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Ein Weiterbildungsbeitrag des GeoBio-Center LMU anlässlich der Münchner Wissenschaftstage „Lebendige Erde“, 2002 Die Entwicklung der Biodiversität – Das Beispiel der Riffe Von Reinhold Leinfelder „Paläontologie München“ und „Zentrum für Geobiologie und Biodiversitätsforschung an der LMU“ (GeoBio-Center LMU ), Richard-Wagner-Str. 10, 80333 München, [email protected] muenchen.de Manuskript zum gleichnamigen Vortrag sowie zur Riffausstellung der Paläontologie Mün- chen auf den Marktständen. Münchner Wissenschaftstage 2002, Lebendige Erde. Riffe sind Massenansammlungen von am Boden festgehefteten, sessilen Organis- men, welche durch Kalkskelette oder durch biologisch-induzierte Mineralisierun- gen überlieferungsfähige, sich über den Meeresboden erhebende Felsen aus Kalk, selten auch anderen Mineralien formen. Unter diese nüchterne Definition fallen auch unsere faszinierenden tropischen Korallenriffe, die heute die größte Arten- vielfalt aller marinen Ökosysteme umfas- sen. Etwa 60.000 Arten hat man bereits entdeckt, aber wahrscheinlich leben weit über 1 Million Arten in den Riffen unserer heutigen Meere. Wenn man die Formen- vielfalt auf Familienebene betrachtet (- der Mensch etwa gehört mit seiner Art sapiens zur Gattung Homo und zur Familie der Hominidae -), übertreffen die Korallenriffe sogar die Diversität der tropischen Regen- wälder. Überaus beeindruckend ist der Einfallsreichtum der Natur hinsichtlich der ökologischen Nischen im Riff. So gibt es riffbildende Organismen, insbesondere die Steinkorallen, riffbindende Tiere und Pflan- zen wie viele Schwämme oder Kalkrotal- gen, riffabbauende Organismen wie Bohr- muscheln, Bohrwürmer oder Bohr- schwämme. Es gibt ein Gartenbauamt im Riff – herbivore Fische und Seeigel halten die Weichalgen kurz. Als Kläranlagen fun- gieren die Schwämme und Myriaden an- derer filtrierender Tiere, wie Muscheln, viele Würmer, Haarsterne oder Weichko- rallen. Sie filtern Fressbares aus der Was- sersäule und halten somit das Wasser rein. Zur Müllabfuhr im Riff gehören viele Krebstiere, die totes organisches Material recyceln. Putzerfische und Putzergarnelen repräsentieren die Zahnärzte im Riff. Auch die Schilderung der vielfältigen Formen von Tarnungen, Mimikri und Verteidigungs- strategien könnte Bücher füllen – wussten Sie dass manche harmlose Nacktschnecken giftige Schwämme fressen, um selbst giftig und ungenießbar zu werden?! Tab 1: Beispiele für Artenzahlen (nach Konsortium Systematics Agenda 2000, Veron 1995 u.a.): Bekannte Arten Geschätzte Artenzahl Viren 5.000 Ca. 500.000 Bakterien 4.000 400.000 – 3 Millionen Pilze 70.000 1 – 1.5 Millionen Einzeller 40.000 100.000 – 200.000 Algen 40.000 200.000 – 10 Millionen Pflanzen 250.000 300.000 – 500.000 Wirbeltiere 45.000 50.000 Rundwürmer 15.000 500.000 – 1 Million Weichtiere 70.000 200.000 Krebstiere 40.000 150.000 Spinnen / Milben 75.000 750.000 – 1 Million Insekten 950.000 8 – 100 Millionen Rifforganismen (alle Gruppen) 60.000 > 1 Million Bekannte Korallenarten heute: 3.800, davon 1.300 riffbildende Steinkorallen in 246 Gattungen. Alle bekannten Gattungen scleractiner Korallen (Trias bis heute): ca. 1800 Alle bekannten Gattungen tabulater / rugoser Korallen (Paläozoikum): ca. 280 (Tabulata) + 800 (Rugosa) Bekannte Steinkorallengattungen / Arten: Pazifik (v. West nach Ost): Galapagos: 5 / 17; Großes Barriereriff 70 / 300; Indonesischer Archipel 70 / 450, Malediven 50 / 200, Pers.ischer Golf 30/50, Rotes Meer 50 / 200. Atlantik: Karibik 20/50; Brasilien 7 / 10?

