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „...religiosi obligant se ad abstinendum a quibusdam licitis,

puta a matrimonio et ut non habeant proprium. [...] religiosi, qui se obligant ad continentiam et paupertatem, sunt in statu, quo possunt facilius et cum paucioribus impedimentis perfectionem acquirere, et ideo sunt in statu perfectionis acquirende et conservande.“

75 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Episcopi autem obligant se non solum ad ea, que sunt de necessitate sue salutis, sed etiam ad habendam curam de salute subditorum predicando, corrigendo, sacramenta salutis ministrando, et si necesse sit, vitam suam pro salute subditorum exponendo. Et ideo dicuntur esse in statu perfectionis in alios diffundende.“

76 Siehe hierzu das folgende Kap. I.2, S. 16-26.

15

der Vollkommenheit des Standes beweist.77 Nach Durandus‘ Ansicht bewirkt allein

die perfectio personalis, dass ein Mensch vollkommen und gut ist.78 Ohne sie könne kein

Mensch, auch wenn er den Status der Vollkommenheit innehätte, vollkommen sein.

Begründet wird dies damit, dass die perfectio personalis ‚Vollkommenheit im eigentlichen

Sinne und schlechthin‘ ist (perfectio formalis et simpliciter).79 Fälle, in denen die

Lebensführung einer Person lediglich einem der beiden Vollkommenheitstypen

enspricht, verdeutlicht Durandus zum einen am Beispiel Abrahams und zahlreicher

Heiliger des Alten und Neuen Testaments, die im Sinne der perfectio personalis

vollkommen waren, sich jedoch nicht im Status der Vollkommenheit befanden.80

Zum anderen wird der umgekehrte Fall durch ‚schlechte‘ Bischöfe und Ordensleute

repräsentiert.81 Diese haben Durandus zufolge zwar jeweils einen der status perfectionis

inne; ihnen fehlt aber die entscheidende perfectio personalis, ohne die sie, wie dargelegt,

unvollkommen sind. Die beiden Fälle – mali episcopi und mali religiosi ohne

Vollkommenheit einerseits und Personen, die vollkommen sind, ohne sich im status

perfectionis zu befinden, andererseits – werden auch bei Thomas als Einwand gegen die

Identität von Vollkommenheit und dem Stand der Vollkommenheit angeführt.82

Durandus veranschaulicht das Verhältnis zwischen perfectio personalis und dem status

perfectionis in Analogie zur Gesundheit. Persönliche Vollkommenheit sei wie die

‚Gesundheit im eigentlichen Sinne und schlechthin‘ (sanitas formalis et simpliciter), die

allein bewirke, dass ein Lebewesen gesund sei.83 Den status perfectionis dagegen

vergleicht Durandus im Falle der Religiosen mit einer Medizin oder Diät und im

Hinblick auf den Prälatenstand mit der Heilkunst.84 Der status von Religiosen, die

77 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183): „Contingit etiam aliquem esse in statu perfectionis, qui tamen

non est perfectus perfectione personali. Et contrario contingit aliquem esse perfectum perfectione personali, qui tamen non est in statu perfecto. [...] Quare necessarium est dicere, quod alia sit perfectio persone et alia perfectio status.“ Vgl. Thomas von Aquin: De perfectione spiritualis vitae, c. 18 (Opera omnia 41, B 90, Z. 48-51): „Unde patet quosdam perfectos quidem esse, qui tamen perfectionis statum non habent; alios vero perfectionis quidem statum habere, sed perfectos non esse.“

78 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Patet ergo, in quo consistit perfectio persone, que sola reddit hominem perfectum et bonum, et sine qua nullus est perfectus aut bonus, etiam si sit in statu perfecto, quia hec est perfectio formalis et simpliciter.“

79 Ebd. 80 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183): „Similiter Abraham fuit valde perfectus perfectione personali,

et tamen non fuit in statu perfectionis. Et idem est de multis sanctis veteris et novi testamenti.“ 81 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 183): „Verbi gratia: secundum omnes status prelationis et status

religionis sunt status perfectionis, et tamen contingit aliquos episcopos et aliquos religiosos non esse perfectos perfectione personali, sicut sunt mali episcopi et mali religiosi.“

82 Thomas: S.th. II-II, q. 184, a. 4, sed contra (S. 799): „Sed contra est quod aliqui sunt in statu perfectionis qui omnino caritate et gratia carent, sicut mali episcopi aut mali religiosi. Ergo videtur quod e contrario aliqui habent perfectionem vitae qui tamen non habent perfectionis statum.“

83 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „Sicut sanitas animalis est sanitas formalis et simpliciter, propter quod, sicut nihil dicitur sanum nisi animal, in quo est adequatio humorum, que est sanitas formaliter et essentialiter,...“

84 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185): „…sicut vanum et insipientissimum est, quod infirmus, in quo non est sanitas formaliter, glorietur de medicina aut dieta, que non dicuntur sana, nisi quia

16

hinsichtlich ihrer Tugenden unvollkommen sind,85 entspreche in seiner Nichtigkeit

einer Diät oder Medizin, die nicht der Gesundheit des Patienten diene. Ebenso sei der

Stand unvollkommener Bischöfe der Heilkunst eines Arztes vergleichbar, der für die

eigene Gesundheit nicht sorge.86 Durandus beurteilt es deshalb als eitel und töricht,

wenn sich Personen ihres status rühmen, ohne persönliche Vollkommenheit zu

besitzen.

I.2 Die Vollkommenheit des status prelationis im Vergleich zur

Vollkommenheit des status religionis

Nachdem Durandus das Verhältnis zwischen persönlicher Vollkommenheit und der

Vollkommenheit des status dargelegt hat, wendet er sich der oben bereits genannten

Frage zu, ob die in Gemeinschaft gelebte Besitzlosigkeit einen vollkommeneren Stand

konstituiere, als es gemeinschaftlicher Besitz vermöge. Die Beantwortung dieser

Frage zergliedert er in zwei Schritte. Erstens untersucht er das Verhältnis zwischen

den beiden status perfectionis, dem Stand der Religiosen und dem Stand der Prälaten,

hinsichtlich ihrer Vollkommenheit. Zweitens befasst sich Durandus mit der Frage, ob

Personen durch den Verzicht auf gemeinschaftlichen Besitz größere Vollkommenheit

zuteilwird als Angehörigen desselben Standes, die etwas in Gemeinschaft besitzen.

Als Antwort auf die erste Teilfrage hält Durandus fest, dass keine Form der Armut

einem Stand mehr Vollkommenheit verleihen könne, als der Prälatenstand besitzt.87

Diese These, die einschließt, dass auch der status, den die Minoriten einnehmen, nicht

vollkommener sein könne als der status praelationis, sucht Durandus durch vier

Argumente zu beweisen.

ordinantur ad sanitatem acquirendam et conservandam, aut quod medicus infirmus, qui se ipsum non curat, glorietur de arte medicine, per quam dicit se alios scire curare…“

85 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 185f.): „…sic vanum et insipientissimum est, quod religiosus, qui non est perfectus perfectione personalif secundum virtutes et actus virtutum, tum glorietur de statu perfectionis, qui non dicitur perfectus, nisi quia est quedam via seu modus vivendi propter perfectionem personalem acquirendam et conservandam.“

86 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Et similiter vanum et insipientissimum est, quod episcopus, qui non est perfectus in se, glorietur de statu prelationis, qui non dicitur perfectus, nisi quia ordinatur ad perfectionem in alios diffundendam.“

87 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „In primo casu absolute dicendum est, quod nulla paupertas, in quocumque gradu sit, sive nihil habendo in proprio, prout est in omni religione, sive nihil habendo neque in proprio neque in communi, prout quidam dicunt esse in religione fratrum minorum, potest facere statum religionis esse magis perfectum vel eque sicut est status prelationis.“

17

Als erstes Argument führt er an, dass derjenige Stand vollkommener sei als andere,

der auf vornehmere Art und Weise auf die Vollkommenheit hingeordnet sei.88 Dies

treffe auf den Prälatenstand zu, da er anderen Vollkommenheit einflöße und so das

tätige Prinzip verkörpere, welches vornehmer sei als das rezeptive und passive.89

Damit hat der Bischof von Le Puy dargelegt, dass auch der status, in dem sich die

Minoriten befinden, nicht vollkommener ist als der Stand der Prälaten.

Als Gewährsleute dafür, dass dem Aktiven gegenüber dem Passiven größere

Vornehmheit zukomme, betrachtet Durandus namentlich nicht näher genannte

Philosophen und Heilige, womit Aristoteles und Augustinus gemeint sind.90

Außerdem weist die Argumentation, dass der aktive status prelationis vollkommener sei

als der passive Stand der Religiosen, Nähe zu einer Unterscheidung auf, die durch die

Rezeption von De ecclesiastica hierarchia des Dionysius Pseudo-Areopagita beeinflusst

ist.91 Während des 13. Jahrhunderts hatten sowohl Weltgeistliche wie Wilhelm von St.

Amour92 als auch Thomas von Aquin93 unter Berufung auf Dionysius94 eine

Gegenüberstellung vorgenommen zwischen einem übergeordneten Stand, der andere

Menschen vervollkommnet, und einem untergeordneten Stand der Mönche, dessen

Ziel die eigene Vollkommenheit ist.95 Vertreter des Weltklerus verwendeten diese

Dichotomie im Kontext des sogenannten ‚Bettelordenstreites‘ und in den

nachfolgenden Auseinandersetzungen mit den Mendikanten. Sie rechneten die

Bettelorden dem ordo perficiendorum, dem Stand derjenigen, die vervollkommnet

werden müssen, zu und entkräfteten dadurch den Vollkommenheitsanspruch der

Mendikanten.96

88 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Primo sic: quia ille status est perfectior, qui nobilius

ordinatur ad perfectionem, ut patet ex dictis.“ 89 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Sed status prelationis nobilius ordinatur ad perfectionem

quam status religionis, ergo est perfectior. Minor probatur, quia ad effectum nobilius ordinatur agens quam patiens tam secundum philosophos quam secundum sanctos. Sed ad perfectionem ordinatur status prelatorum per modum agentis et influentis, status autem religiosorum per modum pacientis et recipientis, ut similiter patet ex dictis. Ergo etc.“

90 Auctoritates Aristotelis 6.150 (ed. Hamesse (1974), S. 187): „Agens est nobilius et honorabilius passo...“, basierend auf Aristoteles: De anima III, 5 (430a18-19, ed. Ross (1956), S. 72); Aurelius Augustinus: De Genesi ad litteram XII, 16 (ed. Zycha (1894)(CSEL 28,1), S. 402, Z. 7-8): „omni enim modo praestantior est qui facit ea re, de qua aliquid facit.“ Vgl. das Augustinus-Zitat bei Thomas, S. 18, Anm. 99.

91 Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 58f. 92 Wilhelm von St. Amour: Tractatus brevis de periculis novissimorum temporum, c. 2 (ed. Bierbaum (1920),

S. 12f.). 93 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 26-35). Siehe unten, S. 18, Anm. 97. 94 Dionysius Pseudo-Areopagita: De ecclesiastica hierarchia, c. 5, I, §7 (PG 3 (1857), Sp. 507f.; Dionysiaca

(1937), S. 1344f.); c. 6, I, §3, III, §1 (PG 3 (1857), Sp. 531-534; Dionysiaca (1937), S. 1383-1391.) 95 Während Wilhelm von St. Amour (siehe Anm. 92) zwischen ordo perficientium und ordo perficiendorum

unterscheidet, wird das Begriffspaar bei Thomas aus den Termini ‚ordo perfectivus‘ und ‚ordo perfectorum‘ gebildet (siehe unten, S. 18, Anm. 97). Vgl. Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), S. 58f.

96 Congar: Aspects ecclésiologiques (1961), ebd.; Zeyen: Theologische Disputation (1976) S. 61f.

18

Thomas von Aquin begründet mit Hilfe von Zitaten aus De ecclesiastica hierarchia, dass

der Bischofsstand (episcopalis status) größere Vollkommenheit besitzt als jede mögliche

Ordensgemeinschaft.97 Gestützt auf die Autorität von Dionysius Pseudo-Areopagita

leitet Thomas aus dem Grundsatz, das Aktive sei vornehmer als das Passive, die

gleiche Schlussfolgerung ab wie Durandus98: Als diejenigen, die andere zur

Vollkommenheit führen, verkörpern die Bischöfe nach Thomas das aktive Prinzip.99

Deshalb seien sie vollkommener als die Religiosen, da diese nur das passive Prinzip

vertreten. Durch diesen Standpunkt distanzierte sich Thomas von der radikalen

Position einiger Franziskaner wie Thomas von York.100 Diese waren nämlich der

Ansicht, der status derjenigen, die in völliger persönlicher und gemeinschaftlicher

Besitzlosigkeit leben, sei vollkommener als jeder andere status, der den Besitz von

temporalia einschließt.101 Indem Thomas von Aquin betonte, dass der episcopalis status

trotz seiner temporalia vollkommener sei als der status religionis,102 verließ er nach

Auffassung Hödls und Horsts die Front, die Dominikaner und Franziskaner zuvor

gemeinsam gegen den Standpunkt der Weltgeistlichen gebildet hatten.103

Ähnlich wie Durandus verwiesen zuvor auch die Weltkleriker Heinrich von Gent und

Gottfried von Fontaines auf das Prinzip, das Tätige sei vollkommener als das Passive,

um aufzuzeigen, dass der Stand der Prälaten größere Vollkommenheit besitze als der

Stand der Religiosen.104 Wie oben erläutert, erstreckt sich die Bedeutung des

97 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 26-35): „Dionysius enim dicit in 5 cap. Ecclesiasticae

ierarchiae, quod ordo episcoporum est perfectivus; et in 6 cap. dicit ordinem monachorum esse ordinem perfectorum. Manifestum est autem maiorem perfectionem requiri ad hoc quod aliquis perfectionem aliis tribuat, quam ad hoc quod aliquis in se ipso perfectus sit; sicut maius est posse calefacere quam calere, et omnis causa potior est effectu. Relinquitur ergo episcopalem statum maioris perfectionis esse quam statum cuiuscumque religionis.“

98 Wie in Kap. I.1, S. 12-14 erläutert, bezieht sich Durandus in seinem Votum mit dem Terminus ‚status prelationis‘ vor allem auf den Bischofsstand. Insofern sind Durandus‘ Ausführungen zum Stand der Prälaten mit der Position vergleichbar, die Thomas zum episcopalis status entwickelt.

99 Thomas: S.th. II-II, 184, a. 7 (S. 803): „Respondeo dicendum quod, sicut Augustinus dicit, XII super Gen. ad Litt., semper agens praestantius est patiente. In genere autem perfectionis, episcopi, secundum Dionysium, se habent ut perfectores, religiosi autem ut perfecti, quorum unum pertinet ad actionem, alterum autem ad passionem. Unde manifestum est quod status perfectionis potius est in episcopis quam in religiosis.“ Vgl. q. 185, a. 1, ad 2 (S. 807).

100 Horst: Armut und Kirche (2000), S. 313. 101 Thomas von York: Manus que contra Omnipotentem tenditur, c. III (ed. Bierbaum (1920), S. 48): „...sed

quod status iste, uidelicet mundo renuntiantium et nichil omnino retinentium, sit perfectior omni statu, qui aliquod temporale sibi retinuit...“ Siehe hierzu Max Bierbaum: Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris. Texte und Untersuchungen zum literarischen Armuts- und Exemtionsstreit des 13. Jahrhunderts (1255-1272)(Franziskanische Studien, 2. Beiheft), Münster i. W. 1920, S. 279.

102 Vgl. oben, Anm. 97. 103 Hödl: Theologische Diskussion (1974), S. 471; Horst: Armut und Kirche (2000), S. 312f. 104 Heinrich von Gent: Quodl. XII, q. 29 (S. 198, Z. 16-20): „E contra autem omnium aliorum est ab

illis (sc. praelatis) purgari, doceri et perfici – dico quantum est de genere status -, et ideo tanto perfectior et maior est status illorum super status aliorum, quantum illa in agendo perfectiora sunt quam alia tria in patiendo. Perfectius enim est docere quam doceri, et sic de aliis.“ Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 76): „Constat ergo quod status praelati requirit hominem perfectiorem et secundum intellectum et secundum affectum quam status religionis. Nam maior perfectio requiritur ad hoc

19

Terminus ‚praelati‘ jedoch nach dem Verständnis der beiden weltgeistlichen Autoren –

anders als bei Durandus – explizit auch auf praelati minores, die Kuraten oder

Pfarrseelsorger.105 Heinrich und Gottfried vertreten somit die Position, dass außer

den Bischöfen auch allen anderen Priestern, denen die Seelsorge über eine Gemeinde

obliegt, größere Vollkommenheit zukomme als den Religiosen. Sie ergreifen dadurch

in der Auseinandersetzung zwischen Weltgeistlichen und Bettelorden entschieden

Partei für die Seite des Weltklerus.106 In De paupertate Christi et apostolorum wird die

Vollkommenheit einfacher Priester dagegen überhaupt nicht thematisiert.

Durandus‘ zweites Argument besteht aus der Schlussfolgerung, dass der status

prelationis vollkommener sei als der status religionis, weil er vollkommenere Personen

erfordere.107 Der Autor begründet dies, indem er behauptet, dass Bischöfe nicht nur

frei von Vergehen sein müssen wie Religiose, sondern dass der status prelationis auch

eine perfekte Kenntnis der Heiligen Schrift voraussetzt.108 Dieses Wissen sei nötig,

um als ‚Hirte‘ der Kirche die anvertraute ‚Herde‘ durch Zeugnisse des Glaubens und

der guten Sitten fördern und sie mit Hilfe von Beispielen (exempla) vor dem negativen

Einfluss von Häretikern schützen zu können.109 Dabei gebraucht Durandus für die

heretici das Bild von Wölfen, die durch ihre Bisse die Herde des Hirten zu verletzen

drohen. Auch im Kontext der Frage, ob Häretiker zu tolerieren seien, die Durandus

in der dritten Redaktion seines Sentenzenkommentars erörtert, werden heretici als

Wölfe bezeichnet.110 Dort erklärt der Autor es zu einer Aufgabe der Prälaten,

Häretiker von der ‚Herde der Gläubigen‘ fernzuhalten. Er greift damit, wie

Guldentops zeigt, ein Argument von Thomas auf.111

quod aliquis aliis perfectionem tribuat, quam ad hoc, quod aliquis in statu salutis existens perfectionem sibi acquirat vel etiam in seipso perfectus sit, sicut etiam omne agens, secundum quod huiusmodi, perfectius est patiente.“

105 Vgl. oben, Kap. I.1, S. 13. 106 Zeyen: Theologische Disputation, S. 162-164. 107 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „Secundo sic: ille status est perfectior, qui requirit personam

magis perfectam, sed status prelatorum est huiusmodi respectu status religionis, ergo est magis perfectus.“

108 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „…quia oportet episcopum non solum esse sine crimine, quod tamen sufficit religioso, sed esse perfectum in scientia sacre scripture...“

109 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „...quia cum sit pastor ecclesie sibi commisse, ad eum pertinet ex statu suo oves suas nutrire documentis fidei et morum et exemplis defendere contra insidias et morsus luporum, scilicet hereticorum, quod non potest fieri sine competente scientia sacre scripture.“

110 Durandus: In IV Sent., d. 13, q. 5 (§4, fol. 327ra): „In contrarium arguitur, quia lupi sunt arcendi a grege officio pastorum, set heretici sunt lupi, ut dicitur Act. 20. ergo debent arceri a grege fidelium officio Prelatorum, qui sunt pastores Ecclesie.“

111 Guy Guldentops: Durandus of St. Pourçain’s legitimization of religious (in)tolerance, in: Alessandro Musco/Carla Compagno/Salvatore D'Agostino/Giuliana Musotto (Hgg.): Universalità della Ragione. Pluralità delle Filosofie nel Medioevo. XII Congresso Internazionale di Filosofia Medievale, Palermo, 17-22 settembre 2007, Vol. II.2: Comunicazioni: Latina (Biblioteca dell'Officina di Studi Medievali, 14.II.2), Palermo 2012, S. 639-649, hier S. 641; Thomas von Aquin: Scriptum super Sententiis IV, d. 13, q. 2, a. 3, sed contra 2 (ed. Moos (1947), IV, S. 569).

20

Durandus‘ zweites Argument ist in ähnlicher Form auch bei Heinrich zu finden.112

Gottfried bezieht das Argument in seiner Quästion zunächst auf den status

episcopalis113 und anschließend wie Heinrich auf den status praelatorum insgesamt, also

auch auf Pfarrpriester.114 Für die These, der Prälatenstand verlange vollkommenere

Personen als der Stand der Religiosen, führt Gottfried mehrere Belege an, die in De

paupertate Christi et apostolorum jeweils den Kern eines eigenen Arguments bilden.

Erstens rekurriert er auf den Grundsatz, das aktive Prinzip sei vollkommener als das

passive, den Durandus, wie oben erläutert, in seinem ersten Argument nutzt.115

Zweitens verweist der Weltgeistliche auf die besonderen intellektuellen

Anforderungen, welche die Seelsorge an den Prälatenstand stellt.116 Zur Erfüllung

ihrer seelsorgerischen Aufgaben benötigen Gottfried zufolge alle praelati, Bischöfe wie

Pfarrpriester, Wissen, welches die Religiosen nicht – oder zumindest nicht in so

vollendeter Form – besitzen müssen.117 Hierin zeigt sich eine Parallele zu Durandus‘

zweitem Argument. Drittens sieht Gottfried in der vollkommenen Nächstenliebe, die

der Prälatenstand im Gegenstaz zum Stand der Religiosen erfordert, eine Begründung

dafür, dass die praelati vollkommener sein müssen als die Religiosen.118 Einer

ähnlichen Beweisführung bedient sich Durandus in seinem dritten Argument, das

unten noch ausführlich zu analysieren ist.

Wie Durandus‘ zweites Argument unterstreicht auch Thomas, dass Bischöfe anders

als Religiose hinreichend vollkommen sein müssen, um andere Menschen zur

112 Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 193, Z. 5-9): „Status ille est perfectior qui requirit quod in ipso

exerceantur opera perfectiora, et qui requirit habere in se personas perfectiores ad exercendum illa opera, quia correspondetia debet esse inter statum et existentes in statu. Status autem praelatorum est huiusmodi respectu status religiosorum, et hoc tam in minoribus praelatis quam in maioribus...“

113 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 75): „Nam ideo videtur status episcoporum perfectior quia etiam perfectiorem hominem requirit quam status religionis. Ille enim status est perfectior qui per se requirit hominem perfectiorem. Quia ergo status episcoporum requirit hominem perfectiorem quam status religionis, qui per se non requirit perfectos esse omnes qui vere religiosi sunt, quod requirit status episcoporum, ideo status episcoporum dicitur status perfectior statu religiosorum.“

114 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 83): „Et quia status ille qui requirit homines sic perfectos quod etiam ad ipsos pertinet aliquos perficere est perfectior quam status ille qui non exigit primo et per se perfectos, sed perficiendos et compatitur imperfectos; ideo, ut dictum est, status praelatorum est simpliciter perfectior quam status religiosorum.“

115 Siehe oben, S. 18, Anm. 104. 116 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 83)„…praelatus debet esse perfectior [...] quantum ad intellectum et

speculationem, quia etiam alios habet instruere in spiritualibus et deviantes dirigere et errores corrigere et etiam ad ardua in speculatione elevare. Ideo status praelatorum est simpliciter perfectior statu religiosorum in quantum, ut dictum est, status praelationis reqirit hominem multo perfectiorem quam status religionis.“

117 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 76): „Nunc autem ad hoc quod aliquis convenienter possit esse praelatus, non solum episcopus sed sacerdos parochialis, requiritur quod scientia sit instructus [...]. Ad religiosum etiam bonum et sufficientem, secundum quod huiusmodi, non requiritur hoc, saltem ita perfecte; immo potest dici quis servare religionem sufficienter ad salutem, etiam si non sit multum instructus scientia…“

118 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 83): „Quia enim quantum ad affectum praelatus debet esse perfectior, utpote perfectiorem caritatem habens, quia in quantum talis, prae ceteris debet esse promptus et paratus ad exponendum se morti pro salute proximorum.“ vgl. außerdem Gottfrieds Ausführungen zum Bischofsstand in Quodl. V, q. 16 (S. 75).

