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Die Eingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in das deutsche Schulsystem Bildungspolitischer Diskurs, Eingliederungsmodelle und Schul- erfolg im Vergleich der Bundesländer Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen Magisterarbeit vorgelegt für die Magisterprüfung an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig am 19. Januar 2007 von Toralf Herschel Matrikelnummer: 851 44 22 [email protected] Erstgutachter: Prof. Dr. Wolfgang Hörner Zweitgutachterin: Dr. Iris Mortag

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Die Eingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in das deutsche Schulsystem

Bildungspolitischer Diskurs, Eingliederungsmodelle und Schul-erfolg im Vergleich der Bundesländer Baden-Württemberg,

Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen

Magisterarbeit

vorgelegt für die Magisterprüfungan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät

der Universität Leipzig

am19. Januar 2007

vonToralf Herschel

Matrikelnummer: 851 44 [email protected]

Erstgutachter:Prof. Dr. Wolfgang Hörner

Zweitgutachterin:Dr. Iris Mortag

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Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich meine Magisterarbeit ohne Hilfe Dritter und ohne Benutzung ande-rer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Diese Arbeit wurde von mir bisher keiner Prüfungsbehörde in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise vorgelegt.

Leipzig, den 19. Januar 2007

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Inhaltsverzeichnis

1 Einführung.....................................................................................................7

1.1 Zum Anliegen dieser Arbeit.........................................................................................................7

1.2 Begriffsklärungen........................................................................................................................12

1.3 Methodische Überlegungen.......................................................................................................17 1.3.1 Auswahl der Vergleichsobjekte................................................................................................................17 1.3.2 Gegenstände des Vergleichs.....................................................................................................................19 1.3.3 Funktion und Form der vergleichenden Analyse..................................................................................22 1.3.4 Methodische Probleme..............................................................................................................................22

2 Einwanderungspolitik, Bildungspolitik und Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in Deutschland...............................................26

2.1 Migrationsland Deutschland......................................................................................................26 2.1.1 Ein Auswanderungsland wird zum Einwanderungsland...................................................................28 2.1.2 Einwanderung in die BRD bis 1990..........................................................................................................29 2.1.3 Einwanderung in die DDR.........................................................................................................................32 2.1.4 Einwanderung in die BRD seit 1990.........................................................................................................33 2.1.5 Die deutsche Einwanderungspolitik.......................................................................................................35

2.1.5.1 Einwanderungspolitik im internationalen Vergleich....................................................................35 2.1.5.2 Einwanderungspolitik in Deutschland.............................................................................................37

2.1.6 Erstes Zwischenfazit: Besonderheiten der deutschen Einwanderungspolitik.................................49

2.2 Reaktionen des Bildungssystems auf Migration....................................................................51 2.2.1 Zur Situation in der DDR..........................................................................................................................51 2.2.2 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Bildungssystem der BRD...................52 2.2.3 Pädagogische Positionen im Umgang mit Migration..........................................................................56

2.2.3.1 Ausländerpädagogik............................................................................................................................57 2.2.3.2 Interkulturelle Erziehung...................................................................................................................59 2.2.3.3 Antirassistische Pädagogik.................................................................................................................60

2.2.4 Grundlinien deutscher Schulpolitik im Umgang mit Migration........................................................61 2.2.4.1 Die nationale Bildungstradition........................................................................................................62 2.2.4.2 Schulpolitik für ausländische Schülerinnen und Schüler.............................................................64 2.2.4.3 Schulpolitik für (spät-) ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler...............................................66 2.2.4.4 Europäische Integration und Internationalisierung......................................................................67

2.2.5 Bildungspolitik im Umgang mit Migration im internationalen Vergleich......................................68 2.2.6 Zweites Zwischenfazit: Der Einfluss der Einwanderungs- auf die Bildungspolitik........................70

2.3 Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund.....................72 2.3.1 Bildungserfolge von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund im Vergleich..........................................................................................................................................................72 2.3.2 Internationaler Vergleich der Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund.......................................................................................................................................75 2.3.3 Erklärungsansätze für die Misserfolge...................................................................................................79

2.3.3.1 Kulturell-defizitäre Erklärung...........................................................................................................79 2.3.3.2 Sozioökonomische Erklärung............................................................................................................80

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2.3.3.3 Der Ansatz der „institutionellen Diskriminierung“.......................................................................82 2.3.3.4 Strukturelle Nachteile des mehrgliedrigen Schulsystems............................................................85

2.3.4 Drittes Zwischenfazit: Der Einfluss von Einwanderungs- und Bildungspolitik auf die Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund...............................................88

3 Einwanderungspolitik, Bildungspolitik und Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in ausgewählten Bundesländern.................90

3.1 Einwanderungspolitik der Bundesländer................................................................................90 3.1.1 Die Einbürgerungspolitik der Bundesländer.........................................................................................91 3.1.2 Viertes Zwischenfazit: Die Einwanderungspolitik der Bundesländer...............................................94

3.2 Umgang mit Migration in den Schulsystemen der Bundesländer.....................................95 3.2.1 Besonderheiten der Schulsysteme in den untersuchten Bundesländern.........................................95 3.2.2 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den untersuchten Bundesländern....97 3.2.3 Schuleingliederungsmodelle für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund............99

3.2.3.1 Einführung............................................................................................................................................99 3.2.3.2 Bildungspolitische Erklärungen......................................................................................................104 3.2.3.3 Baden-Württemberg..........................................................................................................................108 3.2.3.4 Brandenburg.......................................................................................................................................109 3.2.3.5 Nordrhein-Westfalen.........................................................................................................................111 3.2.3.6 Sachsen................................................................................................................................................114

3.2.4 Fünftes Zwischenfazit: Der Einfluss der Einwanderungspolitik auf die Schulein-gliederungsmodelle in den Bundesländern...................................................................................................117

3.3 Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in den Bundesländern..................................................................................................................................119

3.3.1 Bildungsbeteiligung nach Schultyp......................................................................................................120 3.3.2 Bildungserfolg nach Abschlüssen..........................................................................................................126 3.3.3 Schulleistungen........................................................................................................................................130 3.3.4 Erklärungsansätze...................................................................................................................................132

3.3.4.1 Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen...........................................................................132 3.3.4.2 Das gute Abschneiden der ostdeutschen Länder..........................................................................134

3.3.5 Sechstes Zwischenfazit: Der Einfluss von Einwanderungs- und Bildungspolitik auf die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den Bundesländern.......139

4 Zusammenfassung......................................................................................141

5 Anhang.....................................................................................................145

6 Literatur.....................................................................................................149

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1 Einführung

1.1 Zum Anliegen dieser Arbeit

Mehr als ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen haben einen Mi-grationshintergrund. Diese Kinder und Jugendlichen bringen mit ihren Migrationserfahrun-gen und ihrer Mehrsprachigkeit wertvolle Ressourcen in das Bildungssystem ein. Im Zuge zunehmender grenzüberschreitender Mobilität werden diese auch für die deutsche Gesell-schaft und Wirtschaft immer wichtiger. Das Schulsystem zeigt sich bislang aber außerstan-de, diese Bildungspotenziale auszuschöpfen. Das hiesige Bildungssystem ist durch eine star-ke Abhängigkeit der Bildungserfolge von der sozialen Herkunft gekennzeichnet. Darüber hinaus ist auch die Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshinter-grund typisch. Zahlreiche Studien kommen zu diesem Befund. Stellvertretend sei an dieser Stelle das Fazit einer Arbeit aus dem Jahr 1994 zitiert:

„Unsere Analysen haben klare Belege dafür ergeben, daß einige der größten Ausländergruppen in der Bundesrepublik im Schulsystem benachteiligt sind: Ihre Kinder besuchen mit größerer Wahrscheinlichkeit die Hauptschule und ab-solvieren im Anschluß an diese keine Lehre. Die Analysen haben weiterhin ge-zeigt, daß diese Benachteiligungen nicht nur ein Produkt der niedrigeren sozio-ökonomischen Herkunft der Ausländerkinder im Vergleich zu den deutschen Kindern oder eine Folge der späteren Ankunft in Deutschland sind. Selbst wenn diese Faktoren, zusammen mit anderen, kontrolliert werden, bleiben beträchtli-che Benachteiligungen (...) bestehen.“1

Von einem öffentlichen Schulsystem in einem demokratischen Verfassungsstaat wie der Bundesrepublik kann erwartet werden, dass es die Chancenungleichheiten in Abhängigkeit vom ererbten oder erworbenen Kapital der Familien auszugleichen vermag.2 Dem Bildungs-system kommt in modernen Gesellschaften eine Schlüsselrolle bei der Zuweisung sozialer Chancen und somit der Realisierung von Gerechtigkeit zu. Von seiner Leistungsfähigkeit hängen die Möglichkeiten der sozialen Entfaltung, der Integration in die Gesellschaft und des Erfolgs im ökonomischen Bereich ab.3 Gerade in der Bundesrepublik Deutschland be-stimmt eine erfolgreiche Schulkarriere die Ausbildungs- und Berufschancen.4 Die durch das Schulsystem vermittelten Chancen wirken sich dabei auf individuelle Aufstiegsmöglichkei-ten und auf die strukturelle Integration der Gesamtgesellschaft aus. Damit übernimmt das Schulsystem eine besondere Rolle bei der Integration von Zugewanderten im Einwande-

1 Alba, Richard D./Handl, Johan/Müller, Walter (1994): Ethnische Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 46, 2/1994, S. 209-237, S. 234; Die untersuchten Gruppen sind ausländische Kinder von Migrantinnen und Migranten aus Italien, der Türkei, Griechenland und dem ehem. Jugoslawien.

2 vgl. Gogolin, Ingrid (2006): Chancen und Risiken nach PISA – über Bildungsbeteiligung von Migrantenkindern und Reformvorschläge. in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf-ten, S. 33-49, S. 35

3 vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung (Hrsg., 2006): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Be-richt mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Bielefeld: Bertelsmann, S. 1; vgl. Hamburger, Franz (2005): Der Kampf um Bildung und Erfolg. Eine einleitende Feldbeschreibung. in: ders./Badawia, Tarek/Hummrich, Merle (Hrsg.): Migration und Bildung. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zumutung in der Einwande-rungsgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 7-22, S. 10ff.

4 vgl. Herwatz-Emden, Leonie (2003): Einwanderungskinder im deutschen Bildungswesen. in: Cortina, Kai S. u.a. (Hrsg.): Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Entwicklungen im Über-blick. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 661-709, S. 661

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rungsland Deutschland. Die Schule ist einerseits die einzige Bildungseinrichtung, die alle (schulpflichtigen) Kinder und Jugendlichen besuchen müssen, und wo Werte und Erfahrun-gen im interkulturellen Verständnis sowie der gegenseitigen Toleranz vermittelt werden können. Andererseits sollen über die Verteilung gerechter Chancen in der Bildungsbeteili-gung gesellschaftliche Integrationsprozesse befördert werden. Empirisch belegt ist, dass die berufliche Entwicklung der Migrantinnen und Migranten sich mehr auf deren Assimilation auswirkt als alle anderen strukturellen Integrationsmerkmale.5

Diese Arbeit geht normativ davon aus, dass es eine Aufgabe des Schulsystems ist, den Men-schen mit Migrationshintergrund einen Bildungsabschluss zu ermöglichen, der ihre struk-turelle Integration ermöglicht. Die deutsche Schule versagt bei der Erfüllung dieser Aufgabe auf eine für ein Einwanderungsland inakzeptable Weise, wenn statt der Vermittlung gerech-ter Chancen im Schulsystem die Strukturen einer ethnisch geschichteten Einwanderungsge-sellschaft reproduziert werden. Allein mit der Sicht auf individuelle Entfaltungsrechte muss es das normative Ziel sein, die askriptiv legitimierte Ungleichheit einer solchen „neofeuda-len“6 Gesellschaft abzubauen. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass neben das Problem der zunehmenden sozialen Ungleichheit in der einheimischen Bevölkerung eine mit Einwande-rung zusammenhängende soziale Ungleichheit tritt. Dabei besteht ein enger Zusammen-hang zwischen der ethnischen Zugehörigkeit der eingewanderten Minderheiten und deren Konzentration in der sozialen Unterschicht, womit sich die Gefahr verbindet, dass strukturel-le gesellschaftliche Konflikte als ethnisch-kulturelle Konflikte ausgetragen werden könnten.7

Der Umgang mit kultureller und sprachlicher Heterogenität im Zuge von Migration ist für das deutsche Schulsystem keine grundsätzlich neue Herausforderung. Allerdings zeichnet sich das Schulsystem nicht eben durch schnelle Reaktionszeiten aus, und gerade Verände-rungen, die gängige Normalitätsvorstellungen in Frage stellen, wurden entweder zögerlich angegangen oder ganz umschifft.8 Erst in den letzten Jahren beginnt sich im Schulsystem, auch bezüglich des Umgangs mit den Herausforderungen durch Migration, Einiges zu bewe-gen. Sich verändernde Rahmenbedingungen für das Bildungssystem und ein Legitimations-druck durch die öffentliche Debatte um die Defizite des deutschen Schulwesens haben in al-len Bundesländern Reformbemühungen angestoßen. International vergleichende Schulleis-tungsstudien, v. a. IGLU und PISA9, haben eine für viele überraschend schlechte Positionie-rung des deutschen Schulsystems im internationalen Vergleich ermittelt. Eines der breit

5 Hoffmann-Novotny, Hans-Joachim (2000): Migration, soziale Ungleichheit und ethnische Konflikte. in: Gogolin, Ingrid/Nauck, Bernhard (Hrsg.): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung: Resultate des Schwerpunktprogramms FABER. Opladen: Leske + Budrich, S. 157-178, S. 163

6 ebd., S. 1607 ebd., S. 1598 Leiprecht, Rudolf/Kerber, Anne (Hrsg., 2005): Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Handbuch. Schwal-

bach/Ts.: Wochenschau, S. 79 Das Programme for International Student Assessment (PISA) der OECD testet vergleichend Kompetenzen 15jäh-

riger Schüler/innen seit 2000 in dreijährigem Turnus, jeweils in einem Schwerpunktbereich (2000 Lese-kompetenz, 2003 Mathematik, 2006 Naturwissenschaften). Zu unterscheiden sind internationale Studie (PISA-I), nationale Erweiterungsstudie (PISA-E) und zahlreiche Sonderstudien, darunter eine zu Schü-ler(inne)n mit Migrationshintergrund. Die Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS, übertragen: Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung - IGLU) der International Association for the Evaluation of Edu-cational Achievement (IEA) misst das Leseverständnis von Schüler(inne)n der vierten Jahrgangsstufe. Neben den internationalen Studien (IGLU) 2001 und 2006 gab es 2006 eine nationale Erweiterungsstudie (IGLU-E). Deutschland nahm an allen PISA-I- und IGLU-Untersuchungen, alle deutschen Bundesländern an den je-weiligen nationalen Erweiterungsstudien teil.

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diskutierten Ergebnisse der Studien, die die Bildungspolitik herausfordern, ist dabei der deutliche Leistungsrückstand der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland.10

Zu den sich verändernden Rahmenbedingungen, die Anpassungen im Schulsystem erfor-dern, gehört erstens die demografische Entwicklung, die sich in einem Rückgang der Schüle-rinnen- und Schülerzahlen ausdrückt. In den alten Bundesländern wird die Zahl der Grund-schülerinnen und Grundschüler bis zum Jahr 2020 vermutlich um zehn Prozent zurückge-hen. In den neuen Bundesländern halbierte sich die Geburtenzahl unmittelbar nach der Wiedervereinigung. Zweitens wirken sich Internationalisierungs- und Globalisierungstrends aus, von denen die Bundesrepublik Deutschland als „Exportweltmeister“ mit einer starken Einbindung in den Weltmarkt besonders betroffen ist. Eine stärkere internationale Vertei-lung von ökonomischen Wertschöpfungsketten führt zu internationalen Kooperationen und grenzüberschreitenden Arbeitsmärkten.11 In diesen steht die deutsche Wirtschaft auch im Wettbewerb um hoch qualifizierte Arbeitskräfte, die international zunehmend mobiler wer-den.12 Als Mitglied der Europäischen Union unterliegt Deutschland auch deren Aktivitäten zur Erweiterung der Mobilität ihrer Bürgerinnen und Bürger. Vom Bildungssystem werden in diesem Zusammenhang organisatorische (Standardisierung der Abschlüsse, Integration von Zugewanderten) und inhaltliche (interkulturelle Kompetenzen, Sprachkenntnisse) An-passungen gefordert. Drittens verlangt auch der Strukturwandel zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft inhaltliche Anpassungen in Richtung kommunikativer Kompetenzen, einer verbesserten Sprachfähigkeit und Medienkompetenz, um die im – für die Beschäfti-gungsstruktur wichtiger werdenden – Dienstleistungssektor geforderten Kompetenzprofile zu erfüllen.13 Für das Thema dieser Arbeit ist viertens der vielfach beschriebene Paradigmen-wechsel in der Einwanderungspolitik seit den 90er Jahren eine besonders bedeutende Ver-änderung der Rahmenbedingungen des Bildungssystems. Die jahrzehntelang offiziell ver-tretene Position, Deutschland sei kein Einwanderungsland, wurde korrigiert. So schrieb der damalige Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2002:

„In der Zuwanderungs- und Migrationspolitik gibt es viele unterschiedliche, ja gegensätzliche Auffassungen. Eins aber kann man inzwischen wohl mit Sicher-heit sagen: Die Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wird von niemandem mehr ernsthaft bestritten. Wer nur wenige Jahre zurückblickt, der kann einen echten Paradigmenwechsel feststellen.“14

Im Zusammenhang mit dem Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik stehen in ers-ter Linie die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts sowie das Zuwanderungsgesetz. Trotz vieler Differenzen setzt sich in der parteipolitischen Auseinandersetzung zunehmend der Minimalkonsens durch, dass eine gezielte arbeitsmarktorientierte Einwanderungspoli-tik und die Verbesserung der Integrationsbemühungen für in Deutschland lebende Zuge-

10 vgl. Hamburger 2005, S. 7; vgl. Gogolin, Ingrid/Neumann, Ursula/Roth, Hans-Joachim (2003): Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. in: BLK, Geschäftsstelle (Hrsg.): Materialien zur Bildungs-planung und Forschungsförderung, Heft 107, S. 1

11 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 5ff.12 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen (2004): Zuwan-

derung und Integration in Nordrhein-Westfalen. 3. Bericht der Landesregierung. http://www.lum.nrw.de/PDF/Pu-blikationen/Zuwanderung_u__Integration_-_Zuwand_Bericht.pdf (Stand: 23. November 2006), S. 104

13 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 5ff.14 zit. n.: Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S.

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wanderte notwendig seien.15 Aktuell wird über die Ausgestaltung einer Bleiberechtsrege-lung für lange in Deutschland lebende Personen mit dem Status der Duldung debattiert.16

Die internationalen Schulvergleichsstudien der letzten Jahre haben Schulerfolge in Abhän-gigkeit von Merkmalen verschiedener Schulsysteme erklärt. Damit haben sie auch dazu bei-getragen, dass in der öffentlichen Debatte der Fokus nicht mehr nur auf den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund liegt, die als „Sorgenkinder“ mit Defiziten be-trachtet werden, welche es ihnen nicht ermöglichen, erfolgreich in der (deutschen) Schule zu sein. Vielmehr sind die Strukturen und Mechanismen des Schulsystems angesprochen, die es bislang nicht vermocht haben, die Begabungen dieser Kinder und Jugendlichen zu fördern.

Diese Arbeit möchte den Fokus ebenfalls nicht auf die unterschiedlichen Voraussetzungen, „Mängel“ oder „Defizite“ der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund legen. Das soll nicht ausschließen, dass eigene Initiativen, etwa als motivierte Schülerinnen und Schüler oder als unterstützende Eltern, nicht bedeutend seien. Die primäre Ursache für ge-ringere Schulerfolge wird aber ausdrücklich nicht in der spezifischen Kultur von Migrantin-nen und Migranten oder in kulturellen Unterschieden gesucht. Vielmehr wird angenom-men, dass die Schulerfolge von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in erster Linie von institutionellen Rahmenbedingungen abhängen, die sie im deutschen Schulsystem vorfinden.

Diese Arbeit setzt sich erstens mit der These auseinander, dass die Schulerfolge von Schüle-rinnen und Schülern mit Migrationshintergrund von den Maßnahmen abhängen, die für ihre schulische Förderung und ihre Integration in das Schulsystem eingesetzt werden, und dass deren bildungspolitische Ausgestaltung von einem übergeordneten Diskurs in der Ein-wanderungspolitik abhängt. Es interessieren also zwei Zusammenhänge:

A) Wie beeinflussen dem Schulsystem übergeordnete einwanderungspolitische Positio-nen die Bildungspolitik gegenüber den Schülerinnen und Schülern mit Migrations-hintergrund?

B) Welche Wirkung haben die schulischen Maßnahmen auf die Schulerfolge dieser Grup-pe?

Nach der Klärung notwendiger Begriffe und methodischer Überlegungen, die im Folgenden in diesem ersten Kapitel dargelegt werden, wird im zweiten Kapitel die Gültigkeit der These für die Bundesrepublik Deutschland untersucht. Dazu sind folgende spezifizierende For-schungsfragen zu beantworten:

15 vgl. Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 105f.

16 Zum „Redaktionsschluss“ dieser Arbeit war die Neuregelung noch umstritten. Wahrscheinlich wird sie ih-rem Namen nicht gerecht – der Kompromiss der Innenministerkonferenz von November 2006 sieht ein Aufenthaltsrecht nur für Flüchtlinge vor, die einen festen Arbeitsplatz haben und mit der Familie seit sechs Jahren, als Alleinstehende seit acht Jahren ununterbrochen in Deutschland leben. Diese Kriterien er-füllen nur zehn bis 20 Prozent aller Geduldeten. (Forum Migration [2007]: Bleiberechtsregelung weiter unklar: Chance auf verbesserte Integration noch verschlossen. in: Forum Migration, Januar 2007, http://www.migration-online.de/beitrag._aWQ9NDg5MA_.html, Stand: 6. Januar 2007)

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I. Welche Faktoren lassen sich in der deutschen Einwanderungspolitik identifizieren, die einflussreich auf den staatlichen Umgang mit Migrantinnen und Migranten im Bildungssystem sein können?

Hierzu wird die Geschichte der Einwanderung nach Deutschland geschildert und an-schließend die Einwanderungspolitik untersucht. Ein kurzer internationaler Ver-gleich der Einwanderungspolitiken und des Nationsverständnisses mit anderen Ein-wanderungsländern soll dabei helfen, das Besondere an der deutschen Situation her-auszustellen.

II. Welchen Einfluss haben die in der Einwanderungspolitik identifizierten Faktoren auf die bildungspolitische Ausgestaltung der Maßnahmen, die die Eingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in das Schulsystem betreffen?

Die pädagogischen Positionen und Maßnahmen, die in Reaktion auf die Anwesenheit von zugewanderten Kindern und Jugendlichen im Bildungssystem entwickelt wurden, werden dargestellt und darauf untersucht, inwieweit sich Motive aus der Einwande-rungspolitik in ihnen widerspiegeln. Die Wiederaufnahme des internationalen Ver-gleichs soll überprüfen, ob andere einwanderungspolitische Grundlinien auch zu an-deren bildungspolitischen Maßnahmen führen, und wiederum das Besondere am Zu-sammenhang in Deutschland illustrieren.

III. Welchen Einfluss haben die bildungspolitischen Maßnahmen zur Schuleingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund auf deren Schulerfolge?

Die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund werden zunächst im Vergleich zu den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und an-schließend im internationalen Vergleich mit anderen Einwanderungsländern darge-stellt. Anschließend werden verschiedene gängige Erklärungsansätze danach über-prüft, ob und wie sie einen Einfluss der schulpolitischen Maßnahmen vorsehen.

Die Untergliederung des zweiten Kapitels orientiert sich an den genannten drei Fragen, die in jeweils einem Unterkapitel behandelt werden, das je mit einem kurzen Zwischenfazit ab-geschlossen wird. Frage I wird also im Kapitel 2.1, Frage II im Kapitel 2.2 und Frage III im Ka-pitel 2.3 behandelt.

Es wird für gewöhnlich angenommen, dass sozialdemokratisch dominierte Bundesländer eine integrativere Politik gegenüber den Migrantinnen und Migranten gestalten, während sich die unionsdominierten Länder durch einen segregativeren Umgang auszeichnen wür-den. Anknüpfend an diese Beobachtung will diese Arbeit zweitens die These untersuchen, dass der behauptete Zusammenhang zwischen Einwanderungspolitik, Schulpolitik und Schulerfolgen auch in den Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen existiert, und dass die sozialdemokratisch dominierten Länder ge-genüber den christdemokratisch dominierten durch eine integrativere Politik größere Schu-lerfolge für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund erzielen. Zum Beleg die-ser Behauptung ist wiederum die Beantwortung folgender spezifizierender Fragen nötig:

IV. Verfügen die Bundesländer über genügend Handlungsmöglichkeiten, relevante Unter-schiede in ihrer Einwanderungspolitik zu entwickeln? Orientieren sich die sozialde-

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mokratisch dominierten Länder eher auf Integration, die christdemokratisch domi-nierten Länder eher auf Segregation der Zugewanderten?

Einwanderungspolitik ist Bundesangelegenheit. Daher muss zunächst nachgewiesen werden, dass die Bundesländer über bloße Rhetorik hinaus Teile der Einwanderungs-politik eigenständig gestalten können. Dies soll anhand der Einbürgerungspolitik, ei-nem Kernelement der Einwanderungs- und Integrationspolitik, geschehen, die auf ihre integrative oder segregative Orientierung untersucht wird.

V. Weisen die Eingliederungsmodelle für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshin-tergrund der Bundesländer relevante Unterschiede auf, und setzen dabei die SPD-do-minierten Länder entsprechend ihrer einwanderungspolitischen Grundhaltung eher auf integrative Maßnahmen, die unionsdominierten Länder eher auf segregative Maß-nahmen?

Ausgehend von einer Betrachtung der unterschiedlichen Schulstrukturen in den Bun-desländern werden die Maßnahmen zur Förderung und Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund auf ihre Ausrichtung untersucht.

VI.Weisen die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Vergleich der Bundesländer relevante Unterschiede auf, die sich auf die unterschiedli-chen Förder- und Integrationsmaßnahmen zurückführen lassen?

Die Schulerfolge werden darauf untersucht, ob sie sich relevant zwischen den Bundes-ländern unterscheiden, und ob sich die Unterschiede auf die bildungspolitischen Posi-tionen und Maßnahmen der Länder zurückführen lassen.

Diese drei Fragen zur zweiten These geben analog der Gliederung des zweiten Kapitels die Untergliederung für das dritte Kapitel vor. Die Frage IV wird im Kapitel 3.1 untersucht, Fra-ge V im Kapitel 3.2 und Frage VI im Kapitel 3.3. Diese Unterkapitel werden jeweils mit einem Zwischenfazit abgeschlossen.

1.2 Begriffsklärungen

Im Titel dieser Arbeit ist von „Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund“ die Rede. In den amtlichen Schulstatistiken und der Berichterstattung zum Schulsystem werden Schülerinnen und Schüler aber meist ausschließlich – und ausführlich – nach ihrer deut-schen oder nichtdeutschen Staatsbürgerschaft betrachtet.17 Daher soll im Folgenden zu-nächst zwischen beiden Varianten unterschieden werden. Weiterhin bedürfen die ebenfalls im Titel angesprochene „Eingliederung“ und die in der öffentlichen Debatte um die Zuwan-derungspolitik stehenden Begriffe der „Integration“ und „Assimilation“ einer konzeptionel-len Einordnung, weil sie – in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft – unterschiedliche Verwendung finden. Im Zusammenhang mit dem „bildungspolitischen Diskurs“ soll ab-schließend das Feld der Bildungspolitik und der Diskursbegriff beleuchtet werden.

17 vgl. bspw. KMK – Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepu-blik Deutschland (2002): Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz Nr. 163 – Oktober 2002. Auslän-dische Schüler und Schulabsolventen 1991 bis 2000. Bonn: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminis-ter der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, www.kmk.org/statist/auslschueler.pdf (Stand: 23. No-vember 2006)

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Als Ausländerin bzw. Ausländer werden im juristischen Sinne Menschen bezeichnet, die nicht die inländische, in unserem Fall also die deutsche, Staatsbürgerschaft besitzen, unabhängig davon, wo sich deren Wohnsitz befindet.18 In der Bundesrepublik werden mit dem Begriff also verschiedene Personengruppen gemeint, die sich bezüglich ihrer Biografie und Lebens-situation deutlich voneinander unterscheiden: Arbeitsmigrantinnen und -migranten sowie deren Familienangehörige19, Asylberechtigte und ihre Familienangehörigen sowie Asyl su-chende, (Bürger-) Kriegsflüchtlinge, Konventions- und Kontingentflüchtlinge sowie andere Flüchtlinge, EU-Bürgerinnen und -Bürger und heimatlose Ausländerinnen und Ausländer.20

Unter Migration wird „der auf Dauer angelegte bzw. dauerhaft werdende Wechsel in eine an-dere Gesellschaft bzw. in eine andere Region von einzelnen oder mehreren Menschen“21 ver-standen, wobei als „dauerhaft“ ein Zeitraum von mindestens fünf Jahren gilt.22 Während Binnenmigration Wanderungen innerhalb nationaler Grenzen meint, setzt die hier interessie-rende internationale Migration Wanderungen über die Grenzen von Nationalstaaten voraus. Als Migrantinnen und Migranten werden in dieser Arbeit Menschen bezeichnet, die nach dieser Beschreibung wandern. Im Vordergrund steht nicht nur der geografische Aspekt der Wan-derung, sondern der damit verbundene soziokulturelle Kontext und die Sprachen, mit de-nen Kinder aufwachsen.23 Damit wird zugleich eine Abgrenzung bezüglich der untersuchten Gruppe deutlich: Die in einem geschlossenen Gebiet in Brandenburg und Sachsen wohnen-den Sorben bzw. Wenden sind als autochthone (altansässige) Minderheit hier nicht von In-teresse, da sie im Unterschied zu den allochthonen (zugewanderten) Minderheiten nicht ge-wandert sind.

Die alleinige Betrachtung der Staatsangehörigkeit der Schülerinnen und Schüler, wie sie in der Schulstatistik weithin üblich ist, ist deswegen problematisch, weil für die schulische In-tegration nicht die Staatsangehörigkeit interessiert, sondern der Zuwanderungs- und der damit zusammenhängende allgemeine Integrationsprozess. Über einen Migrationshinter-grund verfügen aber nicht unbedingt und vor allem nicht nur die ausländischen Schülerin-nen und Schüler: Denn auch unter den deutschen Staatsangehörigen gibt es – gemessen am Geburtsort und der Familiensprache – Personen mit einem Migrationshintergrund.

Das sind erstens (Spät-) Aussiedlerinnen und Aussiedler, die aufgrund ihrer „Volkszugehörig-keit“ die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Sie befinden sich trotzdem als internationa-

18 Hagedorn, Heike (2001b): Wer darf Mitglied werden? Einbürgerung in Deutschland und Frankreich im Vergleich. Opladen: Leske + Budrich, S. 26

19 Diese werden in dieser Arbeit auch also solche bezeichnet, um die lange Zeit in der Bundesrepublik übliche Bezeichnung „Gastarbeiter“ zu vermeiden. Sie ist überholt, weil sich viele der für den Arbeitsmarkt Ange-worbenen hier dauerhaft angesiedelt haben, also keine „Gäste“ sind. Außerdem suggeriert der Begriff eine bevorzugte Behandlung nach den Geboten der Gastfreundschaft, dazu gehört sicherlich nicht, auch die be-sonders gefährlichen und gesundheitsschädigen Tätigkeiten an den Gast abzugeben. Die alleinige Verwen-dung der männlichen Form würde außerdem die große Zahl und die Leistungen der eigenständig migrier-ten Frauen unterschlagen: Ihr Anteil an den gesamten Arbeitsmigrantinnen und -migranten betrug Ende der 60er Jahre fast ein Drittel (Haubner, Angela [2005]: Ausländische Inländerinnen – Migrantentöchter in der Postmoderne. Frankfurt am Main, London: IKO – Verlag für Interkulturelle Kommunikation, S. 8).

20 Herwartz-Emden 2003, S. 66221 Meinhardt, Rolf (2005): Einwanderungen nach Deutschland und Migrationsdiskurse in der Bundesrepublik – eine

Synopse. in: Leiprecht, Rudolf/Kerber, Anne (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Handbuch. Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 24-55, S. 25

22 Haubner 2005, S. 523 Ramm, Gesa u.a. (2004): Soziale Herkunft: Migration. in: Prenzel, Manfred u.a. (Hrsg.): PISA 2003. Der Bil-

dungsstand der Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs. Müns-ter u.a.: Waxmann, S. 254-272, S. 255

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le Migrantinnen und Migranten in einer Einwanderungssituation.24 Dass sie sich in den amt-lichen Statistiken meist nicht als Migrantinnen und Migranten identifizieren lassen, weil diese nur nach der Staatsbürgerschaft unterscheiden, ist deswegen besonders tragisch, weil sie – sowohl gemessen am Gesamtzuzug als auch an der Zusammensetzung der derzeitigen Bevölkerung mit Migrationshintergrund – die größte Zuwanderungsgruppe in Deutschland darstellen.25

Zweitens sind eingebürgerte Deutsche im juristischen Sinn keine Ausländerinnen und Aus-länder, können aber trotzdem selbst oder in ihrer unmittelbaren Familie Migrationserfah-rungen gemacht haben. Trotz der Erleichterungen von Einbürgerungen im Ausländergesetz und im Staatsangehörigkeitsrecht werden in der Bundesrepublik an Einbürgerungswillige hierzulande vergleichsweise hohe Anforderungen gestellt. Daher lebt im Vergleich zu ande-ren Ländern der Europäischen Union in Deutschland nur eine relativ kleine ethnische Min-derheit mit inländischer Staatsbürgerschaft.26 Seit Mitte der 70er Jahre haben sich aber im-merhin etwa 1,5 Millionen Ausländerinnen und Ausländer einbürgern lassen.27 Mit der jüngsten Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, nach der in Deutschland geborene Kin-der ausländischer Eltern unter bestimmten Bedingungen den deutschen Pass erhalten, ist eine weitere Gruppe mit einem möglichen Migrationshintergrund nicht in der Statistik identifizierbar, wenn nur nach der Staatsbürgerschaft unterschieden wird.

Drittens behalten andererseits nicht nur schon lange in Deutschland lebende, sondern auch hier geborene Menschen ihre nichtdeutsche Staatsbürgerschaft – von den ca. sieben Millio-nen Ausländerinnen und Ausländern in der Bundesrepublik haben mehr als ein Fünftel ih-ren Geburtsort in Deutschland.28 Diese Menschen sind also nicht selbst migriert, aber von Migration über familiäre Erfahrungen betroffen – diese Differenzierung nach Einwande-rungsgenerationen ist bei ausschließlicher Betrachtung der Staatsangehörigkeit nicht mög-lich.

Für eine differenzierte Auswertung des Migrationshintergrundes wäre es daher wünschens-wert, wenn neben dem Merkmal der Staatsangehörigkeit auch die Staatsangehörigkeit der Eltern, die Sprachpraxis, die Dauer und die Zeiträume des Lebens in Deutschland erhoben würden.29 Eine diesbezügliche Umstellung deutet sich in vielen Bereichen der Datenerhe-bung an. Erstmals wird im Mikrozensus30 seit 2005 der Migrationshintergrund genauer über die aktuelle sowie ggf. die vorherige Staatsbürgerschaft und das Jahr der Einbürgerung so-wie über das Geburtsland, die Staatsangehörigkeit, die Einbürgerung und den Geburtsort der Eltern und – wenn die Personen noch im Haushalt der Eltern leben – der Großeltern er-fasst.31 Mit Bezug auf Ergebnisse dieser Befragung definiert der erste Bildungsbericht, „Per-

24 Herwartz-Emden 2003, S. 661ff.25 OECD – Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2005): Die Arbeitsmarktintegrati-

on von Zuwanderern in Deutschland. Paris: OECD, http://www.oecd.org/dataoecd/62/12/35796774.pdf (Stand: 21. November 2006), S. 12

26 Herwartz-Emden 2003, S. 66527 Özcan, Veysel (2005): focus Migration. Länderprofil 1: Deutschland. http://focus-migration.de/typo3_upload/

groups/3/focus_Migration_Publikationen/Laenderprofile/LP01_Deutschland.pdf (Stand: 23. Oktober 2006), S. 5

28 ebd., S. 529 vgl. Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 130 Der Mikrozensus ist eine Repräsentativstatistik der Statistischen Bundes- und Landesämter über die deut-

sche Bevölkerung, deren Wohnsituation und den Arbeitsmarkt. Ein Prozent der Haushalte werden jährlich befragt.

31 JMD - Jugendmigrationsdienst Leipzig (2006): Junge ZuwanderInnen in Leipzig und ihre berufliche Integration.

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sonen mit Migrationshintergrund sind jene, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland zugewandert sind, ungeachtet ihrer gegenwärtigen Staatsangehörig-keit.“32 Für die Anteile der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an der Se-kundarstufe der deutschen Schulen sind die Daten der PISA-Studien der repräsentativen Stichproben der 15-Jährigen der Jahre 2000 und 2003 die ersten verlässlichen Angaben. Von den getesteten Jugendlichen wurden zur Bestimmung des Migrationshintergrundes das Ge-burtsland der Eltern und der Schülerin bzw. des Schülers sowie die Familiensprache erfragt. Neben der Sprachpraxis erfolgt in den Studien eine Kategorisierung in vier Gruppen nach Migrationshintergrund:

1. Jugendliche ohne Migrationshintergrund: Beide Eltern sind im Testland geboren. Mit fast 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit ist dann auch der getestete Jugendliche in Deutschland geboren. Das verbleibende eine Prozent wird trotzdem hier zugerechnet, weil das Erstellen einer eigenen Gruppe für die kleine Anzahl nicht praktikabel wäre. Diese Gruppe macht in Deutschland 79,4 Prozent der Stichprobe von PISA-I 2003 aus.

2. Jugendliche mit einem im Ausland geborenen Elternteil: Der andere Elternteil ist im Inland geboren. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist dann auch der getestete Jugend-liche in Deutschland geboren. Die im Ausland geborenen sieben Prozent werden trotz-dem hier gezählt. Diese Gruppe ist mit 5,2 Prozent vertreten.

3. „Erste Generation“33: Beide Elternteile sind im Ausland, die Schülerin oder der Schüler aber im Testland geboren. In der PISA-Stichprobe gehören 6,9 Prozent der Getesteten dieser Gruppe an.

4. Zugewanderte Familien: Beide Elternteile und der getestete Jugendliche sind im Aus-land geboren und nach Deutschland zugewandert. Diese Jugendlichen machen 8,5 Pro-zent der Stichprobe aus.34

Die amtlichen Schulstatistiken der Bundesländer erfragen die nötigen Angaben leider (noch) nicht, sodass auch in dieser Arbeit für die Auswertung der Statistiken auf das Merk-mal der Staatsangehörigkeit zurückgriffen werden muss. „Ausländisch“ meint dann aus-schließlich im oben beschriebenen juristischen Sinn die Staatsangehörigkeit. Die Länder handhaben außerdem die Erhebung von ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern unter-schiedlich, es sind daher im folgenden Kapitel 1.3.4 weitere methodische Vorüberlegungen nötig. Für die Erklärung des Migrationshintergrundes werden die Vorgaben der PISA-Studi-en übernommen, weil auch die nötigen Daten diesen entnommen wurden.

Die normative und konzeptionelle Beurteilung des Erfolgs der Eingliederung von Schülerin-nen und Schülern mit Migrationshintergrund bezieht sich auf das Konzept der Inkorporation. Dort ist die Zielsetzung formuliert, dass jedem Individuum in einer modernen Gesellschaft

Leipzig: Internationaler Bund (IB), Verbund Leipzig, S. 17 u. S. 13932 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 1033 Die Bezeichnung der „ersten Generation“ ist aus Sicht des Verfassers etwas unglücklich, weil sie die Gene-

ration der selbst Zugewanderten (die „nullte Generation“?) ignoriert, wird aber im Zusammenhang mit Ergebnissen aus den PISA-Studien trotzdem verwandt, weil es sich um einen eingeführten Begriff handelt. Die Definitionen des Ersten Bildungsberichtes sind besser geeignet, die Zugewanderten sprachlich sensibel und zutreffend zu beschreiben: Demnach sind die selbst Zugewanderten die „1. Generation“, deren in Deutschland geborene Kinder die „2. Generation“, deren Kinder wiederum die „3. Generation“, die dem-nach eingewanderte Großeltern haben. (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 140)

34 Ramm u.a. 2004, S. 255ff.

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die Teilhabe an zivilen, politischen und sozialen Rechten zusteht. Daraus ist die Erwartung abgeleitet, dass in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten – auch ohne die deut-sche Staatsbürgerschaft – möglichst gleichberechtigt in bürgerinnen- und bürgerähnliche Rechte und in die relevanten gesellschaftlichen Institutionen, darunter die Schule, einbezo-gen werden.

Als Inklusion bzw. Exklusion wird der gelingende bzw. misslingende Einbezug verstanden. Im Kern interessiert „die Stellung der Migranten in der sozialen Verteilungsstruktur eines Lan-des im Blick auf ihre Verfügung über soziale Ressourcen wie Einkommen, Bildung, Wohn-raum, Prestige, zivile, politische und soziale Rechte.“35 Demnach lässt sich das Gelingen der schulischen Eingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund dar-an bemessen, inwiefern sich ihr Bildungserfolg dem der Schülerinnen und Schüler ohne Mi-grationshintergrund angleicht.

Von Benachteiligung „im Zusammenhang der eingeschlagenen Bildungswege und erreichten Bildungsabschlüsse der Kinder von Einwanderungsminoritäten [wird gesprochen], wenn sie aufgrund der auf sie wirkenden Einflüsse systematisch geringere Chancen haben, in vorteil-hafte Bildungsgänge zu gelangen und dort günstigere Abschlüsse zu erreichen als Kinder deutscher Eltern.“36

Im Zentrum der öffentlichen Debatte um die Zuwanderung stehen Fragen der Integration und Assimilation von Zugewanderten. Mit diesen Begriffen werden an verschiedenen Stellen – auch in der wissenschaftlichen Diskussion – unterschiedliche Konzepte angesprochen, die teilweise widersprüchlich und oft politisch konnotiert sind. Für die Nutzbarkeit der Begriffe ist es daher nötig, sie in einen eindeutigen Bezugsrahmen zu setzen und konsistent zu ver-wenden. Diese Arbeit orientiert sich bei der Verwendung dieser Begriffe an einem Modell, das mit Struktur und Kultur zwei grundlegende Dimensionen von Gesellschaft beschreibt. Die Eingliederung von Migrantinnen und Migranten wird dabei als Integration bezeichnet, wenn sie die Struktur betrifft, Assimilation meint die Eingliederung in die Kultur. Das jeweilige Ge-genteil der Ausgrenzung wird als (strukturelle) Segregation und (kulturelle) Separation be-zeichnet.37

Über die Rahmenbedingungen der schulischen Integration wird in der Bildungspolitik ent-schieden. Diese „bezieht sich auf alle gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen und Organisationen, in denen sich Menschen vom Kleinkindalter bis ins hohe Alter Wissen, Fer-tigkeiten und Kompetenzen aneignen und umfasst alle politischen Maßnahmen zur Ent-wicklung und Gestaltung des Bildungswesens.“38 In einem demokratisch verfassten Staat sind „Chancengleichheit und Sicherstellung der für die Gesellschaft notwendigen Qualifika-tionen ... erklärte Ziele der Bildungspolitik“39. Die Gestaltungsmittel sind Gesetze, aber auch Erlasse, Verordnungen, Vereinbarungen und Empfehlungen sowie Beiträge in der öffentli-chen Debatte. Die Bildungspolitik ist mit anderen Politikfeldern verbunden, in erster Linie mit der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, der Jugend- und Familienpolitik und der

35 Bade, Klaus J./Bommes, Michael (2004): Einleitung. in: IMIS-Beiträge, Heft 23, Jg. 2004, Osnabrück: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück, S. 7-20, S. 11

36 Alba/Handl/Müller 1994, S. 21137 vgl. Hoffmann-Nowotny 2000, S. 16138 Krüger-Potratz, Marianne (2005): Migration als Herausforderung für Bildungspolitik. in: Leiprecht, Rudolf/Ker-

ber, Anne (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft: ein Handbuch. Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 56-82, S. 57

39 ebd., S. 57

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Haushaltspolitik. Für diese Arbeit sind darüber hinaus die Vorgaben aus der Ausländerin-nen- und Ausländer-, Integrations- sowie Zuwanderungspolitik bedeutsam.40

Der Begriff des Diskurses meint zunächst – und in der alltäglichen Verwendung meist nur – eine Unterhaltung, einen Vortrag oder eine Diskussion im Allgemeinen. Hier wird „Diskurs“ als eine Menge von sprachlichen Äußerungen verstanden, die mit ihren typischen Aussagen bedeutungserzeugend wirken. Dieses Verständnis geht zurück auf die Diskurstheorie von Michel Foucault, die in einem Diskurs einen Prozess sieht, in dem durch sprachliche Mittel Realität erzeugt wird, welche das Handeln von Menschen bestimmt. Für einen Zusammen-hang in einer bestimmten Zeit definiert der Diskurs dabei, was und was nicht gesagt werden soll oder darf. In der Sprache kommt damit das zu einem Zeitpunkt vorherrschende Ver-ständnis von Wirklichkeit zum Ausdruck. Für den Zusammenhang der Einwanderung hat der herrschende Diskurs der 80er Jahre beispielsweise nicht erlaubt, Deutschland als „Ein-wanderungsland“ zu bezeichnen. Ein Diskurs produziert dabei Sinn, Macht und Herrschaft. Beispielsweise produziert die Verwendung des Begriffs „Ausländerflut“ im Einwanderungs-diskurs einen Sinnzusammenhang zwischen dem Phänomen der Zuwanderung und einer (Natur-) Katastrophe. Einerseits liegen dieser Verwendung bestimmte Machtstrukturen und Interessen zugrunde, andererseits werden diese gleichzeitig produziert und reproduziert.41

Dem Leser oder der Leserin wird bis hier schon aufgefallen sein, dass sprachlich prinzipiell beide Geschlechter Berücksichtigung finden sollen, vielleicht auch, dass diese geschlechter-gerechte Sprache nicht immer zur Lesbarkeit beiträgt. Die Herstellung von Chancengerech-tigkeit ist „ein weites Feld“, die Gleichstellung von Frauen und Männern ist dabei eine zen-trale Aufgabe. Sie fängt bei der sprachlichen Wahrnehmung an, und bis innovative Lösun-gen zur Berücksichtigung beider Geschlechter gefunden werden, nimmt der Verfasser den Preis längerer Sätze in Kauf. Ausgenommen sind selbstverständlich wörtliche Zitate.

1.3 Methodische Überlegungen

1.3.1 Auswahl der Vergleichsobjekte

Die Bundesrepublik Deutschland weist in Fragen der Einwanderungs- und Integrationspoli-tik viele Gemeinsamkeiten mit anderen föderalistisch aufgebauten Einwanderungsländern auf: Auch in den Vereinigten Staaten, in Kanada, in der Schweiz und in Österreich hat der Zentralstaat – wie in der Bundesrepublik – einen größeren Einfluss auf die Einwanderungs-politik als die Bundesstaaten. Diese bestimmen aber die Integrationspolitik und deren Quali-tät maßgeblich. Zu den für diesen Bereich relevanten Zuständigkeiten der Gliedstaaten ge-hören durchweg Schulen und Hochschulen, die Wohnungspolitik, die Polizei und – mit Aus-nahme der Vereinigten Staaten – die Durchführung der Einbürgerungen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in allen diesen Einwanderungsländern regionale Unterschiede, in der politischen Kultur und bei politischen Zielsetzungen, Unterschiede bei den Politikergebnis-sen bezüglich der Integration von Zugewanderten in den Gliedstaaten bewirken.42

40 vgl. ebd., S. 5741 Schmidt, Fabian (2002): Artikel „Diskurs“ im Handbuch der Globalisierung. http://www.handbuchderglobalisie-

rung.de/artikel/diskurs.htm (Stand: 27. September 2006); Keller, Reiner (2004): Diskursforschung. Eine Ein-führung für SozialwissenschaftlerInnen. Opladen: Leske + Budrich, S. 62ff.

42 Thränhardt, Dietrich (2001): Zuwanderungs- und Integrationspolitik in föderalistischen Ländern. in: Akgün, Lale/Thränhardt, Dietrich (Hrsg.): Integrationspolitik in föderalistischen Systemen. Jahrbuch Migration 2000/2001. Münster u.a.: Lit, S. 15-33, S. 15ff.

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Der interstaatliche Vergleich legt also nahe, dass ein innerstaatlicher Vergleich zwischen den einzelnen Bundesländern bereits interessante Unterschiede zutage fördern kann. Gleichzeitig hat dieses Vorgehen der most similar systems im Unterschied zum interstaatli-chen Vergleich den Vorteil, dass die meisten Rahmenbedingungen konstant gehalten wer-den, sodass die Konzentration ganz auf den Unterschieden zwischen den Bundesländern lie-gen kann.43

Die Auswahl der vier Bundesländer Baden-Württemberg (BW), Brandenburg (BB), Nord-rhein-Westfalen (NW) und Sachsen (SN) für den innerstaatlichen Vergleich politisch-staatlicher Systeme im dritten Kapitel strebt an, innerhalb des Rahmens gleicher bundesstaatlicher Be-dingungen „möglichst kontrastive Beispiele (...) durch die parallele Behandlung von Län-dern unterschiedlicher parteipolitischer Dominanz“44 sowie durch den Vergleich zwischen zwei alten und zwei neuen Bundesländern zu erreichen. Die Regierungen und die Schulpoli-tik in den Ländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen wurden von der Sozialdemokra-tie, in Sachsen und Baden-Württemberg von den Christdemokraten dominiert. Die Regie-rungen im Land Brandenburg stützen sich seit 1990 allein auf die SPD-Fraktion oder auf SPD-geführte Koalitionen, bis 1994 mit der FDP und Bündnis '90/Die Grünen, seit 1999 mit der CDU. Das für die Schulpolitik zuständige Ministerium wurde 1990 bis 1994 von Bündnis '90/Die Grünen, seitdem von der SPD geführt. Der Freistaat Sachsen wurde von 1990 bis 2004 von einer CDU-Alleinregierung, seit 2004 von einer „Großen“ Koalition regiert, das Kultusministerium verblieb bei der CDU. Nordrhein-Westfalen wurde von 1966 bis 2005 von SPD-geführten Koalitionen oder von der SPD allein regiert. Vorher regierten – mit einer kurzen Unterbrechung von 1956 bis 1958 – CDU-geführte Koalitionen mit dem Zentrum und/oder der FDP oder die CDU allein. Seit 2005 regiert eine CDU-FDP-Koalition. Das Kultus-ministerium war zwischen 1966 und 2005 in der Hand der SPD, seitdem wird es von der CDU geführt. Mit Ausnahme der Jahre 1952 und 1953 wurde das baden-württembergische Kultus-ministerium ununterbrochen von der CDU geführt, die das Land seit 1952 in wechselnden, von ihr geführten Koalitionen oder allein regiert.

Der Vergleich zwischen den Bundesländern Berlin und Bayern, der für den Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund den größtmöglichen Kontrast inner-halb des bundesdeutschen Schulsystems ergibt, wurde verworfen, weil hierzu bereits zahl-reiche Studien existieren.45 In der Literatur fand hingegen die Analyse der ostdeutschen Bundesländer in Bezug auf deren Schulpolitik gegenüber Jugendlichen mit Migrationshin-tergrund wenig Beachtung.46 Untersuchungen, die Schulpolitik und Schulerfolge eines ein-zelnen neuen Bundeslandes (ausgenommen Berlin) vor der Kontrastfolie westdeutscher Bundesländer vergleichend untersuchen, stoßen aufgrund der unterschiedlichen Einwande-rungsgeschichte in der BRD und der DDR schnell an die Grenzen der Aussagekraft. Denn aus

43 vgl. ebd., S. 1944 Anweiler, Oskar/Hörner, Wolfgang (1990): Kriterien- und Methodenprobleme. in: Bundesministerium für in-

nerdeutsche Angelegenheiten (Hrsg.): Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, S. 679

45 vgl. u.a. Schneider, Nicole (2005): Schuleingliederungsmodelle für Migrantenkinder. Institutionelle Diskriminierung am Beispiel der Bildungspolitik der Bundesländer Bayern, Berlin und Sachsen. Magisterarbeit am Institut für Sozio-logie an der Universität Leipzig

46 Eine junge Ausnahme von der Regel: Weiss, Karin (2006): Ausländische Schüler in den neuen Bundesländern – eine Erfolgsstory. in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf-ten, S. 179-191; Frau Weiss ist seit 2006 Integrationsbeauftragte in Brandenburg.

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der quantitativ und qualitativ anderen Zusammensetzung des Bevölkerungsanteils mit Mi-grationshintergrund folgen andere Anforderungen an die Eingliederungsmaßnahmen. Frag-lich ist auch, inwieweit die Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshin-tergrund direkt vergleichbar sind. Um eine Vergleichbarkeit dieser Outputs sichern zu kön-nen, werden daher in dieser Arbeit je zwei neue und alte Bundesländer in den Vergleich ein-bezogen.

Im zweiten Kapitel werden in einem internationalen Vergleich politisch-staatlicher Systeme Staa-ten verglichen, deren gemeinsames Merkmal eine hohe Einwanderung in eine moderne Ge-sellschaft ist. Bezüglich der Unterschiede wurden mit Frankreich und Kanada zwei fast ide-altypische Vertreter möglichst verschiedener Einwanderungspolitiken gewählt, um die Be-sonderheiten der Bundesrepublik Deutschland herauszustellen.

1.3.2 Gegenstände des Vergleichs

Der Vergleich erfreut sich bei bildungspolitischen Fragestellungen auch dank der Schulleis-tungsstudien großer Beliebtheit. Diese, insbesondere PISA, haben den großen Verdienst, viele Fragestellungen in die öffentliche Debatte gebracht zu haben, die zuvor weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Hierzu zählen auch die für die Fragestellung der Arbeit re-levanten Punkte der Bildungsgerechtigkeit für Schülerinnen und Schüler mit Migrations-hintergrund. Diese international vergleichenden Studien finden ihre Grenzen bei der Suche nach Ursachen für die unterschiedlichen Schulerfolge, weil hierzu die untersuchten Bil-dungssysteme in ihrem historischen und soziokulturellen gesellschaftlichen Kontext darge-stellt werden müssten.47 Ein in PISA-I 2000 durchgeführter Vergleich zwischen den in ihrer Familie vorwiegend türkisch oder kurdisch sprechenden Gruppen innerhalb der Stichprobe ergab beispielsweise für die in Schweden Lebenden eine wesentlich bessere Lesekompetenz (436) als für die in Deutschland Lebenden (360). Allein aus den Merkmalen des Schulsystems heraus lässt sich dieser bemerkenswerte Unterschied allerdings nicht erklären, denn die entsprechende Gruppe erreicht in Schweden einen wesentlich höheren Sozialstatus (HISEI48: 43,7) als in Deutschland (33,6). Sie ist also wesentlich besser sozioökonomisch in die schwe-dische Gesellschaft integriert. Dies verweist auf Erklärungsfaktoren in der unterschiedli-chen Ausgestaltung der Einwanderungs- und Integrationspolitik sowie im soziokulturellen Kontext.49

In dieser Arbeit wird untersucht, ob Merkmale der Einwanderungspolitik Einfluss auf Aus-prägungen der Bildungspolitik und diese wiederum auf die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund haben. Dabei werden die untersuchten Bundeslän-

47 BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg., 2003): Vertiefender Vergleich der Schulsysteme ausgewählter PISA-Staaten. Kanda, England, Finnland, Frankreich, Niederlande, Schweden. Bonn: Bundesministeri-um für Bildung und Forschung, Referat Öffentlichkeitsarbeit, www.bmbf.de/pub/pisa-vergleichsstudie.pdf (Stand: 17. Oktober 2006), S. 27

48 Highest International Socio-Economic Index (HISEI): Der International Socio-Economic Index (ISEI) beschreibt eine international vergleichbare Berufsrangskala, in der Berufe in eine soziale Hierarchie geordnet werden. Der HISEI ist der höchste ISEI der Familie, in der PISA-Studie wird über diese Skala der sozioökonomische Sta-tus der Eltern beschrieben.

49 Baumert, Jürgen/Schümer, Gundel (2001): Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzer-werb. in: Baumert, Jürgen u.a. (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im in-ternationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich, S. 323-379, S. 397; Die Fallzahlen sind relativ klein, die-ser Vergleich ist lediglich explorativ. Die Tendenz bleibt gleichwohl eindeutig.

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der untereinander und die Bundesrepublik mit anderen Einwanderungsländern verglichen. Die folgenden unterschiedlichen Bereiche sind dabei Gegenstände des Vergleichs:

1. Einwanderungspolitik als Vorgaben an das Bildungssystem:

‒ Die Einwanderungs- und Integrationspolitik der Bundesrepublik Deutschland kann mit idealtypischen Modellen der Integrationspolitik von Einwanderungsländern und den entsprechenden Realtypen verglichen werden, um charakteristische Eigenheiten herauszustellen. Dieser Schritt soll helfen, besondere Motive und Interessenlagen der bundesdeutschen Einwanderungspolitik zu identifizieren, denen im auf den interna-tionalen Vergleich folgenden historischen Abriss der deutschen Einwanderungspoli-tik nachgegangen wird.

‒ Bezüge zu den Motiven aus der Einwanderungspolitik werden in den bildungspoliti-schen Erklärungen der Bundesländer gesucht. Hier bieten sich die Schulpolitik betref-fende Abschnitte der Landesverfassungen und die Schulgesetze der Länder an.

‒ Für die Analyse der Einwanderungspolitik und deren Einfluss auf die Bildungspolitik in den Bundesländern wurde erst im Laufe des Arbeitsprozesses ein Problem deutlich, das zur Änderung der ursprünglich geplanten Vorgehensweise zwang. Es wurde ange-strebt, die Einflüsse des länderspezifischen Einwanderungsdiskurses auf die Bildungs-politik im Umgang mit Migration über die parlamentarischen Debatten zu einem ent-sprechenden Gesetz zu analysieren. Es stellte sich heraus, dass nur Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zumindest Grundfragen zum Umgang mit ausländischen und (spät-) ausgesiedelten Kindern und Jugendlichen bzw. mit Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Erstsprache in Schulgesetzen regeln. Ansonsten finden sich die Maß-nahmen in Verwaltungsvorschriften oder Rechtsverordnungen. Demzufolge fanden zu den Regelungen keine parlamentarischen Debatten statt, die untersucht werden könnten.50

‒ Die einwanderungspolitischen Positionen der Bundesländer werden aus diesem Grund an deren Einbürgerungspolitik gemessen. Die Unterschiede zwischen den Ein-bürgerungsraten der Bundesländer erlauben Rückschlüsse über Zielrichtung und Mo-tive der Einwanderungspolitik.

2. Strukturen und Prozesse des Bildungssystems:

‒ Die bekannten pädagogischen Positionen zum Umgang mit den Folgen der Migration, namentlich Ausländerpädagogik, Interkulturelle Erziehung und Antirassistische Pä-dagogik, die Grundlinien der deutschen Schulpolitik im Umgang mit zugewanderten Minderheiten und die Beschlusslage der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Län-der in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) werden auf Motive und Einflüsse aus der Einwanderungspolitik untersucht.

‒ Anknüpfend an den unter 1. genannten internationalen Vergleich der Integrations-modelle wird der Einfluss der Einwanderungs- auf die Schulpolitik im Umgang mit Migration betrachtet.

50 s. Kap. 3.2.3.2

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‒ Die Maßnahmen der Bundesländer im Umgang mit Migration, die sich in Schulein-gliederungsmodellen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zu-sammenfassen lassen, können auf den Grad der Integration und ihre Motive unter-sucht werden.

3. Ergebnisse des Bildungssystems:

‒ Die Outputs werden auf verschiedene Weise untersucht, um die oben diskutierten De-fizite der einzelnen Datenquellen auszugleichen. Betrachtet werden aus der amtli-chen Schulstatistik der für den wahrscheinlichen Schulabschluss vorentscheidende Besuch eines bestimmten Bildungsganges (Bildungsbeteiligung) an den allgemein bil-denden Schulen in der gegliederten Sekundarstufe I sowie der Schulabschluss an die-sen Schulen, der als Zertifikat Voraussetzung für den Zugang zu bestimmten höheren Bildungseinrichtungen und beruflichen Ausbildungen ist. Für die Bundesrepublik Deutschland können nur Schulerfolge ausländischer und deutscher Schülerinnen und Schüler verglichen werden, für die vier untersuchten Bundesländer erfolgt zusätzlich ein punktueller Vergleich der Bildungsbeteiligung zwischen den (spät-) ausgesiedel-ten Schülerinnen und Schülern und den deutschen Schülerinnen und Schülern ohne diesen Hintergrund.

