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EL HIERRO DIE KLEINE WILDE

DIE ELHIERRO KLEINE WILDE - rolandgerth.ch Hierro.pdf · se Weise inmitten kahler Berge, in denen ... „Meh-rere hundert Liter Wasser am Tag waren damals keine Seltenheit.“ Den

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EL HIERRODIE KLEINE WILDE

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80 Meter unter der Meeresoberfläche hater seine Tätigkeit eingestellt – vorerst. So wie El Discreto sind wohl alle

Inseln des Archipels einst einstanden. ElHierro liegt, wie die anderen Kanarenauch, nicht an einer Bruchkante derKontinentalplatten, sondern eindeutigauf der afrikanischen Platte. Warum alsoeine derart intensive Vulkantätigkeit?Weil auf El Hierro der obere Erdmantelbesonders dünn ist, sodass heiße Lavasehr leicht nach oben bricht. Das Phä-nomen wird Hot Spot genannt. „Wirwaren Hauptthema in den Nachrichten“,erinnert sich Rathjen. Die Nachricht vonder seltenen Geburt eines Vulkans brei-

Unterwasservulkan vor ihrer KüsteGestein und Gas ins Meer spuckte.Zuvor hatten Dauererdbeben die Inselgeschüttelt. „Wir hatten mehr als 8.000Beben in drei Monaten“, erinnert sichRathjen. Forscher kamen per Schiffangereist und der Hafenort La Restingamusste evakuiert werden. Das Meer ver-färbte sich grün und braun, die Luft rochnach Schwefel. Die Ausbruchsstelle glicheinem riesigen Whirlpool und wurdeprompt Jacuzzi getauft. Abends glühtenfeurige Gesteinsbrocken auf dem Meer.Ein neuer Vulkan war geboren: El Dis-creto, der Geheimnisvolle, wie ihn dieBewohner schnell nannten. Doch rund

ist El Hierro auch noch ein Kleinkind,denn mit seinen etwas mehr als eine Mil-lion Jahren auf dem Krater gilt derSchildvulkan erdgeschichtlich als jung.Jedenfalls ist die südwestlichste auchgleichzeitig die jüngste Insel des Kana-ren-Archipels. Fuerteventura mit ihren22 Millionen Jahren ist dagegen schoneine erdgeschichtliche Erwachsene.

Das „Zappeln“ von El Hierro hateinen Grund. „Vielleicht sehenwir schon bald eine neue Insel

vor unserer Haustür“, spekuliert Rathjenund spielt auf das Jahr 2011 an, als dieInsel Schlagzeilen machte, weil ein neuer

sigkeit Tropfen für Tropfen herab, bis dieStratusschicht leicht genug ist, um weiternach Teneriffa oder La Gomera zu zie-hen. Obwohl die Deutsche schon seit

zwölf Jahren auf der Insel lebt, ist sieimmer wieder aufs Neue verzaubert. DieStämme der verkrüppelten Bäume klei-den sich in ein grünes Fell aus Moos. Inihren Kronen hat sich eine Wolke ver-fangen und zerstreut das Sonnenlicht innadeldünne Strahlen. Die Luftfeuchtig-keit wellt die aschblonden langen Haareder Herreña, wie die Inselbewohnergenannt werden, zu Locken, währendsie auf einen schroffen Abgrund zusteu-ert. „Jetzt kommt das Schönste“, ver-spricht sie und zeigt in die Ferne. Wieaus dem Flugzeug schweift der Blick vonhier aus über die Insel mit dem Tal ElGolfo, das die Berge wie ein riesigesAmphitheater flankieren. An die schroffeKraterkante schmiegen sich linsenförmi-fe, fluffige Wolken wie ein Heiligen-schein. Tausend Meter tiefer ist kultivier-te Landschaft zu sehen: Bananenge-wächshäuser und mit Natursteinmauernumrandete Felder. Kleine weiße Dörferducken sich wie hingewürfelt in die Farb-komposition aus Grün und Schwarz. Inder Ferne begrenzt ein dunkelblauschimmernder Atlantik die Szenerie.Postkartenschön dieses Bild. „SolchePanoramablicke vergisst man nie mehr“,schwärmt Sabine Rathjen. Sie waren einer der Gründe dafür,

