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Die "Ernährungsmedizinische Praxis" erscheint nun in der 2. Auflage. Diese gibt die Möglichkeit, die in der ersten Auflage enthaltenen Fehler zu korrigieren sowie neue Erkenntnisse und Standpunkte hinzuzufügen. Im Vergleich zu anderen Hand- und Lehrbüchern der Ernährung haben die Autoren dieses Buches ein besonderes Anliegen: Wir wollen ernährungsmedizinisches Handeln im Alltag ermöglichen. Die „Ernährungsmedizinische Praxis“ umfasst die Bereiche: der Untersuchung, der Behandlung und der Prävention ernährungsabhängiger Erkrankungen bzw. von mit Erkrankungen assoziierten Ernährungsproblemen. Ein großer Teil der "Ernährungsmedizinischen Praxis" stellt die Untersuchung des Patienten und die Abklärung des Problems dar. Die verschiedenen Methoden sind in ihrer Sinnhaftigkeit, Durchführung und Genauigkeit beschrieben. Dabei gibt es durchaus auch einmal Überschneidungen (z.B. mit Lehrbüchern der Klinischen Chemie und Endokrinologie), die ihrerseits wiederum den ernährungsmedizinischen Aspekt der untersuchten Parameter nicht angemessen darstellen. Diese Überschneidungen machen auch die Integration des Ernährungsproblems in den breiteren Kontext der jeweiligen Erkrankung und der Medizin deutlich. Ernährungsmedizin ist nicht für sich, sie wird entsprechend als Teil von größeren Problemen verstanden. Die Behandlung von ernährungs-relevanten Krankheiten folgt heute Evidenz-basierten Leitlinien. Ist die Evidenz nicht vorhanden, so bleibt zumindest die langjährige praktische Erfahrung. Diese wird im ernährungsmedizinischen Alltag nicht vergessen. Angesichts der hohen Prävalenz ernährungsabhängiger Erkrankungen ist deren Prävention notwendig und auch von Experten und Politik gewollt. Wenn auch heute die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Prävention (z.B. ein Präventionsgesetz) nicht vorhanden sind, so erscheint es doch notwendig, die Grundlagen von "Public Health Nutrition", d.h. der Epidemiologie von ernährungsabhängigen Erkrankungen sowie Maßnahmen von Prävention und Gesundheitsförderung darzustellen. Ernährungsmedizin hat sich in den zurückliegenden Jahren entwickelt. Ausgehend von der reinen Diätetik in der Medizin sind unsere Themen heute wesentlich in den Bereichen "Public Health" und Gesundheitswissenschaften angesiedelt. Dieses Buch soll zur Praxis vorbereiten, es soll in der Praxis helfen und zu ernährungsmedizinischem Handeln motivieren. Die Falldemonstrationen sowie 101 Fragen stehen am Ende des Buches, sie spiegeln die „Ernährungsmedizinische Praxis“ wider.

Die Ernährungsmedizinische Praxis erscheint nun in der 2 ... · Wann wird gegessen? Wie wird gegessen? Mit wem wird gegessen? Die Nahrungsaufnahme kann prinzipiell mit . indirekten

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Page 1: Die Ernährungsmedizinische Praxis erscheint nun in der 2 ... · Wann wird gegessen? Wie wird gegessen? Mit wem wird gegessen? Die Nahrungsaufnahme kann prinzipiell mit . indirekten

Die "Ernährungsmedizinische Praxis" erscheint nun in der 2. Auflage. Diese gibt die Möglichkeit, die in der ersten Auflage enthaltenen Fehler zu korrigieren sowie neue Erkenntnisse und Standpunkte hinzuzufügen. Im Vergleich zu anderen Hand- und Lehrbüchern der Ernährung haben die Autoren dieses Buches ein besonderes Anliegen: Wir wollen ernährungsmedizinisches Handeln im Alltag ermöglichen. Die „Ernährungsmedizinische Praxis“ umfasst die Bereiche:

• der Untersuchung, • der Behandlung und • der Prävention ernährungsabhängiger Erkrankungen bzw. • von mit Erkrankungen assoziierten Ernährungsproblemen.

Ein großer Teil der "Ernährungsmedizinischen Praxis" stellt die Untersuchung des Patienten und die Abklärung des Problems dar. Die verschiedenen Methoden sind in ihrer Sinnhaftigkeit, Durchführung und Genauigkeit beschrieben. Dabei gibt es durchaus auch einmal Überschneidungen (z.B. mit Lehrbüchern der Klinischen Chemie und Endokrinologie), die ihrerseits wiederum den ernährungsmedizinischen Aspekt der untersuchten Parameter nicht angemessen darstellen. Diese Überschneidungen machen auch die Integration des Ernährungsproblems in den breiteren Kontext der jeweiligen Erkrankung und der Medizin deutlich. Ernährungsmedizin ist nicht für sich, sie wird entsprechend als Teil von größeren Problemen verstanden. Die Behandlung von ernährungs-relevanten Krankheiten folgt heute Evidenz-basierten Leitlinien. Ist die Evidenz nicht vorhanden, so bleibt zumindest die langjährige praktische Erfahrung. Diese wird im ernährungsmedizinischen Alltag nicht vergessen. Angesichts der hohen Prävalenz ernährungsabhängiger Erkrankungen ist deren Prävention notwendig und auch von Experten und Politik gewollt. Wenn auch heute die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Prävention (z.B. ein Präventionsgesetz) nicht vorhanden sind, so erscheint es doch notwendig, die Grundlagen von "Public Health Nutrition", d.h. der Epidemiologie von ernährungsabhängigen Erkrankungen sowie Maßnahmen von Prävention und Gesundheitsförderung darzustellen. Ernährungsmedizin hat sich in den zurückliegenden Jahren entwickelt. Ausgehend von der reinen Diätetik in der Medizin sind unsere Themen heute wesentlich in den Bereichen "Public Health" und Gesundheitswissenschaften angesiedelt.