‒ Aus den PISA-Studien können die Schulleistungen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und deren Differenzen zu den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund international verglichen werden. Für die Bundesländer ist aufgrund der geringen Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter-grund in den Stichproben und des geringen Anteils dieser Gruppe in den neuen Län-dern der Vergleich nur zwischen den beiden alten Bundesländern Baden-Württem-berg und Nordrhein-Westfalen möglich.

‒ Gängige Erklärungsansätze für die Bildungs(miss)erfolge der Schülerinnen und Schü-ler mit Migrationshintergrund werden auf deren Erklärungskraft für Systemmerkma-le untersucht, die im Zusammenhang mit der Schul- und Einwanderungspolitik ste-hen.

Die Kategorien für die Vergleiche werden in den jeweiligen Kapiteln vorgestellt. Sie wurden mithilfe des deduktiven Vorgehens entwickelt. An den jeweiligen Stellen des Forschungsfel-des fanden sich bereits bewährte Kategorisierungen zur Durchführung des Vergleichs. Diese wurden an den entsprechenden Punkten gemäß der deduktiven Arbeitsweise übernommen. Am deutlichsten ist dies der Fall bei der Kategorisierung verschiedener Modelle von Ein-wanderungsländern, die im Kapitel 2.1.5.1 zur Anwendung kommen.

Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit beschränken sich die Vergleiche auf das allgemein bildende Schulwesen ohne den zweiten Bildungsweg. Die Bereiche der berufli-chen Bildung, der Hochschule und die Erwachsenen- und Weiterbildung bleiben außen vor. Nicht untersucht werden können außerdem das individuelle Handeln von Lehrerinnen und Lehrern und das institutionelle Handeln von einzelnen Schulen und Behörden. Die betrach-teten Gesetze und Vorschriften setzen aber einen wesentlichen Teil des Rahmens für die Handlungsorientierungen der Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger.

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1.3.3 Funktion und Form der vergleichenden Analyse

Die Form des Vergleichs ist integriert angelegt, d. h., „innerhalb der Darstellung werden je-weils einzelne Probleme oder Entwicklungslinien einander gegenübergestellt.“51 Der Aufbau dieser Arbeit orientiert sich an den im Kapitel 1.1 dargelegten Fragestellungen und deren Untersuchung. Der internationale Vergleich im zweiten Kapitel und der Vergleich zwischen den Bundesländern im dritten Kapitel sind in die jeweiligen Themen eingearbeitet, sodass er schrittweise nachvollzogen werden kann. Nur wenn die inneren Zusammenhänge inner-halb der Staaten oder Länder eine ausführlichere Darstellung erfordern, wird auf den ge-trennten Vergleich zurückgegriffen.52

Bezogen auf ein Modell mit den vier grundlegenden Funktionen des erziehungswissenschaftli-chen Vergleichs53 steht hier die ideografische Funktion im Vordergrund: Der Vergleich sucht nach den Besonderheiten innerhalb eines Systems, im internationalen Vergleich des zwei-ten Kapitels nach charakteristischen Eigenschaften der deutschen Einwanderungspolitik vor der Kontrastfolie anderer Einwanderungsländer und im dritten Kapitel nach den Beson-derheiten in der Einwanderungs- und Schulpolitik sowie den Schulerfolgen in den Bundes-ländern. Die jeweiligen Besonderheiten sollen aus dem Kontext des Systems heraus erklärt werden. Das heißt in erster Linie die Betrachtung der Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Zusammenhang mit der Einwanderungs- und Bil-dungspolitik des jeweiligen Systems.

Während die experimentelle Funktion, wonach der Vergleich ähnlich dem naturwissen-schaftlichen Experiment Hypothesen testen will und dazu geeignete Vergleichsobjekte nach deren Variablenkonstellationen wählt, hier keine Rolle spielt, könnten die melioristische und die evolutionistische Funktion anklingen, obwohl sie nicht explizit eingesetzt werden. Die melioristische Funktion bezeichnet die Suche nach dem besseren Modell, nach dem das eigene System gestaltet werden kann, sie ist neuerdings auch als „best practise“ bekannt. Sicherlich werden sich – besonders im internationalen Vergleich – nachahmenswerte Ansät-ze finden. Der Vergleich ist hier aber nicht darauf angelegt, diese in ihrer Gänze zu erfassen, er dient vielmehr dem Herausstellen des Besonderen am deutschen System. Die mit der evo-lutionistischen Funktion angestrebte Suche nach dem gemeinsamen, universellen Entwick-lungstrend ist besonders beim Vergleich der Schuleingliederungsmodelle in den Bundeslän-dern geeignet, ein Ergebnis zu erzielen. Hier stehen aber die Besonderheiten der Systeme und die jeweiligen Zusammenhänge innerhalb ihres Kontext im Vordergrund.54

1.3.4 Methodische Probleme

Besonders bei der Ermittlung der Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler sind einige methodische Herausforderungen und Schwierigkeiten zu beachten. Im Folgenden werden die Datenlage, die Unterschiede zwischen der amtlichen Schulstatistik und den PISA-Studi-en sowie die Vergleichbarkeit der Bildungsbeteiligung trotz des unterschiedlichen Aufbaus der Schulsysteme in den Bundesländern diskutiert.

51 ebd., S. 67952 ebd., S. 67953 Anweiler/Hörner 1990, S. 680f.54 vgl. Anweiler/Hörner 1990, S. 680f.

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Da die Datenbasis der amtlichen Schulstatistik bislang nur für den Vergleich zwischen Kin-dern und Jugendlichen deutscher und nichtdeutscher Staatsbürgerschaft genügt, kann trotz der in der Begriffsklärung skizzierten Probleme nicht auf diesen Vergleich verzichtet wer-den. Eine der amtlichen Statistik ebenbürtige Datengrundlage, die nach Migrationshinter-grund differenziert, steht derzeit nicht zur Verfügung. Um aber dennoch umfassendere Er-gebnisse zu erzielen, werden die Schulerfolge von (spät-) ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern ergänzend verglichen. Die bereits erwähnte Arbeit zu den Schulerfolgen von Schü-lerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in den neuen Bundesländern kam diesbe-züglich zwar zu dem Ergebnis:

„Junge Spätaussiedler tauchen als deutsche Staatsbürger in den amtlichen Schulstatistiken nicht auf, da diese nur 'ausländische Kinder und Jugendliche' als Kategorie erfassen.“55

Von den hier untersuchten vier Bundesländern veröffentlichen allerdings die Landesbehör-den von Brandenburg und Nordrhein-Westfalen seit einigen Jahren Daten zur Bildungsbe-teiligung (spät-) ausgesiedelter Schülerinnen und Schüler in ihren statistischen Berichten über die allgemein bildenden Schulen56. Sachsen erhebt die Daten ebenfalls und stellte sie auf Nachfrage zur Verfügung.57 Auch das Statistische Landesamt in Baden-Württemberg er-hebt die Bildungsbeteiligung von Aussiedlerinnen und Aussiedlern, wie einer jüngsten Ver-öffentlichung58 zu entnehmen war. Aus der Hilfstabelle zur Berechnung einer Grafik in je-nem Dokument, die das Landesamt auf Anfrage zur Verfügung stellte, gingen die absoluten Zahlen (spät-) ausgesiedelter Schülerinnen und Schüler an den verschiedenen Schularten im Schuljahr 2004/2005 hervor. Somit ist zwar keine Betrachtung längerer Zeiträume mög-lich, für einen punktuellen Vergleich der Bildungsbeteiligung (spät-) ausgesiedelter Schüle-rinnen und Schüler genügen die Daten aber.

Weiterhin werden in den Vergleich der Schulerfolge die Testleistungen der PISA-E Studien von 2000 und 2003 einbezogen. Obwohl in der zweiten PISA-E-Studie die Zahl der getesteten Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund für eine detailliertere Auswertung überproportional erhöht wurde, können in beiden Studien keine Ergebnisse für die Geteste-ten mit Migrationshintergrund in den neuen Ländern angegeben werden – deren Anzahl ist für eine repräsentative Darstellung der Gruppe schlicht zu klein. Dadurch können die Test-leistungen lediglich für Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verglichen werden. Dabei müssen aber die Unterschiede zwischen den amtlichen Schulstatistiken und der PISA-Erweiterungsstudie beachtet werden, die vor allem die Grundgesamtheit und die Messinhal-te betreffen: Während die PISA-Studie punktuelle Testleistungen in den Basiskompetenzen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften misst, stellt die amtliche Statistik den Schuler-

55 Weiss 2006, S. 18556 vgl. Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (versch. Jg.): Allgemein bildende

Schulen in Nordrhein-Westfalen. Landesergebnisse. Düsseldorf: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen; vgl. Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Brandenburg (versch. Jg., bis Schuljahr 1999/2000 herausgegeben vom Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Branden-burg): Statistische Berichte B I – j: Allgemein bildende Schulen im Land Brandenburg. Postdam: Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Brandenburg

57 vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (2006c): Schüler, ausländische Schüler und Aussiedlerschü-ler an allgemein bildenden Schulen und Schulen des zweiten Bildungsweges im Freistaat Sachsen nach Schuljahren und Schularten. Zusammenstellung auf Anfrage, Kamenz: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen

58 vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2006c): statistik AKTUELL: Schulische Bildung in Baden-Württemberg. Ausgabe 2006, Stuttgart: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

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folg nach formalen Kriterien wie Schulform und Abschlüssen dar. Die Schulstatistik nimmt als Vollerhebung Daten aller Schülerinnen und Schüler nach Klassenstufen und Schuljahren auf, während die Grundgesamtheit der PISA-Studie in der Regel eine repräsentativ ausge-wählte Stichprobe 15-Jähriger ist, die sich über mehrere Klassenstufen verteilen, wobei die Ausnahme von der Regel PISA-E 2000 darstellt, wo Schülerinnen und Schüler der neunten Klassenstufe getestet wurden. Nicht berücksichtigt wurden bezüglich des Migrationshinter-grundes Sonder- und Förderschulen. Damit war die unterste Leistungsgruppe ausgeschlos-sen, und es werden in den Testergebnissen die Länder bevorteilt, die mehr Schülerinnen und Schüler in diese Schulen überweisen. In der Begriffsklärung wurde bereits erläutert, wie in der PISA-Studie Migrationshintergrund definiert wird. Dadurch sind (Spät-) Ausgesie-delte und Eingebürgerte inbegriffen, in zweiter oder dritter Generation geborene Kinder von Zugewanderten, die – wenn sie nicht eingebürgert wurden – in der amtlichen Schulsta-tistik als Ausländerinnen und Ausländer auftauchen, fehlen allerdings.

Beim Vergleich der Bildungsbeteiligung und der Schulabschlüsse ausländischer und deut-scher Schülerinnen und Schüler zwischen verschiedenen Bundesländern anhand der Daten der amtlichen Schulstatistik stellt sich das Problem der Vergleichbarkeit aufgrund des un-terschiedlichen Aufbaus der Schulsysteme der Bundesländer. So sind die Strukturen der mehrgliedrigen Sekundarstufe und die Verteilungen aller Schülerinnen und Schüler auf die Bildungsgänge dieser Stufe stark unterschiedlich, was einen Vergleich der Bildungsbeteili-gung ausländischer Schülerinnen und Schüler zwischen den Bundesländern nicht ohne wei-teres erlaubt. Gleiches gilt für die Abschlüsse, weil sich die Verteilungen der verschiedenen Schulabschlüsse aller Schülerinnen und Schüler zwischen den Bundesländern ebenfalls un-terscheiden.

Daher wird hier mit dem Relativen Risiko Indize (RRI) ein Maß herangezogen, das Vergleiche zwischen den Bundesländern erlaubt, da es Bildungsbeteiligung und Schulabschlüsse der ausländischen Schülerinnen und Schüler jeweils relativ zu den deutschen darstellt. In Tabel-le 1 ist der Rechenweg an einem fiktiven Beispiel dargestellt: Es wird zunächst berechnet, mit welchem Risiko (R) jeweils die deutschen und die ausländischen Schülerinnen und Schü-ler die Hauptschule besuchen, das ist der prozentuale Anteil aller deutschen bzw. ausländi-schen Hauptschülerinnen und Hauptschüler an der Gesamtzahl aller deutschen bzw. auslän-dischen Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I. Die zur Berechnung nötigen Da-ten können der amtlichen Schulstatistik59 entnommen werden. Wenn Rausländisch der ausländi-schen Schülerinnen und Schüler als Dividend, Rdeutsch der deutschen Schülerinnen und Schü-ler als Divisor gesetzt werden, stellt der RRI als Quotient die Über- oder Unterrepräsentati-on ausländischer Schülerinnen und Schüler an der Hauptschule im Vergleich zur relativen Zahl der deutschen Schülerinnen und Schüler dar. Die Werte für die anderen Bildungsgänge der Sekundarstufe I und für die erreichten Abschlüsse werden analog berechnet.

59 Berücksichtigt werden ausschließlich Schulen des Sekundarbereichs I des ersten Bildungsweges aus Tab. 3.1 Schüler/innen nach Schularten, Bildungsbereichen und Ländern, Tab. 4.1.1 Ausländische Schüler/in-nen nach Schularten, Bildungsbereichen und Ländern, in: Statistisches Bundesamt (versch. Jg., 2006b): Fachserie 11., Reihe 1., Bildung und Kultur. Allgemeinbildende Schulen. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt

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Schüler/innen an der

Hauptschule

Schüler/innen in der

Sekundarstufe I

Anteil der Schüler/innen an der Hauptschule an den Schüler(inne)n in

der Sekundarstufe I in ProzentRRI

auslän-dische 1.200 2.000 Rausländisch = 1.200/2.000 = 60% 60% / 25% =

2,40

deutsche 5.000 20.000 Rdeutsch = 5.000/20.000 = 25% 25% / 60% = 0,42

Tabelle 1: Berechnung des Relativen Risiko Indize (RRI)

In dieser Arbeit interessiert das RRI für die Repräsentation ausländischer Schülerinnen und Schüler in den Bildungsgängen der Sekundarstufe I. Eine Überrepräsentation liegt bei Werten für das RRI größer als 1, Unterrepräsentation bei Werten kleiner als 1 vor. Ein RRI von 2 würde bedeuten, dass ausländische Jugendliche relativ zu den deutschen Jugendlichen doppelt so häufig einen bestimmten Bildungsgang besuchen, ein RRI von 0,5 würde bedeuten, dass sie dies nur halb so häufig tun. Da die Daten der amtlichen Schulstatistik und damit einer Voller-hebung entnommen werden, entfällt die Berechnung von Konfidenzintervallen.60

In anderen Arbeiten wird für ähnliche Berechnungen neben der Sekundarstufe II auch die Grundschule herangezogen. Auch bei der Berechnung der RRI für Bildungsgänge der Sekun-darstufe I werden dabei die Schülerinnen und Schüler an der Grundschule und in der Sekun-darstufe II zur Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler gezählt.61 Dieses Vorgehen verfälscht die Ergebnisse und erschwert ihre Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern. Am deut-lichsten wird das in Sachsen, wo ein auf diese Weise errechnetes RRI eine deutliche Überre-präsentation ausländischer Kinder in der Grundschule ergibt.62 Das bedeutet nichts weiter, als dass ausländische Schülerinnen und Schüler in den Grundschulen gegenüber den deutschen Kindern relativ häufiger vertreten sind als gegenüber den deutschen Jugendlichen in der Se-kundarstufe. (Die Erklärung dafür ist, dass Kinder mit vietnamesischer Staatsbürgerschaft – der größten Gruppe in der ausländischen Bevölkerung in Sachsen – derzeit vorwiegend im Kindergarten- und Grundschulalter sind.63) Entsprechend liegt das RRI ausländischer Jugendli-cher für die Bildungsgänge der Sekundarstufe zu niedrig und lässt keine zuverlässige Aussage über die Über- oder Unterrepräsentation in den Bildungsgängen der Sekundarstufe I mehr zu.

60 vgl. Kornmann, Reimer (2006): Die Überrepräsentation ausländischer Kinder und Jugendlicher in Sonderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen. in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteili-gung der Migrantenkinder. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis-senschaften, S. 71-85, S. 71f.; vgl. Diefenbach, Heike (2004b): Relative-Risiko-Indizes für die Über- bzw. Unterre-präsentation von ausländischen Schülern an allgemein bildenden Schulen des gegliederten Schulsystems im Bundesge-biet und in den einzelnen Bundesländern im Jahr 2002. http://www.gew-bw.de/Binaries/Binary2041/Studie_ zur_Integration_2004_.pdf (Stand: 24. Oktober 2006), S. 2ff.

61 vgl. Diefenbach 2004b62 Diefenbach (2004b, S. 26) kommt für das Schuljahr 2002 auf einen RRI von 1,91.63 Die Sächsische Ausländerbeauftragte (2005): Jahresbericht. Dresden: Sächsischer Landtag, http://www.land-

tag.sachsen.de/slt_online/de/infothek/index.asp?page=landesbeauftragte/auslaenderbeauftragter/jah-resberichte/index.asp (Stand: 1. Januar 2007), S. 60

Abbildung 1: Formel für die Berechnung des RRI für ausländische Schüler/innen

RRI=Rausländisch

R deutsch=

Anteil der ausländischen Hauptschüler/innen an der Gesamtzahlaller ausländischen Schüler/innen in der Sekundarstufe I

Anteil der deutschen Hauptschüler/innen an der Gesamtzahlaller deutschen Schüler/innen in der Sekundarstufe I

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2 Einwanderungspolitik, Bildungspolitik und Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in Deutschland

Das folgende Kapitel setzt sich mit dem Einwanderungsland BRD auseinander. Dabei bildet die Zusammensetzung der Einwanderungsgruppen den Ausgangspunkt. Ausgehend davon wird zunächst die Geschichte der Einwanderung nach Deutschland skizziert, in dem die Rol-le des deutschsprachigen Raumes als Auswanderungs- und Transitland dargelegt wird. Dem folgt die Schilderung der Einwanderungsbewegungen in die Bundesrepublik bis 1990, in die DDR und in die wiedervereinigte BRD in je eigenen Unterkapiteln, von denen das Letzte mit einem kurzen Ausblick auf die mögliche zukünftige Entwicklung abgeschlossen wird. Ausge-spart bleiben dort weitgehend die einwanderungspolitischen Diskussionen und Maßnah-men. Diese folgen zusammenhängend im daran anschließenden Unterkapitel mit der Schil-derung und Untersuchung der deutschen Einwanderungspolitik. Zunächst wird im interna-tionalen Vergleich mit anderen Einwanderungsländern die charakteristische Eigenheit der deutschen Einwanderungspolitik gesucht. Daran anschließend wird diese im historischen Abriss der deutschen Einwanderungspolitik verfolgt. Hiermit werden zugrunde liegende Motive und Interessenlagen herausgestellt, die als Vorgaben an das Bildungssystem für den Umgang mit Migration einflussreich sein könnten. Das Kapitel wird mit dem ersten Zwi-schenfazit geschlossen, in welchem eine Antwort auf die Forschungsfrage I gegeben wird.

Dem folgt im zweiten Unterkapitel 2.2 die Untersuchung des Einflusses der Einwanderungs-politik auf den bildungspolitischen Umgang mit den Folgen der Migration. Dazu wird zu-nächst kurz die Situation in der DDR dargestellt. Danach wird die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im bundesdeutschen Schulsystem bezüglich ihrer Anzahl und einiger bildungsrelevanter Aspekte betrachtet. Anschließend werden die Aus-länderpädagogik, die Interkulturelle Erziehung und die Antirassistische Pädagogik darauf-hin untersucht, welche Positionen sie zum Umgang mit diesen Schülerinnen und Schülern einnehmen, und welche Auswirkungen dabei die Vorgaben aus der Einwanderungspolitik haben. Dem folgt die Analyse von vier Grundlinien deutscher Schulpolitik im Umgang mit Migration. Diese werden wiederum auf Einflüsse aus einwanderungspolitischen Überzeu-gungen untersucht. Der Fortsetzung des internationalen Vergleichs folgt schließlich das zweite Zwischenfazit mit der Beantwortung der Forschungsfrage II.

Die Auswirkungen des bildungspolitischen Umgangs mit Migration auf die Schulerfolge be-ginnen mit der Darstellung der Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrations-hintergrund. Diese werden sowohl im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern ohne Migra-tionshintergrund an deutschen Schulen als auch im internationalen Vergleich mit Schüle-rinnen und Schülern mit Migrationshintergrund erörtert. Bei der Erklärung der dabei zuta-ge tretenden Misserfolge der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund werden verschiedene Ansätze daraufhin überprüft, inwiefern die Erklärungsansätze den Einfluss des bildungspolitischen Umgangs mit dieser Gruppe vorsehen. Damit kann die Forschungs-frage III abschließend beantwortet werden.

2.1 Migrationsland Deutschland

Migration lässt sich als ein dauerhaftes Geschehen für den deutschsprachigen Raum beob-achten. Die gesamte Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist seit deren Gründung von Migration betroffen und von ihren Folgen herausgefordert. Das gilt auch für das deut-

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sche Bildungssystem, das traditionell mit einer sowohl leistungsmäßig wie auch kulturell homogenen Schülerschaft rechnet. Die Ein- und Auswanderungen sind stark von wirtschaft-lichen Konjunkturen und der unentschiedenen Einwanderungspolitik abhängig, die eine vergleichsweise hohe Fluktuation, also hohe Ein- und Auswanderungsraten, bewirken. Die Bundesrepublik wird daher auch als „unruhiges Migrationsland“ bezeichnet.64 In den letz-ten fünf Jahrzehnten verzeichnet die offizielle Statistik insgesamt 54 Millionen Zu- und Fortzüge aus der und in die Bundesrepublik, wobei neun Millionen Menschen mehr ein- als auswanderten.65

Ende 2004 lebten 7,3 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Bun-desrepublik, das entsprach einem Anteil von 8,8 Prozent an der gesamten Bevölkerung und einer Zunahme von 1,2 Millionen im Vergleich zu 1991. Die durchschnittliche Aufenthalts-dauer der ausländischen Bevölkerung stieg zwischen 1992 und 2003 von 12,0 Jahren auf 16,1 Jahre an, was auf eine Zuwanderung eines wesentlichen Teils dieser Menschen auf Dauer schließen lässt.66 Eingebürgerte Zuwanderinnen und Zuwanderer verschwinden aus der amtlichen Statistik über die Ausländerinnen und Ausländer. Die größte Zuwanderungsgrup-pe der (Spät-) Ausgesiedelten taucht erst gar nicht darin auf, weil sie die deutsche Staats-bürgerschaft mit der Anerkennung ihres Status zugesprochen bekommt. Die tatsächliche Zahl der Menschen mit Migrationserfahrung liegt also wesentlich höher, als in dieser Statis-tik angegeben wird.67 Durch die seit 2005 geänderten Vorgaben für den Mikrozensus sind erstmals genauere Angaben über die Bevölkerung mit Migrationshintergrund möglich. Demnach hatten 2005 über 15,3 Millionen Menschen, also fast ein Fünftel der deutschen Be-völkerung, einen Migrationshintergrund. Es zeigen sich in dieser Gruppe vielfältige Migrati-onskonstellationen, wobei mehr als zwei Drittel dieser Menschen selbst zugewandert sind. Die beiden zahlenmäßig bedeutsamsten Gruppen im Mikrozensus sind (Spät-) Aussiedlerin-nen bzw. Aussiedler und Menschen türkischer Herkunft.68

Zu den größten Gruppen des Bevölkerungsteils mit Migrationshintergrund gehören neben den im Zuge der Arbeitsmigration Eingewanderten aus der Türkei, Italien, Spanien, Grie-chenland, Portugal und dem damaligen Jugoslawien69 und den (Spät-) Ausgesiedelten über eine Million Flüchtlinge.70 Zu diesen gehören anerkannte Asylberechtigte und deren nach-gezogene Familienangehörige, Konventionsflüchtlinge, die nach der Genfer Flüchtlingskon-vention Abschiebeschutz genießen, im Rahmen einer humanitären Aktion von der Bundes-republik aufgenommene Kontingentflüchtlinge, jüdische Emigrantinnen und Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, heimatlose Ausländerinnen und Ausländer, Asylsuchende, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina sowie De-facto-Flüchtlinge, denen aus verschiedenen Gründen die Rückkehr nicht zuzumuten ist.71

64 Hamburger 2005, S. 1565 Statistisches Bundesamt (Hrsg., 2006a): Datenreport 2006. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland.

Bonn: Statistisches Bundesamt, http://destatis.de/download/d/datenreport/datenreport_2006.pdf (Stand: 25. Dezember 2006), S. 565

66 ebd., S. 41ff.67 ebd., S. 56568 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 140f.69 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 56570 Schulz-Kaempf, Winfried (2005): Rechtliche Lage und Lebenssituation von Eingewanderten in der Bundesrepublik

Deutschland. in: Leiprecht, Rudolf/Kerber, Anne (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft: ein Handbuch. Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 420-445, S. 424

71 ebd., S. 425f.

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Bei der Betrachtung der regionalen Verteilung der ausländischen Bevölkerung fallen der ex-treme Unterschied zwischen alten und neuen Bundesländern sowie die Konzentration auf die Kernstädte industrieller Ballungsgebiete auf. 90 Prozent aller Ausländerinnen und Aus-länder in Deutschland leben in den alten Bundesländern, 80 Prozent haben ihren Wohnsitz in Großstädten. Nach den drei Stadtstaaten ist der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an der Gesamtbevölkerung in Baden-Württemberg mit 12,0 Prozent, in Hessen mit 11,4 Pro-zent und in Nordrhein-Westfalen mit 10,8 Prozent am höchsten. In den neuen Bundeslän-dern verzeichnen Sachsen und Brandenburg die höchsten Anteile mit 2,8 und 2,6 Prozent.72 Selbst in den ostdeutschen großstädtischen Ballungsräumen liegt der Anteil nur wenig hö-her, am höchsten ist er (nach Berlin) in Leipzig mit gerade einmal 5,5 Prozent.73

2.1.1 Ein Auswanderungsland wird zum Einwanderungsland

Der deutschsprachige Raum war und ist als ein wichtiges Migrationsgebiet schon immer von hohen Ein- und Auswanderungszahlen geprägt. Dabei entwickelte sich dieses Gebiet wie der gesamte europäische Kontinent von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsge-biet. Noch im 19. Jahrhundert war Europa ein Auswanderungskontinent. Im Zeitraum von 1820 bis 1915 wanderten mehr als 50 Millionen Europäer und Europäerinnen nach Übersee aus. Bis 1960 blieb es dabei, dass die Auswanderung in Europa die Zuwanderung überstieg. Bis spätestens 1980 hatte sich der alte Auswanderungskontinent dann aber in einen neuen Einwanderungskontinent entwickelt.74

Aus dem deutschsprachigen Raum wanderten etwa im 12. Jahrhundert die „Siebenbürger Sachsen“ (die vorwiegend von Rhein und Ruhr stammten) ins damalige Königreich Ungarn aus. Ab 1763 setzte ein starker Wanderungsstrom Deutscher nach Russland unter der Zarin Katharina II. ein, die mit staatlichen Privilegien lockte und sich durch die Anwerbung einen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffte. Zwischen 1820 und 1914 wanderten zwischen 5,5 und 7,0 Millionen75 Deutsche nach Übersee aus. Beliebte Ziele der Massenauswanderung wa-ren Nordamerika, aber auch Australien, Neuseeland und Lateinamerika. Die deutschen Mi-grantinnen und Migranten wanderten aufgrund von Hungersnöten, Armut und Arbeitslo-sigkeit (im heutigen Sprachgebrauch waren sie also „Wirtschaftsflüchtlinge“), aber auch aus Gründen der politischen und religiösen Verfolgung aus.76

Dem deutschsprachigen Raum kam aufgrund seiner zentralen Lage über Jahrhunderte hin-weg die Funktion eines Transit- und Einwanderungslandes zu. Zu Beginn unserer Zeitrech-nung besiedelten Römer und Hunnen dieses Gebiet, nach dem Dreißigjährigen Krieg ließen sich Söldner der aufgelösten Heere aus zahlreichen Gegenden Europas nieder. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurden die französischen Hugenotten mit weit reichenden Privilegien zur Immigration motiviert und trugen maßgeblich zum Aufblühen ihrer Aufnahmeländer bei. Um die vorletzte Jahrhundertwende wurde das Wanderungsgeschehen stärker von Im-migration bestimmt. Seit 1871 wurden für die Kohle- und Stahlindustrie Arbeitskräfte ange-worben, v. a. aus den polnischsprachigen Gebieten Preußens. Diese „Ruhrpolen“ erreichten

72 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 4473 Herwartz-Emden 2003, S. 66774 Bade, Klaus J. (2001): Vorwort. und Einwanderungskontinent Europa: Migration und Integration am Beginn des 21.

Jahrhunderts. in: ders. (Hrsg.): Einwanderungskontinent Europa: Migration und Integration am Beginn des 21. Jahrhunderts. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, S. 17-47, S. 17ff.

75 vgl. zu den in der Literatur stark voneinander abweichenden Zahlen: Meinhardt 2005, S. 52, Anm. 276 ebd., S. 26ff.

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bis 1914 in manchen Städten und Kreisen Bevölkerungsanteile von 40 Prozent, im Deut-schen Reich lebten damals ca. zwei Millionen ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer samt ihrer Familienangehörigen.77 Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Bundesre-publik Deutschland schließlich das – nach Einwanderungszahlen – wichtigste Einwande-rungsland in Europa. Das Rhein-Main-Gebiet um Frankfurt am Main mit einem Anteil der Zugewanderten von fast 40 Prozent ist heute eines der größten Zuwanderungsräume Euro-pas.78

Die Konstruktion eines kulturell79 homogenen „Volkes“ hat auch daher nicht viel mit der Realität zu tun, vielmehr prägen Multikulturalität und Mehrsprachigkeit seit Langem die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland.80

2.1.2 Einwanderung in die BRD bis 1990

In die Bundesrepublik Deutschland gab es bis 1990 mehrere große Wanderungsbewegungen, die sich bis heute, etwa über Familienzusammenführungen, auf die Struktur der Einwande-rung auswirken. Dazu gehören die Zuwanderung von Flüchtlingen, darunter die Vertriebe-nen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und die Asylsuchenden. Zur Zeit des „Wirt-schaftswunders“ wurden zahlreiche Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus dem Ausland angeworben, von denen viele ihre Familienangehörigen nachholten, sodass Familienwande-rungen einsetzten. Kontinuierlich wanderten Aussiedlerinnen und Aussiedler mit deutscher Abstammung ein. Schließlich ist die Einwanderung der sans papiers81 eine Form der nicht do-kumentierten Zuwanderung.82

Die erfolgreiche Eingliederung der zugewanderten Vertriebenen gilt als ein positives Bei-spiel der Integrationspolitik.83 Vor dem Hintergrund der boomenden Wirtschaft, dem Auf- und Ausbau des Wohlfahrtsstaates und der damit verbundenen Beschäftigungsmöglichkei-ten wurden bis 1960 ca. zwölf Millionen Flüchtlinge aus dem Osten eingegliedert. Bis zum Mauerbau 1961 kamen ca. drei Millionen „Übersiedlerinnen und Übersiedler“ aus der DDR dazu.84

Als Flüchtlinge werden allgemein „Personen, die wegen politischer Verfolgung oder auf-grund anderer Ursachen (z. B. Krieg, Armut, Umweltkatastrophen) ihre Herkunftsregion

77 ebd., S. 29ff.78 Mecheril, Paul (2005): Pädagogik der Anerkennung. Eine programmatische Kritik. in: Hamburger, Franz/Badawia,

Tarek/Hummrich, Merle (Hrsg.): Migration und Bildung. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zu-mutung in der Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 311-328, S. 311

79 Einige rechtsextreme Ideologievarianten behaupteten gar eine „biologische“ Homogenität. Diese gelten heute vor dem Hintergrund der NS-Rassenideologie als weitgehend diskreditiert, weshalb neuere Varian-ten wie der „Ethnopluralismus“ kulturalistische Konstrukte verwenden.

80 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 2181 Sans papiers müssen „ohne Papiere“ leben, die ihnen einen legalen Aufenhalt erlauben würden. Der Aufent-

halt wird illegal, wenn etwa die Aufenthaltsbewilligung abläuft oder die Einreise ohne staatliche Erlaubnis erfolgt. Die Bezeichnung wird hier statt „Illegale“ verwandt, weil letzterer Begriff nicht befriedigend zwi-schen der Rechtswidrigkeit des Aufenhaltes und der Person an sich differenziert.

82 Bommes, Michael (2001): Bundesrepublik Deutschland: Die Normalisierung der Migrationserfahrung in: Bade, Klaus, J. (Hrsg.): Einwanderungskontinent Europa: Migration und Integration am Beginn des 21. Jahrhun-derts. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, S. 49-60, S. 50f.

83 ebd., S. 5184 Thränhardt, Dietrich (2002): Einwanderungs- und Integrationspolitik in Deutschland am Anfang des 21. Jahrhun-

derts. http://egora.uni-muenster.de/ifp/lehrende/thraenhardt/bindata/0402.pdf (Stand: 18. Oktober 2006), S. 1f.

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verlassen haben“85, bezeichnet. Nach der enger gefassten Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Flüchtling jede Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse86, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder we-gen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsange-hörigkeit sie besitzt, und den Schutz des Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder we-gen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“87 Diese Definition schließt also Binnenflüchtlinge, die innerhalb der Grenzen ihres Herkunftsstaates fliehen, und Fluchtur-sachen wie (Bürger-) Krieg, Armut und Hunger oder Umweltkatastrophen aus. Nach dem deutschen Asylrecht ist ein asylberechtigter Flüchtling durch die Anerkennung als politisch Verfolgte bzw. politisch Verfolgter definiert. Das im Artikel 16 des Grundgesetzes verankerte Asylrecht ist als individuell einklagbares Recht der Asylsuchenden gegenüber der Bundesre-publik formuliert. Wird der Asylantrag abgelehnt und es besteht ein Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. aufgrund von Hindernissen ein Abschiebeschutz, spricht man von Geduldeten oder auch De-facto-Flüchtlingen.88 Nach einer kontinuierlich steigenden Anzahl der Asylanträge seit den 70er Jahren stieg die Zahl der Anträge im Jahr 1980 sprung-haft auf über 100.000 an und steigerte sich bis 1990 auf fast 200.000. Gleichzeitig gingen die Anerkennungsquoten von 22,2 Prozent im Jahr 1975 auf 4,4 Prozent im Jahr 1990 zurück.89 Neben Asylsuchenden nahm die Bundesrepublik auch eine große Zahl anderer politischer Flüchtlinge auf, beispielsweise aus Ungarn im Jahr 1956.90

Mit der Geschichte der Zuwanderung in die Bundesrepublik wird vor allem die Phase der Anwerbung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten in den Jahren 1955 bis 1973 in Verbin-dung gebracht. Ab Mitte der 50er Jahre verzeichneten einzelne Sektoren der westdeutschen Wirtschaft einen Arbeitskräftemangel, 1960 vermeldeten die Arbeitsämter das Erreichen der Vollbeschäftigung. Bis dahin konnte der Arbeitskräftebedarf des westdeutschen „Wirt-schaftswunders“ durch die Vertriebenen aus dem Osten und die aus der DDR Übergesiedel-ten gedeckt werden.91 Um der Wirtschaft neue Arbeitskräfte zur Verfügung stellen zu kön-nen, schloss die Bundesregierung mit vielen Mittelmeerstaaten, die unter einem Anstieg der Arbeitslosigkeit litten92, Anwerbeabkommen: 1955 mit Italien, 1960 mit Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1963 mit Marokko, 1965 mit Tunesien und 1968 mit Jugoslawien. Mit Aus-nahme der vereinbarten Kontingente für die beiden nordafrikanischen Länder wurde die Zahl der Arbeitsmigrantinnen und -migranten allein über den Arbeitsmarkt entschieden. Im September 1964 konnte der millionste Arbeitsmigrant feierlich begrüßt werden. Trotz einer Überhitzungskrise in den Jahren 1966/67, in denen die Anwerbung vorübergehend ausge-setzt wurde, und die Zahl der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Rückwanderungen um ca. 400.000 abnahm, waren 1973 2,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der BRD beschäftigt. Diese machten es zwischen 1960 und 1970 rund 2,3 Millio-

85 Schulz-Kaempf 2005, S. 42186 In älteren Texten und in Gesetzen findet sich häufig der Begriff der „Rasse“, der in seiner biologischen Be-

deutung nicht auf den Menschen übertragbar ist. Siehe: UNESCO-Erklärung gegen den „Rasse“-Begriff. http://www.inidia.de/rasse-begriff-unesco.htm (Stand: 2. Januar 2006)

87 zit. n.: Schulz-Kaempf 2005, S. 42288 ebd., S. 42289 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 4590 Thränhardt 2002, S. 1f.91 Meinhardt 2005, S. 3492 Haubner 2005, S. 7

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nen Deutschen möglich, in Angestelltenpositionen aufzusteigen, weil sie deren Positionen als zumeist niedrig qualifizierte Arbeiterinnen und Arbeiter ausfüllten.93

Während der Wirtschaftskrise 1973 erließ die Bundesregierung den Anwerbestopp. Seit 1955 waren 14 Millionen Arbeitsmigrantinnen und -migranten in die BRD gekommen, wo-von ca. elf Millionen bereits wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren. Nach dem Anwerbestopp wurde allgemein angenommen, dass alle „Gastarbeiter“ wieder in ihre Hei-matländer zurückkehren würden.94 Der tatsächliche Aufenthalt auf Dauer einer großen Zahl der Zugewanderten war von beiden Seiten zunächst nicht geplant. Bereits 1964 wurde aber in der Revision des Anwerbevertrags mit der Türkei erstmals das Prinzip der Anwerbung auf Zeit durchbrochen.95 Im Ausländergesetz von 1965 erhielten Ehepartnerin oder Ehepartner und Kinder eine Aufenthalts- bzw. Zuzugsgenehmigung96, ab 1970 begannen Familiengrün-dungen und der Zuzug von Familienmitgliedern im großen Stil. So blieb die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer stabil bei 3,5 Millionen97, auch wenn 800.000 der 2,6 Millionen ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach dem Anwerbestopp bis 1978 in ihre Heimatländer zurückkehrten. Seit 1976/77 stieg die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer in der BRD wieder kontinuierlich.98 Viele wählten Deutsch-land als ihren Lebensmittelpunkt. Heute lebt die dritte Generation dieser Zugewanderten in der BRD. Vor allem aufgrund der Familienzusammenführungen stieg in der ausländischen Bevölkerung in Deutschland auch der Anteil der Frauen von 31 Prozent im Jahr 1961 auf 47 Prozent im Jahr 2000.99

Den Aussiedlerinnen und Aussiedlern aus der Sowjetunion, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei und Polen wurden im Art. 116 des Grundgesetzes historisch begrün-dete Zuwanderungsrechte zugebilligt. Personen mit deutscher Herkunft, die in den Ländern des Ostblocks wohnten, und über die aufgrund ihrer „deutschen Volkszugehörigkeit“ ange-nommen wurde, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg benachteiligt wurden, erhielten mit ihrer Anerkennung als Aussiedlerin oder Aussiedler wie auch ihre Familienangehörigen die deutsche Staatsangehörigkeit. Zwischen 1950 und 1986 fand eine relativ gleichmäßige Zu-wanderung statt.100 Außer 1957 und 1958, als knapp über 100.000 Aussiedlerinnen und Aus-siedler in die Bundesrepublik kamen, blieben die jährlichen Zuwanderungszahlen um oder unter 50.000. Aufgrund des langen Zeitraums wanderten bis 1987 insgesamt 1,7 Millionen Aussiedlerinnen und Aussiedler in die Bundesrepublik ein.101 Durch die gesellschaftlichen Umbrüche in Osteuropa stiegen die Zahlen ab 1987 rasch an.102 Polen (ab 1988), die Sowjetu-nion (ab 1989) und Rumänien (ab 1990) öffneten die Grenzen für Menschen, die in der Bun-desrepublik einen Anerkennungsantrag stellen wollten. Im Jahr 1990 kamen deswegen auf diesem Wege über 400.000 Menschen in die Bundesrepublik.103

93 Meinhardt 2005, S. 34f.94 ebd., S. 3595 Thränhardt 2002, S. 296 JMD 2006, S. 6f.97 Thränhardt 2002, S. 2f.98 Meinhardt 2005, S. 3599 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 42100 JMD 2006, S. 5f.101 Hansen, Georg/Wenning, Norbert (2003): Schulpolitik für andere Ethnien in Europa. Zwischen Autonomie und Un-

terdrückung. Münster u.a.: Waxmann, 2003, S. 134102 JMD 2006, S. 5f.103 Hansen/Wenning 2003, S. 134

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Kurz vor der Wiedervereinigung erlebte die alte Bundesrepublik also eine starke Zuwande-rung von Asylsuchenden sowie von Aussiedlerinnen und Aussiedlern, während die Einwan-derung von Familienangehörigen der Arbeitsmigrantinnen und -migranten weiter anhielt.

2.1.3 Einwanderung in die DDR

Auch das Einwanderungsgeschehen in die DDR war durch Anwerbung von Arbeitskräften und die Aufnahme von Asylsuchenden bestimmt.104 Die größten Gruppen der in der DDR le-benden Ausländerinnen und Ausländer waren Studierende und Auszubildende, Vertragsar-beiter und Vertragsarbeiterinnen sowie politische Flüchtlinge. Weiterhin lebten die knapp 400.000 Soldaten der Roten Armee und deren ca. 200.000 Familienangehörige weitgehend abgeschottet in Kasernen und hatten kaum Kontakt zur DDR-Bevölkerung. Ihre Kinder be-suchten eigene Garnisionsschulen.105

In den beiden Verfassungen des Landes war das Asylrecht nicht wie im Grundgesetz der BRD als individuell einklagbares Recht gestaltet, sondern als Recht des Staates. Dieses Recht wur-de ausschließlich vom Ministerrat vergeben. Insgesamt wurde nur wenigen tausend Men-schen Asyl gewährt, v. a. nach der Niederlage sozialistischer Bewegungen in Chile, Spanien und Griechenland.106

Seit Mitte der 50er Jahre litt die Planwirtschaft unter einem Arbeitskräftemangel. Dieser be-gründet sich auch in der massiven Abwanderung in die BRD. Von September 1949 bis zum Mauerbau 1961 wanderten zwischen 2,7 und 3,7 Millionen Menschen aus der DDR in die BRD aus, danach waren es bis Ende 1988 immerhin noch über 600.000 weitere.107 Um der Wirt-schaft neue Arbeitskräfte zuzuführen, schloss die DDR ab Mitte der 60er Jahre Anwerbeab-kommen mit befreundeten Staaten ab. Die ersten Regierungsabkommen wurden mit Polen (1965) und Ungarn (1967), später mit Algerien, Kuba, Mosambik und Vietnam geschlossen. Der Anteil von beschäftigten Ausländerinnen und Ausländern war aber im Vergleich zur BRD deutlich niedriger. Zwischen 1966 und 1989 wurden ungefähr eine halbe Million auslän-dische Arbeitskräfte angeworben. Ihr Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung überstieg trotzdem nie ein Prozent, da die meisten der Angeworbenen das Land nach Auslaufen ihrer Arbeitsverträge wieder verlassen mussten. Vertragsarbeiterinnen und -vertragsarbeiter übernahmen die Arbeitsplätze mit den härtesten Arbeitsbedingungen, beispielsweise arbei-teten drei Viertel von ihnen im Schichtdienst. Nach dem Ausländergesetz der DDR war der Aufenthalt generell befristet und starken Restriktionen unterworfen. So konnte die Aufent-haltsgenehmigung von staatlicher Stelle jederzeit und ohne Begründung widerrufen wer-den, ein strenges Rotationssystem wurde durchgesetzt, Familiennachzug prinzipiell unter-sagt. Soziale Integration war nicht erwünscht, nähere als bloße betriebliche Kontakte zu Bürgerinnen und Bürgern der DDR waren genehmigungspflichtig. Erst unmittelbar vor dem Zusammenbruch des politischen Systems wurde eine Regelung modifiziert, die schwangere vietnamesische Frauen vor die Wahl stellte, abzutreiben oder auszureisen.108

104 Bade, Klaus J./Oltmer, Jochen (2006): Migration, Ausländerbeschäftigung und Asylpolitik in der DDR 1949-1989/90. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?guid= VWFLFT (Stand: 23. November 2006)

105 Herwartz-Emden 2003, S. 671f.106 Bade/Oltmer 2006107 Bade/Oltmer 2006108 Herwartz-Emden 2003, S. 672

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In der DDR war der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an der Wohnbevölkerung im-mer niedriger als in der BRD. Mitte der 70er lebten gerade einmal 60.000 bis 70.000 Auslän-derinnen und Ausländer in der DDR. Ende 1989 waren es 190.000 und damit 1,2 Prozent der Wohnbevölkerung. Die meisten von ihnen kamen aus Vietnam (31%), Polen (27%), Mosam-bik (8%), der Sowjetunion (8%) und Ungarn (7%).109 Die Hälfte von ihnen arbeitete als Ver-tragsarbeiterin bzw. Vertragsarbeiter in Betrieben.110

2.1.4 Einwanderung in die BRD seit 1990

Die wichtigsten Einwanderungsgruppen nach der Wiedervereinigung bis heute ergeben sich erstens aus der eingeschränkten Fortsetzung der Arbeitsmigration. Jährlich gibt es derzeit 40.000 bis 60.000 Werkverträge mit überwiegend ungarischen und polnischen Arbeitskräf-ten als Form der temporären Arbeitsmigration, ca. 200.000 Vermittlungen für vorwiegend polnische Saisonarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, über 10.000 mehrheitlich rumäni-sche und ungarische Gastarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, die sich für 18 Monate bei der Arbeit in der Bundesrepublik beruflich und sprachlich fortbilden sollen, ca. 10.000 vor-wiegend tschechische Grenzarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, die täglich pendeln, und Arbeitsmigration aufgrund von Sonderregelungen für bestimmte hoch qualifizierte Be-reiche, wie im IT-Bereich.111 Zweitens nimmt der Zuzug von Ehepartnerinnen und -partnern sowie der Familienangehörigen von in Deutschland lebenden Menschen zu. Drittens kommen Asylsuchende und andere Flüchtlinge in die Bundesrepublik, und viertens reisen sans papiers ein.112

Im Rahmen der EU-Binnenmigration gab es in den zehn Jahren ab 1990 1,40 Millionen Zu- und 1,24 Millionen Wegzüge. Im Semesterdurchschnitt kommen außerdem ca. 15.500 aus-ländische Studierende an deutsche Hochschulen.113 Keine Einwanderungsgruppe, aber in der Statistik über Ausländerinnen und Ausländer aufgeführt, sind die in der BRD geborenen Kinder ausländischer Eltern, wenn sie entweder vor der Neuregelung des Staatsangehörig-keitsrechts geboren wurden, oder wenn deren Eltern die Kriterien des Optionsmodells nicht erfüllen, und die deswegen keinen deutschen Pass bekommen.

Die Zahl der Asylsuchenden stieg nach der Wiedervereinigung aufgrund von Kriegen, gesell-schaftlichen Umbrüchen und Grenzöffnungen zunächst weiter schnell an. 1991 wurden fast 260.000, 1992 fast 440.000 Asylanträge verzeichnet114. Damit waren die Asylsuchenden die drittgrößte Zuwanderungsgruppe.115 Nach dem „Asylkompromiss“ ging die Zahl der Asylsu-chenden ab 1993 kontinuierlich und drastisch von zunächst fast 323.000 im Jahr 1993, auf unter 100.000 im Jahr 1998 und zuletzt auf ca. 21.000 im vergangenen Jahr zurück.116 Die An-erkennungsquote sank weiter und liegt seit zwei Jahren unter einem Prozent.117

109 Herwartz-Emden 2003, S. 672110 Bade/Oltmer 2006111 Hansen/Wenning 2003, S. 125112 Hoffmann-Nowotny 2000, S. 157113 Schulz-Kaempf 2005, S. 428114 BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2007): Teilstatistik: „Aktuelle Zahlen zu Asyl“. http://www.

bamf.de/cln_043/nn_564242/SharedDocs/Anlagen/DE/DasBAMF/Downloads/Statistik/statistik-auflage 14-4-aktuell-asyl,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/statistik-auflage14-4-aktuell-asyl.pdf (Stand: 11. Januar 2007), S. 2, Gesamtzahl der Erst- und Folgeanträge

115 Thränhardt 2002, S. 5116 BAMF 2007, S. 2; Ab 1995 werden die Erstanträge, vorher Erst- und Folgeanträge zusammen ausgewiesen.

2006 gab es 21.029 Erst- und 9.071 Folgeanträge.117 ebd., S. 6

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Die Bundesrepublik nahm zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und aus dem Kosovo auf, von denen viele bereits wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten. Seit 1991 werden nach dem Kontingentflüchtlingsgesetz, die Übernahme eines DDR-Volks-kammerbeschlusses von 1990, jüdische Migrantinnen und Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion aufgenommen, bis 2004 waren das 219.000 Personen.118

Auch wegen der wenigen Anerkennungen von Flüchtlingen als Asylberechtigte lebt eine sehr hohe Zahl von Flüchtlingen ohne diesen vergleichsweise günstigen Rechtsstatus auf Dauer in der BRD. Sie genießen etwa nach der Genfer Flüchtlingskonvention – zu deren Ein-haltung sich die BRD verpflichtet hat, aber hinter deren Anforderungen das deutsche Asyl-recht zurückbleibt –, aus menschenrechtlichen oder faktischen Hindernissen Abschiebe-schutz oder leben als sans papiers in Deutschland.119 Ca. 200.000 Menschen sind von „Ketten-duldungen“ betroffen.120 Die Zahl der Menschen, die sich ohne gültige Aufenthaltspapiere in der Bundesrepublik aufhalten, wird auf eine halbe bis auf anderthalb Millionen geschätzt121. Diese Schätzungen beruhen aber nicht auf wissenschaftlich fundierten Annahmen. In Deutschland wurden – im Gegensatz zu Italien und Spanien – keine „Legalisierungen“ zur Befreiung dieser Gruppe aus ihrer rechtlich unsicheren Lage durchgeführt.122

Zwischen 1988 und 2004 kamen ca. drei Millionen (Spät-) Aussiedler und Aussiedlerinnen in die Bundesrepublik. Die Zahlen gehen seit Mitte der 90er Jahre zurück, da zahlreiche Be-stimmungen verschärft wurden.123

Die Zahl der auf dem Gebiet der neuen Bundesländer lebenden Ausländerinnen und Auslän-der sank bis Ende 1991 auf 110.000, v. a. aufgrund der erzwungenen Remigration der Ver-tragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter aus Vietnam, Polen und Mosambik nach dem Aus-laufen ihrer Arbeitsverträge.124 Seit 1992 steigt die Zahl der in den neuen Ländern lebenden Ausländerinnen und Ausländer wieder leicht an, weil diese Bundesländer mit der Wieder-vereinigung bei den Verteilungen von Flüchtlingen sowie von Aussiedlerinnen und Aussied-lern nach Quoten berücksichtigt werden. Sie nehmen gemäß dem Verteilungsschlüssel 20 Prozent der Asylsuchenden auf.125 Zudem ergeben sich durch die Niederlassungsfreiheit von Ausländerinnen und Ausländern mit langfristigen Aufenthaltsberechtigungen und die Frei-zügigkeitsregelungen der EU Zuwanderungsmöglichkeiten.126

Für die weitere Entwicklung der Zuwanderung in die Bundesrepublik sagen sämtliche Pro-gnosen einen weiteren Anstieg voraus. Auch wenn das Zuwanderungsgesetz zu großen Tei-len die Begrenzung der Zuwanderung vorsieht, werden die demografische Entwicklung und die Abwanderung insbesondere aus den neuen Bundesländern eine Nachfrage nach auslän-dischen Arbeitskräften nach sich ziehen. Die Erweiterung der Europäischen Union wird au-ßerdem Zuwanderungsmöglichkeiten eröffnen. Prozesse der Transmigration werden in Zu-kunft eine noch größere Rolle als bisher spielen. Dabei handelt es sich um temporäre oder

118 JMD 2006, S. 10f.119 Thränhardt 2002, S. 20120 JMD 2006, S. 13121 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 565122 Özcan 2005, S. 4123 Hansen/Wenning 2003, S. 132; siehe auch Kapitel 2.1.5.2 „Einwanderungspolitik in Deutschland“124 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 43125 Herwartz-Emden 2003, S. 667126 Gogolin, Ingrid/Neumann, Ursula/Reuter, Lutz (1998): Schulbildung für Minderheiten. Eine Bestandsaufnahme.

in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 44, 5/1998, S. 663-678, S. 663

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Pendelmigrationen zwischen mehreren Ländern, die mit der Freizügigkeit im Rahmen der Europäischen Union sowie der zunehmenden Zahl von Einbürgerungen rechtlich möglich geworden sind. Neue technische Möglichkeiten vereinfachen zudem die Herausbildung von grenzübergreifenden Netzwerken.127

2.1.5 Die deutsche Einwanderungspolitik

2.1.5.1 Einwanderungspolitik im internationalen Vergleich

Im internationalen Vergleich von idealtypischen Integrationsmodellen und der Einwande-rungs- und Integrationspolitik der entsprechenden Realtypen werden im Folgenden die Be-sonderheiten dieser Politikbereiche in Deutschland untersucht. Die Kategorien des Ver-gleichs ergeben sich aus dem im Kapitel 1.2 angesprochenen Konzept, wonach die Eingliede-rung der Zugewanderten in die Struktur einer Einwanderungsgesellschaft als Integration und die Anpassung an die Kultur als Assimilation bezeichnet werden. Es stellen sich also die Fragen, ob und welche Assimilationsleistungen von Zugewanderten erwartet werden, sowie unter welchen Bedingungen die Aufnahmegesellschaft ihnen die Integration, gemessen am Zugang zu den vollen Bürgerinnen- und Bürgerrechten in Form der inländischen Staatsbür-gerschaft, ermöglicht.

Für die heutige Situation von Einwanderungsländern lassen sich drei Idealmodelle der Inte-gration der Zugewanderten beschreiben. Diese werden nachstehend skizziert.128

Gemäß dem multikulturellen Modell sieht sich die Nation als eine Willensgemeinschaft auf der Basis gemeinsamer politischer Werte. Für die Integration der Zugewanderten ist die Aner-kennung dieser Werte notwendig. Eine kulturelle Assimilation wird nicht eingefordert. Im republikanischen Modell sieht sich die Nation ebenfalls als politische Willensgemeinschaft mit bestimmten politischen (Verfassungs-) Werten. Im Unterschied zum multikulturellen Mo-dell wird aber die gemeinsame Basis auch durch die Kultur bestimmt, damit ist in erster Li-nie die (eine) gemeinsame Sprache gemeint. Zur Nation zugelassen werden diejenigen, die bereit sind, sich der Werte anzunehmen und an die Kultur anzupassen. Gemeinsam ist die-sen beiden Idealtypen also, dass Zugewanderten die Integration in die Struktur des Einwan-derungslandes ermöglicht wird, wenn sie bereit sind, politische Werte – im republikani-schen Modell darüber hinaus kulturelle Praktiken – anzunehmen.129

Hiervon unterscheidet sich das völkische oder ethnische Modell. Die Nation ist hier in ihrem Selbstverständnis als eine Abstammungsgemeinschaft definiert. Zugewanderte werden nur dann in die Staatsbürgerschaft zugelassen, wenn sie von Geburt wegen zum selben „Volk“ bzw. zur selben „Ethnie“ gehören. Alle anderen sind von Segregation betroffen.130

Die Bundesrepublik wird in der Literatur am ehesten dem letztgenannten Idealtyp zuge-rechnet, „Deutschland gilt als das typische Beispiel für dieses exklusionistische Modell.“131 Für den weiteren Vergleich bieten sich Frankreich, das am ehesten dem republikanischen

127 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 26f.128 Wüst, Andreas M. (1995): Vorbild USA? Deutsche Einwanderungspolitik auf dem Prüfstand. Magisterarbeit im Fach

Politische Wissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de /volltextserver/volltexte/1999/474/pdf/107_1.pdf (Stand: 23. November 2006), S. 19

129 ebd., S. 19f.130 ebd., S. 19131 ebd., S. 19

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Modell gerecht wird, und Kanada als klassisches sowie Schweden als neueres Beispiel für das multikulturelle Modell an. Gemeinsam haben die Länder eine zahlenmäßig bedeutende Zu-wanderung.

1971 wurde vom kanadischen Staat die Programmatik des Multikulturalismus etabliert, wel-che das vormals verfolgte Ziel der kulturellen Assimilation in der Einwanderungs- und Inte-grationspolitik abgelöst hat. Die Idee des gleichberechtigten Zusammenlebens kulturell und ethnisch unterschiedlicher Gruppen ist als gesellschaftspolitischer Konsens weitgehend eta-bliert, wenn auch nicht ohne Widerstände.132 Neuerdings wird auch Schweden diesem Mo-dell zugerechnet.133 Ein Beleg für die Wirkung der multikulturalistischen Politik Schwedens ist der oben bereits angesprochene Vergleich aus PISA-I 2000.134 Ebenso wie in Deutschland wurden im Zuge der Arbeitsmigration seit den 60er Jahren in Schweden ausländische Ar-beitskräfte angeworben. Im gesellschaftlichen Kontext eines Chancengleichheit betonenden und präventiven Sozialstaates wurden die Migrantinnen und Migranten aber nachhaltiger als in der Bundesrepublik in die Gesellschaft integriert, ohne sich kulturell assimilieren zu müssen.135

Die Grundlage der französischen Einwanderungs- und Integrationspolitik ist nicht die Per-spektive der Diversity wie in Kanada, sondern der Égalité, dem republikanischen Staatsethos der Gleichheit aller. Dieses geht davon aus, dass die französische Civilisation Ausdruck uni-verseller moderner Werte ist, und impliziert, dass deren Akzeptanz die Grundlage für die gesellschaftliche Integration darstellt. Die nationale Identität setzt demnach die Anerken-nung der Verfassungswerte, aber keine Abstammungs- oder Kulturgemeinschaft voraus. Auch wenn es in der Praxis einige pragmatische Kompromisse gibt, werden multikulturelle Tendenzen zugunsten eines Gesellschaftsideals freier und gleicher Bürgerinnen und Bürger und einer Gesellschaft ohne ethnische Grenzziehungen weitgehend abgelehnt. Die Integra-tionspolitik orientierte sich folglich lange Zeit vorrangig am Ziel der sprachlichen und kul-turellen Assimilation der Zugewanderten. Seit Ende der 90er Jahre ist zusätzlich eine Per-spektive auf die Aufnahmegesellschaft zu beobachten, die gleiche Rechte für alle – unabhän-gig ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen Differenzen – gewährleisten soll.136

Im Zusammenhang mit der Definition der Nation als „ethnisch“ oder „völkisch“ bestimmt kann für Deutschland eine „Exklusivität des Deutschseins“ erklärt werden. Die aggressive Politik zur nationalen Identitätsbildung setzte auf der Strukturebene auf eine starke Ab-grenzung nach außen.137 Auf der kulturellen Ebene werden die Herkunftskulturen und -sprachen der Migrantinnen und Migranten eher als defizitär und weniger als nutzbare Po-tenziale aufgefasst, wie das in Staaten mit multikulturellem Einwanderungsmodell der Fall ist.138 Die Bundesrepublik Deutschland beginnt sich erst seit wenigen Jahren, mit der Ände-

132 Hormel, Ulrike/Scherr, Albert (2005): Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. Lizenzausgabe für die Bun-deszentrale für politische Bildung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 80ff.

133 Wüst 1995, S. 20134 Die türkisch- und kurdischsprachigen Zuwanderungsgruppen kommen in Schweden auf einen wesentlich

höheren Sozialstatus (HISEI: 43,7) als in Deutschland (33,6). vgl. Kap. 1.3.2135 BMBF 2003, S. 209136 Hormel/Scherr 2005, S. 102ff.137 vgl. Wüst 1995, S. 20f.138 Hornberg, Sabine (2004): Strategien der Förderung im internationalen Vergleich. in: Beauftragte der Bundesre-

gierung für Migration, Fĺüchtlinge und Integration: Förderung von Migrantinnen und Migranten in der Se-kundarstufe I. Fachtagung am 3. Dezember 2003 in Berlin. Dokumentation, Berlin, Bonn: Bonner Universi-täts-Buchdruckerei, S. 143-147, S. 144f.