warum sie sich ausgerechnet hier ihrenTraum vom eigenen Bauernhof erfüllthat. Eine Finca auf einer Insel, deren vul-kanischer Untergrund zappelt wie einungeduldiges Kleinkind. Und ein wenig

chwarze Lavakiesel knirschenunter den Füßen, während dieSonne afrikanisch heiß brennt.500 Kilometer weiter östlich liegtdie Sahara auf gleichem Breiten-

grad. Ähnlich karg ist es auch hier – nurschwarz. Plötzlich verdunkelt sich derHimmel und Nebelschwaden ziehendicht über den dunklen Boden. Nach-mittags auf El Hierro – eben war derHimmel noch blau und die Sicht klar.Nun pfeift feuchter Wind über die kahleEbene, in der Ferne zeichnen sich dieverwischten Silhouetten zweier Wande-rer ab, bevor sie ganz im Nebel ver-schwinden. So grau verschwommenwirkt die vom Nordostpassat geprägteLandschaft ein wenig unheimlich undunwirklich. „Der Passat trägt jeden TagWolken auf unsere Insel, die hier obenhängen bleiben“, erklärt Sabine Rathjen.Die deutsche Auswanderin hat sich einenTag freigenommen, um eine GruppeWanderer über die Insel zu führen undist auf dem Weg zum Zauberwald LaLlania im Norden der Insel. Ihre Ziegen-farm versorgt heute ihr Freund, währenddie 53-Jährige zielstrebig auf ein kleinesWaldstück zusteuert. „Hier sollen sichfrüher die Heilerinnen versammelthaben, deswegen heißt er Bailadero delas Brujas, Hexentanzplatz“, berichtetSabine Rathjen. Und es wird gemunkelt,dass einem Schäfer hier einst eine merk-würdige Gestalt erschienen ist. DieseVorstellung scheint gar nicht so abwegigzu sein, denn der Dunst lässt die Gren-zen zwischen Himmel und Erde zerflie-ßen. Man steht buchstäblich mitten inden Wolken. Im Nebelwald La Llaniaauf 1.360 Meter Höhe platscht die Flüs-

El Hierro, die westlichste und kleinste der Kanarischen Inseln, galt im Altertum als das Ende der Welt. Wer von hier aus weitersegelte, lief Gefahr über den Rand der Erde zu stürzen. Obwohl sich dies als Irrtumerwiesen hat, umgibt das abgelegene Eiland bis heute ein wenig von der Mystik eines letzten Außenpostens. Verwunschene Nebelwälderund Lavawüsten, urzeitliche Riesenechsen und heilige Regenbäume –der Insel zwerg im Atlantik bietet großartige Naturerlebnisse.

Fotos: Roland Gerth Text: Andrea Lammert

S

An der Nordspitze, der Punta Norte, bilden diegelbgrünen Büschel desMeeressalats leuchtenderFarbtupfer auf demschwarzen Lavagestein. Auf El Hierro finden sichkeine von Touristen überfluteten Sandstrände,stattdessen besticht die Insel mit einsamen, natur -belassenen Lavastränden.

„Er steht wie kein anderer für dieBesonderheiten auf El Hierro und ziertdeswegen auch das Inselwappen“, erklärtdie Dame in dem kleinen Informations-zentrum am Garoé. Während andernortsdie Gipfel den schweren Passatwolkeneine Barriere bieten, stoppt in SanAndrés der „Regenbaum“ die Wolken.An seinen Blättern kondensiert das Was-ser, bis die Wolken leicht genug sind undüber ihn hinwegschwebten. „Mehr alszweihundert Wasserlöcher hat er auf die-se Weise inmitten kahler Berge, in denenes keine Quelle gibt, mit kostbarem Süß-wasser gefüllt und den Bimbaches, denUreinwohnern der Insel, einst das Über-leben gesichert“, fügt sie hinzu. „Meh-rere hundert Liter Wasser am Tag warendamals keine Seltenheit.“ Den Bewoh-nern der schroffen Insel hat der Baumoftmals das Leben gerettet, etwa wennsie belagert wurden oder Dürrezeitenkamen. Erst später haben sie im Tal von

ampfer und Zitronen thymian kauen.Über der Herde kreist ein Falke und inder Ferne drehen sich die Windräder.Der Passat bringt nicht nur Süßwasser,sondern auch Strom. Mit der neuenWind- und Wasserkraft will El Hierroenergetisch autark sein.