21

Vollkommenheit führen zu können.119 Wer die Bischofswürde empfange, übernehme

ein magisterium spirituale, welches im Gegensatz zum status religionis Vollkommenheit

voraussetze.120 Die Begründung, die Gottfried und Durandus liefern, dass der

Prälatenstand größere Vollkommenheit erfordere als der status religionis, weil Prälaten

über die für die Seelsorge nötige scientia verfügen müssten, fehlt bei Thomas aber.

Durandus‘ drittes Argument greift die Definition der perfectio personalis wieder auf, die

der Autor im zweiten Abschnitt von Quästion 2 seines Gutachtens gibt. Wie

dargelegt, versteht Durandus in Anlehnung an Thomas unter der persönlichen

Vollkommenheit im Diesseits, durch die allein ein Mensch im gegenwärtigen Leben

vollkommen ist, caritas und deren Ausübung.121 Dementsprechend definiert Durandus

nun in seinem dritten Argument für die größere Vollkommenheit des Prälatenstandes

das Werk höchster Liebe als Werk höchster Vollkommenheit (opus summe

perfectionis).122 Nach Durandus besteht das opus summe caritatis – und damit auch das

opus summe perfectionis – darin, zum Heil der Anderen das eigene Leben zu lassen, was

mit Joh 15, 13 begründet wird.123 Folglich seien die Bischöfe zum Werk höchster

Vollkommenheit verpflichtet, da sie – anders als Ordensleute – im Notfall ihr Leben

für die ihnen anvertrauten Gläubigen hingeben müssten.124 Daraus schließt

Durandus, dass der episcopalis status der vollkommenste Stand sei, weil gemäß der

ersten Prämisse derjenige Status die höchste Vollkommenheit innehat, der zum opus

summe perfectionis verpflichtet.125 Der Aufopferung für die Mitchristen als Werk

höchster Vollkommenheit kann aus Durandus‘ Sicht nichts gleichkommen. Deshalb

seien auch Religiose, die nichts persönlich oder in Gemeinschaft besitzen, wie es die

119 Thomas: S.th. II-II, q. 185, a. 1, ad 2 (S. 807): „Et huius differentiae ratio est quia, secundum

Dionysium, perfectio pertinet active ad episcopum, sicut ad perfectorem, ad monachum autem passive, sicut ad perfectum. Requiritur autem quod sit perfectus aliquis ad hoc quod possit alios ad perfectionem adducere, quod non praeexigitur ab eo qui debet ad perfectionem adduci.“

120 Thomas: De perfectione, c. 22 (B 95, Z. 47-51): „Est etiam et aliud attendendum, quod religionis status perfectionem non praesupponit, sed ad perfectionem inducit; pontificalis autem dignitas perfectionem praesupponit: qui enim pontificatus honorem suscipit, spirituale magisterium assumit“

121 Siehe oben, Kap. I.1, S. 10, Anm. 46. 122 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „…opus summe perfectionis est opus summe caritatis, quia

in caritate et in eius actu potissime consistit perfectio, ut declaratum est supra.“ 123 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186f.): „Sed opus summe caritatis est exponere vitam suam pro

salute aliorum secundum illud Joh. 15°: Maiorem caritatem nemo habet, quam ut animam ponat quis pro amicis suis.“

124 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Ad hec autem obligantur episcopi pro suis subditis et ex suo statu, et non religiosi ratione status, ergo status episcopalis obligat ad opus summe perfectionis, et sic est summe perfectus,...“

125 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186): „...ille status est summe perfectus, per quem aliquis obligatur ad opus summe perfectionis. Sed status episcopalis est huiusmodi. Ergo etc.“

22

Minoriten für sich in Anspruch nehmen, nicht so vollkommen wie Bischöfe, obwohl

zum status episcopalis eine Fülle von zeitlichen Gütern gehöre.126

Auf eben diesen Schluss hin sind die allgemeinen Ausführungen zur Vollkommenheit

und zu den beiden status perfectionis in den ersten zwei Abschnitten der responsio von

Quästion 2 ausgerichtet. Durch die Bestimmung der perfectio personalis als caritas im

zweiten Abschnitt zeichnete sich bereits ab, dass Besitzlosigkeit aus Durandus‘

Perspektive kein essentieller Bestandteil von Vollkommenheit ist. Durandus‘ drittes

Argument legt nun dar, dass durch die Armutsform der Minoriten keine perfectio status

konstituiert wird, die an die Vollkommenheit des Prälatenstandes heranreichen

könnte. Diese Beweisführung antwortet anders als die beiden vorangegangenen

Argumente direkt auf die zentrale Fragestellung, ob ein status durch den Verzicht auf

gemeinschaftlichen Besitz vollkommener sei als ein Stand, der Besitz in Gemeinschaft

erlaubt. Sie bildet den Kern von Durandus‘ Argumentation zu der ersten Teilfrage,

bei der die beiden verschiedenen status perfectionis, der Prälatenstand und der Stand der

Religiosen, einander gegenübergestellt werden. Die zweite Teilfrage, ob

gemeinschaftliche Besitzlosigkeit Vertretern eines der beiden status größere

Vollkommenheit verleihe als Angehörigen desselben Standes, die etwas in

Gemeinschaft besitzen,127 bleibt an dieser Stelle zunächst noch offen. Durandus

widmet sich ihr erst, nachdem er zuvor durch weitere Argumente belegt hat, dass der

status prelationis vollkommener ist als der status religionis.

Das dritte Argument des Bischofs von Le Puy weist Ähnlichkeit zu einer der

Begründungen auf, die Thomas in De perfectione spiritualis vitae für die größere

Vollkommenheit des episcopalis status liefert.128 Die Verpflichtung der Bischöfe, das

eigene Leben für andere einzusetzen, übertreffe die Gelübde der religiosi. Das gleiche

Argument gebraucht Heinrich, um darzulegen, dass Prälaten vollkommener sind als

Religiose.129 Dabei ist jedoch abermals zu berücksichtigen, dass Heinrich in der hier

zitierten Quästion anders als Durandus ausdrücklich auch die Kuraten unter dem

126 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „…propter quod nullus status religionis quantumcumque

nihil habentis in proprio vel communi potest equiparari perfectioni status episcopalis quantumcumque habundantis in bonis temporalibus mobilibus vel immobilibus.“

127 Siehe hierzu Kap. II, S. 26-29. 128 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 33-42): „Relinquitur ergo episcopalem statum maioris

perfectionis esse quam statum cuiuscumque religionis. Idem autem apparet, si quis consideret ea ad quae utrique obligantur. [...] quibus (sc. iis ad quae religiosi obligantur) multo est amplius et difficilius pro salute aliorum vitam ponere, ad quod, sicut dictum est, episcopi obligantur.“

129 Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 240, Z. 46-51): „...quidquid quidem religiosus habet in se ex animi devotione aut ex voto quocumque, quanto amplius est et difficilius pro salute aliorum vitam ponere, ad quod pro tempore praelati obligantur, quam temporalia dimittere et castimoniam servare. Et ideo omnino perfectior illis iudicandus est (sc. praelatus) non solum sicut in se perfectus existens, sed sicut exemplo et facto aliis perfectionem tribuens.“

23

Begriff ‚praelati‘ subsumiert.130 Außerdem ähnelt das dritte Argument in De paupertate

Christi et apostolorum, wie bereits angedeutet, einem Element aus Gottfrieds Beweis,

dass der gesamte Prälatenstand einschließlich der Pfarrpriester vollkommenere

Personen erfordert als der Stand der Religiosen und daher vollkommener ist.131

In Durandus‘ viertem Argument wird die These, dass der Bischofsstand132 gegenüber

dem Stand der Religiosen größere Vollkommenheit besitze, durch eine Analogie zum

Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler begründet. Ausgehend von dem aus Lk 6, 40

entlehnten Grundsatz, der Jünger sei nicht über dem Meister, bestimmt Durandus

zunächst das Modell der Meisterschaft als Überordnung eines vollkommenen

Meisters über einen unvollkommenen Schüler.133 Dieser gelange, wenn er in den

Stand des Meisters übertrete, in einen vollkommeneren Status.134 Nach diesen

Vorannahmen setzt Durandus den Stand der Lehrer (status doctorum) mit dem

Bischofsstand gleich, was er damit rechtfertigt, dass der Episkopat in der Nachfolge

der Apostel steht.135 Alle übrigen innerkirchlichen Stände, also auch den status

religionis, ordnet der dominikanische Autor dagegen dem Stand der Jünger oder

Schüler (status discipulorum) zu. Aus dieser Dichotomie folgt für Durandus, dass sich

die Bischöfe in einem erhabeneren und vollkommeneren Stand befinden als die

religiosi und alle übrigen Gläubigen.136

Vor Durandus rekurrierten bereits Thomas und Heinrich auf das Verhältnis zwischen

Meister und Schüler, um daraus durch Analogieschluss abzuleiten, dass der

Prälatenstand137 größere Vollkommenheit besitze als der Stand der Religiosen.138 Die

übergeordnete Stellung des status praelatorum rechtfertigen die beiden Autoren

130 Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 193, Z. 16-19). 131 Siehe oben, S. 20, Anm. 118. 132 Wie Durandus in seinem dritten Argument statt des Terminus ‚status prelationis‘ den Begriff ‚status

episcopalis‘ gebraucht, so verwendet er nun den Begriff ‚status episcoporum‘. 133 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „...status doctorum est perfectior statu discipulorum

secundum illud Luc. 6°: Non est discipulus super magistrum. Minus dicit et plus significat, quasi diceret: discipulus debet subesse magistro tamquam imperfectus sub perfecto.“

134 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Sed quando de statu discipuli transit ad statum magistri, tunc est in statu perfectiori. Unde ibidem subditur: Perfectus autem erit, si sit sicut magister eius.“

135 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Status autem episcoporum est status doctorum. Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi, dixit Jhesus Math. ultimo: Ite, docete omnes gentes! Omnis autem alius status est status discipulorum.“

136 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Ergo status episcoporum est sublimior et perfectior omni alio statu, et ideo de iure communi omnes subsunt episcopos, tam religiosi quam alii.“

137 Zum unterschiedlichen Verständnis des Terminus ‚status praelatorum‘ siehe Kap. I.1, S. 12-14. 138 Thomas: Super Matt. lectura, c. 19 (Nr. 1594, S. 244): „Unde talis est differentia inter perfectionem

religiosorum et praelatorum, qualis inter discipulum et magistrum. [...] dato quod uterque faciat quantum ad eum pertinet, et bene utatur officio suo, dico quod non est comparatio, nisi sicut inter discipulum et magistrum: unde in statu perfectiori est praelatus...“ Heinrich: Quodl. XII, q. 29 (S. 224, Z. 67-69): „Status praelatorum se habet ad statum religiosorum sicut status magistrorum ad statum discipulorum. Magister autem debet esse perfectior discipulo. Nemo enim debet esse magister qui non fuerit ante discipulus.“

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allerdings in diesem argumentativen Zusammenhang nicht wie Durandus durch die

Apostelnachfolge.

Dass der status episcoporum als status doctorum fungiert, rechtfertigt Durandus mit dem

Lehrauftrag, der an die Apostel ergangen sei und deshalb auch für deren Erben, die

Bischöfe, gelte.139 Wie in dem eingangs zitierten Argument gegen die absolute

Besitzlosigkeit der Apostel, welches der Autor am Ende von Quästion 1 seines

Votums verwendet,140 bleibt auch hier die Annahme, dass die Angehörigen des

Episkopats legitime Nachfolger der Apostel sind, eine unbewiesene Voraussetzung.

Nach dem vierten Argument folgt in dem Gutachten ein weiterer Beweis für die

größere Vollkommenheit des status prelationis, der von Durandus aber nicht als eigenes

Argument mitgezählt wird und bei Horst keine Erwähnung findet. Durandus hebt

zunächst hervor, dass der Papst Angehöriger des status episcopalis sei, obwohl er,

legitimiert durch Lk 22, innerhalb des Bischofskollegiums eine Vorrangstellung

einnehme.141 Anschließend konstatiert der Autor, dass es nach kirchlicher Lehre

keinen vollkommeneren Stand in der Kirche geben könne als denjenigen des vicarius

Christi, also des Papstes.142 Daraus schließt Durandus, dass die Vollkommenheit des

status prelationis, dem der Stellvertreter Christi angehört, für den status religionis

grundsätzlich unerreichbar bleibt.143 Dabei ist für den Autor unerheblich, zu welchem

Grad an Armut sich ein Orden jeweils verpflichtet, weil religiosi die geringere

Vollkommenheit ihres Standes durch Besitzlosigkeit keinesfalls kompensieren

können.

Formal betrachtet ist das Argument zwar logisch nicht schlüssig, weil die zweite

Prämisse lediglich ausschließt, dass es in der Kirche einen status gebe, der

vollkommener sei als derjenige des Papstes. Der Untersatz besagt dagegen nicht, dass

kein innerkirchlicher status dem Stand des vicarius Christi in seiner Vollkommenheit

gleichkommen könne. Eben dies wird in der Konklusion allerdings vorausgesetzt.

Gleichwohl verdient das Argument deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil in ihm

die Vollkommenheit des Papstes als Beweismittel genutzt wird. Diese

139 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi, dixit Jhesus

Math. ultimo: Ite, docete omnes gentes!“ 140 Vgl. Einleitung, S. 3, Anm. 2; siehe außerdem unten, Kap. III, S. 33. 141 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Nec dominus papa, cui omnes subsunt, ex hoc, quod papa

est, habet alium statum quam episcopalem quamvis habeat inter episcopos tamquam inter fratres superioritatem, sicut dixit Christus Petro: Tu aliquando conversus confirma fratres tuos! Luc, 22°.“

142 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Temerarium autem est et a doctrina ecclesiastica alienum, quod in ecclesia Christi sit status perfectior statu vicarii Christi, qui tamen est episcopus et episcopum se vocat.“

143 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 187): „Et sic patet, quod nulla paupertas, in quocumque gradu sit, potest facere quod status religionis sit eque perfectus sicut status prelationis.“

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Argumentationsweise war im historischen Kontext der Debatte über die Armut

Christi und der Apostel aus mehreren Gründen vorteilhaft.

Erstens verhieß eine Argumentation, die darauf aufbaute, dass es in der Kirche keinen

vollkommeneren Stand gebe als denjenigen des Papstes, Aussicht auf die Gunst des

Adressaten, Johannes‘ XXII. Falls Durandus danach strebte, innerhalb der

kirchlichen Hierarchie weiter aufzusteigen, war er vermutlich sehr daran interessiert,

das Wohlwollen des Papstes zu gewinnen. Tatsächlich bestand die Chance, dass sich

kuriale Gutachtertätigkeit karriereförderlich auswirkte.144 Durandus selbst hatte,

bevor er die Bischofsweihe erhielt, das Amt des lector in curia Romana, eines

Fachgutachters am päpstlichen Hof in Avignon, innegehabt.145 Zweitens ist die

Entscheidung, die Vollkommenheit des Papstes argumentativ zu nutzen, strategisch

günstig, weil dieses Argument von den Verteidigern der minoritischen

Armutsauffassung in der historischen Diskussion schwerlich angegriffen werden

konnte. Da die Debatte vom Papst angestoßen worden war und von diesem geleitet

wurde, wäre Opposition gegen die Prämisse, es gebe in der Kirche keinen

vollkommeneren Stand als den Papst, gefährlich gewesen.

Drittens war der Verweis auf den Papst insofern geschickt, als das Papsttum in der

Legitimation der franziskanischen Armutskonzeption eine zentrale Funktion

übernahm. So kam insbesondere der Bulle Exiit qui seminat Nikolaus‘ III. bei der

Verteidigung der minoritischen Auffassung von apostolischer Armut eine

Schlüsselrolle zu.146 Außerdem fungierte der Papst, wie eingangs erläutert,

stellvertretend für den Minoritenorden als Besitzer derjenigen Güter, von denen die

Franziskaner Gebrauch machten.147 Freilich äußert sich Durandus selbst im

Zusammenhang mit dem genannten Argument nicht zu der großen Bedeutung des

Papsttums für den Minoritenorden.

Die Analyse der Beweisführung, warum keine religio die Vollkommenheit des status

prelationis erreichen kann, zeigt, dass der Bischof von Le Puy größenteils148 auf

Argumentationsmuster zurückgriff, die im Jahrhundert davor bereits bei Thomas von

Aquin, Heinrich von Gent oder Gottfried von Fontaines Verwendung gefunden

hatten. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse lässt sich unter anderem die These

Horsts und Miethkes bekräftigen, Durandus‘ Argumentation sei stark durch die

144 Miethke: Votum (1993), S. 162f. 145 Ebd. 146 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 33f. 147 Siehe oben, Einleitung, S. 4. 148 Eine Ausnahme stellt das Argument dar, in dem Durandus auf den status des Papstes als

vollkommensten Stand in der Kirche rekurriert.

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Position des Thomas von Aquin beeinflusst.149 Zugleich wird durch die Analyse

deutlich, dass der Bischof von Le Puy in einigen Ansichten mit den Standpunkten

Heinrichs und Gottfrieds übereinstimmt, obwohl den Ausführungen der beiden

weltgeistlichen Autoren ein Verständnis des Prälatenstandes zugrunde liegt, das weiter

gefasst ist als sein eigenes.

II Der Besitz des status prelationis – eine Legitimation

Im Anschluss an die Feststellung, dass der Prälatenstand grundsätzlich vollkommener

ist als der Stand der Religiosen, wendet sich Durandus der Frage zu, ob persönliche

und gemeinschaftliche Besitzlosigkeit den Vertretern eines der beiden status perfectionis

mehr Vollkommenheit verleiht als Angehörigen desselben Standes, denen in

Gemeinschaft mit anderen etwas gehört. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung

ist von Interesse, ob nach Durandus‘ Auffassung den prelati, die auf den Besitz

jeglicher temporalia verzichten, mehr Vollkommenheit zukommt als Prälaten mit

gemeinschaftlichem Besitz.

Der Autor bestreitet, dass völlig besitzlose Prälaten vollkommener seien als diejenigen

Mitglieder des status prelationis, die in Gemeinschaft mit anderen zeitliche Güter

besitzen.150 Zuvor hat er bereits aufgezeigt, dass eine religio, die sich zu völliger

Besitzlosigkeit verpflichtet, nicht vollkommener ist als Orden mit

Gemeinschaftsbesitz.151 Die Argumente, die zu diesem Ergebnis führen, gelten nach

Durandus‘ Ansicht analog auch für das Verhältnis zwischen Prälaten mit und ohne

gemeinschaftliche Güter.152 Weil aber die vom Autor angeführten Belege vor allem

auf die besitzrechtliche Situation des Franziskanerordens zugeschnitten sind, genügt

es hier, nur die wichtigsten Punkte seiner Beweisführung zusammenzufassen.

Durandus hebt unter anderem hervor, dass Besitzlosigkeit nur dann zu

Vollkommenheit führen könnte, falls sie dem Menschen die Lust auf temporalia und

die unruhige Sorge (sollicitudo) nähme, die von den geistlichen Gütern (spiritualia)

149 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210; Miethke: Votum (1993), S. 161; vgl. oben, Einleitung, S.

6f. 150 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190): „Per easdem rationes patet, quod si unus prelatus nihil habeat

in proprio vel communi, alius autem habeat aliqua in communi, primus non est propter hoc in perfectiore statu quam secundus.“

151 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189f.). 152 Siehe Anm. 150.

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ablenkt.153 Nach Auffassung des Autors sind aber formal besitzlose Religiose wie die

Minoriten nicht von der sollicitudo oder der Liebe zu irdischem Besitz befreit, weil sie

zeitliche Güter gebrauchen und selbstständig über diese verfügen. Ähnlich wie

Durandus argumentiert Papst Johannes XXII. in der zweiten Redaktion154 seiner

Bulle Ad conditorum canonum.155 In der ersten Redaktion der Dekretale war der Papst in

seiner Kritik am franziskanischen Armutsmodell sogar noch einen Schritt weiter

gegangen als Durandus. Er behauptete dort nämlich, dass die unruhige Sorge um

zeitliche Güter unter den Minoriten sogar noch verbreiteter sei als bei Bettelorden mit

gemeinschaftlichem Besitz.156 Ad conditorum canonum wird in dem Gutachten des

Bischofs von Le Puy nicht erwähnt, was ein Indiz dafür sein könnte, dass Durandus

noch keine Kenntnis von der Bulle hatte, als er sein Votum verfasste. Ein solches

argumentum ex silentio hat jedoch keinesfalls den Rang eines Beweises.

In minoritischen Texten finden sich Positionen, die sich von Durandus‘ Standpunkt

zur sollicitudo völlig besitzloser religiosi deutlich unterscheiden. So vertrat das

franziskanische Generalkapitel von Perugia im Juni 1322 in seiner offiziellen Reaktion

auf die Fragestellung des Papstes die Ansicht, die allerhöchste und vollkommenste

Armut, die Verzicht auf persönliche und kollektive Besitztümer bedeute, schließe eine

‚größere‘ Sorge um temporalia aus.157 Der minoritische Kardinal Bertrand de la Tour

153 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „...quia renunciare temporalibus non facit ad perfectionem,

nisi inquantum per talem renunciationem tollitur sollicitudo mentem distrahens a spiritualibus et amor alliciens ad temporalia. Sed per talem renunciationem, qualis dicta est, nihil predictorum tollitur vel minuitur plus quam in aliis religionibus habentibus aliquid in communi. Ergo talis renunciato (sic!) non auget perfectionem in aliquo.“ Siehe hierzu Horst: Armut und Kirche (1992), S. 211f.

154 Die zweite Redaktion wurde unter dem Datum der ersten Redaktion, dem 8. Dezember 1322, promulgiert. Die tatsächliche Veröffentlichung der überarbeiteten Bulle fand Miethke zufolge bald nach dem 14. Januar 1323 statt, dem Tag, an dem der franziskanische Ordensprokurator Bonagratia von Bergamo gegen die erste Fassung protestiert hatte. Siehe hierzu Miethke: Armutsstreit (2012), S. 269f.; vgl. Eva Luise Wittneben: Bonagratia von Bergamo. Franziskanerjurist und Wortführer seines Ordens im Streit mit Papst Johannes XXII. (Studies in Medieval and Reformation Thought 90), Leiden – Boston 2003, S. 158f.

155 Ad conditorem canonum (Extravagantes Iohannis XXII, ed. Tarrant (1983), Nr. 18, S. 233, Z. 51-57): „…restat, quod si sollicitudo eadem post expropriacionem huiusmodi, que ante ipsam inerat, perseueret, ad perfeccionem huiusmodi talis expropriacio ualeat nil conferre. Constat autem quod post ordinacionem predictam non fuerunt in acquirendis ac conseruandis bonis predictis in iudicio et extra minus soliciti quam ante illam fuerant fratres ipsi quamque sint religiosi mendicantes alii habentes aliqua in communi.“ Siehe zur Argumentation des Papstes Wittneben: Bonagratia (2003), S. 191.