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rung des Staatsangehörigkeitsrechts und dem Zuwanderungsgesetz, vom Idealtyp des völki-schen/ethnischen Modells zu verabschieden. In die deutsche Nation werden nun auch Per-sonen aufgenommen, die nicht deutscher Abstammung sind. Die Aufnahmeanforderungen sind allerdings sehr hoch. Im Rahmen der Debatten um ein Zuwanderungsgesetz für die Bundesrepublik wurde auch deutlich, dass die ideologischen Überzeugungen hinter dem ethnischen/völkischen Modell nachwirken, und dass keines der beiden anderen genannten Konzepte geeignet ist, in der deutschen Politik eine stabile Mehrheit zu finden.139 So ist der-zeit kein klares Konzept der Gestaltung von Einwanderung und Integration erkennbar, we-der eine „multikulturelle Gesellschaft“ nach kanadischem, noch die „egalitäre Gleichheit“ nach französischem Vorbild.140 Die politische Praxis pendelt vielmehr zwischen den beiden Modellen, je nach den Vorgaben aus anderen Politikbereichen, wie der Wirtschafts- und So-zialpolitik oder aus der europäischen Integration.141

Als Fazit dieses kurzen Vergleichs lässt sich festhalten, dass die deutsche Einwanderungs- und Integrationspolitik von einer charakteristischen Tradition der Segregation bestimmt ist, die auf das Selbstbild der Nation als Abstammungsgemeinschaft zurückgeht. Fraglich ist, ob diese Linie noch wirkungsmächtig genug ist, um auf die Schulpolitik einwirken zu kön-nen. Eine weitere Besonderheit ist der Mangel einer stringenten Orientierung an einem in sich schlüssigen Einwanderungs- und Integrationskonzept. Fraglich ist auch hier, ob diese Unentschiedenheit auf die Schulpolitik einflussreich ist. Mit der Betrachtung der deutschen Einwanderungspolitik im historischen Abriss werden diese Punkte im Folgenden näher be-leuchtet.

2.1.5.2 Einwanderungspolitik in Deutschland

Die deutsche Einwanderungspolitik hat im 20. Jahrhundert extrem zwiespältige Ergebnisse hervorgebracht. Einerseits durchzieht eine „furchtbare Tradition von Fremdenhaß, Rassis-mus und millionenfacher Zwangsarbeit“142 diesen Bereich, andererseits leben Millionen Aus-länderinnen und Ausländer mit einem gesicherten Rechtsstatus und mit rechtsstaatlich ab-gesicherten Ansprüchen dauerhaft in Deutschland.143 Die Ursachen dieser widersprüchli-chen Ergebnisse, deren Entstehung bis zur Nationwerdung zurückgeht, werden im folgen-den historischen Rückblick geklärt. Dieser verfolgt die Entwicklung bis zur Einwanderungs-politik der heutigen Bundesrepublik. Die Entwicklung in der DDR wird dabei nicht weiter verfolgt, da die bundesdeutsche Einwanderungspolitik mit der Wiedervereinigung auf die neuen Bundesländer übertragen wurde. Es soll der Hinweis genügen, dass arbeitsmarktpoli-tische Motive dominierten, und die gesellschaftliche Integration der ausländischen Arbeits-kräfte nicht beabsichtigt war.144

139 Hormel/Scherr 2005, S. 81140 Heinrich-Böll-Stiftung (2004): Schule und Migration. 6. Empfehlung der Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stif-

tung. Berlin, http://deposit.ddb.de/ep/netpub/36/82/91/971918236/_data_stat/6.Empfehlung.pdf (Stand: 17. Oktober 2006), S. 9f.

141 Thränhardt, Dietrich (2005): Integration und institutionelle Öffnung im Ländervergleich. Integrationspolitik richtet sich nach der Tradition. in: terra cognita. Schweizer Zeitschrift zu Integration und Migration, Jg. 4, 7/2005, S. 88-93, http://www.terra-cognita.ch/7/tranhardt.pdf (Stand: 22. Oktober 2006), S. 90

142 Herbert, Ulrich (2003): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, München: C. H. Beck, S. 335

143 ebd., S. 335144 Herwartz-Emden 2003, S. 671

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Die beiden Motivlagen, die zu der skizzierten widersprüchlichen Entwicklung geführt ha-ben, finden sich bereits im Kaiserreich. Auf der einen Seite steht das große Interesse der deutschen Wirtschaft an ausländischen Arbeitskräften, die unter schwereren Bedingungen für niedrigere Löhne arbeiteten – und in konjunkturellen Krisen weggeschickt werden konnten. Auf der anderen Seite hat der „späte Nationalstaat“ versucht, seine Schwierigkei-ten bei der Bildung einer nationalen Identität durch eine aggressive Abgrenzung nach au-ßen auszugleichen. Dies betraf auch die ethnische und „rassische“ Konstruktion der deut-schen Nation im Staatsbürgerrecht, das 1913 erst als Antwort auf die Zuwanderung von au-ßen beschlossen wurde. Deutlich wurde darin, dass die „Kongruenz zwischen Staatsangehö-rigkeit und ethnischer Herkunft zum Teil erhebliche ideologische Bedeutung für die eigene Identität als Staat und Gesellschaft“145 besaß. Die „völkische Auffassung ethnisch-kultureller Zugehörigkeit“146 in den Regelungen des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 grenzen sich konsequent vom republikanischen Staatsbürgerverständnis ab, wie es auch da-mals schon beispielsweise im Nachbarland Frankreich üblich war. Die ius sanguinis, wonach eine Person per Geburt Deutsche oder Deutscher wird, wenn mindestens ein Elternteil deutsch ist, war die juristische Umsetzung dieser Auffassung.147

Die offensichtlichen Widersprüche zwischen wirtschaftlichen Interessen und nationaler Ideologie konnten teilweise aufgelöst werden – etwa durch die preußische Politik des jährli-chen Rückkehrzwangs für die Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten. Die Zwangsrota-tion der über eine Million nichtdeutschen Wanderarbeiterinnen und -arbeiter diente der Si-cherstellung, dass sich der vorübergehende Aufenthalt nicht in Einwanderung verwandeln würde.148 Teilweise traten die Widersprüche aber auch offen zutage, etwa wenn derselbe Staat zur gleichen Zeit die auf seinem Gebiet wohnenden Polen – also Angehörige einer an-deren „ethnisch-kulturellen“ Gruppe – germanisieren wollte.149

Während des Ersten Weltkrieges mit seinem ins Extrem gesteigerten deutschen Nationalis-mus wurden der Arbeitsmarkt und die Organisation der Arbeitsmigration ein wesentlicher Politikbereich. Die in der Weimarer Republik ausgebaute öffentliche Arbeitsverwaltung stellte die nötigen Mittel bereit, um die Arbeitsmigration zu steuern. Auch in dieser Zeit fin-den sich beide Motivstränge. Einerseits standen zwar wirtschaftliche und arbeitsmarktpoli-tische Gründe im Vordergrund, weil ausländische Arbeitskräfte je nach Konjunktur und vor allem in Ersatz- oder Zusatzfunktionen benötigt wurden.150 Andererseits war aber die Ver-hinderung dauerhafter Ansiedlung dieser Menschen durch Rückkehrzwang und Kontingen-tierung für die „ethnonational[e] (...) 'Abwehrpolitik' konstitutiv.“151 Mit dem Rückgang des Bedarfs an Arbeitskräften durch die Weltwirtschaftskrise ging die Zahl der beschäftigten Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland 1932 auf ca. 110.000 zurück.152 Bereits kurz nach dem deutschen Angriff auf Polen wurde die öffentliche Arbeitsverwaltung auch für die Organisation der Zwangsarbeit eingesetzt. Von den bis zu 14 Millionen ausländischen Ar-

145 Herbert 2003, S. 342146 Gomolla, Mechtild (2005): Schulentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft. Strategien gegen institutionelle Dis-

kriminierung in England, Deutschland und in der Schweiz. New York, München, Berlin: Waxmann, S. 88147 ebd., S. 88148 Gomolla 2005, S. 88; Herbert 2003, S. 335ff.149 Herbert 2003, S. 335ff.150 Bade, Klaus J./Oltmer, Jochen (2004): Normalfall Migration. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S.

26ff.151 ebd., S. 28152 Gomolla 2005, S. 88

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beitskräften in der Wirtschaft des nationalsozialistischen Deutschlands zwischen 1939 und 1945 gelten 80 bis 90 Prozent als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Deren Bedeu-tung für die deutsche Kriegswirtschaft war immens: Die etwa acht Millionen ausländischen „Fremdarbeiter“ im August 1944 machten etwa ein Viertel der insgesamt Beschäftigten aus.153

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden bis 1960 über 13 Millionen Flüchtlinge – fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung – in die Bundesrepublik integriert. Auch diese Gruppe war mit fremdenfeindlichen Vorbehalten konfrontiert, die Eingliederung war demzufolge auch mit Problemen verbunden. Trotzdem hat sich in diesem Fall gezeigt, dass politischer Wille und die entsprechenden Regelungen eine zügige Integration erlaubten.154 Dieser Anfang der bundesdeutschen Einwanderungs- und Integrationspolitik war von Effizienz, Zielstrebigkeit und einem politischen Konsens geprägt.155 Zu einer dauerhaften Eingliederung der Zuge-wanderten gab es keine Alternative, die Zuwanderung konnte nicht von Staats wegen in Frage gestellt werden, und die Vertriebenen waren Teil der „nationalen Schicksalsgemein-schaft“, was auch die Legitimation der Lastenausgleichsregelungen besser möglich mach-te.156

Auch die Aussiedlerinnen und Aussiedler wurden durch ihre deutsche Herkunft als „dem deutschen Volk“ zugehörig betrachtet. Die Zeit der freien Zuwanderung und Akzeptanz der Aussiedlerinnen und Aussiedler reicht von 1950 bis 1986/1987. Diese Menschen kamen in die Bundesrepublik, stellten einen Anerkennungsantrag und erhielten mit dessen Bewilli-gung die deutsche Staatsbürgerschaft und somit alle bürgerlichen Rechte und Pflichten. Au-ßerdem wurden sie durch Eingliederungshilfen und Zugeständnisse beim Zugang zu sozial-staatlichen Leistungen unterstützt. Zunehmende Restriktionen und Skepsis gegenüber die-sen Menschen setzten allerdings mit dem massiven Anstieg der Zuwanderungszahlen ab 1987/1988 ein.157 Infolgedessen wurde das Anerkennungsverfahren geändert. So muss der Antrag auf Anerkennung seit 1990 nicht mehr in der BRD, sondern im Herkunftsland ge-stellt werden. Außerdem wurde die maximale Zahl der jährlichen Bewilligungsbescheide – bei über 400.000 Anträgen im Jahr 1990 – zunächst auf 225.000 begrenzt. 1999 wurde diese Zahl auf 100.000 gesenkt. Parallel dazu gingen die Anerkennungszahlen zurück, da die An-forderungen bezüglich der zur Anerkennung nötigen Kenntnisse der deutschen Sprache er-höht wurden. Seit 2005 gelten diese auch für mitreisende Familienangehörige.158 Im Rahmen der Diskussion um den so genannten „Asylkompromiss“ wurde auch das Bundesvertriebe-nengesetz zum 1. Januar 1993 geändert. Es sieht ein langfristiges Ende der Einwanderung von Aussiedlerinnen und Aussiedlern vor, indem seit dem 1.1.1993 geborene Personen kei-nen Aussiedlungsantrag mehr stellen dürfen (wohl aber deren Eltern). Ab diesem Datum zu-gezogene Personen werden als Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler bezeichnet.159 Außer von Antragstellerinnen und Antragstellern aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion – bei denen also pauschal von persönlicher Benachteiligung aufgrund der „deutschen Volkszuge-hörigkeit“ ausgegangen wird – müssen seit 1993 individuelle Benachteiligungen nachgewie-

153 Bade/Oltmer 2004, S. 44f.154 Herbert 2003, S. 339f.155 Thränhardt 2002, S. 1f.156 Bommes 2001, S. 52157 Hansen/Wenning 2003, S. 133158 JMD 2006, S. 11159 Hansen/Wenning 2003, S. 132

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sen werden.160 Gleichzeitig wurden die sozialen Rechte und wohlfahrtsstaatlichen Leistun-gen für Spätaussiedlerinnen und -aussiedler reduziert und ihr Status somit immer mehr dem anderer Migrantinnen und Migranten angeglichen.161 Mit der geänderten Gesetzge-bung von 1993 wurde also der politische Wille deutlich, diese Form der Zuwanderung einzu-schränken und – wenn auch sehr langfristig – zu beenden162

Ein nahe liegender Einwand gegen den behaupteten Motivstrang der Konstruktion einer auf Abstammung beruhenden ethnisch-homogenen deutschen Staatsangehörigkeit ergibt sich durch die genannten Restriktionen gegenüber den Spätaussiedlerinnen und Spätaussied-lern. Er lässt sich gleichwohl zurückweisen. Ursächlich für die Maßnahmen zur Einschrän-kung und langfristigen Beendigung dieser Zuwanderung war neben den hohen Integrati-onskosten nämlich die „Verschiebung im Verhältnis der Zuwanderer deutscher und nicht-deutscher Herkunft“163 innerhalb der Gruppe der Antragstellerinnen und Antragsteller. Die massive Zunahme des Anteils der mitreisenden Familienangehörigen nichtdeutscher Her-kunft führte faktisch zu einer regulären Einreise von Ausländerinnen und Ausländern.164 An diese sollten keine Bevorzugungen vergeben werden, die aus „volkstumpolitischen“ Grün-den nur den Menschen mit deutscher Abstammung zustehen.

Für die Anwerbung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten in der „Anwerbeperiode“ von 1955 bis 1973 gaben „allen 'volkstumpolitischen' Bedenken zum Trotz“165 ausschließlich ökonomische Interessen den Ausschlag.166 Damit wurde an die Tradition der Vorkriegszeit angeknüpft. Über die Anwerbungen ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestand ein politischer Konsens, in den die Regierung (auch auf Drängen der Wirtschaft, die sonst zu tief greifenden Strukturreformen gezwungen gewesen wäre167), Opposition und Ge-werkschaften einbezogen waren.168 Die Grundannahmen waren dabei, dass die Anwesenheit der „Gastarbeiter“ ein vorübergehendes Phänomen, und dass Arbeitsmigration steuerbar sei, wenn dies arbeitsmarktpolitisch notwendig wird. Die Wahl des Begriffs des „Gastarbei-ters“ und das Ablegen des bis dahin üblichen „Fremdarbeiter“-Terminus signalisiert, dass zwar nicht der ethnische Unterschied betont werden sollte, gleichwohl der „Gast“ nur vor-übergehend anwesend sein wird.169 Die Nichtanerkennung der Entwicklung der Einwande-rungssituation verfestigte sich aus eben diesen Grundannahmen in der Formel „Deutsch-land ist kein Einwanderungsland“.170 Verbunden mit dieser Überzeugung, welche durch das Prinzip der Rotation umgesetzt werden sollte, war die Überzeugung, dass keine politischen Vorkehrungen über den als vorübergehend angesehenen Aufenthalt hinaus nötig wären.171 Diese Rechnung ging zunächst auf: Die Arbeitsmigrantinnen und -migranten übernahmen Ersatzfunktionen in Arbeitsbereichen, die für die Einheimischen nicht mehr attraktiv wa-ren, auch und vor allem in besonders gefährlichen, anstrengenden und gesundheitsschädi-

160 BMI – Bundesministerium des Inneren (2006): Zuwanderungsrecht in Deutschland. Spätaussiedler. http://www. zuwanderung.de/1_spaetaussiedler.html (Stand: 23. November 2006)

161 Bommes 2001, S. 56162 Hansen/Wenning 2003, S. 134163 Bade/Oltmer 2004, S. 119164 Bade/Oltmer 2004, S. 119ff.165 Herbert 2003, S. 340166 Haubner 2005, S. 10167 ebd., S. 7168 Thränhardt 2002, S. 1f.169 Herbert 2003, S. 340ff.170 Bommes 2001, S. 53171 Gomolla 2005, S. 88

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genden Bereichen. Während der Wirtschaftskrise 1966/1967 erfüllten sie eine Pufferfunkti-on, denn die deutschen Arbeitskräfte verdrängten die ausländischen vom Arbeitsmarkt. Mittel dazu waren Nichtverlängerung der befristeten Arbeitsverträge und finanzielle Anrei-ze zur Rückkehr in ihre Heimatländer.172

Aber relativ schnell wurde aus der politisch geplanten Rotation für viele Arbeitsmigrantin-nen und -migranten ein Daueraufenthalt. Wieder spielten wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle. Einerseits stellte sich das Rotationsprinzip für die Wirtschaft durch die im-mer wieder erforderliche Einarbeitungen neuer Arbeitskräfte als kostenintensiv und somit ineffizient heraus. Andererseits hatten die Arbeitsmigrantinnen und -migranten Tätigkeiten übernommen, für die sie dauerhaft benötigt wurden.173 Die Einbindung der ausländischen Arbeitskräfte in die Sozialversicherungspflicht, die von Gewerkschaftsseite in den politi-schen Konsens zur Einwanderung der „Gastarbeiter“ aus den 50er Jahren eingebracht wur-de, tat ihr Übriges. Verschiedene Grundsatzurteile leiteten aus den Leistungsverpflichtun-gen des Staates gegenüber den Zugewanderten wachsende Bleiberechte und Fürsorgepflich-ten ab, Arbeitsmigration war demnach nicht allein nach politischer Opportunität steuer-bar.174 1972 wurde ausländischen Arbeitnehmenden zudem das Wahlrecht für die Betriebsrä-te zuerkannt. Durch die Verrechtlichung und den Einbezug in die Sozialpolitik sowie durch Regelungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, die auch für EG-Bürgerinnen und -bürger in der BRD galten, wurden die Handlungsmöglichkeiten der deutschen Politik zur Steuerung der Arbeitsmigration zunehmend geringer.175

Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Überlegungen im Rahmen der Rezession durch den Anstieg der Ölpreise standen auch im Vordergrund, als 1973 der Anwerbestopp verhängt wurde. In der Folgezeit kam allerdings mit der zunehmenden Skepsis gegenüber der fakti-schen Einwanderungssituation ein weiteres Motiv dazu.176 Seit Ende der 70er Jahre vollzog sich ein tief greifender Meinungswandel gegenüber den in der BRD lebenden Ausländerin-nen und Ausländern. Auf die Frage, „ob die Ausländer in ihr jeweiliges Herkunftsland zu-rückkehren sollten oder ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, für immer zu blei-ben“ votierten im November 1978 noch 39 Prozent der befragten Deutschen für die Rück-kehr. Deren Anteil stieg bis März 1982 auf 68 Prozent und bis März 1983 auf 80 Prozent.177 Wenn Migration im öffentlichen Diskurs politisch thematisiert wurde, dann meist aus der Problemperspektive. Die exklusionistische Argumentation der völkisch oder ethnisch exklu-siven Staatsangehörigkeit findet darin ihre Übertragung auf die kulturellen „Defizite“ der Migrantinnen und Migranten und die Kritik an „nicht assimilationsbereiten“ Einwande-rungsgruppen. Die Orientierung an der Konstruktion einer ethnisch homogenen deutschen Nation aus der Zeit des Kaiserreichs klingt in dieser Problemperspektive bei der Debatte um das Gestalten des multikulturellen Zusammenlebens einer ethnisch heterogenen Bevölke-rung durch.178

172 Haubner 2005, S. 8f.173 Haubner 2005, S. 8, S. 25174 Bommes 2001, S. 53; Thränhardt 2005, S. 91175 Herbert 2003, S. 340176 Haubner 2005, S. 11177 Meinhardt 2005, S. 36178 vgl. Flam, Helena (2007): Migrantenkinder in der deutschen Schule: Fakten und Untersuchungen. in: Flam, Helena

(Hrsg.): Migranten in Deutschland: Statistiken – Fakten – Diskurse. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz (erscheint vorauss. im zweiten Quartal 2007)

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Mit der durch wirtschaftliche Interessen bedingten faktischen Einwanderungssituation und dem Druck von Bevölkerungsteilen, die vor dem Hintergrund der ökonomischen Rezession zunehmend aggressiv auf die Einwanderung reagierten179, war die bundesdeutsche Einwan-derungs- und Integrationspolitik überfordert. Sie konnte keine schlüssigen Konzepte entwi-ckeln und verlor sich in einer widersprüchlichen Doppelstrategie. Einerseits wurde der fakti-sche Einwanderungsprozess weiter ignoriert. Aus Angst vor den haushalts- und integrati-onspolitischen Folgen sollte die Zahl der in der BRD lebenden Zugewanderten durch eine Begrenzung des Zuzugs und die Förderung der „Rückkehrbereitschaft“ gesenkt werden.180 Andererseits bemühte sich die Bundesregierung um eine verstärkte Integration der in West-deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten.181

Nach dem Anwerbestopp war es das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Zahl der Auslän-derinnen und Ausländer in der BRD zu verringern.182 Die politischen Steuerungsmaßnah-men entfalteten aber allenfalls eine begrenzte Wirksamkeit. Nur in der Rezession 1966/1967, nach dem Anwerbestopp 1973 und nach dem Rückkehrhilfegesetz von 1983 überstiegen die Fortzüge der ausländischen Bevölkerung aus Deutschland für wenige Jahre jeweils die Zuzüge. Ansonsten war der Wanderungssaldo der ausländischen Bevölkerung in der Geschichte der Bundesrepublik stets positiv.183 Die Bundesregierung verursachte über-dies mit nicht intendierten Folgen ihrer Politik eine kontinuierliche Einwanderung. Denn mit dem Anwerbestopp 1973 gab es für in Deutschland lebende Ausländerinnen und Auslän-der keine Möglichkeit mehr, zwischen dem Heimatland und der Bundesrepublik zu pendeln. Die in vielen Fällen attraktivere Alternative war, sich dauerhaft in der Bundesrepublik nie-derzulassen und die Familie nachzuholen. Nachdem 1975 die Kindergeldsätze für noch im Heimatland lebende Kinder erheblich gekürzt wurden, entstand ein zusätzlicher Anreiz, diese Kinder nach Deutschland zu holen.184

Zwischen 1978 und 1980 sah es danach aus, als wolle sich die Bundesregierung auf die Inte-gration konzentrieren.185 Heinz Kühn, der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, wurde 1978 erster „Beauftragter der Bundesregierung für Ausländerfragen“. Er verfasste 1979 ein Memorandum über „Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien“. Die Denkschrift bewirkte zunächst eine Wende in den politischen Diskussionen und markierte gleichzeitig den Beginn der Debatte um eine „multikulturelle Gesellschaft“. Sie forderte die Anerkennung des Einwanderungs-prozesses, die Abkehr von rein arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten zugunsten einer stringenten Integrationspolitik, eine verstärkte Integration im schulischen Bereich und die Vermeidung von Segregation in „besonderen Klassen“, die rechtliche Gleichstellung beim Zugang zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, das Einbürgerungsrecht für in der BRD gebore-ne Kinder und das kommunale Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer.186 Diese Phase sollte allerdings nur kurz währen, da die Bundesregierung ab 1980 mit ihren Beschlüssen

179 Herbert 2003, S. 340180 Gomolla 2005, S. 88181 Meinhardt 2005, S. 36f.182 Meinhardt 2005, S. 35183 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 48ff.184 Meinhardt 2005, S. 35185 Gomolla 2005, S. 89186 Meinhardt 2005, S. 37f.

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weiter an einer restriktiven Politik festhielt, die sich dadurch auszeichnete, dass sie sich vorrangig an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes orientierte.187

Mit dem Regierungswechsel im Jahr 1982 verstummten auf Kabinettsebene endgültig die Stimmen, die sich für mehr Integration aussprachen. Die „Ausländerpolitik“ wurde mit ei-ner gezielten Rückkehrpolitik und der versuchten Beschränkung des Familiennachzugs noch restriktiver.188 Das zum 1. Januar 1983 in Kraft getretene „Rückkehrförderungsgesetz“ führte zunächst zu einer starken Abwanderung in den Jahren 1983 und 1984 sowie zum Rückgang der Anzahl der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer. Nach Auslaufen des Gesetzes im Jahr 1985 stieg ihre Zahl aber wieder an.189 An der begrenzten Reichweite der politischen Maßnahmen hatte sich nichts geändert.

Beide Ziele der in sich widersprüchlichen Doppelstrategie in der Einwanderungs- und Inte-grationspolitik konnten also nicht erreicht werden.

Weil die Bundesregierung sich nach wie vor weigerte, die faktische Einwanderungssituation anzuerkennen und darauf politisch zu reagieren und stattdessen weiterhin auf dem Dogma „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ beharrte, gelten die 80er Jahre als für die Migra-tions- und Integrationspolitik verloren.190 Dass Deutschland ein Einwanderungsland gewor-den war, haben die meisten Expertinnen und Experten seit Anfang der 80er Jahre erkannt. Dennoch dementierte die Politik diese Tatsache heftig. Dies kann als Angst vor einer vermu-teten Gegenreaktion von Teilen der deutschen Bevölkerung verstanden werden.191 Gleich-zeitig diente der Diskurs um die Frage „Ist Deutschland ein Einwanderungsland?“ in der ge-sellschaftlichen Auseinandersetzung auch der aktiven Herstellung von „Normalität“ im ge-sellschaftlichen Selbstverständnis darüber, wer die „richtigen“ Mitglieder der Gesellschaft sind. Die Vorstellung der inneren Homogenität der Staatsgesellschaft konnte sich erneut be-haupten.192

Seit 1982 wird die Migrationspolitik außerdem verstärkt politisch besetzt, um Wählerinnen- und Wählerstimmen zu gewinnen. Umfragen stellten zuvor eine starke Ausbreitung von rechtsextremen Einstellungen gegen Ausländerinnen und Ausländer fest.193 Die „Ausländer-politik“ war dann auch eines der entscheidenden Themen, die zum Ende der Regierung Schmidt führten, als die damaligen Oppositionsparteien mit Forderungen wie „Die Zahl der türkischen Mitbürger muß vermindert werden.“194 erfolgreich ihre Anhängerinnen und An-hänger mobilisieren konnten. Seit 1983 war der Umgang mit in Deutschland lebenden Aus-länderinnen und Ausländern oder das Asylrecht bei fast allen Wahlen wichtige Themen, die sich positiv für die Unionsparteien auswirkten.195 Bis heute sind Mobilisierungskampagnen um die Zuwanderungs- und Integrationspolitik fast alltäglich geworden.196 Das Absurde dar-an ist, dass „Ausländerpolitik“ also zur Mobilisierung von Einheimischen formuliert wird,

187 Haubner 2005, S. 15188 Gomolla 2005, S. 89189 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 42190 Meinhardt 2005, S. 38191 Herbert 2003, S. 343192 Wenning 2003, S. 76193 vgl. Meinhardt 2005, S. 39194 Helmut Kohl kurz vor seinem Amtsantritt als Bundeskanzler am 3.9.1982 in der Frankfurter Rundschau,

zit. n.: Thränhardt 2002, S. 4195 ebd., S. 7196 vgl. ebd., S. 6

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während die Zugewanderten ohne die deutsche Staatsbürgerschaft kein Wahlrecht haben.197 Schon der Begriff des „Ausländers“, der auch in der BRD geborene Menschen beschreibt, macht an dieser Stelle deutlich, dass die Einwanderungsdebatte aus Sicht der Einheimischen geführt wird.198

Mangels eines schlüssigen Einwanderungskonzeptes, das andere Optionen zur Zuwande-rung bieten könnte, verstärkte sich ab Ende der 80er Jahre bei weiterhin anhaltender Ein-wanderung von Familienangehörigen der Arbeitsmigrantinnen und -migranten die Einwan-derung in die Bundesrepublik über zwei Wege: zum einen über das relativ liberale Asylrecht und zum anderen über die Einwanderung von Aussiedlerinnen und Aussiedlern.199 Die Poli-tik der Bundesregierung ignorierte die steigenden Einwanderungszahlen auch dann noch, als sie die der klassischen Einwanderungsländer übertrafen.200 Weder das Ausländergesetz von 1990 noch das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1993 zeigten eine eindeutige Tendenz. Sie brachten eine Reihe von Verbesserungen für die in Deutschland lebenden Ausländerin-nen und Ausländer, insbesondere erstmals die Anspruchseinbürgerung, aber auch Ver-schlechterungen bei Ausweisungen und Verlängerungen von Aufenthaltserlaubnissen.201

Die Zahl der Asylsuchenden überstieg im Jahr nach der deutschen Einheit die Marke von 250.000, 1992 war der Höchststand von 440.000 Asylanträgen erreicht.202 Die Asylsuchenden waren damit die drittgrößte Zuwanderungsgruppe.203 Die Diskriminierung der Gruppe der Asylsuchenden hatte in der alten Bundesrepublik bereits eine längere Tradition. Zwischen 1977 und 1993 wurden mehr als 30 Verschlechterungen für Asylsuchende in Gesetzen und Verwaltungsvorschriften vorgenommen, begleitet von einer emotionalen, denunziatori-schen Debatte. Ab 1986 setzte eine gezielte Kriminalisierung von Asylsuchenden ein, an der sich auch viel gelesene Boulevardzeitungen und der CDU-Generalsekretär beteiligten. In-mitten eines angespannten innenpolitischen Klimas, das durch die Kosten der deutschen Einheit, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot belastet war, wurden die in Deutschland leben-den Ausländerinnen und Ausländer, und vor allem die Asylsuchenden von vielen Politike-rinnen und Politikern, aber auch von den bundesdeutschen Medien als „Sündenböcke“ vor-geführt. Die politisch Verantwortlichen, allen voran Vertreterinnen und Vertreter aus den Unionsparteien, aber auch aus der SPD, überboten sich gegenseitig mit Formulierungen, die Asylsuchende sowie Arbeitsmigrantinnen und -migranten kriminalisierten, ihnen Miss-brauch vorwarfen und eine von ihnen ausgehende Bedrohung für die einheimische Bevölke-rung oder gar das „deutsche Volk“ ausmalten. Rechtsextreme Parteien und Vereinigungen trieben die Aussagen aus den Reihen der etablierten Parteien lediglich noch auf die Spitze.204 Seit Herbst 1991 folgten menschenfeindliche Übergriffe und Pogrome. Bis zu 78 Übergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer wurden pro Tag offiziell registriert. Am bekanntesten wurden die Überfälle in Hoyerswerda (September 1991), Greifswald (November 1991) und Rostock-Lichtenhagen (August 1992)205 - auch weil eine große Zahl der deutschen Anwohne-rinnen und Anwohner deutlich machte, dass sie diese Mordanschläge begrüßte.

197 vgl. Meinhardt 2005, S. 39198 Meinhardt 2005, S. 25f.199 Herbert 2003, S. 341200 Meinhardt 2005, S. 41201 Haubner 2005, S. 20202 Meinhardt 2005, S. 44203 Thränhardt 2002, S. 5204 Meinhardt 2005, S. 39ff.205 ebd., S. 44

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In der Debatte um die politischen Konsequenzen konnten sich die Motive, die nach dem Na-tionalsozialismus für ein relativ liberales Asylrecht gesorgt hatten, nicht durchsetzen. Der Diskurs ist von ausgrenzenden Motiven geprägt, denen auch keine wirtschafts- oder arbeits-marktpolitischen Interessen entgegenstanden. Beliebte Stilmittel der bemerkenswerten Hetzreden dieser Zeit sind Bilder von Fluten, Wellen und Booten.206 Der damalige Minister-präsident von Mecklenburg-Vorpommern, Berndt Seite, kündigte die politische Antwort nach den gewaltsamen Massenausschreitungen in Rostock mit diesen Worten an:

„Dass das natürlich umschwappt, wenn man in der Menge ist, dafür habe ich auch Verständnis. (...) Sehen Sie, es muss Schluss sein, dass wir am Finger rum-operieren, sondern der Körper ist krank mit dem Problem Asylaufnahme in Deutschland.“207

Am 6. Dezember 1992 beschlossen die Bundestagsfraktionen der schwarz-gelben Regierung und der SPD die Ergänzung des Art. 16 GG („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“) um einen Artikel 16 a. Dieser schränkte mit den Prinzipien der sicheren Dritt- und Herkunfts-staaten sowie der Flughafenregelung das Asylrecht dermaßen ein, dass – in Verbindung mit einem Absenken der staatlichen Unterhaltsleistungen weit unter Sozialhilfeniveau – seit 1993 die Zahl der Asylsuchenden drastisch zurückgeht.208, 209

Als 1998 die rot-grüne Bundesregierung ins Amt kommt, findet ein „Paradigmenwechsel in der deutschen Zu- und Einwanderungspolitik“210 statt, wie der Rat für Migration aus heutiger Sicht rückblickend bilanziert. Die Koalition lässt den Begriff des „Einwanderungslandes“ im Zusammenhang mit der Bundesrepublik Deutschland durch Nennung in der Koalitionsver-einbarung offiziell zu.211 Im Jahr 2001 schreibt die damalige Beauftragte der Bundesregie-rung für Ausländerfragen, Marieluise Beck:

„In unserem Land, das so lange kein Einwanderungsland sein wollte, vollzieht sich allmählich ein klärender Perspektivwechsel: die Bundesrepublik verabschie-det sich von der Lebenslüge des Nicht-Einwanderungslandes und richtet den Blick auf Migration als einem stetigen, ja notwendigen Phänomen unserer Ge-sellschaft.“212

Die wichtigsten gesetzgeberischen Maßnahmen der Bundesregierung in diesem Zusammen-hang sind das neue Staatsbürgerschaftsrecht, das am 1. Januar 2000 in Kraft trat, und das Zuwanderungsgesetz, das nach vier Jahren harter Debatten ab 1. Januar 2005 erstmals eine

206 Meinhardt 2005, S. 39ff.207 zit. n.: Butterwegge, Christoph/Häusler, Alexander (2001): Themen der Rechten – Themen der Mitte. Rechtsextre-

me Einflüsse auf Debatten zu Migration, Integration und mulitikulturellem Zusammenleben. Düsseldorf: Landesar-beitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen Nordrhein-Westfalen, S. 4

208 Meinhardt 2005, S. 45209 Der Verfasser betrachtet es als besonders erschreckend, dass ausgerechnet nach an die rassistischen Po-

grome der NS-Zeit erinnernden Ereignissen das aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus erwachsene „Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft wurde.“ (Gomolla 2005, S. 90) Einige der Entscheidungsträgerin-nen und -Entscheidungsträger, die die Grundgesetzänderung initiiert und/oder ihr zugestimmt haben, trugen mit ihren Hetzreden gegen Asylsuchende aktiv zu der Stimmung bei, die die Überfälle erst möglich gemacht hat.

210 zit. n.: Reimann, Anna (2006): Migration in Deutschland. „Man wollte die Elite der Welt – 319 sind gekommen“. in: Spiegel Online vom 15. Dezember 2006, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,454762,00.html (Stand: 15. Dezember 2006)

211 Haubner 2005, S. 22212 BBA – Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (2001): Mehrsprachigkeit an deutschen Schulen.

ein Länderüberblick. In der Diskussion, Nr. 10, August 2001, Berlin, S. 5

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umfassendere politische und rechtliche Regelung von Zuwanderung und Integration vor-nahm.

Im geänderten Staatsbürgerschaftsrecht werden die Bedingungen für den bereits seit 1993 bestehenden Einbürgerungsanspruch nach 15-Jährigem (nach acht Jahren für Jugendliche zwischen 16 und 23 Jahren) rechtmäßigen Daueraufenthalt213 auf acht Jahre rechtmäßigen Daueraufenthalt und die Erfüllung weiterer Bedingungen geändert.214 Vor allem aber beruft sich das Gesetz nicht nur auf das für Deutschland lange allein gültige Abstammungsprinzip des „Rechts des Blutes“ ius sanguinis, sondern konsequenter als vorher auch auf das Territo-rialprinzip im „Recht des Bodens“ ius soli. Im Rahmen eines Optionsmodells für in Deutsch-land geborene Kinder nichtdeutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger bekommen diese die deutsche Staatsbürgerschaft zusätzlich zu der ihrer Eltern und müssen sich im Alter von 18 bis 23 Jahren für eine der beiden entscheiden. Mit diesen Einbürgerungen kommt die lan-ge vernachlässigte politische Partizipation in Gang. Die ursprünglich angedachte „doppelte Staatsangehörigkeit“ scheiterte allerdings an der erfolgreichen Unterschriftensammlung im Rahmen des Landtagswahlkampfes der hessischen CDU.215

Der politische Willensbildungsprozess für das „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“ (Zuwanderungsgesetz) zog sich auch wegen einer zweifelhaften Abstim-mung im Bundesrat und der berechtigten Verfassungsklage unionsregierter Bundesländer über mehrere Jahre und musste, nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu-gunsten der Bundestagsopposition geändert hatten, im Vermittlungsausschuss nachverhan-delt werden.216 Der Prozess wurde durch eine intensive öffentliche Debatte begleitet. Die von der Bundesregierung eingesetzte Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ legte im Juli 2001 ihren Bericht vor, der ein Modell zur arbeitsmarktbezogenen Zuwanderung und Vorschläge zur besseren Integration von Zugewanderten empfahl. Parallel dazu veröffentlichten ver-schiedene andere Gremien und einzelne Bundesländer zahlreiche Vorschläge, unter denen der vielleicht wichtigste Bericht neben dem der Zuwanderungskommission das Ergebnis der CDU-Kommission war. In seinem Titel „Zuwanderung steuern – Integration fördern“ klingt der Konsens an, den die Vorschläge allesamt gemein hatten: Die gezielte Anwerbung von Hochqualifizierten für den Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Integrationsbemühun-gen für in Deutschland lebende Zugewanderte sind notwendig.217

Das Zuwanderungsgesetz war mit hohen Erwartungen an die Verbesserung der Teilhabe von Eingewanderten verbunden. Im Ergebnis wurden viele drängende Fragen aber nicht gelöst. Die Bundesrepublik ist von einer liberalen Einwanderungspraxis weit entfernt, der Schwer-punkt des Gesetzes liegt auf der Begrenzung von Zuwanderung. Eine Gleichstellung der aus-ländischen Zugewanderten mit den Deutschen ist ebenfalls nicht vorgesehen. Trotzdem bringt das Gesetz neben der erstmaligen umfänglichen Regelung von Zuwanderung und In-tegration einige Neuerungen: Das „Kein-Einwanderungsland-Dementi“ wurde offiziell und parteiübergreifend aufgegeben. Die Eingewanderten bekommen das Recht auf und die Pflicht zur Inanspruchnahme von Integrationsangeboten. Somit haben sie nicht die alleini-

213 JMD 2006, S. 12214 Özcan 2005, S. 5215 Meinhardt 2005, S. 46216 ebd., S. 47f.217 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 105f.

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ge Verantwortung für die Integration in die Gesellschaft.218 Hochqualifizierte sowie Investo-rinnen und Investoren erhalten von Anfang an einen Daueraufenthalt. Die Unterscheidung zwischen (Spät-) Aussiedlerinnen bzw. Aussiedlern und Ausländerinnen bzw. Ausländern wurde in vielen Punkten aufgegeben.219 In der Bilanz lässt sich vor allem mit Bezug auf die titelgebenden Passagen zur Begrenzung der Zuwanderung im Gesetz deswegen festhalten:

„Zwar ist ein Wechsel im Selbstverständnis hin zu dem Bekenntnis, ein Einwan-derungsland zu sein, zu verzeichnen, andererseits aber soll die Homogenität des Nationalstaats soweit wie möglich gewahrt bleiben.“220

In die Amtszeit der rot-grünen Bundesregierung fiel auch die so genannte „Green Card-In-itiative“ des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder auf der CEBIT im Februar 2000. Das darauf folgende Programm selbst ist zwar wenig fortschrittlich, denn im Unterschied zum US-amerikanischen Namensgeber eröffnete die bundesdeutsche „Green Card“ keine si-chere Perspektive auf einen Daueraufenthalt.221 Das öffentliche Aufheben des Anwerbe-stopps ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Anwerbung von 20.000 hoch qualifizierten IT-Beschäftigten sendete aber ein wichtiges Signal für den öffentlichen Diskurs: Ausländische Arbeitskräfte werden auch für das wirtschaftliche Wohlergehen drin-gend benötigt.222 Im Zusammenhang mit der Alterung der Gesellschaft setzt sich auch da-durch die Ansicht durch, eine gezielte Einwanderungspolitik könne den Effekt der demogra-fischen Entwicklung zwar nicht umkehren, aber abfedern.223 Auch hier stehen also arbeits-marktpolitische Motive im Vordergrund.

Spätestens seit dem Jahr 2000 wurde aber auch deutlich, dass eine Blockierung der gesell-schaftlichen Auseinandersetzungen aus parteitaktischem Kalkül nach wie vor jederzeit möglich ist.224 Die politische Auseinandersetzung um Migration und Integration dreht sich nach wie vor um verschiedene Varianten konstruierter Homogenitätsvorstellungen von „den Deutschen“:

„In den öffentlichen Diskursen um die doppelte Staatsbürgerschaft sowie um Forderungen nach Anpassung der Zugewanderten an eine 'deutsche Leitkultur' kommen ethnisch konstruierte Homogenitätsvorstellungen in weiten Teilen der etablierten Politik zum Ausdruck.“225

Auslöser öffentlicher Debatten zum Thema waren oft parteipolitisch motiviert: Die Unter-schriftensammlung gegen die „doppelte Staatsbürgerschaft“ vor der Landtagswahl in Hes-sen im Februar 1999 nahm das Leitmotiv der Exklusivität der deutschen Staatsangehörigkeit auf. Die „Kinder statt Inder“-Kampagne des CDU-Spitzenkandidaten der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2000 und die folgenden Debatten machten deutlich, dass der

218 Meinhardt 2005, S. 48f.219 JMD 2006, S. 12ff.220 Neumann, Ursula (2004): Chancengleichheit für Migrantinnen und Migranten in der SEK I. in: Beauftragte der

Bundesregierung für Migration, Fĺüchtlinge und Integration: Förderung von Migrantinnen und Migranten in der Sekundarstufe I. Fachtagung am 3. Dezember 2003 in Berlin. Dokumentation, Berlin, Bonn: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, S. 31-41, S. 39f.

221 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 104222 Meinhardt 2005, S. 46223 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 105224 vgl. Meinhardt 2005, S. 51225 Butterwegge/Häusler 2001, S. 19

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Diskurs über die demografische Entwicklung anfällig für völkisch-rassistische Einflüsse ist.226 Die von Friedrich Merz im Oktober 2000 angestoßene Debatte zur „deutschen Leitkul-tur“227, an die sich Zugewanderte anzupassen hätten, und die folgende Auseinandersetzung um die „deutsche Identität“228 eröffnete einen neuen Raum für ethnisierende Trennungen zwischen „angestammten Deutschen“ und „den Fremden“.

Der 11. September 2001 lenkte die Aufmerksamkeit auch auf die über drei Millionen Musli-mas und Muslimen in Deutschland. Die Debatten um die so genannten „Sicherheitspakete“ beeinflussten auch die Diskussion um deren gesellschaftliche Integration. Verstärkt seit der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh im November 2004 durch einen radikalen Islamisten, hat die innenpolitische Debatte einen starken Fokus auf den Isla-mismus und ein diffuses Bedrohungsszenario. Mit der Konzentration auf den Islam und der tendenziellen Umschreibung sozialer Problemlagen zu kulturellen Abweichungen wird da-bei eine Perspektive eingenommen, die weniger die Integration von Zugewanderten, son-dern vielmehr deren Assimilationsleistungen betrachtet.229 Nicht nur die üblichen Verdäch-tigen230, sondern große Teile der Massenmedien und der etablierten Parteien „bis hinein in die Sozialdemokratie“231 betreiben im öffentlichen Diskurs eine „pauschalisierende Identifi-kation der Zuwanderer mit bedrohlichen oder kriminellen Handlungen.“232 Mit dem folgen-den aktuellen Zitat wird die Analyse der deutschen Einwanderungspolitik beendet. Inter-essant ist an diesem Auszug der innenpolitischen Bilanz der Bundeskanzlerin nach einem Jahr Großer Koalition vor allem der unmittelbare Zusammenhang zwischen den angespro-chenen Themen:

„Wir führen den Kampf gegen den Terrorismus in unserem Lande mit den geeig-neten Mitteln. Wir waren es, die Videoüberwachungen durchgesetzt haben. Wir waren es auch, die dafür gesorgt haben, dass eine Antiterrordatei in Deutschland eingerichtet wird, damit wir die richtigen Mittel in der Hand haben. Wir besin-nen uns auf unsere gemeinsamen Werte. Mit dem Integrationsgipfel, den Inte-grationsplänen und dem Dialog mit dem Islam gehen wir völlig neue Wege, die von größter Bedeutung für das Miteinander in unserer Gesellschaft sind. Liebe Freunde, das ist der christdemokratische und heute endlich mehrheitsfähige Ge-genentwurf zu Mulitkulti. Multikulti hat Deutschland in die Irre geführt, Multi-kulti ist gescheitert.“233

226 vgl. eb.d, S. 11ff.227 Haubner 2005, S. 24228 Butterwegge/Häusler 2001, S. 8229 BBM – Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hrsg., 2005b): Bericht

der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Berlin, Bonn: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, S. 178

230 Edmund Stoiber auf dem CDU-Parteitag 2005: „Wer sich der Integration verweigert, braucht nicht in Deutschland zu leben. Wer hier leben will wie daheim, kann gleich daheim bleiben!“ (Stoiber, Edmund [2005]: Rede des Parteivorsitzenden der CSU, Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber. Parteitag der CDU am 28. Au-gust 2005 in Dortmund, http://cdu.de/doc/pdf/05_08_28_Rede_Stoiber_Parteitag_Dortmund.pdf [Stand: 2. Januar 2007], S. 16, Hervorhebung im Original) Stoiber meint Assimilation, wenn er Integration sagt, wie im weiteren Kontext deutlich wird.

231 Butterwegge/Häusler 2001, S. 14232 Butterwegge/Häusler 2001, S. 14233 Merkel, Angela (2006): Rede der Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, Bundeskanzlerin

Dr. Angela Merkel, MdB. Auszug aus dem Stenografischen Protokoll, Dresden, 27. November 2006, 20. Partei-tag der CDU Deutschlands, http://www.dresden2006.cdu.de/download/061127_parteitag_rede_merkel.pdf (Stand: 2. Januar 2007), S. 8f.

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Einflüsse in den Bereich der Einwanderungspolitik ergeben sich auch aus verschiedenen su-pranationalen Zusammenhängen. Einige von ihnen können auch Auswirkungen auf den Be-reich der Bildungspolitik haben. Zu nennen sind erstens internationale Übereinkünfte, die die Bundesrepublik unterzeichnet hat. Dazu gehören vor allem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die Konvention über die Rechte des Kindes234 von 1989.

Seit den 90er Jahren kommen zweitens verstärkt Empfehlungen und Richtlinien der Europäi-schen Union dazu, die in deutsches Recht umgesetzt werden sollen. Diese betreffen etwa die Migrations- und Asylpolitik, aber auch das oft als „Antidiskriminierungsgesetz“ bezeichnete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Vorgaben der EU existieren im schulpolitischen Be-reich vor allem für die Beschulung von „Wanderarbeitnehmerkindern“, den Schutz ethni-scher Minderheiten und eine an den europäischen Sprachen orientierte Sprachausbildung. Insgesamt drängt die Willensbildung in Rahmen der europäischen Integration zunehmend auf ein Umdenken im Bildungssystem unter dem Stichwort „europäische Dimension“.235

2.1.6 Erstes Zwischenfazit: Besonderheiten der deutschen Einwanderungspolitik

In den vorangegangenen Kapiteln sollten zur Beantwortung der Forschungsfrage I die Fak-toren in der deutschen Einwanderungspolitik identifiziert werden, die einflussreich auf den staatlichen Umgang mit Migrantinnen und Migranten im Bildungssystem sein können.

Für die deutsche Einwanderungspolitik konnten zwei maßgebliche grundlegende Motiv-stränge identifiziert werden. Auf der einen Seite stehen arbeitsmarktpolitische und wirt-schaftliche Interessen, die seit dem Kaiserreich bis in die heutige Bundesrepublik zu einer mehr oder weniger starken Zuwanderung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten geführt hat. Auf der anderen Seite steht eine völkisch-nationalistische Traditionslinie, die sich auf die Vorstellung der inneren Homogenität der Staatsgesellschaft beruft. Aus einem ebenfalls im Kaiserreich entstandenen Selbstbild der Nation als Abstammungsgemeinschaft nährt sich eine segregierende Tendenz, die im Zuwanderungsdiskurs bis heute fest verankert ist. Die Formulierungen haben sich freilich gewandelt, letztlich steckt aber auch in der Forderung nach einem Bekenntnis der Zugewanderten zur „deutschen Leitkultur“ „eine Mobilisierung des alten völkischen Mythos einer homogenen deutschen Kulturnation“236.

Das Zusammenspiel der beiden Traditionslinien wird in der Phase der Anwerbung von „Gastarbeitern“ zwischen 1955 und 1973 besonders deutlich. Arbeitsmarktpolitische und wirtschaftliche Interessen führten zur gezielten Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte auf gering bezahlte, niedrig qualifizierte Industriearbeitsplätze. Gleichzeitig bewirkte der aus-grenzende Diskurs eine Anwerbung auf Zeit. Im Ergebnis wurden mit der angestrebten Zu-wanderung auf einen befristeten Zeitraum politische und gesellschaftliche Integrationsbe-mühungen über die temporäre Integration in den Arbeitsmarkt hinaus als nicht notwendig erachtet.

234 Die BRD unterschrieb die UN-Kinderrechtskonvention unter dem Vorbehalt, dass Ausländerrecht Vorrang vor den Verpflichtungen aus der Konvention hat. In Deutschland wird gegen Minderjährige Abschiebehaft verhängt. Flüchtlingskinder sind beim Schulbesuch und in der Gesundheitsversorgung schlechter gestellt. (National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland: Pressemitteilung zum 14. Jahrestag der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutsch-land vom 5. April 2006. http://www.agj.de/pdf/Ratifizierung.pdf, Stand: 2. November 2006)

235 Krüger-Potratz 2005, S. 60236 Butterwegge/Häusler 2001, S. 19

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Im Vergleich der Anwerbung von „Gastarbeitern“, die in der deutschen Wirtschaft und Gesell-schaft „ganz unten“ anfingen, mit den Zuwanderungsgruppen der Vertriebenen und Ausgesie-delten wird der Einfluss des Motivstrangs der ethnisch homogenen, auf Abstammung beruhen-den „Volkszugehörigkeit“ deutlich. Die beiden letztgenannten Gruppen waren als Deutsche von Beginn an rechtlich gleichgestellt. Maßnahmen zur Förderung der dauerhaften Integration in die Gesellschaft waren selbstverständlich, da kein ausgrenzendes Motiv einen Zweifel daran er-weckte, dass sie auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben würden. Die Vertriebenen hatten mit dem Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte sogar ihren „eige-nen“ Minister im Kabinett.237

Die partiellen Widersprüche, die sich aus den unterschiedlichen Motiven ergeben, korrespon-dieren mit einer unentschiedenen, in sich widersprüchlichen Einwanderungspolitik. Diese wollte in einer „Doppelstrategie“ aus Rückkehrorientierung und Integration die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer senken und gleichzeitig für ihre bessere Einbindung in die deutsche Gesellschaft sorgen. Im Ergebnis konnte keins dieser Ziele erfolg-reich verfolgt werden.

Aus den Ausführungen zur deutschen Einwanderungspolitik lassen sich folgende Vermutungen über wirksame Vorgaben an das Bildungssystem anstellen:

1. Die verbreitete Vorstellung der inneren Homogenität der Staatsgesellschaft verhinderte lange die Annahme der durch Migration bedingten Herausforderungen als gesamtge-sellschaftliche Aufgabe.238 Diese Weigerung drückte sich in der realitätsverweigernden Formel „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ aus. Aus einer solchen Vorgabe wäre eine Nichtbeachtung der Folgen von Migration im Bildungssystem zu erwarten.

2. Die auf dem Selbstbild der Nation als Abstammungsgemeinschaft fußende Unterschei-dung der Gruppen ausländischer und der ausgesiedelter Zugewanderter, lässt auch in der Bildungspolitik diese Unterscheidung erwarten. Dabei müssten die Maßnahmen für ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler engagierter und integrativer ausgerichtet sein.

3. Bezüglich der Vorgaben aus der widersprüchlichen „Doppelstrategie“, die zwischen Rückkehrorientierung und Integrationsbestreben pendelte, wären vom Bildungssystem ähnlich unentschiedene Maßnahmen im Umgang mit Migration zu erwarten.

4. Die Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten unterschichteten aufgrund strukturel-ler Benachteiligungen und kultureller Zurückweisung, die sich aus dem Selbstverständ-nis der inneren Homogenität der Gesellschaft und deren „richtigen“ Mitglieder ergab, die deutsche Gesellschaft.239 Für deren Kinder sind in der Schule ebensolche Zurückwei-sungen zu erwarten, wenn dieses gesellschaftliche Selbstverständnis auch auf das Bil-dungssystem Einfluss nimmt.

5. Aus dem zunehmenden Einfluss der Regelungen im Rahmen der Willensbildung in der Europäischen Union lässt sich ein Einschwenken der deutschen Bildungspolitik auf den dort forcierten integrativen Kurs vermuten.

Diese genannten Vermutungen sollen im folgenden Kapitel überprüft werden.

237 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 72f.238 Butterwegge/Häusler 2001, S. 19239 Hoffmann-Nowotny 2000, S. 162

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2.2 Reaktionen des Bildungssystems auf Migration

Dieses Kapitel beginnt mit einer kurzen Darstellung der Situation von ausländischen Schü-lerinnen und Schülern im Schulsystem der DDR. Daran schließt die Darstellung der Aus-gangslage in der Bundesrepublik als Grundlage für die weiteren Untersuchungen an. Be-trachtet werden hierbei die mit den verschiedenen Einwanderungsgruppen ins deutsche Schulsystem gekommenen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund bezüglich ihrer Anzahl und einiger bildungsrelevanter Hintergründe. Darauf aufbauend werden die wichtigsten pädagogischen Positionen zum Umgang mit den Folgen der Migration und Grundlinien der deutschen Schulpolitik im Umgang mit zugewanderten Minderheiten ein-schließlich der Beschlusslage der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bun-desrepublik Deutschland (KMK) auf Motive und Einflüsse aus der Einwanderungspolitik unter-sucht. Die Wiederaufnahme des internationalen Vergleichs soll überprüfen, ob andere ein-wanderungspolitische Grundlinien auch zu anderen bildungspolitischen Maßnahmen füh-ren, und wiederum das Besondere am Zusammenhang in Deutschland illustrieren.

Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen soll einführend auf die schulpoliti-schen Zuständigkeiten im föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik eingegangen werden. Die Schulpolitik ist im Rahmen der Kulturhoheit der Länder Sache der jeweiligen Bundesländer. In erster Linie sind in ihrer Zuständigkeit Fragen der Schulstruktur und der inneren Angelegenheiten, d. h. des gesamten Unterrichts sowie der Ausbildung und Einstel-lung des lehrenden Personals. Den Gemeinden obliegen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung die äußeren Schulangelegenheiten, d. h. in erster Linie die Wartung und Verwaltung der Schulgebäude sowie die Einstellung des nicht lehrenden Personals.240 Die Koordinierung der verschiedenen Länderbildungspolitiken erfolgt seit 1948 durch die Stän-dige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK), die mit kon-sensualen Beschlüssen, Vereinbarungen und Empfehlungen die Vergleichbarkeit der Ab-schlüsse und die Mobilität zwischen den Bundesländern sichern soll. Die Beschlüsse und Empfehlungen der KMK bilden den Rahmen für eine Reihe von Erlassen und Verordnungen in den Ländern. Das Konsensprinzip der Konferenz führt bei teils erheblich differierenden bildungspolitischen Ansichten zwischen den Bundesländern häufig zu Formulierungen, die den Ländern großen Spielraum bei der Umsetzung lassen.241 Dies ist auch bei den Grundsatz-beschlüssen zum Umgang mit ausländischen und (spät-) ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern der Fall, wie späteren Ausführungen dieser Arbeit zu entnehmen ist.

2.2.1 Zur Situation in der DDR

Im zentralstaatlich organisierten Bildungssystem der DDR versammelten sich aufgrund der Altersstruktur der ohnehin zahlenmäßig kleinen ausländischen Bevölkerung eine sehr ge-ringe Zahl ausländischer Schülerinnen und Schüler. Ende 1989 waren nur 14.000 Auslände-rinnen und Ausländer unter 20 Jahre alt, das waren sieben Prozent aller Ausländerinnen und Ausländer in der DDR. Die Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter sowie die Auszu-bildenden lebten in aller Regel ohne Kinder in der DDR. Die Kinder der Sowjetsoldaten be-suchten eigene Garnisionsschulen der Roten Armee, die Kinder ausländischer Diplomatin-

240 BMBF 2003, S. 76241 vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 59

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nen und Diplomaten eigene Botschaftsschulen oder die Schule für „ausländische Vertretun-gen“.242

Die schulische Ausbildung ausländischer Kinder und Jugendlicher spielte damit so gut wie keine Rolle in der Bildungspolitik. Mithin kannte das Bildungssystem nur wenige spezielle Maßnahmen für den Umgang mit zugewanderten Kindern.243 Zu diesen zählte das Schul-pflichtgesetz von 1950, mit dem die Schulpflicht auf die nichtdeutschen Kinder und Jugend-lichen ausgeweitet wurde, sodass diese reguläre Klassen besuchten. Griechische Flüchtlings-kinder wurden vollständig in das Schul- und Ausbildungssystem einbezogen und arbeiteten später in der Produktion.244 Andere Kinder politischer Flüchtlinge, etwa aus Namibia und Simbabwe, besuchten oft gruppenweise gesonderte Einrichtungen245 oder die Vorzeigeschu-le „Schule der Freundschaft“ in Staßfurt246.

2.2.2 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Bildungssystem der BRD

Für das Verständnis der Analyse der Auseinandersetzung mit den Bildungserfolgen von Schülerinnen und Schülern in das Bildungssystem ist es notwendig, sich die Zusammenset-zung dieser heterogenen Gruppe vor Augen zu führen. Daher werden in diesem Kapitel zu-nächst Merkmale der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, also der päd-agogischen und bildungspolitischen Zielgruppe, die Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind, zusammengetragen. Anhand der Staatsbürgerschaft werden Daten aus den amtlichen Schulstatistiken und danach aus den internationalen Schulleistungsvergleichen IGLU und PISA zum Migrationsstatus der Schülerinnen und Schüler vorgestellt. Mit einem kurzen Fa-zit sowie einem Ausblick bezüglich der weiteren Vorgehensweise wird das Kapitel abge-schlossen.

In den Schulen der Bundesrepublik Deutschland stiegen die Zahlen der ausländischen Schü-lerinnen und Schüler seit den 50er Jahren kontinuierlich an.247 Mitte der 60er Jahre besuch-ten nur ca. 50.000 ausländische Schülerinnen und Schüler bundesdeutsche Schulen, deren Anteil betrug damit 0,5 Prozent. Ein deutlicher Anstieg war mit den Familiengründungen und Familiennachzügen der Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten ab Ende der 60er zu verzeichnen.248 Zu Beginn der 70er Jahre lernten 200.000 ausländische Schülerinnen und Schüler in bundesdeutschen Schulen, bis 1982 stieg ihre Zahl auf über 700.000.249

Im Schuljahr 2005/2006 gab es 929.500 ausländische Schülerinnen und Schüler im allge-meinbildenden Schulwesen. Das entspricht ca. einem Anteil von zehn Prozent aller Schüler/innen.250 Die fünf zahlenmäßig bedeutendsten Staatsangehörigkeiten sind in Abbil-dung 2 dargestellt. Bei der Betrachtung der Abbildung ist zu beachten, dass das Statistische

242 Herwartz-Emden 2003, S. 672ff.243 vgl. Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 663244 Bade/Oltmer 2006245 Krüger-Potratz 2005, S. 61246 Herwartz-Emden 2003, S. 678247 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 664248 Diefenbach, Heike (2004a): Bildungschancen und Bildungs(miss)erfolg von ausländischen Schülern oder Schülern aus

Migrantenfamilien im System schulischer Bildung. in: Becker, Rolf/Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.): Bildung als Privileg? Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 225-249, S. 225

249 Hansen/Wenning 2003, S. 123250 Statistisches Bundesamt (2006c): Allgemeinbildende Schulen. Ausländische Schüler/innen nach Schularten.

http://www.destatis.de/basis/d/biwiku/schultab9.php (Stand: 23. November 2006)

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Bundesamt alle Schülerinnen und Schüler mit einer asiatischen Staatsangehörigkeit zu ei-ner Gruppe zusammengefasst hat. Des Weiteren wurden aufgrund der erhöhten Übersicht-lichkeit für die Abbildung die Staatsangehörigen des ehemals jugoslawischen Staatsgebietes addiert.251 Es ist deutlich zu erkennen, dass die Nachfahren der ehemals als Arbeitsmigran-tinnen und Arbeitsmigranten Angeworbenen und deren Familiengehörigen mit türkischer, italienischer und griechischer Staatsbürgerschaft mit den Staatsangehörigen der Nachfolge-staaten des ehemaligen Jugoslawien die größte Gruppe ausmachen.252 Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen aus anderen als den genannten Herkunftsländern vergrößert sich aber kontinuierlich, wobei auch die Anzahl mitgebrachten Sprachen ansteigt.253

Die bisherigen Betrachtungen anhand der Daten der amtlichen Schulstatistik berücksichtig-ten lediglich die Staatsbürgerschaft. Diese Betrachtung vermittelt ein falsches Bild bezüg-lich des Migrationshintergrundes der Schülerinnen und Schüler. Wie auch im Folgenden ein Beispiel aus Berlin illustriert, liegt der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrations-hintergrund im Bildungssystem (wesentlich) höher. Im Jahr 2000 waren in Berlin unter den Eingeschulten 5.700 ausländische Schülerinnen und Schüler, aber 7.700 Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache.254 Der Mikrozensus 2005, der wie im Kapitel 1.2 ausgeführt erstmals differenzierte Angaben zum Migrationshintergrund erhob, lässt auf un-

251 Statistisches Bundesamt (2006d): Allgemeinbildende Schulen. Ausländische Schüler/innen nach Staatsangehörig-keit. http://www.destatis.de/basis/d/biwiku/schultab13.php (Stand: 23. November 2006)

252 Besonders unter der Gruppe aus dem ehemaligen Jugoslawien befinden sich auch Bürgerkriegsflüchtlinge, unter den Bürgerinnen und Bürgern der EU sind einige nicht im Zuge der Arbeitsmigration der 50er bis 70er Jahre, sondern im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb der EU zugewandert.