Die Entwicklung der Biodiversität – Das Beispiel der Riffeuserpage.fu-berlin.de/leinfelder/palaeo_de/edu/reefcourse/pdfs/rcint... · gibt noch immer die mikrobiellen Stroma-tolithriffe

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Ein Weiterbildungsbeitrag des GeoBio-CenterLMU anlässlich der Münchner Wissenschaftstage „Lebendige Erde“, 2002

Die Entwicklung der Biodiversität – Das Beispiel der Riffe

Von Reinhold Leinfelder

„Paläontologie München“ und „Zentrum für Geobiologie und Biodiversitätsforschung ander LMU“ (GeoBio-CenterLMU), Richard-Wagner-Str. 10, 80333 München, [email protected]

Manuskript zum gleichnamigen Vortrag sowie zur Riffausstellung der Paläontologie Mün-chen auf den Marktständen. Münchner Wissenschaftstage 2002, Lebendige Erde.

Riffe sind Massenansammlungen von amBoden festgehefteten, sessilen Organis-men, welche durch Kalkskelette oderdurch biologisch-induzierte Mineralisierun-gen überlieferungsfähige, sich über denMeeresboden erhebende Felsen aus Kalk,selten auch anderen Mineralien formen.Unter diese nüchterne Definition fallenauch unsere faszinierenden tropischenKorallenriffe, die heute die größte Arten-vielfalt aller marinen Ökosysteme umfas-sen. Etwa 60.000 Arten hat man bereitsentdeckt, aber wahrscheinlich leben weitüber 1 Million Arten in den Riffen unsererheutigen Meere. Wenn man die Formen-vielfalt auf Familienebene betrachtet (- derMensch etwa gehört mit seiner Art sapienszur Gattung Homo und zur Familie derHominidae -), übertreffen die Korallenriffesogar die Diversität der tropischen Regen-wälder. Überaus beeindruckend ist derEinfallsreichtum der Natur hinsichtlich derökologischen Nischen im Riff. So gibt es

riffbildende Organismen, insbesondere dieSteinkorallen, riffbindende Tiere und Pflan-zen wie viele Schwämme oder Kalkrotal-gen, riffabbauende Organismen wie Bohr-muscheln, Bohrwürmer oder Bohr-schwämme. Es gibt ein Gartenbauamt imRiff – herbivore Fische und Seeigel haltendie Weichalgen kurz. Als Kläranlagen fun-gieren die Schwämme und Myriaden an-derer filtrierender Tiere, wie Muscheln,viele Würmer, Haarsterne oder Weichko-rallen. Sie filtern Fressbares aus der Was-sersäule und halten somit das Wasser rein.Zur Müllabfuhr im Riff gehören vieleKrebstiere, die totes organisches Materialrecyceln. Putzerfische und Putzergarnelenrepräsentieren die Zahnärzte im Riff. Auchdie Schilderung der vielfältigen Formen vonTarnungen, Mimikri und Verteidigungs-strategien könnte Bücher füllen – wusstenSie dass manche harmlose Nacktschneckengiftige Schwämme fressen, um selbst giftigund ungenießbar zu werden?!

Tab 1: Beispiele für Artenzahlen (nach Konsortium Systematics Agenda 2000, Veron 1995 u.a.):

Bekannte Arten Geschätzte ArtenzahlViren 5.000 Ca. 500.000Bakterien 4.000 400.000 – 3 MillionenPilze 70.000 1 – 1.5 MillionenEinzeller 40.000 100.000 – 200.000Algen 40.000 200.000 – 10 MillionenPflanzen 250.000 300.000 – 500.000Wirbeltiere 45.000 50.000Rundwürmer 15.000 500.000 – 1 MillionWeichtiere 70.000 200.000Krebstiere 40.000 150.000Spinnen / Milben 75.000 750.000 – 1 MillionInsekten 950.000 8 – 100 MillionenRifforganismen (alle Gruppen) 60.000 > 1 Million

Bekannte Korallenarten heute: 3.800, davon 1.300 riffbildende Steinkorallen in 246 Gattungen.Alle bekannten Gattungen scleractiner Korallen (Trias bis heute): ca. 1800Alle bekannten Gattungen tabulater / rugoser Korallen (Paläozoikum): ca. 280 (Tabulata) + 800 (Rugosa)

Bekannte Steinkorallengattungen / Arten:Pazifik (v. West nach Ost): Galapagos: 5 / 17; Großes Barriereriff 70 / 300; Indonesischer Archipel 70 / 450, Malediven 50 /200, Pers.ischer Golf 30/50, Rotes Meer 50 / 200.Atlantik: Karibik 20/50; Brasilien 7 / 10?