Neben modernen Windradkon-struktionen kennt die Insel aberauch uralte Techniken, etwa zur

Süßwassergewinnung. Ein Árbol Santo,ein heiliger Baum, galt lange Zeit als diewichtigste Süßwasserquelle El Hierrosund ist deswegen sogar im Wappen ver-ewigt. Ein Baum als Quelle? DiesesWunder wächst ganz versteckt in einerFelsnische auf der Hochebene von SanAndrés. Der sogenannte Garoé – was soviel wie „Sammler“ bedeuted – ist einLorbeerbaum, der aussieht, als würde erin einem Regenwald wurzeln mit seinemüber und über bemoosten Stamm.

tete sich wie ein Lauffeuer über Teneriffaund Gran Canaria in die ganze Welt aus.Inzwischen hat sich die Erde längst wie-der beruhigt, aber mit den Nachwirkun-gen hat El Hierro bis heute zu kämpfen.Noch zwei Jahre nach dem Spektakelfürchten Reisende Erdbeben und Vulkanausbrüche, anstatt Urlaub im UNESCO-Biosphärenreservat zubuchen. „Nach dem Ausbruch habenviele Reise anbieter El Hierro aus demProgramm genommen“, weiß SabineRathjen.Schon immer hatte die Insel unter

ihrer Abgeschiedenheit gelitten. Werhierher will, muss wirklich motiviertsein. Fähr- und Flugpläne machen esdem Reisenden nicht leicht, schnell ansZiel zu kommen. Die Fähre von Tene-riffa braucht vier Stunden bis sie die Inselerreicht und sticht oftmals früher in See,als die Touristenflieger landen. Gleichesgilt für die Startzeiten der Flüge vonTeneriffa zur Insel. Schlecht für das Eiland, das den Auf-

schwung auch wirtschaftlich dringendbraucht. Arbeit gibt es kaum für dieknapp 10.000 Einwohner. Zudem bekla-gen die Kanaren eine hohe Jugendar-beitslosigkeit von mindestens 70 Pro-zent. Also heißt es für die Herreñoszusammenrücken. Die erwachsenenKinder ziehen mit ihren eigenen Familienwieder zurück zu den Eltern und be -ackern die inzwischen vom Unkrautüberwucherten Felder. Sie können essich nicht mehr leisten, Land brach lie-gen zu lassen, füttern stattdessen ihreZiegen, mähen Gras und pflücken Fei-gen. Oder hüten ihre Schafe wie Luis

Quintero aus El Pinar. In dickem Woll-pulli stützt er sich auf seinen Hirtenstab,das Gesicht wettergegerbt und den Blickin die Ferne gerichtet, während es umihn herum bimmelt und blökt. Währendan der wolkenfreien Küste 29 Grad herr-schen, steht er bei 14 Grad im kaltenNordostpassat in den Bergen bei Tinor.„Jeden Tag bin ich mit meinen Tierendraußen. Ich mache ökologischen Käse“,erzählt er, während seine Schafe Mond -

Links oben: Der Faro deOrchilla markiert den west-lichsten Punkt der Insel. Ein Ort, der vor der Ent -deckung Amerikas als das Ende der Welt galt.

Links unten: Auf der Spitzeeines Vulkankegels thronend,ist der Glockenturm von La Frontera das Wahrzeichendes Golfo-Tales.

Unten: Direkt am Atlantiksteht auf einer Landzungeeines der kleinsten Hotelsder Welt: Das Hotel PuntaGrande bietet insgesamt vierZimmer – jedes mit fantas -tischem Meeresblick.