253 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 664254 Herwartz-Emden 2003, S. 680

Abbildung 2: Anteil der ausländischen Schüler/innen an allgemein bildenden Schulen im Schuljahr 2005/2006 nach Staatsangehörigkeiten in Prozent aller ausländischen Schüler/innen, Quelle: Statisti-sches Bundesamt 2006d, eigene Berechnungen und Darstellung

12,72%

43,08%

10,87%

6,56%

3,51%

23,26%

Ausländische Schüler/innen nach Staatsangehörigkeit

AsienTürkei

ehem. Jugoslawien

Italien

Griechenland

sonstige

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gefähr sechs Millionen Menschen im Alter von bis zu 25 Jahren schließen, die einen Migrati-onshintergrund zu verzeichnen haben. Das bedeutet, dass sie mehr als ein Viertel dieser Al-tersgruppe der Gesamtbevölkerung stellen. Des Weiteren belegt es das vergleichsweise ge-ringe Durchschnittsalter der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshinter-grund. Bezüglich des rechtlichen Status, der regionalen Herkunft und dem Zeitpunkt der Zuwanderung ist die Gruppe äußerst heterogen. Allein ihre quantitative Bedeutung macht die Wichtigkeit ihres Erfolgs im Bildungssystem für die gesamte Gesellschaft und deren Ent-wicklung deutlich. Die qualitative Heterogenität hingegen deutet die Herausforderungen an die Bildungspolitik an, die sich um dies zu erreichen der Bildungspolitik stellen.255

Weitere Informationen über die Schülerinnen und Schüler bieten die Daten der internatio-nal vergleichenden Schulleistungsstudien. In der IGLU-Stichprobe lag der Anteil der Viert-klässlerinnen und Viertklässler, die mindestens ein im Ausland geborenes Elternteil haben, in den neuen Bundesländern bei ca. vier Prozent, in den alten Bundesländern bei gut 25 Pro-zent.256 Erwartungsgemäß findet sich also hier ein extremer Ost-West-Unterschied.

In der folgenden Abbildung 3 sind die Anteile der Gruppen nach Art des Migrationsstatus in der Stichprobe der PISA-E-Studie von 2003 für Deutschland dargestellt.

Die größten Gruppen mit Migrationshintergrund in der Stichprobe für PISA-I desselben Jah-res waren nach ihrer Herkunft:

255 vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 142256 Schwippert, Knut/Bos, Wilfried/Lankes, Eva-Maria (2003): Heterogenität und Chancengleichheit am Ende der

vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. in: Bos, Wilfried u.a. (Hrsg.): Erste Ergebnisse aus IGLU. Schü-lerleistungen am Ende der vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster u.a.: Waxmann, S. 265-302, S. 277

Abbildung 3: Anteile der Schüler/innen nach Migrationsstatus in der Stichprobe von PISA-E 2003, Quelle: Ramm u.a. 2005, S. 269, eigene Darstellung

77,80%

6,90%

6,10%

9,20%

Gruppen des Migrationsstatus in der Stichprobe von PISA-E 2003

ohne Migrations-hintergrund

ein Elternteil im Ausland geborenerste Generation

zugewanderte Fa-milien

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‒ Die Nachkommen der angeworbenen Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die größ-tenteils in Deutschland geboren wurden und ihre gesamte Schulausbildung in der BRD durchlaufen haben. Die Mitglieder dieser Gruppe verfügen entweder über einen sicheren Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft. Unter ihnen war die Gruppe der Türkischstämmigen zahlenmäßig am Bedeutendsten. Sie machten jeweils über 60 Prozent der Migrationsgruppen mit einem im Ausland geborenen Elternteil und der „ersten Generation“ aus, während ihr Anteil an den zugewanderten Familien unter zehn Prozent lag.

‒ Die (Spät-) Ausgesiedelten deutscher Abstammung und deren Familienangehörigen, v. a. aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Polen und Rumänien. Sie verfügen über die deutsche Staatsangehörigkeit. Die größte Gruppe unter ihnen kam aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Sie umfasste unter den Jugendlichen aus zugewander-ten Familien fast die Hälfte während in den beiden anderen Migrationsgruppen ihr Anteil unter zwei Prozent lag.

‒ In einem geringeren Umfang waren aus politischen Gründen Eingereiste, also Asylsu-chende und andere Flüchtlinge, in der Stichprobe vertreten. Unter ihnen waren vor-rangig die Anfang der 90er Jahre als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Ju-goslawien in die Bundesrepublik Zugereisten. Diese Gruppe weist für die Integration ins Schulsystem besonders ungünstige Voraussetzungen auf, da sie häufig nur be-schränkte Aufenthaltsgenehmigungen, belastende Erlebnisse in ihrer Vergangenheit und eine unsichere Zukunftsperspektive haben. 257

Eingangs wurden die besonderen Entwicklungspotenziale der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund angesprochen. Dazu gehören in erster Linie ihre Mehrsprachigkeit und die kulturelle Heterogenität als wichtige Ressource für ihre Selbstentfaltung und Kom-petenzentwicklung – auch im Rahmen der Internationalisierung der Wirtschaftsbeziehun-gen. Als einzig wachsende Bevölkerungsgruppe kommt den Migrantinnen und Migranten im Rahmen der demografischen Entwicklung auch eine besondere Bedeutung zu.258

Des Weiteren macht die PISA-I Studie von 2003 darauf aufmerksam, dass die ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen, unter denen diese Jugendlichen leben, im Vergleich zu den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund nachteilig sind. Betrachtet wird dort die Verteilung der Familien der getesteten Jugendlichen in vier Quartilen nach dem ESCS-In-dex259. Dabei finden sich zugewanderte Familien und Familien mit Jugendlichen in der ers-ten Generation jeweils zu fast 60 Prozent im untersten Quartil wieder. Familien der Jugend-lichen, von denen ein Elternteil im Ausland geboren wurde, sind dagegen mit 18,7 Prozent im untersten Quartil fast genauso häufig repräsentiert wie die Familien der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund mit 16,8 Prozent. Der deutliche Eindruck bestätigt sich bei den Anteilen im obersten Quartil. Dort kommen die Familien ohne Migrationshintergrund auf einen Anteil von 28,7 Prozent, die Familien der Jugendlichen mit einem im Ausland gebore-nen Elternteil sogar auf 29,4 Prozent, Familien mit Jugendlichen der „ersten Generation“ und die zugewanderten Familien dagegen nur auf 9,1 bzw. 10,8 Prozent. Die Autorinnen und

257 Ramm u.a. 2004, S. 262ff.258 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 137259 Index of Economic, Social and Cultural Status (ESCS): Der ESCS wurde für PISA 2003 neu erstellt und integriert

ökonomische, soziale und kulturelle Indikatoren der Herkunft. Zu den Indikatoren gehören elterlicher Bil-dungsabschluss, HISEI und kulturelle Besitztümer.

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Autoren der Studie schließen von den ESCS-Quartilen auf die Sozialschicht und kommen zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Familien aufwächst, die der unteren sozialen Schicht zuzuordnen sind, und die ihnen daher nur ein-geschränkte Ressourcen für ihren Werdegang bieten können.260

Die Frage nach dem höchsten Bildungsabschluss der Eltern, ein Indikator für eine weitere bildungsrelevante Ressource, in der selben Studie ergab, dass fast 40 Prozent der Eltern von Kindern der ersten Generation und fast 60 Prozent der Eltern in zugewanderten Familien einen Abschluss mindestens einer beruflichen Schule, Realschule oder Fachhochschule bzw. ein Abitur haben. Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern trotz der niedrigeren Anteile im Vergleich zu den Eltern der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund, die hier auf über 80 Prozent kommen, dass die intellektuellen Bedingungen für die Unterstüt-zung durch die Eltern hinreichend gegeben seien. Allerdings wird betont, dass die Schulab-schlüsse wohl meist in einem anderen Bildungssystem und in einer anderen Sprache erwor-ben wurden. Dies könnte aufgrund verschiedener Erfahrungen der Eltern ein Hindernis bei der deren Unterstützung für ihre Kinder darstellen. 261

Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind entweder in der Bundesrepublik geboren oder vor Beginn der Schulpflicht eingereist. Von den 15-Jährigen Teilnehmenden an PISA-I 2000 waren 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Migrati-onshintergrund in Deutschland geboren, bei den Viertklässlerinnen und Viertklässlern der IGLU-Studie 2001 waren es 75 Prozent.262 Nicht in Deutschland eingeschulte Kinder und Ju-gendliche mit Migrationshintergrund im schulpflichtigen Alter sind meist Kinder von (Bür-ger-) Kriegsflüchtlingen, Asylsuchenden oder Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern. Bei ihnen sind Sprachdefizite als eine noch verstärkendere Hürde für den Bildungserfolg zu er-warten.263

Als Konsequenz aus der hohen Fluktuation der Migrantinnen und Migranten in der Bundes-republik und aus der zu erwartenden Zunahme von Prozessen der Transmigration, die im Kapitel 2.1.4 angesprochen wurden, lässt sich für das Bildungssystem perspektivisch erwar-ten, dass die mitgebrachten Sprachen über Generationen hinweg ihre Bedeutung für die Zu-gewanderten behalten werden. Die Integration von Zugewanderten und die Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache werden zu den Daueraufgaben der deutschen Schule gehören. Weiterhin werden sich die Zugewanderten und selbst die Gruppen einzelner Herkunftsre-gionen nicht als mehr oder weniger homogene Gruppe identifizieren lassen. Vielmehr müssten die Bildungsvoraussetzungen und die notwendigen Maßnahmen praktisch indivi-duell ermittelt werden.264

2.2.3 Pädagogische Positionen im Umgang mit Migration

Dieses Kapitel widmet sich den pädagogischen Konzepten, die in Reaktion auf die Anwesen-heit der Migrantenkinder im Bildungssystem entwickelt wurden. Sie werden in dieser Ar-beit auch als Positionen der Pädagogik gegenüber den Schülerinnen und Schülern mit Mi-grationshintergrund verstanden, weil sie wesentlich von Annahmen über diese Gruppe ge-

260 Ramm u.a. 2004, S. 265f.261 Ramm u.a. 2004, S. 266262 BBM 2005b, S. 49263 Herwartz-Emden 2003, S. 693264 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 29ff.

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prägt sind. Sie werden im Folgenden dargestellt und darauf untersucht, inwieweit sich Moti-ve aus der Einwanderungspolitik in ihnen widerspiegeln.

In den 70er Jahren, spätestens nach dem Anwerbestopp 1973, als größere Minderheiten-gruppen ausländischer Schülerinnen und Schüler die bundesdeutschen Schulen besuchten, musste der Umgang der Bildungsinstitutionen mit diesen geregelt werden. Es wurden ver-schiedene Ansätze entwickelt, die jeweils ähnliche pädagogische Konzepte zusammenfas-sen.265 Übereinstimmend wird zwischen den Kategorien von Konzepten der Ausländerpäd-agogik266 und der Interkulturellen Erziehung unterschieden. Am deutlichsten unterscheiden sie sich in ihrer Ausrichtung. Während die Ausländerpädagogik den Fokus auf behauptete Defizite der ausländischen Kinder und Jugendlichen legt, wird bei dem Konzept der Inter-kulturellen Erziehung besonderer Augenmerk auf die Differenzen zwischen gleichwertigen Kulturen und deren Chancen und Nutzbarkeit gelegt. Auch wenn einige Darstellungen eine zeitliche Abfolge der praktischen Wirksamkeit dieser Konzepte in zwei Phasen nahelegen267, ist die Ausländerpädagogik in der Fachdiskussion überwunden, ihre Auswirkungen sind aber noch in der Alltagspraxis zu beobachten.268 Weniger einheitlich wird in der deutschen Literatur von einer dritten Kategorie von Konzepten gesprochen, die hier mit Antirassisti-scher Pädagogik bezeichnet wird. Gelegentlich wird diese Position einer „reflektierten inter-kulturellen Pädagogik“269 zugeordnet, andernorts aber kritisch gegenüber dieser abge-grenzt.270 Weil ihr Fokus weniger auf kulturellen Differenzen und vielmehr auf den Umgang mit diskriminierenden Ideologien und Praktiken liegt, wird die Antirassistische Pädagogik hier als eigene Position eingeordnet. Dies ist an dieser Stelle nicht als Kritik an der Interkul-turelle Erziehung gemeint, vielmehr kann die Antirassistische Pädagogik diese ergänzen.

2.2.3.1 Ausländerpädagogik

„Ausländerpädagogik“ ist ein Oberbegriff für eine Reihe von sehr unterschiedlichen, teils auch widersprüchlichen Konzepten und Modellen im Umgang mit ausländischen Schülerin-nen und Schülern. Fragen des Umgangs mit den Kindern der Arbeitsmigrantinnen und -mi-granten kamen ab Mitte der 60er Jahre auf.271 Ihren Höhepunkt hatte die Ausländerpäda-gogik in den 70er Jahren, als in das bundesdeutsche Bildungssystem erstmals größere Min-derheitsgruppen ausländischer Schülerinnen und Schüler kamen, bis Anfang der 80er Jahre.

Der Fokus der Ausländerpädagogik lag ausschließlich auf den ausländischen Kindern, deren Integrationsprobleme in den Schulen der Anlass für diese pädagogische Arbeit waren.272 Be-züglich des soziokulturellen und sozioökonomischen Hintergrunds der Kinder von Arbeits-migrantinnen und -migranten wurden ihnen „Defizite“ bescheinigt, die behoben werden sollten. Die Wichtigsten wären die fehlenden Deutschkenntnisse, „Sozialisationsmängel“ und „Identitätsprobleme“.273 Viele der diagnostizierten Mängel ergäben sich gemäß des

265 vgl. Bommes, Michael/Radtke, Frank-Olaf (1993): Institutionalisierte Diskriminierung von Migrantenkindern. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 39, 3/1993, S. 483-497, S. 483

266 Dieser Begriff wird hier übernommen, weil er eine Selbstbezeichnung darstellt.267 vgl. Haubner 2005, S. 29268 Gomolla 2005, S. 103269 Hormel/Scherr 2005, S. 35270 ebd., S. 33271 Haubner 2005, S. 30272 Herwartz-Emden 2003, S. 705273 Gomolla 2005, S. 103

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„Kulturkonfliktmodells“ aus dem Leben in zwei Kulturen, das bei noch nicht abgeschlosse-ner Sozialisation zu einer Reihe persönlicher Probleme führen würde.274

Die wichtigsten Instrumente zur Umsetzung der Kompensationsstrategien waren spezieller Sprach-, Ergänzungs- und Förderunterricht275. Die von den deutschen Schülerinnen und Schülern getrennten Klassen sollten die ausländischen Schülerinnen und Schüler an die deutsche Schule anpassen, dienten jedoch in erster Linie der Entlastung der deutschen Re-gelschule und wirkten stark segregativ.276

An diesem Ansatz wurde unter anderem kritisiert, dass die behaupteten „Defizite“ zunächst einmal festgestellt werden müssten, und dass die Bezugsgröße dazu die einheimische deut-sche Mehrheit war.277 Mit anderen Worten: Hinter den Annahmen über die ausländischen Kinder und Jugendlichen stand eine ethnozentrische Sichtweise.278 Der hier zugrunde lie-gende Begriff der „Kulturen“ verstand diese, als seit dem 19. Jahrhundert herausgebildete, starre „Nationalkulturen“. Die Kritisierenden forderten eine dynamischere Auffassung von „Kultur“ und „Identität“, die sich in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen stän-dig weiterentwickelt.279 Schließlich wurden ökonomische, politische, historisch bedingte und gesellschaftliche Ursachen für Integrationsprobleme und soziale Ungleichheit im Kon-zept komplett ausgeklammert. Dies führe zu einer umdeutenden „Pädagogisierung (...) des Ausländerproblems“.280

Innerhalb der Ausländerpädagogik wurden drei Ansätze entwickelt, die immer noch in Denkmustern und Eingliederungsmodellen präsent sind.281 Vor dem Hintergrund der wider-sprüchlichen Anforderungen von Integration und Rückkehrförderung durch die „Auslän-derpolitik“ ist es nicht verwunderlich, dass sich die Ansätze gegenseitig widersprechen.

Der Ansatz „Rotation-Rückkehr“ korrespondiert mit der Vorstellung, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Demzufolge müssten Kinder von Migrantinnen und Migranten nicht in das reguläre deutsche Schulwesen integriert, sondern auf die Rückkehr in ihre „Heimat“ vorbereitet werden.282 Er ist also an die Anwerbepolitik der 50er bis 60er Jahre mit ihrem Ro-tationsprinzip angelehnt.283 Der Ansatz korrespondiert mit segregierendem Unterricht in getrennten „Ausländerklassen“.

Dem steht der Ansatz der „Integration“ entgegen, der bei einer in Deutschland sesshaft ge-wordenen ausländischen Bevölkerung ansetzt. Durch eine schnelle Einschulung in deutsche Regelklassen sollte die Schule auch bei der gesellschaftlichen Integration helfen und das Er-lernen der deutschen Sprache sowie Werte und Normen sichern. Deutlich wird an dieser Stelle die Sicht auf eine als überlegen wahrgenommene Mehrheitskultur.284 Von den auslän-

274 Haubner 2005, S. 41275 Herwartz-Emden 2003, S. 705276 Gomolla 2005, S. 203277 Haubner 2005, S. 30278 Gomolla 2005, S. 103279 Haubner 2005, S. 41280 Haubner 2005, S. 43281 Gomolla 2005, S. 103282 Flam 2007283 Flam, Helena/Kleres, Jochen (2007): Institutionelle Diskriminierung in der deutschen Schule. in: Flam, Helena

(Hrsg.): Migranten in Deutschland: Statistiken – Fakten – Diskurse. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz (erscheint vorauss. im zweiten Quartal 2007)

284 Flam 2007

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dischen Schülerinnen und Schülern wurde eine Anpassung an die Normalitätserwartungen der deutschen Schule verlangt.285 Dieser Ansatz beeinflusste aber auch maßgeblich die Her-ausbildung einer Didaktik von „Deutsch als Zweitsprache“ seit den 70er Jahren.286

Der Ansatz von „Integration oder Rückkehr“ korrespondiert schließlich am Deutlichsten mit den widersprüchlichen Vorgaben aus der Doppelstrategie in der Einwanderungspolitik. Die ausländischen Schülerinnen und Schüler sollten sowohl auf das Lernen mit deutschen Schü-lerinnen und Schülern als auch auf die Rückkehr in ihre „Heimat“ vorbereitet werden. Als vorwiegend integrative Maßnahmen waren die Befristung der Vorbereitungsklassen und die darauf folgende Integration in Regelklassen vorgesehen. Die Rückkehrorientierung drückte sich in Angeboten wie dem muttersprachlichen Unterricht und dessen Unterrichtsinhalten wie Geschichte, Kultur und Gegenwart des Herkunftslandes aus.287

Die Position der Ausländerpädagogik gilt in der deutschen Fachdiskussion seit Anfang der 80er Jahre als überwunden.288 Im pädagogischen Alltagsverständnis und im politischen Dis-kurs spielt sie aber nach wie vor eine wesentliche Rolle.289 Wenn ein Ministerpräsident das schlechte Abschneiden des deutschen Schulsystems bei der PISA-Studie 2000 auf die „große Zahl türkischer Schüler, die kein Deutsch können“290, zurückführt, dann bezieht er sich auf die Defizithypothese der Ausländerpädagogik.

2.2.3.2 Interkulturelle Erziehung

Die Interkulturelle Erziehung ging Anfang der 80er Jahre aus der Kritik an der Ausländer-pädagogik hervor. Auch innerhalb dieses Ansatzes im Umgang mit Migrantenkindern und -jugendlichen haben sich eine Vielzahl verschiedener Schwerpunkte entwickelt.

Ihnen gemeinsam ist, dass sie sich in ihren Grundannahmen explizit gegen den starren Kul-turbegriff der Ausländerpädagogik aussprechen. Stattdessen wird Kultur als prozesshaft, fließend und veränderbar und die Gesellschaft als kulturell pluralistisch verstanden. Gegen den Ethnozentrismus der Ausländerpädagogik wird ein „demokratisches Kulturverständnis“ eingebracht. Als Gemeinsamkeit mit der Ausländerpädagogik bleibt zwar die pädagogische Relevanz der „Kulturzugehörigkeit“, die verschiedenen Kulturen werden aber als gleichwertig angesehen, die Kultur der einheimischen Mehrheit also auch nicht als höherwertig betrachtet.291 Die Gleichwertigkeit der Kulturen wird deutlich, wenn von Kulturdifferenzen statt von Kulturdefiziten die Rede ist. Statt Assimilation der Minderheit an die Mehrheitskultur wird als Leitziel gegenseitige Toleranz formuliert.292 Demzufolge richtet sich die Interkulturelle Erziehung mit dem Bestreben, Fähigkeiten für ein Leben in kultureller Vielfalt zu vermitteln, an alle - auch an die Angehörigen der Mehrheitskultur.293

Die Grundvoraussetzung für diese pädagogische Position ist die Annahme, dass in der BRD auf lange Sicht Menschen verschiedener nationaler bzw. ethnischer Herkunft miteinander

285 Hansen/Wenning 2003, S. 127286 Gomolla 2005, S. 99287 Flam/Kleres 2007288 Bommes/Radtke 1993, S. 484289 Gomolla 2006, S. 93ff.290 Edmund Stoiber, zit. n.: Mecheril 2005, S. 312291 Haubner 2005, S. 43ff.292 Flam 2007293 Gomolla 2005, S. 104

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leben werden. (West-) Deutschland wird als ein Land angesehen, das sich langsam durch Einwanderung in ein multikulturelles Land wandelt. 294

Darauf aufbauend beschreibt die Interkulturelle Erziehung eine gesellschaftspolitische Ziel-vorstellung über die Gestaltung der Gesellschaft, und richtet die pädagogische Arbeit da-nach aus. Die konkreten Ziele differieren je nach dem gesetzten Schwerpunkt. Einige Kon-zepte wollen Begegnungen zwischen Kulturen anregen, Barrieren zum Kontakt abbauen und kulturellen Austausch zur gegenseitigen Bereicherung nutzen. Andere möchten dazu beitragen, Toleranz und Empathie zu lernen und erproben oder Unkenntnis und daraus re-sultierende Distanz abbauen. Wieder andere wollen die Kinder und Jugendlichen bei der Identitätsbildung unterstützen.295

Die Kritik an dieser Position betont, dass die zugrunde liegenden ethnischen Grenzziehun-gen zwischen den Kulturen dieses Ansatzes, nicht gegeben sind, sondern erst sozial herge-stellt werden müssten.296 So „stellt sich die Frage nach kulturalisierenden und ethnisieren-den Nebenwirkungen dieses Programms.“297 Außerdem könnten Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund wieder als „Problem“ angesehen werden, ohne dass strukturelle Ursachen für Ungleichheit beleuchtet werden und ins Bewusstsein der Betrachterinnen und Betrachter gelangen.298 In diesem Zusammenhang wurde kritisiert, dass sich die Pädagogik weiter für die Versäumnisse der Politik instrumentalisieren lässt, denn die Politik würde für die rechtliche und politische Ungleichbehandlung die Verantwortung tragen. Somit ist sie für die wesentlichen Ursachen und die daraus resultierenden Folgen der sozialen Konfliktla-gen verantwortlich, die die Pädagogik bearbeiten muss.299 Aktuelle Konzepte der Interkultu-rellen Erziehung gehen allerdings von einem Kulturbegriff aus, der historisch gewachsene gesellschaftliche Machtverhältnisse einschließt, und hat damit zum Ziel auch die Benachtei-ligung von Minderheiten zu thematisieren.300

Konzepte der Interkulturellen Erziehung werden derzeit in die schulische und außerschuli-sche Praxis eingeführt. Seit den 90er Jahren werden die didaktischen Leitlinien von „Deutsch als Zweitsprache“ in die Lehrpläne eingebettet und Konzepte der interkulturellen Erziehung in die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern integriert.301 Die Leitsätze der In-terkulturellen Erziehung finden sich mittlerweile in den allgemeinen Zielsetzungen der öf-fentlichen Bildung.302 Maßgeblich dafür war vor allem ein Beschluss der KMK von 1996, auf den im Kapitel 2.2.4.4 noch näher eingegangen wird. Derzeit wird dessen Umsetzung in Lehrplänen und dem schulischen Alltag in den Bundesländern durchgeführt.303

2.2.3.3 Antirassistische Pädagogik

Die Antirassistische Pädagogik entstand in Großbritannien. Sie ist aus der Kritik hervorge-gangen, dass ein bloßer „Multikulturalismus“ die sozialen Hierarchien von Kulturen nicht

294 Flam 2007295 Haubner 2005, S. 43ff.296 Bommes/Radtke 1993, S. 487297 Gomolla 2005, S. 104298 ebd., S. 104299 Haubner 2005, S. 49f.300 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 74301 Gomolla 2005, S. 99ff.302 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 676303 Gomolla 2005, S. 99

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bearbeiten kann. Vielmehr versucht diese Position, Antidiskriminierungsprinzipien umzu-setzen. Dabei beruft sie sich u. a. auf die Erklärung der Menschenrechte.304

Ansatzpunkte sind nicht mehr die Migrantenfamilien und deren Eigenschaften wie Kultur, Assimilationsbereitschaft und Ressourcen, sondern die hegemoniale Stellung der Mehr-heitskultur im Verhältnis zu den Minderheiten. Untersucht werden die Wirksamkeit von in-stitutioneller Diskriminierung, Aus- und Eingrenzung sowie von latentem oder offenem Rassismus.305 Der Ansatz geht von einer Verschränkung der Macht- und Herrschaftsverhält-nisse und der sozialen Ungleichheit mit biologischen und/oder kulturalistischen Rassen-konstruktionen aus.306 Demzufolge erklären nicht Kulturdifferenzen, sondern Diskriminie-rung in Schule und Gesellschaft die Schwierigkeiten der Migrantenkinder und -jugendlichen.307 Der Ansatz beinhaltet folglich auch die Kritik an der monolingualen, ethnozentrischen Schule und deren monokulturellem Habitus.308

In der Bildungsarbeit werden mit dem Ansatz die aktuellen und historischen Ideologien und Diskurse thematisiert, die Ungleichheiten sowie Macht- und Herrschaftsverhältnisse legiti-mieren.309 In der BRD hat der „Antirassismus“ hauptsächlich zwei Ausrichtungen: zum einen die Alltagsphänomene der so genannten „Ausländerfeindlichkeit“, die sich des Konstrukts der biologische „Rasse“ und neuerdings der „Kultur“ bedienen. Zum anderen ist es die staatliche Unterscheidung zwischen „Inländern“ und „Ausländern“ nach Rechtsstatus, wo-bei „Ausländer“ bezüglich ihrer Rechte (bei der politischen Mitbestimmung, sozialen An-sprüchen, dem Aufenthalt usw.) benachteiligt und sie somit auch im Alltag diskriminierbar macht und auch diskriminiert. Jene würden sich Konzepten des „deutschen Volkes“ bedie-nen, die mindestens anschlussfähig an biologistische Deutungen geblieben sind.310

Der Ansatz der Antirassistischen Pädagogik nimmt zunehmend Einfluss auf Studien zu den Bildungserfolgen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in dieser Arbeit beim Erklärungsan-satz der institutionellen Diskriminierung aufgegriffen. Die Curricula der öffentlichen Schu-len prägt er allerdings (noch?) nicht.

In den letzten Abschnitten wurde deutlich, dass sich die pädagogischen Positionen zum Um-gang mit den Folgen von Migration in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt haben. Auffällig ist dabei, dass sich diese auch in Abhängigkeit vom politischen Umgang mit Migra-tion entwickeln, und dass vor allem die Implementierung der Konzepte im Bildungssystem sehr langsam voranschreitet.

2.2.4 Grundlinien deutscher Schulpolitik im Umgang mit Migration

Dieses Kapitel untergliedert die Untersuchung der grundlegenden Vorgehensweisen deut-scher Schulpolitik im Umgang mit Migration in vier Schwerpunkte. Zunächst wird der Ein-fluss des in der vergleichenden Analyse der Einwanderungspolitik und im historischen Rückblick deutlich gewordenen Selbstbildes der Nation auf die Schulpolitik untersucht. Wie

304 Hormel/Scherr 2005, S. 15305 Flam 2007306 Hormel/Scherr 2005, S. 15307 Flam 2007308 Gogolin 1994, S. 76f.309 Hormel/Scherr 2005, S. 15310 vgl. Bommes/Radtke 1993, S. 488

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äußert sich die Konstruktion einer ethnisch homogenen Abstammungsgemeinschaft im Schulsystem?

Daran schließt sich die Betrachtung von drei Grundlinien deutscher Schulpolitik an. Die ers-ten beiden ergeben sich aus der üblichen Unterscheidung der Zielgruppen in den Grund-satzbeschlüssen der KMK zum Umgang mit Migration. Zum einen betreffen diese Beschlüsse ausländische Schülerinnen und Schüler. Darunter fallen die Kinder von Arbeitsmigrantin-nen und -migranten und die Kinder von Flüchtlingen mit sehr unterschiedlichem rechtli-chen Status. Zum anderen zielen die Beschlüsse auf deutsche Schülerinnen und Schüler. Zu dieser Gruppe zählen in erster Linie (Spät-) Aussiedlerinnen und Aussiedler, aber auch An-gehörige der dänischen und sorbischen Minderheit. Die beiden letztgenannten Gruppen werden in dieser Arbeit wie oben ausgeführt nicht betrachtet, da sie keinen Migrationshin-tergrund aufweisen. Die Unterscheidung wurde in den Grundsatzbeschlüssen der KMK vor-genommen, auch wenn die Staatsbürgerschaft kaum einen Rückschluss auf pädagogisch re-levante Kriterien, wie Sprachkompetenz oder den tatsächlichen Migrationshintergrund, er-laubt. Als dritte Kategorie von Beschlüssen der KMK, die hier als dritte Grundlinie deutscher Schulpolitik im Kapitel 2.2.4.4 betrachtet wird, kommen seit einigen Jahren Fragen der Bil-dung im Rahmen der europäischen Integration und der Globalisierung dazu. Zielgruppe die-ser Beschlüsse sind alle Schülerinnen und Schüler im Schulsystem der BRD.311

2.2.4.1 Die nationale Bildungstradition

Die Vorstellung der deutschen Nation als ethnisch homogene Abstammungsgemeinschaft äußert sich im Schulsystem in einer entsprechenden Vorstellung von „Normalität“, die in einer nationalen Bildungstradition verankert ist. Trotz aller Unterschiede zwischen den Bundesländern ist der bundesdeutsche Bildungsföderalismus durch diese für das deutsche Schulwesen charakteristische Tradition gekennzeichnet.312

Die in der deutschen Schule wirksame Normalitätsvorstellung eines nichtgewanderten, ein-sprachig (deutsch) aufgewachsenen Kindes, das in einer sprachlich und kulturell homoge-nen Gesellschaft sozialisiert wird, ist eng verbunden mit der Entstehung des Nationalstaats, seiner Ideologie sowie der Rolle der nationalstaatlichen Schule bei deren Durchsetzung.313 Die bis heute dominierenden Formen des Umgangs mit sprachlicher, kultureller, nationaler und ethnischer Heterogenität in der Schule wurden ursprünglich entwickelt, als der Natio-nalstaat sprachlich-kulturelle und ethnische Homogenität sowie eine Stärkung der nationa-len Identität (auch) über das Bildungssystem durchsetzen wollte. Die preußische Schulpoli-tik strebte zu dieser Zeit „eine Schule [an], die die eigene Art schützt, nicht aber eine Schu-le, die für fremde Art erobert.“314 Die dauerhafte Beschulung von Bürgerinnen und Bürgern anderer Staaten war historisch nur ausnahmsweise und vorübergehend vorgesehen. In Preußen ging man davon aus, dass „kein Staat ein Interesse daran haben könne, Ausländer zu verpflichten, ihr Wissen im Inlande zu vervollkommnen“315 „Fremdes“ wurde entweder assimiliert oder mit Ausnahme- und Zusatzmaßnahmen ausgegrenzt. In Bezug auf als

311 Krüger-Potratz 2005, S. 62ff.312 vgl. BMBF 2003, S. 76313 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 665f.314 Paul Kaestner, Ministerialdirektor im Preußischen Kultusministerium, 1924 in einer Rede zur neuen preu-

ßischen Schulpolitik gegenüber der dänischen Minderheit, zit. n.: Krüger-Potratz 2005, S. 74315 Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen vom 1. Dezember 1924, zit. n.: Krüger-

Potratz 2005, S. 56

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„fremd“ definierte Migrantenkinder und -jugendliche wirkt diese nationalstaatliche Traditi-on der Assimilation und Ausgrenzung im deutschen Schulwesen fort.316

Im Rahmen des Forschungsprojektes „Folgen der Arbeitsmigration für Bildung und Erzie-hung“ (FABER) der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnten die historischen Wurzeln der Kreierung von „Normalität“ im deutschen Schulwesen seit dem Ende des 18. Jahrhun-derts nachgezeichnet werden. Verwoben mit dem sich im darauf folgenden Jahrhundert fes-tigenden Konzept der deutschen Nation ist die Grundüberzeugung entstanden, dass das öf-fentliche Schulwesen nur monolingual im Deutschen funktionieren könne. Mit mehr als die-ser (einen) Sprache konfrontiert zu werden, würde einem Kind schaden.317 Die Idee einer na-tionalen Bildungseinheit überwölbt das föderativ gestaltete Schulsystem mit seinen Gegen-sätzen seit der Gründung des deutschen Reichs, als die vorhandene Mehrsprachigkeit zu-gunsten einer einheitlichen Sprache in Schule und Verwaltung eingeschränkt werden sollte. Mit der Kopplung der Schulnoten und weiterführenden Abschlüssen an Leistungen im Fach Deutsch, wurden mit den Noten auch berufliche und gesellschaftliche Chancen vergeben – und somit diejenigen in der sozialen Hierarchie nach unten sortiert, die die Anforderungen nicht erfüllten. Bis heute wirken sich diese Überzeugungen in der Praxis des deutschen Schulwesens aus. Die erste belastbare empirische Studie zu den schulischen Erfolgskriterien in westdeutschen Grundschulen von 1967 zeigt, dass diese Tradition auch in der Bundesre-publik fortwirkt: Leistungen im Fach Deutsch gaben den größten Ausschlag für den Schuler-folg. Kinder aus sozial schlechter gestellten Familien hatten hier die größten Schwierigkei-ten.318

Die Reaktion auf die Anwesenheit von Minderheitengruppen im Schulsystem war meist eine Besonderung. Weil die Arbeitsmigration in der Bundesrepublik lange als etwas Vorüberge-hendes angesehen wurde – die „Gastarbeiter“ sollten ja nach einiger Zeit in ihre Heimatlän-der zurückkehren – sah auch die Beschulung deren Kinder eine Besonderung vor. Sie be-stand darin, dass die Maßnahmen explizit an eine Gruppe gerichtet waren, welche sich durch ihre Staatsbürgerschaft von den deutschen Schülerinnen und Schülern unterscheidet. Der Besitz des Passes eines anderen Staates war und ist oft die Voraussetzung für die Teil-nahme am muttersprachlichen Ergänzungsunterricht in der Sprache dieses Landes (welche nicht unbedingt die Familiensprache der Schülerin oder des Schülers sein muss). Zudem existierte eine zeitliche Befristung für diese Maßnahmen, wie beispielsweise im Fall der För-derung von Deutschkenntnissen.319 Die Maßnahmen zur Besonderung verfolgen den doppel-ten Zweck der Befriedigung von Sonderbedürfnissen sowie der Sicherung der Stabilität des als „allgemein“ geltenden Schulsystems, das dann nämlich keine Sonderbedürfnisse in sei-nem Rahmen erfüllen muss.320 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass im bil-dungspolitischen Diskurs die Frage nach den durch Migration veränderten Aufgaben der Schule lange Zeit selten thematisiert wurde.321 Besondere Anforderungen, die durch die Mi-gration für das Bildungssystem entstehen, konnten lange ignoriert werden. Als 1970 bereits

316 ebd., S. 68ff.317 Gogolin, Ingrid (2000): Minderheiten, Migration und Forschung. Ergebnisse des DFG-Schwerpunktprogramms FABER.

in: dies./Nauck, Bernhard (Hrsg.): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung: Resultate des Schwerpunktprogramms FABER. Opladen: Leske + Budrich, S. 15-35, S. 18

318 Kornmann 2006, S. 76319 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 666320 Gogolin, Ingrid/Neumann, Ursula/Reuter, Lutz (2001): Schulbildung für Kinder aus Minderheiten in Deutschland

1989-1999. Münster u.a.: Waxmann, S. 7321 BBA 2001, S. 39

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2,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik lebten, verlor selbst der Strukturplan für das Bildungswesen des Deutschen Bildungsrates kein Wort über deren Kin-der, Ähnliches gilt für den Bildungsgesamtplan 1973 und die bildungspolitische Zwischenbi-lanz 1976.322

Mit einem Aspekt dieser ausgrenzenden Traditionslinie wurde in der Bundesrepublik durch das Einbeziehen der nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen in die Schulpflicht gebrochen. Trotzdem sind die Wirkungen der Traditionslinie bis heute spürbar. Die reguläre deutsche Schule ist trotz der Anwesenheit einer großen Zahl von zugewanderten Schülerinnen und Schülern im Schulsystem nach wie vor auf monokulturell und deutschsprachig monolingual aufgewachsene Kinder eingestellt und damit im Kern unverändert. Maßnahmen für zuge-wanderte Kinder und Jugendliche tragen außerdem weiterhin den Charakter von zusätzli-chen Ausnahmeregelungen, die jederzeit aufgehoben werden können.323

Heute ist die Ausrichtung auf das Ideal der (deutschen) Mittelschichtfamilie mit monokultu-reller Sozialisation und monolingualer (deutscher) Sprachentwicklung eine Ursache für die strukturelle Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund, weil sie deren Le-benswirklichkeit nicht entspricht.324 Die besonderen Sprachfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund werden dabei nicht gewürdigt. Die Mehrsprachig-keit zählt noch nicht zu den Leistungsbereichen, die für die Zuerkennung von Bildungser-folg ausschlaggebend ist.325

Diese traditionellen Reaktionsmuster sind aufgrund der gesellschaftlichen Pluralisierung im Rahmen der Zuwanderung und Europäisierung zunehmend nicht mehr tragfähig326. Demzu-folge nehmen die Forderungen nach „Erziehung zur Mehrsprachigkeit [als] ein Auftrag der Schule“327 zu. Folgerichtig finden die Leitvorstellungen der Interkulturellen Erziehung Ein-gang in die allgemeinen Zielformulierungen im Bildungssystem, und „erkennen läßt sich eine Tendenz der Entkopplung der Ideologie innerer Homogenität der Staatsgesellschaft von den Aufgaben des Bildungswesens.“328

2.2.4.2 Schulpolitik für ausländische Schülerinnen und Schüler

Ab 1955 kamen im Zuge der einsetzenden Arbeitsmigration auch die Kinder der Arbeitsmi-grantinnen und -migranten in die BRD. Der Beginn der bundesdeutschen Schulpolitik für deren Kinder war in der ersten Zeit durch die Nichtbeachtung dieser Gruppe geprägt. Die ausländischen Kinder und Jugendlichen unterlagen in den meisten Bundesländern nicht der Schulpflicht, und selbst in den Bundesländern, wo dies anders war, setzten die Behörden sie nicht immer durch. Ursächlich für das Desinteresse der Schulpolitik an dieser Gruppe war die aus der Einwanderungspolitik resultierende Überzeugung, dass Arbeitsmigrantinnen und -migranten rotieren, also bald wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden.

322 Herwartz-Emden 2003, S. 678323 Krüger-Potratz 2005, S. 75324 Herwartz-Emden 2003, S. 691325 Gogolin 2006, S. 39326 Gogolin/Neumann/Reuter 2001, S. 7327 BBA 2001, S. 39328 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 676

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Bis zum Beschluss der KMK von 1964 – genauer: bis zu dessen Umsetzung in das jeweilige Landesrecht – war die Gruppe zu großen Teilen sich selbst überlassen.329

In dem genannten Beschluss fasste die KMK erste Empfehlungen zum „Unterricht für Kin-der von Ausländern“.330 Mit der Einführung der Schulpflicht für ausländische Kinder (die al-lerdings je nach Aufenthaltsstatus bis heute unterschiedlich in den Ländern umgesetzt wird331) wurde mit der Vorstellung gebrochen, ausländische Kinder und Jugendliche seien in Deutschland nicht zu beschulen.332 Weitere integrative Elemente des Beschlusses waren die erstmalige Aufforderung an die Bundesländer, „den ausländischen Kindern die Eingewöh-nung in die deutsche Schule zu erleichtern“333 und die Orientierung am gemeinsamen Un-terricht deutscher und ausländischer Schülerinnen und Schüler als Regelfall. Zusatzmaß-nahmen für ausländische Schülerinnen und Schüler, vor allem an Grund- und Hauptschulen, wurden mit den Vorbereitungsklassen, dem zusätzlichen Förderunterricht im Deutschen und dem Unterricht in der Amtssprache der Herkunftsländer durch die jeweiligen diploma-tischen Vertretungen benannt. Sonderklassen sollten außerdem dann eingerichtet werden können, wenn die Anteile der ausländischen Schülerinnen und Schüler das erforderten.334

Die 1964 im KMK-Beschluss formulierten Leitgedanken wurden in den Empfehlungen von 1971, 1976 und 1979 ausdifferenziert, aber nicht grundlegend verändert. Die Empfehlung von 1971 ist dabei eher auf Integration ausgerichtet, die Empfehlungen von 1976 und 1979 umfassen sowohl integrative als auch segregative Maßnahmen. Nach 1979 wurden seitens der KMK für die hier betrachtete Zielgruppe nur noch Empfehlungen zu Einzelmaßnahmen herausgegeben.335 Die 1979 beschlossene Vereinbarung der KMK über den „Unterricht für Kinder ausländischer Arbeitnehmer“ schreibt die Doppelzielsetzung von Integrations- und Rückkehrförderung durch die Schulbildung fest. Als Ziele werden genannt: die ausländi-schen Kinder zu befähigen, die deutsche Sprache zu erlernen, und – gekoppelt an die Rück-kehrfähigkeit – ihre Kenntnisse in der Muttersprache zu erhalten und zu erweitern.336 Spä-testens mit der Zulassung besonderer Klassen und sogar Schulen in der Sprache des Her-kunftslandes337 wird deutlich, dass neben dem Ziel der Integration der ausländischen Schü-lerinnen und Schüler in deutsche Regelklassen eindeutige Festlegungen oder ein in sich ge-schlossenes Konzept fehlen. Zudem ist die Erprobung abweichender Formen ausdrücklich gestattet. Den Ländern bleibt also ein weiter Spielraum bei der Umsetzung der genannten Empfehlung. Sie können sich eigenständig zwischen der Zielrichtung der Integration oder dem Erhalt der Rückkehrfähigkeit orientieren.338 In der Umsetzung der KMK-Beschlüsse ten-diert der Freistaat Bayern dabei am extremsten zu den an der Rückkehr orientierten, streng segregativen „Ausländerklassen“. Nordrhein-Westfalen orientiert sich hingegen eher an den integrativen Maßnahmen.339

329 Hansen/Wenning 2003, S. 121f.330 Gomolla 2005, S. 98331 ebd., S. 99332 Krüger-Potratz 2005, S. 56333 zit. n.: Krüger-Potratz 2005, S. 69334 Gomolla 2005, S. 99335 Krüger-Potratz 2005, S. 70336 Avenarius/Heckel 2000, S. 93337 Krüger-Potratz 2005, S. 70338 Avenarius/Heckel 2000, S. 93339 Haubner 2005, S. 33

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Als Fazit lässt sich für die nationale Bildungstradition im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund festhalten: Der Einfluss der politischen Unentschie-denheit in der Bewertung der Arbeitsmigration als vorübergehender oder dauerhafter Auf-enthalt spiegelt sich in der Bildungspolitik für Migrantenkinder besonders deutlich in der unentschiedenen Orientierung an den beiden Polen des Erhalts der Rückkehrfähigkeit bzw. der Integration wider. Trotz der Eingliederungshilfen blieb die deutsche Regelschule getreu der Logik einer „Ausnahme von der Regel“ ansonsten unverändert. Mit der Konzentration der genannten Maßnahmen an den Grund- und Hauptschulen werden die ausländischen Schülerinnen und Schüler beim Aufstieg in die höheren Schulformen außerdem strukturell benachteiligt.340

2.2.4.3 Schulpolitik für (spät-) ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler

Laut Definition der Gruppe der (Spät-) Aussiedlerinnen und Aussiedler – sowohl im Selbst-bild als auch in der offiziellen politischen Grundhaltung – können die (Spät-) Aussiedlerin-nen und Aussiedler keine von der Mehrheit „abweichende“ Minderheit sein. Zunächst ist die Vorstellung vorherrschend, mit den ausgesiedelten Kindern und Jugendliche geselle sich in der Bundesrepublik Gleiches zu Gleichem. Bereits in den 50er und 60er Jahren beschloss die KMK Regelungen zur Anerkennung von Schulabschlüssen der Aussiedler und Aussiedle-rinnen für den Hochschulzugang.341 Der für das Schulsystem relevante umfassende Be-schluss zur „Eingliederung von Berechtigten nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in Schule und Berufsausbildung“ stammt aus dem Jahr 1971 und wurde 1975, 1977 und zuletzt 1997 geändert. Er hat empfehlenden Charakter, die Länder können also davon abweichen. Eine Regelung der Schulpflicht war hier aufgrund der bei dieser Zielgruppe vorhandenen deutschen Staatsbürgerschaft nicht notwendig. Für das erste bis neunte Schuljahr ist die Vorbereitung auf die Eingliederung in Grund- oder weiterführende Schulen durch Förder-unterricht an der Schule oder Unterricht in besonderen Fördereinrichtungen vorgesehen.342 Unterricht in den mitgebrachten Sprachen war nicht vorgesehen, da eine Rückkehroption nicht angestrebt wurde.343

Im Vergleich zu den KMK-Beschlüssen für die ausländischen Kinder und Jugendlichen ori-entieren sich die empfohlenen Maßnahmen für Aussiedlerinnen und Aussiedler deutlich stärker an der tatsächlichen Einwanderung und zielen auf die Integration der Zugewander-ten. Der Wille zur Integration der als „ethnisch Eigenen“ Wahrgenommenen zeigt sich in vielen und frühen Regelungen zur Anerkennung der in den Herkunftsländern erworbenen Bildungsabschlüsse und im Berücksichtigen aller Bildungsstufen vom Kindergarten bis zur Hochschule.344 Anders als bei den ausländischen Schülerinnen und Schülern ist eine indivi-duelle (Schul-) Beratung vorgesehen. Der Besuch der Fördereinrichtungen ist auf maximal ein Jahr begrenzt, wohingegen dieser bei den ausländischen Schülerinnen und Schülern über zwei Jahre vorgesehen ist. Der politische Wille zur Ermöglichung eines Assimilierungs-prozesses, wo dennoch Unterschiede auftreten, findet in den Unterlagen zu den verschiede-nen Eingliederungsmaßnahmen auch seinen sprachlichen Ausdruck. Das gilt etwa für „Deutsch als Zielsprache“ oder für die Beschreibung der Muttersprache als „Sprache des

340 Krüger-Potratz 2005, S. 70341 Hansen/Wenning 2003, S. 138342 Avenarius/Heckel 2000, S. 93f.343 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 674344 Krüger-Potratz 2005, S. 71

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Herkunftslandes“. Bei den ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern ist die Rede von Förder-klassen, bei den ausländischen von Vorbereitungsklassen.345

Unter dem Strich wird in diesen Maßnahmen der politische Wille deutlich, die Aussiedlerin-nen und Aussiedler möglichst schnell in die Gesellschaft zu integrieren. Die Vorstellung des homogenen deutschen Volks, dem die Ausgesiedelten angehören, drückt sich aber auch in der Erwartung der kulturellen Assimilation und in der Entwertung der abweichenden kultu-rellen Prägungen dieser Gruppe aus. Aussiedlerinnen und Aussiedler werden nicht als Grup-pe beachtet, für die besondere Ziele zu verfolgen wären. Alle Regelungen zielen auf eine schnelle Anpassung an die schulischen Normalitätserwartungen. Spezifische Merkmale, wie die jeweilige Sprache und Kultur, werden nicht gewürdigt, eventuelle Rückwanderungswün-sche, vor allem der mitgewanderten Kinder, nicht berücksichtigt.346

Mit zunehmenden Berichten über die Integrationsprobleme der Ausgesiedelten, auch in der Schule, begann diese Vorstellung aber seit Ende der 90er Jahre zu wanken. Oben wurde be-reits die veränderte Zusammensetzung dieser Gruppe beschrieben, in der der Anteil der Fa-milienangehörigen (ohne eigene deutsche Vorfahren) der anerkennungsberechtigten Aus-siedlerinnen und Aussiedlern (mit deutschen Vorfahren) anstieg. Neben diesem Umstand, der die Sicht auf die Gruppe als „zugehörige Deutschstämmige“ veränderte, war vor allem die quantitative Veränderung für eine Umorientierung ausschlaggebend. Während in der Phase der Zuwanderung bis 1986/1987 zwischen 5.000 und 12.000 ausgesiedelte Kinder und Jugendliche als Quereinsteigende jährlich an bundesdeutsche Schulen kamen, waren es ab 1987 zwischen 40.000 und 60.000 pro Jahr. Bis 2003 ging diese Zahl auf ca. 20.000 zurück. Die entwickelten schulischen Handlungsmuster waren durch die wachsende Anzahl der ausge-siedelten Schülerinnen und Schüler nicht mehr praktikabel. Der wichtigste Unterschied der Erlasse der 80er und 90er Jahre im Vergleich zu den vorhergehenden war dann auch, ge-meinsame Vorbereitungsklassen von ausgesiedelten und ausländischen Schülerinnen und Schülern zu erlauben. Das Bildungssystem griff also auf dieses bewährte Handlungsmuster im Umgang mit Migration zurück.347

2.2.4.4 Europäische Integration und Internationalisierung

In den vorangegangen Kapiteln wurde bezüglich der bildungspolitischen Maßnahmen für ausländische Schülerinnen und Schüler, die zunehmend auch auf die Ausgesiedelten ange-wandt werden, festgestellt, dass ein schlüssiges Eingliederungsmodell mit einer klaren Inte-grationsperspektive fehlt. Zudem wurde auch bei den integrativ ausgerichteten Maßnah-men bemängelt, dass sie sich an der kulturellen Assimilation der Zugewanderten orientie-ren.

Mit dem politischen Tabubruch anzuerkennen, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungs-land ist, beginnt sich diese Sichtweise aber langsam zu verändern.348 Zunächst war es über-haupt grundlegend notwendig, den Umgang mit Migration bildungspolitisch zu hinterfra-gen, da die geänderten politischen Vorgaben nun offiziell von einer dauerhaften Anwesen-heit der Zugewanderten ausgingen. 2002 verabschiedete die KMK beispielsweise den zusam-

345 Hansen/Wenning 2003, S. 138ff.346 Hansen/Wenning 2003, S. 139ff.347 Hansen/Wenning 2003, S. 130ff.348 Krüger-Potratz 2005, S. 75

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menfassenden Bericht „Zuwanderung“. Dieser enthielt u. a. eine Auflistung der Handlungs-erfordernisse, um die Bildungserfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshin-tergrund zu erhöhen.349 Außerdem setzte eine Entwicklung weg von den sprachlichen und ethnisch-kulturellen Homogenitätsvorstellungen ein.350 In der Schulpolitik der deutschen Bundesländer ist in den letzten Jahren, verstärkt durch die Betroffenheit bezüglich der Er-gebnisse der PISA-Studie, ein Perspektivwechsel in Hinblick auf die Förderung von Schüle-rinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zu beobachten. Die Schulgesetze und Ver-ordnungen orientieren sich bei der Beschreibung der Zielgruppen für Maßnahmen nicht mehr vornehmlich am rechtlichen Status, sondern vielmehr an pädagogisch relevanten Ge-sichtspunkten wie den sprachlichen Voraussetzungen. Wichtige Punkte der durch die PISA-Studie forcierten Reformbemühungen betreffen zudem Schülerinnen und Schüler mit Mi-grationshintergrund, vor allem die zusätzliche Unterrichtung von „Deutsch als Zweitspra-che“, die Vermittlung der dazu nötigen und allgemein interkultureller Kompetenzen in der Lehramtsausbildung sowie der Ausbau von Ganztagsschulen.351

Seit den 90er Jahren ist außerdem in den bildungspolitischen Maßnahmen zu erkennen, dass die Folgen der Arbeitsmigration insbesondere von europabezogenen Themen und den Auswirkungen der internationalisierten Wirtschaftsbeziehungen überlagert werden. Bei den Beschlüssen der KMK wird dies bei einer Reihe von Empfehlungen zur Umsetzung von EU-Richtlinien, beispielsweise zur gegenseitigen Anerkennung von Abschlüssen, und beim Beschluss „Zur europäischen Dimension im Bildungswesen“ deutlich. Eine herausragende Bedeutung kommt einem KMK-Beschluss aus dem Jahr 1996 zur Interkulturellen Erziehung zu:352 Die Motivation dieses Beschlusses beschreibt mit dem Ziel der Wahrnehmung und Ak-zeptanz von Differenzen einen grundlegenden bildungspolitischen Perspektivwechsel.353 Erstmals ist die kulturell und sprachlich plurale Gesellschaft der Ausgangspunkt bildungs-politischer Überlegungen der KMK. Anstelle der Fokussierung auf ausländische oder ausge-siedelte Kinder und Jugendliche werden die interkulturelle Erziehung aller und die Vermitt-lung interkultureller Kompetenzen als Schlüsselqualifikation für alle Kinder und Jugendli-chen als eine Querschnittsaufgabe der Schule verstanden. Allerdings „verfehlt auch der KMK-Beschluss von 1996 eine systematische kritische und transformatorische Perspektive auf die Schule als Institution und Organisation, auf dem Hintergrund ihrer nationalstaatli-chen Geschichte, unter Gesichtspunkten der Pluralität und Gleichheit.“354 Für die Forderung nach einem Aufgreifen der zur Umsetzung der hehren Ziele notwendigen strukturellen Ver-änderungen des Schulsystems355 ist die KMK allerdings angesichts der Kulturhoheit der Län-der und des in der Konferenz geltenden Konsensprinzips die falsche Ansprechpartnerin.

2.2.5 Bildungspolitik im Umgang mit Migration im internationalen Vergleich

Die Weiterführung des internationalen Vergleichs aus dem Kapitel 2.1.5.2 soll überprüfen, ob die in Frankreich und Kanada festgestellten einwanderungspolitischen Grundsätze auch zu anderen bildungspolitischen Maßnahmen als in Deutschland führen. Wenn dem so ist,

349 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 2350 Gogolin 2000, S. 20351 BBM 2005b, S. 54f.352 Gomolla 2005, S. 102; Krüger-Potratz 2005, S. 72353 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 676354 Gomolla 2005, S. 102355 vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 72f.

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dann weist dies darauf hin, dass die in den vorigen Kapiteln beschriebenen bildungspoliti-schen Positionen und Maßnahmen eine deutsche Besonderheit sind.

Kanada verfolgt als klassisches Einwanderungsland systematisch eine interessengeleitete Einwanderungspolitik, die bei der Selektion der Einwanderungsgruppen auf die vom Ar-beitsmarkt nachgefragten (hohen) Qualifikationen und gute Integrationsaussichten achtet. Zugewanderte Jugendliche unterscheiden sich daher in ihrem Sozialstatus kaum von den Einheimischen. Verbunden damit ist aber in erster Linie eine gezielte Integrations- und Bil-dungspolitik, die die Schulleistungen der Zugewanderten schnell an die der Einheimischen anzugleichen vermag.356 Die pädagogischen Anstrengungen seit den frühen 70er Jahren sol-len dem multikulturellen Gesellschaftsideal einerseits noch größere Akzeptanz bescheren. Andererseits sollen sie dazu beitragen, bei gleichzeitiger (politisch-struktureller) Integrati-on die jeweiligen kulturellen Identitäten der Eingewanderten anzuerkennen und zu unter-stützen. Seit Ende der 80er Jahre nahm die Gesetzgebung Aspekte der Antirassistischen Päd-agogik in die Programme der Interkulturellen Erziehung auf und ging Diskriminierungen im Erziehungssystem selbst mit Affirmative Action-Programmen an. Im Schulsystem wird nach dem Konzept des Inclusive Schooling explizit versucht, die Bedürfnisse aller Teilgruppen glei-chermaßen in allen Bereichen der regulären Praxis – statt über Sondermaßnahmen einzelne Bedürfnisse – zu erfüllen. Dies führte zu einer Ausdifferenzierung der Curricula, die euro-zentrische Betrachtungen vermeiden soll, sowie zu Lehrmethoden, die unterschiedlichsten Lernstilen und Vorerfahrungen entgegenkommen.357 Im Bildungssystem wird neben den Landessprachen als Zweitsprache auch die jeweilige Muttersprache angeboten.358 Im Ver-gleich zur deutschen Bildungspolitik fällt in Kanada also die konsequente Umsetzung der Integrationsbestrebungen auf individueller Ebene bei gleichzeitiger Unterstützung der un-terschiedlichen kulturellen Identitäten auf.

Die schulische Programmatik in Frankreich zielt mit einem egalitären Ansatz darauf ab, kul-turspezifische Unterschiede außer Kraft zu setzen, um die angestrebte Gleichheit aller her-zustellen. Erklärtes Bildungsziel der staatsbürgerlich-politischen Education à la Citoyenneté ist die Erziehung zum Citoyen bzw. zur Citoyenne, die als mündige, aufgeklärte Staatsbürgerin-nen und Staatsbürger von den universalistischen Werten überzeugt sind.359 Fördermaßnah-men im Bildungssystem finden vorrangig auf Französisch statt, muttersprachlicher Unter-richt wird im Sinne der angestrebten Assimilation nicht unterstützt.360 Antirassistische Ele-mente spielen auf der Grundlage der Antidiskriminierungsgesetze seit den 70er Jahren eine wichtige Rolle bei den Unterrichtensinhalten.

Die Bildungspolitik beider Länder kann sich also stringent an einem schlüssigen Konzept orientieren, das sich aus eindeutigen Vorgaben aus der Einwanderungs- und Integrationspo-litik ergibt. Der für die Bundesrepublik Deutschland wesentliche Unterschied zu diesen Län-dern ist hingegen die Unklarheit der deutschen Einwanderungspolitik. Diese ist dafür mit-verantwortlich, dass das deutsche Bildungssystem nur schwerfällig schlüssige Antworten auf die durch Migration entstehenden Herausforderungen findet.361 Weiterhin fällt im Ver-

356 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 171ff.357 Hormel/Scherr 2005, S. 80ff.358 Heinrich-Böll-Stiftung 2004, S. 9f.359 Hormel/Scherr 2005, S. 102ff.360 Heinrich-Böll-Stiftung 2004, S. 9f.361 ebd., S. 9f.