156 Ad conditorum canonum (Bullarium Franciscanum 5, ed. Eubel, S. 236a in nota): „Constat autem, quod fratres dicti ordinis post factam retentionem dicti dominii non minus, sed satis amplius quam ante ipsam in acquirendis bonis ipsis ac conservandis tam in iudicio quam extra fuerunt solliciti, quam sint religiosi alii mendicantes solliciti, habentes aliqua in communi, prout haec nota magistra rerum experientia cunctis recte considerantibus evidentius manifestat.“

157 Manifest von Perugia (Annales Minorum 6, ed. Wadding (1733), Nr. 55, S. 399): „Probatio minoris, quia perfectissima et altissima paupertas est illa, quae excludit majorem sollicitudinem temporalem, et animam liberiorem facit ab omni affectione rei temporalis. [...] Sed paupertas illa, qua nihil habetur in speciali, ex se et essentialiter, et ex intrinseca ratione sui, magis excludit sollicitudinem hujusmodi, quia bona temporalia etiam in communi habita, mentes possidentium illaqueant, et afficiunt aliquo modo, et suos possessores reddunt etiam suos possessores timidos et sollicitos, ne

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legte in seinem Gutachten sogar dar, dass die Lossagung vom Besitz, die Christus den

Aposteln befahl, jegliche sollicitudo um weltlichen Besitz aufhebe.158 Demnach war der

bloße Gebrauch zeitlicher Güter, den der Minoritenorden nach eigener Auffassung

gemäß dem apostolischen Vorbild praktizierte, frei von der Sorge um temporalia und

dadurch kein Hindernis für den status perfectionis.159

Gegen die These, eine religio ohne jeglichen Besitz sei vollkommener als eine religio mit

Gemeinschaftsbesitz, wendet Durandus außerdem ein, dass die Vollkommenheit

einer Person nicht vom wandelbaren Willen eines anderen abhängen könne.160 Genau

dies geschehe aber, wenn man, wie es das franziskanische Armutskonzept vorsieht,

vom Eigentum eines anderen Menschen Gebrauch mache, der stellvertretend als

Besitzer der jeweiligen Güter fungiert.161

Wie diese Argumente im Einzelnen auf den hypothetischen Fall eines Prälaten

übertragen werden können, der weder persönlich noch in Gemeinschaft etwas besitzt,

erläutert Durandus nicht. Stattdessen legt er, gestützt auf Bibelzitate und

Bestimmungen des kanonischen Rechts, dar, dass die Mitglieder des status prelationis

notwendigerweise zeitliche Güter besitzen müssen.

Erstens werde gemäß dem Apostel Paulus von Bischöfen Gastfreundschaft verlangt,

die ohne Besitz nicht aufrechtzuerhalten wäre.162 Zweitens gehöre es nach dem

Auftrag „Weide meine Schafe und meine Lämmer!“ aus dem Johannesevangelium zum

Hirtenamt der Prälaten, für die ihnen anvertrauten Gemeindemitglieder nicht nur

durch Predigt und Vorbild, sondern auch durch materielle Hilfe zu sorgen.163 Dies

aber setze Kirchenbesitz voraus. Das Argument ähnelt stark einer Textpassage in

talia bona communia perdantur aut diminuantur: aut super haec aliqua eis injuria inferatur.“ Siehe hierzu Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 246; Wittneben: Bonagratia (2003), S. 113f. Es handelt sich bei dem Dokument um die längere von zwei Stellungnahmen des Generalkapitels.

158 Bertrand: Dicta Domini Bertrandi Cardinalis de Turre (ed. Nold (2003), S. 186): „…Nolite possidere [...] pracepit eis Christus ut essent expediti ab omni cura et solicitudine omni ubi nulla possessio. Res enim pluribus modis habetur scilicet quantum ad proprietatem et quantum ad usum.“

159 Bertrand: Dicta (S. 187): „…habere temporalia, quantum ad dominium ac prorietatem [...] repugnat illi statui de cuius ratione est nihil habere in speciali, uel in communi, quia res possessa fortius diligitur quantum est de se et magis afficit habentis animum quam non possessa, et annexam habet curam et solicitudinem que per se loquendo tali repugnat statui. Usus autem rerum temporalium presens et cotidianus non repugnat tali statui, nisi esset excessiuua et superfluus.“

160 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190): „Item inconveniens est, quod perfectio alicuius dependeat ex mutabili voluntate alterius.“

161 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190): „Sed si perfectionis est habere in rebus temporalibus solum usum facti proprietate et dominio remanentibus apud alium, cum voluntas cuiuslibet hominis sit mutabilis, tunc talis perfectio dependebit ex eius mutabili voluntate.“

162 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190f.): „Immo videtur esse contra rationem status episcopalis, prout ipsum describit apostolus Ia ad Thi. 3°, et ad Thi. 1° capitulo, nihil habere. Utrobique enim dicit, quod oportet episcopum esse hospitalem. Si autem episcopus non habeat hospicium nec necessaria pro hospicio, qualiter poterit hospitalitatem aliis exhibere? Non apparet possibile.“

163 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Item, Christus committens principatum ecclesie beato Petro Iohannis ultimo, dixit ei ter: Pasce oves meas et agnos meos!, quia prelatus debet pascere subditos verbo, exemplo et temporali subsidio, quod fieri non posset quantum ad tertium, si ecclesia nihil haberet.“

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Thomas‘ De perfectione spiritualis vitae. Dort wird betont, dass Bischöfe die Gläubigen

ihrer Diözese in Notsituationen durch die temporalia, über die sie verfügen,

unterstützen müssen.164

Drittens belegt Durandus durch Bestimmungen des kanonischen Rechts, dass die

Versorgung des gesamten Klerus – und damit auch der Prälaten – in ausreichendem

Umfang sichergestellt sein müsse.165 Zudem beweise der Erste Korintherbrief, dass

die Apostel, in deren Nachfolge die Prälaten stehen, das Recht hatten, für ihre

Predigertätigkeit temporalia als Lebensunterhalt zu erhalten.166 Durandus leitet daraus

ab, dass die Angehörigen des status prelationis von den Gläubigen, die ihnen

untergeben sind, mit materiellen Gütern versorgt werden müssen.167 Darüber hinaus

argumentiert er auf Basis der Glossa ordinaria zu Paulus‘ Erstem Timotheus-Brief, dass

den Prälaten als ‚guten Priestern‘ unter anderem ‚irdische Ehre‘ (honor terrenus)

zustehe.168 Unter honor terrenus versteht der Autor dabei auch Besitz.

Aus dem Gesagten wird deutlich, dass sich die Argumentation nicht auf eine

Begründung beschränkt, warum Mitgliedern des status prelationis der Besitz von

temporalia gestattet ist. Vielmehr läuft die Beweisführung auf den Schluss hinaus, dass

völlige Besitzlosigkeit der perfectio und Würde (decentia) des Prälatenstandes

zuwiderlaufe.169 Ohne Besitz könnten prelati erstens ihren Pflichten nicht

nachkommen, was zum Verlust ihres Vollkommenheitsstatus führen würde. Zweitens

entbehrte der status prelationis ohne den honor terrenus, der in den zeitlichen Gütern zum

Ausdruck kommt, seiner decentia.

Durandus‘ Position ähnelt dem Standpunkt, den Gottfried von Fontaines im Kontext

der Auseinandersetzungen zwischen Bettelorden und Weltgeistlichen vertreten hatte.

Die Vollkommenheit des Bischofsstandes könne durch den Besitz von temporalia

nicht geschmälert werden.170 Andernfalls wären die Bischöfe unvollkommen, da sie

164 Thomas: De perfectione, c. 20 (B 92, Z. 47-50): „Tenentur enim episcopi bona temporalia quae

habent, in necessitate suis subditis exhibere, quos pascere debent non solum verbo et exemplo, sed etiam temporali subsidio.“ Vgl. auch Thomas: S.th. II-II, q. 186, a. 3, ad 5 (S. 820).

165 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191). Verweis auf die entsprechenden Regelungen des Kirchenrechts bei Miethke: Votum, S. 191, Anm. 121-123.

166 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Beatus etiam Paulus [...] I ad Cor. 9° probat quod sibi et ceteris apostolis seminantibus spiritualia debebantur temporalia ad sustentationem.“

167 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Unde de iure naturali et divino statui prelatorum annexum est debitum habendi sustentationem competentem a suis subditis.“

168 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Unde super illud Ia ad Thi. 5° Qui bene presunt presbyteri duplici honore digni habeantur, maxime qui laborant in verbo et doctrina, dicit glossa boni dispensatores non solum honore sublimi prevenire debent, sed et terreno, ut non contristentur indigentia sumptuum.“

169 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Ex quibus omnibus videtur, quod contra perfectionem et decentiam status prelationis est nihil habere saltem in communi de bonis ecclesie.“

170 Gottfried: Quodlibet XII, q. 20 (ed. Hoffmans (1932)(Les Philosophes Belges, Textes et Études 5,1-2), S. 162f.): „Similiter etiam, cum episcopi nunc possideant bona ecclesiae in magna abundantia quae sunt bona communia et clericorum pro eorum sustentatione et etiam communium pauperum ad subveniendum eorum necessitati, nec illis episcopus potest renuntiare, sed illa debet fideliter

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aufgrund ihres Standes den Kirchengütern nicht entsagen dürfen, sondern diese für

den Unterhalt der Kleriker und als Hilfe für die Armen verwenden müssen.171 Wie

Durandus‘ Gutachten ist Gottfrieds Argumentation insbesondere gegen den

Vollkommenheitsanspruch des Minoritenordens gerichtet.172 Der Autor betont

entschieden, dass es in der Kirche keinen vollkommeneren Stand gebe als denjenigen

der Apostel und ihrer Nachfolger, der Bischöfe.173

Der Vergleich zwischen Durandus‘ Votum und dem Gutachten des dominikanischen

Generalmagisters Hervaeus Natalis zeigt, dass die beiden Dominikaner in ihrer

Rechtfertigung, warum Prälaten auf den Besitz zeitlicher Güter nicht verzichten

müssen, unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die kompromisslose These des

Durandus, völlige Besitzlosigkeit stehe im Widerspruch zur Vollkommenheit des

Prälatenstandes, fehlt bei Hervaeus. Stattdessen legt der Generalsuperior des

Dominikanerordens dar, dass die praelati über den gemeinschaftlichen Besitz der

Kirche hinaus auch persönliches Eigentum besitzen dürfen, ohne dadurch ihre

Vollkommenheit zu verlieren.174 Die perfectio eines status werde nur durch dasjenige

aufgehoben, was den Pflichten des jeweiligen Standes zuwiderläuft. Da keine der

Aufgaben, denen sich die praelati verschreiben, den Verzicht auf persönliches

Eigentum voraussetze, verringere sich die Vollkommenheit des Prälatenstandes durch

den Besitz eigener temporalia nicht. Eine vergleichbare Argumentation, die speziell den

persönlichen Besitz der Prälaten verteidigt, ist in Durandus‘ Gutachten nicht zu

finden.

Hervaeus ist außerdem der Auffassung, dass ein Prälat, der zusätzlich zur Erfüllung

seiner Pflichten auf persönlichen Besitz verzichtet,175 einen vollkommeneren Status

einnimmt als seine Standesgenossen.176 Auch diese Position wird im Votum des

Bischofs von Le Puy nicht vertreten. Der Generalsuperior der Dominikaner

dispensare, in nullo etiam derogat perfectioni status episcoporum talium bonorum possessio, alioquin sequeretur quod episcopus non posset esse perfectus.“

171 Ebd. 172 Gottfried: Quodl. XII, q. 20 (S. 157): „Est ergo dicendum quod non est status perfectior statu

apostolorum et praelatorum, loquendo de statu qui dicitur status perfectionis [...]. Licet ergo apostoli non observaverint huiusmodi paupertatem quam dicunt se fratres minores servare omnino tali modo sicut dicunt fratres huiusmodi se servare, quia hoc non patitur status praelatorum, [...] ex hoc tamen non arguitur minor perfectio status ipsorum.“

173 Ebd. 174 Hervaeus Natalis: De paupertate Christi et apostolorum (ed. Sikes (1937-1938), S. 275f., Z. 38-12). 175 Hervaeus spricht hier nicht von einem völlig besitzlosen Prälaten. In einer vorangegangenen

Textstelle des Votums hat er nämlich bereits, gegen die Position der Minoriten gerichtet, dargelegt, dass sich legitimer Gebrauch (usus licitus) und Besitzrecht (dominium) zumindest bei Gütern, die konsumiert werden, nicht trennen lässt; vgl. Hervaeus: De paupertate (S. 242, Z. 12f.). Wenigstens über ein Minimum an Besitz müsste daher auch derjenige Prälat verfügen, der den temporalia entsagt.

176 Hervaeus: De paupertate (S. 276, Z. 25-27): „…abdicatio temporalium addita ad statum praelationis facit statum comprehendentem utrumque magis perfectum quam si comprehendat alterum tantum.“

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begründet seine These damit, dass derjenige, der den zeitlichen Gütern entsagt und

sich insbesondere von seinem persönlichen Eigentum trennt, leichter die eigene

Vollkommenheit erreichen und bewahren könne.177 Als Mittel zur Beförderung der

Vollkommenheit vergrößert der Verzicht auf temporalia nach Hervaeus‘ Verständnis

die Vollkommenheit des status praelationis.178

Der Standpunkt, den Durandus in seinem Votum zum Besitz der Prälaten einnimmt,

unterscheidet sich von Hervaeus‘ Ansicht. Zwar erklärt der Bischof von Le Puy, wie

dargelegt, nur die Trennung vom gemeinschaftlichen Besitz ausdrücklich als

unvereinbar mit dem Amt der prelati.179 Er schließt also nicht explizit aus, dass ein

Prälat auf persönliches Eigentum verzichten könnte. Durandus betont jedoch, dass

Reichtum genauso wie Armut ein Instrument sein könne, das der perfectio eines

Standes dient.180 Ob Reichtum und Armut die Vollkommenheit befördern oder

hemmen, hängt nach Meinung des Autors von ihrem jeweiligen Nutzen für die Werke

ab, zu denen sich ein Stand verpflichtet.181 Da das Votum die zentrale Bedeutung der

temporalia für die Aufgaben des Prälatenstandes unterstreicht, steht außer Frage, dass

Reichtümer aus Durandus‘ Sicht ein Mittel darstellen, welches bei richtigem Einsatz

die Vollkommenheit des status prelationis begünstigt. Per se führt Besitz jedoch

ebensowenig wie Armut zur Vollkommenheit, die – Durandus hat dies im zweiten

Abschnitt der Quästion 2 bereits erläutert182 – in den Habitus und in den Akten der

Tugenden, insbesondere in denjenigen der caritas, besteht.183

Nachdem Durandus allgemein festgestellt hat, dass zeitliche Güter je nach Aufgabe

des jeweiligen Standes hinderlich oder nützlich für die perfectio sein können, erläutert

er konkret, inwiefern in der Frühzeit der Kirche die Umstände von Zeit und Ort über

die Notwendigkeit von Immobilienbesitz (possessiones immobiles) für den status prelationis

entschieden. Zur Zeit Christi und der Apostel habe der Prälatenstand das Ziel

177 Hervaeus: De paupertate (S. 276, Z. 18-20): „...abdicatio temporalium, praecipue quantum ad

dominium in proprio, reddit hominem magis aptum ad perfectum perfectionis...“ 178 Hervaeus: De paupertate (S. 276, Z. 22-25): „...illud quod instrumentaliter reddit hominem magis

aptum ad perfectionem conservandam et promovendam additum alicui statui facit statum quantum est de se magis perfectum...“

179 Vgl. S. 29, Anm. 169. 180 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Possunt tamen esse instrumenta vel impedimenta

perfectionis tam in religiosis quam in prelatis.“ 181 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „Cum enim quilibet predictorum statuum dedicatur sit cultui

divino ad exercendum aliqua opera, quibus intendit ex caritate dei et proximi, sicut paupertas et divitie promovent vel impediunt debitum exercicium talium operum, sic promovent vel impediunt perfectionem illius status.“

182 Vgl. Kap. I.1, S. 10f. 183 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 191): „…paupertas vel divitiarum abundantia non facit per se ad

perfectionem, que essentialiter consistit in virtutibus et actibus virtutum.“

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verfolgt, Juden und Heiden durch die Predigt des Evangeliums zu bekehren.184 Diese

Tätigkeit erforderte nach Durandus‘ Meinung, dass die Apostel als prelati der ersten

Generation nicht fest an einen Ort gebunden waren.185 Weil die Bewegungsfreiheit

der Apostel durch den Besitz von Gebäuden und Land eingeschränkt worden wäre,

habe der Prälatenstand zu dieser Zeit nicht über Immobilien verfügt.186 Das

Aufgabenfeld des status prelationis erweiterte sich jedoch Durandus zufolge noch zu

Lebzeiten der Apostel insofern, als nun in bereits christianisierten Gebieten der

Glaube und die Sitten der Gläubigen gestärkt und neue Gemeindemitglieder

hinzugewonnen werden mussten.187 Zu diesem Zweck setzten die Apostel Bischöfe

ein, um selbst zu Missionsreisen in andere Regionen aufzubrechen.188 Durandus ist

überzeugt, dass die Bischöfe ohne ausreichenden Besitz an beweglichen und

unbeweglichen Gütern ihr Amt nicht hätten ausüben können.189 Aus Sicht des Autors

war somit der Immobilienbesitz, der die Apostel an der Ausführung ihres

Bekehrungsauftrags gehindert hätte, im Falle der Bischöfe Voraussetzung dafür, die

Vollkommenheit des status prelationis erreichen zu können.190 Da die Berufung der

ersten Bischöfe durch die Apostel Durandus zufolge den Ursprung der Kirche

bildet,191 lässt sich indirekt auch der Besitz des zeitgenössischen Prälatenstandes auf

eine apostolische Gründung zurückführen.

184 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Opus autem status prelationis pro tempore Christi et

apostolorum fuit conversio iudeorum et gentium ad fidem Christi per predicationem evangelii,...“ 185 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „…et ideo pro illo tempore, quo debebant per totum

mundum discurrere, ut in omnem terram exiret sonus predicationis eorum, non expediebat, quod haberent possessiones immobiles, domos vel agros. Fuissent enim tunc ad impedimentum cursus predicationis retinendo eos affectu vel effectu in certo loco.“

186 Ebd. 187 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Consequenter autem adhuc viventibus apostolis incepit

ecclesia habere aliquas possessiones immobiles, et sic expediebat, quia ecclesia non solum erat fundanda per conversionem infidelium ad fidem, sed etiam nutrienda et multiplicanda. Propter quod, postquam apostoli converterant aliquam regionem seu civitatem ad fidem, ipsis transeuntibus ad alias convertendas necesse fuit, quod constituerent episcopos super iam conversos ad confirmandum eos in fide et moribus, et ad attrahendum alios.“

188 Ebd. 189 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Et sicut apostolis, qui habebant per totum mundum

discurrere predicando, fuissent possessiones immobiles ad impedimentum, sic episcopis per eos constitutis in certis locis fuisset ad impedimentum sui officii et ad imperfectionem status sue prelationis, nisi habuissent tam in bonis immobilibus quam mobilibus sufficientiam victus et vestitus.“

190 Ebd. 191 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 192): „Et sic ex tunc processit ecclesia fundamentum habens ex

prima institutione apostolica.“

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III Rekurs auf den Prälatenstand in den Argumenten gegen das

franziskanische Konzept apostolischer Armut

In den beiden vorangegangenen Kapiteln über die Vollkommenheit und den Besitz

des Prälatenstandes wurden Textpassagen aus Durandus‘ Votum beleuchtet, in denen

der status prelationis selbst im Zentrum des Interesses steht. Nun ist zu untersuchen,

wie der Autor in einigen Argumenten gegen die minoritische Armutskonzeption oder

deren Verteidigung auf die prelati Bezug nimmt. Wie eingangs aufgezeigt, hebt

Durandus beispielsweise hervor, dass die Prälaten und der Papst nicht dem

evangelischen Ideal gerecht würden, falls die Armut Christi und der Apostel

tatsächlich, der franziskanischen Auffassung entsprechend, als totale Besitzlosigkeit

zu verstehen wäre.192 Die Lebensweise der prelati, die aus Sicht des Autors

rechtmäßige Nachfolger der Apostel sind, wird durch die oben skizzierte

argumentative ‚Inversion‘ zu einem Beleg dafür, dass auch das apostolische Vorbild

der Prälaten nicht auf jeglichen Besitz verzichtete.193 Durandus verfolgt in dieser

Textstelle eindeutig das Ziel, das minoritische Armutsverständnis zu diskreditieren.

Überspitzt behauptet er, die franziskanische Position, Christus und die Apostel hätten

weder persönlich noch gemeinschaftlich etwas besessen, sondern nur einen usus facti

ausgeübt, führe zur Aufhebung der bestehenden kirchlichen Hierarchie. Zwar

gelangten im Laufe der langen Diskussion über die franziskanische Armut tatsächlich

einige Denker zu dem Schluss, dass der zeitgenössische Episkopat wegen seines

Besitzes nicht in jeder Hinsicht in der Nachfolge der Apostel stehe.194 Dies bedeutete

jedoch, wie im nächsten Kapitel zu zeigen ist, nicht zwangsläufig, dass die Stellung

der prelati in der Kirche verworfen wurde. Die Argumentatiosstrategie des Bischofs

von Le Puy ähnelt nach Ansicht Tabarronis dem Verhalten einiger Zensoren, die sehr

bemüht waren, in Schriften, die unter Häresieverdacht standen, Beweise für eine

Delegitimation der bestehenden kirchlichen Ordnung zu entdecken.195 In Durandus‘

Darstellung erscheint die franziskanische Armutsauffassung, die für sich allein

genommen aus Perspektive des dominikanischen Theologen nicht eindeutig häretisch

ist,196 unter ekklesiologischen Gesichtspunkten als Gefahr.197

192 Siehe Einleitung, S. 3, Anm. 2. 193 Siehe Einleitung, S. 6, Anm. 22. 194 Siehe hierzu Kap. IV, S. 45-53. 195 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 16f. u. 53. 196 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 183): „Dicere autem quod in hiis, que habuerunt, non habuerunt

nisi solum usum facti et nihil dominii seu proprietatis, non est adeo clare hereticum, quia scriptura sacra de hoc non loquitur pro vel contra.“

197 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 209f.

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Ein ähnliches Argument nutzt Durandus als Einwand gegen den Versuch, aus

Anweisungen Jesu in den Evangelien abzuleiten, dass die Apostel weder persönlich

noch in Gemeinschaft etwas besessen hätten.198 Zunächst erläutert er, dass die

Apostel an den entsprechenden Stellen des Neuen Testaments, auf die sich die

Franziskaner zur Legitimierung der eigenen Armutskonzeption berufen, nur in ihrer

Funktion als ‚Prälaten‘199 angesprochen werden.200 Die Aufforderungen, die Christus

an die Apostel richtet, bezögen sich nämlich auf eine bevorstehende Predigertätigkeit,

die den prelati grundsätzlich durch ihr Amt zustehe, den Religiosen dagegen nur nach

vorheriger Beauftragung durch die Prälaten gestattet sei.201 Als prelati können die

Apostel aber aus Sicht des Autors nicht dazu verpflichtet gewesen sein, auf jeglichen

Besitz zu verzichten.202 Andernfalls würden die Apostelnachfolger – sowohl die

Prälaten zu Durandus‘ Zeit als auch zahlreiche Heilige, die in der Geschichte des

Christentums das Bischofsamt ausübten – durch ihre kirchlichen Güter gegen ein

Gebot Christi verstoßen.203 Die betreffenden Vorgaben (precepta) sind für Durandus

also nicht als notwendige Verpflichtungen (necessariae obligationes) aufzufassen, sondern

als lehrhafte Beispiele (documenta).204

Durch eine ähnliche Argumentation begründet Thomas von Aquin, warum aus den

Anweisungen Jesu im Evangelium nicht zu folgern sei, dass Bischöfe in völliger

Besitzlosigkeit leben müssten.205 Als Beleg werden auch bei Thomas viele

198 Vgl. beispielsweise Bonaventura: Apologia Pauperum, c. 7, §9-12 (Opera Omnia 8 (1898), S. 275f.);

Bonagratia de Bergamo: Tractatus de Christi et apostolorum paupertate (ed. Oliger (1929), S. 491f.); Bertrand: Dicta (S. 184).

199 Aus dem Textzusammenhang wird erkennbar, dass unter dem Terminus ‚prelati‘, der hier für die Apostel gewählt wird, die Inhaber eines bischofsähnlichen Standes zu verstehen sind. Durandus bezeichnet die Bischöfe nämlich als Nachfolger der Apostel; siehe unten, Anm. 202. Vgl. oben, Kap. I.1, S. 12f.