Dieses Buch soll zur Praxis vorbereiten, es soll in der Praxis helfen und zu ernährungsmedizinischem Handeln motivieren. Die Falldemonstrationen sowie 101 Fragen stehen am Ende des Buches, sie spiegeln die „Ernährungsmedizinische Praxis“ wider.

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Häufig b ereitet die F rage nac h dem Alk oholkonsum Schwierigkeiten. Etwa 90% unserer Mitmenschen trinken regelmäβig alk oholische G etränke. D er Alk oholkonsum sollte im Rahmen der Ernährungsanamnese deshalb auch quantitativ erfasst werden. In wissenschaftlichen Studien werden Antwortkategorien gebildet, z. B.:▬ 2 alkoholische Getränke/Tag,▬ 5–6/W oche,▬ 1–3/M onat,▬ nie oder selten.

Der B egriff des »c hronischen Alkoholabusus« wir d un-terschiedlich def iniert. Die W eltgesundheitsbehörde g ibt folgende Definition der Alkoholkrankheit: »Alkoholkran-ke sind exzessi ve Trinker, der en A bhängigkeit v om Al-kohol einen s olchen Grad erreicht hat, dass sie deu tliche geistige S törungen und K onflikte in ihr er k örperlichen und g eistigen G esundheit, ihr en men schlichen B ezie-hungen, ihren wir tschaftlichen und s ozialen Funktionen aufweisen; o der sie zeig en Prodrome einer s olchen Ent-wicklung, daher brauchen sie Behandlung.« Von anderen Autoren wir d ein Alk oholkonsum v on 50–80 g p ro Tag über 7 Tage als »chronischer Alkoholabusus«, angesehen. Dabei ist zwischen Abhängigkeit und Höhe des Konsums zu unterscheiden. Dafür ist es wichtig, die Bedeutung des Alkohols f ür den einzelnen M enschen zu er fassen. D er Verdacht a uf A bhängigkeit ka nn d urch die f olgenden 4 Fragen eingegrenzt werden:1. Haben Sie je da ran gedacht, mit dem Trinken aufzu-

hören?2. Hat es S ie je g eärgert, dass andere Menschen Sie auf

Ihren Alkoholkonsum angesprochen haben?3. Haben Sie selbst schon einmal ein s chlechtes Gewis-

sen wegen des Trinkens gehabt?4. Haben Sie schon einmal zu B eginn eines Tages Alko-

hol getrunken?

Werden mindestens zwei dieser Fragen positiv beantwor-tet, besteht sehr wahrscheinlich ein »Alkoholproblem«.

Zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Gesundheit zählt das Rauchen. Z u der Ana mnese w erden die Z ahl der g erauchten Z igaretten, P feifen o der Z igarren, e vtl. Packungsgröβen und die D auer des N ikotinabusus in Jahren er fasst. Ein R aucher ist eine P erson, die t äglich eine oder mehrere Zigaretten raucht. Nach einer strenge-ren Definition gilt als R aucher, wer innerhalb der letzt en 6 Wochen vor der Erheb ung mehr als 3 Zigaretten, Pfei-fen oder Zigarren geraucht hat. Durch diese Definitionen werden nicht nur Abhängige erfasst, sondern auch Perso-nen, bei denen die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, dass sie im Laufe ihres Lebens (wieder) zu Rauchern werden.

Der sozioökonomische Status eines Menschen ist eine wichtige Determinante der G esundheit und auch der Er-nährung. Charakteristika der sozialen Lage sind z. B. Bil-dung (Schulabschluss), Einkommen, Haushaltsgösse, die

Wohngegend und der B eruf. Dies e F aktoren zeig en B e-ziehungen zu Morbidität, Mortalität, und L ebensqualität. Ungleichheiten in den ma teriellen L ebensbedingungen und der B ildung b eeinflussen Er nährungsverhalten und Lebensstil. P ragmatisch ka nn das B ildungsniveau nach dem S chulabschluss (z. B. >12 Schuljahre= ho ch, k ein qualifizierter Abschluss=niedrig) und/oder dem Einkom-men (im V ergleich zur Ar mutsgrenze, z. B. >350% der Grenze = hoch; <185% =niedrig) festgelegt werden.

1.2 Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen

1.2.1 Erfassung der Ernährung

Methoden zur Er fassung der Er nährung beschreiben die Nahrungsaufnahme von Individuen, Gruppen oder Popu-lationen unter dem Aspekt »was und wie viel wir d geges-sen?« Ziel ist es dabei, Aussagen über die normale, übliche oder charakteristische Nahrungsaufnahme der Zielperso-nen zu mac hen. D aher wir d in dies em Z usammenhang oft a uch von E rfassung von E rnährungsgewohnheiten gesprochen, wenngleich dieser Begriff ebenso irreführend ist, wie die Bezeichnung Erfassung von Ernährungsverhal-ten. Ernährungsverhalten und Ernährunsgewohnheiten umfassen wesentlich mehr Verhaltensaspekte wie z. B.:▬ Wo w ird gegessen?▬ Wann wird gegessen?▬ Wie wird gegessen?▬ Mit wem wird gegessen?