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This is a lecture manuscript provided for teachers, students and anyone else interested. This manuscript includes 3rd party copyrighted figures which are used here for non-profit educational purpose as we do for real lectures. Please do not redistribute except in classrooms. R. Leinfelder, Nov. 02

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Diese ungeheure biologische Vielfalt undAnpassung ist das Produkt eines Milliardenvon Jahre alten Evolutionsprozesses. Riffebegleiten und formen unsere Erde seit et-wa 3,5 Milliarden Jahren. Die ersten Riffewaren aus heutiger Sicht betrachtet, wenigbeeindruckend. Gleich die ersten Organis-men überhaupt - einfache Archaebakterien- formten damals bereits Riffe, die Stro-matolith-Riffe. Vor etwa 2,5 MilliardenJahren kamen Eisenbakterienriffe dazu,welche die wichtigsten Eisenerzvorkommenunserer Erde überhaupt bilden – die ge-bänderten Eisenerze. Gleichzeitig wurdenCyanobakterien-Stromatolithen dominie-rend. Sie produzierten Sauerstoff, entgif-teten die Meere vor evolutionshemmendemKalziumüberschuss und verursachten nacheiner vieldiskutierten Theorie sogar die

erste Eiszeit vor ca. 2,2 Milliarden Jahren,indem sie den methangenerierendenStoffwechsel der Urbakterien ablösten undso den Treibhauseffekt vorübergehend zumErliegen brachten. Im ausgehenden Prä-kambrium und dem Erdaltertum kamenhöhere Organismen dazu, welche nunrasch nach oben wachsen konnten, umunterschiedliche Planktonniveaus zumNahrungserwerb abzufiltern. Hierzu gehö-ren Weichschwämme, bald aber schonKalkschwämme (etwa die rasch wiederausgestorbenen Archaeocyathiden des tie-feren Kambriums) und die ersten Steinko-rallen, welche in Silur und Devon zusam-men mit einer anderen Gruppe von Kalk-schwämmen, den Stromatoporen, (- nichtzu verwechseln mit den mikrobiellen Stro-matolithen - ) bereits häufig sehr große

Abb. 1: Größendarstellung einzelner Tiergruppen nach deren Biomasse. Hiernach dominieren heutedie Insekten bei weitem. Hohltiere, zu denen die Riffkorallen gehören, machen keinen hohen Anteilaus. Dennoch ist die Biodiversität in Riffen von allen marinen Ökosystemen am höchsten. Aus Kon-sortium Systematic Agenda 2000.

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Riffe bildeten. Die Riffgesteine der Rheini-schen Schiefergebirges, insbesondere derEifel sind Relikte dieser Riffe.

Es dauerte jedoch noch lange, bis wahr-scheinlich während des Mesozoikums diemoderne Energieversorgung heutiger Ko-rallen erfunden war: die Photosymbiose.

Millionen einzelliger Algen, sogenannteZooxanthellen, leben im Gewebe der riff-bildenden Steinkorallen als Untermieter,sie bekommen Schutz und wertvolle Abfall-stoffe wie Phosphor und Stoff von der Ko-ralle. Im Gegenzug müssen sie als Mietzinzeinen wesentlichen Teil der durch Photo-synthese produzierten Zucker und Fette andie Koralle abführen. Davon leben die Ko-

Abb. 2: Entwicklung der Riffe während der Erdgeschichte. Angegeben sind neben der erdge-schichtlichen Zeitachse jeweils die Anteile der Hauptriffbildner sowie die Häufigkeit de Riffe zurjeweiligen Zeit. Die Zeitdauer für das Präkambrium ist extrem verkürzt dargestellt. Die mit Toten-köpfen bzw. schwarzen Sternen bezeichneten Zeitschnitte stellen globale Aussterbeereignissevon Organismen dar. Die rechte Spalte reflektiert Zeiten mit (grau) und ohne tropische Korallen-riffe (vereinfacht). Nähere Erläuterungen im Text. Nach Flügel & Maronde 1997, stark verändertund ergänzt.