200 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179): „Item omnia illa fuerunt dicta apostolis non ut religiosis, sed ut prelatis, quia dictum fuit eis, quando mittebantur ad predicandum. Predicare autem competit prelatis ex officio, religiosis autem non, nisi voluntaria commissione prelatorum.“

201 Auf welche kirchenrechtliche Bestimmung sich Durandus hier genau bezieht, ist nicht ersichtlich. Das Recht der Mendikanten, ohne Erlaubnis durch den örtlichen Klerus predigen zu dürfen, das in der Bulle Ad fructus uberes (1281) verbürgt gewesen war, hatte in der Bulle Super cathedram (1311) Einschränkungen erfahren. In Super cathedram wird jedoch nicht bestimmt, dass die Angehörigen der Bettelorden allgemein nur dann predigen durften, wenn sie zuvor von einem Prälaten eine entsprechende Lizenz erhalten hatten. Für einen knappen Überblick über die wechselvolle Geschichte des mendikantischen Predigtrechts in der Frühzeit der Bettelorden siehe Lawrence: Friars (1994), S. 152-161.

202 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179): „Si ergo omina illa essent sub precepto dicta apostolis, cum in locum eorum episcopi successerunt, sequeretur, quod episcopi ad omina illa tenerentur ex precepto, quod est dampnare non solum modernos prelatos, sed etiam antiquos sanctos, sicut Augustinum, Ambrosium, Ilarium, Gregorium et multos alios, qui bona communia ecclesie possederunt et ea laudabiliter pro se et aliis dispensaverunt.“

203 Ebd.; siehe hierzu Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 130. 204 Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 178): „Frequenter etiam nomen precepti ponitur in evangeliis

magis pro documento quam pro necessaria obligatione,…“ 205 Thomas: De perfectione, c. 21 (B 94, Z. 138-149): „ Posset autem alicui videri quod episcopi teneantur

ut hanc perfectionem de abiiciendis divitiis habeant non solum in praeparatione animi, sed etiam in exercitio actus. Dominus enim apostolis mandavit, ut dicitur Matth. X, 9: nolite possidere aurum neque

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Bischofsgestalten der Kirchengeschichte angeführt, deren Heiligkeit unbestritten sei,

obwohl sie nicht auf Besitz verzichtet hätten.206

An anderer Stelle nutzt Durandus die historische Realität, dass Angehörige des

Franziskanerordens in den Bischofsstand aufgenommen wurden, als Einwand gegen

die Armutskonzeption der Minoriten. Das Argument beginnt mit der hypothetischen

Annahme, das franziskanische Gelübde, weder persönlich noch in Gemeinschaft

etwas zu besitzen, sondern nur einen usus facti auszuüben, sei statthaft und tatsächlich

erfüllbar.207 Unter dieser Voraussetzung dürften Minoriten nicht Bischof werden, weil

zum status episcopalis gemeinschaftlicher Besitz gehöre.208 Andernfalls würde ein

Franziskaner, der in den Bischofsstand tritt, sein Armutsgelübde brechen.209 Daraus

folgt für den Autor, dass den Angehörigen des Minoritenordens nur durch eine

spezielle päpstliche Dispens die Übernahme des Bischofsamtes ermöglicht werden

könnte.210 Allein der Papst sei nämlich berechtigt, eine Person von den zentralen

Gelübden ihres Ordens zu entbinden.

Ob der Inhaber des Petrusstuhls tatsächlich nach kanonischem Recht vom

Armutsgelübde hätte dispensieren können, war umstritten.211 Der Liber Extra

Gregors IX. betont ausdrücklich, dass nicht einmal der Papst einen Mönch vom

Gelübde der Armut befreien könne.212 Die Glossa ordinaria des Bernard von Parma zu

der Dekretalensammlung bekräftigt dies, verweist allerdings auf die Möglichkeit des

Papstes, den monastischen Status einer Person aufzuheben.213 Anzeichen dafür, dass

Päpste in dem von Durandus beschriebenen Sinne eine Dispens vom Armutsgelübde

erteilten, sind nicht erkennbar.214 Die unausgesprochene Pointe des Argumentes

argentum, neque pecuniam in zonis vestris; non peram in via, neque duas tunicas, neque calceamenta, neque virgam; episcopi autem successores apostolorum sunt. Tenentur ergo ad haec mandata apostolis facta. Sed manifestum est id quod concluditur, verum non esse.“

206 Thomas: De perfectione, c. 22 (B 94, Z. 149-163): „Fuerunt enim multi in Ecclesia episcopi, de quorum sanctitate dubitari non potest, qui hoc non observaverunt, sicut Athanasius, Hilarius et alii plurimi. [...] Et ideo non est credendum, id quod a sanctis viris communiter agitur, contra divinum praeceptum esse.“ Vgl. außerdem Hervaeus: De paupertate (S. 275, Z. 21-30).

207 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 188): „Sed dato, quod sit possibile et licitum vovere nihil habere in proprio vel communi de rebus temporalibus quibuscumque quantum ad proprietatem et dominium, sed solum habere simplicem usum facti,...“

208 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 188f.): „...voventibus tamen se nihil habituros isto modo non liceret transire ad statum, in quo aliquid habeatur in communi, [...]. Sed in statu episcopali habetur aliquid in communi...“ Vgl. De paupertate (S. 190f.); siehe oben, Kap. II, S. 28f.

209 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „...alioquin essent transgressores voti sui.“ 210 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „Ergo talibus religiosis voventibus se nihil habituros non licet

transire ad statum episcopalem, nisi ex certa scientia et rationabili causa dispensetur cum eis per dominum papam, qui solus potest in votis principalibus religionis dispensare.“

211 Verweis auf diese Kontroverse bei Bernard von Parma: Glossa ordinaria, Liber extra 3.35.6 (Decretales D. Gregorii papae IX. suae integritati una cum glossis restitutae, Rom 1582, Sp. 1297), s.v. abdicatio proprietatis.

212 Liber extra 3.35.6 (Corpus Iuris Canonici 2, ed. Friedberg (1881), Sp. 600). 213 Siehe Anm. 211. 214 In der Forschung ist die Problematik mendikantischer Bischöfe ausführlich behandelt worden. Ein

Hinweis darauf, dass Päpste im 13. oder 14. Jahrhundert vom Armutsgelübde dispensierten, ist

36

besteht somit darin, dass Minoriten die Bischofswürde empfingen, ohne zuvor von

ihrem Armutsgelübde befreit worden zu sein. Nach Meinung des Dominikaners

hätten diese franziskanischen Bischöfe gegen ihr votum verstoßen, falls das Gelübde,

in totaler persönlicher und kollektiver Besitzlosigkeit zu leben, wirklich realisierbar

und statthaft wäre. Gerade die Erfüllbarkeit des minoritischen Armutsgelübdes

bestreitet der Autor freilich.215

Die Strategie, die Durandus hier wählt, um die juristische Inkonsistenz der

franziskanischen Position aufzuzeigen, ist im Kontext der Debatte über die

apostolische Armut raffiniert. Unter den Gutachtern, die den Standpunkt der

Minoriten verteidigten, befanden sich nämlich mehrere franziskanische Bischöfe und

Kardinäle.216 Deren Autorität in der Streitfrage wird durch Durandus‘ Einwand

indirekt untergraben. Darüber hinaus unterstreicht die kanonistische Argumentation

die außerordentliche Machtfülle des Papstes, an den das Votum adressiert ist.

Zur Absicherung seiner Argumentation sucht Durandus, den möglichen Einwand zu

widerlegen, dass Minoriten ihr Armutsgelübde gar nicht brechen müssten, wenn sie

das Bischofsamt übernähmen.217 Von franziskanischen Autoren wurde nämlich

bisweilen behauptet, dass Prälaten gar nicht Eigentümer der ihnen anvertrauten

Kirchengüter seien, sondern diese nur verwalteten. Eine derartige Position vertreten

beispielsweise Bertrand de la Tour218 und Bonagratia von Bergamo, der

Ordensprokurator der Minoriten.219 Woher genau Durandus das franziskanische

dort aber nicht zu finden; vgl. Paul Remy Oliger: Les évêques réguliers. Recherche sur leur condition juridique depuis les origines du monachisme jusqu’a la fin du Moyen-Âge, Paris – Louvain 1958; Williell R. Thomson: Friars in the Cathedral. The First Franciscan Bishops 1226-1261, Toronto 1975; Diego Quaglioni: Riflessi ecclesiologici e canonistici dell’ascesa dei frati alle cattedre vescovili, in: Dal pulpito alla cattedra. I Vescovi degli ordini mendicanti nel ‘200 e nel primo ‘300. Atti del XXVII Convegno internazionale. Assisi, 14-16 ottobre 1999, Spoleto 2000, S. 349-375.

215 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 188). 216 Auf das Gutachten des minoritischen Kardinals Bertrand de la Tour wurde bereits mehrfach

hingewiesen; siehe oben, Einleitung, S. 8 und Kap. II, S. 27f. 217 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „Et si dicatur quod immo, quia episcopus est solum

dispensator bonorum ecclesie et nullum dominium habet in eis, esse autem merum dispensatorem bonorum ecclesie non est contrarium seu repugnans voto, quo quis vovet nihil habere in proprio vel communi de dominio seu proprietate rei, non valet, quia licet dominium et proprietas talium non sit episcopi, sed ecclesie...“

218 Bertrand: Dicta (S. 189): „Adhuc tertio notandum quod potestas dispensandi temporalia non uidetur repugnare illi statui de cuius ratione est nichil habere in speciali uel in communi quantum ad proprietatem quia potestas dispensandi nullam dat proprietatem dispensanti in rebus que dispensantur per eum. Aliter prelati qui dispensant bona ecclesie haberent in eis dominium et proprietatem quod non est uerum secundum iura.“

219 Bonagratia: De paupertate (S. 325): „Tertio modo dicitur quis habere res, cum earum habet administrationem, sicut prelatus habet administrationem rerum ecclesiasticarum vel dispensationem. Sicut aliquando habet religiosus dispensator seu executor constitutus ad aliqua bona pauperibus dispensanda et eroganda, vel cum quis habet sibi res per aliquem commendatas seu depositas. Et tunc in hiis non habet dominium nec proprietatem.“ Der Begriff ‚prelatus‘ wird hier in einem weiteren Sinne gebraucht als in Durandus‘ Votum. Er bezieht sich nämlich an dieser Stelle auch auf Ordensobere. Der Schluss, zu dem Bonagratia gelangt, dass prelati kein dominium und

37

Argument kannte, lässt sich jedoch nicht rekonstruieren. Er entkräftet den Einwand,

indem er festhält, dass Kirchengüter gemeinschaftlicher Besitz aller Kirchendiener

(ministri ecclesie) seien, unter denen die Bischöfe den höchsten Rang innehätten.220

Dabei betrachtet Durandus Bischöfe nicht als Verwalter, die außerhalb der

Gemeinschaft stehen.221 Vielmehr bildeten Bischöfe gemeinsam mit den übrigen

ministri ecclesie einen Leib (corpus) und verkörperten dessen Haupt. Daraus schließt

Durandus, dass Bischöfe in Gemeinschaft mit allen anderen Kirchendienern ihrer

Diözese kirchliche Güter besitzen.222

Vor Durandus nutzte bereits Gottfried von Fontaines den Fall der Religiosen, die in

den Bischofsstand erhoben werden, für die eigene Argumentation.223 Anders als im

Gutachten des Dominikaners dient der Hinweis darauf, dass Ordensleute ohne

Dispens die Bischofswürde empfangen, in Gottfrieds Quodlibeta nicht in erster Linie

dazu, die problematischen Implikationen des franziskanischen Armutskonzeptes

sichtbar werden zu lassen. Stattdessen verfolgt Gottfried primär das Ziel, darzulegen,

dass der Prälatenstand größere Vollkommenheit innehat als der Stand der

Religiosen.224 Basis von Gottfrieds Argumentation bildet dabei die Annahme, dass

nach allgemeiner Rechtsauffassung nur der Aufstieg von einer niedrigeren zu einer

höheren Vollkommenheitsstufe, nicht aber der Abstieg in umgekehrter Richtung

erlaubt sei.225 Nur eine besondere Dispens ermöglicht nach Gottfrieds Verständnis

den Übergang von einem vollkommeneren zu einem weniger vollkommenen Stand.

Damit steht für den Autor fest, dass der status praelatorum vollkommener ist als der

status religiosorum, denn eine derartige Dispensation ist für Bischöfe, die in einen Orden

eintreten, erforderlich, nicht aber für Religiose, die in den Bischofstand gelangen.226

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Art und Weise, wie Durandus in seiner

Erwiderung auf ein franziskanisches Standardargument den Besitz des

Prälatenstandes legitimiert. Um dies zu erläutern, muss die betreffende

keine proprietas besitzen, gilt aber für die prelati allgemein und damit auch für Angehörige des Bischofsstandes.

220 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „…tamen talia bona sunt communia servitoribus ecclesie, et ad hoc sunt ecclesie collata, ut ex eis sustententur ministri, qui ecclesie deserviunt, inter quos precipuus et principalis est episcopus.“

221 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „...quia episcopus non est solum dispensator extraneus, sed est unum corpus cum ceteris ministris. Ipse tamen est caput et ceteri sunt membra.“

222 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 189): „Et ideo habet aliquid in communi, sicut ceteri ministri illius ecclesie.“

223 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72 u. 82); Quodl. XII, q. 20 (S. 155f.) 224 Ebd. 225 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72): „Hoc autem est de iure communi quod de statu inferiori et minus

perfecto possit aliquis transire ad maiorem et perfectiorem, non autem e converso...“ 226 Gottfried: Quodl. V, q. 16 (S. 72): „Et quidem hoc communiter supponitur quantum ad maiores

praelatos, scilicet episcopos, quod sunt in statu perfectiori quam religiosi. [...] Hoc etiam patet per hoc quod non est aliquis status religiosorum, quantaecumque perfectionis existat, quin de illo fiat transitus sine dispensatione speciali ad statum episcoporum; non autem e converso.“

38

Argumentation, die unter Minoriten weit verbreitet war, kurz umrissen werden. Der

Franziskanerorden stand vor der Herausforderung, Bibelzitate, die nahelegen, dass

Christus und die Apostel Besitz hatten, mit der eigenen Armutsauffassung in

Einklang zu bringen.227 In dieser Hinsicht besonders erklärungsbedürftig waren

Stellen im Johannesevangelium, an denen von den loculi, anscheinend einer Art

gemeinsamer Jüngerkasse, die Rede ist.228 Der franziskanische Theologe Bonaventura

lieferte mehrere unterschiedliche Begründungen, warum Jesus und seine Begleiter

über loculi verfügt hätten.229 Darunter findet sich auch die Erklärung, Christus habe

sich durch den Besitz der loculi auf die Stufe der Schwachen und Unvollkommenen

hinabbegeben, ohne die eigene Vollkommenheit zu verlieren.230 Nach Bonaventura

war dieses ‚Hinabsteigen‘ zu denjenigen, die nicht fähig sind, auf Geld zu verzichten,

ein Akt der Tröstung und der Nächstenliebe.231 Das ‚condescensio-Modell‘ wurde im

Minoritenorden breit rezipiert und fand als einzige der verschiedenen Deutungen, die

Bonaventura für den Besitz der loculi gegeben hatte, Eingang in die Bulle Exiit qui

seminat des Papstes Nikolaus III.232 Diese Dekretale fungierte, wie bereits erwähnt, in

der Debatte um 1322/23 als eine der wichtigsten Stützen zur Legitimation des

franziskanischen Armutskonzeptes.233

Durandus führt die Deutung des loculi-Besitzes, die in der Dekretale Exiit zu finden

ist, nicht auf Bonaventura, sondern auf die Glossa ordinaria zur Bibel zurück. Für die

condescensio Christi gibt er zwei alternative Interpretationen, von denen nur die zweite

für die vorliegende Untersuchung von Interesse ist. Gemäß dieser zweiten Erklärung

sind mit den Schwachen (infirmi), derentwegen Jesus loculi besaß, nicht diejenigen

gemeint, die sich im Besitz von Geld befinden.234 Stattdessen beziehe sich der

Terminus ‚infirmitas‘ auf Personen, die Anstoß daran nehmen, dass die ‚prelati‘ als

227 Wittneben: Bonagratia (2003), S. 114f. 228 Joh 12,6; 13,29. 229 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 161f.; Wittneben: Bonagratia (2003), S. 115. 230 Bonaventura: Apologia, c. 1, §10f. (S. 238b-239a): „...ipsa condescensio Christi, qua Christus

membris condescendebat infirmis et imperfectis, ex sublimitate procedebat perfectissimae caritatis. Sicut enim humanam assumendo naturam, in nostris quidem factus est humilis, sed in propriis permansit excelsus; sic ex summae caritatis dignatione ad actus quosdam nostrae imbecilliati et imperfection conformes deprimitur et a summae perfectionis rectitudine non curvatur.“ Siehe dazu Wittneben: Bonagratia (2003), S. 115.

231 Bonaventura: Apologia, c. 7, §35 (S. 284a): „Unde et huiusmodi actus, scilicet habere loculos, in Christo respectu infirmorum fuit condescensivus, ad consolandum scilicet eos qui propriis loculis carere non volunt...“ Vgl. Horst: Armut und Kirche (1992), S. 161.

232 Wittneben: Bonagratia (2003), S. 116; Tabarroni: Paupertas (1990), S. 27 u. 38f.; Exiit qui seminat, § Porro (Corpus Iuris Canonici 2, ed. Emil Friedberg, Leipzig 1879, Sp. 1112): „...sic Iesus Christus, cuius perfecta sunt opera, in suis actibus viam perfectionis exercuit, quod interdum infirmorum imperfectionibus condescendens, et viam perfectionis extolleret, et imperfectorum infirmas semitas non damnaret; sic infirmorum personam Christus suscepit in loculis...“

233 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 33f. 234 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 193): „Et sic patet, quod glossa non loquitur de infirmitate, que

sonat imperfectionem status habentium loculos,…“

39

‚Diener Gottes‘ finanzielle Mittel besitzen und diese zu ihrem Lebensunterhalt

nutzen.235 In dieser Hinsicht ist die condescensio Christi also für Durandus eine

pädagogische Maßnahme, durch die mögliche Kritiker der Prälaten zurechtgewiesen

werden sollen.

Bonaventura schreibt dem loculi-Besitz Christi in ähnlicher Weise eine pädagogische

Funktion zu. Durch das Vorbild Jesu werde den Häretikern demonstriert, dass

Geldbesitz nicht generell als Sünde zu betrachten sei.236 Anders als bei Durandus ist

diese Deutung allgemein formuliert und richtet sich nicht speziell gegen die Kritiker

des Prälatenstandes. Nach Meinung Bonaventuras zeigt das Beispiel der loculi, über

die Christus verfügte, außerdem den praelati, dass die Kirchengüter zur Versorgung

des Klerus und zur Unterstützung der Armen zu verwenden sind.237 Die temporalia der

Kirche dürften dagegen nicht wie Privateigentum gebraucht werden.238 Dieser

spezielle Aspekt der loculi-Interpretation, die Belehrung der Prälaten, wird in

Durandus‘ Gutachten nicht behandelt.

Die Argumentation des dominikanischen Bischofs zeigt, wie sehr das condescensio-

Modell, welches in der Dekretale Exiit unterstützt wird, Vertreter des status prelationis

herausforderte. Aus Rücksicht auf den Prälatenstand deutete das franziskanische

Generalkapitel in der Langfassung des Manifests von Perugia den Besitz der loculi

anders, als es Nikolaus III. in seiner Bulle getan hatte.239 Das Dokument versteht den

Geldbesitz Jesu nicht als actus condescensivus, sondern als ‚Verwaltung für andere‘

(dispensatio pro aliis).240 Dadurch, dass Christus und die Apostel in dem Manifest als

meri et nudi administratores bezeichnet werden, erscheinen sie als Vorgänger der

Prälaten, die den kirchlichen Besitz – gemäß einer unter Franziskanern verbreiteten

235 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 193): „…sed loquitur de infirmitate illorum, qui possent

scandalizari, cum viderent servos dei seu prelatos loculos habere.“ Durandus‘ Argumentation stützt sich an dieser Stelle auf ein Zitat aus Aurelius Augustinus: De sermone domini in monte II, 17, 57 (ed. Mutzenbecher (1967)(CCSL 35), S. 150 Z. 1266-1279; S. 152f., Z. 1315-1318); vgl. Miethke: Votum (1993), S. 193, Anm. 135. Durch die Formulierung ‚servos dei seu prelatos‘ drückt Durandus aus, dass unter den ‚Dienern Gottes‘, von denen Augustinus spricht, speziell die Prälaten zu verstehen seien.

236 Bonaventura: Apologia, c. 7, §36 (S. 284a): „Respectu autem impiorum fuit actus commonitorius, primo quidem ad refellendum haereticos, qui loculos reprobant et detestantur. [...] Unde et loculos habebat, ut doceret, non esse peccatum loculos habere.“

237 Bonaventura: Apologia, c. 7, § 38 (S. 284b): „Quantum autem ad modum dispensandi forma fuit perfectionis in Ecclesiae praelatis, ut exemplo Christi ecclesiastica bona dispensent ad sustentationem ministrorum Ecclesiae et ad pauperum relevandas miserias.“ Vgl. dazu Horst: Armut und Kirche (1992), S. 161f.

238 Bonaventura: Apologia, c. 7, § 38 (S. 285). 239 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 36 u. 39; Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 247; Wittneben:

Bonagratia (2003), S. 116. 240 Manifest von Perugia (Annales Minorum 6, ed. Wadding (1733), Nr. 55, S. 400): „...Apostoli non

faciebant hoc ut domini, sed ut meri et nudi administratores talium: et pro seipsis solum simplicem facti usum habentes: Et eodem modo respondemus ad instantiam de loculis, et ad omnes auctoritates de hoc loquentes: scilicet quod Apostoli habuerunt tantum usum pro seipsis in loculis: dispensationem autem pro aliis.“

40

Sichtweise241 – nur verwalten und nicht besitzen. Diese Veränderung der

Interpretation führen Tabarroni, Lambert und Wittneben darauf zurück, dass die

Führung der Minoriten bestrebt war, in der für den eigenen Orden schwierigen

politischen Situation möglichst wenig Kritik wie diejenige des Durandus

hervorzurufen.242

Auf ähnliche Weise wie der Bischof von Le Puy erklärt auch Hervaeus Natalis den

Besitz der loculi. Im Gegensatz zu Durandus setzt er sich dabei jedoch nicht mit dem

condescensio-Modell auseinander. Jesus habe, ohne es selbst zu benötigen, Geld

besessen, um den zukünftigen Prälaten der Kirche ein Beispiel zu geben.243 Nach dem

Beispiel Christi und der Apostel dürften deren Nachfolger, die praelati, ihren

Lebensunterhalt von den Personen empfangen, deren Seelsorge sie übernehmen.244

Anders als Durandus behauptet der Generalmagister der Dominikaner nicht explizit,

dem Geldbesitz Christi habe der Zweck zugrunde gelegen, potentielle Kritik am

Besitz der Prälaten zu entkräften. Stattdessen ist die Erkenntnis, dass praelati wie ihr

apostolisches Vorbild das Lebensnotwendige von den Gläubigen erhalten, bei

Hervaeus Teil eines Zirkelschlusses. Weil die Prälaten – zumindest in Gemeinschaft –

ein Besitzrecht (ius) an den temporalia haben, die sie zum Lebensunterhalt benötigen,

können nach Ansicht des Autors auch Jesus und seine Begleiter nicht ohne ein

solches ius ausgekommen sein.245 Damit macht Hervaeus von der argumentativen

‚Inversion‘ Gebrauch, die, wie oben dargelegt, bei Durandus mehrfach zu finden

ist.246

241 Zu dieser Position und zu Durandus‘ Gegenmeinung siehe oben, S. 36f. 242 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 36 u. 39; Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 247; Wittneben:

Bonagratia (2003), S. 116. 243 Hervaeus: De paupertate (S. 291, Z. 26-28): „…Christus habuit loculos non propter propriam

necessitatem cum necessaria vitae posset habere per ministeria angelorum; sed hoc fecit ut daret exemplum futuris praelatis...“ Hervaeus bezieht sich hier wie Durandus (siehe oben, S. 39, Anm. 235) auf Augustinus: De serm. dom. II, 17, 57 (S. 150-153); vgl. die entsprechende Angabe in der Edition von Jeffrey Garret Sikes, Hervaeus: De paupertate (S. 291, Anm. 4).