Die Nahrungsaufnahme kann prinzipiell mi t indirekten oder direkten Methoden er fasst w erden. Die indir ek-te B estimmung der Er nährung g eschieht a nhand v on statistischen Daten (z. B. Agrarstatistiken, Einkommens- und V erbrauchsstatistik), die sic h a uf eine P opulation oder auch Teilpopulationen beziehen. Diese Zahlen sind Durchschnittswerte, w elche p ro K opf der B evölkerung umgerechnet w erden k önnen. Sie erla uben z. B. einen internationalen Vergleich von Ländern bzgl. ihrer Ernäh-rungssituation. Nachteil dieses Ansatzes ist, dass in terin-dividuelle Unterschiede d er E rnährung ni cht ersich tlich sind und d aher Zus ammenhänge zwis chen Er nährungs-situation und Gesundheitszustand innerhalb einer Poula-tion nicht dargestellt werden können. Zudem werden die verfügbaren statt der t atsächlich verzehrten Lebensmittel erfasst. D adurch wir d der t atsächliche Verzehr v on L e-bensmitteln überschätzt.

Direkte M ethoden der Er nährungserhebung er fas-sen den Verzehr von Lebensmitteln einzelner Menschen. Die Erheb ungen k önnen prospektiv o der retrospektiv durchgeführt werden. Bei retrospektiven Methoden wird die Lebensmittelaufnahme in der V ergangenheit anhand der Er innerung des P robanden er fasst. Die B eobach-

1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen13

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tungszeiträume va riieren zwis chen den zur ückliegenden 24 h und mehr eren M onaten. B ei p rospektiven Erhe-bungen wird der ak tuelle Verzehr in der Reg el durch ein Ernährungsprotokoll ( »food re cords«, »dietary re cords« oder »food pr otocols«) er fasst ( ⊡ Abb. 1.1). Als Z eitraum für ein »p rospektives« Er nährungsprotokoll w erden 7 aufeinanderfolgende Tage gewählt, da dies am ehesten ein

repräsentatives Abbild der Ernährung ist. Alternativ wer-den oft Protokolle über einen Zeitraum von 3 oder 4 Tage verwendet, die einen Wochenendtag beinhalten.

Der Erheb ungszeitraum b estimmt die A ussagekraft einer M ethode. Die sp ontane N ahrungsaufnahme des Menschen s chwankt v on Tag zu T ag. Ihr Variationsko-effizient b eträgt etwa 25%. Die t ägliche V ariation der

4 Kapitel 1 · Ernährungsmedizinische Untersuchungen

1

⊡ Abb. 1.1. Beispiel eines Food-Frequency-Protokolls der Lebensmittelauswahl. (Nach Prof. Dr. V. Pudel, Universität Göttingen)

Obst

Sala t

Datum:

BrotGraubrotScheibe

mo

rgen

s

mit

tag

s

aben

ds

Butterje Scheibe Brot

Weißbrot , ToastScheibe

Margarineje Scheibe Brot

BrotaufstrichHafer fl., trockenTasse

Müsli, trockenTasse

FrühstücksflockenKotelett , SchnitzelStück

Steak, Schnitzel, nat.Stück

Fleisch

½ BrötchenStück

Halbfettmargarineje Scheibe Brot

Cornflakes , trockenTasse

BratenScheibe

VollkornbrotScheibe

Wurstje Scheibe Brot

Gulasch, RagoutTasse

Knäcke, ZwiebackAnzahl

Corned Beefje Scheibe Brot

BratwurstStück

Käse 20-40% Fettje Scheibe Brot

Apfel, ApfelsineStück

BockwurstStück

Kaffee , TeeTasse

Käse über 40 % Fettje Scheibe Brot

Birne, PfirsichStück

Fleisch, KochwurstPortion

DosenmilchTeelöffel

Schnittkäseje Scheibe Brot

BananeStück

Frikadelle , KlopsStück

KakaoTasse

Marmelade , GeleeTeelöffel

Trauben, BeerenTasse

Eisbein, HaxeStück

Trinkmilch 3,5 %Tasse

HonigTeelöffel

TrockenobstTasse

½ HähnchenStück

Trinkmilch 1,5 %Tasse

NußnougatcremeTeelöffel

Leber, Herz, NiereScheibe, Tasse

ButtermilchTasse

MagerquarkEßlöffel

Rohkostsala tTasse

Mett, GehacktesTasse

Joghur t 3,5 %kleiner Becher

SpeisequarkEßlöffel

Salat, angemachtTasse

Tartar, SchabefleischTasse

Joghur t 1,5 %kleiner Becher

EierStück

Fleischsala tTasse

Speck, BauchfleischScheibe

Fisch, gekochtStück

SoßeEßlöffel

ObstkuchenStück

Fruchtsaf tGlas 0,2 l

Fisch, gebratenStück

HackfleischsoßeEßlöffel

TrockenkuchenStück

LimonadeGlas 0,2 l

FischstäbchenStück

Sahne-, Cremetor teStück

DiätgetränkeGlas 0,2 l

Fischkonser veDose

Reis, gekochtTasse

SchlagsahneEßlöffel

MineralwasserGlas 0,2 l

Nudeln, gekochtTasse

EisTasse

BierFlasche 0,5 l

Klare SuppeTasse

Pizza, mittelgroßStück

PuddingTasse

Wein, SektGlas 0,2 l

Gebundene SuppeTasse

PfannkuchenStück

Kompott , ApfelmusTasse

SpirituosenSchnapsglas

Suppen-EintopfTasse

Likör, Apfelkor nSchnapsglas

Gemüse, gebundenTasse

BonbonStück

KartoffelnStück

Gemüse, gedünstetTasse

KekseStück

KartoffelpüreeTasse

Tomaten, RadieschenStück

SchokoladeStück

Klöße, KnödelStück

GurkeStück

Mars, Nuts, etc.Stück

Bratka rtoffelnTasse

PralinenStück

Pommes fritesTasse

NüsseEßlöffel

KartoffelpufferStück

Salzige KnabbereienTasse

Kaffee , Milch

Fisch Soße

Kuchen, Desser t Getränk e

Supp e

Reis , Teigware n

Süßwaren, Snacks

Gemüse

Kar toffeln, Klöße

Sonst:

mo

rgen

s

mit

tag

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aben

ds

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mit

tag

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aben

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mit

tag

s

aben

ds

Käse unter 20 % Fettje Scheibe Brot

ZuckerTeelöffel

Kartoffelsala tTasse

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Nährstoffzufuhr ist unterschiedlich hoch und b eträgt bei einigen N ährstoffen (wie z. B. den mehr fach un gesät-tigten F ettsäuren o der B allaststoffen) b is zu 60%. L än-gerfristig a ngelegte und a uch wiederho lt d urchgeführte Untersuchungen zeigen, dass r epräsentative Erhebungen je nach Nährstoff unterschiedlich lange Beobachtungspe-rioden er fordern. Während ein 7-T age-Protokoll f ür die Erfassung der Makronährstoffzufuhr im B ereich eines Standardfehlers v on ±10% g eeignet ist, w erden f ür die Quantifizierung der Cho lesterinzufuhr 18–140 Tage und für Vitamin A-Aufnahme sogar 47–424 Tage benötigt, um einen Bereich in der G rößenordnung zwischen ±30 b zw. ±10% der tatsächlichen Zufuhr zu erfassen. Die Dauer der Beobachtung hängt von der gewünschten Genauigkeit der Untersuchung und der Variabilität des jeweils untersuch-ten Nährstoffs ab.

Bei den r etrospektiven Erheb ungsmethoden g ibt es drei Vorgehensweisen:

24-h-Erinnerung (24-h-recall). Diese Methode wird üb-licherweise in F orm eines I nterview bzw. Dialogs durch-geführt. D abei wir d der/die P roband/in b zw. P atient/in gebeten, (i) alles zu b erichten, was er o der sie in den letzten 24 h g egessen und g etrunken ha t, und da bei (ii) die Mengen der v erzehrten Speisen und G etränke so ge-nau wie mög lich abzuschätzen. Die D aten können dann, wie ein Ernährungsprotokoll (siehe unten) mit geeigneten Computerprogrammen oder manuell anhand von Nähr-werttabellen im H inblick auf Energie- und N ährstoffzu-fuhr analysiert werden.

Ernährungsgeschichte (diet history). Bei der Ernäh-rungsgeschichte wird die durchschnittliche Nahrungsauf-nahme in den v orangegangenen Wochen o der Monaten im Dia log mit dem P robanden durch eine en tsprechend trainierte F achkraft erhob en. D abei w erden s owohl die verzehrten L ebensmittel a bgefragt als a uch die G röβe der P ortionen. Z ur D urchführung k önnen co mputerge-stützte Interviews, z. B. D ISHES, v erwendet w erden, die eine strukturierte und vollständige Erhebung erleichtern, sowie eine a utomatische B erechnung der Ener gie- und Nährstoffzufuhr ermöglichen.

Lebensmittelhäufigkeitsliste (Lebensmittelhäufig-keitsfragebogen; food frequency list, food frequency questionaire). Es ha ndelt sic h um A uflistungen v er-schiedener L ebensmittel bzw. L ebensmittelgruppen. Die Probanden schätzen ein, wie häufig sie diese Lebensmittel bzw. def inierte Portionen dies er L ebensmittel v erzehren (z. B. mehr als 2-mal pro Tag, ca. 1-mal pro Tag, ca. 3- bis 5-mal pro Woche, et c). S ofern s olche L ebensmittellisten definierte P ortionsgröβen en thalten und umfass end g e-nug sind, erlauben sie eine a usreichende quantitative Be-rechnung der Energie- und Nährstoffaufnahme. Weniger detaillierte Lebensmittelhäufigkeitslisten werden verwen-

det, um zu einer eher gr oben, q ualitativen Eino rdnung des Ernährungsverhaltens zu gelangen (z. B. günstig, ver-besserungsfähig, ungünstig).

Die Erinnerung (nicht nur) an die Er nährung ist un-scharf, Fehler sind häufig. Diese betreffen die Lebensmittel selbst und auch die v erzehrten Mengen. Das Ausmaβ der Erinnerungsfehler wird im Allgemeinen umso gröβer sein, je weiter der Beobachtungszeitraum zurückliegt. Während die E rinnerung an d en vor angegangenen Tag mö glicher-weise noch relativ leicht und p räzise abrufbar ist, ist eine Abschätzung des d urchschnittlichen Verzehrs über einen Zeitraum der letzten 6 Monaten eher mit gröβeren Fehlern verbunden. Auf der a nderen S eite ist die Er innerung a n den v orangegangenen T ag wahr scheinlich w enig r eprä-sentativ für die übliche Ernährung eines Menschen. Sofern im R ahmen v on S tudien die Er nährungssituation v on gröβeren G ruppen v on Menschen b etrachtet wir d, sp ielt dieser Gesichtspunkt allerdings eine untergeordnete Rolle. Bei der B etrachtung von Gruppen oder gröβeren Kollek-tiven kann davon ausgegangen werden, dass sic h die v er-schiedenen Fehler st atistisch ausgleichen und »le diglich« zu einer erhö hten F ehlervarianz f ühren, die wieder um durch die Stichprobengröβe kompensiert werden kann.