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Höhlen, mahlten Farnkrautwurzeln undGetreide zu Gofio, dem typischen Mehlder Insel, bauten Wein an und zogen mitihren Schafen zu den fruchtbaren Fel-dern. Von der uralten Kultur zeugenzum Beispiel die Felsinschriften derarchäologischen Fundstätte Los Letrerosde El Julán im Südwesten der Insel.Noch heute reitet so mancher Alte aufseinem Esel zu seinem Feld oder treibtZiegen und Schafe über die Insel, wievor tausend Jahren.Obwohl Ikea und Co. inzwischen

per Fähre auch nach El Hierro liefern,bleibt der Konsum dort doch sehrbegrenzt. Die Hauptstadt Valverde mitihren 1.600 Einwohnern hat eine Ein-kaufsstraße mit Dorfkneipen, Super-markt, Spielzeuggeschäft und Banken,die sich in vielen deutschen Kleinstädtenweitaus opulenter darstellt. Wer zumShoppen nach El Hierro kommt, wirdenttäuscht: Kittelschürzen, getöpferte

die Küste brandet. Die Herreños habendie Naturpools mit Beton verstärkt undgeschlossen. Eine schöne Abkühlung,denn die 30 Grad warme Luft auf derfast schattenlosen Insel ist schweißtrei-bend. In den Becken ist zwar auch Wel-lengang, aber die Schwimmer kommensicher wieder an Land, wo sie sich aufden Felsengrills ihr Mittagessen brutzeln.Obwohl gerne selbst geangelte Papa-geienfische, Thunfische oder Barsche aufdem Rost schmoren, schätzen die Insu-laner auch Gemüse sehr – am beliebtes-ten sind die Papas arrugadas, runzeligePellkartoffeln mit Salzkruste und roterund grüner Soße.

D ie technische Errungenschaftender modernen Welt sind auf ElHierro nur langsam angekom-

men. So lebten die Bimbaches, dieUreinwohner, noch bis vor 500 Jahrenwie in der Steinzeit. Sie wohnten in

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El Golfo bei Guinea eine Süßwasserquel-le entdeckt und wanderten mit Sack undPack ans Meer, weil dort die Viehweidenkräftiger und das Wetter günstiger war.

Aus dieser Zeit sind noch einigeSiedlungen erhalten, wie zum Bei-spiel Pozo de las Calcozas, ein

altes Fischerdorf mit einfachen Hüttenund einem Naturhafen. Doch um denOrt zu erreichen, ist eine Wanderungüber steile Wege nötig, denn fast allesauf El Hierro befindet sich am Steilhang.Strände sind hier die Ausnahme, wieetwa der Strand von Tacoron oder diehelle Playa de Verodal. Doch auf Bade-vergnügen müssen Feriengäste trotzdemnicht verzichten, denn in der zerklüftetenKüste um El Golfo haben Wasser, Vul-kane und Wind viele kleine Naturswim-mingpools geschaffen. Felsenbecken, diedirekt an den offenen Atlantischen Oze-an grenzen, der hier mit aller Macht an

Oben: Das karge Leben auf El Hierro in der Vergangen-heit vergegenwärtigt das Museumsdorf Guinea.

Links: Der Árbol Santo ist das Wahrzeichen El Hierros.An seinen Blättern kondensiert die Feuchtigkeit der Wolken, tropft zu Boden und bildet inmitten kahlerBerge Wasserstellen.

Unten: Ihre gebückte und verdrehte Haltung verdankendie Wacholderbäume von El Sabinar dem permanentenPassatwind.

Rechts: Küstenabschnitt bei Charco Manso.

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Backformen oder T-Shirts finden sich –und das war es schon fast. Ein Bild wievon vor dreißig Jahren. Doch genaudafür lieben die Touristen die Insel.Samstags auf dem Wochenmarkt verkau-fen die Hausfrauen die Feigen aus ihremGarten. „Man lernt schnell, mit wenigzufrieden zu sein und seine Wünscheeinzuschränken“, erzählt Rathjen. Es isteben nichts los auf einer Insel mit dreiApotheken, drei Tankstellen und ohneAutobahn, Ampeln und McDonald’s.

E l Hierro ist fast komplett vonschroffer Felsküste umgeben – gutfür den Schutz vor Piraten,

schlecht fürs Anlanden. Schon Chris-toph Kolumbus hatte 1493 Schwierigkei-ten, von hier wieder in See zu stechen,nachdem er vor Anker gegangen war,um frisches Wasser und Nahrungsmittelan Bord zu nehmen. Neunzehn Tagelang soll er gewartet haben, bis ihn einkräftiger Passat endlich von der Inselforttrug und schließlich bis nach Ameri-ka brachte. Immer wieder der Passatwind. Er ist

es, der im Westen der Insel denWacholderwald von El Sabinar zu klei-nen Kunstwerken geformt hat. Elegantmachen die Stämme eine tiefe Verbeu-gung, winden sich mit ihren knorrigen