244 Hervaeus: De paupertate (S. 291, Z. 28-32): „...sicut ipse (sc. Christus) [...] portabat loculos et accipiebat necessaria vitae ab hiis quibus praedicabat; ita etiam praelati, successores apostolorum, quibus incumbit ex officio ministrare spiritualia, acciperent ab hiis quibus ministrarent, necessaria vitae;…“

245 Hervaeus Natalis: De paupertate (S. 291, Z. 32-33): „...sed praelati, successores apostolorum, habent ius in talibus, saltem in communi, ergo etc.“

246 Siehe oben, Einleitung, S. 6 und Kap. III, S. 33f.

41

IV Vergleich zwischen Durandus‘ Standpunkt und den Positionen

anderer Autoren zum status prelationis in der Debatte über die

apostolische Armut (1322/23)

Zwei Gründe machen den Vergleich zwischen Durandus‘ Votum und anderen

Texten, die in den Jahren 1322/23 als Beitrag zu der Debatte über die Armut Christi

und der Apostel verfasst wurden, für die vorliegende Untersuchung erforderlich.

Erstens lässt sich die Bedeutung von Durandus‘ Position zum ‚status prelationis‘ und

dessen Vollkommenheit nur einschätzen, wenn sie im Kontext der Stellungnahmen

anderer Autoren beleuchtet wird. Zweitens ist zu überprüfen, ob zwischen Durandus‘

Ansicht und den Standpunkten zum Prälatenstand, die in anderen Gutachten

vertreten wurden, direkte Bezüge bestehen.

In den Vergleich müssen nur diejenigen Voten einbezogen werden, die den

Prälatenstand und seine Vollkommenheit behandeln. Daher sind die Gutachten der

beiden Dominikaner Augustinus Kažotić und Raimundus Bequin für die

Untersuchung nicht relevant, weil ihre Autoren im Zusammenhang mit der

apostolischen Armut den status prelationis nicht berücksichtigen.247 Ebenfalls wird der

‚Tractatus de Christi et apostolorum paupertate‘ des Bonagratia von Bergamo, der gemäß

Wittnebens Datierungsversuch im Spätsommer oder Herbst 1322 entstand,248 hier

nicht näher beleuchtet. Bonagratia schränkt nämlich die Frage nach der Armut Christi

und der Apostel durch zwei Präzisierungen so ein, dass er sich mit dem Prälatenstand

in seiner Abhandlung nicht eingehend befassen muss.249

Besondere Aufmerksamkeit liegt bei dem Vergleich erstens auf der Frage, ob in dem

jeweiligen Text wie bei Durandus zur Erklärung des status perfectionis die

Unterscheidung zwischen status perfectionis acquirende et conservande und status perfectionis in

alios diffundende herangezogen wird. Diese Differenzierung findet sich, wie oben

dargestellt, in leichter terminologischer Abweichung bereits bei Thomas von Aquin

und vielen weiteren Autoren aus verschiedenen kirchlichen Gruppierungen.250

Zweitens ist zu ermitteln, ob der jeweilige Autor einem der beiden status perfectionis

eine höhere Vollkommenheitsstufe zuschreibt als dem anderen.

247 Augustinus Kažotić: Dicta fratris Augustini Episcopi Zagabriensis (ed. Ciampi (1956), S. 148-158);

Ulrich Horst: Raimundus Bequin OP und seine Disputation “De paupertate Christi et apostolorum“ aus dem Jahr 1322, in: AFP 64 (1994), S. 101-118, hier: S. 108.

248 Wittneben: Bonagratia (2003), S. 123f. 249 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 40f.; Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 36f.; Wittneben:

Bonagratia (2003), S. 125-127. 250 Siehe oben, Kap. I.1, S. 11, Anm. 52.

42

Hervaeus Natalis differenziert ähnlich wie Durandus zwischen dem status religionis als

status perfectionis acquirendae und dem status praelationis als status perfectionis exercendae.251 Er

übernimmt diese Unterscheidung, wie er selbst hervorhebt, aus der Summa theologiae

des Thomas von Aquin.252 Um Missverständnissen vorzubeugen, erläutert Hervaeus,

dass auch Religiose Werke der Vollkommenheit ‚ausüben‘ (exercere), sich im

Unterschied zu den Prälaten aber nicht in einem Stand befinden, der darauf

ausgerichtet ist, durch Akte der ‚Reinigung‘, ‚Erleuchtung‘ und der

‚Vervollkommnung‘253 die Vollkommenheit der Mitmenschen herbeizuführen.254 Weil

der Autor eine andere Argumentationsstrategie als Durandus wählt, vergleicht er die

beiden status perfectionis nicht hinsichtlich ihrer Vollkommenheit miteinander. In einem

von Hervaeus widerlegten Argument gegen den Besitz des Prälatenstandes findet sich

jedoch die Behauptung, der status praelationis sei nach Meinung aller vollkommener als

der status religionis.255 Während der Autor andere Bestandteile des Argumentes

entkräftet, bleibt die These von der größeren Vollkommenheit des Prälatenstandes

gänzlich unkommentiert. Dies spricht dafür, dass Hervaeus den status praelationis

tatsächlich für den vollkommeneren Stand hält, dessen perfectio status, wie bereits

dargelegt, nicht einmal durch den Besitz von persönlichem Eigentum geschmälert

wird.256

Das Begriffspaar ‚status perfectionis acquirende – status perfectionis exercende‘ wird in der

Debatte der Jahre 1322/23 nicht nur von Kritikern, sondern auch von Unterstützern

des minoritischen Armutsverständnisses verwendet. Die franziskanischen Kardinäle

Bertrand de la Tour und Vital du Four machen von dieser Terminologie in den

Langfassungen ihrer Gutachten Gebrauch.257 Darüber hinaus findet sich die

Unterscheidung der beiden status perfectionis auch schon in Bertrands Compendiosa

resumptio dictorum.258 Bei den Compendiose resumptiones handelt es sich um kürzere

251 Hervaeus: De paupertate (S. 269, Z. 36-38): „Quantum ad secundum, quod quidam dicunt quod

status religionis est status perfectionis acquirendae; status vero praelationis est status perfectionis exercendae,…“

252 Hervaeus: De paupertate (S. 269, Z. 38f.); vgl. Thomas: S.th., II-II, q. 185, a. 1, ad 2 (S. 807); q. 186, a. 3, ad 5 (S. 820).

253 Im Verweis auf die Akte purgare, illuminare und perficere als Aufgabe der Prälaten greift Hervaeus weitverbreitetes ekklesiologisches Gedankengut auf, welches Konzepte des Dionysius Pseudo-Areopagita rezipiert; vgl. die entsprechende Angabe in der Edition von Jeffrey Garret Sikes, Hervaeus: De paupertate (S. 270, Anm. 1).

254 Hervaeus Natalis: De paupertate (S. 270, Z. 9-17). 255 Hervaeus Natalis: De paupertate (S. 275, Z. 11f.): „Minor etiam conceditur ab omnibus et quantum

ad hoc quod status praelatorum est perfectior quam status religiosorum.“ 256 Siehe oben, Kap. II, S. 30, Anm. 174. 257 Nold: Pope John XXII (2003), S. 81f. Im Falle Vitals sind die betreffenden Begriffe in der ersten

Additio zur Langfassung des Gutachtens zu finden. 258 Ebd., u. S. 48; Felice Tocco: La quistione della povertà nel secolo XIV secondo nuovi documenti

(Nuova Biblioteca di Letteratura, Storia ed Arte 5), Napoli 1910, S. 28; Patrick Gauchat: Cardinal Bertrand de Turre Ord. Min. his participation in the theoretical controversy concerning the poverty

43

franziskanische Stellungnahmen zu der Frage des Papstes, die im zweiten Abschnitt

des Codex Vat. lat. 3740 überliefert sind.259 Nach Ansicht Nolds fassen die

Compendiose resumptiones die mündlichen Äußerungen zusammen, durch die der

jeweilige Experte seine Meinung vor dem Konsistorium darlegte.260 Wenn – wie im

Falle Bertrands und Vitals – einem Gutachter sowohl eine Compendiosa resumptio als

auch eine Langfassung zugeschrieben wird, nimmt Nold jeweils an, dass die kürzere

der beiden Versionen vor der längeren entstand.261 Dadurch wendet er sich gegen die

ältere Sichtweise Toccos, der zufolge die Compendiose resumptiones Zusammenfassungen

längerer Gutachten sind.262

Außer Bertrand differenziert kein anderer Minorit in seiner Compendiosa resumptio

zwischen dem status perfectionis acquirende und dem status perfectionis exercende.263 Daher

kommt Bertrands Position, falls die Compendiose resumptiones tatsächlich, wie Nold

annimmt,264 Zusammenfassungen mündlicher Stellungnahmen darstellen und vor den

längeren Gutachten entstanden, besondere Bedeutung zu. Nold vermutet, dass Vital

du Four von Bertrand beeinflusst wurde, als er die Unterscheidung der beiden status

perfectionis in die erste Additio zur Langfassung seines Gutachtens aufnahm.265

Bertrands Ansicht zu den status perfectionis ist nicht nur wegen ihrer Sonderstellung

unter den Compendiose resumptiones und wegen des Einflusses, den sie möglicherweise

auf Vital du Four ausübte, für eine Gegenüberstellung mit Durandus‘ Standpunkt

interessant. Die beiden Positionen müssen vor allem deshalb miteinander verglichen

werden, weil der dominikanische Bischof – wie eingangs erwähnt266 – die Dicta domini

Bertrandi Cardinalis de Turre, also die Langfassung von Bertrands Votum, an insgesamt

drei Stellen zu zitieren oder zu widerlegen scheint.267 Freilich bezieht sich keine dieser

Textpassagen auf den status prelationis. Eines der drei Bertrand-Zitate kann nicht aus

der Compendiosa resumptio stammen, weil die fragliche Textstelle nur in der längeren

of Christ and the Apostels under Pope John XXII (Diss. Fribourg, Schweiz), [Città del Vaticano] 1930, S. 83, Anm. 3. Gauchat unterscheidet zwar, wie Nold bemerkt, nicht zwischen der Compendiosa resumptio und den Dicta Domini Bertrandis. Es wird jedoch ersichtlich, dass er sich auf die Compendiosa resumptio bezieht. Für den betreffenden Abschnitt, in dem Bertrand die beiden status perfectionis erläutert, siehe Bertrand Compendiosa resumptio dictorum domini B. de Turre Cardinalis (ed. Tocco (1910), S. 67).

259 Nold: Pope John XXII (2003), S. 34f. 260 Nold: Pope John XXII (2003), S. 40-42. 261 Nold: Pope John XXII (2003), S. 36 u. 43f. 262 Tocco: La quistione (1910), S. 17f.; Duval-Arnould: Élaboration (1990), S. 396 bezieht nicht

deutlich Stellung zu diesem Problem, wenn er die Compendiose resumptiones als ‚exposés‘ beschreibt, in denen der Inhalt der längeren Gutachten aufgegriffen werde.

263 Gauchat: Cardinal Bertrand (1930), S. 83, Anm. 3; Nold: Pope John XXII (2003), S. 48. 264 Siehe oben, Anm. 260. 265 Nold: Pope John XXII (2003), S. 83f. 266 Siehe Einleitung, S. 8, Anm. 38. 267 Nold: Pope John XXII (2003), S. 182, Anm. 41, u. S. 190, Anm. 95f. mit Verweis auf die

entsprechenden Textstellen bei Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 171f. u. 180).

44

Version zu finden ist. Demnach müssten Durandus entweder die Dicta des

franziskanischen Kardinals oder eine andere, nicht überlieferte Version des

Gutachtens vorgelegen haben.268 Im Folgenden wird daher nur Bertrands längerer

Beitrag mit Durandus‘ Votum verglichen.

In dem Abschnitt, der die Unterscheidung zwischen status religionis und status prelationis

enthält, variiert der Text der Dicta nur ganz leicht gegenüber dem Wortlaut der

Compendiosa resumptio. Einige erläuternde Zusätze und Präzisierungen bewirken jedoch,

dass Bertrand seine Position in den Dicta mit größerer Entschiedenheit vertritt als in

der Kurzfassung.269

Bertrand differenziert zwischen status perfectionis acquirende und status perfectionis exercende,

um erklären, dass sowohl Religiose als auch Prälaten sich in einem Stand der

Vollkommenheit befinden, den vor ihnen Christus und die Apostel innehatten. Beide

Stände, status religionis und status prelationis, seien in jeweils anderer Hinsicht status

perfectionis, während Christus und seine Begleiter die Vollkommenheit beider Stände in

sich vereinten.270 Jeder der beiden status perfectionis muss den apostolischen Vorbildern

lediglich in den Aspekten nacheifern, die zur inhärenten Bestimmung (intrinseca ratio)

des jeweiligen Standes gehören.271 Der Autor untermauert seine These durch ein

drastisches Bild: Die prelati dürften ausschließlich zu Fuß gehen und keine Schuhe

tragen, wenn der status perfectionis exercende das apostolische Vorbild in jeder Hinsicht

befolgen müsste.272

Den Verzicht auf Besitz verlangt Bertrand zufolge nur die intrinseca ratio des status

religionis, nicht aber diejenige des status prelationis.273 Der franziskanische Kardinal

begründet dies damit, dass Vollkommenheit ‚wesentlich‘ (essentialiter) nicht in der

Armut, sondern in der caritas besteht.274 Besitzlosigkeit stelle nur ein probates Mittel

268 Nold: Pope John XXII (2003), S. 86. 269 Nold: Pope John XXII (2003), S. 64f. 270 Bertrand: Dicta (S. 183): „Primum est quod status Christi et apostolorum fuit status perfectissimus

in se supereminenter continens quicquid perfectionis potest esse in aliquo alio statu perfectionis.[...] Secundum quod in ecclesia sponsa Dei sunt duo status perfectionis diuersarum rationum quorum unus non est de ratione alterius, nec, e conuerso, nec ea que sunt de ratione unius, inquantum status est sunt de ratione alterius...“

271 Bertrand: Dicta (S. 183): „Uterque autem istorum statuum quantum ad id quod est perfectionis fuit in Christo et apostolis supereminenter ut est dictum nec oportet quod aliquis istorum statuum Christum et apostolos in omnibus imitetur nisi solum in illis que sunt de sui ratione intrinseca.“

272 Bertrand: Dicta (S. 183): „Aliter prelati tenerentur peditare et incedere discalciati et ad alia huiusmodi que Christus et apostoli fecerunt.“

273 Bertrand: Dicta (S. 183): „Unde abdicatio rerum non est de intrinseca ratione perfectionis, sed solum de intrinseca ratione status perfectionis acquirende. Alius autem status est perfectionis exercende et status prelationis de cuius intrinseca ratione non est paupertas nec abdicatio rerum nec in proprio nec in communi.“

274 Bertrand: Dicta (S. 183): „Et de ratione intrinseca huius status (sc. status perfectionis acquirende) est paupertas seu abdicatio rerum non quod in istis consistat perfectio essentialiter que consistit in caritate de qua dicit apostolus ad Col. iii (14) quod est uinculum perfectionis sed quia sinit (sic!) instrumentum conuenientissimum acquirendi perfectionem.“

45

dar, um Vollkommenheit zu erreichen. Bertrands Standpunkt, Armut gehöre nicht

zum Wesen der Vollkommenheit, ist untypisch für eine franziskanische Position.275

Die Interpretation der Besitzlosigkeit als ‚instrumentum‘ weist dagegen Nähe zu dem

Armutsverständnis auf, welches Durandus276 und andere dominikanischer Gutachter

in Anknüpfung an die Vollkommenheitslehre des Thomas von Aquin vertreten.277

Wörtlich spricht der franziskanische Kardinal von ‚paupertas seu abdicatio rerum‘. Diese

Begriffe sind so allgemein formuliert, dass sich ihre Bedeutung nicht nur auf das

spezielle Armutskonzept des Minoritenordens erstreckt, sondern auch auf die

Armutsgelübde anderer Orden beziehen lässt. Nolds Behauptung, Bertrand verstehe

den Terminus vor allem im franziskanischen Sinne als Verzicht auf jeglichen Besitz,

sei er persönlich oder gemeinschaftlich, ist jedoch plausibel.278 Die Position des

minoritischen Kardinals, Christus und die Apostel hätten im Sinne eines dominium

oder einer proprietas weder persönlich noch in Gemeinschaft etwas gehabt,279 ist ein

Indiz dafür, dass aus Sicht des Autors innerhalb des status religionis am meisten die

franziskanische Armutsform dem apostolischen Ideal entspricht.

Weil die prelati nicht durch die intrinseca ratio ihres Standes zu gemeinschaftlicher oder

persönlicher Besitzlosigkeit verpflichtet sind, können sie nach Bertrands Meinung

Kirchengüter und sogar Privateigentum besitzen, ohne dass ihre Vollkommenheit

dadurch geschädigt würde.280 Statt Armut verlangt die intrinseca ratio des status

perfectionis exercende von den Prälaten, dass sie die oben erwähnten hierarchischen Akte

der ‚Reinigung‘, ‚Erleuchtung‘ und ‚Vervollkommnung‘ ausüben, wie Bertrand mit

Verweis auf Dionysius Pseudo-Areopagita darlegt.281 Diese Aufgaben gehören

wiederum nicht zur intrinseca ratio des status religionis.

Die Unterscheidung und Bestimmung der beiden status perfectionis in Bertrands Dicta

ähnelt zwar der Position, die Durandus in seinem Gutachten einnimmt. Anders als

der Dominikaner enthält sich Bertrand jedoch eines Urteils, in welchem Verhältnis

die Vollkommenheit des status perfectionis und die Vollkommenheit des status religionis

275 Nold: Pope John XXII (2003), S. 50f. 276 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210; ders.: Armut und Lehramt (1996), S. 130f. Vgl. oben,

Kap. I.1, S. 10 u. Kap. II, S. 31. 277 Nold: Pope John XXII (2003), S. 51. 278 Nold: Pope John XXII (2003), S. 49. 279 Bertrand: Dicta (S. 187): „Ergo sequitur quod, per se loquendo et secundum rationem sui status,

nichil umquam habuerunt (sc. Christus et apostoli), nec in speciali, nec in communi, quantum ad dominium ac proprietatem.“

280 Bertrand: Dicta (S. 183): „Unde sicut sine detrimento perfectionis possunt prelati possidere bona communia ecclesie sicut dicit Prosper XII q. in capitulo Expedit. Ita puto quod possunt possidere res proprias, quia nulla rerum abdicatio est de ratione intrinseca huius status…“

281 Bertrand: Dicta (S. 183): „…nulla rerum abdicatio est de ratione intrinseca huius status sed tamen exercere uel posse exercere ierarchicos actus qui sunt purgare, illuminare et perficere secundum Dyonisium.“ Siehe hierzu Nold: Pope John XXII (2003), S. 49.

46

zueinander stehen.282 Weder definiert er wie Durandus den status prelationis283 als

vollkommeneren Stand noch behauptet er wie der anonyme Verfasser des Traktats De

perfectione statuum aus dem frühen 14. Jahrhundert, der Minoritenorden habe größere

Vollkommenheit inne als die Prälaten.284 Auch hütet sich der franziskanische

Kardinal, die herausgehobene Stellung der prelati innerhalb der Kirche dadurch zu

relativieren, dass er dem status religionis die gleiche Vollkommenheitsstufe zuspricht

wie dem status prelationis.285

Eine Synthese der Bestimmungen, die Bertrand für jeden der beiden status perfectionis

gibt, liefe auf den Schluss hinaus, dass Prälaten, die dem Franziskanerorden

angehören, der Vollkommenheit Christi und der Apostel am nächsten kommen.

Verfolgt man nämlich die Ansätze des Autors weiter, dann entsprechen prelati aus

dem Ordo Fratrum Minorum dem Ideal der Apostel sowohl durch ihre völlige

Besitzlosigkeit als auch durch die Ausübung der hierarchischen Akte, die dem

Prälatenamt vorbehalten sind. Dass franziskanische Prälaten trotz ihrem Verzicht auf

Eigentum über kirchliche Güter verfügen, stellt in Bertrands Konzept, wie oben

erläutert,286 keinen Verstoß gegen das Gelübde zur vollkommenen Armut dar. Die

Angehörigen des status prelationis sind nach Meinung des Autors nur Verwalter, nicht

aber Besitzer der jeweiligen temporalia.

Nold ist der Ansicht, dass Bertrand bewusst darauf verzichtete, die Vereinbarkeit der

beiden verschiedenen status perfectionis in der Person eines franziskanischen Prälaten

aufzuzeigen.287 Wie Nold vermutet, hat der Autor diejenigen prelati, die dem

Minoritenorden angehören, deshalb nicht als höchste Erfüllung des apostolischen

Vorbildes dargestellt, weil ein solcher Standpunkt in der Debatte keinen Erfolg

versprochen hätte.288 Bertrand deutet jedoch indirekt an, dass der status prelationis mit

der Beschränkung zu einem Leben in Armut verbunden werden könne. Der

franziskanische Kardinal betont durch die einschränkende Formulierung ‚per se

loquendo‘, dass die intrinseca ratio des Prälatenstandes nicht im eigentlichen Sinne den

Verzicht auf persönlichen oder gemeinschaftlichen Besitz umfasst.289 Dies legt nahe,

dass sich die Bestimmung des status prelationis in der tatsächlichen Praxis durchaus mit

282 Gauchat: Cardinal Bertrand (1930), S. 85. 283 Siehe oben, Kap. I.2, S. 16-26. 284 Horst: Armut und Lehramt (1996), S.70-72; Roberto Lambertini: La povertà pensata. Evoluzione

storica della definizione dell’identità minoritica da Bonaventura ad Ockham (Collana di storia medievale), Modena 2000, S. 163f.; Nold: Pope John XXII (2003), S. 49f.

285 Nold: Pope John XXII (2003), S. 49. 286 Siehe oben, Kap. III, S. 36, Anm. 218. 287 Nold: Pope John XXII (2003), S. 65. 288 Ebd. 289 Bertrand: Dicta (S. 183): „...in ratione intrinseca sui status non includitur, per se loquendo, nec

habere in proprio uel communi nec non habere...“

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Besitzlosigkeit kombinieren lässt. Wie Bertrand selbst feststellt, können Prälaten auf

Besitz verzichten, ohne dass dadurch ihre Vollkommenheit gemindert würde.290

Auch ohne direkten Verweis auf die franziskanischen Mitglieder des Prälatenstandes

dürfte es für zeitgenössische Leser des Gutachtens nahegelegen haben, ausgehend

von Bertrands Ausführungen über die Kombination beider status perfectionis in Gestalt

eines minoritischen prelatus nachzudenken. Besonders die Tatsache, dass der Verfasser

des Gutachtens selbst franziskanischer Kardinal war, konnte Anstoß zu solchen

Überlegungen geben. Dass dem Typus des franziskanischen Prälaten als Spezialfall in

der Diskussion besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde, beweist das oben

untersuchte Argument des Durandus, in welchem die Vereinbarkeit des minoritischen

Armutsideals mit der Übernahme des Bischofsamtes infrage gestellt wird.291 Wie

dargelegt, greift Durandus‘ Einwand das Selbstverständnis minoritischer Bischöfe an

und schwächt dadurch die Position Bertrands und anderer franziskanische Mitglieder

des Episkopats, die sich an der Debatte beteiligten. Eine eindeutige Bezugnahme auf

den Standpunkt Bertrands zu dem Verhältnis zwischen status prelationis und status

religionis ist im Votum des dominikanischen Bischofs allerdings nicht feststellbar.