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gleich zu Kanada und Frankreich auf, dass die deutschen Curricula stärker eurozentrisch ausgerichtet und, mit einer impliziten Abwertung des außereuropäischen Erfahrungs- und Wissensstandes verbunden sind. Schulsprache und Kommunikationsstil sind insbesondere im Vergleich zu Kanada stärker auf die nichtgewanderte, gebildete Mittelschicht ausgerich-tet.362 Im Vergleich zur kanadischen Schulpolitik fallen außerdem die Assimilationserwar-tungen in der deutschen Bildungspolitik auf.

2.2.6 Zweites Zwischenfazit: Der Einfluss der Einwanderungs- auf die Bildungspolitik

Ziel des gesamten vorangegangenen Kapitels war es, in den pädagogischen Positionen und Maßnahmen, die in Reaktion auf die Anwesenheit von zugewanderten Kindern und Jugend-lichen im Bildungssystem entwickelt wurden, nachzuweisen, welchen Einfluss die in der Einwanderungspolitik identifizierten Faktoren auf die Gestaltung der Schuleingliederungs-maßnahmen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund haben. Darüber, wie sich dieser Einfluss auswirken könnte, wurden im ersten Zwischenfazit im Kapitel 2.1.6 eini-ge Erwartungen formuliert. Diese werden im Folgenden aufgerufen und mit den Ergebnis-sen der vorangegangenen Kapitel abgeglichen.

Erstens konnte nachgewiesen werden, dass aus der einwanderungspolitischen Formel, Deutschland sei kein Einwanderungsland, zeitweise die bildungspolitische Strategie der Nichtbeachtung resultierte. So unterlagen ausländische Schülerinnen und Schüler bis zur Umsetzung des KMK-Beschlusses von 1964 in vielen Bundesländern nicht der Schulpflicht. Im bildungspolitischen Diskurs konnte weiterhin die Frage nach den durch Migration verän-derten Aufgaben der Schule lange Zeit ignoriert werden, weil die Arbeitsmigration in der Bundesrepublik lange als etwas Vorübergehendes angesehen wurde. Seit dem offiziellen Aufheben des Kein-Einwanderungsland-Dogmas widmet sich die Bildungspolitik verstärkt der schulischen Integration der Zugewanderten. Die in 2.1.6 formulierte erste Erwartung konnte somit bestätigt werden. Durch die Anerkennung der Bundesrepublik als Einwande-rungsland ist dabei eine – wenn auch langsame - Veränderung im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund festzustellen.

Zweitens wurde vermutet, dass sich – bedingt durch die rechtliche Unterscheidung zwischen den bevorzugten deutschstämmigen und den benachteiligten ausländischen Zugewander-ten in der Einwanderungspolitik – auch in der Bildungspolitik eine solche Unterscheidung finden lässt. Was auch meinte, dass die Maßnahmen für die Aussiedlerinnen und Aussiedler integrativer und engagierter gestaltet sind. Diese Vermutung konnte für den Zeitraum bis 1986/1987 zunächst bestätigt werden. Die umfänglichen Beschlüsse zur Eingliederung der Aussiedlerinnen und Aussiedler in dem genannten Zeitraum weisen ein stringentes, auf In-tegration und Assimilation ausgelegtes Konzept auf. Im Vergleich dazu werden die ausländi-schen Schülerinnen und Schüler mit den für sie vorgesehenen Maßnahmen deutlich be-nachteiligt. Allerdings muss die Erwartung für die Zeit ab Ende der 80er Jahre korrigiert werden. Mit der Veränderung der Zusammensetzung der Zuwanderungsgruppe der Ausge-siedelten, in der anteilig zunehmend weniger Deutschstämmige vertreten sind, änderte sich sowohl die einwanderungspolitische als auch die bildungspolitische Sichtweise auf diese Gruppe. Mit der einwanderungspolitischen Wahrnehmung als zunehmend reguläre Zuwan-derungsbewegung von Ausländerinnen und Ausländern und den folgenden Restriktionen

362 Hormel/Scherr 2005, S. 100

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korrespondieren bildungspolitische Maßnahmen, die eine tendenzielle Gleichbehandlung beider Gruppen beinhalten. Dabei wird auf die „bewährten“ Konzepte des Umgangs mit den ausländischen Schülerinnen und Schülern zurückgegriffen.

Drittens wurden als Konsequenz aus der widersprüchlichen einwanderungspolitischen Dop-pelstrategie aus Integrationsbestreben und Rückkehrförderung unentschiedene bildungspo-litische Maßnahmen im Umgang mit den Zugewanderten erwartet. Dies konnte für die Posi-tion der Ausländerpädagogik gezeigt werden, die widersprüchliche Ansätze mit der Orien-tierung an der Integration der Zugewanderten, an deren Rückkehr oder an Integration und Rückkehr entwickelte. Auch die Maßnahmen zur Schuleingliederung der ausländischen Schülerinnen und Schüler in den Beschlüssen der KMK sind zwischen den beiden Polen der Rückkehrorientierung und der Integration in die deutsche Regelschule unentschieden. Ins-besondere der Vergleich mit Frankreich und Kanada machte deutlich, dass sich diese Länder im Unterschied zur Bundesrepublik in ihrer Bildungspolitik an schlüssigen Vorgaben aus der Einwanderungspolitik orientieren können. Dagegen stellte es sich als das Besondere an der deutschen Situation heraus, dass die Unklarheiten der Einwanderungspolitik es der Bil-dungspolitik schwer machen, im Umgang mit den Folgen der Migration stringente Antwor-ten zu finden.

Viertens wurden gegenüber Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund struktu-relle Benachteiligungen und kulturelle Zurückweisung erwartet, die sich aus dem Selbstver-ständnis der inneren Homogenität der Gesellschaft und deren nach ethnisch definierten Merkmalen „richtigen“ Mitglieder ergibt. Sowohl Elemente der strukturellen Benachteili-gung als auch der kulturellen Zurückweisung konnten identifiziert werden. Getrennte Klas-sen und die Konzentration der Eingliederungsmaßnahmen für ausländische Schülerinnen und Schüler an Grund- und Hauptschulen erschweren systematisch den Zugang der Gruppe zu höheren Bildungsgängen und den damit verbundenen Abschlüssen. Eine kulturelle Zu-rückweisung erfuhren die ausgesiedelten Schülerinnen und Schüler, indem ihre – von der auf zügige Assimilation drängenden Normalitätserwartung abweichenden – Sprachen und Kulturen nicht gewürdigt wurden. Ausländische Kinder und Jugendliche traf die kulturelle Zurückweisung vor allem in der Orientierung der Ausländerpädagogik auf ihre zu kompen-sierenden „Defizite“. Als Quelle dieser Überzeugungen konnte eine nationalstaatliche Tradi-tion der Assimilation und Ausgrenzung im deutschen Schulwesen nachgewiesen werden, die an einer monolingualen und monokulturellen Normalitätsvorstellung anknüpft, welche eng mit dem Nationskonzept zusammenhängt. Eine implizite Abwertung außereuropäischer Kulturen durch eurozentristisch ausgerichtete Lehrpläne fiel im Vergleich zu den Curricula in Frankreich und Kanada auf. Damit kann auch diese Erwartung zunächst bestätigt werden. Die Effekte der nationalen Bildungstradition werden aber von der Interkulturellen Erzie-hung und der im Folgenden beschriebenen Entwicklung zunehmend in Frage gestellt und abgelöst.

Fünftens wurde angenommen, dass sich in der Bildungspolitik durch die europäische Inte-gration und die Vorgaben der EU zunehmend integrativere Maßnahmen durchsetzen. Tat-sächlich ist festzustellen, dass sich die zuletzt beschlossenen bildungspolitischen Maßnah-men im Sinne der Interkulturellen Erziehung zunehmend an einer pluralisierten Gesell-schaft orientieren und an alle Schülerinnen und Schüler des Schulsystems gerichtet sind. Sie berufen sich dabei explizit auf die „europäische Dimension“ – und auf das schlechte Ab-

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schneiden bei den internationalen Schulvergleichsstudien, die als zusätzlicher befördernder Einflussfaktor aufgenommen werden können. Weiterhin zeichnet sich eine Entwicklung im Schulsystem weg von der Erwartung der monokulturell und deutschsprachig monolingual aufgewachsenen Zielgruppe ab. Die Entwicklung ist allerdings noch lange nicht abgeschlos-sen, und Maßnahmen der Umgestaltung des Schulsystems hin zu integrativeren Strukturen wurden bislang nicht in Angriff genommen.

Nach der Betrachtung der Reaktionen des Bildungssystems auf Migration und dem Zusam-menhang dieser mit den vorherrschenden einwanderungspolitischen Positionen in der BRD, erfolgt im nachstehenden Kapitel die Untersuchung der Bildungserfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Dabei interessiert vor allem die Frage, welchen Ein-fluss die bildungspolitischen Maßnahmen zur Schuleingliederung auf den Bildungserfolg haben.

2.3 Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund

In diesem Kapitel werden die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshin-tergrund untersucht. Dazu werden sie zunächst im Vergleich zu den Schulerfolgen der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund betrachtet. Darauf aufbauend er-folgt der internationale Vergleich von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshinter-grund. Abschließend werden die hierfür grundlegenden Erklärungsansätze vorgestellt und daraufhin untersucht, ob sie den behaupteten Einfluss der Maßnahmen aus den Schulein-gliederungsmodellen in ihren Erklärungen ausreichend berücksichtigen. Ausgehend von diesen Untersuchungen wird im dritten Zwischenfazit eine Antwort auf die Forschungsfrage III gegeben.

2.3.1 Bildungserfolge von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshinter-grund im Vergleich

Für die Betrachtung der Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter-grund im Vergleich zu den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund werden zunächst die Ergebnisse zentraler Studien zum Vergleich der Schulerfolge deutscher und ausländischer Kinder und Jugendlicher zusammengefasst. Anschließend wird der Besuch ei-nes bestimmten Bildungsganges an den allgemein bildenden Schulen in der gegliederten Se-kundarstufe I (Bildungsbeteiligung) aber auch die hier erreichten Schulabschlüsse betrach-tet. Da die Ergebnisse vieler Untersuchungen eindeutige Erkenntnisse liefern, wird an dieser Stelle nur ein Überblick über zentrale und für diese Arbeit relevante Punkte gegeben.

In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass ausländische Schülerinnen und Schüler gegenüber deutschen benachteiligt sind:

‒ Schülerinnen und Schüler ohne deutsche Staatsangehörigkeit werden häufiger vom Schulbesuch im Schuleintrittsalter zurückgestellt.

‒ Sie müssen häufiger im Grundschulalter Klassenstufen wiederholen.

‒ Sie sind an Schulen für Lernbehinderte deutlich überrepräsentiert.363

363 Kornmann 2006, S. 74

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‒ Sie erhalten im Vergleich häufiger Übergangsempfehlungen für die Hauptschule, sel-tener für die Realschule und das Gymnasium und wechseln entsprechend häufiger nach der Grundschule auf die Hauptschule, seltener auf die Realschule und das Gym-nasium.364

‒ Sie erreichen seltener einen höherwertigen Schulabschluss und verlassen die Schule häufiger ohne jeglichen Abschluss.365

‒ Sie verbringen eine geringere Zahl an Jahren an den Bildungseinrichtungen.

‒ Durch die geringeren Schulerfolge sind sie mit entsprechenden Nachteilen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt konfrontiert, die sich in diesen Bereichen weiter ver-stärken.366

Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund erreichen deutlich geringere Kompe-tenzen in den von PISA und IGLU gemessenen Leistungsbereichen.367

Die Übergänge der ausländischen Kinder von der Grundschule auf die Schularten der Sekun-darstufe I wurden im Sozioökonomischen Panels (SOEP)368 betrachtet. Es zeigte sich, dass sich zwar der Anteil der Übergänge dieser auf die Hauptschule zwischen 1985 und 1995 ver-ringerten und sich die Übergänge auf die Realschule entsprechend steigerten. Allerdings kann dies noch nicht als eine Annäherung an die Bildungsbeteiligung der deutschen Kinder und Jugendlichen verstanden werden. Folgende Darstellung der SOEP-Daten von 1995 illus-triert für die ausländischen und deutschen Jugendlichen im 14. Lebensjahr die Verteilung auf die Schularten:

‒ Die ausländischen Jugendlichen besuchten zu 54,9 Prozent eine Hauptschule, dort wa-ren 31,2 Prozent der deutschen Jugendlichen vertreten.

‒ Deutsche Jugendliche besuchten zu 21,3 Prozent und damit häufiger eine Realschule als ausländische Jugendliche, von denen dort 15,9 Prozent vertreten waren.

‒ Für deutsche Jugendliche war das Gymnasium mit einem Anteil von 32,5 Prozent we-sentlich wichtiger als für ausländische Jugendliche, von denen nur 12,9 Prozent ein Gymnasium besuchten.

‒ Die Gesamtschule war für ausländische Jugendliche zahlenmäßig etwas wichtiger als für deutsche. (Die geringen Zahlen für die 14-Jährigen ließen keine signifikante Dar-stellung zu. Von den 14- bis 17-Jährigen gingen 6,6 der Deutschen und 7,2 Prozent der Ausländerinnen und Ausländer auf eine Gesamtschule.)369

364 Diefenbach 2004a, S. 229365 Kornmann 2006, S. 74366 Herwartz-Emden 2003, S. 693367 Diefenbach 2004a, S. 229368 Das Sozioökonomische Panel (SOEP) wird als Befragung einer für die Bevölkerung repräsentativen Längs-

schnittstichprobe seit 1984 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführt. Es bein-haltet ökonomische, erwerbsbiografische und soziale Indikatoren für Deutsche und die 1984 fünf größten Einwanderungsminderheiten mit türkischer, jugoslawischer, italienischer, griechischer und spanischer Herkunft, die in der Stichprobe überrepräsentiert sind.

369 Diefenbach, Heike (2002): Bildungsbeteiligung und Berufseinmündung von Kindern und Jugendlichen aus Migran-tenfamilien. Eine Fortschreibung der Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP). in: Sachverständigenkommissi-on 11. Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.): Band 5: Migration und die europäische Integration. Herausforde-rungen für die Kinder- und Jugendhilfe. Deutsches Jugendinstitut, S. 9-70, S. 18ff.

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Der im Vergleich zu den deutschen Jugendlichen grundlegende Unterschied in der Betrach-tung der Bildungsbeteiligung nach Schulformen ist also, dass die ausländischen Schülerin-nen und Schüler wesentlich seltener das Gymnasium und häufiger die Hauptschule besu-chen.

Die Daten der PISA-Studien erlauben auch für die Bildungsbeteiligung eine differenziertere Betrachtung dieser in Abhängigkeit vom Migrationsstatus. In Tabelle 2 und in der Abbildung4 ist die Bildungsbeteiligung der in der BRD beschulten Kinder und Jugendlichen nach der PISA-I Studie von 2003 nach Migrationsstatus dargestellt.

SchulformMigrationsstatus

ohne Migrations-hintergrund

ein Elternteil im Ausland geboren

„erste Generation“

zugewanderteFamilien

Hauptschule 19,2 22,4 43,9 33,2

Gesamtschule 10,2 11,2 12,3 7,9

Realschule 33,5 33,9 26,8 38,9

Gymnasium 34,6 27,9 12,4 16,4

Andere 2,5 4,6 4,6 3,6

100 100 100 100

Tabelle 2: Bildungsbeteiligung nach Migrationsstatus (in Prozent), Quelle: Ramm u.a. 2004, S. 267

Abbildung 4: Bildungsbeteiligung nach Migrationsstatus (in Prozent), Quelle: Ramm u.a. 2004, S. 267, ei-gene Darstellung

ohne Migrati-onshintergrund

ein Elternteil im Ausland gebo-ren

erste Genera-tion

zugewanderte Familien

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Bildungsbeteiligung nach Migrationsstatus in der Stichprobe von PISA-I 2003

Andere

Gymnasium

RealschuleIntegrierte Ge-samtschule

Hauptschule

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Daraus geht hervor, dass alle drei Gruppen mit einem Migrationshintergrund gegenüber den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund eine ungünstigere Verteilung auf die Schularten aufweisen. Die Unterschiede zwischen den drei Gruppen sind jedoch beachtlich. Während die Jugendlichen der „ersten Generation“ eine starke Konzentration an der Haupt-schule und nur geringe Anteile am Gymnasium aufweisen, ist dieser Effekt bei den Jugendli-chen aus zugewanderten Familien etwas abgeschwächt. Die Jugendlichen, die mit ihren Fa-milien nach Deutschland zugewandert sind, weisen also eine günstigere Bildungsbeteiligung auf als Jugendliche, deren Eltern im Ausland, sie selbst aber in Deutschland geboren wurden und die ihre gesamte Schulkarriere in der BRD verbracht haben. (Für die Begründung dieses auf den ersten Blick überraschenden Befunds wird auf das folgende Kapitel verwiesen.) Die Bildungsbeteiligung der Jugendlichen, von denen ein Elternteil im Ausland geboren wurde, ist am ehesten der von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ähnlich.

Aus der ungünstigeren Bildungsbeteiligung ergeben sich erwartungsgemäß auch niedrigere Abschlüsse der ausländischen im Vergleich zu den deutschen Schülerinnen und Schülern. Die Analyse der SOEP-Daten zu den zwischen 1985 und 1995 erreichten Schulabschlüssen al-ler 1995 maximal 25-Jährigen ergab:

‒ 57,9 Prozent der ausländischen gegenüber 26,9 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler erreichten einen Hauptschulabschluss.

‒ Einen Realschulabschluss erreichten 23,9 Prozent der ausländischen und 40,3 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler.

‒ Das Abitur erreichten 9,6 Prozent der Ausländerinnen und Ausländer und 23,9 Pro-zent der Deutschen.370

Bezüglich der erreichten Abschlüsse ist im zeitlichen Verlauf eine leichte Angleichung der ausländischen Schülerinnen und Schüler an die der Deutschen festzustellen. Dennoch bleibt eine große Differenz bestehen. Dies betrifft auch diejenigen Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Im Jahr 1990 waren das 6,3 Prozent der Deut-schen und 21,8 Prozent der Ausländerinnen und Ausländer. Zehn Jahre später verließen mit 8,3 Prozent etwas mehr Deutsche und mit 19,9 Prozent etwas weniger Ausländerinnen und Ausländer die Schule ohne Abschluss. Der Unterschied blieb beachtlich.371

In diesem Kapitel wurde deutlich, dass sich Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrati-onshintergrund bezüglich ihrer Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolges gravierend unterscheiden. Dabei sind die ausländischen Schülerinnen und Schüler wesentlich weniger erfolgreich als die deutschen.

2.3.2 Internationaler Vergleich der Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migra-tionshintergrund

Der internationale Vergleich der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund ist durch die internationalen Schulleistungsstudien sehr bekannt geworden. Dieses Kapitel be-zieht sich auf einige wichtige Ergebnisse der PISA- und IGLU-Studien. Dabei werden mit

370 ebd., S. 32f.371 Herwartz-Emden 2003, S. 687

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Frankreich und Kanada auch besonders die Länder betrachtet, die in den vorigen Kapiteln für den Vergleich der Einwanderungs- und Bildungspolitik herangezogen wurden.

Die Ergebnisse der PISA- und IGLU-Studien haben deutlich gemacht, dass die Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in der BRD – auch im Vergleich zu anderen Staaten mit ähnlichen Rahmenbedingungen – zurückbleiben. Die IGLU-Studie stellt in Hinblick auf die Leistungen der Viertklässlerinnen und Viertklässler Folgendes fest:

„In Deutschland ist die Differenz im Leseverständnis von Kindern, deren Eltern beide in Deutschland bzw. beide im Ausland geboren wurden, mit mehr als einer halben Standardabweichung groß. Kein anderes Land weist eine signifikant grö-ßere Differenz als Deutschland auf.“372

Im Vergleich mit den noch höheren Leistungsabständen der Jugendlichen mit und ohne Mi-grationshintergrund bei den PISA-Studien kann vermutet werden, dass diese in der Sekun-darstufe im Vergleich zur Grundschule noch zunehmen.373

Die internationale PISA-Studie des Jahres 2003 verglich die Schulleistungen der Jugendli-chen nach Migrationsstatus in 13 Staaten, wobei diese jeweils einen Anteil von über zehn Prozent von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund aufwiesen. Diese Staa-ten waren die Niederlande, Kanada, Belgien, die Schweiz, Australien, Neuseeland, Frank-reich, Schweden, Österreich, Deutschland, Norwegen, Luxemburg und die Vereinigten Staa-ten. Zum Vergleich wurden die Leistungen der nach Migrationsstatus definierten Gruppen jeweils der Gesamtstichprobe des Landes gegenübergestellt:

‒ Zunächst wurde festgestellt, dass Jugendliche ohne Migrationshintergrund in all die-sen Ländern gleich gute oder bessere Mathematikleistungen374 im Vergleich zur Ge-samtstichprobe erzielen. In keinem anderen der zwölf untersuchten Länder ist die Differenz allerdings so groß wie in Deutschland, wo sie 24 Kompetenzpunkte beträgt. Dies sagt weniger über die Leistungen der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund aus als über das schlechte Abschneiden der Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

‒ Weiterhin erzielen in den meisten Ländern Jugendliche mit einem im Ausland gebo-renen Elternteil Ergebnisse, die denen der Gesamtstichprobe sehr ähnlich sind - so auch in Deutschland. In Ländern mit einer gesteuerten Einwanderungspolitik liegt das Kompetenzniveau dieser Jugendlichen sogar höher als das der Gesamtstichprobe, am deutlichsten in Neuseeland mit signifikanten 19 Kompetenzpunkten.

‒ Jugendliche der „ersten Generation“, die also die gesamte Schulzeit im untersuchten Land verbracht haben, erreichen in fast allen Staaten niedrigere Testleistungen als die Gesamtstichprobe. Ausgenommen sind mit Australien und Kanada wiederum Län-der mit einer gesteuerten Einwanderungspolitik. Deutschland weist mit 71 Punkten die größte Differenz auf. Diese entspricht in etwa dem Kompetenzzuwachs von zwei Schuljahren.

‒ Jugendliche aus zugewanderten Familien erreichen nur in Ländern, die Einwande-rung kriteriengeleitet steuern, ähnliche Kompetenzniveaus wie die Gesamtstichpro-

372 Schwippert/Bos/Lankes 2003, S. 297373 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 17374 Die Untersuchung der Mathematikleistungen war der Schwerpunkt der Studie im Jahr 2003.

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be. Sonst ist der Abstand teils erheblich. In Deutschland entspricht er mit 49 Punkten in etwa dem Kompetenzzuwachs von einem Schuljahr.375

In den meisten untersuchten Ländern ist der Leistungsabstand von Jugendlichen aus zuge-wanderten Familien zur Gesamtstichprobe größer als der von Jugendlichen der „ersten Ge-neration“, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass sie mit Sprache und Kultur des „Gast-landes“376 aufgewachsen sind. Nur in Neuseeland und Deutschland erreichen Jugendliche der ersten Generation geringere Testleistungen als Jugendliche aus zugewanderten Famili-en. Für Neuseeland ist dabei festzustellen, dass – vermutlich aufgrund der Einwanderung überwiegend gut ausgebildeter Personen – die Zugewanderten das Kompetenzniveau der Gesamtstichprobe erreichen.377 Dem ist in Deutschland wie bereits dargestellt nicht so. Hier drückt sich der Unterschied dadurch aus, dass die Jugendlichen der „ersten Generation“ noch schlechtere Leistungen erreichen als die Zugewanderten. Die Autorinnen und Autoren der PISA-Studie stellen dazu fest, dass die unter den zugewanderten Jugendlichen überpro-portional vertretenen (Spät-) Aussiedlerinnen und Aussiedler bessere Leistungen erreichen als die Kinder von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten.378

Mehrere Verweise auf unterschiedliche Zusammensetzungen der Gruppen mit Migrations-hintergrund aufgrund einer an hohen Qualifikationen orientierten Einwanderungspolitik einiger Länder legen nahe, dass die Aussagekraft des gerade angeführten Vergleichs be-grenzt ist. Damit der Vergleich haltbar und aussagekräftig ist, müssten die unterschiedli-chen historischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen einbezogen werden.

Die zitierte PISA-Studie führt daher einen weiteren Vergleich auf, der diesen Anforderun-gen gerecht werden soll. Für Deutschland, Österreich und die Schweiz wurden die gleicher-maßen eingereisten Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien betrachtet.379 In diesen drei Ländern leben von beiden Gruppen so-wohl im Land geborene wie auch zugewanderte Jugendliche. Es werden also vier Gruppen des Migrationshintergrundes nach Herkunft und Status unterschieden. Der Vergleich ergab:

‒ In allen drei betrachteten Staaten ist ein für die Jugendlichen mit Migrationshinter-grund benachteiligender Abstand der durchschnittlichen mathematischen Kompetenz zwischen den Gruppen gegenüber der Gesamtstichprobe zu beobachten.

‒ Nur die in Deutschland geborenen Jugendlichen mit Eltern aus dem ehemaligen Jugo-slawien kommen auf das Kompetenzniveau ihrer Vergleichsgruppe in der Schweiz und übertreffen ihre Vergleichsgruppe in Österreich um 15 Punkte.

‒ Für die anderen drei Gruppen gilt: Ihre Leistungen bleiben deutlich (zwischen 22 und 34 Punkten) unten denen der Vergleichsgruppen in der Schweiz und Österreich.

Weil in den betrachteten Staaten der HISEI der jeweiligen Gruppe auf etwa gleich hohem Ni-veau liegt, können die Unterschiede nicht durch die sozioökonomische Lage erklärt werden. Es ist also zu folgern, dass es dem deutschen Bildungssystem deutlich schlechter gelingt, die

375 Ramm u.a. 2004, S. 257f.376 Dieser Begriff findet sich überraschend in: ebd., S. 258.377 ebd., S. 258f.378 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 172379 Die Fallzahlen, die den im Folgenden aufgeführten Ergebnissen zugrunde lagen, sind teilweise sehr gering,

so dass die Belastbarkeit des Vergleichs eingeschränkt ist.

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Begabungen dieser Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu fördern und sie gemäß die-sen an den Bildungserfolgen zu beteiligen.380

Oben wurden Kanada und Frankreich für den internationalen Vergleich der Einwanderungs- und Bildungspolitiken mit Deutschland herangezogen. Daher interessiert auch, wie diese Länder bezüglich der Schulleistungen Jugendlicher mit Migrationshintergrund abschnei-den. Aussagen über die Auswirkungen der Orientierungen in der Einwanderungs- und Bil-dungspolitik auf den Schulerfolg der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind an dieser Stelle ohne die Berücksichtigung weiterer Faktoren, die die Zuwanderungs-gruppen in den Ländern beschreiben, aber nur begrenzt möglich.

Im Vergleich der Testleistungen aus PISA-I 2000 weist Kanada die mit Abstand besten Leis-tungen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auf.381 Zwischen Jugendli-chen ohne Migrationshintergrund382 und Jugendlichen der „ersten Generation“ sind kaum Leistungsunterschiede festzustellen. Zugewanderte Jugendliche erreichen trotz des Leis-tungsabstands zur Gesamtstichprobe im internationalen Vergleich die besten Leistungen. Diese liegen gleichauf mit denen deutscher Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshin-tergrund. In Frankreich, wo die Leistungen der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund etwa denen der entsprechenden deutschen Vergleichsgruppe entsprechen, ist der Leis-tungsabstand der Zugewanderten zu den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund hinge-gen fast so groß wie in Deutschland und größer als im OECD-Schnitt. Der Leistungsabstand der „ersten Generation“ ist nur halb so groß wie in Deutschland, liegt aber nur unwesent-lich unter dem OECD-Gesamtdurchschnitt. Das französische Bildungssystem ist demnach zwar erfolgreicher als das deutsche, wenn die Leistungen der Jugendlichen mit Migrations-hintergrund betrachtet werden, die im jeweiligen Land geboren wurden. Für die Leistungen der zugewanderten Jugendlichen gilt das allerdings nicht. Die Outputs des französischen und des deutschen Bildungssystems werden außerdem von den Leistungen der kanadischen Jugendlichen mit verschiedenen Migrationshintergründen in den Schatten gestellt.383 In den letzten Jahren steht die französische Integrationspolitik auf dem Prüfstand, weil die auf Gleichheit zielenden Vorhaben immer deutlicher scheitern. Im schulischen Bereich gilt das vor allem für die räumliche Segregation der Zugewanderten und die Konzentration zuge-wanderter Schülerinnen und Schüler in bestimmten Schulen mit einem geringen Sozial-prestige.384

Als Ergebnis dieses Kapitels lässt sich festhalten, dass in Deutschland die schulische Förde-rung von Schülerinnen und Schülern wesentlich schlechter gelingt als in den meisten ande-ren Ländern. Im internationalen Vergleich fällt insbesondere das schlechte Abschneiden der Jugendlichen der „ersten Generation“ auf.

380 Ramm u.a. 2004, S. 268381 vgl. BMBF 2003, S. 198ff.382 In der zitierten Studie werden Jugendlichen mit einem im Ausland geborenen Elternteil und Jugendliche

ohne Migrationshintergrund zusammen als „Gruppe 1“ betrachtet. Sie werden hier als Jugendliche ohne Migrationshintergrund bezeichnet.

383 ebd., S. 198f.384 Hormel/Scherr 2005, S. 102ff.

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2.3.3 Erklärungsansätze für die Misserfolge

Im Folgenden werden die in der Literatur angeführten Ansätze zur Erklärung der Bildungs-(miss)erfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund daraufhin unter-sucht, inwiefern sie sich auf Systemmerkmale berufen, die im Zusammenhang mit der Schul- und Einwanderungspolitik stehen. Es wird allgemein zwischen zwei Gruppen von Er-klärungsansätzen unterschieden. Während die erste Gruppe die Ursachen für das schlechte-re Abschneiden der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in deren Merk-malen verortet, sucht die zweite Gruppe die Gründe in den Rahmenbedingungen des Schul-systems. Zunächst werden in den beiden folgenden Kapiteln zwei Ansätze aus der ersten Gruppe dargestellt und kritisch betrachtet. Danach wird aus der zweiten Gruppen der An-satz der „institutionellen Diskriminierung“ vorgestellt und anschließend die strukturellen Wirkungen des gegliederten deutschen Schulwesens diskutiert.

Die ungleiche Verteilung der Bildungschancen zwischen einheimischen und zugewanderten Schülerinnen und Schülern sind der deutschen Bildungsforschung bereits seit Jahrzehnten bekannt. Bis in die 90er Jahre hinein wurden sie vorwiegend mit Faktoren auf Seiten der Be-troffenen selbst erklärt. Verschiedene Studien vermuteten, dass die Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in angeblich persönlichen, famili-ären und kulturellen Defiziten begründet ist. Dazu gehört in erster Linie neben den man-gelnden Kenntnissen der deutschen Sprache auch die ökonomische Schlechterstellung ihrer Familien.385 Die meisten dieser Erklärungen sind allerdings empirisch nicht gut geprüft und bestätigt.386

Mit der Konzentration auf die Behauptung von Defiziten auf der Seite der Migrantinnen und Migranten hat sich die Forschung auf stereotype, diskriminierende Zuschreibungen ge-stützt. Gleichzeitig wurde mit dem begrenzten Erkenntnishorizont auch der Spielraum zur Verbesserung eingeschränkt.387 Erst in den letzten Jahren verschiebt sich der Fokus einiger Studien auf die Institutionen des Bildungssystems, deren institutionelle Vereinbarungen und deren organisatorisches Handeln untersucht werden.388 Auch der übergeordnete Kon-text der Bildungspolitik und der Schulorganisation sowie die gesamte Lebenslage der Schü-lerinnen und Schüler, beispielsweise deren Aufenthaltsstatus, werden erst seit einigen Jah-ren in die Theoriebildung einbezogen.389 In den neueren Studien zeichnet sich als Tendenz ab, dass die Erklärungsversuche über die individuellen, familiären oder kulturellen Merk-male der Migrantinnen und Migranten als „überschätzt“ bezeichnet werden.390

2.3.3.1 Kulturell-defizitäre Erklärung

Dieser Ansatz geht von einer „Normalausstattung“ aus, die in Bildungsinstitutionen von de-ren Zielgruppe erwartet wird. Im Vergleich zu dieser hätten Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Biografie und den damit verbundenen kulturellen

385 Hunger, Uwe (2001): Bildungspolitik und „institutionalisierte Diskriminierung“ auf Ebene der Bundesländer. Ein Ver-gleich zwischen Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. in: Akgün, Lale/Thränhardt, Diet-rich (Hrsg.): Integrationspolitik in föderalistischen Systemen. Jahrbuch Migration 2000/2001. Münster u.a.: Lit, S. 119-137, S. 120

386 Diefenbach 2004a, S. 242f.387 Kornmann 2006, S. 75388 Hunger 2001, S. 119ff.389 Kornmann 2006, S. 75390 Diefenbach 2004a, S. 243f.

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Erfahrungen unterschiedliche „Defizite“ in ihren Verhaltensweisen, Kenntnissen, Fähigkei-ten und Fertigkeiten. Beispielsweise wird für türkische Migrantinnen und Migranten ver-mutet, sie würden eine traditionelle Haltung gegenüber dem Lernen als Auswendiglernen und gegenüber dem Lehrpersonal als unbedingte Autorität übernehmen, die im deutschen Schulsystem hinderlich wäre.391

Mit dieser Diagnose wird die Forderung verbunden, die Schülerinnen und Schüler mit Mi-grationshintergrund müssten sich aus den „defizitbehafteten“ Kulturen ihrer Eltern „be-freien“ und an die Anforderungen des deutschen Bildungssystems anpassen. Dabei sollten die kompensatorischen Maßnahmen der Ausländerpädagogik helfen.392

Überzeugende empirische Belege für diesen Ansatz stehen allerdings aus. Insbesondere wird er dadurch in Frage gestellt, dass neben den türkischen vor allem die italienischen Kin-der und Jugendlichen – denen eine größere kulturelle Nähe zur nichtgewanderten deut-schen Bevölkerung unterstellt wird – besonders schlecht im Schulsystem abschneiden. Au-ßerdem wäre nach dem kulturell-defizitären Ansatz zu erwarten, dass sich in Deutschland geborene und aufgewachsene Migrantinnen und Migranten in ihren Bildungserfolgen an die Einheimischen angleichen, weil ihre Sozialisation stärker von der deutschen Kultur beein-flusst ist. Das ist jedoch nicht der Fall.393 Die Ergebnisse der PISA-Studien sind ebenfalls nicht geeignet, diesen Ansatz zu bestätigen. Sie betonen, dass im deutschen Schulsystem das Ni-veau der Sprachbeherrschung im Deutschen der entscheidende Faktor für den Schulerfolg ist und weniger die „kulturelle Distanz“ der Familie.394

2.3.3.2 Sozioökonomische Erklärung

Familien mit Migrationshintergrund sind in der deutschen Gesellschaft bei den Familien mit niedrigem Einkommen deutlich überrepräsentiert. Ausländerinnen und Ausländer sind doppelt so häufig wie Deutsche von Arbeitslosigkeit und wesentlich häufiger von Armut und prekären Lebenslagen betroffen.395 Da im deutschen Schulsystem bekanntlich ein großer Zu-sammenhang zwischen dem sozioökonomischem Status einer Familie und dem Bildungser-folg ihrer Kinder besteht, ist deswegen zweifelsohne ein Teil der Unterschiede im Schulerfolg der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund auf diese Unterschiede im sozioöko-nomischen Status zurückzuführen.396 Einige Studien, die nach diesem Ansatz vorgehen, be-haupten aber, „scheinbar ethnisch bedingte Benachteiligungen [lassen sich] auf Unterschie-de in der Ressourcenausstattung von Familien und das daraus resultierende Bildungsverhal-ten zurückführen“397 und streiten damit über die sozioökonomischen Nachteile hinausge-hende Benachteiligungen ab. Diese Behauptung soll im Folgenden widerlegt werden.

Theoretisch bezieht sich dieses Erklärungsmodell auf die Ressourcentheorie zur Erklärung ungleicher Bildungschancen sowie die unterschiedliche Ausstattung der Gruppen mit sozia-lem und kulturellem Kapital. Die Bildungsmisserfolge der Kinder zugewanderter Familien

391 ebd., S. 231392 ebd., S. 232393 ebd., S. 233394 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 139395 Hamburger 2005, S. 16f.396 vgl. Ramm, Gesa u.a. (2005): Soziokulturelle Herkunft und Migration im Ländervergleich. in: Prenzel, Manfred u.a.

(Hrsg.): PISA 2003. Der zweite Vergleich der Länder in Deutschland – Was wissen und können Jugendliche? Münster u.a.: Waxmann, S. 269-298, S. 270

397 Bade/Bommes 2004, S. 19

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hängen dabei von der geringeren Ressourcenausstattung dieser Familien und den daraus folgenden eingeschränkten Investitionsmöglichkeiten ab. Als Indikatoren für die Ressour-cenausstattung spielen familiäre Ressourcen wie der Bildungsabschluss der Eltern und de-ren berufliche Stellung die zentrale Rolle.398 Weiterhin wird die Kinderzahl als Indikator be-trachtet, weil kinderreiche Familien ihre verfügbaren Ressourcen auch auf mehr Kinder auf-teilen müssen.399

Die empirische Überprüfung anhand der Daten des SOEP ergab bei ausländischen Familien (und nicht bei den deutschen Familien) zwar einen Zusammenhang zwischen Kinderzahl und Bildungsbeteiligung der Kinder. Allerdings ist im Unterschied zu den deutschen Famili-en bei den ausländischen nur ein sehr geringer, nicht erklärungsmächtiger Zusammenhang zwischen der Bildungsbeteiligung der Kinder und dem Haushaltseinkommen sowie zwi-schen der Bildungsbeteiligung der Kinder und dem Bildungsniveau der Eltern festgestellt worden.400 Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die sozioökonomischen Faktoren die Unterschiede in den Schulerfolgen der ausländischen Kinder und Jugendlichen nur bedingt erklären können, und dass darin ein Unterschied zwischen ausländischen und deutschen Fa-milien besteht – bei Letzteren besteht ein erheblicher Einfluss dieser Faktoren auf die Bil-dungsbeteiligung.401

Eine diesem Ansatz verwandte Annahme betont die in Migrationssituationen verfügbaren Handlungsstrategien und geht davon aus, dass zugewanderte Familien ohne feste Bleibeab-sicht, weniger Wert auf einen höheren Schulabschluss für ihre Kinder legen würden. Dies wird damit begründet, dass dieser nach der Rückkehr in ihr Heimatland formal entwertet wäre. Stattdessen würden sie für ihre Kinder eine möglichst kurze Bildungslaufbahn bevor-zugen, damit diese zeitiger zum Familieneinkommen beitragen können. Auch diese Annah-me konnte anhand der Daten des SOEP empirisch nicht belegt werden. Die Rückkehrabsicht der Eltern stand in keinem Zusammenhang zur Platzierung der Kinder im Schulsystem.402 Unabhängig von der Herkunft der Eltern – und übrigens auch unabhängig vom Geschlecht der Kinder – ließen sich bei Ausländerinnen und Ausländern hohe Erwartungen an die Bil-dungserfolge ihrer Kinder und eine hohe Bereitschaft, sie dabei zu unterstützen, erken-nen.403 Die Betrachtung der Bildungsaspiration von Schülerinnen und Schüler mit Migrati-onshintergrund unterstreicht diesen Befund. Sowohl Zugewanderte als auch die Jugendli-chen der ersten Generation zeigen beim gleichen Bildungsgang und gleichen Testleistungen sogar eine höhere Bildungsaspiration als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshinter-grund.404 Dies kann als eine bislang ungenutzte Reserve gedeutet werden, nicht aber als Mo-tivation für Handlungsstrategien gemäß der oben vorgestellten Annahme des Interesses an einer möglichst kurzen Bildungslaufbahn.

Die sozioökonomische Erklärung reicht also nicht aus um die schulischen Misserfolge von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erklären. Sie verweist auf überge-

398 vgl. Kristen, Cornelia/Granato, Nadine (2004): Bildungsinvestitionen in Migrantenfamilien. in: IMIS-Beiträge, Heft 23, Jg. 2004, Osnabrück: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Uni-versität Osnabrück, S. 123-141

399 Diefenbach 2004a, S. 234f.400 ebd., S. 234f.401 Diefenbach 2002, S. 55f.402 Diefenbach 2004a, S. 236403 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 18404 Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 177

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ordnete Einflüsse der Strukturen und Selektionsprozesse des Schulsystems, die allerdings in Ansätzen, welche ihren Fokus lediglich auf die Migrantenfamilien richten, aufgrund des ein-geschränkten Erkenntnishorizonts nicht beleuchtet werden. Es ist „geradezu naiv“405, den sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilien als starke oder alleinig erklärende Varia-ble des geringeren Bildungserfolgs von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshinter-grund anzunehmen. Denn jede Einschätzung des Kindes und damit jede Selektionsunter-scheidung durch Schulärztinnen und -ärzte, Gutachterinnen und Gutachter, Lehrerinnen und Lehrer erfolgt vor dem Hintergrund der Kenntnis des sozioökonomischen Status und den damit verbundenen, die Erfolgsaussichten des Kindes betreffenden Zuschreibungen und Alltagstheorien.406 Die IGLU-Studie stellte beispielsweise fest, dass die schulische Benotung nicht nur von der tatsächlichen Leistung abhängt und regional sehr unterschiedlich, son-dern auch nach ethnisch-kulturellen Bevölkerungsgruppen differenziert erfolgt.407 Neuere Studien408 zeigen Mechanismen der institutionellen Diskriminierung, in denen deutlich wird, „dass ethnische und sozialschichtenspezifische Benachteiligungen und Ausgrenzun-gen fließend ineinander übergehen; dass sich ethnische Diskriminierung jedoch nicht auf Probleme der sozio-ökonomischen Marginalisierung reduzieren lässt.“409 Vielmehr bilden Zuschreibungen gegenüber dem Familienstatus und daraus abgeleitete Prognosen über die Bildungschancen, die in Interaktionen zwischen Verantwortungsträgerinnen und -träger im Schulsystem und den Migrantenfamilien wirksam werden, eine Legitimationsgrundlage für benachteiligende Entscheidungen.410 Dieser Mechanismus wird im Ansatz der „institutionel-len Diskriminierung“ im Folgenden beschrieben.

2.3.3.3 Der Ansatz der „institutionellen Diskriminierung“

Dieser Ansatz stammt ursprünglich aus der soziologischen Forschung der 60er Jahre in den USA, später in Großbritannien, wo er stärker als in Deutschland mit der politischen Ausein-andersetzung um Rassismus und Sexismus verbunden ist. Diskriminierungen werden dabei als Ergebnisse sozialer Prozesse betrachtet, deren Ursachen im organisatorischen Handeln gesellschaftlicher Institutionen, so auch der Schulen, liegen.411 Das als routinierte Praktiken in die informelle Alltagskultur eingebettete organisatorische Handeln drückt sich demnach darin aus, „dass in sozialen Institutionen Mechanismen der Bestrafung und Belohnung in unterschiedlicher Weise auf verschiedene soziale Gruppen angewendet werden und es in der Folge zu einer ungleichen Verteilung von sozialen Gütern auf die verschiedenen Grup-pen kommt.“412 Zur Identifikation der verschiedenen sozialen Gruppen und zur Legitimation der getroffenen Entscheidungen wird auch dann auf askriptive Kriterien, beispielsweise auf die ethnische und/oder soziale Herkunft zurückgegriffen, wenn der Kontext eigentlich nur

405 Diefenbach 2004a, S. 243, Fußnote 11406 ebd., S. 243f.407 zit. n.: Radtke, Frank Olaf (2004): Die Illusion der meritokratischen Schule. Lokale Konstellationen der Produktion

von Ungleichheit im Erziehungssystem. in: IMIS-Beiträge, Heft 23, Jg. 2004, Osnabrück: Institut für Migrations-forschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück, S. 143-178, S. 149f.

408 einführend: ebd.409 Gomolla, Mechtild (2006): Fördern und Fordern allein genügt nicht! Mechanismen institutioneller Diskriminierung

von Migrantenkindern und -jugendlichen im deutschen Schulsystem. in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 87-102, S. 96

410 vgl. Hamburger 2005, S. 18f.411 Gomolla 2006, S. 88f.412 Hunger 2001, S. 119

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leistungsbezogene Kriterien erlaubt. Organisatorische Entscheidungspraktiken stehen dabei im Zusammenhang mit breiteren sozialen Prozessen, weil verschiedene – im Falle der Schu-le: pädagogische und alltagsweltliche – Deutungsmuster es nahe legen, diese Kriterien zu nutzen.413

Es wird zwischen direkter und indirekter institutioneller Diskriminierung unterschieden. Die direkte Form beschreibt regelmäßige, intentionale Praktiken der Andersbehandlung. Da-bei ist es für deren Wirksamkeit gleich, ob diese formalisiert geregelt oder – als „unge-schriebenes Gesetz“ - informell abgesichert sind.414 Wenn beispielsweise Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund prinzipiell in spezielle Vorbereitungsklassen verwiesen werden, die nur an Hauptschulen bestehen, wird eine direkte Form institutioneller Diskri-minierung wirksam, weil dieser Personengruppe der Übergang in höhere Schulformen er-schwert wird.415

Die indirekte Form bezeichnet dagegen alle Mechanismen, die eine Gruppe überproportio-nal benachteiligen, weil auf alle die gleichen Regeln angewendet werden.416 Die Diskriminie-rung ist dann nicht unbedingt intendiert, ergibt sich aber aus den unterschiedlichen Vor-aussetzungen und ungleich verteilten Chancen der Gruppen, die – neutral gedachten – Leis-tungskriterien zu erfüllen. Wenn beispielsweise die für alle geltenden Regeln im Schulsys-tem auf der Konstruktion einer sprachlich und kulturell homogenen deutschen Schule beru-hen, dann werden mehrsprachige Schülerinnen und Schüler mit einem Migrationshinter-grund benachteiligt.417

Der Ansatz wurde im Rahmen des bereits erwähnten Forschungsprojektes FABER418 erstmals in größerem Rahmen auf die Schulerfolge in- und ausländischer Schülerinnen und Schüler im deutschen Schulsystem angewandt. Die Studie konnte empirisch belegen, dass Migran-tenkinder durch organisatorisches Handeln der Schule in untere Positionen im Schulsystem verwiesen werden.419 Mechanismen institutioneller Diskriminierung werden gegenüber Kin-dern mit Migrationshintergrund dabei an den Übergangsstellen im Schulsystem wirksam:

1. bei der Einschulung im Rahmen der Schulfähigkeitsprüfung,

2. beim Verfahren zur Umschulung auf eine Sonderschule für Lernbehinderte, meist in der dritten Klasse, und

3. beim Übergang von der Grundschule auf die Zweige der Sekundarschulen nach der vierten Klasse.420

413 Gomolla 2006, S. 89f.414 ebd., S. 90415 Hunger 2001, S. 121416 Gomolla 2006, S. 90417 Gomolla, Mechtild/Radtke, Frank-Olaf (2000): Mechanismen institutionalisierter Diskriminierung in der Schule. in:

Gogolin, Ingrid/Nauck, Bernhard (Hrsg.): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung: Resul-tate des Schwerpunktprogramms FABER. Opladen: Leske + Budrich, S. 321-341, S. 331

418 Von 1991 bis 1996 wurde am Zentrum für Lehrerbildung der Universität Bielefeld das Projekt „Institutio-nalisierte Diskriminierung – Untersuchungen zur Herstellung ethnischer Differenz in der Schule“ durch-geführt. Untersuchungsgegenstände waren Gutachten und empirisch qualitative Interviews mit Lehrer(inne)n, Schulleiter(inne)n und Repräsentant(inn)en der Schulbehörden der Stadt Bielefeld. (vgl. Gomolla, Mechtild/Radtke, Frank-Olaf [2002]: Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Opladen: Leske + Budrich)

419 Hunger 2001, S. 121420 Gomolla 2006, S. 88ff., vgl. Radtke 2004, S. 156, der die Frage der (Nicht-) Versetzung nach der zweiten

Klasse als vierte Entscheidungsstelle nennt

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Beim Einschulungstest ist eine Form direkter Diskriminierung dann zu beobachten, wenn Kinder mit Migrationshintergrund zum Deutschlernen in den Schulkindergarten verwiesen werden, obwohl dieser nicht für diese Aufgabe vorgesehen ist und auch in den meisten Fäl-len nicht die notwendigen Ressourcen zur Verfügung hat.421 Eine Vielzahl von Zuschreibun-gen aus kulturalistischen Begründungsmustern werden dabei von den Entscheidungsträge-rinnen und -trägern in die diagnostischen Praktiken eingebracht: Mit „fehlenden Kinder-gartenzeiten“ wurden etwa „südländisches hitziges Temperament“ (erklärt durch Sozialisa-tionsmängel mangels Kindergartenbesuch) oder „fehlende Integrationswilligkeit“ (die zeige sich am Nichtbesuch des deutschen Kindergartens) verbunden.422

Der Verweis ausländischer Kinder in den Sonderschulbereich erfolgt auf Grundlage von vor-geschriebenen Gutachten, welche besonders zur Legitimation der (für die Kinder) negativen Selektionsentscheidung als Begründungen notwendig sind. Die Auswertung qualitativer Einzel- und Gruppeninterviews mit Gutachterinnen und Gutachtern wie auch die verglei-chende Analyse von Gutachten für deutsche und ausländische Kinder ergab typische Argu-mentationsmuster für die Umschulung in die Sonderschule. Die befragten Personen bedien-ten sich der im Alltagsverständnis, aber auch in der Bildungspolitik und der Ausländerpäd-agogik vorhandenen Zuschreibungen gegenüber ausländischen Kindern und legitimierten damit verschiedene Formen direkter oder indirekter Diskriminierung.423 Auch hier drehten sich die Diskriminierungsmechanismen um die Deutschkenntnisse der Kinder. Dabei wur-den sogar administrative Regelungen zum Schutz vor einer ungerechtfertigten Überwei-sung an Sonderschulen aufgrund von fehlenden Deutschkenntnissen übergangen. Bevor eine Lernbehinderung diagnostiziert werden darf, müsste eigentlich eine Sprachstandsfe-stellung in der Muttersprache erfolgen. Mit den mangelnden Deutschkenntnissen wurden Zuschreibungen über die Herkunftskulturen verbunden, legitime Widersprüche der Eltern wurden etwa als „Kulturkonflikt“ (weil die Eltern uneinsichtig in schulische Empfehlungen seien) entwertet. Deutlich wurde in der Untersuchung außerdem, dass die Strategien die Regelschule von „überalterten Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern“ entlasten sollte.424

Auch bei ansonsten guten Schulnoten diente die Feststellung sprachlicher Defizite im Deut-schen beim Übergang auf die Sekundarstufe der Legitimation von Überweisungen auf die Hauptschule. Diese Entscheidungen wurden mit den mangelnden Möglichkeiten der höhe-ren Schulformen bzw. den vorhandenen Angeboten der Hauptschulen zur Sprachförderung plausibilisiert.425

Zusammengenommen sind diese Mechanismen an den entscheidenden Weichenstellungen im Schulsystem – alle an der Grundschule – für Kinder mit Migrationshintergrund eine ganz erhebliche Hürde auf dem Weg zu höheren Schulabschlüssen. Für die Trägerinnen und Trä-ger der schulischen Inklusions- und Exklusionsentscheidungen geben Abweichungen von Normalitätsvorstellungen von der Schülerrolle den Ausschlag, die über bloße leistungsbezo-gene Kriterien hinausgehen, und die Kinder mit Migrationshintergrund nicht ebenso erfül-len können wie ihre einheimischen Mitschülerinnen und Mitschüler. Zu dieser „Normalität“ gehört v. a. die Beherrschung des Deutschen in der Form der Unterrichtssprache, die sich an

421 Gomolla 2006, S. 91422 alle Interviewzitate: zit. n.: ebd., S. 92423 Kornmann 2006, S. 77424 alle Interviewzitate: zit. n.: Gomolla 2006, S. 93425 ebd., S. 94

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der deutschen Mittelschicht orientiert. Es umfasst aber auch die soziale Integration, die Mit-arbeit der Eltern in der Schule sowie die Erwartung, dass die Kinder in den jeweiligen Klas-sen nicht mit besonderen Bedürfnissen stören.426

Herausragende Motivation für die Normalitätserwartungen ist das traditionelle Streben nach leistungshomogenen Klassen, auf die die gesamte Unterrichtsdidaktik eingestellt ist. In einer Reihe von Entscheidungen werden diejenigen nach unten „aussortiert“, die die an-gestrebte Homogenität gefährden und damit den Aufwand für die Schule vergrößern könn-ten.427

Institutionelle Diskriminierung ist allerdings an Opportunität gebunden. Darunter wird die „institutionelle Gelegenheit, bestimmte Entscheidungen überhaupt treffen, realisieren und begründen zu können“428, verstanden. Das schulische Personal kann nur dann Selektions-entscheidungen treffen, wenn die Strukturen des Schulsystems es erlauben, Schülerinnen und Schüler nach bestimmten Kriterien zu trennen. Nur dann kann die diagnostische Auf-merksamkeit auf die Feststellung von im Rahmen der Regelschule nicht behebbaren Defizi-ten der Kinder konzentriert werden, statt die Bildungseinrichtung in den Dienst der best-möglichen individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler zu stellen. Wenn sich die Regelschule so von ihren „Problemen“ entlasten kann, ist sie nicht gezwungen, selbst An-strengungen zur Problemlösung zu unternehmen.429

Diese Feststellung verweist auf die Strukturen des mehrgliedrigen deutschen Schulsystems und deren Auswirkungen auf die Bildungs(miss)erfolge von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die im nächsten Kapitel betrachtet werden.

2.3.3.4 Strukturelle Nachteile des mehrgliedrigen Schulsystems

Die hier untersuchte Frage nach den Ursachen der Bildungsmisserfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund steht auch im Zusammenhang mit der auf Auslese orientierten Struktur des deutschen Schulsystems. Es werden im Folgenden einige Argu-mente genannt, die für ein integratives und gegen ein gegliedertes Schulwesen in der Bundesre-publik sprechen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Auswirkungen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.

Gegen das gegliederte deutsche Schulsystem sprechen im Vergleich zu einem integrativen Schulsystem u. a. folgende Argumente:

1. Die Vorstellung einer leistungs„gerechten“ Zuweisung in die Bildungsgänge der Se-kundarstufe ist eine Illusion, wie die IGLU-Studie nachweisen konnte. Aus den gemes-senen Testleistungen konnte weder auf die Schulnote noch auf die erteilte Übergangs-empfehlung für den Sekundarschulbereich geschlossen werden.430

2. Die Zuordnung zu einer Schulform hat eine nach Sozialschicht differenzierende Wir-kung, welche Angehörige unterer sozialer Schichten massiv benachteiligt: Ein Effekt

426 ebd., S. 95427 Radtke 2004, S. 157f.428 ebd., S. 157429 vgl. Kornmann 2006, S. 78430 Auernheimer, Georg (2006): Einleitung. in: ders. (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteili-

gung der Migrantenkinder. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis-senschaften, S. 7-20, S. 10

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der frühen institutionellen Trennung nach verschiedenen Bildungsgängen ist die so-ziale Segregation der Schülerinnen und Schüler.431 Die Struktur des mehrgliedrigen Schulsystems reproduziert die sozialen Ungleichheiten nicht nur, sondern macht die-se für die Schülerinnen und Schüler als selbstverständliche Alltagsrealität erfahrbar.

3. Die Zuweisung in die unteren Bildungsgänge ist gleichzeitig eine in ein anregungsär-meres Milieu.432 Die gravierenden Leistungsunterschiede zu den leistungsstärksten Schülerinnen und Schülern ergeben sich auch aus den unterschiedlich anregungsrei-chen Milieus in den Bildungsgängen.433 Geringere Erwartungen des Lehrpersonals in den unteren Bildungsgängen tragen zu diesem Lernklima bei. Jugendliche mit Migrati-onshintergrund sind davon besonders betroffen, weil von einer Überweisung an nie-dere Bildungsgänge bei ihnen übermäßig häufig Gebrauch gemacht wird. Gleiches gilt für die Zuordnung auf die Sonderschulen.434

In der Bundesrepublik wird – außer in Berlin und Brandenburg, die eine sechsjährige Grundschule haben – bereits nach der vierjährigen Grundschule selektiert. Auch wenn ein Vergleich zwischen den Ergebnissen der IGLU- und PISA-Studien aus methodi-schen Gründen (aufgrund der Unterschiede in der Auswahl der Stichproben und Fra-gen, in den Stichproben selbst, bei den teilnehmenden Staaten usw.) nicht direkt mög-lich ist, bauen beide bei der Konstruktion der Testfragen zu Leseleistungen auf dem Konzept der reading literacy auf, sodass sich die relativen Positionen der Testleistungen von Staaten vergleichen lassen, die an beiden Studien teilgenommen haben. Dabei ist bemerkenswert, dass die für Deutschland typische Leistungsspreizung entlang sozialer und migrationsspezifischer Disparitäten nach der Grundschule erheblich zunimmt.435

4. Interkulturelle pädagogische Konzepte sind dann schwer oder gar nicht realisierbar, wenn die Schülerinnen und Schüler nach sozialer und ethnischer Herkunft auf ver-schiedene Schultypen verteilt sind.436

5. Die jüngeren Schulleistungsvergleiche haben nachgewiesen, dass die im gegliederten Schulwesen angestrebte und angenommene Leistungshomogenität innerhalb der ein-zelnen Glieder ebenfalls eine Illusion ist. Damit entfällt eine wichtige Legitimations-grundlage für die frühe vertikale Gliederung des Schulsystems.

6. Die Leistungsvergleiche entziehen dem gegliederten Schulwesen eine weitere Legiti-mationsgrundlage, indem sie nachweisen können, dass in integrierten Schulsystemen auch die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler besser abschneiden als die Ver-gleichsgruppe in Deutschland.437

431 Hovestadt, Gertrud/Klemm, Klaus (2002): Schulleistungen in Deutschland: Internationales Mittelmaß und inner-deutsche Leistungsspreizung. in: Rolff, Hans-Günter u.a. (Hrsg.): Jahrbuch der Schulentwicklung, Band 12. Da-ten, Beispiele und Perspektiven. Weinheim und München: Juventa, S. 51-74, S. 60

432 ebd., S. 60433 Gogolin 2006, S. 47434 Auernheimer 2006, S. 8ff.435 Schwippert, Knut (2004): Ergebnisse der Iglu-Studie mit Blick auf die Befunde von PISA. in: Beauftragte der Bun-

desregierung für Migration, Fĺüchtlinge und Integration: Förderung von Migrantinnen und Migranten in der Sekundarstufe I. Fachtagung am 3. Dezember 2003 in Berlin. Dokumentation, Berlin, Bonn: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, S. 18-30, S. 22f.; BBM 2005b, S. 49

436 Hormel/Scherr 2005, S. 11437 Ratzki, Anne (2006): Skandinavische Bildungssysteme – Schule in Deutschland. Ein provokanter Vergleich. in: Auern-

heimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 2., über-arbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 23-31, S. 24

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Für ein integratives Schulsystem sprechen zusätzlich u. a. folgende Argumente:

1. Die spätere Trennung der Bildungsgänge gibt mehr Zeit, mit gezielten Interventionen ungünstige Startvoraussetzungen auszugleichen, bevor weit reichende Entscheidun-gen wie beispielsweise über den angestrebten Schulabschluss und über die bestehen-den Zukunftschancen fallen. Für die Schülerinnen und Schüler betrifft das vor allem Fördermaßnahmen mit Bezug auf die Förderung der deutschen Sprache. Wird bereits nach vier Jahren selektiert, steht dafür ein denkbar kurzer Zeitraum zur Verfügung.

2. Mit der Annahme einer heterogenen Schülerschaft müssen sich Unterrichtsdidaktik und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer konsequenter von der Illusion der ho-mogenen Schülerschaft verabschieden und stärker auf eine individuelle Förderung einstellen.438 Die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund bringen zu-sätzliche Heterogenität in die deutschen Schulen. Der Hauptunterschied zwischen ge-gliederten und integrativen Schulsystemen ist aber – neben der äußeren Struktur – die Herangehensweise an Heterogenität. Gegliederte Schulsysteme gehen davon aus, dass sie weitgehend beseitigt werden kann, indem Schülerinnen und Schüler nach Schulleistung getrennt auf verschiedene Glieder verwiesen werden. Von diesen Glie-dern wird dann allgemein angenommen, dass sie weitgehend leistungshomogen seien. Integrative Systeme wollen hingegen Mechanismen finden, die Heterogenität nutzbar zu machen.