46003600 Millionen

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rallen gut und schafften es so im Laufe desMesozoikums sich zunehmend an extremnährstoffarme Milieus anzupassen und soflache Areale im offenen Ozean zu besie-deln. Weiterhin wird die Kalkausscheidungdurch diese Symbiose erleichtert, so dasssymbiontentragende Korallen sehr vielschneller wachsen können. Es dauerte aberbis ins Tertiär, bis durch die Entwicklungder korallinen Rotalgen die Riffe so aussa-hen, wie wir sie heute kennen. Diese Algenkönnen mit ihrem Kalkskelett lockeresRiffmaterial auch im höchstenergetischenWasser überwachsen und somit gut stabili-sieren können. Seither können Riffe effi-ziente Barrieren bilden, welche die stürmi-sche Hochsee von traumhaften dahinterlie-genden türkisblauen Lagunen mit ruhigem

Wasser trennen und weiße Korallen-sandstrände produzieren. Somit verdankenwir diese Touristenparadiese den Korallen-riffen. Neben diesem natürlichen Küsten-schutz und touristischen Wirtschaftsfaktorsind unsere modernen Korallenriffe auchfür die Welternährung, für die Entwicklungneuer medizinischer Präparate sowie fürdie Pufferung des Weltklimas von überra-gender Bedeutung. Umso erschreckenderist, dass die heutigen Riffe nicht nur ex-trem geschädigt, sondern sogar stark vomAussterben bedroht sind. Während derstarken Meeresüberhitzung 1998 sind inmanchen Regionen über 90% aller Korallenabgestorben. Neben Meeresüberhitzungsind Einleitung überdüngter bzw. schlick-beladener Wässer aus Regenwaldabhol-

Abb. 3: Moderne und fossile Stromatolithen. Links: Hamelin Pool, Australien, rechts: 2,2 Mrd. Jahrealte Stromatolithen aus Kanada. Aus Wood, R. 1999.

Abb. 4: Die Entwicklung der Riffbausteine während der Erdgeschichte. Riffe wurden zunehmend kom-plexer. Im Gegensatz zu den Rifforganismen, von denen viele Gruppen komplett ausgestorben sind(z.B. Böden- und Rübenkorallen, Phylloide Kalkalgen, Rugose Korallenmuschenl) sind alle Riff-Grundbausteine heute noch erhalten. Archaikum und Proterozoikum bilden zusammen das Prä-kambrium. Die Zeitachse (vertikal) ist nicht maßstäblich. Aus Leinfelder & Nose (1999), verändert.

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zung, Landwirtschaft, Bautätigkeit undStädten, schädigende Fischereimethodenwie Schleppnetzfang, Dynamit- und Blau-säurefischerei, sowie Massentourismus diewesentlichen Bedrohungen.

Die vor knapp 500 Millionen Jahren erst-mals aufgetretenen tropischen Korallenriffewurden und werden aber bis heute vonanderen Rifftypen begleitet. So gibt esnach wie vor Tiefwasserkorallenriffe ausasymbiontischen Korallen, z.B. vor Norwe-gen. Sogar Nachfahren der im Jura so weitverbreiteten Kieselschwammriffe, die wiretwa von der Schwäbischen und Fränki-schen Alb kennen, hat man kürzlich vorWestkanada lebend wieder entdeckt (undmit „lebenden Dinosaurier“ verglichen).Von den mitteltriassischen Kalkschwamm-riffen, die zum Beispiel viele Gipfel derDolomiten oder das Wettersteingebirgeaufbauten, hat man ebenfalls verwandteund ausgestorben geglaubte Kalkschwäm-me in unseren Meeren wieder entdeckt.

Die außergewöhnlichen Rudistenriffe derKreide, gebaut von Muscheln, die wie Ko-rallen lang gestreckt in die Höhe wuchsen,

haben keine Nachfahren, Austernriffe sinddie nächsten Verwandten. Die Rudistenriffestarben zusammen mit den Dinosauriernund vielen anderen Organismen an derKreide/Tertär-Grenze vor 66 MillionenJahren aus. Und hätten Sie’s gedacht? Esgibt noch immer die mikrobiellen Stroma-tolithriffe der frühen Urzeit, allerdingsheute nur noch dort, wo keine Konkurrenzdurch modernere Riffe auftritt, also z.B. imübersalzenen Wasser der australischenWalfischbucht oder als kugelige Typen inder Amper oder Alz, also süddeutschenFlüssen. Anteile dieser archaischen Formenfinden sich bei nährerem Hinsehen aberauch in modernen Korallenriffen: Mikro-bielle Krusten wachsen aus Konkurrenz-gründen heute in Höhlen und Poren desKorallenriffs und verhärten und stabilisie-ren das Riff gleichsam von innen heraus.Auch Kalkschwämme und asymbiontischeKorallen sind weiterhin vor allem in solchenHöhlen vorhanden. So haben sich die Neu-erfindungen der Riffevolution nicht nach-einander abgelöst, sondern blieben erhal-ten und erhöhten im Laufe der Erdge-schichte die Komplexität des ÖkosystemsRiff.