Ästen am Boden und trotzen so seitJahrhunderten den Stürmen, die über siehinwegfegen. Doch die Wacholderbäumevon El Sabinar sind nicht die einzigenÜberlebenskünstler, auch die KanarischeKiefer, die an der Westseite der Insel tro-ckene Wälder formt, hat sich perfekt andie extremen Bedingungen auf El Hierroangepasst. An manchen Stellen allerdingssind die Kiefern schwarz, wirken fast wie verkohlt. „Sie sind tatsächlich ver-brannt“, stellt Sabine Rathjen klar. „Die-ser Baum kann einen Waldbrand über-stehen und treibt anschließend wiedervoll aus.“

So gibt es überall auf der Insel klei-ne Geheimnisse zu entdecken. InPunta Grande etwa trotzt eines

der kleinsten Hotels der Welt der tosen-den Brandung. Direkt an den Klippendes Atlantiks auf einer schmalen Land-zunge gelegen, kann man von seinen vierZimmerchen aus direkt aufs Meer bli-cken. Im Nachbarort Guinea lockt einMuseumsdorf mit einem Ausflug in dieVergangenheit. Direkt daneben liegt eineAufzucht station für urzeitliche Riese-nechsen. Die bis zu 75 Zentimeter langeEl-Hierro-Rieseneidechse, oder spanischLagarto gigante, galt als ausgestorben,bis sie in den 70er Jahren wiederentdeckt

Links: Die vielen Natur-schwimmbecken El Hierros, wie hier La Maceta, grenzendirekt an den Atlantik.

Oben: Über 1.000 Meterhoch sind die Felswändeim Tal El Golfo.

Unten links: Die weißeWallfahrtsirche ErmitaVirgen de Los Reyes.

Unten rechts: Las Puntasan der Nordwestküste.

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Der Reise- und Naturfotograf Roland Gerth arbeitet mit Vorliebe in außergewöhnlichen Natur-land schaften, die er auf allen Konti nenten, aber auch in seinerHeimat, der Schweiz, aufspürt.

Vor Kurzem erschien im AS-Verlag sein neuer Bildband „Faszination Bergwasser – die schöns ten Wasserland-schaften der Schweiz“. www.rolandgerth.ch

Egal ob ganz weit weg oderheimische Gefilde – am liebsten schreibt Andrea Lammert Reportagen sowiePorträts über spannende Menschen – wie sie sie zum

Beispiel auf der kleinen Insel El Hierro getroffenhat. Die Reisejour na listin ist Mitglied der Redak-tionsgemeinschaft Reisefeder. www.reisefeder.de

wurde – eine Sensation, denn die Echseist ein lebendes Fossil aus der Zeit desTertiärs.Größte Attraktion für die Einheimi-

schen aber ist die Madonnenfigur derVirgin de los Reynes. Seeleute sollen sie1546 zur Insel gebracht haben, weil sienotankern mussten. Schäfer fanden daseinsame Schiff und versorgten die Besat-zung wochenlang mit Wasser und Pro-viant. Zum Dank schenkten die Frem-den den Insulanern eine Statue der Hei-ligen Jungfrau. Heute ist der Statue, diewährend einer Prozession bei einer Dür-re einst für Regen gesorgt haben soll,eine eigene schneeweiße Kirche gebautworden. Ein Wallfahrtsort mitten im

Nichts, der alle vier Jahre während derBajada de la Virgen zum Mittelpunkt ElHierros wird, wenn die Madonnenfigurin einer feierlichen Prozession zur Fes-tungskirche Iglesia de la Concepciónnach Valverde getragen wird.

Auf dem Platz vor der Wallfahrts-kirche Ermita de Los Reyesnimmt ein vollbärtiger, grauhaari-

ger Mann noch ein kurzes Sonnenbad,bevor er sich wieder in seine Höhlezurückzieht. Der 63-jährige Eutimiowohnt in einer der alten Höhlen. Wieein großes Igluzelt spannen sich die Feld-bögen über den Kieselboden. Eine kleineNische ist mit feinen Steinchen befüllt.