3. Im Ergebnis gelingt es den integrativen Systemen im internationalen Vergleich besser (aber nicht vollständig) als dem gegliederten deutschen Schulsystem, die Kopplung zwischen familiärer Herkunft und Bildungserfolg aufzuheben.439 Der Vergleich von Schülerinnen und Schüler mit ähnlicher Migrationsgeschichte ergibt im internationa-len Vergleich ebenfalls bessere Ergebnisse in integrativeren Systemen, die bessere Un-terstützungsmechanismen aufweisen.440

4. Auch in Deutschland gilt: Ausländische Schülerinnen und Schüler erreichen auf inte-grierten Gesamtschulen im Vergleich zu den ausländischen Schülerinnen und Schü-lern auf Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien höhere Abschlüsse und gehen sel-tener ohne Abschluss von der Schule. Die Vorzüge dieser Schulen scheinen sich also für ausländische Schülerinnen und Schüler besonders auszuwirken.441

Mit den Nachteilen des mehrgliedrigen Schulsystems ist einerseits ein Aspekt angespro-chen, der mit Blick auf Verbesserungsmöglichkeiten sehr interessant ist. Er wäre schließlich mit bildungspolitischen Maßnahmen direkt veränderbar. Andererseits wird damit auch das bildungspolitische Tabu der Bundesrepublik benannt. Die gesellschaftlichen Interessen, die der bildungspolitischen Entscheidung für ein gegliedertes Schulsystem zugrunde liegen442, haben es auch nach dem hervorragenden Abschneiden von Ländern mit integrierten Schul-systemen bei den PISA-Studien nicht erlaubt, ernsthaft am gegliederten System zu rütteln.

438 Auernheimer 2006, S. 12439 Gogolin 2006, S. 48440 Krüger-Potratz 2005, S. 67441 Diefenbach 2004a, S. 238442 vgl. Kornmann 2006, S. 76

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2.3.4 Drittes Zwischenfazit: Der Einfluss von Einwanderungs- und Bildungspolitik auf die Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund

In den vorangegangenen Kapiteln wurde zunächst dargelegt, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Vergleich zu den Kindern und Jugendlichen ohne Migrati-onshintergrund wesentlich geringere Schulerfolge erreichen. In Deutschland sind die Leis-tungsunterschiede dieser Gruppen darüber hinaus so ausgeprägt wie in kaum einem ande-ren Land. Der Leistungsabstand zu den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshinter-grund lässt sich teilweise mit der sozioökonomischen Situation der Familien mit Migrations-hintergrund erklären. Darüber hinaus können aber weitere Benachteiligungen festgestellt werden. Der Erklärungsansatz der institutionellen Diskriminierung und die dargelegten Er-gebnisse der empirischen Überprüfung dieses Erklärungsansatzes sind geeignet, den schuli-schen Misserfolg von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund über sozioöko-nomisch bedingte Benachteiligung hinaus zu erklären. Wie bereits in 2.1 und 2.2. gezeigt wurde, wird die Gestaltung des Schulsystems nachhaltig von der Einwanderungs- und Bil-dungspolitik bestimmt. Hierdurch wird also auch der Einfluss des einwanderungspolitischen und bildungspolitischen Umgangs mit dieser Gruppe in Verbindung mit den Schulerfolgen deutlich.

Eine direkte Form der institutionellen Diskriminierung findet sich in der Umsetzung der von der KMK beschlossenen Empfehlung für ausländische Schülerinnen und Schüler, indem die Vorbereitungsklassen vorwiegend an den Hauptschulen konzentriert werden. Dadurch wird diesen Schülerinnen und Schülern der Übergang in höhere Schulformen erschwert. Die weiteren eingesetzten bildungspolitischen und pädagogischen Konzepte, wie das Konzept der „Rückkehrorientierung“ mit den entsprechenden Maßnahmen wie der Bildungssprache des Herkunftslandes, an Privatschulen mit eigener pädagogischer Ausrichtung und an „Aus-länderklassen“ beschulten Jugendlichen, führten ebenfalls nicht dazu, dass die ausländi-schen Schülerinnen und Schüler mit den Schulerfolgen der deutschen Schülerinnen und Schüler konkurrieren.443

Formen der institutionellen Diskriminierung sind in die informelle Alltagskultur der Institu-tion Schule eingebettet, die aus pädagogischen und alltagsweltlichen Zusammenhängen Deutungsmuster entnehmen, an denen sie ihr Handeln orientieren. Über diesen Weg wer-den Überzeugungen aus dem einwanderungspolitischen und aus dem bildungspolitischen Diskurs zum Umgang mit Migration wirksam.

Insbesondere die Begründungsmuster der Ausländerpädagogik, die zwar in der Fachdiskus-sion, nicht aber in den Alltagsüberzeugungen überwunden ist, bieten den Entscheidungsträ-gerinnen und Entscheidungsträgern einen Orientierungsrahmen. Dabei führt das der Aus-länderpädagogik eigene, starre Verständnis von „Kultur“ dazu, dass die „deutsche Kultur“ als homogen imaginiert wird. Differenzen zu dieser Vorstellung – vor allem bei den Kennt-nissen der deutschen Sprache – werden als übergreifende Defizite interpretiert, die Benach-teiligungen rechtfertigen. Die erwähnte qualitative Bielefelder Studie konnte nachweisen, dass Entscheidungsträgerinnen und -träger eine als ungenügend erachtete Leistung in der deutschen Sprache oftmals synonym verstehen mit einer ungenügenden Anpassung an die „deutsche Kultur“. Auch hier werden Überzeugungen aus der Ausländerpädagogik deutlich:

443 Hansen/Wenning 2003, S. 126

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Der defizitorientierte Blick auf die „Fremden“ erlaubt es den pädagogischen Verantwortli-chen, sich von einer eigenen Anpassungsleistung freizustellen.444

Die Konzentration der Legitimierungsmuster für institutionelle Diskriminierung auf Defizi-te in der deutschen Sprache und auf davon abgeleitete kulturelle „Defizite“ weist auf die Orientierung an der im Kapitel 2.2.4.1 besprochenen Traditionslinie der deutschen Schule hin. Diese nationale Bildungstradition und ihre Normalitätserwartung, die sich an einem monolingual und monokulturell aufgewachsenen Kind orientiert, bedingt Formen der indi-rekten institutionellen Diskriminierung, wenn an die Migrantenkinder dieselben Erwartun-gen herangetragen werden, die sie aber wegen ihrer davon abweichenden Lebenswirklich-keit nicht so wie die einheimischen Kinder erfüllen können. Die aus der Position der Auslän-derpädagogik entwickelte Orientierung an „Integration“ der ausländischen Kinder und Ju-gendlichen – verstanden als Assimilation an die Erwartungshaltung der deutschen Schule – beachtete keine Abweichungen von dieser Erwartung und führte daher zu Misserfolgen im Bildungssystem.445

Zudem sind diese Positionen der Ausländerpädagogik anschlussfähig an verschiedene ab-wertende Diskurse aus der Einwanderungspolitik, wie beispielsweise für die Feindlichkeit gegenüber dem Islam, die damit im schulischen Alltag diskriminierend wirksam werden können. Ebenfalls in der Bielefelder Studie wurden Annahmen der Gutachterinnen und Gut-achter bei Sonderschulüberweisungen aufgedeckt: Die Interviewten schlossen vom islami-schen Hintergrund der Familien oder dem Besuch der Koranschule auf einen ungünstigen kulturellen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler, die alle Förderanstrengungen der Schule ins Leere laufen ließen.446

444 Gomolla 2006, S. 93ff.445 Hansen/Wenning 2003, S. 127446 Gomolla 2006, S. 93ff.

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3 Einwanderungspolitik, Bildungspolitik und Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in ausgewählten Bundesländern

In diesem Kapitel wird der im Kapitel 2 dargestellte Zusammenhang auf seine Wirksamkeit in den vier Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen überprüft. Die Gliederung in drei inhaltliche Schwerpunkte gestaltet sich analog zum vorangegangenen Kapitel nach der Einwanderungspolitik, der Reaktion des Schulsys-tems auf Migration und die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshin-tergrund.

Die Untersuchung der Einwanderungspolitik konzentriert sich auf die Einbürgerungspolitik der betrachteten Länder und will mit deren Analyse auf die Ausrichtung der Einwande-rungs- und Integrationspolitik schließen. Im folgenden Schwerpunkt werden aufbauend auf der Betrachtung der Besonderheiten der Schulsysteme und den in den Bundesländern un-terschiedlich vertretenen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund die Schu-leingliederungsmodelle für diese untersucht. Abschließend werden die Schulerfolge der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund nach verschiedenen Kriterien unter-sucht und mögliche Erklärungen für deren Unterschiede diskutiert.

Die drei Schwerpunkte werden wiederum analog dem Vorgehen im zweiten Kapitel mit der Beantwortung der Forschungsfragen IV bis VI abgeschlossen.

3.1 Einwanderungspolitik der Bundesländer

Für dieses Kapitel interessiert mit der Forschungsfrage IV die Ausrichtung der Einwande-rungspolitik in den Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfa-len und Sachsen. Dabei muss zunächst der Frage nachgegangen werden, ob die Bundeslän-der überhaupt eigenständige einwanderungspolitische Positionen erkennen lassen, und ob sie über genügend politische Handlungsmöglichkeiten verfügen, diese wirksam werden zu lassen. Dies soll anhand der Einbürgerungspolitik, einem Kernelement der Einwanderungs- und Integrationspolitik, geschehen, die auf ihre integrative oder segregative Orientierung untersucht wird.

Im Bereich der in dieser Arbeit interessierenden Politikbereiche der Schul-, Einwanderungs- und Integrationspolitik weist das Grundgesetz den bundesdeutschen Ländern im Rahmen des föderalistischen Staatsaufbaus ein weitestgehend autonomes Handeln bei der gesamten Schulpolitik als Teil der Kulturhoheit, bei bestimmten Polizeimaßnahmen wie der „Schleier-fahndung“ und bei institutionellen Einrichtungen wie Ausländerbeiräten oder Ausländerbe-auftragten zu. Weiterhin liegt die Implementationshoheit von Bundesgesetzen bei den Län-derverwaltungen, die so beispielsweise Einbürgerungen und Aufenthaltsbestimmungen um-setzen. Der Einfluss der Länder beschränkt sich hier auf den Personaleinsatz und das Ver-waltungsklima. Bei der Gesetzgebung des Bundes wirken die Länder über den Bundesrat bei so genannten zustimmungspflichtigen Gesetzen mit. Weiterhin bleiben den Ländern in der öffentlichen Auseinandersetzung Mittel von Protest und symbolischer Politik.447 Der damali-ge hessische Oppositionsführer hat für letztere mit der Unterschriftenkampagne gegen die Einführung der Doppelten Staatsbürgerschaft im Landtagswahlkampf 1999 ein glänzendes Beispiel dafür gegeben, wie erfolgreich diese sein können.

447 Thränhardt 2001, S. 31

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Weiterhin wurde im Kapitel 1.3.1 ausgeführt, dass eine wesentliche Motivation zur Auswahl der untersuchten Länder als Vergleichsobjekte deren unterschiedliche parteipolitische Do-minanz war. In Baden-Württemberg und Sachsen, also den beiden südlicheren Ländern, ist die CDU die eindeutig dominierende Partei, in der Geschichte der beiden nördlicheren Län-der Brandenburg und Nordrhein-Westfalen gestaltete dagegen die SPD maßgeblich die Lan-despolitik. An dieser Stelle wird untersucht, ob die parteipolitischen Überzeugungen zu un-terschiedlichen Zielsetzung in der Einwanderungspolitik der Länder geführt haben. Dabei geht es um die Frage nach den angestrebten Integrationsverhältnissen der Zugewanderten. Wieviel Inklusion wird angestrebt, wieviel Exklusion wird für opportun gehalten?

In den Ländern der Bundesrepublik finden sich kontinuierlich stark unterschiedliche Ein-bürgerungsraten, die durch große Differenzen in der Zieldefinition der Einbürgerungspoli-tik bedingt sind. So wird diese teilweise – vor allem in Berlin – als mögliches Integrations-mittel verstanden. Insbesondere in Bayern werden Einbürgerungen als „notwendiges Übel [verstanden], das nun einmal gesetzlich vorgeschrieben ist, in Wirklichkeit aber nur die Volksgemeinschaft auflöst und zerstört.“448 Das Feld der Einbürgerungspolitik lässt also auch für die hier untersuchten Bundesländer Unterschiede erwarten. Es bietet sich außer-dem die Untersuchung der Inklusion von „Fremden“ in die Bürgerinnen- und Bürgerrechte für die Analyse der einwanderungs- und integrationspolitischen Zielsetzungen an.

3.1.1 Die Einbürgerungspolitik der Bundesländer

In den verschiedenen Ländern der Bundesrepublik finden sich kontinuierlich stark unter-schiedliche Einbürgerungsraten. Unter der Einbürgerungsrate eines Bundeslandes wird da-bei der prozentuale Anteil der bis zum 31.12. eines Jahres im Bundesland Eingebürgerten an der Anzahl der am 1.1. desselben Jahres im Bundesland wohnhaften Ausländerinnen und Ausländer verstanden. Der Befund der verschieden hohen Einbürgerungsraten ist zunächst überraschend, schließlich ist das Staatsangehörigkeitsgesetz von Bundestag und Bundesrat bundeseinheitlich beschlossen, zudem existiert eine bundeseinheitliche Allgemeine Verwal-tungsvorschrift für die Umsetzung.449

Unterschiedlich hohe Einbürgerungsraten können trotzdem aufgrund verschiedener Grün-de zustande kommen. Die Allgemeine Verwaltungsrichtlinie weist einige dehnbare Formu-lierungen und Ermessensspielräume auf, deren Entstehung den divergierenden Auffassun-gen in der politischen Kompromissfindung geschuldet ist. So bleibt den Verwaltungen der Bundesländer, denen die Implementation im Rahmen der geltenden Gesetze obliegt, einiger Gestaltungsspielraum. Dieser betrifft etwa die Durchführung von Sprachtests, die Hinnahme von Mehrstaatigkeit oder die so genannte „Regelanfrage“ beim Verfassungsschutz. Von den hier untersuchten Ländern stellen Baden-Württemberg und Sachsen diese Anfrage bei jeder Einbürgerung, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg nur in begründeten Einzelfällen.450 Ein unterschiedlicher Personaleinsatz, Ausdruck der politischen Prioritätensetzung, kann für stark unterschiedlich lange Wartezeiten sorgen. Schließlich wird das Verwaltungsklima gegenüber den Antragstellerinnen und Antragstellern wirksam. Diese werden bei der An-tragstellung durch die Verwaltung (i.d.R. die kommunalen Ausländerbehörden) über das

448 Bultmann, Peter Friedrich (1999): Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht. Berlin: Duncker & Humblot, S. 202

449 Hagedorn 2001b, S. 151ff.450 ebd., S. 151ff.

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Verfahren und seine Kosten informiert, bei geringen Erfolgsaussichten wird von der Antrag-stellung abgeraten. Insbesondere weil die Kosten in Höhe von mehreren Hundert Euro auch bei Ablehnung des Antrags anfallen, folgen viele Bewerberinnen und Bewerber dieser Emp-fehlung. Weil es dann nicht zu einem offiziellen Verwaltungsverfahren kommt, unterliegen diese Empfehlungen nicht der Kontrolle der Verwaltungsgerichte.451

Wie sind die unterschiedlichen Einbürgerungsraten für eine Aussage zur Einwanderungspo-litik der Bundesländer zu interpretieren? Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es zunächst der theoretischen Überlegungen, welche Motive Staaten mit ihrer Einbürgerungspolitik verfolgen. Es wird dazu unterschieden zwischen dem deutschem Staatsvolk – bestehend aus allen Menschen, die eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen – und der deutschen Wohn-bevölkerung – das sind alle Menschen, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben. Diese bei-den Gruppen überschneiden sich zu großen Teilen, bis auf die Gruppe der deutschen Staats-angehörigen, die im Ausland ihren Wohnsitz haben, und die Gruppe der Ausländerinnen und Ausländer bzw. der Staatenlosen, die ohne eine deutsche Staatsangehörigkeit zu besit-zen in der BRD wohnen. Ein demokratischer Staat kann sich aus legitimatorischen Gründen der Machtausübung über die Wohnbevölkerung darum bemühen, die Gruppen der Wohnbe-völkerung und des Staatsvolkes möglichst kongruent werden zu lassen, denn nur das Staats-volk kann die Machtausübung durch sein Wahlrecht452 legitimieren. Das wichtigste Mittel dazu sind Einbürgerungen der im Staat lebenden Ausländerinnen und Ausländer sowie der Staatenlosen. Weiterhin erlaubt die Vergabe politischer Partizipationsrechte durch Einbür-gerungen die Inklusion der Eingebürgerten in das politische System, d.h. deren Interessen können im Rahmen der gewöhnlichen Mechanismen von Meinungsbildung und Entschei-dungsfindung berücksichtigt und bearbeitet werden. Damit deuten sich aber auch die Vor-teile für einen Staat an, die bestehen, wenn er Teile der Wohnbevölkerung nicht ins Staats-volk aufnimmt, deren Interessen also beispielsweise bei Wahlentscheidungen nicht wirksam werden. Besonders die beiden Unionsparteien in Deutschland fürchten, dass die eingebür-gerten Ausländerinnen und Ausländer im Unterschied zu den eingebürgerten (Spät-) Aus-siedlerinnen und Aussiedlern eher dem politischen Wettbewerber zuneigen. Eine restrikti-vere Einbürgerungspolitik erlaubt zudem eher Beschränkungen bei Ansprüchen auf Sozial-leistungen und Arbeitsplätze sowie die Ausweisung, wenn die Wirtschaftslage das sinnvoll erscheinen lässt.453

Mit Bezug auf die einführend erwähnten Konzepte der Inklusion und Exklusion lassen sich demnach unterschiedliche staatliche Motive sowohl für eine auf Inklusion als auch für eine auf Exklusion zielende Einbürgerungsstrategie gegenüber den Teilen der Wohnbevölkerung ohne deutschen Pass ausmachen. Wenn sich unterschiedliche Einbürgerungsraten in den Bundesländern durch politische Ausrichtungen der Bundesländer in Bezug auf den Umgang mit Einbürgerungen erklären, dann sprechen höhere Einbürgerungsraten für eine integrati-ve Tendenz in der Einwanderungspolitik. Umgekehrt können niedrigere Einbürgerungsra-ten als Hinweis auf eine segregative Tendenz in der Einwanderungspolitik interpretiert wer-den.

451 ebd., S. 58f.452 Eine Ausnahme bilden die Bürgerinnen und Bürger anderer Staaten der Europäischen Union bei kommu-

nalen Wahlen.453 Hagedorn 2001b, S. 25f.

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Für die Unterschiede in den Einbürgerungsraten der alten Bundesländer hat sich die jeweili-ge „politische Ausrichtung der Bundesländer in Bezug auf Einbürgerung“454 als befriedigen-de Erklärung erwiesen.455 Die Ausrichtung der Länder ist dabei an den öffentlichen Diskurs um die Integration der Zugewanderten angebunden. Einbürgerungsrecht und Einbürge-rungspraxis stehen im großen Interesse der Öffentlichkeit. Politische Entscheidungsträge-rinnen und Entscheidungsträger reagieren auf die öffentliche Meinung, genauer: auf ange-nommene Wünsche ihrer potentiellen Wählerinnen und Wähler. So beziehen sich Aussagen zum Einbürgerungsrecht in aller Regel direkt oder indirekt auf die öffentliche Meinung.456 Alternative Erklärungen, wie die Unterscheidung zwischen städtisch und ländlich dominier-ten Ländern oder die unterschiedliche Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung konnten für die alten Bundesländer ausgeschlossen werden.457

Ein Vergleich der Einbürgerungsraten zwischen alten und neuen Bundesländern ist auf-grund des geringeren Ausländeranteils in Ostdeutschland und der anderen Zusammenset-zung dieser Bevölkerungsgruppe allerdings nicht möglich. Denn mit der Gesamtzahl der in den jeweiligen Bundesländern lebenden Ausländerinnen und Ausländern als Berechnungs-grundlage für die Einbürgerungsrate wird nicht zwischen Einbürgerungsberechtigten und Nichtberechtigten unterschieden. Aufgrund der im Durchschnitt kürzeren Aufenthaltsdauer der Ausländerinnen und Ausländer in den neuen Bundesländern ist der Anteil der Einbürge-rungsberechtigten wesentlich geringer, folglich sind auch die Einbürgerungsraten wesent-lich niedriger.458 Somit werden jeweils die Einbürgerungsraten der hier betrachteten alten und neuen Bundesländer miteinander verglichen.

Für den Vergleich der Einbürgerungsraten der untersuchten Bundesländer wurden die Jah-re 2000 und 2003 gewählt. Somit werden die Einbürgerungen betrachtet, welche nach dem Inkrafttreten des aktuellen Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000 vorgenommen wurden. Die Änderung dieses grundlegenden Rechts für die Einbürgerung beinhaltete die Absenkung der nötigen Aufenthaltsdauer von 15 auf acht Jahre sowie die Akzeptanz von Mehrstaatigkeit unter bestimmten Bedingungen. Gleichzeitig wurden mit dem Nachweis von Deutschkenntnissen und dem Bekenntnis zum Grundgesetz neue Bedingungen für die Einbürgerung eingeführt, die in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt werden.459

Die in Abbildung 5 und Tabelle 3 dargestellten Einbürgerungsraten der ausgewählten Bun-desländer lassen zunächst den erwarteten Ost-West-Unterschied erkennen. Darüber hinaus fällt ein Nord-Süd-Unterschied auf, wobei vor allem Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu Baden-Württemberg, aber auch Brandenburg im Vergleich zu Sachsen höhere Einbürge-rungsraten aufweisen. Die höheren Zahlen für das Jahr 2000 sind durch eine befristete Über-gangsregelung für in Deutschland geborene Kinder mit ausländischer Staatsbürgerschaft im Alter unter zehn Jahren hervorgerufen.460

454 Hagedorn, Heike (2001a): Föderalismus und die deutsche Staatsangehörigkeit: die Einbürgerungspolitik der Bundes-länder. in: Akgün, Lale/Thränhardt, Dietrich (Hrsg.): Integrationspolitik in föderalistischen Systemen. Jahr-buch Migration 2000/2001. Münster u.a.: Lit, S. 91-117, S. 103

455 Hagedorn 2001b, S. 154456 Bultmann 1999, S. 103457 Hagedorn 2001b, S. 156f.458 vgl. Münz, Rainer/Ulrich, Ralf (Hrsg., 2002): Migration und Bevölkerung. Nr. 1, Januar 2002, http://www.mi-

gration-info.de/migration_und_bevoelkerung/archiv/ausgaben/ausgabe0201.pdf (Stand: 23. November 2006), S. 3

459 ebd., S. 3460 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 62

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2000 2003

Nordrhein-Westfalen 3,36 % 2,26 %

Baden-Württemberg 2,32 % 1,51 %

Brandenburg 0,87 % 0,46 %

Sachsen 0,54 % 0,41 %

Tabelle 3: Einbürgerungsraten ausgewählter Bundesländer, Quellen: BBM 2005a, S. 24; Münz/Ulrich 2002, S. 3

Dieser Vergleich der Einbürgerungsraten ist ein Anzeichen dafür, dass Nordrhein-Westfalen eine eher integrative, Baden-Württemberg eine eher segregative Einbürgerungspolitik be-treibt. Tendenziell trifft dieser Nord-Süd-Unterschied auch auf Brandenburg und Sachsen zu. Mehrere Gründe erlauben aber für den Vergleich der Einbürgerungsraten zwischen Sachsen und Brandenburg keinen belastbaren Schluss: Dazu gehören die geringen Anteile der ausländischen Wohnbevölkerung und die im Vergleich zu den westlichen Bundeslän-dern geringere Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner, die zu einer insgesamt kleinen Fallzahl bei den Einbürgerungen führen. Während die Unterschiede der Einbürgerungsraten zwischen den beiden ostdeutschen Ländern im Jahr 2003 sehr gering waren, galt im Jahr 2000 die oben angesprochene Übergangsregelung und neu eingeführtes Einbürgerungs-recht, was eventuell in der Verwaltung zur Verlängerung der Bearbeitungszeiten geführt haben könnte.

3.1.2 Viertes Zwischenfazit: Die Einwanderungspolitik der Bundesländer

Im vorigen Kapitel konnte zunächst anhand der Betrachtung der Einbürgerungspolitik be-stätigt werden, dass die Bundesländer über eine bloße Rhetorik hinaus in der Lage sind, re-levante Elemente der Einwanderungs- und Integrationspolitik zu gestalten. Für den Ver-gleich zwischen den beiden betrachteten westlichen Bundesländern bestätigte sich außer-dem die Vermutung, dass die nördlichen, SPD-dominierten Bundesländer eine eher auf Inte-

Abbildung 5: Einbürgerungsraten ausgewählter Bundesländer, Quellen: BBM 2005a, S. 24; Münz/Ulrich 2002, S. 3; eigene Darstellung

2000 20030,00%

1,00%

2,00%

3,00%

4,00%

Einbürgerungsraten ausgewählter Bundesländer

Nordrhein-Westfalen Baden-Württemberg Brandenburg Sachsen

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gration, die südlichen, CDU-dominierten Länder eine eher auf Segregation ausgerichtete Po-litik gestalten würden.

Es musste allerdings festgestellt werden, dass über die Betrachtung der Einbürgerungspra-xis zum Vergleich von Brandenburg und Sachsen keine verlässlichen Aussagen möglich sind. Der Grund hierfür liegt in dem sehr geringen Anteil an Ausländerinnen in diesen Bun-desländern. Ebenfalls verbietet sich auf Grund der unterschiedlichen Bevölkerungszusam-mensetzung ein Vergleich zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern. Um den-noch zu Aussagen zur einwanderungs- und integrationspolitischen Ausrichtung der neuen Bundesländer zu gelangen, werden im folgenden Kapitel neben den eigentlichen Maßnah-men zur Schuleingliederung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund er-gänzend bildungspolitische Erklärungen bezüglich der Fragestellung analysiert, inwieweit sie Motive aus der bundesdeutschen Einwanderungspolitik aufnehmen.

3.2 Umgang mit Migration in den Schulsystemen der Bundesländer

Dieses Kapitel beleuchtet zunächst die Rahmenbedingungen für die Eingliederungsmodelle für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den vier untersuchten Bundes-ländern. Dazu gehören die Betrachtung der unterschiedlichen Schulstrukturen der Länder sowie der differierenden Anteile und Merkmale der Schülerinnen und Schüler mit Migrati-onshintergrund.

Darauf aufbauend werden die in den Schuleingliederungsmodellen vorgesehenen Maßnah-men untersucht. In den bildungspolitischen Erklärungen der Verfassungen und Schulgeset-zen der Länder werden dabei weitere Hinweise zur einwanderungs- und integrationspoliti-schen Orientierung verglichen. Anschließend können die eigentlichen Eingliederungsmo-delle für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in einem getrennten Ver-gleich dargestellt werden.

Das Kapitel wird mit dem Zwischenfazit abgeschlossen, das auf die Forschungsfrage V Ant-wort geben wird. In dieser wurde danach gefragt, ob die Eingliederungsmodelle für Schüle-rinnen und Schüler mit Migrationshintergrund relevante Unterschiede zwischen den Bun-desländern aufweisen, und ob die SPD-dominierten Länder eher auf integrative, die unions-dominierten Länder eher auf segregative Maßnahmen setzen.

3.2.1 Besonderheiten der Schulsysteme in den untersuchten Bundesländern

Sollen die Schulerfolge anhand der Abschlüsse und der Bildungsbeteiligung an den ver-schiedenen Schularten der gegliederten Sekundarstufe betrachtet werden, ist es zunächst notwendig, die Schulstrukturen der Bundesländer zu beleuchten.

Die Primarstufe dauert bundesweit vier Jahre, abweichend davon hat sie lediglich in Berlin und Brandenburg eine Dauer von sechs Jahren. Entsprechend startet die Sekundarstufe in den hier untersuchten Bundesländern in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen mit dem fünften, in Brandenburg mit dem siebenten Schuljahr. Eine Übergangspha-se gibt es in keinem der vier untersuchten Bundesländer, der Übergang in die gegliederte Sekundarstufe ist daher in jedem Fall mit einer Schulformentscheidung verbunden.461

461 Hovestadt, Gertrud (2003): Die Schule in den Bundesländern. Datenreport 2001/2002. Rheine: Strategic Education Consulting (EDU-CON), http://www.edu-con.de/datenreport.pdf (Stand: 23. November 2006), S. 4

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Die Kulturhoheit der Länder hat vor allem in der gegliederten Struktur der Sekundarstufe eine große Vielfalt ermöglicht. In den betrachteten vier Bundesländern reicht sie – abgese-hen von der Sonderschule – von einer zweigliedrigen Struktur mit Mittelschule und Gymna-sium in Sachsen bis zu vier Gliedern mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Inte-grierter Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. In allen Bundesländern werden mit dem Hauptschul-, dem Realschul- und dem gymnasialen Bildungsgang drei Bildungsgänge ange-boten, allerdings an verschiedenen Schularten. Von den Schularten mit einem Bildungsgang – Hauptschule, Realschule und Gymnasium – ist allein das Gymnasium in allen Bundeslän-dern durchgängig vertreten. In Sachsen wird als zweite und neben dem Gymnasium einzige Schulform der Hauptschul- und Realschulbildungsgang in der Mittelschule angeboten. In Baden-Württemberg dominiert das klassische dreigliedrige Schulsystem mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Die Integrierte Gesamtschule, die alle Bildungsgänge anbietet, kommt nur am Rande vor. Nordrhein-Westfalen bietet die größte Vielfalt mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Integrierter Gesamtschule. In Brandenburg standen neben dem Gymnasium die Realschule und die Integrierte Gesamtschule, an der als einzige der Haupt-schulgang angeboten wurde, und die mit und ohne gymnasiale Oberschule existierte.462 Die-ses Bundesland führt seit dem Schuljahr 2005/2006 die so genannte Oberschule ein, die Re-alschulen und Gesamtschulen ohne gymnasiale Oberstufe ersetzen, also wie die sächsische Mittelschule die Haupt- und Realschulbildungsgänge zusammenfassen wird.463 Mittelschule und Oberschule erscheinen in der Schulstatistik als „Schularten mit mehreren Bildungsgän-gen“. Daneben existieren in den Bundesländern noch Sonderschulen, die auch Förderschu-len genannt werden, und Waldorfschulen.

Wie Tabelle 4 veranschaulicht, ist auch die quantitative Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die soeben beschriebenen Schularten in der Sekundarstufe zwischen den Bun-desländern sehr unterschiedlich. Die Tabelle stellt die Verteilung der Stichprobe von PISA-E 2003 auf die unterschiedlichen Schularten dar. Zu beachten ist, dass hier die 15-Jährigen be-trachtet werden, die sich über mehrere Klassenstufen verteilen. Deutlich wird, dass allein das Gymnasium und die Sonderschule ähnliche Beteiligungen in allen Bundesländern auf-weisen.

Hauptschule MittelschuleGesamt-schule Realschule

Gymnasium Berufs-schule464

Sonder-schule

BW 27,9 — 2,0 30,3 27,8 9,0 3,0

BB — — 50,1 15,7 30,8 — 3,4

NW 26,6 — 16,2 24,7 28,8 — 3,7

SN — 61,3 — — 32,0 2,6 4,0

Tabelle 4: Verteilung der 15-jährigen Schüler/innen auf Schularten in Prozent an der Stichprobe von PISA-E 2003. Quelle: Prenzel/Drechsler/Carstensen 2005, S. 23

Die Sekundarstufe I im Hauptschulgang endet nach dem neunten oder zehnten, im Real-schulgang nach dem zehnten Schuljahr. Die Sekundarstufe II des gymnasialen Bildungs-

462 ebd., S. 4f.463 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2004464 Diese Schüler/innen absolvieren überwiegend ein Berufvorbereitendes Jahr (BVJ).

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gangs endet in den hier untersuchten Bundesländern zurzeit in Sachsen nach zwölf, sonst nach dem 13. Schuljahr. Allerdings stellen Baden-Württemberg bis zum Jahr 2012, Nord-rhein-Westfalen bis 2013 und Brandenburg bis 2015 auf zwölf Jahre um.

Im Folgenden werden die in den Bundesländern unterschiedlich benannten Schulabschlüsse einheitlich als Hauptschulabschluss (Brandenburg: Berufsbildungsreife) und Realschulab-schluss (Brandenburg und Nordrhein-Westfalen: Fachoberschulreife) bezeichnet.465 Unter dem Höheren Schulabschluss sind Fachhochschulreife und Allgemeine Hochschulreife zu-sammengefasst.

3.2.2 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den untersuchten Bundes-ländern

Dieses Kapitel betrachtet die Anteile der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter-grund in den Schulsystemen der Bundesländer. Weiterhin werden den Daten der PISA-Stu-dien einige Aspekte zum Migrationsstatus und zur Herkunft entnommen.

Die Anzahl der ausländischen Schülerinnen und Schüler hat sich im deutschen Schulsystem zwischen 1964-1994 verzwanzigfacht.466 Über 70 Prozent von ihnen leben in nur vier Bun-desländern - neben den beiden westdeutschen hier untersuchten Ländern noch in Hessen und Bayern. Aufgrund der regionalen Konzentration in industriellen Ballungszentren und der geringeren Übergangsquote ausländischer Schülerinnen und Schüler auf höhere Schul-formen gibt es in vielen Großstädten Hauptschulen, die mehrheitlich von ausländischen Schülerinnen und Schülern besucht werden.467 In den neuen Ländern stieg zwar der Anteil der ausländischen Schülerinnen und Schüler in den letzten Jahren, ist aber nach wie vor im Vergleich zu den alten Bundesländern extrem niedrig.468

In der Stichprobe von PISA-E 2003 gehörten Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zu den fünf Bundesländern mit den höchsten Anteilen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Sachsen und Brandenburg waren die beiden neuen Bundesländer mit den höchsten Anteilen.469 Die unterschiedlichen Anteile, aber auch die unterschiedliche Zusammensetzung dieses Bevölkerungsanteils stellen verschieden große Herausforderun-gen an die Integrationsleistungen der Schulsysteme in den Bundesländern.470

In Tabelle 5 und Abbildung 6 sind die Anteile der Schülerinnen und Schüler mit Migrations-hintergrund in den Stichproben der vier untersuchten Bundesländer nach Migrationsstatus differenziert dargestellt. Dabei fallen die großen Ost-West-Unterschiede auf, die auf einer unterschiedlichen Zuwanderungsgeschichte beruhen. Neben dem wesentlich geringeren Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den östlichen Bundes-ländern sind dort auch nur sehr wenige Jugendliche der „ersten Generation“ anzutreffen, die in den westlichen Ländern fast zehn Prozent der Gesamtzahl aller Schülerinnen und

465 KMK – Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutsch-land (2006): Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I. Beschluss der Kultusminis-terkonferenz vom 03.12.1993 i.d.F. vom 02.06.2006. Bonn: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, http://www.kmk.org/doc/publ/Vereinbarung_schular-ten_bildungsgaenge.pdf (Stand: 23. November 2006)

466 Flam 2007467 Herwartz-Emden 2003, S. 666468 BBM 2005b, S. 50f.469 Ramm u.a. 2005, S. 272f.470 vgl. Hovestadt/Klemm 2002, S. 65

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Schüler ausmachen. In Brandenburg und Sachsen sind Jugendliche, von denen ein Elternteil im Ausland geboren wurde, und die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit selbst in Deutsch-land geboren sind, die größte Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter-grund. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind hingegen Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien die größte Migrantengruppe an den Schulen.

Bundeslandohne

Migrations-hintergrund

mit Migrationshintergrund

ein Elternteil im Ausland geboren

erste Generation

zugewandert gesamt

BW 68,4 9,0 9,6 13,0 31,6

BB 94,0 4,2 0,2 1,7 6,0

NW 70,4 7,7 9,3 12,5 29,6

SN 94,1 4,2 0,2 1,5 5,9

Tabelle 5: Anteile der Schüler/innen mit Migrationshintergrund nach Migrationsstatus und Bundeslän-dern in der Stichprobe von PISA-E 2003, Quelle: Ramm u.a. 2005, S. 272

Mit Verweis auf Abbildung 4 auf Seite 74 kann also festgestellt werden, dass Jugendliche mit dem Migrationsstatus „ein Elternteil im Ausland geboren“, die bezüglich der Bildungsbetei-ligung bundesweit fast so erfolgreich wie die Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sind, in den östlichen Ländern unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund beson-ders häufig vertreten sind. Dagegen sind die Jugendlichen der „ersten Generation“, die bun-desweit besonders deutlich in der Schule scheitern, hier kaum vertreten. Umso bedauerns-werter ist, dass die PISA-E-Studien trotz der Überrepräsentation von Schülerinnen und

Abbildung 6: Anteile der Schüler/innen mit Migrationshintergrund nach Migrationsstatus und Bundes-ländern in der Stichprobe von PISA-E 2003, Quelle: Ramm u.a. 2005, S. 272, eigene Darstellung

Baden-Württem-

Brandenburg Nordrhein-Westfalen

Sachsen60%

70%

80%

90%

100%

Anteile der Schüler/innen mit Migrationshintergrund nach PISA-E 2003

zugewanderte Fa-milien

erste Generationein Elternteil im Ausland geboren

ohne Migrations-hintergrund

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Schülern mit Migrationshintergrund in der Stichprobe 2003 keine Schulleistungen dieser Jugendlichen aufgeschlüsselt für die ostdeutschen Länder angeben kann.471

Angaben zum Geburtsort des Vaters der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der PISA-E-Studie von 2000, die in Tabelle 6 dargestellt sind, ergaben für die vier untersuchten Bundesländer durchweg als größte Herkunftsgruppe Polen und die ehemalige Sowjetunion (die als eine Gruppe zusammengefasst wurden). Am geringsten war ihr Anteil in Baden-Württemberg. Darunter dürften sich hauptsächlich (Spät-) Aussiedlerinnen und Aussiedler befinden. In Baden-Württemberg war dafür der Anteil der Griechen/Italiener (die ebenfalls als eine Gruppe zusammengefasst wurden) und der Gruppe der Väter aus dem ehemaligen Jugoslawien – neben Nachkommen der Arbeitsmigrantinnen und -migranten dürften darun-ter auch Bürgerkriegsflüchtlinge sein – höher als in den anderen drei Bundesländern. In Nordrhein-Westfalen hatten besonders viele Jugendliche Väter, die in der Türkei geboren wurden.

Jugendliche mit Migrations-

hintergrund

Geburtsland des Vaters (in Prozent von Spalte 2)

Deutsch-land

Griechen-land, Italien

Türkei Polen, ehem. SU

ehem. Jugoslawien

anderes Land

NW 32,2 12,0 5,5 21,4 38,8 3,6 18,6

BW 28,8 13,6 13,6 13,3 23,0 13,1 23,4

SN 5,5 14,6 1,9 3,9 37,9 5,8 35,9

BB 5,0 19,5 5,2 10,4 37,7 2,6 24,7

Tabelle 6: Schüler/innen mit Migrationshintergrund in der Stichprobe von PISA-E 2000 nach Bundesland und Geburtsland des Vaters; Quelle: Stanat 2003, S. 247; sortiert nach Anteil der Jugendlichen mit Migra-tionshintergrund

3.2.3 Schuleingliederungsmodelle für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshinter-grund

3.2.3.1 Einführung

An dieser Stelle werden zunächst Kriterien für die in den beiden folgenden Kapiteln folgen-den Vergleiche der bildungspolitischen Erklärungen und der Schuleingliederungsmodelle herausgearbeitet. Dazu werden erstens Arbeiten herangezogen, die Modelle der Schuleinglie-derung von ausländischen Schülerinnen und Schülern bezüglich deren Ausrichtung auf In-tegration oder den Erhalt der „Rückkehrfähigkeit“ untersuchen. Zweitens werden Anforde-rungen an Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ei-nem Gutachten entnommen. Schließlich werden drittens Überlegungen aus vorangegange-nen Kapiteln aufgegriffen und für den Vergleich von bildungspolitischen Erklärungen auf Bezüge zur Einwanderungs- und Integrationspolitik genutzt.

Die Kulturhoheit der Länder und der im Kapitel 2.2.4 beschriebene Gestaltungsfreiraum in den KMK-Beschlüssen haben zu unterschiedlichen Konzepten zum Umgang mit Migration

471 vgl. Ramm u.a. 2005, S. 273; vgl. Stanat, Petra (2003): Schulleistungen von Jugendlichen mit Migrationshinter-grund: Differenzierung deskriptiver Befunde aus PISA und PISA-E. in: Baumert, Jürgen u.a. (Hrsg.): PISA 2000 - ein differenzierter Blick auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland. Opladen: Leske + Budrich, S. 243-260, S. 246

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im Schulsystem geführt.472 Dabei war die Bildungspolitik in erster Linie von der Sicht der je-weiligen Landesregierungen auf den Charakter der Arbeitsmigration abhängig. Ging diese von einer Rückkehr der Arbeitsmigrantinnen und -migranten aufgrund des Rotationsprin-zips aus, orientierte sich die Bildungspolitik daran, bei den Migrantenkindern die „Rück-kehrfähigkeit“ zu erhalten. Ging sie von einem dauerhaften Aufenthalt aus, zielte sie auf die „Integration“ der ausländischen Kinder und Jugendlichen in das reguläre Schulsystem.473

Für die Beschulung ausländischer Schülerinnen und Schüler reichten daher die Maßnahmen von der „Diskriminierung im Sinne der Ungleichbehandlung ausländischer Schüler“474 im Freistaat Bayern mit ethnisch getrennten Klassen bis zu einem sehr integrativen Modell in Berlin. Besonders im Vergleich dieser beiden Bundesländer wird die Bandbreite zwischen den gegensätzlichen schul- und gesellschaftspolitischen Zielen von Integration und Segre-gation deutlich.475 Daher ist es in der Literatur gängig, das Berliner und das Bayerische Mo-dell im Umgang mit ausländischen und ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern gegen-überzustellen. Andere Bundesländer finden sich innerhalb des Spektrums zwischen diesen beiden Modellen. Das Bayerische Modell sah folgende Maßnahmen vor:

‒ Getrennte, zweisprachige Klassen für ausländische Schülerinnen und Schüler mit un-genügenden Deutschkenntnissen oder auf Wunsch der Eltern an Volksschulen (Grund- und Hauptschule): In den Klassen für Schülerinnen und Schüler mit gleicher Erstsprache findet der Unterricht zunächst vorwiegend in der Erstsprache parallel zur Unterrichtung von Deutsch als Zweitsprache, später dann zunehmend auf Deutsch statt. Der Übergang in Regelklassen ist bei ausreichenden Deutschkenntnis-sen auf Antrag der Eltern möglich.

‒ Übergangsklassen für ausländische Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in die Hauptschule: Wenn diese (v.a. in ländlichen Gebieten) aus organisatorischen Gründen nicht möglich sind, werden die Quereinsteigerinnnen und Quereinsteiger in deutsche Regelklassen aufgenommen, parallel finden Intensivkurse in Deutsch statt.

‒ Für ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler sind besondere Klassen vorgesehen, die Übergangsklassen für Ausländerinnen und Ausländern ähneln. Zusätzlich erhalten diese Schülerinnen und Schüler sonst Intensivkurse oder Förderunterricht in Deutsch oder Deutsch als Zweitsprache.476

Weil sich die Annahme eines vorübergehenden Aufenthaltes als Ausgangspunkt des auf „Rückkehrfähigkeit“ zielenden Ansatzes seit langem nicht mit der Realität deckt, setzt sich zunehmend das Ziel der Integration gegenüber den segregativen Maßnahmen durch. Dieser Prozess führte zur weitgehenden Abschaffung der segregierenden Klassen, auch in Bayern. Zeitgleich mit dem im Kapitel 2.1.5.2 besprochenen „Kühn-Memorandum“ des damaligen Ausländerbeauftragten der Bundesregierung und ehemaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen wurden die getrennten Klassen bereits in Nordrhein-Westfalen aufge-geben.477

472 Reuter 2001, S. 113473 Hunger 2001, S. 133f.474 ebd., S. 122f.475 Reuter 2001, S. 111476 Avenarius/Heckel 2000, S. 94; Flam/Kleres 2007477 Flam 2007

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Das Berliner Modell zielt hingegen auf die schnellstmögliche Integration von ausländischen Schülerinnen und Schülern und sieht folgende Maßnahmen vor:

‒ Das prinzipiell gemeinsame Unterrichten der ausländischen mit deutschen Schülerin-nen und Schülern in Regelklassen: Zusätzlicher Förderunterricht soll bestehende Sprachprobleme beheben. Bei unzureichenden Deutschkenntnissen sind Vorberei-tungsklassen für maximal zwei Jahre vorgesehen. Der Höchstanteil ausländischer Schülerinnen und Schüler darf in den Klassenstufen eins bis sieben maximal 30 Pro-zent, nur im Fall mehrheitlich guter passiver Sprachkenntnisse und ab der achten Klassenstufe maximal 50 Prozent betragen. Die Teilnahme an muttersprachlichem und landeskundlichem Ergänzungsunterricht außerhalb der staatlichen Schulaufsicht unter Verantwortung der konsularischen Vertretungen ist freiwillig.

‒ „Ausländerregelklassen“ werden an Grund-, Haupt- und Berufsschulen nur dann ein-gerichtet, wenn es sich wegen der hohen Anzahl und trotz schulübergreifender Ver-teilungsmaßnahmen nicht vermeiden lässt. Auch in diesen Klassen findet der Unter-richt auf Deutsch nach den allgemein gültigen Lehrplänen statt.

‒ Die Kinder von Aussiedlerinnen und Aussiedlern werden auch bei unzureichender Kenntnis der deutschen Sprache ohne den vorherigen Besuch von Vorbereitungsklas-sen in Regelklassen integriert. Ergänzend erhalten sie Deutsch- und Förderunterricht. Der längstens ein Jahr dauernde Unterricht in Förderklassen zur Vorbereitung auf den Besuch der Regelklassen findet nur dann statt, wenn die Aufnahme in Regelklas-sen aus organisatorischen oder pädagogischen Gründen nicht möglich ist.478

Eine Untersuchung der Schuleingliederungsmodelle in den Ländern Berlin, Bayern und Sachsen auf das Ausmaß der angestrebten Eingliederung in das reguläre deutsche Schulsys-tem479 hat integrative und segregative Maßnahmen identifiziert. Zu den integrativen Maß-nahmen gehören demnach die Integration in die Regelklassen, die Unterrichtung in Deutsch als Zweitsprache und Förderunterricht. Zu den segregativen Maßnahmen zählen Maßnah-men, die Merkmale der Besonderung tragen. Das sind insbesondere getrennte „Ausländer-klassen“ oder Schulzweige für ausländische Kinder, muttersprachlicher Konsulatsunterricht im öffentlichen Schulwesen ohne deutsche Schulaufsicht und die Konzentration schulform-übergreifender Vorbereitungsklassen der Sekundarstufe I an der Hauptschule. Je nach In-tention, die sich zwischen dem Erhalt der „Rückkehrfähigkeit“ und dem Ziel zusätzlicher Förderung bewegen kann, und der Freiwilligkeit des muttersprachlichen Unterrichts wirkt dieser integrativ oder segregativ.480

In einem Gutachten für die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförde-rung (BLK) werden Anforderungen an „Maßnahmen zur Förderung von Kindern und Ju-gendlichen“481 formuliert. Betont wurde dabei vor allem:

‒ Sie sollten frühzeitig beginnen und eine kontinuierliche, individuelle Begleitung vor-sehen. Eine frühzeitige Förderung ist schon deswegen wichtig, um Zurückstellungen von der Einschulung zu vermeiden.

478 Avenarius/Heckel 2000, S. 94; Flam/Kleres 2007479 vgl. Schneider 2005480 Schneider 2005, S. 4ff.481 vgl. Gogolin/Neumann/Roth 2003

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‒ Zugunsten der Kontinuität der Förderung sollten Kooperationen zwischen den Bil-dungsinstanzen vorgesehen werden.

‒ Der Deutschspracherwerb sollte in der spezifischen Eigenart des Deutschen als Schul-sprache gefördert werden.482

Ein Ergebnis der PISA-Studie des Jahres 2000 war, dass Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien gegenüber Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshinter-grund nicht benachteiligt sind, wenn nur Schülerinnen und Schüler mit gleicher Le-sekompetenz verglichen werden. Die Beherrschung der deutschen Sprache auf einem Niveau, das dem jeweiligen Bildungsgang entspricht, ist also von entscheidender Be-deutung für den Bildungserfolg von Migranten.483 Die deutsche Sprache weist dabei in ihrer Form als Schulsprache Gesetzmäßigkeiten einer formalisierten Fachsprache auf. Auch im mündlichen Gebrauch ist die Sprache von Merkmalen der Schriftsprachig-keit, von symbolischen Redemittel, der Verwendung vieler Funktionswörter und komplexen Strukturen gekennzeichnet.484

‒ Die Förderung des Deutschspracherwerbs sollte Zweisprachigkeit berücksichtigen und sich kontinuierlich mit den sich ändernden Anforderungen der Schulsprache entwickeln.485

Bis in die 90er Jahre sollte herkunftssprachlicher Unterricht vor allem die „Rückkehr-möglichkeit“ der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund offen halten. Seitdem hat eine Neuorientierung mit dem Ziel der Förderung von Zwei- und Mehr-sprachigkeit eingesetzt.486 Es gilt mittlerweile als gut belegt, dass eine koordinierte Förderung des Deutschen und der mitgebrachten Sprache sowohl für die Sprachent-wicklung im Allgemeinen wie auch für das Deutschlernen förderlich ist.487 In der Zweitspracherwerbsforschung wird zwischen den Sprachkompetenzniveaus BICS (ba-sic interpersonal communicative skills) und CALP (cognitiv/academic language profi-ciency) unterschieden. CALP unterscheidet sich in verschiedenen Varianten – als eine kann das Deutsche in seiner Form der Schulsprache betrachtet werden – durch spezi-fische Lexik und Syntax, die Nähe zur Schriftsprachigkeit und besondere Abstrakti-onsleistungen von BICS. Es wird davon ausgegangen, dass sich die BICS-Niveaus un-terschiedlicher Sprachen in Prozessen eines natürlichen Zweitspracherwerbs unab-hängig voneinander entwickeln können. Das Erreichen des CALP-Niveaus in der Zweitsprache setzt aber eine entwickelte Erstsprache voraus.488 Angesichts dieser Be-funde ist deutlich, dass ein Festhalten am ausschließlichen Fördern des Deutschen nicht ausreichend ist.489 Weiterhin ist die Sprachentwicklung der Zweitsprache

482 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 60ff.483 Herwartz-Emden 2003, S. 688484 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 51485 ebd., S. 60f.486 ebd., S. 68487 Diefenbach 2004a, S. 242488 Pommerin-Götze, Gabriele (2005): Zur Bildungssituation Jugendlicher mit Migrationshintergrund. in: Frederking,

Volker/Heller, Hartmut/Scheunpflug, Annette (Hrsg.): Nach PISA. Konsequenzen für Schule und Lehrerbil-dung nach zwei Studien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 143-162, S. 150f.

489 Diefenbach 2004a, S. 242

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Deutsch als Schulsprache eine kontinuierliche Aufgabe. Maßnahmen mit Übergangs-charakter sind ebenfalls nicht ausreichend.490

‒ Mit der Anerkennung von Fremdsprachenkenntnissen sollten die formalen Hürden für den Übergang ins Gymnasium herabgesetzt werden.491 Möglichkeiten dazu sind Feststellungsprüfungen und der muttersprachliche Unterricht anstelle einer Pflicht-fremdsprache.492

Aus den soeben ausgeführten Arbeiten zur Ausrichtung der bildungspolitischen Maßnah-men auf die Ziele der Integration oder des Erhalts der „Rückkehrfähigkeit“ und aus den Empfehlungen des BLK-Gutachtens zu Fördermaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund lassen sich für den folgenden Vergleich die Fragen an die der Schu-leingliederungsmodelle in den Bundesländern ableiten:

‒ In welchem Verhältnis stehen integrative und segregative Maßnahmen?

‒ Zu welchem Zeitpunkt setzen die Maßnahmen ein, welche Dauer und Kontinuität se-hen sie vor? Sind in den Modellen eine individuelle Begleitung und Kooperationen zwischen den Bildungsinstanzen vorgesehen?

‒ Werden bei der Unterrichtung von Deutsch als Zweitsprache Anforderungen der Kon-tinuität, der Berücksichtigung der speziellen Form der Schulsprache und der Mehr-sprachigkeit der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bedacht?

‒ Ist die Anerkennung von Fremdsprachenkenntnissen vorgesehen?

Zur besseren Verständlichkeit von inneren Zusammenhängen der Modelle in den Bundes-ländern werden diese im Folgenden in der getrennten Form verglichen. Nicht betrachtet wird dabei bedingt durch den beschränkten Umfangs dieser Arbeit die Rolle der Interkultu-rellen Erziehung und von Deutsch als Zweitsprache in der Aus- und Weiterbildung des Lehr-personals.

Vor dem Vergleich der Eingliederungsmodelle wird aber zunächst eine Ankündigung aus dem Kapitel 3.1 eingelöst. Dort konnten keine verlässlichen Aussagen zur einwanderungs-politischen Grundhaltung der ostdeutschen Bundesländer getroffen werden. Daher werden im Folgenden bildungspolitische Erklärungen in den Schulgesetzen und Verfassungen der Bundesländer in einem integrierten Vergleich danach untersucht, wie sie sich zu Fragen der Einwanderungs- und Integrationspolitik äußern. Weiterhin werden Aussagen zu folgenden Themen gesucht, die sich aus den ersten beiden Punkten im Zweiten Zwischenfazit im Kapi-tel 2.2.6 ableiten:

‒ Strategien der Nichtbeachtung in der Bildungspolitik: Werden Gruppen von Schüle-rinnen und Schülern von der Schulpflicht ausgenommen?

‒ Wird bei der Benennung der Zielgruppen für die Schuleingliederungsmodelle zwi-schen ausgesiedelten und ausländischen Schülerinnen und Schülern unterschieden?

490 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 50491 ebd., S. 67492 ebd., S. 672f.

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3.2.3.2 Bildungspolitische Erklärungen

Die Bundesländer stellen in den Schulgesetzen und in den Landesverfassungen verschiede-ne Bildungsziele auf. In allen betrachteten Bundesländern finden sich dabei Formulierungen wie im Schulgesetz von Nordrhein-Westfalen angestrebte Erziehung „zur Völkergemein-schaft und zur Friedensgesinnung“493. In der baden-württembergischen Verfassung heißt es diesbezüglich: „Die Jugend ist (...) zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe (...) zu erziehen.“494 Auffallend sind dagegen Unterschiede in den Bildungszielen der Schul-gesetze in den Ländern Sachsen und Brandenburg. Während die sächsische Schule „den Schülern anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte (...) vermittelt“495 und sich damit eurozentrisch ausrichtet, werden in Brandenburg sehr deut-lich Ziele der Interkulturellen Erziehung benannt. So heißt es: „Die Schule wahrt (...) Offen-heit und Toleranz gegenüber unterschiedlichen kulturellen, religiösen, weltanschaulichen und politischen Wertvorstellungen, Empfindungen und Überzeugungen.“496 Sie soll dazu beitragen, „die eigene Kultur sowie andere Kulturen, auch innerhalb des eigenen Landes und des eigenen Umfelds, zu verstehen und zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen und Völker beizutragen, sowie für die Würde und die Gleichheit aller Menschen einzutre-ten.“497

Alle vier Bundesländer sehen in ihren Schulgesetzen weiterhin vor, dass das Recht auf Bil-dung jedem Menschen „ohne Rücksicht auf Herkunft“498 zusteht. Brandenburg und Nord-rhein-Westfalen betonen darüber hinaus die „Aufgabe aller Schulen, jede Schülerin und je-den Schüler individuell zu fördern.“499 bzw. das „Recht auf (...) individuelle Förderung.“500

In den Verfassungen der beiden ostdeutschen Länder finden sich einige bemerkenswerte Bezüge zur Einwanderungspolitik. In den alten Ländern fehlen diese vermutlich deswegen, weil die Entstehungszeit deren Verfassungen wesentlich länger zurück liegt, und die Zuwan-derung ausländischer Menschen damals noch keine große Rolle spielte. Die sächsische Verfas-sung betont: „Das Land achtet die Interessen ausländischer Minderheiten, deren Angehöri-ge sich rechtmäßig im Land aufhalten.“501 In Brandenburg gehen die entsprechenden For-mulierungen noch weiter und sehen unter anderem die Inklusion der ausländischen Wohn-

493 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2006): Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen. http://www.bildungsportal.nrw.de/BP/Schulrecht/Gesetze/SchulG_Info/SchulG_Tex-t.pdf (Stand: 10. Januar 2007), §2 (2)

494 Landtag von Baden-Württemberg (2000): Verfassung des Landes Baden-Württemberg. http://www.lpb.bwue.-de/bwverf/Landesverfassung-BW.pdf (Stand: 10. Januar 2007), Art. 12

495 Sächsisches Staatsministerium für Kultus (2004): Bekanntmachung der Neufassung des Schulgesetzes für den Frei-staat Sachsen. http://www.sachsen-macht-schule.de/recht/schulgesetz_04.pdf (Stand: 10. Januar 2007), §1 (1)

496 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (2006): Brandenburgisches Schulgesetz. http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/media.php/1238/schulgesetz2006_lesefassung.pdf (Stand: 10. Januar 2007), §4 (4)

497 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2006, §4 (5)498 Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2004, §1 (1) und Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des

Landes Baden-Württemberg (2005a): Schulgesetz für Baden-Württemberg. http://www.kultus-und-unterricht.-de/schulgesetz_20.pdf (Stand: 10. Januar 2007), §1 (1); ähnliche Formulierungen in: Ministerium für Bil-dung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2006, §3 (1) und in: Ministerium für Schule und Weiter-bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2006, §1 (1)

499 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2006,§3 (1); Diese Formulierung ist neu in der geänderten Fassung vom 15.12.2006.