Die Gutachten der Minoriten Vital du Four und Arnaud Royard sind bislang noch

nicht ediert. Daher wird hier nur kurz auf die Forschungsergebnisse Horsts und

Nolds verwiesen.292 Wie oben erwähnt, greift der Bischof von Albano, Vital du Four,

in der ersten Additio zu seinen Dicta die Unterscheidung zwischen den beiden status

perfectionis auf, die in seiner Compendiosa resumptio nicht zu finden ist.293 Der

franziskanische Kardinal hebt hervor, dass der status prelationis ‚in einem absoluten

und einfachen Sinne‘ vollkommener sei als der Stand der Religiosen.294 Diese Position

ähnelt der Auffassung, die Durandus in seinem Votum vertritt.295 Anders als der

dominikanische Bischof schränkt Vital aber seine These durch den Zusatz ‚simpliciter et

absolute loquendo‘ ein, der darauf schließen lässt, dass der Prälatenstand nicht in jeder

Hinsicht vollkommener ist als der status religionis. Der Minorit verdeutlicht das

Verhältnis zwischen den beiden status perfectionis durch eine Analogie: Der Mensch sei

schlechthin vollkommener als ein Vogel, obwohl in der Vollkommenheit der Vögel

290 Bertrand: Dicta (S. 183): „...sine detrimento enim sue perfectionis, possunt (sc. prelati) habere et non

habere.“ 291 Siehe oben, Kap. III, S. 35-37. 292 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 31-34; Nold: Pope John XXII (2003), S. 81-84. 293 Siehe oben, S. 43. 294 Nold: Pope John XXII (2003), S. 81, Anm. 62 mit Verweis auf Vital du Four: Additio 1, in: Vat. lat.

3740, fol. 31rb: „Ad primum respondeo quod simpliciter et absolute loquendo status prelationis est perfectior quam status religionis.“

295 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186); siehe oben, S. 16, Anm. 87.

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die Flugfähigkeit inbegriffen sei, die der menschlichen perfectio fehle.296 In diesem Bild

steht der Mensch für den status prelationis, während der Vogel und die Eigenschaft,

fliegen zu können, dem status religionis und dessen Besitzlosigkeit entsprechen. Wie

Durandus297 betont Vital ausdrücklich, dass der Stand der Religiosen trotz seiner

Armut nicht vollkommener ist als der Prälatenstand.298 Aus Vitals Perspektive erklärt

die Verschiedenheit der beiden Stände, warum der status prelationis größere

Vollkommenheit besitzt als der status religionis, obwohl er nicht die Armut einschließt,

die wesentlich zur perfectio der Religiosen gehört.299

Im Gegensatz zum status religionis erfordert der status prelationis Vital zufolge Personen,

die Vollkommenheit nicht erst erlangen müssen, sondern diese bereits besitzen und

gegenüber den ihnen untergebenen Gläubigen ausüben.300 Hierin weist Vitals

Standpunkt entfernte Ähnlichkeit zu Durandus‘ Position auf. Wie oben erläutert, legt

Durandus in seinem zweiten Argument dar, dass der Prälatenstand vollkommener sei

als der Stand der Religiosen, weil er vollkommenere Personen voraussetze.301 Ein

ausführlicher Vergleich zwischen den Gutachten der beiden Autoren könnte

Aufschluss über weitere mögliche Gemeinsamkeiten oder signifikante Unterschiede

geben. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann eine solche vertiefte Untersuchung

jedoch nicht realisiert werden.

Nach Meinung Vitals waren die beiden status perfectionis in Christus und den Aposteln

vereint.302 Die strikte Unterscheidung der beiden Stände bewirkt, wie Horst

konstatiert, dass die Bischöfe in der Kirche die Stellung der Apostel innehaben,

obwohl sie nicht an ein Leben in Armut gebunden sind.303 Auf diese Weise gelingt es

Vital – ähnlich wie Bertrand –, an der eigenen, minoritischen Auffassung

apostolischer Armut festzuhalten, ohne die Legitimität der bestehenden kirchlichen

Hierarchie infrage stellen zu müssen.304

296 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 33f., Anm. 27 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat.

3740, fol. 32va: „Constat enim, quod homo est perfectior ave simpliciter, et tamen de perfectione avis est, quod possit volare et tamen non de perfectione hominis.“

297 Vgl. Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186); siehe oben, S. 16, Anm. 87. 298 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 33f., Anm. 27 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat.

3740, fol. 32va: „...patet, quod dato quod paupertas sit essentialiter de statu religionis, non propter hoc sequitur, quod status religionis sit perfectior quam status prelationis, quia status distincti <sunt>, et non oportet, quod illud, quod est perfectionis in aliquo minus perfecto, sit perfectionis in alio magis perfecto.“

299 Ebd. 300 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82, Anm 63 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat. 3740, fol.

31va: „Status uero prelationis de natura sua requirit in prelato perfectionem non quidem acquirendam sed iam acquisitam et perfectam et in subditis excercendam...“

301 Siehe oben, Kap. I.2, S. 19. 302 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82, Anm. 65. 303 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 33f. 304 Ebd.

49

Durandus‘ Kritik an den franziskanischen Armutsvorstellungen setzt, wie oben

herausgestellt wurde, unter anderem an der Frage der Vereinbarkeit von

minoritischem Armutsgelübde und Bischofsamt an. Religiose, die zu vollkommener

Besitzlosigkeit verpflichtet seien, könnten nicht in den Bischofsstand treten, weil sie

andernfalls – ohne päpstliche Dispens – gegen die Regel ihres Ordens verstößen.305

Vital diskutiert das Problem, wie sich Bischofsamt und das Ideal apostolischer Armut

in Einklang bringen lassen, in Bezug auf Heiligengestalten, die im Laufe ihres Lebens

in den Episkopat aufgenommen wurden.306 Die beiden Lösungsversuche, die der

franziskanische Kardinal formuliert, folgen unterschiedlichen Strategien. Zum einen

vertritt Vital die Auffassung, dass Bischöfe die Kirchengüter ohne ein dominium oder

eine proprietas, also ohne jegliches Besitz- und Eigentumsrecht, verwalten, weshalb die

Ausübung des Bischofsamtes in Einklang mit dem Armutsgelübde der Apostel

stehe.307 Diese Ansicht wird bei Durandus, wie oben erläutert, ausdrücklich

abgelehnt.308 Zum anderen konstatiert Vital, dass für die betreffenden Heiligen, die in

den Bischofsstand erhoben werden, das Gebot völliger Armut gar nicht gelte.309 Er

begründet dies damit, dass die Apostel auf einzigartige Weise zugleich

‚vollkommenste Religiose‘ und ‚vollkommenste Prälaten‘ gewesen seien, Heilige aber

nicht in jedem Aspekt dem apostolischen Vorbild entsprechen müssten.310 Ob

Minoriten durch Eintritt in den Bischofsstand gegen ihr Armutsgelübde verstoßen,

die Frage, die hinter Durandus‘ Einwand steht, wird dabei nicht eigens erörtert.

Der Erzbischof von Salerno, Arnaud Royard, der wie Bertrand und Vital ebenfalls

dem Minoritenorden angehörte, unterscheidet in seinen Dicta zwischen den ersten

Prälaten und ihren Nachfolgern.311 Nach Meinung Arnauds hatten die primi prelati in

der Geschichte der Kirche sowohl die perfectio religionis als auch die perfectio prelationis

inne, während die folgenden Prälatengenerationen nur die Vollkommenheit der

305 Siehe oben, Kap. III, S. 35. 306 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82f. Nold nennt in diesem Zusammenhang den Heiligen Martin

von Tour als Beispiel. 307 Nold: Pope John XXII (2003), S. 83, Anm. 66 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat. 3740,

fol. 32va-b: „...non fuerunt istorum preceptorum trangressores quia sicut ostensum est habere facultates ecclesie adminisirandum et dispensandum pauperibus absque eorum dominio et proprietate sicut omnes episcopi et habuerunt predicti sancti non repugnat uoto paupertatis apostolorum...“

308 Siehe oben, Kap. III, S. 36f. 309 Nold: Pope John XXII (2003), S. 82f., Anm. 65 mit Verweis auf Vital: Additio 1, in: Vat. lat. 3740,

fol. 32Vb: „...predicti sancti non fuerunt illorum preceptorum transgressores quia non obligabantur ad seruandum omnes perfectiones quas seruauerunt apostoli quia eorum perfectiones ut dixi supra que fuerunt in eis in suo summo et modo unicissimo in nullo uno statu ecclesie adunari sed per status uarios diuiduntur. Nec etiam obliabantur ad illas quia erant successores apostolorum, qui simul fuerunt perfectissimi religiosi et perfectissimi prelati, qui non succedunt apostolis in omnibus...“

310 Ebd. 311 Nold: Pope John XXII (2003), S. 84.

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prelatio besitzen.312 Durandus dagegen behauptet nicht, die ersten Prälaten hätten die

perfectio religionis innegehabt. Im Gegensatz zu dem dominikanischen Bischof ist

Arnaud überzeugt, dass den primi prelati – anders als ihren Nachfolgern – keinerlei

Besitz gehörte.313 In Durandus‘ Gutachten wird zwar dargelegt, dass der

Prälatenstand zur Zeit Christi und der Apostel über keinen Immobilienbesitz

verfügte.314 Aus Sicht des Dominikaners besaßen die prelati in dieser Frühphase der

Kirche aber bewegliche Güter, die für das Leben oder die Predigttätigkeit unerlässlich

waren.315 Einig sind sich Arnaud und Durandus darin, dass die Prälaten ihrer Zeit ein

dominium über zeitliche Güter oder auch Eigentum (proprietas) an diesen haben

können, ohne dass ihre perfectio dadurch gemindert würde.316

Zum Abschluss des Vergleichs zwischen Durandus‘ Votum und den Gutachten

anderer Autoren wird im Folgenden die Position von Ubertino da Casale untersucht.

Ubertino gehörte der Gruppierung der ‚Spiritualen‘317 an, demjenigen Lager innerhalb

des Ordo Fratrum Minorum, das in Abgrenzung zur Mehrheit der Ordensmitglieder und

zur Führung des Ordens für eine wörtliche Befolgung des Armutsgelübdes und für

radikale Armut in der Lebenspraxis eintrat.318 Anhänger spiritualer Positionen

kritisierten, dass vielfach die juristische Konstruktion missbraucht werde, der zufolge

der Papst stellvertretend für den Minoritenorden als Besitzer von dessen temporalia

fungierte.319 Sie warfen ihren Mitbrüdern vor, lediglich de jure ein Leben in völliger

Besitzlosigkeit zu führen, de facto aber dem apostolischen Armutsideal nicht mehr

gerecht zu werden. Stattdessen propagierten sie, nicht nur in rechtlichem Sinne ohne

Besitz auszukommen, sondern auch den faktischen Gebrauch zeitlicher Dinge auf ein

unverzichtbares Minimum zu reduzieren. Dieser eingeschränkte Gebrauch erhielt die

312 Ebd., Anm. 67 mit Verweis auf Arnaud Royard: Dicta, in: Vat. lat. 3740, fol. 53ra: „Una sit ecclesia

diuersi tamen sunt modi uiuendi. Et alium modum tenerunt primi prelati et alium successores quia in primis fuit perfectio religionis et prelationis … sequentes autem prelati succedunt in perfectione prelationis...“

313 Nold: Pope John XXII (2003), S. 84. 314 Siehe oben, Kap. II, S. 32, Anm. 185. 315 Ebd.; vgl. Durandus: De paupertate, q. 1 (S. 179): „Nec fuit dictum quod non portarent illa, que erant

necessaria, ut indumenta, aut predicationi expedientia, sicut beatus Barnabas portabat evangelium beati Mathei, sed solum quod non portarent ea, que eos aliqualiter possent retrahere...“

316 Nold: Pope John XXII (2003), S. 84, Anm. 67 mit Verweis auf Arnaud Royard: Dicta, in: Vat. lat. 3740, fol. 53ra: „...cuius (sc. prelationis) status non est imperfectior propter hoc quod habent proprietatem et dominium temporalium quia status prelationis non includit...“ Vgl. oben, S. 29.

317 Zur Problematik dieses Begriffs siehe David Burr: The spiritual Franciscans. From protest to persecution in the century after Saint Francis, University Park, PA 2001, S. vii-ix u. 307.

318 Charles T. Davis: Ubertino da Casale and his Conception of altissima paupertas, in: Studi medievali 3. Ser. 22 (1981), S. 1-56, hier S. 1.

319 Ebd., S. 30; David Burr: Effects of the Spiritual Franciscan Controversy on the Mendicant Ideal, in: Donald S. Prudlo (Hg.): The Origin, Development, and Refinement of Medieval Religious Mendicancies (Brill’s Companions to the Christian Tradition 24), Leiden – Boston 2011, S. 277-305, hier S. 277.

51

Bezeichnung ‚usus pauper‘.320 Das Konzept des ‚usus pauper‘ wurde insbesondere durch

den franziskanischen Theologen und Spiritualen Johannes Petrus Olivi geprägt. Es

bildet den Kern der Position, die Ubertino im ‚Theoretischen Armutsstreit‘ vertrat.321

Ubertino, der 1317 mit Unterstützung seines Schutzherren, des Kardinals Napoleon

Orsini, Aufnahme in den Benediktinerorden gefunden hatte, um einer Bestrafung

durch die franziskanische Ordensführung zu entgehen,322 werden ingesamt drei

Beiträge zu der Debatte des Jahres 1322/23 zugeschrieben.323 Der erste dieser Texte

wird in der Forschung als Zusammenfassung dessen betrachtet, was Ubertino

mündlich vor dem Konsistorium darlegte.324 Hier ist aber diejenige Stellungnahme

Ubertinos mit Durandus‘ Votum zu vergleichen, die wie das Gutachten des

Dominikaners Eingang in den Codex Vat. lat. 3740 erhielt. Dieser Beitrag, der nach

seinen Anfangsworten ‚Reducendo igitur ad brevitatem‘ genannt wird, greift Grundzüge

von Ubertinos zweitem Text, dem zwischen März und Dezember 1322 entstandenen

Tractatus de altissima paupertate Christi et apostolorum eius et virorum apostolicorum, auf.325 Er

enthält darüber hinaus aber auch noch einige Erweiterungen.326

In Reducendo igitur ad brevitatem unterstützt Ubertino wie in den beiden anderen Texten

überraschenderweise nicht die Seite des Minoritenordens.327 Im Gegensatz zu den

franziskanischen Autoren, deren Positionen in der vorliegenden Arbeit mit Durandus‘

Gutachten verglichen wurden, ist der Benediktiner der Ansicht, dass Christus und die

Apostel nicht gänzlich ohne dominium lebten.328 Über lebensnotwendige Güter, die

durch Gebrauch verbraucht werden, müssen Jesus und seine Begleiter nach Ansicht

Ubertinos ein dominium gehabt haben.329 Auf das Recht, einen Anspruch auf temporalia

vor Gericht geltend zu machen, hätten Christus und die Apostel allerdings

verzichtet.330 Der Fokus liegt in den Texten des Benediktiners jedoch nicht auf der

besitzrechtlichen Stellung Christi und seiner Begleiter.331 Stattdessen ist für den Autor

320 Burr: Olivi (1989), S. x-xi; Miethke: Paradiesischer Zustand (1999), S. 516. 321 Davis: Ubertino (1981), S. 37; Tabarroni: Paupertas (1990), S. 67. 322 Davis: Ubertino (1981), S. 3; Potestà: Ubertino (2012), §5. 323 Davis: Ubertino (1981), S. 7-37; Potestà: Ubertino (2012), §6-11. 324 Potestà: Ubertino (2012), §7. 325 Potestà: Ubertino (2012), §10f. 326 Ebd. 327 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 34f. 328 Ebd.; Davis: Ubertino (1981), S. 36; Lambert: Franciscan Poverty (1998), S. 255. 329 Ubertino da Casale: Reducendo igitur ad brevitatem (ed. Davis (1981), S. 45, Z. 36-45); vgl. Tabarroni:

Paupertas (1990), S. 6. 330 Ubertino: Reducendo (S. 43, Z. 9-12); vgl. Davis: Ubertino (1981), S. 34; Horst: Armut und Lehramt

(1996), S. 34. 331 Burr: Spiritual Franciscans (2001), S. 269.

52

entscheidend, dass der tatsächliche Gebrauch, den die Apostel ausübten, über den

usus pauper nicht hinausging.332

Davis nimmt an, dass Ubertino durch seine Stellungnahme den Papst für den Kern

der spiritualen Ansichten, das Konzept des usus pauper, gewinnen wollte.333 Um

weniger Angriffsfläche zu bieten, musste sich der Benediktiner deutlich von einigen

Positionen distanzieren, die aus Sicht Johannes‘ XXII. problematisch erscheinen

konnten. Unter anderem stand er – ähnlich wie auch Bertrand, Vital und Arnaud –

vor der Herausforderung, die eigene Auffassung von der evangelischen Armut mit

der Legitimation des Prälatenstandes durch Apostelnachfolge in Einklang zu bringen.

Genau dieses Problem bildet einen der Hauptkritikpunkte des Durandus an den

minoritischen Armutsvorstellungen.334

Ubertino reagiert auf die Problematik, indem er – wie die oben genannten

minoritischen Gutachter – zwischen den beiden status perfectionis unterscheidet.335 Die

Apostel hatten einerseits als Prälaten und Pastore den status perfectionis exercende inne,

andererseits bildeten sie das Vorbild des status perfectionis acquirende, des status

religionis.336 Die Bischöfe sind nach Ubertinos Ansicht nur im Sinne des status

perfectionis exercende Nachfolger der Apostel, nicht aber im Sinne des status perfectionis

acquirende, weshalb sie nicht zur Armut und zum usus pauper verpflichtet sind.337

Dennoch sei der Bischofsstand nicht weniger vollkommen als der Stand der

Religiosen, denn er besitze als status perfectionis exercende schlechthin größere

Vollkommenheit als der status perfectionis acquirende.338 Ubertino verweist in diesem

Zusammenhang darauf, dass bei den Angehörigen des status prelationis ein gewisses

Maß an Vollkommenheit vorausgesetzt werde.339 Außerdem dürften die temporalia,

über die der Prälatenstand verfügt, nur zum Nutzen der Kirche und nicht zur

Befriedigung persönlicher Begierden verwendet werden.

332 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 67. 333 Davis: Ubertino (1981), S. 37f. 334 Siehe oben, Einleitung, S. 3 und Kap. III, S. 33f. 335 Horst: Armut und Lehramt (1996), S. 35. Die Unterscheidung findet sich bereits in Ubertinos

mündlichem Beitrag zu der Diskussion, wie Davis: Ubertino (1981), S. 8f., Tabarroni: Paupertas (1990), S. 66, Burr: Spiritual Franciscans (2001), S. 268 und Potestà: Ubertino (2012), § 8 darlegen.

336 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 376-378): „Ad rem autem dico, quod apostoli fuerunt in statu perfectionis exercende in quantum fuerunt pastores et prelati. Sed ultra hoc docuerunt exemplo vite statum religionis et perfectionis acquirende.“

337 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 378-383): „Episcopi autem sunt eorum successores, quantum ad statum prelationis et perfectionis exercende, non autem quantum ad statum religionis et perfectionis acquirende, et ideo non oportet eos voto obligari ad paupertatem talem, que est unum de pertinentibus essentialiter ad religionem, et per consequens nec ad usum pauperem talem.“

338 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 383-385): „Nec tamen sequitur, quod sint in statu imperfectiori quam illi religiosi, quia status perfectionis exercende est simpliciter perfectior statu religionis et perfectionis acquirende;...“

339 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 386-388): „...nam supponit (sc. status perfectionis exercende) illam perfectionem iam in eis acquisitam ad minus de congruo, et dispositionem temporalium potius pro utilitate et necessitate ecclesie recipere, non pro satianda cupiditate...“

53

In der Unterscheidung der zwei status perfectionis, die in der Gestalt der Apostel geeint

waren, weist Ubertinos Position Ähnlichkeit zu den oben analysierten Standpunkten

minoritischer Gutachter auf. Zu einer möglichen Kombinierbarkeit von status

perfectionis exercende und status perfectionis acquirende innerhalb der zeitgenössischen

Kirche äußert sich der Autor nicht.

Die positive Begründung, warum der Prälatenstand vollkommener sei als der Stand

der Religiosen, ist bei weitem nicht so ausführlich wie in Durandus‘ Votum.

Stattdessen argumentiert Ubertino vor allem ex negativo. Wäre der status perfectionis

acquirende durch seine verpflichtende Armut vollkommener als der status perfectionis

exercende, dann besäßen diejenigen Religiosen, die wie die Minoriten auf jeglichen

persönlichen oder gemeinschaftlichen Besitz verzichten, größere Vollkommenheit als

der Papst.340 Dadurch entstünde aus Ubertinos Sicht eine brisante Konstellation.

Erstens würde der Inhaber des Petrusstuhls unvollkommen, indem er stellvertretend

als Besitzer derjenigen Güter fungiert, die von den Franziskanern genutzt werden.341

Zweitens befände sich der Papst nicht in einem vollkommeneren Stand als alle

anderen.342 Weil Ubertino diese Schlussfolgerungen für falsch hält, lehnt er auch die

Prämisse ab, die Vollkommenheit des status perfectionis acquirende sei größer als diejenige

des status perfectionis exercende.

Die zweite der beiden negativen Konsequenzen, auf die Ubertino verweist, dient auch

in Durandus‘ Votum als Argument gegen die These, der status religionis sei

vollkommener als der Bischofsstand.343 Dagegen fehlt bei Durandus die erste

Schlussfolgerung Ubertinos, der Papst würde dadurch, dass er das ius und das

dominium über die von Franziskanern genutzten temporalia auf sich überträgt,

unvollkommen. An anderer Stelle erwähnt der dominikanische Bischof allerdings die

Funktion des Papstes als stellvertretender Besitzer.344

Die Argumentationsweise der beiden Autoren, die sich auf die päpstliche

Vollkommenheit stützt, erscheint, wie oben dargelegt, im historischen Kontext

340 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 390-393): „Si enim diceretur oppositum, scilicet quod status

paupertatis et perfectionis acquirende sit perfectior statu perfectionis exercende, tunc sequeretur, quod abdicantes temporalia, maxime in proprio et in communi, essent in perfectiori statu simpliciter quam papa...“

341 Ubertino: Reducendo (S. 55, Z. 393-396): „…papa, qui ius et dominium rerum abdicatum per eos in se transfert,…sic ipse tale ius et dominium in se transferendo se faceret imperfectum, ac per hoc male et defective ageret tale ius et dominium in se transferendo vel recipiendo.“

342 Ubertino: Reducendo (S. 55f., Z. 397-400): „Et ulterius sequeretur, quod papa non esset in statu perfectiori simpliciter quam alii quicunque, precipue non episcopi; quod est omnino absurdum dicere, cum ipse ex ipso statu papali ponitur dux, rector, gubernator, pastor, perfector et perfectius omnium aliorum.“

343 Siehe oben, Kap. I.2, S. 24. 344 Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 190).

54

raffiniert.345 Zum einen war nicht zu erwarten, dass ein derartiger Standpunkt in der

laufenden Debatte wiederlegt würde – zumindest nicht innerhalb der Diskussion, die

an der Kurie stattfand. Zum anderen zielte die besondere Betonung der päpstlichen

Superiorität, die sowohl in Durandus‘ als auch in Ubertinos Gutachten zu finden ist,

auf das Wohlwollen des Adressaten, Papst Johannes‘ XXII., ab. Die Parallele

zwischen den beiden Autoren belegt, dass die Unterstützer unterschiedlicher

Positionen teilweise auf die gleichen Argumente zurückgriffen.