Das Problem der Erinnerungsfehler umgehen die pro-spektiven o der P rotokoll-Methoden ( = Ernährungs-Pro-tokoll), bei denen der P roband seinen aktuellen Verzehr an allen Lebensmitteln und Getränken idealerweise in der Verzehrssituation s elbst f esthält (»N otizen b ei T isch«). Werden die verzehrten Speisen oder Getränke erst später aufgeschrieben, z. B. am Abend für den ga nzen Tag oder vor der näc hsten B eratung für die g esamte Woche, han-delt es sich nicht mehr wirklich um ein prospektives Pro-tokoll, sondern um ein Erinnerungsprotokoll. Die soforti-ge Protokollierung des Verzehrs kann dadurch erleichtert werden, dass die F ormulare ein »M itnahme-geeignetes« Format haben und dass der P roband ausdrücklich darauf hingewiesen wird, wie wichtig das sofortige Aufschreiben ist. Al lerdings b ringen P rotokollmethoden eine a nde-re F ehlerquelle mi t sic h. Dur ch die P rotokollierung der Nahrungsaufnahme wir d sic h in aller Reg el das Essv er-halten s elbst ä ndern. S o w erden z. B. L ebensmittel e vtl. nicht mehr v erzehrt, w eil die P rotokollierung b ewusst macht, dass man dabei ist, z. B. ein ho chkalorisches oder fettreiches L ebensmittel zu v erzehren, o der dass ma n in einer S ituation ess en wi ll, in der Ess en k eine gün stige Handlungsalternative darstellt (z. B. Frustessen, Fressan-fälle). In der Praxis findet sich häufig das Phänomen, dass übergewichtige Patienten bereits die er sten 1 b is 2 Pfund Gewicht v erlieren, w enn sie i hr no rmales Essv erhalten ohne jeden Änderungsversuch protokollieren sollen. Ein solcher E ffekt w ird a ls reaktive Messung b ezeichnet. Dies ist eine M essung, b ei der d urch den M essvorgang (die P rotokollierung) das zu mess ende Phä nomen (die Nahrungsaufnahme) v erändert wir d. D as A usmaβ der Reaktivität ist um so hö her, je hö her der A ufwand f ür

1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen15

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die Protokollierung ist. N eben der D auer (3 b zw. 4 b zw. 7 Tage), variieren Ernährungsprotokolle im H inblick auf den Aufwand. Im Rahmen der Ernährungsberatung oder -therapie ka nn ein b egrenzter r eaktiver Ef fekt im S inne von Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle des Essverhal-tens allerdings durchaus erwünscht sein.

Den hö chsten Aufwand stel len Er nährungsprotokolle nach der Wiegemethode ( Wiegeprotokoll) dar. Dabei soll der Proband alle verzehrten Speisen und G etränke entwe-der genau mit einer Diätwaage abwiegen oder in einem ge-eigneten Messgefäβ abmessen. Der Vorteil dieser Methode ist unzweifelhaft die hohe Genauigkeit der Mengenangaben und da mit die Gla ubwürdigkeit der M essung. Aller dings bedeuten A bwiegen o der A bmessen einen ext rem ho hen Verhaltensaufwand und b edingt da mit eine mög licher-weise Re aktivität. Z um a nderen w erden da bei s ehr ho he Anforderungen an d ie C ompliance d es Prob anden bz w. Patienten gestellt. D aher muss trotz der zw eifelsohne ho-hen Reliabilität dieser Methode mit erheblichen Einschrän-kungen der Validität im Hinblick auf die Ernährung unter normalen Alltagsbedingungen gerechnet werden.

Die in der er nährungsmedizinischen Praxis am häu-figsten v erwendete M ethode ist das Er nährungsproto-koll nach der Schätzmethode. Ein s olches Er nährungs-protokoll er fasst die L ebensmittelmengen in F orm v on gebräuchlichen H aushaltsmaβen (z. B. 1 Glas Vollmilch, 2 Scheiben V ollkornbrot; ⊡ Tab. 1.1 und 1.2) o der das

6 Kapitel 1 · Ernährungsmedizinische Untersuchungen

1

⊡ Tab. 1.1. Praktische Maβeinheiten

1 TL Wasser, Milch, Brühe, Sahne, Kondensmilch ca. 5 g

1 EL Wasser, Milch, Brühe, Sahne, Kondensmilch ca. 15 g

Inhalt eines Wasserglases ca. 100 ml

Inhalt einer Tasse (= 8 Esslöffel oder 1/8 l) ca. 130 g

Inhalt eines Bechers, einer Schnabeltasse oder Suppentasse

ca. 200 g

Inhalt eines Suppentellers ca. 250 g

⊡ Tab. 1.2. Flüssigkeitsanteil in Lebensmitteln und Gerichten

Flüssigkeitsanteil in % des Gesamtgewichts

Lebensmittel, zubereitete Lebensmittel, Gerichte, Getränke

100 Brühen und reine Trinkflüssigkeit, Suppen, Soßen, Eintöpfe, Obst und Gemüse roh und gegart

75 Kartoffelbrei, Quarkspeisen, Joghurt, Milch-Nährmittelbreie

50 Kartoffeln gekocht, Teigwaren gekocht, Reis körnig gekocht, Auflauf, Gulasch, Müsli, Obstgrützen, Gelee-speisen, Eis, Obstkuchen und -torten, Käsetorten

25 Bratkartoffeln, überbackene Teigwaren, Toast, Hefeklöße, Pizza

0 Alle Fleisch- und Fischgerichte ohne Soßen, Eier, Käse, Wurst, Fette, alle Brotsorten und Backwaren ohne Obstbelag, Honig, Konfitüre, Gelee