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Abb. 5a-f: Rekonstruktionsbeispiele von Riffen der Erdgeschichte. Zeichnungen von John Sibbick, ausWood 1999).

a) Oberkambrisches, ca. 500 Mio Jahre altes Mikrobenriff mit Cyanobakterien (4, 5), einzelnenKieselschwämmen (3), sowie Eocrinoiden, zu den Stachelhäutern gehörende frühe Vorläufernvon Seelilien (2)

b) Ca. 425 Mio Jahre altes Korallen-Riff des mittleren Silurs. 1-3 Tabulate Korallen (Bödenkoral-len), 5 Rübenkorallen, des weiteren Moostierchen (4), Brachiopoden (6,8), Seelilien (7), Trilo-biten (9), Nautiloiden (10), Stromatoporen (11) und Mikrobenkrusten (12). Böden- und Rüben-korallen starben an der Perm/Trias-Grenze aus.

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c) Ca. 300 Mio Jahre alter Algen-Schlammhügel des höheren Karbons. Blattartige, verkalkendephylloide Algen (1-3), Moostierchen (4, 10), Seelilien (5), Seeigel (6), Brachiopoden (7,8), Fo-raminiferen (9,11) und weiteren Organimsen. Im Unterschied zu klassischen Riffen sind dieseHügel sehr reich an Kalkschlamm.

d) Ca.145 Mio Jahre altes Korallenriff des höheren Jura. Steinkorallen (Scleractinia) (1-5,12),des weiteren Brachiopoden (10), Moostierchen (11), Seeigel (9), Schnecken (7) und Muscheln(6,8), darunter auch Bohrmuscheln (13).

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e) Rudistenriff der höheren Kreide (ca. 90 Mio Jahre alt). 1, 3 Rudisten („Korallenmuscheln“),2 Ammonit.

f) Modernes pazifisches Korallenriff: 1 Hirnkorallen, 2 Haarstern, 3 Papageifisch, 4 Hirschge-weihkorallen (Acropora sp.), 6 Weich- und Lederkorallen (Gorgonien), 7 Weichschwämme, 8Seeanemone mit Clownfisch 9. Riesenmuschel (Tridacna), 11 Schlangenstern, 12,13 Seeigel,14 Kaurischnecke, 15 Seegurke, 16 Seestern, 17 Bohrmuschel sowie weitere Fische. In denKavernen (18) können u.a. Kalkschwämme, Weichkorallen und Mikrobenkrusten wachsen.

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Die Riffentwicklung und Entfaltung der Bio-diversität der Riffe war aber sehr diskonti-nuierlich. Korallenriffe und andere Riffty-pen wurden im Laufe der Erdgeschichtemehrfach stark dezimiert und verschwan-den teilweise für viele Millionen von Jah-ren. Dennoch ergibt sich, trotz aller Koral-lenriffkrisen, wechselnder Häufigkeiten undFaunenwechsel ein gerichteter Trend: zu-nehmende Einnischung in superoligotropheBereiche bei abnehmender ökologischerToleranzbreite der Riffe. Diesem stress-getriebenen Trend der Verkleinerung derökologischen Bandbreiten (der „Riff-Fenster“) liegt die oben beschriebeneKomplexitätssteigerung der riffbildendenEinzelbausteine zu Grunde.

Wussten Sie schon, dass auch fossile Riffeeine hohe angewandte Bedeutung haben?Im Untergrund überlieferte Riffe, z.B. ausDevon oder Jurazeit, sind wegen ihrerhohen Porosität die wichtigsten Erdöl- und

Erdgasspeicher überhaupt. An der heutigenErdoberfläche überlieferte Oberfläche fos-sile Riffe sind darüber hinaus wertvolleRohstoffe für die Baustein-, Zement- undpharmazeutische Industrie. Außerdemgestalteteten sie überaus reizvolle touristi-sche Regionen mit und fördern damit dieÖkonomie. Würden so viele Besucher in dieEifel, den Fränkischen Jura, die Kalkalpenoder die Dolomiten kommen, wenn dort dieRiffrelikte mit ihren bizarren Felsformatio-nen nicht vorhanden wären?