V Vergleich zwischen der Position zum status prelatorum et

rectorum in Durandus‘ Sentenzenkommentar und der

Argumentation in De paupertate Christi et apostolorum

Kochs Beobachtung, dass die Argumentationen zum Prälatenstand in De paupertate

Christi et apostolorum und in der zweiten Quästion von In III Sent. (Red. C), d. 35

einander ‚eng berühren‘,346 gibt Anlass, die entsprechenden Textstellen ausführlicher

zu vergleichen. Dafür muss zunächst kurz der Kontext skizziert werden, in welchem

Durandus innerhalb seines Sentenzenkommentars die Vollkommenheit des

Prälatenstandes diskutiert. Grundsätzlich ist bei dem Vergleich zu berücksichtigen,

dass Durandus‘ Votum und der Sentenzenkommentar verschiedenen Textgattungen

angehören, was einige der Unterschiede in der Argumentation erklärt. Das Gutachten

wurde aus einem konkreten historischen Anlass verfasst, nämlich auf Bitten des

Papstes, der Expertenmeinungen zu einer theologischen, aber mit brisanten

politischen Konsequenzen verbundenen Frage anhören wollte.347 Durandus‘

Sentenzenkommentar ist dagegen ein vierbändiges Kompendium scholastischer

Quästionen, das in thematischer Ordnung zentrale Fragen aus den verschiedenen

Unterdisziplinen der Theologie behandelt.348 Der systematische Aufbau von Werken

dieser Textgattung orientierte sich an den zwischen 1155 und 1158 entstandenen

Sentenzen des Petrus Lombardus. Zwischen 1250 und 1320 erlebte die Gattung

jedoch insofern einen Transformationsprozess, als sich die Quästionen in den

Sentenzenkommentaren der Theologen thematisch und strukturell immer weiter von

345 Siehe oben, Kap. I.2, S. 24f. 346 Koch: Durandus (1927), S. 419f.; siehe oben, Einleitung, S. 9. 347 Siehe oben, Einleitung, S. 4f. 348 Zur Gattung des Sentenzenkommentars siehe Ruedi Imbach/Thomas Ricklin: Art.

‚Sentenzenkommentare‘, in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995), Sp. 1767-1769.

55

der ursprünglichen Form einer Lombardus-Exegese entfernten.349 Im beginnenden

14. Jahrhundert maßen Magister der Theologie dem literarischen Genre des

Sentenzenkommentars große Bedeutung bei, was sich unter anderem darin zeigt, dass

sie ihre Werke dieses Typs oft mehrfach überarbeiteten.350 Durandus‘

Sentenzenkommentar existiert in drei verschiedenen Redaktionen (A, B und C),

wobei für jede dieser Fassungen wiederum zwischen verschiedenen

Entwicklungsstadien differenziert werden kann.351 Im Kontext der vorliegenden

Untersuchung zu einer Quästion aus Buch III, das bislang noch nicht kritisch ediert

wurde, ist aber nur zwischen den Redaktionen B und C zu unterscheiden. Für das

dritte Buch überliefert nämlich keine Handschrift die Fassung A.352

Die zweite Quästion von In III Sent., d. 35 in der Fassung C, in der sich Durandus zu

der Vollkommenheit des status prelatorum et rectorum353 äußert, behandelt die Frage, ob

das kontemplative oder das aktive Leben besser sei.354 Es handelt sich dabei um eine

sehr traditionsreiche Fragestellung,355 deren Genealogie im Rahmen dieser Arbeit

nicht untersucht werden kann. Im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen

Weltklerus und Bettelorden besaß dieses Thema auch eine politische Dimension, weil

man die Lebensform der Weltgeistlichen der vita activa zurechnete, das

mendikantische Lebensideal dagegen unter dem Oberbegriff der vita contemplativa

subsumierte.356

Durandus differenziert in seiner responsio zwischen zwei verschiedenen Bedeutungen

von vita activa. Das tätige Leben der ersten Art ist auf die Mäßigung der eigenen

349 Russell L. Friedman: The Sentences Commentary, 1250-1320. General Trends, the Impact of the

Religious Orders, and the Test Case of Predestination, in: Gillian Rosemary Evans (Hg.): Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard. Current Research, Leiden – Boston – Köln 2002, S. 41-128, hier S. 84-100.

350 Ebd., S. 42 u. 127; Andreas Speer: The Durandus Projekt at the Thomas Institute: The Status Quaestionis, in: ders. [u.a.](Hgg.): Durand of Saint-Pourçain and His Sentences Commentary. Historical, Philosophical, and Theological Issues (RTPM Bibliotheca 9), Leuven – Paris – Walpole, MA 2014, S. 58.

351 Fiorella Retucci: Einleitung, in: dies./Massimo Perrone (Hgg.): Durandi de Sancto Porciano Scriptum super IV libros Sententiarum. Buch II, dd. 22-38 (RTPM Bibliotheca 10.2.3), Leuven – Paris – Walpole, MA 2013, S. 15*f.

352 Thomas Käppeli: Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, vol. I, Roma 1970, S. 341; Thomas Jeschke: Deus ut tentus vel visus. Die Debatte um die Seligkeit im Reflexiven Akt (ca. 1293-1320)(Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 104), Leiden – Boston 2011, S. 279.

353 Das Verständnis des Begriffs ‚praelati‘ erstreckt sich in dieser Quästion vermutlich nicht nur auf den Bischofsstand, der nicht explizit genannt wird. Welche Geistlichen im Einzelnen unter dem Terminus zusammengefasst werden, lässt sich jedoch aus dem Textkontext nicht erschließen.

354 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb). 355 Christian Trottmann: Art. ‚Vita activa/vita contemplativa‘, in: Historisches Wörterbuch der

Philosophie 11 (2001), Sp. 1071-1075. 356 Pasquale Porro: La (parziale) rivincita di Marta. Vita attiva e vita contemplativa in Enrico di Gand,

in: Christian Trottmann (Hg.): Vie active et vie contemplative au Moyen Âge et au seuil de la Renaissance. Actes des rencontres internationales tenues à Rome, les 17 et 18 juin 2005, e à Tours, les 26-28 octobre 2006 (Collection de l’École française de Rome 423), Rome 2009, S. 155-172, hier S. 165f.

56

Leidenschaften und auf die Kontrolle der eigenen Handlungen ausgerichtet.357 Unter

der vita activa des zweiten Typs versteht der dominikanische Theologe dagegen die

Lebensform eines Menschen, der sowohl im Sinne der vita activa als auch im Sinne der

vita contemplativa gut ist und sich bemüht, die Gutheit (bonitas) an andere

weiterzugeben.358 Während das tätige Leben in der ersten Bedeutung weniger edel ist

als das kontemplative Leben,359 sieht der Autor in der vita activa der zweiten Art eine

Lebensform, die edler und vollkommener ist als jede mögliche Variante der vita

contemplativa im Diesseits.360 Als einziges Beispiel für das tätige Leben, das in sich die

Gutheit der vita activa und der vita contemplativa vereint und die Verbreitung der bonitas

unter den Mitmenschen zum Ziel hat, nennt Durandus die Lebensform des status

prelatorum et rectorum.361 Indem die vita activa der Prälaten die vita contemplativa übertrifft,

die ihrerseits Vorrang vor allen anderen Arten des tätigen Lebens hat, ist sie die

vollkommenste und edelste Lebensform der Menschen in ihrer irdischen Existenz.362

An die These, die vita activa der Prälaten und ‚Lenker‘ sei vollkommener als jede Art

der vita contemplativa im Diesseits, knüpft ein dreifacher Beweis an. Dieser soll nun

näher mit den Argumenten verglichen werden, mit deren Hilfe Durandus in De

paupertate Christi et apostolorum aufzeigt, dass die Vollkommenheit des status prelationis

größer ist als diejenige des status religionis. Koch hatte seinerzeit lediglich die

Definition, die Durandus in dem Gutachten für den status prelationis als status perfectionis

gibt, als Parallele zur Beweisführung innerhalb des Sentenzenkommentars

angeführt.363 Auf die eigentliche Argumentation, mit deren Hilfe der Bischof von Le

Puy darlegt, dass der Prälatenstand vollkommener ist als der Stand der Religiosen,

ging Koch nicht ein. Daher sind im Folgenden die einzelnen Argumente im

Sentenzenkommentar sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu der

entsprechenden Textstelle in dem Votum näher zu beleuchten. Zuvor werden die

beiden Texte jedoch einander in einer Synopse gegenübergestellt, wobei Fettdruck

exakte wörtliche Übereinstimmungen kennzeichnet.

357 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§5, fol. 277ra): „Vno modo dicitur uita actiua per quam

homo intendit passionibus moderandis in seipso, et actibus regulandis.“ 358 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§5, fol. 277ra): „Alio modo dicitur uita illa per quam

homo existens in seipso bonus nititur difundere bonitatem in alios.“ 359 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§§6f., fol. 377ra-377rb). 360 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§8, fol. 277rb): „Si autem loquamur de uita actiua, que

non consistit solum in moderando proprias passiones, et regulando actiones proprias, sed consistit in hoc, quod homo bonus in seipso existens secundum utranque uitam iam dictam nititur bonitatem in alios diffundere, sicut exigit status prelatorum et rectorum. Sic dicendum est quod talis uita actiua est nobilior et perfectior quam quecunque contemplatiua huius uite.“ Vgl. Koch: Durandus (1927), S. 419f.

361 Siehe vorherige Anm. 362 Guldentops: Struggling with Authority (2012), S. 134, Anm. 84. 363 Koch: Durandus (1927), S. 420f., Anm. 17.

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Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb):

Durandus: De paupertate, q. 2 (S. 186f.):

A) Primo, quia illa uita est perfectior et nobilior que nobilius ordinatur ad perfectionem. Sed uita actiua predicto modo accepta nobilius ordinatur ad perfectionem quam uita contemplatiua, ergo est nobilior et perfectior. Minor probatur, quia ad effectum nobilius ordinatur agens quam patiens, tam secundum Philosophos quam secundum sanctos, sed ad perfectionem ordinatur talis uita actiua per modum agentis et influentis, omnis autem (Martimbos: aut est) alia uita ordinatur ad perfectionem per modum patientis et in se recipientis, ergo talis uita actiua est simpliciter perfectior et nobilior quam quecunque alia.

Primo sic: quia ille status est perfectior, qui nobilius ordinatur ad perfectionem, ut patet ex dictis. Sed status prelationis nobilius ordinatur ad perfectionem quam status religionis, ergo est perfectior. Minor probatur, quia ad effectum nobilius ordinatur agens quam patiens tam secundum philosophos quam secundum sanctos. Sed ad perfectionem ordinatur status prelatorum per modum agentis et influentis, status autem religiosorum per modum pacientis et recipientis, ut similiter patet ex dictis. Ergo etc.

B) Secundo sic, illa uita est perfectior que supponit personam magis perfectam. Sed uita actiua predicto mode accepta supponit personam magis perfectam quam quecunque alia uita, ergo est perfectior et nobilior. Minor probatur, quia talis uita actiua presupponit quantum est ex conditione sua personam perfectam in uita contemplatiua et actiua singulari, ut dicit Greg. in Pastor. quod rector debet esse actione precipuus et pre cunctis contemplatione suspensus. Nulla autem alia uita supponit sic perfectam personam, ergo talis uita actiua est perfectior et nobilior quam uita contemplatiua.

Secundo sic: ille status est perfectior, qui requirit personam magis perfectam, sed status prelatorum est huiusmodi respectu status religionis, ergo est magis perfectus. Maior patet, sed minor probatur: quia oportet episcopum non solum esse sine crimine, quod tamen sufficit religioso, sed esse perfectum in scientia sacre scripture, quia cum sit pastor ecclesie sibi commisse, ad eum pertinet ex statu suo oves suas nutrire documentis fidei et morum et exemplis defendere contra insidias et morsus luporum, scilicet hereticorum, quod non potest fieri sine competente scientia sacre scripture. Quod tamen non requiritur in religioso, ergo etc. Unde apostolus ad Thi. 1° capitulo: Oportet episcopum sine crimine esse <…> amplectentem eum, qui secundum doctrinam est, fidelem sermonem, ut potens sit exhortari in doctrina sana et eos, qui contradicunt, arguere.

C) [fehlt] Tertio sic: ille status est summe perfectus, per quem aliquis obligatur ad opus summe perfectionis. Sed status episcopalis est huiusmodi. Ergo etc. Probatio minoris: opus summe perfectionis est opus summe caritatis, quia in caritate et in eius actu potissime consistit perfectio, ut declaratum est supra. Sed opus summe caritatis est exponere vitam suam pro salute aliorum secundum illud Joh. 15°: Maiorem caritatem nemo habet, quam ut animam ponat quis pro amicis suis. Ad hec autem obligantur episcopi pro suis subditis et ex suo statu, et non religiosi ratione status, ergo status episcopalis obligat ad opus summe perfectionis, et sic est summe perfectus, propter quod nullus status religionis quantumcumque nihil habentis in proprio vel communi potest equiparari perfectioni status episcopalis quantumcumque habundantis in bonis temporalibus mobilibus vel immobilibus.

58

D) Tertio sic, status doctorum est perfectior et nobilior quam status discipulorum, secundum illud Luc. 6. Non est discipulus supra magistrum: ubi minus dicit et plus significat, quasi diceret discipulus debet esse sub magistro, sicut imperfectus sub perfecto. Sed uita actiua qualis dicta est, est uita docentium et regentium alios, uita autem aliorum est uita discipulorum, siue sint contemplatiui siue actiui, ergo talis uita actiua est nobilior et perfectior quam uita contemplatiua uel actiua singularis.

Quarto sic: status doctorum est perfectior statu discipulorum secundum illud Luc. 6°: Non est discipulus super magistrum. Minus dicit et plus significat, quasi diceret : discipulus debet subesse magistro tamquam imperfectus sub perfecto. Sed quando de statu discipuli transit ad statum magistri, tunc est in statu perfectiori. Unde ibidem subditur: Perfectus autem erit, si sit sicut magister eius. Status autem episcoporum est status doctorum. Apostolis enim, quorum locum tenent episcopi, dixit Jhesus Math. Ultimo : Ite, docete omnes gentes! Omnis autem alius status est status discipulorum. Ergo status episcoporum est sublimior et perfectior omni alio statu, et ideo de iure communi omnes subsunt episcopoi, tam religiosi quam alii.

E) [fehlt] Nec dominus papa, cui omnes subsunt, ex hoc, quod papa est, habet alium statum quam episcopalem quamvis habeat inter episcopos tamquam inter fratres superioritatem, sicut dixit Christus Petro: Tu aliquando conversus confirma fratres tuos! Luc, 22°. Temerarium autem est et a doctrina ecclesiastica alienum, quod in ecclesia Christi sit status perfectior statu vicarii Christi, qui tamen est episcopus et episcopum se vocat. Et sic patet, quod nulla paupertas, in quocumque gradu sit, potest facere quod status religionis sit eque perfectus sicut status prelationis.

Die Gegenüberstellung der beiden Texte führt zu einem interessanten Befund. Die

drei Argumente aus dem Sentenzenkommentar weisen nicht nur deutliche Parallelen

zum Votum auf. Es besteht zum Teil sogar wörtliche Übereinstimmung zwischen

Gutachten und Sentenzenkommentar. Dies geht deutlich über die ‚Berührung‘ hinaus,

die Koch zwischen Votum und In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 konstatiert hatte.364

Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Textstellen

hervortreten zu lassen, werden die Argumente aus dem Sentenzenkommentar und ihr

Verhältnis zur Beweisführung im Votum nun einzeln beleuchtet.

Das erste der drei Argumente besagt, dass die vita activa der prelati und rectores

vollkommener ist als die vita contemplativa, weil sie sich in edlerer Weise auf die

Vollkommenheit richtet. Dieser Beweis entspricht teils wörtlich dem ersten

Argument im Gutachten.365 Der einzige größere Unterschied besteht darin, dass im

Sentenzenkommentar an Stelle des Gegensatzpaares ‚status prelationis – status religionis‘

die vita activa der Prälaten und die vita contemplativa einander gegenübergestellt werden.

Im zweiten Argument innerhalb der Textpassage aus In III Sent., d. 35, q. 2 konstatiert

Durandus, dass die vita activa der prelati vollkommener sei als die vita contemplativa, weil

sie eine vollkommenere Person voraussetze. Dieses Argument gleicht in seinem Kern

364 Siehe oben, Einleitung, S. 9. 365 Siehe den Textvergleich auf S. 57, Abschnitt A).

59

dem zweiten Argument in De paupertate Christi et apostolorum.366 Auch hier ist der

Wortlaut zum Teil identisch. Die Begründung der Prämisse, für die Lebensform der

Prälaten werde größere Vollkommenheit benötigt als für das kontemplative Leben,

unterscheidet sich jedoch von der Beweisführung im Gutachten. Dort dient die

perfekte Kenntnis der Heiligen Schrift, die Prälaten, nicht aber Religiose besitzen

müssen, als Beweismittel dafür, dass der status prelationis vollkommenere Personen

erfordert als der status religionis.367 Dagegen stützt sich die Argumentation im

Sentenzenkommentar auf ein Zitat aus der Regula pastoralis Gregors des Großen.368

Der ‚Lenker‘ (rector) müsse durch Tat (actio) hervorragen und gegenüber allen anderen

durch Kontemplation (contemplatio) erhaben sein. Weil nach Durandus‘ Überzeugung

keine andere Lebensform derart vollkommene Personen erfordert, ist die vita activa

des status prelatorum et rectorum vollkommener und edler als die vita contemplativa.369

Zu dem Argument, welches im Votum an dritter Stelle steht, fehlt eine Entsprechung

im Sentenzenkommentar.370 Im Gegensatz dazu sind das vierte Argument des

Gutachtens und das dritte Argument in der responsio zu In III Sent., d. 35, q. 2 in ihren

Grundzügen identisch.371 Durandus nimmt jeweils zunächst an, dass der Stand der

Lehrer größere Vollkommenheit besitzt als der Stand der Schüler. Hinsichtlich dieser

ersten Prämisse stimmen die beiden Texte miteinander wörtlich überein. Freilich fällt

im Sentenzenkommentar der Beweis, warum Meister vollkommener sind als Schüler,

kürzer aus als im Votum. Durch die zweite Prämisse wird in dem Kommentar die vita

activa der Prälaten mit der ‚Lebensform der Lehrer und Lenker‘ (vita docentium et

regentium) gleichgesetzt. Entsprechend hält Durandus in De paupertate Christi et

apostolorum fest, dass der status episcoporum der status doctorum sei. Als Beleg für diese

These führt der dominikanische Autor in seinem Gutachten an, dass die Bischöfe in

der Nachfolge der Apostel stehen. Eine Parallele zu dieser Begründung existiert im

Sentenzenkommentar nicht. Die Konklusion, die aus den Prämissen folgt, ist in

beiden Texten strukturell gleich. Im Votum gelangt Durandus zu dem Schluss, dass

der status episcoporum jeden anderen Stand – und somit auch den status religiosorum – an

Vollkommenheit übertreffe. In der hier untersuchten Quästion aus In III Sent., d. 35

konstatiert der Autor am Ende des dritten Arguments, dass die vita activa der prelati

366 Siehe den Textvergleich auf S. 57, Abschnitt B). 367 Siehe oben, Kap. I.2, S. 19. 368 Gregor der Große: Regula pastoralis II, c. 1 (ed. Rommel (1992)(SC 381), S. 174, Z. 7-10): „Sit ergo

(sc. pastor), necesse est, cogitatione mundus, actione praecipuus, discretus in silentio, utilis in uerbo, singulis compassione proximus, prae cunctis contemplatione suspensus...“

369 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb): „Nulla autem alia uita supponit sic perfectam personam, ergo talis uita actiua est perfectior et nobilior quam uita contemplatiua.“

370 Siehe den Textvergleich auf S. 57, Abschnitt C). 371 Siehe den Textvergleich auf S. 58, Abschnitt D).

60

edler und vollkommener sei als die übrigen Lebensformen, die vita contemplativa und

diejenige vita activa, die sich auf das Individuum bezieht.372 Für das fünfte Argument

im Gutachten, der status episcopalis sei vollkommener als der status religionis, weil ihm

der Papst angehöre, lässt sich im Sentenzenkommentar kein Äquivalent finden.373

Wie oben dargelegt, weist dieses Argument einen besonderen Adressatenbezug auf,

für den es in dem Sentenzenkommentar keine Veranlassung gibt.374

Die auffällige Parallele zwischen den beiden Textpassagen aus In III Sent., d. 35 und

De paupertate Christi et apostolorum, die bis hin zur wörtlichen Übereinstimmung reicht,

gibt Anlass zu der Vermutung, dass Durandus einen der beiden Texte unter dem

Einfluss des anderen verfasste. Um zu beantworten, welche der beiden Schriften

Vorlage der anderen gewesen sein könnte, ist zu klären, ab wann der Autor mit Hilfe

der drei genannten Argumente seine Position zum status prelatorum et rectorum in dem

Sentenzenkommentar begründete.

Die hier untersuchte Textstelle aus In III Sent., in der die vita activa der Prälaten als

vollkommenste und edelste Lebensform dargestellt wird, ist nur in der letzten

Redaktion des Sentenzenkommentars zu finden. Auf Basis von Codex Clm 26 309,

der als Textzeuge für die Fassung B gilt, erkannte bereits Koch, dass Durandus in der

zweiten Redaktion eine andere Ansicht über das hierarchische Verhältnis zwischen

vita activa und vita contemplativa vertritt als in Fassung C.375 In Redaktion B wird

nämlich dargelegt, dass schlechthin und absolut gesehen das kontemplative Leben

besser sei als das tätige Leben.376 Die Konsultation weiterer Handschriften mit dem

Text der zweiten Redaktion bestätigt Kochs Beobachtung.377 In keinem der

untersuchten Manuskripte wird behauptet, dass die vita activa der Prälaten

vollkommener sei als die vita contemplativa. Anders als in Redaktion C betrachtet

Durandus die Lebensform des status prelatorum et rectorum in Fassung B nicht als einen

speziellen Typus der vita activa. Der Inhalt der Fassung A in der Frage nach dem

Verhältnis zwischen vita activa und vita contemplativa lässt sich nicht ermitteln, weil die

372 Durandus: In III Sent. (Red. C), d. 35, q. 2 (§ 8, fol. 277rb): „...ergo talis uita actiua est nobilior et

perfectior quam uita contemplatiua uel actiua singularis.“ 373 Siehe den Textvergleich auf S. 58, Abschnitt E). 374 Vgl. oben, Kap. I.2, S. 24f. 375 Koch: Durandus (1927), S. 419, Anm. 14. 376 Ebd. 377 Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde der Inhalt der fraglichen Quästion Vtrum vita

contemplativa sit nobilior quam activa vel econverso in den folgenden Handschriften überprüft: Auxerre, Bibliothèque municipale, Ms. 26, fol. 121rb-va; Melk, Stiftsbibliothek, Codex Mellicensis 234, fol. 130ra-131ra; Napoli, Biblioteca Nazionale ‘Vittorio Emanuele III’, Ms. XIII A, fol. 54ra-va; Venezia, Biblioteca Nazionale Marciana, Cod. Lat. Z. 104, fol. 65rb-65vb.