Was an einen Zen-Garten erinnert, dientals Sofa und Bett, fast in Greifnähe dane-ben befindet sich ein Alutopf auf einerkleinen Feuerstelle. Es ist dunkel undkühl, doch der Vater von vier erwachse-nen Kindern scheint sich daran gewöhntzu haben. Unter seinem Strohhut leuch-ten seine braunen Augen wie zwei Son-nen, klar und durchdringend ist seinBlick. Sein Umzug in die Höhle ist seinProtest. „Wir haben hier ein einzigartigesHöhlensystem. Selbst unsere Inselheilige,die Virgin de los Reynes, wurde einst indiesen Höhlen aufbewahrt, bevor dieKirche gebaut wurde.“ Tatsächlich haben Lavaströme vor

Tausenden von Jahren auf El Hierro viele

Höhlen hinterlassen. Teilweise weil dieFlüssigkeit außen schneller abkühlte undsich das Gestein erhärtete, während dasInnere weiter floss. In anderen Fällenhaben eingeschlossene Gasblasen zu denHohlräumen geführt. Besonders in derNähe der Kirche Ermita de los Reynes,ist im Montaña de las Cuevas, dem„Berg der Höhlen“ ein eindrucksvollerHöhlenkomplex zu finden. „Hier habendie Schäfer einst geschlafen, als sie dasSchiff der fremden Seeleute sahen“,erzählt Eutimio. Am äußersten Westzipfel der Insel

ist es einsam. Geblieben von der Schä-fertradition ist nur eine große Pferchnahe der Höhlen sowie ein Festplatz mit

Bänken. Dort feiern die Inselschäferjedes Jahr im April ihre „Fiesta de losPastores“, bevor sie wieder auf die Wei-den verschwinden. Dem Eremiten Euti-mio ist das zu wenig. Schließlich seiendie Höhlen mehr als 2.000 Jahre alt. „Wirmüssen sie für unsere Kinder bewahren,damit wir ihnen zeigen können, wie ihreVorfahren gelebt haben“, appelliert er.Doch Unterstützung bekommt er fürsein Engagement keine – weder von derRegierung noch von Verbänden. Alsoräumt er alleine den Schutt weg, der sichim Laufe der Jahre dort angesammelthat, weil viele die Höhlen als wilde Müll-halden missbraucht haben. „So einLeben in der Höhle verändert total“,

meint Eutimio. „Im Winter habe ich sehrgefroren und selbst im Sommer ist es oftnur mit einer Wolldecke zu ertragen.“Doch er wolle durchhalten. Es sei mehrals nur Protest. Es sei auch eine Art spiritueller Erfahrung mit einem ganzeigenen Schweige-Rhythmus und Auf-räum-Meditationen. „Hier lenkt michnichts ab, kein Konsum, kein Computer,kein Handy. Hier oben bin nur ich.“Und der Passatwind, der ab und an dieHolztüren der strahlend weißen Kirchezum Knarzen bringt. Wenn der WindNebelfetzen über die Berge bis in dieHöhle treibt, verschwimmen wiederHimmel und Erde wie sie es täglich tun auf El Hierro.

Oben: Wetterwechsel am Montana Colorado.

Links: Vom Aussichtspunkt Mirador de la Peña fällt der Blick auf dieRoques de Salmor, die vor der Steilküste aus dem Wasser ragen.

SehenswertesDie Kanarischen Inseln liegenetwa 500 Kilometer westlich derafrikanischen Küste im Atlantik.El Hierro ist mit 270 Quadrat -kilometern die kleinste und zu-gleich die südwestlichste Inseldes Archipels. Sie liegt im Südenvon La Palma und im Osten vonTeneriffa und La Gomera.

Die Inselhauptstadt Valverde istbekannt für ihre Kirche Santa Ma-ría de la Concepción und bieteteine schöne Abwechslung für alle,die mal ein wenig bummeln undins Café gehen möchten. Ein Ab-stecher zum Museum Centro Et-nográfico Casa de las Quinteras(Volkskundemuseum) gibt Einbli-cke in Leben, Handwerk und Ar-beitsweisen vergangener Jahrhun-derte. Im angeschlossenen Ge-schäft kann man schönes Kunst-handwerk von El Hierro erstehen.Die Westspitze der Insel galt biszur Entdeckung Amerikas als west-lichster Landpunkt der Erde. ImJahr 150 zog der griechische Ge-lehrte Claudius Ptolemäus zudemden Nullmeridian durch diesenPunkt, was erst 1880 geändertwurde. Seitdem verläuft diesewichtige kartografische Linie durchdie Londoner Sternwarte Green-wich. Heute befindet sich amLeuchtturm an der Westspitze ElHierros der schönste Platz fürSonnenuntergänge.Im Museumsdorf Guinea ver-mitteln liebevoll restaurierte undinseltypisch eingerichtete Natur -