Fossile und moderne Riffe spiegeln aberauch exakt den ökologisch-klimatischenZustand ihrer Zeit wider. So kann man z.B.für die Jurariffe durch die Merkmale derRifforganismen und deren Biodiversitäts-verteilung die Toleranzen von Riffwachs-tum abschätzen. Damals war im Unter-schied zu heute ein gewisser Eintrag vonLandmaterial, also Ton oder Bodenschlickförderlich für die Steigerung der lokalenArtenvielfalt, was durch eine noch wenigeffiziente Photosymbiose-Beziehung er-klärbar ist. Insgesamt kann man an denfossilen Riffen die Verteilung von Wasser-

tiefen, Meeresströmungen, Küstenlinien,Schelfprofilen, Meeresspiegelschwankun-gen und Klimazustand vergleichen. Damitkönnen auch aktuelle numerische Compu-terklimamodelle, die ja unsere klimatischeZukunft vorhersagen sollen, auf ihre Rich-tigkeit getestet werden. Auf den Jura an-gewandt, ergeben solche Modelle abernoch ein falsches Ergebnis, welches nichtmit dem aus den Jurariffen abgeleitetenDaten übereinstimmt. So wuchsen z.B.hochdiverse Jurariffe mit Warmwasser-charakteristika in Paläobreiten bis zu 65Grad, was ein stark ausgeglichenes Klimabelegt. Nach den Modellierungen sollendort aber nur Wassertemperaturen von 0-10 Grad geherrscht haben. Dies zeigt, dassheutige Klimamodelle gerade die klima-puffernde Rolle eines steigenden Meeres-spiegels noch nicht richtig berechnen kön-nen. Paläoriff-Forschung kann deshalb da-zu beitragen, derartige Zukunfts-Modellezu verbessern und zu eichen.

Abb. 6: Merkmale einer modernen solitären Ein-zelkoralle.

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Abb. 7: Verbreitung von Riffen:Oben: Tropische Korallenriffe sind auf den Bereich zwischen den Rossbreiten beschränkt. Dort wach-sen sie in Flachwasserbereichen, wenn das Wasser klar und nährstoffarm ist. Wegen des hohenSchlickeintrags kommen sie deshalb z.B. nicht vor der Amazonas-Mündung vor. Auch in den nähr-stoffreichen Auftriebsgebieten vor den Westseiten der Kontinente fehlen sie.

Unten: Die Welt in der Zeit des höheren Jura (vor ca. 150 Mio Jahren). Eingetragen sind auch dieRiffgürtel. Der Meeresspiegel war etwa 150 Meter höher als heute, polare Eiskappen waren nicht vor-handen. Warmwasserkorallenriffe kamen auch in hohen Breiten vor und zeigen an, dass das Klimasehr ausgeglichen war.

Riffverbreitung heute:

Riffverbreitung vor150 Millionen Jahren(Zeit des höherenJura):

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Aber jedes moderne Riff ist gleichzeitigauch ein fossiles Riff. Die meisten der heu-tigen Riffe sind mehrere 1000 Jahre alt,viele sogar noch viel älter. Die Ursprüngeder heute bedrohten Malediven-Riffe liegensogar 50 Millionen Jahre zurück. Riffkoral-len können ebenfalls viele Hundert Jahrealt werden, einige sind sogar über 1000Jahre alt. Tragischerweise sind die meistendieser Methusalems während der El Niño-Erwärmung 1998 abgestorben. Korallenzeichnen kontinuierlich Umweltverände-rungen, insbesondere die Wassertempe-ratur, aber auch andere Parameter in jähr-lichem Rhythmus auf. Anhand chemischerAnalysen der einzelnen Jahresringe imKorallenskelett (z.B. der sogenannten sta-bilen Sauerstoffisotope) kann die Wasser-temperatur früherer Jahre, Jahrzehnte undJahrtausende rekonstruiert werden oderSchmutzeinleitungen ins Wasser datiertwerden. Diese erst seit kurzem genutztenKlimaarchive tropischer und subtropischerMeere ergänzen die Klimaarchive ausBaumstämmen in festländischen Bereichenund aus Eiskernen in polaren Bereichenund werden erlauben, ein sehr viel kor-rekteres Bild der Klimaentwicklung derjüngsten Erdgeschichte zu entwickeln, eineunabdingbare Voraussetzung zur Beurtei-lung und evtentuellen Berechnung der zu-

künftigen Klimaentwicklung.