500 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2006, §1 (1) 501 Sächsischer Landtag (1992): Verfassung des Freistaates Sachsen. http://www.landtag.sachsen.de/slt_online/de

/infothek/volksvertretung/popup_verfassung.html (Stand: 10. Januar 2007), Art. 5 (3)

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bevölkerung in politische Partizipationsrechte vor. So heißt es: „Angehörige anderer Staa-ten und Staatenlose mit Wohnsitz im Land Brandenburg sind den Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gleichgestellt, soweit nicht diese Verfassung oder Gesetze etwas anderes be-stimmen.“502 Bezüglich des Wahlrechts wird die brandenburgische Verfassung noch etwas konkreter: „Jeder Bürger hat nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres das Recht, zum Landtag und zu den kommunalen Vertretungskörperschaften zu wählen und in diese ge-wählt zu werden. Anderen Einwohnern Brandenburgs sind diese Rechte zu gewähren, so-bald und soweit das Grundgesetz dies zulässt.“503

Die beiden nördlichen Länder regeln in ihren Schulgesetzen – im Unterschied zu den beiden südlichen – die Grundfragen zur „Eingliederung fremdsprachiger Schülerinnen und Schü-ler“504 bzw. zur „Integration von Schülerinnen und Schülern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist“505. Im Schulgesetz Brandenburgs wird weiterhin explizit angestrebt, dass sie „zusammen mit Schülerinnen und Schülern deutscher Sprache unterrichtet und [zu den] gleichen Abschlüssen geführt werden können.“506 Nordrhein-Westfalen sieht vor, dass „Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien und ihre Eltern (...) in den Mitwirkungs-gremien angemessen vertreten sein“507 sollen. Dieser Unterschied zwischen den beiden nördlichen und den beiden südlichen Bundesländern ist deswegen bemerkenswert, weil ein Mangel gesetzlicher Regelungen an dieser Stelle als rechtsstaatlich bedenklich betrachtet wird.508 Die Schulrechtskommission des Deutschen Juristentages forderte bereits 1981, die schulgesetzlichen Regelungsdefizite abzubauen.509

Die Schulpflicht ist – da unabhängig von der Staatsangehörigkeit – in allen Bundesländern unstrittig für Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthaltsgenehmigung. Sie gilt daher auch uneingeschränkt für Kinder von Asylberechtigten, Arbeitsmigrantinnen und -migranten sowie für Staatenlose. Ausnahmen entstehen etwa bei zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die Diplomatenkinder und Kinder von Angehörigen ausländischer Streitkräfte betreffen.510 Unterschiedlich geregelt ist in den Bundesländern die Frage der Schulpflicht für Kinder und Jugendliche mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus, also etwa für Bürgerkriegsflücht-linge und Asylsuchende.511 In Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen gilt die Schul-pflicht auch für diese Gruppen. Brandenburg erwähnt explizit die „ausländischen jungen Menschen, denen aufgrund eines Asylantrags der Aufenthalt im Land Brandenburg gestat-tet ist oder die hier geduldet werden.“512 In Nordrhein-Westfalen wurden erst mit dem neu-en Schulgesetz im Jahr 2005 alle im Land lebenden Kinder in die Schulpflicht einbezogen. Besondere Erwähnung finden dabei sogar die Ausreisepflichtigen.513 In Sachsen ist die Rechtslage etwas uneindeutig. Das Schulgesetz beschränkt die Schulpflicht auf Kinder und Jugendliche, die „im Freistaat Sachsen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt oder

502 Landtag Brandenburg (2004):Verfassung des Landes Brandenburg. http://www.brandenburg.de/sixcms/detail. php?id=13979 (Stand: 10. Januar 2007), Art. 3 (3)

503 Landtag Brandenburg 2004, Art. 22 (1)504 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2006, § 4 (8)505 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2006, § 2 (10)506 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2006, § 4 (8)507 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2006, § 62 (8) 508 vgl. Avenarius/Heckel 2000, S. 97f.509 Reuter 2001, S. 112510 Avenarius/Heckel 2000, S. 494f.511 vgl. Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 669f.512 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2006, § 36 (2) 513 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2006, § 34 (6)

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ihre Ausbildungs- oder Arbeitsstätte haben.“514 Der „Wohnsitz“ ist im juristischen Sinn der Ort, an dem sich eine Person ständig niederlässt, Flüchtlinge und Geduldete tun dies in der Regel naturgemäß nicht. Ein „gewöhnlicher Aufenthalt“ liegt bei kurzfristigen Duldungen und Aufenthaltsgestattungen ebenfalls nicht vor.515 Das Kultusministerium hat aber klarge-stellt: „Für alle Migranten besteht in Sachsen Schulpflicht.“516 Die „Bezeichnung Migranten umfasst (...) alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, unabhängig von ihrem Auf-enthaltsstatus oder dem ihrer Eltern“517. Von den hier untersuchten Bundesländern besteht allein in Baden-Württemberg keine Schulpflicht für Kinder von Asylsuchenden.518 Mangels einer Regelung muss außerdem davon ausgegangen werden, dass auch für (Bürger-) Kriegs-flüchtlinge in diesem Bundesland keine Schulpflicht besteht.519 Einen Einblick in die dahin-ter stehenden Überlegungen der Landesregierung gibt ausgerechnet ein Jahresbericht des Ausländerbeauftragten:

„Bei allen Integrationsmaßnahmen ist grundsätzlich auf ein auf Dauer angeleg-tes Bleiberecht abzustellen. Es wäre beispielsweise verfehlt, bei Asylbewerbern mit Integrationsmaßnahmen anzusetzen, weil diese im Falle eines erfolglosen Verfahrens das Land wieder verlassen müssen. Bereits erfolgte Integrationsmaß-nahmen wären im Hinblick auf die Aufenthaltsbeendigung kontraproduktiv.“520

Besteht für bestimmte Gruppen keine Schulpflicht, so haben sie – teilweise unter Vorbehal-ten – ein Schulbesuchsrecht.521 Diese Unterscheidung wird verschiedentlich als verfassungs-widrig bezeichnet, weil sie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstößt.522 Die Schul-pflicht für Kinder von Asylsuchenden – so sie denn besteht – beginnt erst dann, wenn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über den Aufenthaltsort für die Dauer des Asylverfahrens entschieden hat.523Für Kinder und Jugendliche, die als sans papiers in der Bundesrepublik leben, gibt es bislang in keinem Bundesland eine Lösung, obwohl dies mehrfach – auch von der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ und den Ausländerbeauf-tragten des Bundes und der Länder – gefordert wurde.524

Bei der Bezeichnung der Zielgruppen von Maßnahmen, die Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund bei der Eingliederung in das Schulwesen fördern sollen, wird von ei-nigen Bundesländern nach dem Rechtsstatus unterschieden. Die Maßnahmen richten sich dann etwa an „Aussiedlerkinder“ und „Kinder ausländischer Arbeitnehmer“. Eine andere Möglichkeit ist die Orientierung an den sprachlichen Voraussetzungen. Demnach richten sich die Maßnahmen etwa an „Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache“. Angesichts des

514 Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2004, §26 (1)515 Harmening, Björn (2005): „Wir bleiben draußen“ Schulpflicht und Schulrecht von Flüchtlingskindern in Deutschland.

in: terre des hommes Deutschland e.V.: „Wir bleiben draußen“ Schulpflicht und Schulrecht von Flücht-lingskindern in Deutschland. http://www.tdh.de/content/materialien/download/download_wrapper.-php?id=171 (Stand: 23. November 2006), S. 30

516 Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2006, S. 1517 ebd., S. 1518 ebd., S. 30ff.519 Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 668f.520 Der Ausländerbeauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg (2002): Jahresbericht 2001/2002. Zuwan-

derungs- und Integrationspolitik im Umbruch. Stuttgart: Der Ausländerbeauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg und Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll, http://www.jum.baden-wuerttemberg.de/servlet/ PB/show/1142760/jahresbericht_2001_2002.pdf (Stand: 23. November 2006), S. 16

521 Reuter 2001, S. 112522 vgl. Gogolin/Neumann/Reuter 1998, S. 669f.523 ebd. 1998, S. 668f.524 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 36f.

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neuen Staatsangehörigkeitsrechts und der Tatsache, dass ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler ähnliche Sprachlernbedürfnisse haben wie ausländische, ist die Orientierung an den sprachlichen Voraussetzungen die zielführendere der beiden Varianten.525 In den beiden ostdeutschen Bundesländern wird die Zielgruppe anhand der Deutschkenntnisse festge-macht, entweder direkt oder über den Migrationshintergrund. Die Brandenburger Einglie-derungsverordnung richtet sich an „Kinder und Jugendliche, deren Muttersprache nicht Deutsch ist oder die als Berechtigte nach dem Bundesvertriebenengesetz vor Aufnahme in die Schule keine ausreichenden Deutschkenntnisse erwerben konnten (Einzugliedernde)“526. Die in der „sächsische[n] Konzeption zur Integration von Migranten“527 vorgesehen Etappen werden „von allen neu eingewanderten Schülern, bei Bedarf auch von Schülern aus Migran-tenfamilien, die schon längere Zeit in Deutschland leben, durchlaufen.“528 In Nordrhein-Westfalen existieren hingegen Runderlasse, die genauso wie die Verwaltungsvorschriften in Baden-Württemberg nach dem Rechtsstatus zwischen ausländischen529 und ausgesiedel-ten530 Schülerinnen und Schülern unterschieden. In Nordrhein-Westfalen wird allerdings eingeräumt: „Sofern es pädagogisch sinnvoll oder aufgrund der örtlichen Gegebenheiten notwendig erscheint, können Auffangklassen aus ausgesiedelten und ausländischen Schüle-rinnen und Schülern gebildet werden.“531 Eine solche Regelung findet sich in Baden-Würt-temberg nicht, aber auch hier werden spätausgesiedelte und ausländische Schülerinnen und Schüler an den Grund- und Hauptschulen gemeinsam unterrichtet.532 Der hier auffällige Un-terschied zwischen den neuen und den alten Ländern ist vermutlich auch durch die wesent-lich geringere Anzahl ausländischer Schülerinnen und Schüler in Ostdeutschland bedingt, die ein Zusammenfassen mit den ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern schon aus rein organisatorischen Gründen nahe legen.533

Aus dem Vergleich der bildungspolitischen Erklärungen der hier untersuchten Bundeslän-der lässt sich entsprechend deren Bezüge zur Einwanderungs- und Integrationspolitik zu-sammenfassend festhalten: Im Vergleich der Schulgesetze und Landesverfassungen der bei-den ostdeutschen Bundesländer orientiert sich Brandenburg stärker an einer auf Inklusion zielenden Integrationspolitik. Beide Landesverfassungen erwähnen aber ausländische Zuge-

525 ebd. 2003, S. 63526 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (2001): Verordnung über die Eingliede-

rung von fremdsprachigen Schülerinnen und Schülern in die allgemeinbildenden und beruflichen Schulen (Eingliede-rungsverordnung- EinglV). http://www.landesrecht.brandenburg.de/sixcms/detail.php?gsid=land_bb_bra-vors_01.c.14990.de (Stand: 10. Januar 2007), §1 (1)

527 vgl. Sächsisches Staatsinstitut für Bildung und Schulentwicklung (2000): Lehrplan Deutsch als Zweitsprache. http://www.sn.schule.de/~ci/download/lp_ms_deutsch_als_zweitsprache.pdf (Stand: 13. Oktober 2006), S. 4-12

528 ebd., S. 5529 Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (1982): Unterricht für ausländische Schülerinnen und Schü-

ler. http://www.learn-line.nrw.de/angebote/jfbk/recht/teil24_13-63_nr3.html (Stand: 10. Januar 2007); Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (2000): Unterricht für ausländi-sche Schüler an den allgemein bildenden und beruflichen Schulen. http://www.leu.bw.schule.de/bild/Auslaender-Unterricht.pdf (Stand vom 10. Januar 2007)

530 Kultusministerium und Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1988): Schulische und außerschulische Fördermaßnahmen für ausgesiedelte Kinder und Jugendliche. http://ww-w.learn-line.nrw.de/angebote/jfbk/recht/teil24_14-01_nr3.html (Stand: 10. Januar 2007); Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (2005b): Unterricht für ausgesiedelte Schüler an den allgemein bildenden und beruflichen Schulen. http://www.leu.bw.schule.de/bild/Unt-Aussiedler.pdf (Stand 10. Januar 2007)

531 Kultusministerium und Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen 1988

532 Der Ausländerbeauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg 2002, S. 92533 vgl. Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 65

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wanderte. Eine eurozentrische Zielformulierung im Schulgesetz Sachsens steht den Gedan-ken der Interkulturellen Erziehung in Brandenburg entgegen, die sich stärker an einem gleichberechtigten Zusammenleben einer pluralisierten Gesellschaft orientieren. (Dieser Unterschied darf an dieser Stelle nicht überbewertet werden – in Sachsen wurden interkul-turelle Elemente während der Lehrplanreform der letzten Jahren umgesetzt.534) Im Ver-gleich der nördlichen mit den südlichen Bundesländern fällt auf, dass Brandenburg und Nordrhein-Westfalen Grundfragen des schulischen Umgangs mit Schülerinnen und Schü-lern nichtdeutscher Erstsprache in ihren Schulgesetzen regeln. Dagegen kann das Fehlen entsprechender gesetzlichen Regelungen in den Ländern Baden-Württemberg und Sachsen als rechtsstaatlich bedenklich gelten. Die Tatsache, dass in Baden-Württemberg im Gegen-satz zu den drei anderen untersuchten Bundesländern die Schulpflicht nicht für Asylsu-chende und Bürgerkriegsflüchtlinge gilt, kann als Ausdruck einer auf Exklusion zielenden Integrationspolitik und der Strategie der Nichtbeachtung im Schulsystem – zumindest ge-genüber diesen Gruppen – verstanden werden.

3.2.3.3 Baden-Württemberg

Bis in die 80er Jahre existierten in Baden-Württemberg getrennte „nationale Modellklas-sen“.535 Heute ist die volle schulische Integration der ausländischen Schülerinnen und Schü-ler zwar angestrebt, die Maßnahmen des Landes bewegen sich aber konzeptionell immer noch zwischen segregierenden und integrativen Zielen. So wird in der Verwaltungsvor-schrift für den „Unterricht für ausländische Schüler an den allgemein bildenden und beruf-lichen Schulen in Baden-Württemberg“536 ausdrücklich angestrebt, die „Rückkehrmöglich-keit“ der ausländischen Schülerinnen und Schüler zu erhalten und dazu Sprache und Kultur des Herkunftslandes zu bewahren. Weiterhin findet sich folgender Hinweis:

„Richtschnur im Bildungsbereich ist dabei, die volle schulische Integration der ausländischen Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Dabei dürfen die deut-schen Kinder keine schulischen Nachteile erleiden.“537

Im Eingliederungsmodell sind keine wesentlichen segregative Maßnahmen mehr vorgese-hen. Für ausländische Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen werden zur Vorbereitung des Übergangs in Regelklassen Vorbereitungsklassen gebildet. Deren Be-suchsdauer beträgt ein Jahr, in begründeten Fällen maximal zwei Jahre. Diese Klassen die-nen vorwiegend dem Erlernen der deutschen Sprache, daneben soll aber auch sachbezoge-ner Unterricht stattfinden. Bei zu geringer Schülerzahl für die Bildung von Vorbereitungs-klassen, können Vorbereitungskurse für mindestens vier Schüler angeboten werden. Diese die-nen ausschließlich dem Erwerb der deutschen Sprache. Sie umfassen höchstens acht Wo-chenstunden und dauern maximal ein Jahr. Weiterhin werden je nach Bedarf Förderkurse von maximal vier Wochenstunden ergänzend zum Besuch der Regelklassen vorgesehen. Diese können sowohl fachlichen Förderunterricht beinhalten, also auch Deutsch als Zweitsprache vermitteln, wobei hier die spezielle Form des Deutschen als Unterrichtssprache berücksich-

534 Elverich 2005, S. 313f.535 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 68536 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2000, S. 1; Im Folgenden bezie-

hen sich die Erläuterungen, die ausländische Schüler/innen betreffen, wenn nicht anders angegeben, auf diese Verwaltungsvorschrift.

537 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2000, S. 1

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tigt wird. Alle diese genannten Maßnahmen werden an den Grund- und Hauptschulen kon-zentriert.

Der „muttersprachliche Zusatzunterricht“ wird in Kooperation mit den Konsulaten von zwölf Herkunftsstaaten – die Unterricht zwangsläufig nur in ihrer Amtssprache durchfüh-ren – in den Räumen der staatlichen Schulen, aber ohne deutsche Schulaufsicht angebo-ten.538 Dadurch ist die Chance vergeben, diesen Unterricht mit dem restlichen Unterricht zu koordinieren und den muttersprachlichen Unterricht mit dem Erlernen von Deutsch als Zweitsprache zu verbinden. Der Unterricht umfasst in der Regel bis zu fünf Wochenstunden, die Teilnahme ist freiwillig.

Die „Vorbereitungsklassen“ der ausländischen Schülerinnen und Schüler heißen im Fall der Schulintegration der ausgesiedelten Schülerinnen und Schüler „Förderklassen“, sind aber ansonsten identisch. In der Praxis werden beide Gruppen zusammengefasst.539 Zusätzlich zu den Maßnahmen für ausländische Schülerinnen und Schüler sind bei den Aussiedlerinnen und Aussiedlern aber nicht nur die Grund- und Hauptschulen, sondern auch die Bildungs-gänge der Realschule und des Gymnasiums mitbedacht. Die Verwaltungsvorschrift540 regelt deren Aufnahme, die Anerkennung der Sprache des Herkunftslandes als Pflichtfremdspra-che, die Einrichtung von Begleitförderkursen und von Arbeitgemeinschaften „Deutsch für Aussiedler“ an diesen Schulen. Weiterhin werden für Aussiedlerinnen und Aussiedler Son-derlehrgänge an Gymnasien zum Erwerb der Fachhochschulreife und Förderklassen an Real-schulen geboten.541

Baden-Württemberg bietet seit einigen Jahren flächendeckend die erste Fremdsprache ab der ersten Klasse an. Die Herkunftssprachen der zugewanderten Bevölkerung sind im Ver-gleich zu Englisch und Französisch aber deutlich unterrepräsentiert.542 Die Ersetzung der Pflichtfremdsprache durch die Sprache des Herkunftslandes ist – vorbehaltlich der organi-satorischen Möglichkeiten – für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger möglich.

3.2.3.4 Brandenburg

In der brandenburgischen Eingliederungsverordnung“543 wird nicht wie in Baden-Württem-berg zwischen ausgesiedelten und ausländischen Kindern und Jugendlichen unterschieden. Vielmehr wird das Kriterium der nicht ausreichenden Deutschkenntnisse angewandt. Das Konzept ist insgesamt sehr integrativ ausgerichtet, es finden sich keine wesentlichen segre-

538 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (2006): Sprachförderung. http://www.km-bw.de/servlet/PB/-s/ou977m1n1j52n93s7xmqquo2p1mnnlqo/menu/1099670/in-dex.html?ROOT=1075594 (Stand: 23. November 2006)

539 Der Ausländerbeauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg 2002, S. 92540 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (2005b): Unterricht für ausgesie-

delte Schüler an den allgemein bildenden und beruflichen Schulen. http://www.leu.bw.schule.de/bild/Unt-Aus-siedler.pdf (Stand 10. Januar 2007); Die folgenden, ausgesiedlte Schüler/innen betreffenden Angaben sind – wenn nicht anders angegeben – dieser Vorschrift entnommen.

541 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 67; Die Unterschieden in der Schuleingliederung von ausgesiedelten und ausländischen Schüler(inne)n drücken sich auch sprachlich aus. In der die Aussiedler/innen betreffenen Verwaltungsvorschrift heißt es: „Bei den Hausaufgaben haben die Schulen die besonderen Bedürfnisse der Schüler zu berücksichtigen und ihnen soweit wie möglich Hilfen bereitzustellen.“ Für die Ausländer/in-nen gilt hingegen: „Bei der Erteilung von Hausaufgaben sollte der Lehrer die besondere Situation der aus-ländischen Schüler so weit wie möglich berücksichtigen.“

542 ebd., S. 69f.543 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg 2001, Alle Angaben in diesem Kapitel

beziehen sich – wenn nicht anders angegeben – auf diese Verordnung.

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gativen Maßnahmen. Darüber hinaus ist es recht detailliert, beispielsweise werden die Mit-wirkungsrechte der „Einzugliedernden“ bedacht. Besonders in den umfangreichen, entge-genkommenden Regelungen zur Anerkennung der Erstsprache als Pflichtfremdsprache ist der politische Wille erkennbar, den zugewanderten Schülerinnen und Schülern den Aufstieg in höhere Bildungsgänge zu ermöglichen. Weiterhin wird Jugendlichen, die durch einen Re-alschulabschluss zwar die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe besitzen, deren Deutschkenntnisse aber noch nicht ausreichend sind, angeboten, die zehnte Klasse zu wiederholen und parallel in speziellen Förderkursen Deutsch als Zweitsprache zu besu-chen.544

Als konkrete Maßnahmen werden Vorbereitungsgruppen, Förderkurse und der mutter-sprachliche Unterricht benannt. Aufgabe der Vorbereitungsgruppen ist die Vorbereitung auf den Regelunterricht. Dazu dient in erster Linie das Erlernen der deutschen Sprache, bei ent-sprechend entwickelten Sprachkenntnissen im Deutschen aber auch ein auf den Lehrplan der Regelklassen abgestimmter Fachunterricht. Die Gruppen werden ab der zweiten Klas-senstufe angeboten und dürfen – aufgrund der kleinen Zielgruppe – höchstens vier Jahr-gangsstufen zusammenfassen. Für die erste Klassenstufe ist ihr Besuch dann vorgesehen, wenn der für die erste und zweite Jahrgangsstufe vorgesehene zweisprachige Unterricht nicht angeboten werden kann. Jener sieht das zweisprachig koordinierte Lesen- und Schrei-benlernen vor. Die Vorbereitungsgruppen dauern für die zweite bis vierte Jahrgangsstufe bis zu sechs, für die fünfte Klasse bis zu zwölf Monate. Wenn Teilnehmende bereits vorher über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, können sie ihre Gruppe vorzeitig verlassen. In diesen Fällen wird bei weiter vorhandenem Förderbedarf Unterricht in Förderkursen er-teilt. Parallel zum Besuch der Vorbereitungsgruppen werden die Einzugliedernden in den regulären Unterricht der Fächer Sport, Musik, Kunst, Arbeitslehre und Sachunterricht auf-genommen. Damit soll die soziale Integration gefördert sowie das gelernte Deutsch auch im Alltag angewendet und ausgebaut werden. Abhängig vom Sprachfortschritt wird der Besuch des regulären Unterrichts schrittweise ausgebaut.

Förderkurse verfolgen das vorrangige Ziel der Vermittlung von „mindestens ausreichenden Kenntnissen in der deutschen Sprache“, je nach Sprachfortschritten wird zusätzlich Förder-unterricht in Mathematik und Fremdsprachen erteilt. Sie werden prinzipiell allen „Einzu-gliedernden“ ab der zweiten Klasse angeboten und dürfen ebenfalls vier Jahrgangsstufen übergreifen. Die Kurse dauern maximal zwei Jahre und umfassen zwei Unterrichtsstunden pro Tag, bei weniger als fünf Teilnehmenden nur eine.

Die Teilnahme am muttersprachlichen Unterricht ist freiwillig. Er soll eigentlich von den Schu-len jahrgangs-, schulstufen- und schulübergreifend mit maximal vier Wochenstunden ange-boten werden. Diese Regelung hat aber nur einen theoretischen Wert. In der Praxis domi-niert die Bestimmung, dass Freie Träger für die Durchführung des Unterrichts vom Land fi-nanziert werden, wenn den Schulen aus personellen oder organisatorischen Gründen die Erteilung von muttersprachlichem Unterricht nicht möglich ist. Träger des muttersprachli-chen Unterrichts in Brandenburg sind die Regionalen Arbeitsstellen (RAA) e.V. Praktisch ergibt sich eine weitere Möglichkeit des muttersprachlichen Unterrichts dadurch, dass zugewan-

544 Gogolin/Neumann/Reuter 2001, S. 102

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derte Schülerinnen und Schüler den regulären Polnisch- und Russischunterricht besu-chen.545

Eine Form der Kooperation zwischen den Instanzen im Schulsystem ist dadurch gewährleis-tet, dass die in den Fördermaßnahmen tätigen Lehrkräfte Mitglieder in den Klassenkonfe-renzen ihrer Teilnehmenden sind.

Eingangs wurde erwähnt, dass umfangreiche, entgegenkommende Regelungen im Bereich der Anerkennung von Fremdsprachen existieren. Diese äußern sich beispielsweise darin, dass Feststellungsprüfungen für die Erstsprache oder die Amtssprache des Herkunftslandes bei Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern in die achte bis zehnte Klassenstufe eine Pflichtfremdsprache ersetzen kann. Ausdrücklich vorgesehen ist in diesem Fall, auf Grund des dadurch möglichen Ausschlusses höherer Bildungsgänge (die mehr als eine Fremdspra-che voraussetzen), die Beratung der Eltern. Für Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen in die elfte Klasse des Gymnasiums ist statt einer Pflichtfremdsprache der Unterricht in ihrer Erstsprache oder in der Amtssprache des Herkunftslandes möglich. Wenn dies aus organisa-torischen Gründen nicht möglich ist, dann gilt eine Sprachfeststellungsprüfung am Ende der elften Klasse als Erfüllung der Fremdsprachenverpflichtung.

Eine Besonderheit in Brandenburg ist die Möglichkeit für polnische Schülerinnen und Schü-ler aus dem grenznahen Bereich, an Gymnasien und Gesamtschulen in Brandenburg ein deutsches Abitur abzulegen. Dabei werden sie zusätzlich in der deutschen Sprache geför-dert. Polnischunterricht wird an den betreffenden Schulen auch für die deutschen Schüle-rinnen und Schüler angeboten, teilweise durch polnische Lehrkräfte.546

Eine weitere Besonderheit in Brandenburg ist die große Verbreitung rechtsextremer Ein-stellungen und das damit verbundene Problem der Jugendgewalt. Im Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ werden die Schulen als wichtige Partnerinnen im Kampf gegen Rechtsextremismus eingebunden.547 Möglicherweise führt dies zu einer Sensibilisierung des Lehrpersonals für die Bedürfnisse der Zugewanderten.

3.2.3.5 Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen wurden zunächst nationalhomogene Klassen für die Kinder der Ar-beitsmigrantinnen und Arbeitmigranten mit einem hohen Anteil von Herkunftssprachen-unterricht eingerichtet. Die Trendwende kam mit einem Runderlass von 1982548, der eine klare Priorität auf gemischte Klassen legt:

„Der gemeinsame Schulbesuch deutscher und ausländischer Schülerinnen und Schüler ermöglicht am ehesten, ausländische Kinder und Jugendliche in das deutsche Bildungswesen einzuführen und gegenseitiges Verständnis zu wecken. Nationalhomogene Klassen stehen dazu im Widerspruch. Darum hat gemeinsa-mer Unterricht Vorrang vor jeder getrennten Form.“549

545 ebd., S. 110546 ebd. 2001, S. 113547 Elverich 2005, S. 310548 Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1982; Alle Angaben in diesem Kapitel bezüglich des

Unterrichts für ausländische Schüler/innen beziehen sich – wenn nicht anders angegeben – auf diesen Runderlass.

549 Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1982, S. 1

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Seitdem hat sich das Bundesland den Ruf erarbeitet, besonders innovative Konzepte in der Beschulung von ausländischen Schülerinnen und Schülern zu entwickeln.550 Dazu haben zahlreiche Maßnahme in der Bildung der Lehrerinnen und Lehrer beigetragen: Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland 1991 „Deutsch als Zweitsprache“ und „Interkulturelle Pädagogik“ als Zusatzqualifikation eingeführt. 1999 war es das erste Bundesland, das seinem Lehrpersonal Hinweise dafür gegeben hat, wie sie sprachliche Aspekte als Querschnittsauf-gabe aller Fächer im Unterricht beachten und Deutsch als Zweitsprache integriert fördern können.551 Im Lehramtsstudiengang an der Universität Essen wurde erstmals in Deutschland Türkisch als Studienfach angeboten.552 Auf der strukturellen Ebene war die Einrichtung der Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher (RAA) bemerkens-wert. Die RAA bietet auf lokaler Ebene Sozialbetreuung und eine Begleitung der Schulen an.553

In den Verwaltungsvorschriften wird zur Bestimmung der Zielgruppe von Eingliederungs-maßnahmen wie oben angesprochen auf den Rechtsstatus „ausländisch“ oder „ausgesie-delt“ zurückgegriffen. Die Maßnahmen zur Unterrichtung ausländischer und ausgesiedelter Schülerinnen und Schüler weisen eindeutig integrative Ziele auf, und erklärtes Ziel der Schulpolitik ist, die Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Schülern aus dem Schulrecht zu verbannen.554 Im Runderlass für ausländische Schülerinnen und Schüler wird die Bedeutung des muttersprachlichen Unterrichts für die Persönlichkeitsentwicklung be-tont. Weiterhin – heißt es dort zwar – „sind die Muttersprache und die nationale Kultur von besonderer Bedeutung, insbesondere als Grundvoraussetzung für die Rückkehr in die Hei-mat ihrer Eltern.“555 Der ab 1999 geltende „Lehrplan Muttersprachunterricht“ schränkt die-se Aufgabe des Unterrichts aber ein und betont die besonderen sprachlichen Fähigkeiten von Migrantinnen und Migranten.556 Der Lehrplan „Türkisch in der Sekundarstufe I“ be-schreibt die Ziele des Unterrichts für das Leben innerhalb einer „mehrsprachigen und mul-tikulturellen Lebenssituation in der Bundesrepublik.“557 Ein weiteres integratives Merkmal der Vorschrift von 1982 besteht darin, dass „zusätzliche Fördermaßnahmen in gleicher Wei-se für deutsche wie für ausländische Schülerinnen und Schüler durchgeführt“ werden sol-len.558

Als konkrete Eingliederungsmaßnahmen sind Förderunterricht, Vorbereitungs- bzw. För-derklassen und der muttersprachliche Unterricht vorgesehen. Die für ausgesiedelte und ausländische Schülerinnen und Schüler vorgesehenen Maßnahmen sind sich prinzipiell sehr ähnlich. Eine Besonderheit am Runderlass, der die Unterrichtung ausgesiedelter Schü-lerinnen und Schüler regelt, besteht aber in einem zusätzlichen Absatz, der ausdrücklich alle Schulformen verpflichtet, an der Eingliederung mitzuwirken.559

550 vgl. Gogolin/Neumann/Reuter 2001, S. 303551 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 69552 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 143553 Gogolin/Neumann/Reuter 2001, S. 304554 Hunger 2001, S. 126555 Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1982, S. 1556 Gogolin/Neumann/Reuter 2001, S. 281557 ebd., S. 282558 Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 1982, S. 1559 Kultusministerium und Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen

1988; Alle Angaben in diesem Kapitel bezüglich des Unterrichts für ausgesiedelte Schüler/innen beziehen sich – wenn nicht anders angegeben – auf diesen Runderlass.

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Der zusätzliche Förderunterricht in Deutsch wird in den Regelklassen für ausländische und ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler bei Bedarf angeboten.

Die Vorbereitungsklassen werden für ausländische Schülerinnen und Schüler bei mangelnden Deutschkenntnissen an allen Schulformen eingerichtet. Im Falle der ausgesiedelten Schüle-rinnen und Schüler heißen sie formal Förderklassen, werden aber in der Praxis mit den Vor-bereitungsklassen zusammengefasst, was die Vorschrift ausdrücklich vorsieht. Diese Klassen haben den Schwerpunkt des Deutschlernens, der Unterricht in anderen Fächer dient vor-rangig dem Erlernen der Fachsprache Deutsch. Sie dauern maximal zwei Jahre, wobei ein vorzeitiger Übergang je nach individuellem Stand angestrebt wird. Die Unterrichtssprache ist Deutsch, bei nationalhomogenen Klassen kann aber zeitweise auf die Erstsprache zurück-gegriffen werden. Zeitweilig findet in den Vorbereitungsklassen eine gemeinsame Unter-richtsführung durch eine deutsche und eine ausländische Lehrkraft statt. Eine Form der Ko-operation zwischen den Bildungsinstanzen findet sich in Gutachten der Klassenkonferenz von Vorbereitungs- und Förderklassen, die den aufnehmenden Schulen zugehen. Für Quer-einsteigerinnen und Quereinsteiger sind so genannte „Auffangklassen“ vorgesehen.

Der muttersprachliche Unterricht wurde gemäß der oben angesprochenen geänderten Ausrich-tung neu geordnet. Er soll vorwiegend zur Förderung der Mehrsprachigkeit und des Sprach-erwerbs im Deutschen beitragen. Zunächst wurde dieser Unterricht in den Amtssprachen der Anwerbeländer auf griechisch, italienisch, marokkanisch, portugiesisch, spanisch, tür-kisch und tunesisch sowie für Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien angeboten, spä-ter kam Kurdisch dazu. Mittlerweile umfasst das Angebot 19 Sprachen.560 Die Teilnahme ist freiwillig, Klassen werden bei mindestens zehn Anmeldungen gleicher Erstsprache einge-richtet. Der Unterricht über fünf Wochenstunden wird in den Regel- und Vorbereitungsklas-sen angeboten. Zu Beginn eines jeden Schuljahres sind Beratungen mit den Eltern und die Wahl eines Elternsprechers oder einer Elternsprecherin vorgesehen.

Schulen mit mehr als einer Pflichfremdsprache, also Gesamt- und Realschulen sowie Gym-nasien, bieten mit vom Land gestellten zusätzlichen Personalstellen die Erstsprache als zweite oder dritte Fremdsprache an. Im Schuljahr 2002/2003 gab es in diesem Bereich 8.211 Lerngruppen mit 113.000 Teilnehmenden.561 Weiterhin gibt es bilinguale Schulversuche als deutsch-italienische und deutsch-türkische Klassen an Grundschulen.562 Für Zugewanderte ist die Note einer Feststellungsprüfung in der Amtssprache des Herkunftslandes (für Ausge-siedelte zusätzlich Russisch) versetzungs- und abschlussrelevant. Seit 1992 liegt eine aus-führliche Regelung zur Anerkennung durch Feststellungsprüfungen anstelle von Pflicht-fremdsprachen oder Wahlpflichtfremdsprachen vor.

Die Sprachförderung setzt seit 2002 in Kindertagesstätten und Grundschulen an und ist ein-gebettet in ein interkulturelles Konzept, die koordinierte Förderung im Deutschen und der Erstsprache. Vorgesehen sind weiterhin die Elternbeteiligung und die Begleitung des Über-gangs in die Grundschule.563

Trotz des Regierungswechsels zu einer schwarz-gelben Koalition im Mai 2005 ist mit einer Kontinuität in der auf Integration ausgerichteten Bildungspolitik zu rechnen. Als erstes

560 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 70561 Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 140f.562 BBM 2005b, S. 56563 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 93

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Bundesland gründete die neue Regierung ein Integrationsministerium. Die Landesregierung kündigte im Juni 2006 einen 20 Punkte umfassenden „Aktionsplan Integration“ an, dessen öffentliche Vorstellung der Ministerpräsident mit dem Satz einleitete: „Die zentrale Heraus-forderung heute lautet: Integration durch Bildung.“564 In diesem ist der Ausbau der Maßnah-men im Bereich der vorschulischen Sprachförderung, Ausbau von Ganztagsschulen sowie Einstellung von Lehrpersonal mit Migrationshintergrund.

3.2.3.6 Sachsen

In zwei Verwaltungsvorschriften aus dem Jahr 1992 unterscheidet der Freistaat Sachsen noch zwischen ausländischen und ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern. Diese befin-den sich momentan in der Überarbeitung und sollen in der vereinheitlichten Neufassung für alle Migrantinnen und Migranten gelten.565 Praktisch wurden die getrennten Verwal-tungsvorschriften bereits 1993 durch ein für ausländische und ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler einheitliches Konzept abgelöst, 1996 traten dazu vorläufige Lehrpläne in Kraft, und seit dem Jahr 2000 gilt die „Sächsische Konzeption zur Integration von Migranten“566, die in einem Lehrplan für Deutsch als Zweitsprache genau ausgearbeitet ist. In dem Konzept werden als Zielgruppe der Maßnahmen alle neu zugewanderten, bei Bedarf auch schon län-ger in Deutschland lebende Kinder und Jugendlichen, benannt. Die Konzentration auf die neu Zugewanderten begründet sich im Umstand, dass über 80 Prozent der Kinder und Ju-gendlichen mit Migrationshintergrund in Sachsen ihre Schullaufbahn bereits in einem an-deren Land begonnen haben und somit als Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger inte-griert werden müssen.567

Die Konzeption geht davon aus, dass die zugewanderten Kinder und Jugendlichen auf Dauer bleiben werden und zielt auf deren zügige Integration in drei Schritten. Das Ziel der ersten Etappe ist zuvorderst die soziale Integration, für die der Unterricht in Deutsch als Zweitspra-che die Grundlage legen soll. Dazu werden an Grund- und Mittelschulen Vorbereitungsklas-sen oder -gruppen eingerichtet. Am Ende dieser Etappe steht die partielle Unterrichtung in einer Regelklasse, beginnend mit weniger sprachbetonten Fächern wie Musik, Kunst oder Sport, parallel zur Vorbereitungsklasse. Sie dauert im Grundschulbereich vier bis sechs, in der Sekundarstufe sechs bis acht Wochen. Diese Klassen oder Gruppen sind für alle zuge-wanderten Kinder und Jugendlichen obligatorisch und werden etwa an jeder 20. Schule an-geboten.568 In Leipzig gab es im Schuljahr 2005/2006 Vorbereitungsklassen an sechs Grund-schulen und fünf Mittelschulen.569 Für die zweite Etappe steht die Erreichung der schulischen Integration im Vordergrund der Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache. Die Eingliede-rung in die Regelklassen wird mit Fächern, die weniger Deutschkenntnisse voraussetzen, auf 15 bis 25 Wochenstunden ausgebaut. Diese Phase soll für die Grundschulzeit sechs bis acht

564 Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen (2006): Nordrhein-Westfalen wird das Land der neuen Integrations-chancen: Landesregierung beschließt 20-Punkte-Aktionsplan Integration“. Düsseldorf: Landespresse- und Informa-tionsamt NRW, http://www.integrationsportal.nrw.de/aktuelles-material/238_mgffi27062006.pdf (Stand: 23. November 2006)

565 telefonische Auskunft von Manuela Heine (Sächsisches Staatsministerium für Kultus) am 6.12.06566 Sächsisches Staatsinstitut für Bildung und Schulentwicklung 2000; Nicht mit anderen Quellenverweisen

versehene Angaben dieses Kapitels sind diesem Lehrplan entnommen.567 Die Sächsische Ausländerbeauftragte 2005, S. 60568 Flam/Kleres 2007569 Referat Ausländerbeauftragter der Stadt Leipzig (2006): Die Integration der Migranten in Leipzig als Quer-

schnittsaufgabe. Bericht des Referats Ausländerbeauftragter. Stadt Leipzig: Information zur Ratsversammlung am 11.10.2006, S. 24

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Monate, im Sekundarbereich in der Regel neun bis zwölf, aber höchstens 18 Monate dauern. Zum Beginn der dritten Etappe soll die vollständige Unterrichtung in der Regelklasse erreicht sein. Deutsch als Zweitsprache wird begleitend angeboten und soll eine Unterstützung bie-ten, die sich an den sprachlichen Anforderungen des Regelunterrichts ausrichtet. Das Ende dieser Phase wird individuell festgelegt.

Einen besonderen Schwerpunkt legt dieses Schuleingliederungsmodell auf das schulorgani-satorisch abgesicherte Konzept der Betreuungslehrer und Betreuungslehrerinnen. Diese Rolle übernehmen die Lehrerinnen und Lehrer des Unterrichts in Deutsch als Zweitsprache der Vorbereitungsklassen und -gruppen. Von ihnen wird erwartet, dass sie eine individuelle Förderung und Beratung sowie die Koordination zwischen den Bildungsinstanzen realisie-ren. Zur individuellen Förderung der zugewanderten Schülerinnen und Schüler werden die-se durch die Betreuungslehrerinnen und -lehrer auf dem Weg durch die drei Integrations-etappen begleitet. Während der ersten Etappe erhält „der Betreuungslehrer (...) die Mög-lichkeit, Lebenssituation, Persönlichkeit und Sprachstand der Schüler kennen zu lernen.“570 Dies soll während der zweiten Etappe individuelle Entscheidungen über Zeitpunkt und Rei-henfolge des Besuchs von Fächern in den Regelklassen ermöglichen. Dabei setzt das Kon-zept bei einer Orientierung an der gesamten Lebenslage und Persönlichkeit der Zugewan-derten an:

„Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass der im Deutschen erzielte Sprachstand ebenso eine Rolle spielt wie die Persönlichkeit, die soziale Integrati-on, das Sachwissen, die persönlichen Interessen, die Fähigkeiten, Neigungen und Wünsche des Schülers.“571

Deutlich wird dies auch daran, dass das definierte Ziel der dritten Etappe nicht dann er-reicht ist, wenn die Schülerinnen und Schüler „ohne sprachliche Beeinträchtigung selbst (...) lernen“572 können. Sondern sie sollen auch in die Lage versetzt sein, „die Erfahrungen ihres Lebens in den gemeinsamen Lernprozess einzubringen“573. Besonders in der zweiten Etappe sollen die Perspektiven der Schullaufbahn, auch mit Sicht auf den gymnasialen Bil-dungsgang, berücksichtigt werden. Eine durch die Betreuungslehrerinnen und -lehrer ver-mittelte Kooperation ist zwischen allen beteiligten Lehrerinnen und Lehrern sowie den El-tern vorgesehen. Unter anderem sollen die Fachlehrerinnen und Fachlehrer der Regelklas-sen Hinweise für die Vermittlung der Fachsprache bekommen. Die Betreuungslehrerinnen und -lehrer beraten außerdem die zugewanderten Kinder und Jugendliche sowie deren El-tern zum weiteren Bildungsweg auf Grundlage der bisherigen Fremdsprachenfolge und ent-sprechend den mitgebrachten Sprachen. Einzelschulen werden in interkulturellen Fragen beraten.574

In der jüngsten Lehrplanreform wurden „Eckwerte Interkulturalität“ in die Revision aller Lehrpläne eingebracht.575 Somit ist die sprachliche Bildung für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund als Aufgabe aller Fachlehrerinnen und -lehrer vorgesehen576, au-

570 Sächsisches Staatsinstitut für Bildung und Schulentwicklung 2000, S. 5571 ebd., S. 6572 ebd., S. 7573 ebd., S. 7574 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 65575 ebd., S. 75576 Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2006, S. 5

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ßerdem wurden Aspekte der interkulturellen Erziehung in den Regelunterricht einge-bracht.577

Der in Sachsen vorgesehene „herkunftssprachliche Unterricht“ verfolgt die Intention, güns-tige Voraussetzungen für die geistige Entwicklung zu bieten, was auch die Unterstützung des Lernprozesses der deutschen Sprache einschließt. Zu diesem Zweck soll er das zweispra-chige Aufwachsen fördern. Die Teilnahme ist freiwillig, der Unterricht umfasst maximal fünf Wochenstunden. Für die Durchführung kooperiert das Land mit außerschulischen Bil-dungseinrichtungen. Im Schuljahr 2004/2005 besuchten knapp 2.000 Schülerinnen und Schüler den herkunftssprachlichen Unterricht.578 Allein in Leipzig gab es im darauf folgen-den Schuljahr 35 Klassen und acht Sprachen: Arabisch, Griechisch, Kurdisch, Persisch, Por-tugiesisch, Russisch, Spanisch, Vietnamesisch; davon wurde nur Griechisch durch das Grie-chische Generalkonsulat organisiert.579 Die Anerkennung der Erstsprachen als erste oder zweite Fremdsprache ist durch eine Feststellungsprüfung möglich. Im Schuljahr 2003/2004 haben von dieser Regelung über 1.000 Schülerinnen und Schüler in 14 Sprachen Gebrauch gemacht.580

Eine 2003 beschlossene Verbesserung der vorschulischen Bildung soll auch zur frühen För-derung der sprachlichen Bildung der Kinder mit Migrationshintergrund beitragen. Sie sieht unter anderem eine Zusammenarbeit zwischen Kindergärten, Grundschulen und Eltern vor.581

Seit Mai 2005 beteiligt sich Sachsen mit dem Schwerpunkt „duchgängige Sprachförderung“ am BLK-Programm „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ (FÖRMIG Sachsen). Damit wird ab 2007 flächendeckend für alle Schulen mit Vorbeitungsklas-sen angestrebt, die Integrationsprozesse vor allem bezüglich der sprachlichen Förderung zu optimieren. Fünf Basiseinheiten analysieren zuvor Schnittstellen im Schulsystem, entwi-ckeln Fördernetzwerke und Niveaubeschreibungen für Deutsch als Zweitsprache.582

Weiterhin wird seit November 2004 an den Universitäten Leipzig sowie der Technischen Universität und der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden das Projekt „Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ mit Mitteln der Stif-tung Mercator GmbH durchgeführt. Im Rahmen dieses Projektes wird für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund außerschulischer Förderunterricht durch Lehramtsstu-dierende angeboten.583

Das Vorbild ist ein nachhaltig erfolgreiches Projekt der Universität Essen. Die Ziele sind ei-nerseits die schulbegleitende Förderung der fachlichen und fachsprachlichen Entwicklung unter Berücksichtigung der Zweisprachigkeit und andererseits die Qualifizierung pädagogi-schen Personals durch die Anbindung an die universitäre Erstausbildung.584 Das Projekt wird in Kooperation mit der Schulverwaltung, der Universität und vielen Einzelschulen durchge-führt. Der Förderunterricht findet nachmittags in möglichst homogenen Kleingruppen für

577 Schneider, S. 53ff.578 Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2006, S. 4579 Referat Ausländerbeauftragter der Stadt Leipzig 2006, S. 24580 Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2006, S. 4581 ebd., S. 1582 ebd., S. 5583 ebd., S. 6584 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 60

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ein bis acht Stunden pro Woche statt. Neben der sprachlichen und fachsprachlichen Förde-rung sollen bei die Teilnehmenden weitere Voraussetzungen für eine qualifizierte Berufs-ausbildung oder ein Studium geschaffen werden. Dazu dienen eine Schullaufbahnberatung, die sozialpädagogische Betreuung und die Kooperation mit dem Lehrpersonal an den Schu-len. Die eingesetzten Lehramststudierenden erhalten Supervision, wissenschaftliche Beglei-tung und spezifische Fortbildungen.585

Im Unterschied zum Essener Modell findet der Förderunterricht in Sachsen nicht in den Räumen der Universitäten, sondern an den Schulen statt. Aufgrund des geringen Anteils von Studierenden mit Migrationshintergrund586 dürfte in Leipzig und Dresden für die betei-ligten Studierenden – neben der berufspraktischen Erfahrung und dem Wissen aus den Fortbildungen – der Einblick in die Lebenswirklichkeiten der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund eine besondere Bereicherung darstellen. Schon an der Universität Essen wurde festgestellt:

„Der Förderunterricht stellt für die Förderlehrerinnen und -lehrer ohne Migrati-onshintergrund häufig einen ersten Ansatzpunkt zu intensiven Kontakten mit ausländischen Familien dar, was angesichts der auch unter Studierenden vor-herrschenden Unkenntnis der tatsächlichen Lebensbedingungen der ausländi-scher (sic) Familien in Deutschland von großem Wert ist.“587

3.2.4 Fünftes Zwischenfazit: Der Einfluss der Einwanderungspolitik auf die Schuleinglie-derungsmodelle in den Bundesländern

Für den Vergleich der beiden westdeutschen Bundesländer ergaben die Untersuchungen dieses Kapitels, dass sich in Nordrhein-Westfalen die Vorgaben aus einer eher auf Inklusion ausgerichteten Einwanderungs- und Integrationspolitik auch im Bildungssystem nieder-schlagen:

‒ 1979 hatte der ehemalige Ministerpräsident dieses Bundeslandeslandes im so genann-ten „Kühn-Memorandum“ die Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland und eine stringente Integrationspolitik gefordert. Drei Jahre später wurde die Unter-richtung der ausländischen Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen vom zuvor segregativen Umgang in getrennten Klassen auf ein integratives Modell umge-stellt.

‒ Die Regelungen sind mittlerweile schulgesetzlich verankert und gehen bis zur Be-rücksichtigung der Elternmitwirkung. Alle in Nordrhein-Westfalen gemeldeten Kin-der und Jugendlichen werden seit kurzem von der Schulpflicht erfasst und damit ins Bildungssystem einbezogen. Der muttersprachliche Unterricht findet unter öffentli-cher Schulaufsicht in vielen Sprachen statt und soll zur koordinierten Förderung der Deutsch- und Mehrsprachigkeit beitragen, die damit ausdrückliche Würdigung er-fährt.

585 Benholz, Claudia (2004): Förderunterricht fr Kinder und Jugendliche ausländischer Herkunft an der Universität Duis-burg-Essen. in: Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Fĺüchtlinge und Integration: Förderung von Migrantinnen und Migranten in der Sekundarstufe I. Fachtagung am 3. Dezember 2003 in Berlin. Doku-mentation, Berlin, Bonn: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, S. 42-51, S. 42ff.

586 Stiftung Mercator GmbH (2006): Mercator Förderunterricht. http://www.mercator-foerderunterricht.de/ foerderunterricht/cms/front_content.php?idcat=34 (Stand 23. November 2006)

587 Benholz 2004, S. 46

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Für Baden-Württemberg konnte hingegen bestätigt werden, dass die eher segregativen Vor-gaben aus der Einwanderungs- und Integrationspolitik Auswirkungen auf eine weniger inte-grative und teilweise sogar segregative Ausrichtung der bildungspolitischen Maßnahmen im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund aufweisen:

‒ Die Vorgaben aus der Vorstellung der auf Abstammung beruhenden deutschen Staatsbürgerschaft zeigen sich in einer deutlichen Bevorzugung von ausgesiedelten Schülerinnen und Schülern gegenüber ausländischen durch das Bedenken aller Bil-dungsgänge und spezielle Fördermaßnahmen für höhere Abschlüsse. Besonders die ausländischen Schülerinnen und Schüler sind hingegen mit der Konzentration der Vorbereitungsklassen auf Grund- und Hauptschulen strukturellen Benachteiligungen ausgesetzt, weil ihnen so der Aufstieg in höhere Bildungsgänge erschwert wird. Eine Ursache hierfür ist, dass in ihrem Fall keine stringente Orientierung an der dauerhaf-ten Integration in Schule und Gesellschaft angestrebt wird. Stattdessen ist als Nach-wirkung der unentschiedenen Einwanderungspolitik immer noch die Betonung der „Rückkehrförderung“ zu konstatieren.

‒ Strategien der Nichtbeachtung, die sich aus der Leugnung der Einwanderungssituati-on entwickelt haben, greifen zwar nicht mehr allgemein. Trotzdem ist die fehlende Berücksichtigung der Kinder Asylsuchender und anderer Gruppen mit eher kurzfris-tigem Aufenthalt ein deutlicher Ausdruck einer auf Exklusion zielenden Politik. Beim muttersprachlichen Unterricht in der Verantwortung ausländischer Konsulate außer-halb der deutschen Schulaufsicht zeigt sich darüber hinaus, dass die nichtdeutschen Erstsprachen nicht konsequent für die Förderung der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund genutzt werden.

Im Vergleich der bildungspolitischen Erklärungen in den Landesverfassungen und Schulge-setzen von Brandenburg und Sachsen konnte zwar die Vermutung bestätigt werden, dass sich das (sozialdemokratisch dominierte) Land Brandenburg darin mehr als der (christde-mokratisch dominierte) Freistaat Sachsen zu einer auf Inklusion zielenden Integrationspoli-tik bekennt. So finden sich in Brandenburg Leitsätze der Interkulturellen Erziehung im Schulgesetz und der Landesverfassung, und die Grundfragen zum Umgang mit den einzu-gliedernden Schülerinnen und Schülern sind schulgesetzlich verankert. Die konkreten Schuleingliederungsmodelle zielen aber beide auf dauerhafte Integration der Zugewander-ten und beinhalten keine wesentlichen, segregativen Elemente:

‒ Beide Länder fassen – auch wegen der geringen Anteile der einzugliedernden Schüle-rinnen und Schüler – die Integration von ausländischen und ausgesiedelten Schüle-rinnen und Schüler sowie generell aller zugewanderten Schülerinnen und Schüler mit Sprachdefiziten im Deutschen zusammen. Weiterhin sehen beide Konzepte Rege-lungen für das Erreichen höherer Schulabschlüsse, eine an individuellen Bedürfnissen ausgerichtete, schrittweise Integration in die Regelklasse und die Kooperation zwi-schen den Bildungsinstanzen vor. Die Schulpflicht besteht in beiden Bundesländern für alle gemeldeten Schülerinnen und Schüler, auch wenn in Sachsen eine zweifels-freie rechtliche Sicherheit dafür fehlt.

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‒ Das sächsische Integrationskonzept ist aber insgesamt umfassender, besonders in Be-zug auf die Rolle der Beratungslehrerinnen und Beratungslehrer sowie die Umset-zung im Lehrplan Deutsch als Zweitsprache.

Das brandenburgische Konzept ist deswegen geeignet, den Teil der These zu bestätigen, dass die sozialdemokratisch geprägten Bundesländer in ihrer Schulpolitik gegenüber Schülerin-nen und Schülern mit Migrationshintergrund auf integrative Maßnahmen setzen. Das Bei-spiel des Freistaats Sachsen widerlegt aber mit seinem engagierten Integrationskonzept den anderen Teil der Behauptung, wonach die christdemokratisch geprägten Bundesländer eher zu segregativen Maßnahmen neigen.

Wenn im folgenden Kapitel also die Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migra-tionshintergrund in den Bundesländern darauf untersucht werden, ob sich in ihnen Ergeb-nisse der unterschiedlichen Integrationsmaßnahmen widerspiegeln, wird Sachsen mit zur Gruppe der Länder gezählt, deren Eingliederungsmodelle eindeutig integrativ ausgerichtet sind.

3.3 Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in den Bundesländern

Dieses Kapitel untersucht die Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrations-hintergrund im Vergleich zu den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund und zwischen den betrachteten vier Bundesländern. Um dabei zu einem möglichst umfas-senden Eindruck zu gelangen und um die jeweiligen Schwächen verschiedener Datenquellen auszugleichen, werden die Schulerfolge folgendermaßen dargestellt:

‒ Mit der Bildungsbeteiligung wird die Verteilung der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auf die verschiedenen Schularten der Sekundarstufe I be-trachtet. Die nötigen Angaben können auch als Zeitreihe der amtlichen Schulstatistik für deutsche und ausländische Schüler und Schülerinnen, auch getrennt nach Natio-nalitäten, sowie punktuell für ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler entnommen werden.

‒ Die erzielten Abschlüsse werden ebenfalls in der amtlichen Schulstatistik für auslän-dische und deutsche Schülerinnen und Schüler in Zeitreihen angegeben.

‒ Schulleistungen, die bei der PISA-E Studie für Schülerinnen und Schüler mit Migrati-onshintergrund gemessen wurden, ergänzen den Vergleich für die Bundesländer Ba-den-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Für die beiden ostdeutschen Ländern stehen diese Angaben nicht zur Verfügung.

Die im Vergleich der Bundesländer auftretenden Unterschiede im Schulerfolg der Schüle-rinnen und Schüler mit Migrationshintergrund werden anschließend – soweit möglich – er-klärt. Das sechste Zwischenfazit beendet dieses Kapitel und gibt auf die Forschungsfrage VI Antwort, ob sich die Unterschiede in den Schulerfolgen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auf die unterschiedlichen bildungspolitischen Positionen und Maß-nahmen der Länder zurückführen lassen.

Die für verschiedene Darstellungen berechneten Daten finden sich im Anhang am Ende die-ser Arbeit.

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120

3.3.1 Bildungsbeteiligung nach Schultyp

Bezüglich der Verteilung der ausländischen Schülerinnen und Schüler auf die verschiede-nen Schularten der Sekundarstufe I ist wegen der Unterschiedlichkeit der Schulsysteme im Vergleich der Bundesländer keine klare Rangordnung der Bundesländer ableitbar. Trotzdem geben diese Zahlen einen guten Eindruck, welche Schularten von den ausländischen Schüle-rinnen und Schülern am häufigsten besucht werden, und an welchen Schularten weniger ausländische Kinder und Jugendliche anzutreffen sind. Die den folgenden Darstellungen zur Verteilung auf Schularten zugrunde liegenden Daten sind im Anhang in der Tabelle 14 zu finden. Sie wurden der amtlichen Schulstatistik entnommen und so berechnet, dass nur die allgemein bildenden Schulen der Sekundarstufe I betrachtet werden.

In Abbildung 7 sind die prozentualen Verteilungen der ausländischen Schülerinnen und Schüler auf die verschiedenen Schularten der Sekundarstufe I in den vier untersuchten Bundesländern dargestellt. Dabei fällt auf, dass vor allem in Baden-Württemberg die Haupt-schule ihrem Namen im wahrsten Sinne des Wortes gerecht wird. Dort befinden sich mehr als die Hälfte aller ausländischen Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I. In Nord-rhein-Westfalen ist diese Tendenz abgeschwächt, weil dort die Integrierten Gesamtschulen für ausländische Jugendliche wesentlich wichtiger sind. In Brandenburg besucht fast die Hälfte der ausländischen Schülerinnen und Schüler die Integrierte Gesamtschule. In Sach-sen gehen ebenso viele ausländische Jugendliche auf eine Mittelschule, die hier als „Schulart mit mehreren Bildungsgängen“ ausgewiesen ist. Im betrachteten Schuljahr wurde erstmals ein Jahrgang in das brandenburger Pendant zur Mittelschule, die Oberschule, ein-geführt. Daher sind die Zahlen für diesen Schultyp noch sehr klein. In den beiden ostdeut-schen Bundesländern besuchen in Relation zur Gesamtzahl mehr ausländische Jugendliche ein Gymnasium als in den beiden westdeutschen. Ein näherer Vergleich zwischen Branden-burg und Sachsen ist jedoch mit dieser Darstellung nicht möglich, da in Brandenburg auch viele Integrierte Gesamtschulen die gymnasiale Oberstufe anbieten.

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Die folgenden Darstellungen vergleichen die prozentualen Anteile ausländischer und deut-scher Schülerinnen und Schüler an den einzelnen Schularten in den Bundesländern. Sie er-lauben damit eine Aussage über das Ausmaß der Benachteiligung ausländischer gegenüber deutschen Jugendlichen bzw. über die bevorzugten Schultypen. Der wesentlich größere Un-terschied in der Verteilung der ausländischen und deutschen Jugendlichen auf die Haupt-schule zwischen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wird in Abbildung 8 darge-stellt.

Abbildung 7: Verteilung ausländischer Schüler/innen auf die Schularten der Sekundarstufe I im Schul-jahr 2005/2006 in Prozent; Statistisches Bundesamt 2006e; eigene Berechnung und Darstellung

Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalen Brandenburg Sachsen0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Verteilung der ausländischen Schüler/innen auf die Schularten der Sekundarstufe I

Hauptschulen Schularten mit mehreren Bil-dungsgängen

Realschulen Gymnasien

Integrierte Ge-samtschulen

Freie Waldorf-schulen

Sonderschulen

Schü

ler/

inne

n

Abbildung 8: Verteilung deutscher und ausländischer Schüler/innen auf Hauptschulen in Prozent aller deutschen bzw. ausländischen Schüler/innen der Sekundarstufe I im Schuljahr 2005/2006 in Prozent; Statistisches Bundesamt 2006e; eigene Berechnung und Darstellung

Baden-Würt-temberg

Nordrhein-Westfalen

Brandenburg Sachsen0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Verteilung der Schüler/innen auf Hauptschulen

deutsche

ausländische

Schü

ler/

inne

n

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Jeweils in Relation zur Gesamtzahl der Gruppe befinden sich in Brandenburg und Nord-rhein-Westfalen mehr ausländische als deutsche Jugendliche auf der Integrierten Gesamt-schule, die offenbar dort, wo es sie in nennenswertem Umfang gibt, von den ausländischen Schülerinnen und Schülern bevorzugt wird (Abbildung 9).

Relativ weniger ausländische als deutsche Schülerinnen und Schüler finden sich hingegen in allen Bundesländern die den Schultyp Realschule anbieten (Abbildung 10).

Besonders bemerkenswerte Ergebnisse sind die Vergleiche bezüglich der Gymnasien und Sonderschulen. Während in den beiden westdeutschen Bundesländern geringere Anteile der ausländischen Jugendlichen ein Gymnasium besuchen, sind ihre prozentualen Anteile in Brandenburg fast so hoch wie die der deutschen Jugendlichen, in Sachsen liegen sie sogar darüber (Abbildung 11).

Abbildung 9: Verteilung deutscher und ausländischer Schüler/innen auf Integrierte Gesamtschulen in Prozent aller deutschen bzw. ausländischen Schüler/innen der Sekundarstufe I im Schuljahr 2005/2006 in Prozent; Statistisches Bundesamt 2006e; eigene Berechnung und Darstellung

Baden-Würt-temberg

Nordrhein-Westfalen

Brandenburg Sachsen0%

10%

20%

30%

40%

50%

Verteilung der Schüler/innen auf Integrierte Gesamtschulen

deutscheausländische

Schü

ler/

inne

n

Abbildung 10: Verteilung deutscher und ausländischer Schüler/innen auf Realschulen in Prozent aller deutschen bzw. ausländischen Schüler/innen der Sekundarstufe I im Schuljahr 2005/2006 in Prozent; Statistisches Bundesamt 2006e; eigene Berechnung und Darstellung

Baden-Würt-temberg

Nordrhein-Westfalen

Brandenburg Sachsen0%

10%

20%

30%

40%

Verteilung der Schüler/innen auf Realschulen

deutsche

ausländische

Schü

ler/

inne

n

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Bei den Sonderschulen bestätigt sich der Eindruck, dass die ausländischen im Vergleich zu den deutschen Schülerinnen und Schüler in den neuen Bundesländern eine günstigere Bil-dungsbeteiligung als in den alten Ländern aufweisen. Während in Baden-Württemberg, mit etwas weniger Abstand auch in Nordrhein-Westfalen wesentlich höhere Anteile ausländi-scher Jugendlicher auf eine Sonderschule verwiesen werden, sind in Sachsen und Branden-burg höhere Anteile der deutschen Jugendliche auf Sonderschulen anzutreffen (Abbildung 12).