reiseInfos EL HIERRO

steinhäuser ein lebendiges Bildvom Alltag der Herreños in derVergangenheit. Handwerkskunst,Kleidung oder Essgewohnheitenwerden dort anschaulich präsen-tiert. Das Freilichtmuseum ist dasälteste Spaniens.Eine Besonderheit sind die wildenMeerwasserbecken auf der Insel.Die natürlichen Pools liegen direktan der Küste und werden durchSteinmauern vor allzu starkemWellengang geschützt. Sehenswertsind zum Beispiel die Becken deskleinen Fischerdorfes Pozo de Las

Calcosas sowie die von Charcolos Sagros oder Charco Azul. Mit seinen vier Zimmern ist dasauf einer Landzunge direkt amMeer gelegene Hotel Punta Gran-de eines der kleinsten der Welt.Mit dem Pozo de la Salud verfügtEl Hierro zudem sogar über eineigenes Gesundheitshotel. Im Westen der Insel sind alte Stei-ninschriften der Ureinwohner, derBimbachen, gefunden worden, dieim Centro de Interpretacíon de ElJuan besichtigt werden können. Der Doppelfelsen Roque de laBonanza im Meer zählt zu denWahrzeichen der Insel.Wohl keiner der 13 ausgewiesenenAussichtspunkte ist derart schönwie der Mirador de la Peña: Seinverglastes Haus mit der großenTerrasse und dem Kakteengartenwurde vom Künstler César Man-rique aus Lanzarote gestaltet. VomMirador bietet sich ein wunder-barer Blick auf die Insel, und dasangeschlossene Restaurant berei-tet köstlichen Fisch zu. Der Àrbol Santo in der Hochebenevon San Andres zeigt eindrucks-voll, wie das Wasser aus den Wol-ken gefiltert wird. Eines der beliebtesten Ausflugs-ziele ist der Wacholderwald El Sa-binar im Westen der Insel. Derpermanente Wind hat die mehrerehundert Jahre alten Bäume dortzu verdrehten, bizarren Wuchs-formen gezwungen. Einer der be-rühmtesten dieser Bäume steht

REISETIPP

Grad kalt werden. Generell ge-hören dicke Pullis sowie Son-nenschutz immer mit ins Ge-päck, das gleiche gilt für guteWanderschuhe.

UnterkunftLuxuriöseste Unterkunft der Inselist das Paradores Hotel ganz imNordosten. Die Zimmer befindensich direkt am Meer und derBlick in den Sonnenaufgang istfantastisch. DZ ab 100 €.www.parador.es

Ursprünglich wohnen auf demBauernhof kann man auch aufEl Hierro, etwa in der Finca laPaz von Sabine Rathjen, Appar-tements ab 35 €. www.finca-la-paz.com

Web-TippWeitere Informationen gibt esbeim spanischen Fremdenver-kehrsamt auf www.spain.infooder www.elhierro.travel.

es lohnt sich ein Leihwagen für30 Euro am Tag. Informationenüber Teneriffa gibt es unter:www.webtenerife.de.Die Fähre von Teneriffa dauertrund vier Stunden und kostetab 99 Euro hin und zurück. Sieist buchbar unter: www.navieraarmas.comMit der Fluggesellschaft Bintergibt es Hin- und Rückflüge vonTeneriffa nach El Hierro ab 72Euro. Der Flug dauert etwa 40Minuten. Rechtzeitig reservierenlohnt sich, die Maschinen sindschnell ausgebucht. www.bintercanarias.com