Werden nun unsere Riffe weiter existierenoder doch komplett verschwinden? Daserdgeschichtliche Beispiel der Wiederkehrvon Riffwachstum nach Aussterbeereignis-sen zeigt zwar, dass sich Riffe nach Aus-sterbeereignissen immer wieder erholt ha-ben. Man muss allerdings genauer hinse-hen, um festzustellen, dass uns gerade dieErdgeschichte nicht beruhigen kann, son-dern im Gegenteil deutlich warnt: Erdge-schichtliche Erholungsphasen des Riff-wachstums beliefen sich meist auf vielenMillionen Jahre; im Extremfall dauerte es140 Millionen Jahre, bis sich tropische Ko-rallenriffe wieder regeneriert hatten. Dieslässt die akute Bedrohung der heutigenRiffe bei Berücksichtigung ihrer Bedeutungfür Umwelt, Ernährung, Ökonomie undMedizin in einem beängstigenden Lichterscheinen. Erfreulicherweise zeigen posi-tive Beispiele von Riffschutz, dass sich nurmäßig geschädigte Riffe häufig rasch rege-nerieren können, sofern die schädigendenFaktoren abgestellt werden. Dies lässt unshoffen, dass es noch nicht zu spät ist, die-ses Milliarden von Jahre alte und vielleichtfaszinierendste Ökosystem unserer Erdeweiter zu erhalten.

Abb. 8: Acropora-dominiertes, gesundes Korallenriff im Golf von Aqaba, Rotes Meer

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In den Abbildungserläuterungen an-gegebene Zitate (sofern nicht unter all-gemeiner Literatur aufgeführt):

FLÜGEL, E. (1997): Riffe heute und früher.Die Entwicklung eines Ökosystems inder geologischen Zeit. - In: F.F. Steinin-ger & Maronde, D. (Hrsg.): Städte unterWasser. 2 Milliarden Jahre.- Kleine Sen-ckenbergreihe 24: 13-18.

KONSORTIUM SYSTEMATICS AGENDA 2000(1996): Agenda 2000. Erschließung derBiospäre.- 55 S., Frankfurt / Main.

LEINFELDER, R. R. (2001): Jurassic Reef E-cosystems.- In: G. D. Jr. Stanley(Hrsg.): The History and Sedimentologyof Ancient Reef Systems.- 251-309,New York etc. (Kluwer/Plenum).

LEINFELDER, R.R. & NOSE, M. (1999): Inc-reasing complexity - decreasing flexibi-lity. A different perspective of reef evo-lution through time.- Profil 17, 171-184.

OLIVER, W.A. JR. & COATES, A.G. (1986);Phylum Cnidaria.- In BOARDMAN, R.S.,CHEETHAM, A.H. & ROWELL, A. (Hrsg.),Fossil Invertebrates, London (Black-well).

Veron, J. (1995): Corals in Space andTime. The Biogeography & Evolution ofthe Sc le rac t i n i a . - 321 S . ,Comstock/Cornell.

VERON, J. (2000): Corals of the World, Vol.1..- 463 S., Melbourne (AustralianInsttitute of Marine Science).

WOOD, R. (1999): Reef Evolution. -414 S.,Oxford (Oxford Univ. Press).

Auswahl an allgemeiner Literatur zuRiffen:

GRÜTER, W. (2001): Leben im Meer. Wie esist, wie es war, wie es wurde.- 287 S.,München (Pfeil).

LEINFELDER, R., KULL, U., BRÜMMER, F.(Hrsg.)(1998): Riffe - ein faszinierendesThema für den Schulunterricht. Materia-lien für die Fächer Biologie, Erdkundeund Geologie.- Profil 13, 150S.,.Stuttgart.(2. Auflage online; näheress.u.: Internet-Ressourcen)

SCHUHMACHER, H. (1991, 4. Aufl.): Koral-lenriffe. Verbreitung, Tierwelt, Ökolo-gie.-145 S.. München (BLV).

S T E I N I N G E R , F.F. & MA R O N D E , D.(Hrsg.)(1997): Städte unter Wasser. 2Milliarden Jahre.- Kleine Senckenberg-reihe, 24. Mit vielen Einzelartikeln (dar-unter der AG Leinfelder) zu fossilen undmodernen Riffen, Bedeutung von Riffen,Riffgefährdung und Riffschutz.

WELLS, S. & HANNA, N. (1992): Das Green-peace-Buch der Korallenriffe.- 161 S.,München (Beck).