Die Unterschiede bezüglich der Sonderschulen und Gymnasien sind auch deswegen beson-ders bedeutsam, weil es sich auf der einen Seite um die Schule mit dem höchsten Bildungs-gang handelt, dessen Besuch gute Chancen auf einen höheren Abschluss erwarten lässt. Auf der anderen Seite steht die Sonderschule, deren Schülerinnen und Schüler besonders große

Abbildung 11: Verteilung deutscher und ausländischer Schüler/innen auf Gymnasien in Prozent aller deutschen bzw. ausländischen Schüler/innen der Sekundarstufe I im Schuljahr 2005/2006 in Prozent; Statistisches Bundesamt 2006e; eigene Berechnung und Darstellung

Baden-Würt-temberg

Nordrhein-Westfalen

Brandenburg Sachsen0%

10%

20%

30%

40%

50%

Verteilung der Schüler/innen auf Gymnasien

deutscheausländische

Schü

ler/

inne

n

Abbildung 12: Verteilung deutscher und ausländischer Schüler/innen auf Sonderschulen in Prozent aller deutschen bzw. ausländischen Schüler/innen der Sekundarstufe I im Schuljahr 2005/2006 in Prozent; Statistisches Bundesamt 2006e; eigene Berechnung und Darstellung

Baden-Würt-temberg

Nordrhein-Westfalen

Brandenburg Sachsen0%

4%

8%

12%

16%

Verteilung der Schüler/innen auf Sonderschulen

deutsche

ausländische

Schü

ler/

inne

n

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Nachteile bezüglich des Erwerbs höherer Schulabschlüsse und damit auch bezüglich ihrer gesamten Lebenschancen haben. Schließlich sagen die Anteile an der Sonderschule auch et-was darüber aus, inwieweit es dem Schulsystem gelingt, besonderen Förderbedarf im Rah-men des regulären Schulsystems zu berücksichtigen.588 Daher sollen die anteilige Verteilung ausländischer in Relation zur anteiligen Verteilung deutscher Jugendlicher auf die Gymnasi-en und die Sonderschulen im Folgenden als Zeitreihe betrachtet werden.

Dazu wurde das in Kapitel 1.3.4 erläuterte RRI für ausländische in Relation zu den deutschen Schülerinnen für das Schuljahr 1992, sowie die Jahre 1995 bis 2005 berechnet. Die der Be-rechnung zugrunde liegenden Daten sind im Anhang in der Tabelle 11 zu finden. Abbildung 13 gibt die RRI dieser Zeitreihe für die Anteile an den Gymnasien an. Bei der Betrachtung des Zeitverlaufs wird deutlich, dass die relativ zur Gesamtzahl hohen Anteile ausländischer Schülerinnen und Schüler in den Gymnasien Sachsens und Brandenburgs keine Zufallser-gebnisse ist. Das RRI für Brandenburg bewegt sich seit Jahren über oder um den Wert 1, d.h. die Anteile der ausländischen und deutschen Jugendlichen an den Gymnasien sind ausgegli-chen, oder ausländische Jugendliche sind sogar überrepräsentiert. Im Freistaat Sachsen zeigt sich eine kontinuierliche Steigerung des RRI von 0,5 auf über 1.589 Ohne eine eindeutige Tendenz blieben die RRI für die beiden westdeutschen Bundesländer im betrachteten Zeit-raum.

In Abbildung 14 sind die RRI für ausländische Schülerinnen und Schüler beim Besuch der Sonderschulen in der Zeitreihe seit 1992 dargestellt. Wie bei den RRI für Gymnasien bestäti-gen sich die ausgesprochen guten Ergebnisse für die ostdeutschen und die ausgesprochen schlechten Ergebnisse für die westdeutschen Länder im Zeitverlauf. In Baden-Württemberg sind die ausländischen Schülerinnen und Schüler gegenüber den deutschen an Sonderschu-len mehr als zweifach überrepräsentiert. In Nordrhein-Westfalen liegen die Zahlen zwar

588 Flam 2007589 Das Sächsische Staatsministerium für Kultus gab am 11. Dezember 2006 die Zahlen für das laufende Schul-

jahr bekannt. Die Tendenz setzte sich demnach fort. (Pressemitteilung 141/2006: Immer mehr Schüler mit Migra-tionshintergrund machen in Sachsen Abitur. 11. Dezember 2006, http://www.sachsen-macht-schule.de/smk2/kiprm.html?id=930 [Stand: 3. Januar 2007])

Abbildung 13: Relatives Risiko Indize (RRI) für ausländische in Relation zu deutschen Schüler/innen für den Besuch des Gymnasium seit 1992; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, eigene Berechnungen und Darstellung

19921995

19961997

19981999

20002001

20022003

20042005

0

0,5

1

1,5

2

RRI Gymnasium

Baden-Württemberg

Brandenburg

Nordrhein-WestfalenSachsen

RRI

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deutlich darunter, allerdings zeigt sich eine leichte Tendenz in Richtung Überrepräsentanz ausländischer Jugendlicher. In den neuen Ländern sind die ausländischen Schülerinnen und Schüler gegenüber den deutschen hingegen kontinuierlich unterrepräsentiert. Die Schwan-kungen im Zeitverlauf sind dabei weniger Ausdruck einer Entwicklung, sondern vermutlich den geringen Fallzahlen geschuldet.

In Kapitel 1.3.4 wurde erläutert, dass es nicht möglich ist, die Schulerfolge von (spät-) ausge-siedelten Jugendlichen in einer Zeitreihe darzustellen. Zumindest für die Bildungsbeteili-gung war es jedoch möglich, Daten von allen vier Bundesländern zu beziehen, die einen punktuellen Vergleich ermöglichen. Aus diesen Daten wurden RRI der (spät-) ausgesiedel-ten Schülerinnen und Schüler in Relation zu den deutschen, nichtausgesiedelten Schülerin-nen und Schüler für die Verteilung auf Schularten berechnet. Diese sind in Abbildung 15 dargestellt. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss beachtet werden, dass sich die Daten aus Brandenburg und Nordrhein-Westfalen auf das Schuljahr 2003/2004, für Baden-Würt-temberg auf das Schuljahr 2004/2005 und für Sachsen auf das Schuljahr 2006/2007 bezie-hen. Die der Berechnung zugrunde liegenden Daten sind im Anhang in der Tabelle 15 zu fin-den.

Abbildung 14: Relatives Risiko Indize (RRI) für ausländische in Relation zu deutschen Schüler/innen für den Besuch von Sonderschulen seit 1992; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, eigene Berechnungen und Darstellung

19921995

19961997

19981999

20002001

20022003

20042005

0

0,5

1

1,5

2

2,5

RRI Sonderschule

Baden-Württemberg

Brandenburg

Nordrhein-WestfalenSachsen

RRI

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Trotz dieser Einschränkung ist die Tendenz, die aus der Darstellung der RRI hervorgeht, ein-deutig. (Spät-) ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler sind gegenüber der Gruppe der deutschen, nichtausgesiedelten Jugendlichen in den Schularten, die zu niedrigeren Ab-schlüssen führen, überrepräsentiert und in den höheren Schulformen unterrepräsentiert. Diese Feststellung gilt für alle betrachteten Bundesländer. In Realschulen sind die Anteile der beiden Gruppen nahezu ausgeglichen. Dabei sind (spät-) ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg noch mehr als in Nordrhein-Westfalen an den Haupt-schulen überrepräsentiert und dafür an den Realschulen etwas unterrepräsentiert. An Schularten, die mehrere Bildungsgänge umfassen, sind (spät-) ausgesiedelte Schülerinnen und Schüler überrepräsentiert. Dies fällt bei den sächsischen Mittelschulen und den Inte-grierten Gesamtschulen in Brandenburg deutlicher aus als bei den Integrierten Gesamt-schulen in Nordrhein-Westfalen. Es lässt sich also festhalten, dass es keinem Bundesland ge-lingt, die (spät-) ausgesiedelten Schülerinnen und Schüler zu einer den nichtausgesiedelten deutschen Jugendlichen vergleichbar guten Bildungsbeteiligung zu führen. Auffällig ist aber, dass es in keinem Bundesland Hinweise für Benachteiligungen dieser Gruppe bei Son-derschulüberweisungen gibt. Außer in Baden-Württemberg, wo die Verhältnisse ausgegli-chen sind, sind sie an Sonderschulen sogar unterrepräsentiert.

3.3.2 Bildungserfolg nach Abschlüssen

Die soeben betrachteten Verteilungen auf die Schularten lassen noch keine Aussagen über die später tatsächlich erreichten Abschlüsse zu. Diesen kommt aber erheblicher Einfluss auf

Abbildung 15: Relatives Risiko Indize (RRI) für ausgesiedelte in Relation zu deutschen, nichtausgesiedel-ten Schüler/innen nach Bundesland und Schularten; Quellen: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen 2004, Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Branden-burg 2004, Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2006c, Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2006c, eigene Berechnungen und Darstellung

Hauptschule

Mittelschule

Realschule

Gymnasium

Integrierte Gesamtschule

Sonderschule

0

1

2

3

RRI für (spät-) ausgesiedelte Schüler/innen nach Schulart und Bundesland

Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalen Brandenburg Sachsen

RRI

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die weiteren Lebenschancen zu, weil diese Zertifikate die Zulassung zur weiterführenden Bildung und darüber in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft liefern. Wer die Schule ohne Abschluss verlässt, ist hingegen von allen Einstiegsmöglichkeiten im Rahmen weiterer Aus-bildungen ausgeschlossen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit im Bereich un- und ange-lernter Berufe ist dies nicht nur für die betroffenen Menschen selbst, sondern auch für die Wirtschaft und die Gesellschaft problematisch.590 Daher werden in diesem Kapitel die er-reichten Abschlüsse der Schuljahre 2002/2003, 2003/2004 und 2004/2005 in den vier Bun-desländern gegenübergestellt. Dabei wurden wiederum RRI der ausländischen in Relation zu den deutschen Schülerinnen und Schüler berechnet, um den Vergleich zwischen den Bundesländern zu ermöglichen. Die Ergebnisse sind in den Abbildungen 16 bis 19 getrennt nach Bundesländern dargestellt. Die der Berechnung zugrunde liegenden Daten sind im An-hang in der Tabelle 12 zu finden.

590 Hunger, Uwe/Thränhardt, Dietrich (2006): Der Bildungserfolg von Einwandererkindern in den westdeutschen Bun-desländern. Diskrepanzen zwischen den PISA-Studien und den amtlichen Schulstatistiken. in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Schieflagen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 51-67, S. 62f.

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In den Darstellungen sind von links nach rechts die RRI für ausländische Jugendliche, die die Schulen ohne Abschluss verlassen, und die RRI für den Hauptschul-, den Realschulabschluss und Höhere Schulabschlüsse jeweils in Relation zu den deutschen Jugendlichen nach Schul-jahren sortiert dargestellt. Dabei ergibt sich in allen Bundesländern außer in Brandenburg eine charakteristische Form: Von den hohen RRI bei den Jugendlichen ohne Schulabschluss zu den niedrigeren RRI für einen Höheren Schulabschluss. Je steiler diese Form ist, desto mehr sind die Ausländerinnen und Ausländer unter den Jugendlichen ohne Schulabschluss, beim Hauptschulabschluss über- sowie beim Realschulabschluss und den Höheren Abschlüs-sen unterrepräsentiert. Am ausgeprägtesten zeigt sich diese Form in Baden-Württemberg, wo ausländische Jugendliche unter allen Schulabgängerinnen und -abgängern ohne Schul-abschluss mehr als dreifach überrepräsentiert und unter den Jugendlichen mit einem höhe-

Abbildung 16: RRI für Schulabschlüsse ausländerischer Schüler/innen in Relation zu deutschen Schüler(inne)n nach Schuljahren und Abschlussarten in Baden-Württemberg; Quelle: Statistisches Bun-desamt (versch. Jg.), eigene Berechnungen und Darstellung

2002/2003 2003/2004 2004/20050

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

Baden-Württemberg

ohne Hauptschul-abschluss

Hauptschulabschluss

RealschulabschlussHöherer Schul-abschluss

RRI

Abbildung 17: RRI für Schulabschlüsse ausländerischer Schüler/innen in Relation zu deutschen Schüler(inne)n nach Schuljahren und Abschlussarten in Brandenburg; Quelle: Statistisches Bundesamt (versch. Jg.), eigene Berechnungen und Darstellung

2002/2003 2003/2004 2004/20050

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

Brandenburg

ohne Hauptschul-abschluss

HauptschulabschlussRealschulabschluss

Höherer Schul-abschluss

RRI

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ren Schulabschluss mehr als vierfach unterrepräsentiert sind. In Nordrhein-Westfalen ist eine ähnliche Form festzustellen, sie ist aber deutlich weniger ausgeprägt. Sachsen wies im Schuljahr 2002/2003 fast identische Ergebnisse mit Nordrhein-Westfalen auf, seitdem zeich-net sich aber eine Entwicklung in Richtung höherer Schulabschlüsse ab. An der mehr als zweifachen Überrepräsentation ausländischer Jugendlicher in der Gruppe ohne Abschluss hat sich allerdings nichts geändert. Brandenburg weicht als einziges Bundesland sehr deut-lich ab. Hier ergibt sich bei einigen Schwankungen eine insgesamt flache Form, d.h. dass es dem Bundesland gelingt, die ausländischen Schülerinnen und Schüler zu genauso guten Ab-schlüssen zu führen wie die deutschen.

Abbildung 19: RRI für Schulabschlüsse ausländerischer Schüler/innen in Relation zu deutschen Schüler(inne)n nach Schuljahren und Abschlussarten in Sachsen; Quelle: Statistisches Bundesamt (versch. Jg.), eigene Berechnungen und Darstellung

2002/2003 2003/2004 2004/20050

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

Sachsen

ohne Hauptschul-abschluss

Hauptschulabschluss

RealschulabschlussHöherer Schul-abschluss

RRI

Abbildung 18: RRI für Schulabschlüsse ausländerischer Schüler/innen in Relation zu deutschen Schüler(inne)n nach Schuljahren und Abschlussarten in Nordrhein-Westfalen; Quelle: Statistisches Bun-desamt (versch. Jg.), eigene Berechnungen und Darstellung

2002/2003 2003/2004 2004/20050

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

Nordrhein-Westfalen

ohne Hauptschul-abschluss

Hauptschulabschluss

RealschulabschlussHöherer Schul-abschluss

RRI

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Für den Vergleich der Bundesländer lohnt ein Blick in die Jahre seit der Einführung des in-tegrativen Modells in Nordrhein-Westfalen. In der Tabelle 7 sind die RRI für weiterführende Schulabschlüsse ausländischer in Relation zu den deutschen Schülerinnen und Schüler für die Jahr 1985, 1990 und 1995 dargestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass sich seit der Ein-führung eines auf Integration zielenden Systems in Nordrhein-Westfalen die Erfolgsquoten der ausländischen Schülerinnen und Schüler denen der inländischen annähern. Auch in Ba-den-Württemberg ist eine angleichende Entwicklung zu erkennen, der Abstand zwischen ausländischen und deutschen Absolventinnen und Absolventen bleibt aber insgesamt we-sentlich stärker ausgeprägt.

Jahr weiterführende Schulabschlüsse (Realschulabschluss, Hochschulreife)

Schüler/innen in Nordrhein-Westfalen Schüler/innen in Baden-Württemberg

ausländische deutsche RRIausländische ausländische deutsche RRIausländische

1985 34,7 % 72,7 % 0,48 21,6 % 67,7 % 0,32

1990 45,9 % 78,3 % 0,59 27,5 % 72,7 % 0,38

1995 55,3 % 78,5 % 0,70 35,2 % 71,2 % 0,49

Tabelle 7: Weiterführende Schulabschlüsse in- und ausländischer Schüler/innen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen 1985, 1990, 1995; Quelle: Hunger 2001, S. 127ff.; eigene Berechnungen

3.3.3 Schulleistungen

In den nationalen Erweiterungsstudien PISA-E wurden die gemessenen Testleistungen für Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund auch für die Bundesländer aufgeschlüsselt. Leider können die Ergebnisse für Jugendliche mit Migrationshintergrund aufgrund der geringen Fallzahlen in den neuen Bundesländern nur für Westdeutschland dargestellt werden.591 Daher werden im Folgenden nur die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in den beiden westdeutschen Bundesländern verglichen. In Tabelle 8 sind die durch-schnittlichen Leistungen von Getesteten mit Migrationshintergrund und die Differenz zu den durchschnittlichen Testleistungen der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund nach Kompetenzbereichen und den Jahren der beiden bisher veröffentlichen Studien aufgeführt.

Kompetenzbereich Lesen Mathematik Naturwissenschaften

Jahr der PISA-E-Studie 2000 2003 2000 2003 2000 2003

Baden-Württemberg 470 (57) 467 (66) 475 (52) 477 (61) 456 (71) 468 (75)

Nordrhein-Westfalen 448 (67) 446 (61) 447 (55) 457 (54) 438 (66) 451 (67)

Tabelle 8: durchschnittliche Testleistung von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund und Differenz zu den durchschnittlichen Testleistungen der Schüler/innen ohne Migrationshintergrund bei PISA-E; Quelle: Hunger/Thränhardt 2006, S. 53f.

In der Abbildung 20, die diese Zahlen grafisch darstellt, wird deutlich, dass die durchschnitt-lichen Testleistungen der Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in Baden-Württemberg durchweg wesentlich höher liegen als in Nordrhein-Westfalen.

591 Stanat 2003, S. 246; Ramm u.a. 2005, S. 273

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Für Darstellung in Abbildung 21 wurde die durchschnittliche Testleistung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund anteilig an der durchschnittlichen Testleistung der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund in Prozent berechnet, um die Abstände zwischen beiden Grup-pen zu veranschaulichen. Diese sind so gering, dass aus ihnen keine weiteren Schlüsse gezo-gen werden können.592

592 Für die Studie des Jahres 2000 sind, wie in Abbildung 21 ersichtlich, die Abstände in Baden-Württemberg – abgesehen vom Testbereich Naturwissenschaften – etwas kleiner. 2003 sind die Abstände ähnlich groß. Für die Unterschiede zwischen den beiden Studien ist vermutlich die unterschiedliche Bestimmung der Stich-probe verantwortlich, die im Kapitel 1.3.4 erläutert wurde.

Abbildung 20: durchschnittliche Testleistung von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund und Diffe-renz zur durchschnittlichen Testleistung von Schüler(inne)n ohne Migrationshintergrund bei PISA-E, Quelle: Hunger/Thränhardt 2006, S. 53f., eigene Darstellung

BW NW BW NW BW NW BW NW BW NW BW NW420

430

440

450

460

470

480

490

500

510

520

530

540

550

Durchschnittliche Testleistung von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund und Differenz zur durchschnittlichen Testleistung von Schüler(inne)n

ohne Migrationshintergrund bei PISA-E

NaturwissenschaftenMathematik

Lesen

2003

2000

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3.3.4 Erklärungsansätze

Von den in den vorigen Kapiteln dargestellten Schulerfolgen sollen im Folgenden zwei be-sonders bemerkenswerte Ergebnisse diskutiert werden. Zum einen ist überraschend, dass die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg trotz der in den PISA-E-Studien durchweg attestierten besseren Testleistungen eine ungünstigere Bil-dungsbeteiligung und niedrigere Schulabschlüsse erreichen. Zum anderen sind die geradezu überraschenden Erfolge der beiden neuen im Vergleich zu den beiden alten Ländern erklä-rungsbedürftig.

3.3.4.1 Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen

Im Vergleich der Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gilt es, einen Widerspruch aufzulösen. Bei den PISA-Testleistungen übertreffen die Jugendlichen mit Mi-grationshintergrund aus Baden-Württemberg die Vergleichsgruppe in Nordrhein-Westfalen deutlich. Beim Besuch höherer Schulen und dem Erreichen höherer Abschlüsse liegen aller-dings die ausländischen Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen vorn.

Zunächst müssen die Ergebnisse der PISA-Studie etwas relativiert werden. In der Studie wurde von den Schülerinnen und Schülern an Sonderschulen der Migrationsstatus nicht er-fragt, so dass diese schwächste Leistungsgruppe in den durchschnittlichen Testleistungen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund nicht berücksichtigt wurde. Wie in Abbildung 14 dargestellt wurde, werden aber in Baden-Württemberg relativ mehr auslän-

Abbildung 21: durchschnittliche Testleistung von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund anteilig an der durchschnittlichen Testleistung von Schüler(inne)n ohne Migrationshintergrund bei PISA-E in Pro-zent, Quelle: Hunger/Thränhardt 2006, S. 53f., eigene Berechnung und Darstellung

2000 2003 2000 2003 2000 200380%

82%

84%

86%

88%

90%

Durchschnittliche Testleistung von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund anteilig an der durchschnittlichen Testleistung von Schüler(inne)n

ohne Migrationshintergrund bei PISA-E

Baden-Württemberg

Nordrhein-Westfalen

Lesen NaturwissenschaftenMathematik

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133

dische Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen verwiesen als in Nordrhein-Westfalen. Dadurch dürften sich die Ergebnisse etwas zugunsten von Baden-Württemberg verzerren.

Trotzdem bleibt eine Differenz der durchschnittlichen PISA-Testleistungen bestehen, so dass sich die Frage stellt, warum die Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg auf-grund ihrer besseren Leistungen nicht auch bessere Abschlüsse als in Nordrhein-Westfalen erzielen. Im Kapitel 2.3.3.3 wurde der Ansatz der institutionellen Diskriminierung vorge-stellt, der an dieser Stelle zur Beantwortung der Fragen herangezogen werden soll. Die PISA-Studie selbst gibt keine Hinweise auf den Grad der institutionellen Diskriminierung – außer der Angabe des Bundeslandes.593

Bezüglich des Schuleingliederungsmodells für ausländische Schülerinnen und Schüler wur-de festgestellt, dass die Fördermaßnahmen in Baden-Württemberg an den Grund- und Hauptschulen konzentriert werden. Damit werden für diese Kinder und Jugendliche ganz erhebliche institutionelle Hürden beim Aufstieg in höhere Schulformen aufgestellt. Hier liegt demnach eine Form der direkten institutionellen Diskriminierung vor. Diese Tatsache trägt sicherlich zu dem Ergebnis bei, dass mehr als die Hälfte aller ausländischen Schülerin-nen und Schüler der Sekundarstufe I in Baden-Württemberg eine Hauptschule besuchten. Damit ist ihnen der Weg zu einem weiterführenden Abschluss zunächst verwehrt.

Ein weiteres Indiz für Mechanismen der institutionellen Diskriminierung bietet die IGLU-Studie. Benachteiligt bei der leistungsfremden Entscheidung über Übergangsempfehlungen in Gymnasien, die in der Studie nachgewiesen wurden, sind besonders Kinder mit Migrati-onshintergrund in Baden-Württemberg. Auch bei Kontrolle der getesteten Leseleistung (wohlbemerkt: im Deutschen) und der Sozialschichtzugehörigkeit der Eltern waren ihre Chancen, eine Gymnasialempfehlung nach der Grundschule zu bekommen, besonders in diesem Bundesland signifikant niedriger als die der Vergleichsgruppe ohne Migrationshin-tergrund.594

Im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen fällt außerdem auf, dass relativ mehr ausländische Kinder und Jugendliche an Sonderschulen überwiesen werden. Diesbezüglich kann aber nur auf Grundlage der im Kapitel 2.3.3.3 dargestellten Ergebnisse vermutet werden, dass Mecha-nismen institutioneller Diskriminierung im Verfahren zu Überweisungen auf Sonderschulen wirken. Demnach würden ausländische Schülerinnen und Schüler häufig wegen mangelnder Sprachkenntnisse im Deutschen, von denen aufgrund von Zuschreibungen auf andere „Defi-zite“ geschlossen wird, auf Sonderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen überwiesen, ob-wohl bei ihnen keine Lernbeeinträchtigung vorliegt. Hinweise, dass diese Mechanismen in Baden-Württemberg stärker als Nordrhein-Westfalen wirken, könnten in Verwaltungsvor-schriften beider Länder vermutet werden. Die Vorschriften, die sowohl in Baden-Württem-berg595, als auch in Nordrhein-Westfalen verhindern sollen, dass ausländische Kinder wegen mangelnder Deutschkenntnisse auf Sonderschulen überwiesen werden, sind in Nordrhein-Westfalen detaillierter geregelt.596

593 Flam 2007594 Radtke 2004, S. 147595 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2000, S. 4596 Gogolin/Neumann/Reuter 2001, S. 271

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Schließlich wirkt sich das weitgehende Fehlen von Integrierten Gesamtschulen in Baden-Württemberg offenbar besonders hemmend auf die Bildungsbeteiligung ausländischer Schülerinnen und Schüler aus.

3.3.4.2 Das gute Abschneiden der ostdeutschen Länder

Die beiden ostdeutschen Länder weisen mit einer hohen Bildungsbeteiligung ausländischer Schülerinnen und Schüler an Gymnasien und einer Unterrepräsentation dieser Gruppe an den Sonderschulen Erfolge auf, die noch nicht näher erklärt sind: „Die Gründe für diese Er-folgsgeschichte bedürfen noch der wissenschaftlichen Untersuchung.“597 Die ausländischen Schülerinnen und Schüler in Brandenburg sind im Ergebnis sogar noch erfolgreicher als in Sachsen, denn sie erreichen mit den deutschen Schülerinnen und Schülern nahezu identi-sche Abschlüsse. In Sachsen sind die erreichten Abschlüsse der ausländischen Jugendlichen nicht ganz so gut wie die der deutschen, insbesondere sind hier Ausländerinnen und Aus-länder unter den Schulabgängerinnen und -abgängern ohne Abschluss mehr als doppelt überrepräsentiert. Im Folgenden sollen einige Hypothesen zur Erklärung der „Erfolgsge-schichte“ diskutiert werden.

In Abbildung 13 ist deutlich zu erkennen, dass sich die Bildungsbeteiligung ausländischer Schülerinnen und Schüler an den sächsischen Gymnasien seit 1995 kontinuierlich verbes-sert hat. Die Vermutung liegt also nahe, darin die positiven Ergebnisse des umfassenden In-tegrationskonzepts zu sehen, das in seinen Grundzügen wie in Kapitel 3.2.3.6 dargestellt seit 1993 existiert.

Der damalige Staatssekretär im Sächsischen Kultusministerium erklärte zur Auswertung der Ergebnisse der PISA-I-Studie des Jahres 2000:

„Ursachen für das gute Abschneiden der finnischen Schüler liegen wohl (...) auch in der geringen Migration: Finnland hat einen ähnlich niedrigen Auslän-deranteil von 1,5 % wie Sachsen. Die Integration von Kindern ausländischer Her-kunft in die Klasse und eine Sonderförderung sind da leichter zu lösen als die In-tegration von 50 oder 60 % ausländischer Kinder.“598

Damit steht die Überlegung im Raum, ob ein geringerer Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler bzw. von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Schulsystem für das bes-sere Abschneiden verantwortlich ist. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, dass jeweils nur kleine Gruppen aus einem Herkunftsgebiet nicht zu einer herkunftsbedingten Wohn-konzentrationen wie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg füh-ren. Dadurch schlägt sich die ethnische Segregation nicht in den Schulen nieder, was zu bes-seren Möglichkeiten für individuelle Förderung beiträgt. Wenn dem so wäre, müssten davon aber alle Gruppen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund profitieren. Die Darstellung in der Abbildung 22 weist diese Hypothese deswegen zurück. Denn aus ihr ist ersichtlich, dass die Schülerinnen und Schüler mit türkischer Staatsbürgerschaft in Sach-sen sehr selten das Gymnasium und relativ häufig eine Sonderschule besuchen. Ihrer Förde-

597 Auernheimer 2006, S. 18598 Portune, Günther (2003): Vom Umgang mit dem Wort. Einblicke in die Ergebnisse der PISA-Studie aus der Sicht des

Freistaates Sachsen. in: Hansel, Toni: PISA – Und die Folgen? Die Wirkung von Leistungsvergleichsstudien in der Schule. Herbolzheim: Centaurus, S. 167-196, S. 182

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rung kommt die geringe Anzahl von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund also nicht zugute.

Die Abbildung verweist aber auf eine zweite Hypothese. Die Bildungsbeteiligung der beiden anderen dargestellten Nationalitätengruppen aus Asien und der Russischen Förderation stellt sich wesentlich günstiger dar. Eine Erklärung der guten Ergebnisse in den neuen Bun-desländern könnte in der anderen Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung ge-funden werden. Hier fehlen die Familien mit dem Hintergrund der Arbeitsmigration weitge-hend, die in den alten Bundesländer den größten Teil der ausländischen Bevölkerung dar-stellen.599

Dabei werden vor allem drei Gruppen, die mit russischer, vietnamesischer und polnischer Staatsangehörigkeit, für die Erfolge verantwortlich gemacht. Mehr als zwei Drittel der Kin-der jüdischer Zuwanderer aus Russland, die allgemein über hohe Bildungsabschlüsse verfü-gen, sollen ein Studium anstreben.600 Wie in Abbildung 22 ersichtlich ist, ist diese Nationali-tätengruppe in Sachsen tatsächlich besonders erfolgreich, der größte Teil dieser Schülerin-nen und Schüler besucht ein Gymnasium.

Über die Gruppe der ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsar-beiter, von denen ca. 20.000 in den neuen Bundesländern geblieben sind, wird angenom-men, dass die Bildung traditionell eine so große Rolle spielt, dass die Eltern auch unter er-schwerten Bedingungen großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder legen.601 Begründet wird

599 vgl. Herwartz-Emden 2003, S. 678f.600 Weiss 2006, S. 184ff.601 ebd., S. 184ff.

Abbildung 22: Verteilung der Schüler/innen auf Schularten nach Nationalität und Schulart in Sachsen; Quelle: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2006a, eigene Darstellung

Asien Russische Föderation Türkei0%

20%

40%

60%

80%

100%

Verteilung der Schüler/innen auf Schularten nach Nationalitätund Schulart in Sachsen

Sonderschulen

GymnasienSchulart mit mehre-ren Bildungsgängen

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dies auch mit der Tatsache, dass die Asiatinnen und Asiaten in den USA „overachievers“ sind.602 Wenn diese kulturspezifischen Ressourcen für Vietnamesinnen und Vietnamesen in Ostdeutschland und in den USA gleichermaßen angenommen werden, dann müsste sich der daraus resultierende Bildungserfolg auch bei der Gruppe in den alten Bundesländern ein-stellen. Dem ist aber nicht so, wie die Abbildung 23 für den Vergleich der Bildungsbeteili-gung dieser Gruppe im Vergleich zwischen Brandenburg und Nordrhein-Westfalen eindeu-tig belegt. Die Erklärung aufgrund kulturspezifischer Ressourcen der vietnamesischen Fami-lien muss also zurückgewiesen werden.

Andere Studien gehen davon aus, dass die Staatsangehörigkeit bzw. nationalitätenspezifi-sche Merkmale nicht den Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen mit dieser staatlichen Herkunft erklären können. Vielmehr seien andere Faktoren maßgeblich, in erster Linie die sozialen und ökonomischen Verhältnisse, unter denen die Zugewanderten leben.603 Diese Vermutung kann für die Gruppe der Vietnamesinnen und Vietnamesen in den neuen Län-dern belegt werden. Die in Deutschland geborenen Kinder ehemaliger vietnamesischer Ver-tragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter besuchten schon sehr früh Kindertagesstätten, da sich in der Regel beide Elternteile zur Erwerbsarbeit gezwungen sahen. Daher konnten sie von klein auf die deutsche Sprache erlernen und sich sozial integrieren.604 Weiterhin haben die vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter unter den schwierigen Rahmenbedingungen in der DDR eine informelle Selbstorganisation aufgebaut, die ein er-folgreiches wirtschaftliches Engagement in Nischenökonomien ermöglichte, das nach der deutschen Wiedervereinigung zur Voraussetzung für einen Teil dieser Gruppe darstellte.605

Besonders für das Land Brandenburg wird angenommen, dass eher bildungsorientierte pol-nische Familien ihre Kinder auf deutsche Schulen im Rahmen von Schulversuchen schicken,

602 Auernheimer 2006, S. 18603 Gogolin/Neumann/Roth 2003, S. 18604 Weiss 2006, S. 184ff.605 Weiss, Karin/Thränhardt, Dietrich (2005): Selbsthilfe, Netzwerke und soziales Kapital in der pluralistischen Gesell-

schaft. in: dies. (Hrsg.): SelbstHilfe. Wie Migranten Netzwerke knüpfen und soziales Kapital schaffen. Frei-burg: Lambertus, S. 8-44, S. 16ff.

Abbildung 23: Verteilung der vietnamesischen Schüler/innen nach Schularten und Bundesland; Quellen: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen 2005, Landesbetrieb für Datenver-arbeitung und Statistik Land Brandenburg 2005, eigene Darstellung

HauptschulenRealschulen

GymnasienIntegrierte Gesamtschulen

Sonderschulen0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Verteilung der vietnamesischen Schüler/innen nach Schularten und Bundesland

BrandenburgNordrhein-Westfalen

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die dann auch überdurchschnittliche Leistungen erreichen.606 Diese Annahme kann mit den in Abbildung 24 dargestellten Ergebnissen bekräftigt werden. Im Vergleich zu den polni-schen Schülerinnen und Schülern in Nordrhein-Westfalen besuchen die polnischen Jugend-lichen in Brandenburg anteilig wesentlich häufiger höhere Schularten.

Eine weitere mögliche Erklärung spielt auf die Strukturen des Bildungssystems an. Die bes-sere Versorgung mit einer flächendeckenden Kinderbetreuung in den neuen Bundesländern trägt vermutlich zu einer frühzeitigen Förderung bei, die besonders den Kindern mit Migra-tionshintergrund zugute kommt. Selbst ohne ein Bildungsprogramm in den Kindergärten fördern diese die soziale Integration und die sprachliche Sozialisation im Deutschen. Die sächsische Sekundarstufe, die aus nur zwei Gliedern besteht, dürfte außerdem für eine hö-here Durchlässigkeit zumindest vom Hauptschulbildungsgang zu einem Realschulabschluss führen. Besonders das brandenburgische Schulsystem könnte aber zur Förderung von Schü-lerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Erstsprache beitragen. Die sechsjährige Grund-schule erlaubt einen längeren Interventionsraum für die Förderung des Spracherwerbs im Deutschen.607 Ihr schließt sich eine weitgehend integrierte Sekundarstufe an, die mit hohen Anteilen an der Integrierten Gesamtschule alle möglichen Abschlüsse offen hält.

Eine letzte Vermutung kann aus der im Kapitel 2.3.3.3 angesprochenen Bielefelder Studie abgeleitet werden. Diese konnte nachweisen, dass Bestandsinteressen von Gymnasien die Diskriminierungsmechanismen bei der Überweisung in die Sekundarschule aufheben konn-ten. So führten unterbelegte Gymnasien in der Nachbarschaft der Grundschulen dazu, dass die negativen Zuschreibungen zu den sprachlichen Fähigkeiten und der Kultur der Kinder mit Migrationshintergrund keine Rolle mehr spielten.608 Dieser Effekt ist eventuell in den ostdeutschen Ländern zu erwarten, wenn auch hier gilt:

606 Weiss 2006, S. 184ff.607 vgl. Pommerin-Götze 2005, S. 152608 Gomolla 2006, S. 96f.

Abbildung 24: Verteilung der polnischen Schüler/innen nach Schularten und Bundesland; Quellen: Lan-desamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen 2005, Landesbetrieb für Datenverar-beitung und Statistik Land Brandenburg 2005, eigene Darstellung

HauptschulenRealschulen

GymnasienIntegrierte Gesamtschulen

Sonderschulen0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Verteilung der polnischen Schüler/innen nach Schularten und Bundesland

Brandenburg

Nordrhein-Westfalen

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„Wenn es in einer Stadt – etwas aus demographischen Gründen – freie Plätze in Gymnasien oder Realschulen gibt, werden diese auch besetzt, gegebenenfalls auch mit Migrantenkindern, schon, um eine Verkleinerung oder gar Schließung der Schulen zu vermeiden.“609

Anfang der 90er Jahren setzte in den neuen Ländern ein drastischer Geburtenrückgang ein, die geburtenschwachen Jahrgänge erreichten den Primarbereich sechs, den Sekundarbe-reich zehn Jahre später. Die Einschulungen gingen ab 1996 um mehr als die Hälfte zurück, erst seit 2003 ist eine leichte Zunahme zu erkennen.610 Zur Überprüfung dieser Vermutung wurden das RRI der ausländischen Schülerinnen und Schüler in Relation zu den deutschen Schülerinnen und Schüler für den Besuch des Gymnasiums und die Entwicklung der Ge-samtzahl der Schülerinnen und Schüler im Zeitraum 1995 bis 2005 gegenüber gestellt. Wäh-rend Abbildung 25 einen Zusammenhang zwischen beiden Größen tatsächlich für Sachsen zu bestätigen scheint, verneinen die in Abbildung 26 dargestellten Ergebnisse einen sol-chen. Diese Vermutung muss also zurückgewiesen werden.

609 Radtke 2004, S. 158610 Statistisches Bundesamt 2006a, S. 53f.

Abbildung 25: Entwicklung des RRI der ausländischen Schüler/innen in Relation zu den deutschen Schü-ler/innen für den Besuch des Gymnasiums und Gesamtzahl der Schüler/innen in Sachsen; Quelle: Statis-tisches Bundesamt 2006e, eigene Berechnungenen und Darstellung

19951996

19971998

19992000

20012002

20032004

2005 0

100 000

200 000

300 000

400 000

0,6

0,8

1

1,2

Entwicklung RRI und Schüler(innen)zahl in Sachsen

Gesamt

RRI GymnasiumRR

I

Anz

ahl S

chül

er/i

nnen

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3.3.5 Sechstes Zwischenfazit: Der Einfluss von Einwanderungs- und Bildungspolitik auf die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den Bundeslän-dern

In diesem Kapitel wurde der Frage nachgegangen, ob sich Unterschiede in den Schulerfol-gen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auf den Einfluss bildungspoli-tischer Maßnahmen gegenüber dieser Gruppe zurückführen lassen. Dieser Zusammenhang konnte prinzipiell nachgewiesen werden. Am deutlichsten wird er an den positiven Ent-wicklungen der weiterführenden Schulabschlüsse ausländischer Schülerinnen und Schüler nach der Trendwende in der Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen in den 80er Jahren er-sichtlich. Eine ähnlich positive Entwicklung zeigt sich momentan in Sachsen, wo insbeson-dere die Beteiligung ausländischer Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien kontinuier-lich steigt, seit zugewanderte Kinder und Jugendliche umfassend gefördert werden. Für bei-de Länder gilt dabei, dass die Intensivierung der auf Integration zielenden Maßnahmen eine Verbesserung der Schulerfolge von ausländischen Schülerinnen und Schülern bedingten.

Eine weniger konsequente Umsetzung integrativer Maßnahmen können dagegen im Ver-gleich mit Nordrhein-Westfalen in Baden-Württemberg ausgemacht werden. Eine direkte Form institutioneller Diskriminierung ausländischer Schülerinnen und Schüler findet sich in der bildungspolitisch vorgesehenen Konzentration der Vorbereitungsklassen an den Grund- und Hauptschulen. Indirekte Formen der institutionellen Diskriminierung lassen sich bei den Übergangsempfehlungen für die Gymnasien aufgrund der Ergebnisse der IGLU-Studie und bei den überzufällig häufigen Überweisungen auf Sonderschulen vermuten. Im Ergebnis erreichen die ausländischen Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg trotz besserer Schulleistungen, die ihnen in den PISA-E-Studien nachgewiesen wurden, schlechtere Abschlüsse als die Vergleichsgruppe in Nordrhein-Westfalen.

Vermutlich liegen in den neuen Bundesländern aufgrund der geringeren Anteile von Schü-lerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund günstigere Bedingungen für die Förde-

Abbildung 26: Entwicklung des RRI der ausländischen Schüler/innen in Relation zu den deutschen Schü-ler/innen für den Besuch des Gymnasiums und Gesamtzahl der Schüler/innen in Brandenburg; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, eigene Berechnungenen und Darstellung

19951996

19971998

19992000

20012002

20032004

2005 0

50 000

100 000

150 000

200 000

0,9

1

1,1

1,2

1,3

Entwicklung RRI und Schüler(innen)zahl in Brandenburg

Gesamt

RRI Gymnasium

Anz

ahl S

chül

er/i

nnen

RRI

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rung dieser Kinder und Jugendlicher vor. Sie werden aber auch konsequent durch die um-fangreichen Maßnahmen zur ganzheitlichen, individuellen Förderung und Beratung ge-nutzt.

Allein durch die Maßnahmen der Schuleingliederungsmodelle lassen sich die Bildungserfol-ge der ausländischen Schülerinnen und Schüler in den neuen Bundesländern aber nicht er-klären, wie das unterschiedliche Abschneiden verschiedener Zuwanderungsgruppen gezeigt hat. Vielmehr sind die Bildungserfolge zum großen Teil auf die Zusammensetzung der zuge-wanderten Bevölkerung zurückzuführen. Dabei ist die hohe Bildungsaspiration bei den rus-sischen, polnischen und vietnamesischen Staatsangehörigen eine mögliche Erklärung. Sie kann mindestens für die Gruppe der vietnamesischen Familien durch spezifische Rahmen-bedingungen sozialer und ökonomischer Verhältnisse ergänzt werden. Besonders im grenz-nahen Bereich in Brandenburg kommen außerdem positive Einflüsse durch den Schulbe-such polnischer Schülerinnen und Schüler aus bildungsnahen Gruppen dazu. Die besonde-ren Erfolge in Brandenburg lassen sich zudem mit der sechsjährigen Grundschule und den dadurch insbesondere für die Sprachförderung nutzbaren längeren Interventionszeiträu-men und durch eine weitgehend integrierte Sekundarstufe begründen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass sich die Unterschiede in den Schulerfolgen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den Bundesländern zu großen Teilen auf die unterschiedlichen Förder- und Integrationsmaßnahmen zurückführen lassen. Dies gilt insbesondere im Vergleich von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den neuen Bun-desländern erklären sich aber über die umfassenden Fördermaßnahmen hinaus vor allem in der anderen Zusammensetzung dieser Gruppe.

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4 Zusammenfassung

In diesem abschließenden Kapitel werden im Überblick die zentralen Ergebnisse dieser Ar-beit dargelegt. Dabei werden die zentralen Befunde herausgestellt. Detaillierte Ergebnisse sind in den jeweiligen Zwischenfazits der einzelnen Kapitel zu finden.

Diese Arbeit hatte sich das Ziel gesetzt, zwei Thesen auf ihre Gültigkeit zu überprüfen.

Zum Ersten sollte überprüft werden, ob die Schulerfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund von den bildungspolitischen Maßnahmen abhängen, die zu ihrer schulischen Förderung und ihrer Integration in das Schulsystem eingesetzt werden, und ob die bildungspolitische Ausgestaltung dieser Integrations- und Fördermaßnahmen von ei-nem übergeordneten Diskurs in der Einwanderungspolitik abhängt.

Zum Zweiten sollte die These geprüft werden, ob die Darstellung dieses Zusammenhangs zwischen Einwanderungspolitik, Schulpolitik und Schulerfolgen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auch auf Ebene der Bundesländer Baden-Württemberg, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen nachweisbar ist, und ob in den sozialdemo-kratisch geprägten Ländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu den christdemokratisch geprägten Ländern Baden-Württemberg und Sachsen durch eine inte-grativere Politik größere Schülererfolge für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshin-tergrund erzielt werden können.

Zur Überprüfung dieser beiden Thesen wurden auf den Seiten 10 und 11 jeweils drei spezifi-zierende Forschungsfragen formuliert, die sich erstens auf die Analyse der Einwanderungs-politik, zweitens auf den Zusammenhang zwischen Einwanderungspolitik und Bildungspoli-tik sowie drittens auf die Schulerfolge in Abhängigkeit von den schulpolitisch vorgesehenen Förder- und Integrationsmaßnahmen beziehen.

Zur Überprüfung der ersten These, also für die Gültigkeit des behaupteten Zusammenhangs für die Bundesrepublik, konnten zunächst Faktoren in der deutschen Einwanderungspolitik identifiziert werden, die für den bildungspolitischen Umgang mit Migrantinnen und Mi-granten einflussreich sind. Sie entstanden aus zwei grundlegenden Motivsträngen, die sich seit der Reichsgründung bis heute durch die deutsche Geschichte verfolgen lassen. Auf der einen Seite haben mehr oder weniger ausgeprägte arbeitsmarktpolitische und wirtschaftli-che Interessen an der Beschäftigung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu mehr oder weniger dauerhafter Zuwanderung geführt. Auf der anderen Seite steht die Geschichte der späten Nationwerdung und das damit verbundene Selbstverständnis der deutschen Na-tion als ethnisch und kulturell homogene Abstammungsgemeinschaft. Die Ergebnisse dieses ersten Schritts sind im Kapitel 2.1.6 näher ausgeführt.

Zudem wurde der Einfluss der verschiedenen Faktoren aus der Einwanderungspolitik auf den Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem nachgewiesen. Die deutsche Schule ist durch ihre Rolle bei der Umsetzung der nationalstaatlichen Ideologie insbesondere durch eine mit dem nationalen Selbstverständ-nis verbundene nationalstaatliche Tradition geprägt. Die daraus resultierende monolinguale und monokulturelle Normalitätserwartung führten und führen für Schülerinnen und Schü-ler, deren Lebenswirklichkeit sich außerhalb dieser Vorstellungen bewegen, zu kulturellen

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Zurückweisungen. Strukturelle Benachteiligungen entstanden aus dem Leugnen der fakti-schen Einwanderungssituation, die in der Bundesrepublik mit der Arbeitsmigration gegeben war. Das Dogma des Nicht-Einwanderungslandes schien notwendig zur Aufrechterhaltung der Vorstellung einer ethnisch und kulturell homogenen Nation und führte in der Bildungs-politik gegenüber den Zugewanderten zur Nichtbeachtung und zu Maßnahmen der Beson-derung. Dieser Widerspruch, der im Kern auf die beiden identifizierten Motivstränge der Einwanderungspolitik zurückgeht, äußert sich sowohl in der Einwanderungs- und Integrati-onspolitik, als auch in der pädagogischen Position der Ausländerpädagogik und in der Bil-dungspolitik in konträren Strategien zwischen „Integration“ und „Rückkehrförderung“. Ob-wohl das Dogma des Nicht-Einwanderungslandes offiziell aufgegeben wurde, und obwohl die Interkulturelle Erziehung die Ausländerpädagogik in der Fachdiskussion schon lange ab-gelöst hat, werden auf strukturelle Integration und kulturelle Anerkennung zielende Maß-nahmen erst angesichts der Legitimationsdefizite aufgrund des schlechten Abschneidens des deutschen Schulsystems in den PISA-Studien in die Praxis eingeführt. Im Kapitel 2.2.6 werden die Ergebnisse dieses Schritts ausführlich vorgestellt.

Für die abschließende Untersuchung der sich auf die erste These beziehenden Forschungs-fragen konnte der Einfluss der bildungspolitischen Maßnahmen zur Schuleingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund auf deren Schulerfolge belegt wer-den. Die Leistungsabstände zwischen den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshinter-grund zu den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sind so groß wie in kaum einem anderen Land. Die schlechteren Ergebnisse der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshin-tergrund lassen sich dabei nur teilweise durch die ungünstigere sozioökonomische Situation ihrer Familien erklären. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass bildungspoliti-sche Maßnahmen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zu Benachteili-gungen führen, die als eine direkte Form institutioneller Diskriminierung beschrieben wer-den können. Kulturalisierende Deutungsmuster, die den ausgrenzenden Elementen des ein-wanderungspolitischen Diskurses und den Nachwirkungen der Ausländerpädagogik in der pädagogischen Alltagspraxis entnommen werden, dienen außerdem der Plausibilisierung und Legitimation von indirekten Formen der institutionellen Diskriminierung. Im Kapitel 2.3.4 wird auf die Einzelheiten dieses Schritts eingegangen.

Anhand dieser Bestätigungen der spezifizierenden Forschungsfragen I bis III konnte die Gül-tigkeit der ersten These bestätigt werden.

Zur Überprüfung der zweiten These, die sich auf den Vergleich der Bundesländer bezieht, konnte anhand der Einbürgerungspolitik nachgewiesen werden, dass sich Nordrhein-West-falen eher an integrativen, Baden-Württemberg eher an segregativen Zielen orientiert. Für Brandenburg und Sachsen waren zur Ausrichtung der Einbürgerungspolitik allerdings keine belastbaren Aussagen möglich. Daher wurden Landesverfassungen und Schulgesetze auf Be-züge zur Einwanderungs- und Integrationspolitik untersucht. Im Ergebnis konnte im Ver-gleich zu Sachsen für Brandenburg eher eine Ausrichtung an integrativen Zielen festgestellt werden. Detaillierte Ergebnisse dieser Schritte finden sich im Kapitel 3.1 und im Kapitel 3.2.3.2.

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In einem weiteren Schritt zur Prüfung der zweiten These wurde untersucht, ob sich die Schuleingliederungsmodelle für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in den sozialdemokratisch dominierten Bundesländern eher an integrativen und in den christ-demokratisch dominierten Ländern eher an segregativen Zielen orientieren. Dies konnte für Nordrhein-Westfalen bestätigt werden, wo unter sozialdemokratisch geführten Regierun-gen 1982 die Trendwenden zu einem integrativen Schuleingliederungsmodell eingeleitet wurde und bis heute eine ganze Reihe innovativer Konzepte in diese Richtung entwickelt und umgesetzt wurden. Auch Brandenburg weist als zweites sozialdemokratisch dominier-tes Bundesland ein integratives Konzept auf und bestätigt mithin die Vermutung. Das von CDU-geführten Regierungen geprägte Land Baden-Württemberg hat hingegen bis heute nicht konsequent auf ein schlüssiges integratives Schuleingliederungsmodell umgestellt. Elemente der Nichtbeachtung und partielle Orientierungen am segregativen Ziel der „Rück-kehrförderung“ bestätigen die Annahme auch für dieses Bundesland. Der von der CDU ge-prägte Freistaat Sachsen widerlegt die Annahme aber mit einem besonders engagierten in-tegrativen Konzept. Die Behauptung, dass sich christdemokratisch dominierte Bundeslän-der an eher segregativen Zielen bei der Schuleingliederung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund orientieren, lässt sich demnach nicht aufrecht erhalten.

Sachsen wurde also im nächsten Schritt den Ländern mit integrativen Eingliederungsmo-dellen zugerechnet. An dieser Stelle wurde untersucht, ob sich Unterschiede in den Schuler-folgen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund maßgeblich auf die in den Schuleingliederungsmodellen vorgesehenen Förder- und Integrationsmaßnahmen zurück-führen lassen. Prinzipiell ließ sich diesbezüglich ein Zusammenhang zwischen integrativen Konzepten und größeren Schulerfolgen nachweisen. Besonders deutlich kam dies in den po-sitiven Entwicklungen der schulischen Erfolge von Schülerinnen und Schülern mit Migrati-onshintergrund nach der Umstellung auf ein integrativ ausgerichtetes Konzept in Nord-rhein-Westfalen und seit der Einführung des Integrationskonzepts in Sachsen zum Aus-druck. Zudem war auffällig, dass die – gemessen an den PISA-Ergebnissen – leistungsstärke-ren Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg aufgrund der nicht konsequent integrativ ausgerichteten Maßnahmen nicht annähernd so gute Ab-schlüsse erreichten, wie es angesichts des Vergleichs mit Nordrhein-Westfalen erwartbar gewesen wäre. Eine wesentliche Einschränkung der Erwartung, dass sich Unterschiede in den Schulerfolgen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund maßgeblich auf die Förder- und Integrationsmaßnahmen zurückführen lassen, muss aber vorgenommen werden. Denn die besseren Bildungserfolge in Brandenburg und Sachsen lassen sich zu ei-nem großen Teil auf die Zusammensetzung der zugewanderten Bevölkerung und deren Le-bensumstände zurückführen. Insbesondere die Gruppen mit russischer, vietnamesischer und polnischer Staatsangehörigkeit tragen zu den sehr guten Ergebnissen bei.

Diese Arbeit ging von dem Ansatz aus, dass sich die Schulerfolge der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund nicht mit Merkmalen der Kinder und Jugendlichen oder deren Familien erklären lassen, sondern dass hier die bildungspolitisch vorgesehen Maß-nahmen zur Schuleingliederung und damit Merkmale des Schulsystems maßgeblich sind. Insofern muss die Gültigkeit der zweiten Thesen verworfen werden, auch wenn sie sich für die beiden Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bestätigt hat.

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Wie einführend dargestellt, ist es nicht Anspruch dieser Arbeit, neben der Analyse der be-sprochenen Zusammenhänge die melioristische Funktion des Vergleichs zu erfüllen. Mit dieser Entscheidung war aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Forschungsfeld möglich. Ausgehend von dieser Arbeit ist es allerdings möglich, in weiteren Forschungsarbeiten die Ergebnisse dieser Arbeit aufzugrei-fen und gewinnbringend für weitere, auch melioristische Funktionen bediendende For-schungen zu nutzen.

Für weitergehende Untersuchungen der Schulerfolge von zugewanderten Schülerinnen und Schülern im Vergleich der Länder Brandenburg und Sachsen könnten sich so aufschlussrei-che Erkenntnisse zur weitergehenden Realisierung von Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Sachsen ergeben. Trotz der kontinuierlichen Steigerung des Anteils zugewanderter Schülerinnen und Schüler an den sächsischen Gym-nasien weist Brandenburgs Schulsystem insgesamt die besseren Outputs bezüglich der Her-stellung von Chancengleichheit zugewanderter Schülerinnen und Schüler auf. Eine Vermu-tung über die dafür maßgeblichen Gründe setzt an strukturellen Fragen im Schulsystem an. Brandenburg hat mit einer sechsjährigen Grundschule und einer (noch) weitgehend inte-grierten Sekundarstufe bessere Rahmenbedingungen für den Umgang mit Heterogenität und die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler.

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5 Anhang

Schüler(innen)zahl 1992 1995 1996 1997 1998 1999

BWGesamt 606261 657376 669197 679099 689711 704856Deutsche 513340 563981 577045 588972 602432 616941Ausländer 92921 93395 92152 90127 87279 87915

BBGesamt 157846 168113 169114 170069 170105 168251Deutsche 157629 167646 168549 169408 169450 167515Ausländer 217 467 565 661 655 736

NWGesamt 1100595 1167326 1186016 1207025 1224287 1243893Deutsche 940895 1007627 1027009 1048593 1068652 1087663Ausländer 159700 159699 159007 158432 155635 156230

SNGesamt 361646 367432 365424 360569 355777 347660Deutsche 360988 366581 364294 359267 354299 345809Ausländer 658 851 1130 1302 1478 1851

2000 2001 2002 2003 2004 2005

BWGesamt 720907 742441 756262 762139 757272 746105Deutsche 632651 651118 662841 667709 663215 653782Ausländer 88256 91323 93421 94430 94057 92323

BBGesamt 166226 161958 155183 144593 126468 105766Deutsche 165446 161040 154080 143378 125162 104496Ausländer 780 918 1103 1215 1306 1270

NWGesamt 1268706 1299218 1323990 1334091 1326858 1305792Deutsche 1109180 1136034 1156924 1164788 1159272 1142063Ausländer 159526 163184 167066 169303 167586 163729

SNGesamt 338599 319753 290271 258744 228166 199158Deutsche 336587 317455 287564 255493 224517 195236Ausländer 2012 2298 2707 3251 3649 3922

Tabelle 9: Anzahl der Schüler/innen an den betrachteten Schultypen; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, Tabelle 3.1 und 4.1.1, eigene Berechungen

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Schulabschlüsse 2002/2003 2003/2004 2004/2005

Baden-Württemberg Deutsche 104788 106319 108708Ausländer 14687 15070 15160

Brandenburg Deutsche 35563 35962 34420Ausländer 294 338 310

Nordrhein-Westfalen Deutsche 172675 178053 181731Ausländer 22729 24695 25922

Sachsen Deutsche 55465 54001 52090Ausländer 521 470 528

Tabelle 10: Anzahl der Schulabschlüsse für die betrachteten Schultypen; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, Tabelle 6.2, eigene Berechnungen

RRI nach Schultyp 1992 1995 1996 1997 1998 1999

BW Gymnasium 0,31 0,31 0,32 0,32 0,33 0,32Sonderschule 2,05 2,26 2,33 2,36 2,42 2,44

BB Gymnasium 1,53 1,15 1,01 1,02 1,14 1,18Sonderschule 0,08 0,55 0,57 0,66 0,69 0,74

NW Gymnasium 0,36 0,38 0,39 0,39 0,39 0,39Sonderschule 1,51 1,70 1,71 1,76 1,84 1,85

SN Gymnasium 0,46 0,64 0,63 0,71 0,82 0,81Sonderschule 0,32 0,24 0,49 0,49 0,64 0,70

2000 2001 2002 2003 2004 2005

BW Gymnasium 0,32 0,31 0,31 0,31 0,31 0,32Sonderschule 2,41 2,44 2,38 2,31 2,25 2,20

BB Gymnasium 1,27 1,22 1,06 1,09 0,97 0,91Sonderschule 0,79 0,73 0,83 0,72 0,76 0,65

NW Gymnasium 0,38 0,37 0,36 0,35 0,35 0,35Sonderschule 1,88 1,90 1,94 1,93 1,92 1,90

SN Gymnasium 0,85 0,94 1,03 1,06 1,11 1,08Sonderschule 0,68 0,80 0,91 0,85 0,77 0,81

Tabelle 11: RRI nach Schultyp; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, Tabelle 4.1.1, eigene Berechnungen

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RRI für Abschlüsse 2002/2003 2003/2004 2004/2005

Baden-Württemberg

ohne Hauptschulabschluss 3,23 3,06 3,13Hauptschulabschluss 1,74 1,76 1,90Realschulabschluss 0,59 0,57 0,56Höherer Schulabschluss 0,20 0,20 0,16

Nordrhein-Westfalen

ohne Hauptschulabschluss 2,34 2,34 2,41Hauptschulabschluss 1,71 1,76 1,72Realschulabschluss 0,85 0,85 0,87Höherer Schulabschluss 0,45 0,43 0,42

Brandenburg

ohne Hauptschulabschluss 1,21 0,79 1,42Hauptschulabschluss 0,92 0,56 1,11Realschulabschluss 0,68 0,89 0,82Höherer Schulabschluss 1,51 1,51 1,06

Sachsen

ohne Hauptschulabschluss 2,29 2,18 2,21Hauptschulabschluss 1,49 1,50 1,53Realschulabschluss 0,93 0,77 0,77Höherer Schulabschluss 0,38 0,80 0,76

Tabelle 12: RRI nach Abschluss; Quelle: Statistisches Bundesamt versch. Jg., Tabelle 6.2, eigene Berech-nungen

Deutsche Schüler/innenBaden-

WürttembergNordrhein-Westfalen Brandenburg Sachsen

Hauptschulen 22,25% 18,27% 0,00% 0,00%Schularten mit mehreren Bildungsgängen 0,00% 0,00% 5,93% 56,82%

Realschulen 34,53% 26,85% 13,38% 0,00%Gymnasien 34,71% 33,02% 31,38% 32,39%Integrierte Gesamtschulen 0,47% 14,08% 36,82% 0,00%Freie Waldorfschulen 1,63% 0,67% 0,46% 0,28%Sonderschulen 6,39% 7,11% 12,03% 10,51%

Tabelle 13: Verteilung der deutschen Schüler/innen auf Schularten; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, Tabelle 3.3, eigene Berechnungen

Ausländische Schüler/innen

Baden-Württemberg

Nordrhein-Westfalen Brandenburg Sachsen

Hauptschulen 53,02% 36,06% 0,00% 0,00%Schularten mit mehreren Bildungsgängen 0,00% 0,00% 7,80% 48,06%

Realschulen 20,62% 18,97% 6,77% 0,00%Gymnasien 11,22% 11,21% 28,19% 43,19%Integrierte Gesamtschulen 0,68% 20,17% 48,11% 0,00%Freie Waldorfschulen 0,38% 0,07% 1,26% 0,28%Förderschule 14,09% 13,52% 7,87% 8,47%

Tabelle 14: Verteilung der ausländischen Schüler/innen auf Schularten; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, Tabelle 3.3, eigene Berechnungen

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RRI für ausgesiedelte Schüler/innen

Baden-Württemberg

Nordrhein-Westfalen Brandenburg Sachsen

Hauptschule 2,80 2,43 0,00 0,00Mittelschule 0,00 0,00 0,00 1,65Realschule 0,78 1,06 1,04 0,00Gymnasium 0,33 0,34 0,27 0,41Integrierte Gesamtschule 0,00 1,11 1,68 0,00Sonderschule 0,99 0,82 0,55 0,61

Tabelle 15: RRI für ausgesiedelte Schüler/innen nach Schulart und Bundesland; Quellen: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen 2004, Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Brandenburg 2004, Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2006c, Statistisches Lan-desamt des Freistaates Sachsen 2006c

Brandenburg SachsenGesamt RRI Gymnasium Gesamt RRI Gymnasium

1995 168113 1,15 367432 0,641996 169114 1,01 365424 0,631997 170069 1,02 360569 0,711998 170105 1,14 355777 0,821999 168251 1,18 347660 0,812000 166226 1,27 338599 0,852001 161958 1,22 319753 0,942002 155183 1,06 290271 1,032003 144593 1,09 258744 1,062004 126468 0,97 228166 1,112005 105766 0,91 199158 1,08

Tabelle 16: Entwicklung RRI und Schüler(innen)zahl in Brandenburg und Sachsen; Quelle: Statistisches Bundesamt 2006e, Tabelle 4.1.1, eigene Berechnungen

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