Klima & ReisezeitEl Hierro ist ein Ziel für das gan-ze Jahr, dennoch gibt es klima-tische Unterschiede. So ist derFrühling auf der Insel beispiels-weise besonders reizvoll, wennim Januar und Februar Mohnoder Margeriten bunte Farbtupferin den Wiesen bilden. Im Som-mer ist es am Wasser oft sehrheiß und die Sonneneinstrahlungsehr intensiv, jedoch lässt sichdie Mittagszeit gut in den Bergenüberbrücken. Im Winter kann esin den Hochebenen bis zu 4

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AnreiseEs gibt keinen Direktflug nachEl Hierro. Die Anreise erfolgtimmer über Teneriffa. In denmeisten Fällen ist dort auch eineÜbernachtung erforderlich. Ambesten plant man daher schonim Vorfeld der Reise etwas Zeitfür die größte der KanarischenInseln ein. Sinnvoll ist der Auf-enthalt im Norden von Teneriffa,nahe des Flughafens Norte, vonwo aus die Airline Binter nachEl Hierro fliegt. Hier bietet sichein Zwischenstopp in der his-torschen Stadt La Laguna anoder aber in Puerto de la Cruz,dem alten Badeort der Insel.Eine schöne Unterkunft ist zumBeispiel die Finca el Patio deTita in Los Realejos, etwa 20Minuten vom Nordflughafen ent-fernt. Dort kostet die Übernach-tung in einer kleinen Wohnungzwischen Bananenplantagen ab70 Euro, (www.fincaelpatio.com).Wer sich noch etwas mehr Zeitnimmt, kann sogar noch eineWanderung im Anaga-National-park oder einen Besuch im Ho-nigmuseum Casa del Miel ein-planen. Die beiden FlughäfenNord und Süd verbindet eineBuslinie für rund 10 Euro, aber

ganz in der Nähe der Wallfahrts-stätte Ermita de los Reynes mitihrer Jungfrauenstatue sowie denHöhlen. Der höchste Berg der Insel, derMalpaso, misst 1.501 Meter undist für einen Wanderausflug inter-essant.

Flora und FaunaZu den Besonderheiten der Pflan-zenwelt zählen die Wacholderwäl-der El Sabinar im Westen derInsel sowie die Kiefernwälder, woknorrige Exemplare der feuerfestenKanarischen Kiefer wachsen.Agaven und Wolfsmilchgewächsefinden sich auf El Hierro ebenso

wie der Drachenbaum.Am Himmel kreisen oft Turmfal-ken und Bussarde, mit ganz vielGlück kann man sogar Seeadlerbeobachten. Häufiger anzutreffensind dagegen der Kanarengirlitzund der Wiedehopf. Weit verbreitetsind auch Geckos und Eidechsen.Die Rieseneidechse „Lagarto gi-gante de Salmor“ ist eine ende-mische Art, die nur auf der Inselvorkommt und mit ihrer impo-santen Größe schon fast aussiehtwie ein kleiner Drache. In der Ei-dechsenstation Lagartario am Mu-seumsdorf Guinea werden die aus-gestorben geglaubten Tiere heutegezüchtet und ausgewildert.

TauchenDie Tauchgründe vor El Hierrogehören zu den besten im ge -samten europäischen Raum. Vorallem der Hafenort La Restingaist ein beliebtes Ziel für Taucher.Dort gibt es sogar eine Tauch-schule, die von Deutschen geleitetwird (www.el-hierro-tauchen.de).Zu sehen sind unter Wasser vorallem eindrucksvolle Adlerrochen,aber auch Barrakudas, bunteNacktschnecken und Korallen.

WandernEl Hierro lässt sich am besten zuFuß erkunden. Zu den schönstenund beliebtesten Wanderrouten

zählt der „Weg der Jungfrau“, Ca-mino de la Virgen. Er führt vonValverde im Osten über die Hoch-ebene bis zur Kirche der JungfrauMaria im Westen. Und wer dannnoch Puste hat, geht das kleineStückchen weiter zum Wachold-erwald El Sabinar. Da der Camino de la Virgen mit28 Kilometern relativ lang undteilweise anstrengend ist, bietetes sich an, ihn in mehreren Tagesetappen zu begehen. Werauf der Insel wandert, sollte immergenügend Trinkwasser sowie Pro-viant dabei haben. Alle Wander-wege sind gut ausgebaut und beschildert.

B u chtIpp

Kanarische Inseln256 S., 277 Abb., 30 Karten ISBN 978-3-939172-37-6

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