61

erste Redaktion des dritten Buchs, wie oben erwähnt, nicht in den Handschriften

überliefert ist.378

Als terminus a quo für die Entstehung von C sieht die Forschung seit Koch das Jahr

1317, weil Durandus in der letzten Redaktion seines Sentenzenkommentars das erste

Quodlibet des Johannes von Neapel zitiert, welches auf Weihnachten 1315 oder Ostern

1316 datiert wird.379 1317 ist zugleich das Jahr, in welchem Durandus in den

Bischofsstand trat. Damit unterstand er nicht mehr der Jurisdiktion des

Dominikanerordens und konnte in der Fassung C ungehindert Ansichten vertreten,

die zuvor mehrfach auf den Widerstand der Ordensoberen gestoßen waren.380 Nach

Koch ist die Tatsache, dass Durandus von der Redaktion B zu Redaktion C seine

Meinung in der Frage nach dem Verhältnis zwischen vita activa und vita contemplativa

änderte, eben darauf zurückzuführen, dass der Autor ab 1317 nicht länger als

Religioser lebte, sondern die verantwortungsvollere Aufgabe des Episkopats zu

erfüllen hatte.381 Die Prägung durch die Herausforderungen des Bischofsamtes habe

ihn dazu bewogen, in Redaktion C der vita activa des Prälatenstandes den Vorrang vor

der vita contemplativa einzuräumen. Zu welchem Zeitpunkt die Fassung ihre endgültige

Form erhielt, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Koch nahm an, dass Durandus bis

1325 die Redaktion C der ersten drei Bücher vollendete, weil er in Buch IV auf sein

Bischofsamt in Meaux Bezug nimmt, welches er 1326 übernahm.382 Dieser

Datierungsversuch lässt sich jedoch, wie Chris Schabel, Russell L. Friedmann und

Irene Balcoyiannopoulou betonen, nur aufrechterhalten, falls man annimmt, dass

Durandus erst die Bücher I-III überarbeitete, bevor er sich dem vierten Buch

zuwandte.383 Teilweise wird in der Forschung das Jahr 1327 als terminus ante quem für

die Vollendung der gesamten Redaktion C gesehen, weil Bernardus Lombardus in

diesem Jahr seine Sentenzenvorlesung in Paris hielt und in der überlieferten Version

seines Kommentars auf den Inhalt von Durandus‘ Fassung C Bezug nimmt.384

378 Koch: Durandus (1927), S. 419, Anm. 14 war überzeugt mit Hilfe von Durandus-Zitaten bei Petrus

de Palude die Position ermitteln zu können, die Durandus in der Redaktion A vertreten hatte; vgl. ebd., S. 22. Er kam zu dem Schluss, dass der Dominikaner wie in Fassung B dem kontemplativen Leben den Vorrang vor dem aktiven Leben einräumte. Erhebliche Zweifel an der Rekonstruktionsmethode Kochs erheben jedoch Chris Schabel/Russell L. Friedmann/Irene Balcoyiannopoulou: Peter of Palude and the Parisian reaction to Durand of St Pourçain on future contingents, in: AFP 71 (2001), S. 183-300, hier S. 200.

379 Koch: Durandus (1927), S. 75f. 380 Schabel/Friedmann/Balcoyiannopoulou: Peter of Palude (2001), S. 195; Thomas Jeschke/Fiorella

Retucci/Guy Guldentops/Andreas Speer: Durandus von St. Pourçain und sein Sentenzenkommentar. Eine kritische Edition der A- und B-Redaktion, in: Bulletin de Philosophie médiévale 51 (2009), S. 113-143, hier S. 117f.

381 Koch: Durandus (1927), S. 419. 382 Koch: Durandus (1927), S. 76. 383 Schabel/Friedmann/Balcoyiannopoulou: Peter of Palude (2001), S. 196. 384 Koch: Durandus (1927), S. 76; Jeschke/Retucci/Guldentops/Speer: Durandus (2009), S. 117f.

62

Grundlage dieses Datierungsansatzes ist allerdings die Prämisse, dass Bernardus

Lombardus wenig oder gar keine Zeit zwischen der Vorlesung und der endgültigen

Ausarbeitung seines scriptum verstreichen ließ, was nicht gesichert ist.385 Als sichersten

terminus ante quem für die Erstellung der Redaktion C führen Schabel, Friedman und

Balcoyiannopoulou das Todesjahr des Autors, 1334, an.386

Für das Verhältnis zwischen dem Votum und der Redaktion C ergibt sich aus der

Datierungsproblematik, dass jeder der beiden Texte bezüglich der oben analysierten

Argumente Vorlage des anderen gewesen sein kann. Gemäß einer ersten Hypothese

konnte Durandus, als er zwischen März 1322 und vor der Promulgation von Cum inter

nonnullos im November 1323, möglicherweise sogar schon vor der ersten

Veröffentlichung von Ad conditorem canonum im Dezember 1322 das Votum im

Armutsstreit anfertigte,387 bereits auf Quästion 2 aus der Fassung C von In III Sent., d.

35 zurückgreifen. Diesem Erklärungsversuch zufolge hätte ähnlich wie bei der

Entstehung von Durandus‘ Traktat De origine iurisdictionum eine Quästion aus dem

Sentenzenkommentar im Zuge einer aktuellen Debatte als Vorlage für einen

separaten Text gedient.388 Nach einer zweiten Hypothese wäre die Entwicklung in

umgekehrter Richtung verlaufen: Durandus entnahm bei der Überarbeitung von In III

Sent., d. 35 Argumente aus De paupertate Christi et apostolorum und verwendete sie in

leicht veränderter Form in der Redaktion C seines Sentenzenkommentars. Eine

endgültige Entscheidung zwischen den beiden Hypothesen kann hier nicht getroffen

werden. Für den ersten Deutungsansatz könnte allerdings die Tatsache sprechen, dass

sich in dem Gutachten mehr Argumente finden als in dem Sentenzenkommentar. Es

ist leicht erklärbar, dass Durandus zu den drei Argumenten aus der Redaktion C in

seinem Votum weitere hinzufügte. Dagegen stellt sich angesichts der zweiten

Hypothese die Frage, warum der Autor aus mehreren Argumenten in dem Gutachten

nur drei auswählte und dabei unter anderem auf das eindrucksvolle Argument

verzichtete, Bischöfe seien dazu verpflichtet, im Notfall für die ihnen untergebenen

Gläubigen das Leben zu geben.389

385 Schabel/Friedmann/Balcoyiannopoulou: Peter of Palude (2001), S. 196. 386 Ebd. 387 Siehe oben, Einleitung, S. 5. 388 Zum Verhältnis zwischen dem Sentenzenkommentar und De origine iurisdictionum siehe Guldentops:

Struggling with Authority (2012), S. 111f.; siehe oben, S. 12, Anm. 57. 389 Siehe den Textvergleich, S. 57, Abschnitt C). Das Fehlen des Argumentes im Sentenzenkommentar

könnte allerdings auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich möglicherweise aus Sicht des Bischofs von Le Puy nicht auf alle Angehörigen des status prelatorum et rectorum übertragen ließ.

63

Fazit

Der status prelationis ist in dem Gutachten De paupertate Christi et apostolorum des

Durandus von St. Pourçain in mehrfacher Hinsicht von zentraler Bedeutung. Um

dies untersuchen zu können, wurde in der vorliegenden Arbeit zunächst geklärt, dass

in dem Votum unter dem status prelationis der Stand der Bischöfe beziehungsweise der

bischofsähnliche Stand zu verstehen ist, den nach Durandus‘ Auffassung die Apostel

als Vorgänger des Episkopats innegehabt hatten.390 Die Verwendungsweise des

Begriffes ‚prelati‘ legt nahe, dass der Autor auch diesen Terminus in dem Gutachten

nur auf die Vertreter des Bischofsstandes bezieht. Darin unterscheidet sich der

Bischof von Le Puy von anderen Autoren, wie Thomas von Aquin, Heinrich von

Gent oder Gottfried von Fontaines, die zu den praelati auch Erzdiakone und mit der

Seelsorge betraute Priester, sogenannte Kuraten, rechnen und diese in Abgrenzung zu

den Bischöfen als niedere Prälaten bezeichnen. Durandus begreift den status prelationis

in Tradition zu Thomas als einen von zwei status perfectionis. Den Terminus ‚status

perfectionis‘ definiert er als eine Lebensweise, die Verpflichtungen umfasst, um

entweder leichter individuelle Vollkommenheit zu erwerben oder Vollkommenheit

unter den Mitmenschen zu verbreiten. Im Gegensatz zu dem anderen Stand der

Vollkommenheit, dem status religionis, obliegt dem Prälatenstand als status perfectionis in

alios diffundende die Aufgabe, für das Seelenheil der untergebenen Gläubigen Sorge zu

tragen. Durandus betont, dass die Zugehörigkeit zu einem der beiden status perfectionis

noch keine Vollkommenheit im eigentlichen Sinne impliziert. Vollkommenheit an

sich ist nämlich nach Auffassung des Bischofs von Le Puy nur die persönliche

Vollkommenheit (perfectio personalis), die in den Habitus und Akten der Tugenden,

insbesondere in denjenigen der caritas besteht.

Die große Bedeutung des status prelationis in dem Gutachten zeigt sich unter anderem

darin, dass Durandus in Quästion 2 seines Votums durch insgesamt fünf Argumente

ausführlich darlegt, warum der Prälatenstand vollkommener ist als der Stand der

Religiosen.391 Diese Beweisführung ist einerseits funktional eingebunden in die

Beantwortung der übergeordneten Frage, ob der Verzicht auf jegliche

gemeinschaftliche und persönliche Habe, wie ihn die franziskanische

Armutskonzeption vorsah, gegenüber Personen mit kollektivem Besitz einen Vorteil

im Sinne eines höheren Grades an Vollkommenheit verschafft. Der dominikanische

Autor war dabei erkennbar bestrebt, minoritische Vollkommenheitsansprüche zu

390 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. I.1, S. 10-16. 391 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. I.2, S. 16-26.

64

entkräften. Andererseits ist die umfangreiche Argumentation zugunsten der

Vollkommenheit des status prelationis aber auch Durandus‘ Interesse geschuldet, den

Vorrang des eigenen Standes vor dem Stand der Religiosen und zugleich auch vor

allen übrigen Gläubigen zu demonstrieren. In den Ausführungen zum status prelationis

als status perfectionis in alios diffundende offenbart sich das Selbstbewusstsein des Autors

als Prälat.

Auch die Tatsache, dass Durandus ausgiebig den Besitz des Prälatenstandes

diskutiert, ist ein Beleg für die große Bedeutung, die dem status prelationis in dem

Votum zukommt.392 Der Autor gelangt zu dem Schluss, dass die Aufgaben des

Prälatenstandes notwendigerweise kirchlichen Besitz erfordern. Nach Durandus‘

Verständnis besitzen die prelati gemeinschaftlich mit allen übrigen Kirchendienern die

temporalia der Kirche. Diese Ansicht unterscheidet sich von der Auffassung vieler

Minoriten, dass Prälaten die kirchlichen Güter nur verwalten, aber nicht deren

Besitzer sind. Der Vergleich von Durandus‘ Position mit dem Standpunkt des

Hervaeus Natalis zeigt, dass der Bischof von Le Puy den Besitz der Prälaten mit

größerer Vehemenz verteidigt als der dominikanische Generalmagister. Hinter

Durandus‘ Beweis, dass der Prälatenstand seiner Bestimmung nicht ohne jeglichen

Besitz gerecht werden kann, steht wie bei der Gegenüberstellung der beiden status

perfectionis ein zweifaches Anliegen. Zum einen widerlegt das Ergebnis der

Argumentation endgültig die Hypothese, dass prelati durch den Verzicht auf jede

Form des Besitzes größere Vollkommenheit erreichen können als Vertreter des

gleichen Standes, die etwas in Gemeinschaft mit anderen besitzen. Damit hat der

Bischof von Le Puy einen weiteren Beleg für die Nutzlosigkeit der franziskanischen

Armutskonzeption erbracht. Zum anderen ist der Autor bestrebt, den Besitz des

eigenen Standes zu rechtfertigen.

Zugleich argumentiert Durandus aber stets in der festen Überzeugung, dass die prelati

legitime Nachfolger der Apostel sind und zu Recht in Gemeinschaft mit dem übrigen

Klerus die Güter der Kirche besitzen. Ausgehend von diesen Grundannahmen kann

der Bischof von Le Puy den status prelationis argumentativ als Referenzpunkt nutzen,

wenn er in seinem Votum auf franziskanische Positionen reagiert.393 Erstens macht er

mehrfach Gebrauch von der argumentativen ‚Inversion‘394, bei der, wie Tabarroni

erläutert, von einer zeitgenössischen Form christlichen Lebens auf das apostolische

‚Vorbild‘ geschlossen wird. Weil die Prälaten in Gemeinschaft mit anderen

392 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. II, S. 26-32. 393 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. III, S. 33-40. 394 Tabarroni: Paupertas (1990), S. 42, Anm. 48 u. S. 51, Anm. 65. Siehe oben, Einleitung, S. 6.

65

Kirchendienern Güter besitzen, steht für Durandus fest, dass auch die Apostel als

erste Vertreter des ‚status prelationis‘ in der Kirchengeschichte nicht gänzlich ohne

dominium oder proprietas lebten. Mit Hilfe des gleichen Argumentationsmusters

begründet Durandus, dass diverse an die Apostel gerichtete Aufforderungen Jesu, die

im Sinne eines totalen Besitzverbotes verstanden werden könnten, nicht als

Vorschriften zu begreifen seien. Zweitens erhebt der Dominikaner auf Grundlage

seiner Annahme, dass mit dem Bischofsstand gemeinschaftlicher Besitz verbunden

ist, Zweifel gegenüber der Vereinbarkeit des minoritischen Armutsgelübdes und der

Zugehörigkeit zum episcopalis status. Er wirft dadurch franziskanischen Bischöfen

Inkonsequenz vor und stellt damit indirekt auch die Autorität derjenigen Gutachter

im Armutsstreit infrage, die dem Episkopat angehören, aber dem Minoritenorden

entstammen. Drittens stützt sich auch Durandus‘ Interpretation der loculi, über die

Christus und die Apostel einigen Bibelstellen zufolge verfügten, auf die Überzeugung,

dass die Prälaten Nachfolger der Apostel sind und ihr Besitz legitim ist. Der Bischof

von Le Puy behauptet, dass Christus durch die loculi potentielle Kritik an den

finanziellen Mitteln des Klerus und insbesondere des Prälatenstandes entkräften

wollte. Dagegen verwahrt sich der Autor mit großer Bestimmtheit dagegen, dass

unter den Unvollkommenen, zu deren Trost Christus die loculi besessen habe,

diejenigen zu verstehen seien, die sich wie die Prälaten im Besitz kirchlicher Güter

befinden.

Der Vergleich mit anderen im Codex Vat. lat. 3740 überlieferten Gutachten zeigt,

dass auch andere Autoren in ihren Stellungnahmen zu der Frage der apostolischen

Armut die Differenzierung zwischen status prelationis und status religionis als den beiden

status perfectionis verwenden.395 Durandus‘ ausführliche Darlegung, warum der Stand

der Prälaten vollkommener ist als der Stand der Religiosen stellt jedoch eine

Ausnahme dar. Dass der Generalsuperior der Dominikaner Hervaeus Natalis die

Auffassung vertrat, dem Prälatenstand komme größere Vollkommenheit zu als dem

status religionis, kann nur indirekt erschlossen werden. Der franziskanische Kardinal

Bertrand de la Tour äußert sich nicht zu dieser Frage. Vital du Four, ebenfalls

Kardinal und Angehöriger des Minoritenordens, ist zwar der Ansicht, der status

prelationis sei schlechthin und absolut betrachtet vollkommener als der status religionis.

Auch bei Ubertino da Casale, der ursprünglich dem Franziskanerorden angehört

hatte, wird dem status prelationis größere Vollkommenheit zugesprochen als dem Stand

der Religiosen. Aber eine umfassende Begründung wie diejenige, die Durandus gibt,

ist in keinem der anderen Gutachten zu finden. Hinsichtlich der Frage nach dem 395 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. IV, S. 41-54.

66

apostolischen Vorbild des Prälatenstandes unterscheiden sich die Positionen der

minoritischen Autoren Bertrand, Vital und Arnaud Royard deutlich von dem

Standpunkt, den der Bischof von Le Puy in seinem Votum einnimmt. Anders als

Durandus sind die Vertreter des Franziskanerordens der Meinung, in der Gestalt der

Apostel seien auf ideale Weise der status prelationis und totale Besitzlosigkeit

miteinander vereint gewesen. Die Apostelnachfolge der Prälaten impliziert aber aus

Sicht der minoritischen Gutachter nicht die Verpflichtung, auf jeglichen Besitz zu

verzichten. Folglich sind die Angehörigen des status prelationis für die franziskanischen

Autoren nicht in jeder Hinsicht Nachfolger der Apostel. Dies widerspricht dem

Verständnis des Prälatenstandes, das Durandus vertritt. Darüber hinaus deuten

Bertrand und Vital an, dass sich die Zugehörigkeit zum status prelationis und ein Leben

ohne dominium oder proprietas nach apostolischem Vorbild nicht ausschließen.

Durandus bestreitet dagegen, dass der Prälatenstand mit dem minoritischen

Anspruch, auf jeglichen gemeinschaftlichen und persönlichen Besitz zu verzichten, in

Einklang zu bringen ist.396 Der Vergleich zwischen den Positionen von Durandus und

Ubertino zeigt eine interessante Übereinstimmung.397 Beide Autoren nutzen den

Verweis auf die Vollkommenheit des Papstes als Beleg dafür, dass der Stand der

Religiosen nicht vollkommener sein kann als der Prälatenstand, dem der Inhaber des

apostolischen Stuhls angehört. Diese Argumentationsstrategie war durch ihren Bezug

zum Adressaten der Gutachten, dem Papst, in der historischen Situation raffiniert.

Die große Wertschätzung des dominikanischen Theologen für den Prälatenstand ist,

wie Koch aufzeigte, erst für die Zeit bezeugt, zu der Durandus bereits Bischof war.398

In der Redaktion C seines Sentenzenkommentars, deren terminus a quo das Jahr 1317

bildet, bestimmte Durandus anders als in Redaktion B die vita activa des status

prelatorum et rectorum als vollkommenste und edelste Lebensform. Koch schloss daraus,

dass der Autor unter dem Einfluss des neuen Amtes die in Fassung B vertretene

Meinung, das kontemplative Leben sei besser als das aktive Leben, revidierte.399 Die

drei Argumente, mit deren Hilfe Durandus in Buch III der Redaktion C begründet,

warum die vita activa der Prälaten edler und vollkommener ist als die vita contemplativa

im Diesseits, finden sich in ähnlicher Form, zum Teil aber sogar in wörtlicher

Übereinstimmung in der Beweisführung des Gutachtens.400 Koch hatte seinerseits

festgestellt, dass sich das Votum und die Redaktion C in der Darstellung des

396 Siehe hierzu Kap. II, S. 28f. u. Kap. III, S. 35-37. 397 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. IV, S. 53f. 398 Siehe hierzu und dem Folgenden Kap. V, S. 60. 399 Koch: Durandus (1927), S. 419f. 400 Siehe hierzu Kap. V, S. 57-60.

67

Prälatenstandes und seiner Superiorität gegenüber der Lebensweise der Religiosen

‚eng berühren‘.401 Auf die Argumente innerhalb des Gutachtens, die auch in der

Fassung C des Sentenzenkommentars genutzt werden, ging Koch allerdings gar nicht

ein. Das tatsächliche Ausmaß der Überschneidung zwischen den Argumentationen in

den beiden Texten, erkannte er daher nicht. Die auffällige Parallele zwischen dem

Votum und der Redaktion C des Sentenzenkommentars legt die Vermutung nahe,

dass der Autor einen der beiden Texte als Vorlage für den anderen gebrauchte. In

welchem der beiden Werke Durandus die Argumente zuerst verwendete, lässt sich in

der vorliegenden Arbeit jedoch nicht klären. Der frühste Zeitpunkt, der in der

Forschung als terminus ante quem für die Fertigstellung von Buch III in der Fassung C

angenommen wird, ist nämlich das Jahr 1326.402 Die Entstehung von De paupertate

Christi et apostolorum von 1322/23 fällt somit in den Zeitraum, in dem der Autor an der

Redaktion C seines Sentenzenkommentars arbeitete. Sollte Durandus die letzte

Fassung des Kommentars vor dem Gutachten verfasst und die drei Argumente aus In

III Sent., d. 35, q. 2 in sein Votum übernommen haben, wäre dies ein weiteres Beispiel

dafür, dass der dominikanische Theologe Elemente aus seinem Sentenzenkommentar

in Einzelschriften erneut verwendete.

Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit könnten Anlass zu weiteren

Forschungsstudien geben. Durandus hat sich 1329 im Kontext eines Konfliktes

zwischen französischen Baronen und Prälaten noch einmal in einer Schrift mit dem

Stand der prelati auseinandergesetzt.403 In De origine iurisdictionum rechtfertigt er, dass

die Prälaten neben der geistlichen auch über weltliche Macht verfügen.404 Ein

ausführlicher Vergleich zwischen der Position, die der Autor in dem Traktat vertritt,

und dem im Votum geäußerten Standpunkt könnte einen wichtigen Beitrag dazu

leisten, die Bedeutung des status prelationis im Gesamtwerk des dominikanischen

Theologen zu ermitteln. Um Durandus‘ Auffassung vom Prälatenstand und ihre

Entwicklung zu rekonstruieren, müssen außerdem weitere Textstellen aus den

verschiedenen Redaktionsstufen des Sentenzenkommentars in die Untersuchung

einbezogen werden. Daneben stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die

theoretischen Ansichten über den status prelationis, die in dem Votum und den übrigen

Schriften des Dominikaners vertreten werden, und Durandus‘ Amtsführung als

Bischof zueinander standen. Erste Ansätze zur Klärung dieser Frage finden sich bei

401 Koch: Durandus (1927), S. 420. 402 Koch: Durandus (1927), S. 76. 403 Jürgen Miethke: Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham,

durchges. u. korr. Studienausgabe, Tübingen 2008, S. 198f. u. 202f. 404 Ebd.

68

Koch, der dabei unter anderem auf den Streit des Bischofs mit dem Domkapitel von

Le Puy eingeht.405

Die Analyse des Gutachtens zeigt, dass Durandus bei der Diskussion des

Prälatenstandes vielfach Argumente aufgreift, die vor ihm in ähnlicher Form bereits

Thomas von Aquin oder die Weltkleriker Heinrich von Gent und Gottfried von

Fontaines verwendet hatten. Zum einen bestätigt sich im Detail die allgemeine

Beobachtung Horsts und Miethkes, der Autor orientiere sich in seiner Argumentation

eng an Thomas.406 Zum anderen belegt die Untersuchung, dass Durandus‘ Position

partielle Übereinstimmung mit weltgeistlichen Standpunkten aufweist, wobei

gleichzeitig zentrale Unterschiede in der Auffassung des status prelationis erkennbar

werden. Mit der Suche nach Parallelen zwischen dem Votum des Bischofs von Le

Puy und den Texten weiterer weltgeistlicher Autoren könnten die

ideengeschichtlichen Forschungen dieser Arbeit fortgesetzt werden. Wünschenswert

wäre beispielsweise eine gründliche Gegenüberstellung des Gutachtens mit den

Schriften des Gerhard von Abbeville oder des Jean de Pouilly (Johannes de Polliaco).

Ein weiteres Anliegen zukünftiger Studien könnte darin bestehen, die Darstellung des

Prälatenstandes in De paupertate Christi et apostolorum mit Voten und Traktaten zur

Frage nach der apostolischen Armut zu vergleichen, die im Rahmen der vorliegenden

Arbeit nicht berücksichtigt werden konnten. Ziel eines derartigen

Forschungsvorhabens wäre es, Durandus‘ Standpunkt zum status prelationis noch

besser im Kontext des ‚Theoretischen Armutsstreits‘ verorten zu können.

405 Koch: Durandus (1927), S. 420-422. 406 Horst: Armut und Kirche (1992), S. 210; Miethke: Votum (1993), S. 161; vgl. oben, Einleitung, S.

6f.

69

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Abkürzungen

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AFP Archivum Fratrum Praedicatorum

AHDLMA Archives d'histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge

CCSL Corpus Christianorum, Series Latina

CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum

MIC Monumenta Iuris Canonici

PG Patrologiae cursus completus, Series Graeca

RSCI Rivista di Storia della Chiesa in Italia

RTAM/RTPM Recherches de Théologie Ancienne et Médiévale/ Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales (seit 1997)

SC Sources Chrétiennes

2. Quellen

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Erklärung zum Verfassen der Arbeit

Ich versichere, dass ich die schriftliche Hausarbeit – einschließlich beigefügter

Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen – selbstständig verfasst und keine

anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen der

Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen sind,

habe ich in jedem Fall unter der Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich

gemacht.

Köln, den 9.3.2015

Christoph Burdich