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Auswahl an Internet-Ressourcen:

Von der Paläontologie München:

•∗ Riffressourcen-Server: www.riffe.de•∗ Leinfelder, R., Kull, U., Brümmer, F.

(eds)(2002, 2.Auflg.): Riffe - einfaszinierendes Thema für denSchulunterricht. Materialen für dieFächer Biologie, Erdkunde undGeologie. 150 Seiten. Nach der ver-griffenen ersten Auflage 1998 nunkostenlos zum Download (als pdf);eine Zusammenarbeit von Rifffor-schern und Lehrern/Lehrerinnen.Beinhaltet komplette Arbeitsblät-ter. www.riffe.de/schulbuch

•∗ Videoclips von modernen und fossi-len Riffen: www.palaeo.tv Kategoriemodern bzw. ancient

•∗ Online-Version des Vortrags: Riffeunter Stress – früher und heute vonR. Leinfelder (auf Deutsch):www.palaeo.tv, Kategorie Talks andPresentations

•∗ Jurassic Reef Park von R. Leinfel-der: www.palaeo.de/edu/jrp

Weitere Informationen und Artikel zuRiffen, Riffexkursionen und paläogeo-graphischen Karten, auch in unserenAngeboten unter:

•∗ www.palaeo.de/edu•∗ www.palaeontologische-

gesellschaft.de, Kategorie Schulen,Forschung, Studium

•∗ www.palaeo.de Das Portal mit Zu-gang zum Frage und Antwort-Forum

•∗ www.palaeo.de/geobiolinks Durch-suchbare Datenbank mit vielen in-ternationalen Links zu Riffen.

•∗ Webadresse der Paläontologie Mün-chen: www.palaeo.de/muenchen

•∗ Webadresse des GeoB io -CentersLMU>: www.geobio-center.de

Weitere in Kooperation mit der AG Leinfel-der erstellte Ressourcen:

•∗ www.ladygrey.de/contest.htmlDurch einen zweiten Preis ausge-zeichnetes uni@schule-Projekt zurRiffökologie, Gymnasium Oberhau-sen (Leiterin OStdr’ C. Maaßen).

•∗ www.reefcheck.de (Ergänzungsan-gebot von www.riffe.de , zusam-mengestellt durch G. Heiß, Bre-men).

Zum Autor:Prof. Dr. Reinhold Leinfelder erforscht mitseiner Arbeitsgruppe seit vielen Jahren fossileund moderne Riffe und betätigt sich intensivam Wissenstransfer zu diesem Thema. 1998erhielt er mit seinem Organisationsteam denInge-und-Werner-Grüter-Preis für Wissen-schaftstransfer für die deutsche Organisationund Aktivitäten zum Internationalen Jahr desRiffes 1998. Er studierte von 1975-1980Geologie/Paläontologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, war danachwissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistentan der Universität Mainz, an der er auch sei-ne Promotion (1985) und Habilitation (1989)ablegte. Von 1989 bis 1998 war er Universi-tätsprofessor für Geologie und Paläontologiean der Universität Stuttgart, seit Oktober1998 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Palä-otologie und Historische Geologie an der LMU.Gleichzeitig ist er Direktor der BayerischenStaatssammlung für Paläontologie und Geo-logie sowie des Paläontologischen MuseumsMünchen. Seit Herbst 2002 ist er Sprecherdes neugegründeten fachübergreifendenZentrums für Geobiologie und Biodiversitäts-forschung an der LMU (GeoBio-CenterLMU).

Copyright-Hinweis: © Reinhold Lein-felder für GeoBio-CenterLMU sowie teil-weise Fremdcopyrights der Abbildungen.Bitte beachten Sie, dass wegen der ent-haltenen Fremdcopyrights dieses Manu-skript gemäß den Copyrightbestimmun-gen nur für nichtkommerzielle interneLehrzwecke verwendet werden darf.Lehrkräfte, Studierende und Schülerkönnen es auf Anfrage auch in digitalerForm mit teilweise farbigen Abbildungenerhalten (Kontakt: [email protected]).Layout R.L.

Ggf. zitierbar als:

Reinhold Leinfelder
LEINFELDER, R.R. (2002): Die Evolution der Biodiversität - Das Beispiel der Riffe.- Lebendige Erde, Skriptum zu den Vorträgen Geo- und Biowissenschaften in Forschung und Praxis, Münchner Wissenschaftstage 2002, pp. 24-36, Verband Deutscher Biologen, München und www.palaeo.de/edu/riffbiodiv