Schätzen der v erzehrten Menge in G ramm. Im Vergleich zu einem W iegeprotokoll s chätzen 15–68% der M en-schen bei verschiedenen Lebensmitteln auch noch unter-schiedlich fals ch (d . h. ihr e S chätzung w eicht um mehr als 20% v on der Ein waage ab). B ei der A uswertung von Schätzprotkollen werden Haushaltsmaβe (z. B. 1 Teelöffel, 1 Tasse) v on der a uswertenden F achkraft in g eschätzte Grammmengen u mgerechnet. D ie Ang aben d es Prot -kolls werden genauer, wenn der P roband bei verschiede-nen Lebensmitteln seine übliche Portionsgröβe ein- o der mehrmals abwiegt (z. B. übliche Grüβe einer Brotscheibe, übliche Menge v on Konfitüre o der Wurst) o der a nhand von Modellen genauer beschreibt. Ansonsten müssen zur Abschätzung von Portionsgröβen Richtwerte wie die f ol-genden verwendet werden:▬ F rischkost 150–250 g,▬ Gemüse als Beilage 100–200 g,▬ Gemüse als Hauptspeise 200–400 g,▬ Kartoffeln als Beilage 100–150 g,▬ Kartoffeln als Hauptspeise 250–300 g,▬ N udeln 80–100 g, Nachspeise 100–200 g.

Eine neuere Variante des Ernährungsprotokolls ist das Er-nährungsprotokoll nac h der Checklist-Methode. D abei erhält der Proband oder Patient ein Formular von vorge-gebenen L ebensmitteln mi t def inierten Portionsgröβen, ähnlich wie b ei der L ebensmittelhäufigkeitsliste. Aller -dings s oll a uf dies em F ormular da nn üb er den v erein-barten Erfassungszeitraum der L ebensmittelverzehr z. B. durch eine S trichliste p rotokolliert w erden, und nic ht wie b ei der L ebensmittelhäufigkeitsliste nac hträglich geschätzt w erden. D er V orteil dies er M ethode b esteht darin, dass:▬ der Aufwand für den Probanden deutlich geringer ist

als bei einem Schätz- oder gar Wiegeprotokoll und▬ der A uswertungsaufwand f ür die Er nährungsfach-

kraft um ein Erheb liches g eringer ist als b ei einem üblichen Er nährungsprotokoll (ca. 5 min ge genüber 45–90 min für ein 7-Tage Protokoll).

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Auf der anderen Seite wird es immer wieder v orkommen, dass auf der vorgegebenen Liste konsumierte Lebensmittel nicht a ufgelistet sind . D er P roband m uss da nn s einen Verzehr in »irgend etwas Ähnliches« übersetzen oder wird die Lebensmittel gar nicht protokollieren. Auβderdem ver-leitet die Vorgabe von Portionsgröβen dazu, abweichende tatsächliche Portionsgröβen zu unter- oder überschätzen.

Bei P roblemen des W asserhaushalts (z. B. b ei a lten Menschen o der Patienten, w elche Diuretika einnehmen, oder chronisch nierenkranke Patienten an der Hämodia-lyse) kann es sinnvoll sein, als spezielle Form eines Ernäh-rungsprotokolls einen »Tages-Trink-Plan« zur Er fassung der Flüssigkeitsaufnahme zu erstellen.

Ein Ernährungsprotokoll kann mit Hilfe kommerziell erhältlicher Computerprogramme (z. B. Prodi, Diät 2000, Ebis) o der ma nuell mi t H ilfe v on L ebensmitteltabellen ( Souci-Fachmann-Kraut, Bundeslebensmittelschlüssel) ausgewertet w erden. Die co mputergestützte Anal yse er -möglicht relativ einfache, exakte Angaben zum Lebensmit-tel- und Nährstoffverzehr, wobei mögliche Nährstoffverlus-te bei der Zubereitung von Mahlzeiten zu berücksichtigen sind. Die Ana lyse inf ormiert det ailliert üb er die Z ufuhr von M akro- und M ikronährstoffen, die Ener gie- und Eiweiβaufnahme, die Nährstoffrelationen, Anzahl und Zu-sammensetzung der v erschiedenen M ahlzeiten, G esamt-verbrauch a n S treich- s owie v erstecktem F ett, An teil g e-sättigter und (einfach, mehrfach) ungesättigter Fettsäuren, Alkoholkonsum sowie spezielle Ernährungsgewohnheiten. Bei der I nterpretation von Ernährungsanalysen aufgrund von P rotokollen m uss aller dings b erücksichtigt w erden, dass der er fasste Z eitraum nur eine b egrenzte Stichprobe des Er nährungsverhaltens da rstellt, die zudem d urch die erwähnten reaktiven Effekte verändert sein kann.

Neben der Erfassung selbst bestimmt die der Auswer-tung zugrunde liegende Datenbasis wesentlich den Wert eines Er nährungsprotokolls. Die in einer L ebensmittel-tabelle angegebenen D aten b eruhen auf der c hemischen Analyse eines »repräsentativen« Lebensmittels. Da weder der Nährstoffgehalt natürlich vorkommender Lebensmit-tel noch die leb ensmittelanalytischen Methoden standar-disiert sind, sind die T abellen eine mög liche Fehlerquelle für die Er nährungserhebung. Dies er F ehler ist bei der Berechnung der einzelnen zug eführten Nährstoffen un-terschiedlich hoch:▬ für die tägliche Eiweiβzufuhr bis zu 25%,▬ für die Gesamtfettzufuhr 8%,▬ für den P/S-Quotienten 17% und▬ für die Vitamin-C-Zufuhr 40%.

Schwierigkeiten b ei der A uswertung ergeben sich na tur-gemäβ a uch b ei un genauen o der f ehlenden An gaben, neuartigen o der a uch ex otischen L ebensmitteln s owie angesichts der k ulturellen H eterogenität un serer B evöl-kerung. Eine g enaue N achfrage b eim P robanden ist im Zweifelsfall lohnend.

Aus dem Er nährungsprotokoll lässt sich der s og. »Food-Quotient« (= FQ) als Äquivalent zum Respiratori-schen Quotienten (s. unten) anhand der Makronährstoff-aufnahme berechnen.

Berechnung des FQ (P P rotein, F Fe tt, KH Kohlen-hydrate, A Al kohol j eweils a ls P rozent der Ener gieauf-nahme):

(0,207 × KH%) + (0,159 × F%) + (0,193 × P%) + (0,137 × A%)(0,207 × KH%) + (0,226 × F%) + (0,243 × P%) + (0,206 × A%)

Bei einem Verhältnis von 50% KH, 35% Fett, 12% Protein und 3% Alkohol beträgt der FQ 0,86. I m Vergleich steigt der FQ b ei f ettarmer Er nährung (65% KH, 20% F , 12% P und 3% A) a uf 1,13. D er Quotient aus 24 h Respirato-rischer Quo tient (=R Q)/24 h »F ood Q uotient« ha t eine Beziehung zur Energiebilanz, diese ist positiv bei Werten >1,0, bei Werten <1,0 ist sie negativ.

Für die A uswertung des P rotokolls s ollten die hä us-lichen und k üchentechnischen V oraussetzungen des Probanden b ekannt s ein. Die G enauigkeit eines Er näh-rungsprotokolls ka nn im V ergleich mi t a nderen Metho-den d urch s eine Rep roduzierbarkeit b ei W iederholung, Veränderungen des Gewichtes oder auch durch Messung ausgewählter b iochemischer P arameter c harakterisiert werden. B ei allen M ethoden zur Er fassung der N ah-rungsaufnahme m uss da mit g erechnet w erden, dass die erhobenen D aten v on der W irklichkeit a bweichen, w eil der P roband einzelne L ebensmittel v ergisst o der s eine Schilderung im Sinn s ozialer Er wünschtheit v erändert und verfälscht. Dieser Einfluss ist im Einzelfall nic ht ab-zuschätzen. An haltspunkte f ür eine s olche A bschätzung werden w eiter un ten un ter dem S tichwort »underrepor-ting« oder »overreporting« diskutiert.

Eine genaue Überprüfung der Ergebnisse ist durch die Wahl eines una bhängigen »S tandards« mög lich. »S tan-dards« sind z. B.:▬ Die g leichzeitige M essung des Ener gieverbrauchs

(� Kap. 1.6.1).▬ Die U ntersuchung s og. B iomarker, wie z. B. die B e-

stimmung der 24-h-S tickstoffausscheidung im 24-h-Urin (� Kap. 1.6.4).

▬ B iochemische Analysen, z. B.:– Bestimmung des F ettsäuremusters im sub kutanen

Fettgewebe,– Zellmembranen zur Üb erprüfung des »P/S«-Quo-

tienten,– Natrium- oder Jodausscheidung im 24-h-Urin zur Er-

fassung der Salz- bzw. Jodaufnahme) (� Kap. 1.7.4).

Auf ä hnlichen Üb erlegungen b eruhen a uch die Osmo-laritäts- und Paraaminobenzoesäure-(PABA-)Methoden (� Kap. 1.5.3 und 1.7.1). So lässt sich die Zufuhr osmotisch wirksamer Teilchen b ei K enntnis der S tickstoff-, N atri-um- und K aliumaufnahme a bschätzen. Dies e m uss der »osmotischen Ausfuhrrate« weitgehend entsprechen. B ei

1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen17

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der PABA-Methode wir d der N ahrung K aliumparaben-zoat ak tiv zug esetzt und die W iederfindung v on PABA im Urin über einen Zeitraum von mindestens 3 Tagen be-stimmt. Die unkontrollierte Zufuhr nichtmarkierter Nah-rungsmittel ka nn mi t der P ABA-Methode nich t er fasst werden. Alternativ und wesentlich aufwendiger ist die Zu-bereitung zw eier iden tischer M ahlzeiten, v on denen die eine von dem Probanden gegessen wird, während die an-dere im Hinblick auf ihren Nährstoffgehalt (z. B. Bestim-mung des Ener giegehalts in einem B ombenkalorimeter) analysiert wird (sog. »duplicate portion technique«). Diese Technik kann nicht über längere Zeiträume durchgeführt werden. Zusammenfassend sind die genannten Standards jeweils »nur« substratspezifisch. Sie charakterisieren z. B. die G enauigkeit der Ener gieaufnahme. Dies e ist nic ht ohne Weiteres auf andere Nährstoffe (z. B. die Eiweißauf-nahme) zu übertragen.

Im Vergleich mi t den g enannten S tandards sind die Abweichungen der v erschiedenen M ethoden zur Er fas-sung der Er nährung z. T. erheblich: S ie können z. B. b ei Durchführung eines 7-Tage-Protokolls bis zu 50% der tat-sächlichen Nahrungsaufnahme betragen. Diese Differenz beschreibt ein w esentliches P roblem v on Er nährungs-protokollen, w elches im en glischen S prachgebrauch a ls »under-dating« o der »under-reporting« b ezeichnet wir d. Diskrepanzen b estehen z. B. b ei K indern und adi pösen Patienten und auch bei Menschen mit kontrolliertem Ess-verhalten (sog. »dietary restraint«, s. � Kap. 1.2.2). Ein »un-der-reporting« ist von einem »under-eating« abzugrenzen. Im letzteren Fall ist die Energiebilanz negativ, das Gewicht nimmt währ end der P rotokollphase a b. Es ist deshalb wichtig, das Körpergewicht zu B eginn und am Ende der Protokollperiode zu mess en. Umgekehrt gibt es auch das Phänomen des »over-reportings«, w elches z. B. b ei a no-rektischen P atienten b eobachtet w erden ka nn. H ierbei werden mehr Energien angegeben, als tatsächlich verzehrt werden. Im Vergleich zwischen Energieaufnahme ( Energy Intake = EI) und g emessenem 24-h-Energieverbrauch (= Total E nergy Expenditure = TEE, s. � Kap. 1.6.1) be steht ein »under-reporting« bei einem EI/TEE-Quotienten von <0,84. Ein » over-reporting« b eginnt a b 1,16. I n una us-gewählten Gruppen von Menschen wird b ei 20-30% ein »under-reporting« und b ei b is zu 15% ein » over-repor-ting« beobachtet. Im Vergleich einzelner Mahlzeiten sind Zwischenmahlzeiten b esonders v on einem » under- o der over-reporting« »betroffen«, es wurden Unterschätzungen von 33% b zw. Überschätzungen von 57% mi tgeteilt. Für den praktischen Alltag wird zur Überprüfung der Plausi-bilität v on Er nährungsprotokollen die Ener gieaufnahme mit dem er rechneten (o der g emessenen) Ruheenergie-verbrauch verglichen. Zur Einschätzung der körperlichen Aktivität werden b ei mittlerer und b ei höherer Aktivität die Faktoren 1,55 b zw.1,86 verwendet. Aufgrund der im Einzelfall ungena uen Angab en ist d as » under-reporting« durch EI/REE-Werte <0,79 b zw. das » over-reporting« mit

Werte >1,21 charakterisiert. Bezogen auf den R uheener-gieverbrauch g elten EI-Werte v on <1,25 x REE als nic ht plausibel.

In der Praxis hängt die Wahl der j eweiligen Methode von v erschiedenen F aktoren a b. F ür die U ntersuchung von Individuen empfiehlt sich ein 7-Tage-Ernährungspro-tokoll. Die Erhebung wird mit einem Standardprogramm ausgewertet. Die Ergebnisse werden mit den Empfehlun-gen der N ährstoffzufuhr v erglichen. U nterschiede v on mehr als 30% w erden als »niedr ig« o der »ho ch« ein-gestuft. Dies e A bweichungen k önnen eine B asis einer Ernährungsberatung s ein. F ür den V ergleich gi lt, dass die Em pfehlungen der F achgesellschaften f ür die N ähr-stoffzufuhr den Bedarf von 97,5% der Individuen in einer Population b erücksichtigen und f ür viele M enschen zu hoch angesetzt sind. Eine Unterschreitung der empfohle-nen Zufuhr von mehr als 30% ist deshalb nicht mit einem Mangel gleichzusetzen.

Im R ahmen ep idemiologischer U ntersuchungen entscheiden die F ragestellung s owie die a ngestrebte st a-tistische B erechnung üb er die W ahl der M ethode. Die Entscheidung ist meist ein K ompromiss zwis chen dem Wunsch des U ntersuchers nach G enauigkeit u nd d er Praktikabilität der Methode. In jedem Fall sind eine Vali-dierung der M ethode sowie auch eine kr itische Wertung der Er gebnisse un ter B erücksichtigung der Pla usibilität notwendig. Für Bi lanzuntersuchungen an k leinen Gr up-pen v on P robanden b zw. P atienten m uss eine hö here Genauigkeit gefordert werden, welche nur mit Hilfe der »Duplicate-portion-Technik« erreicht werden kann.

Neben der q uantitativen und nähr stoffbezogenen Auswertung einer Er nährungserhebung ist a uch eine qualitative Bewertung möglich. Diese berücksichtigt z. B. einzelne N ährstoffe (wie z. B. F ette) o der a uch den g e-sundheitlichen Wert einer Er nährung. D er gesund heit-licher Wert ergibt sich nich t a llein aus den im V ergleich zu den Em pfehlungen b erechneten N ährstoffmengen, sondern er beruht auch auf der Vielfalt der ausgewählten Lebensmittel ( »variety«, d . h. b ezogen a uf die Z ahl der ausgewählten Lebensmittelgruppen) sowie der Moderati-on (=Mässigung, z. B. im Hinblick auf Fett- und Alkoho-laufnahme). In der en glischsprachigen L iteratur wurden sog. Quali taetsindices (z. B. healthy eating in dex, HEI; diet quality index, D QI) entwickelt, die z. B. auch in der WHO-MONICA-Studie Anwendung fanden.

⊡ Tab. 1.3–1.5 zeigt die B erechnungsgrundlage eines solchen Ernährungsqualitätsindex. Beträgt die Aufnahme von Getreideprodukten und Kartoffeln jeweils weniger als 2 Portionen pro Tag, ist die t ägliche Kalzium-, Jod- und Eisenzufuhr geringer als 800 mg, 100 µg bzw. 7 mg, liegt die Fettaufnahme bei weniger als 30% der Energieaufnah-me (>11.5% gesättigte Fette, weniger als 300 mg Choleste-rin pro Tag) und erreichen die Indices für Moderation 6.5 bzw. für Variation 6 Punkte, s o erg ibt sich eine G esamt-punktzahl von 61,5 = »a diet that needs improvement«.

8 Kapitel 1 · Ernährungsmedizinische Untersuchungen

1

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1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen19

⊡ Tab. 1.4. Unterindex: Moderation

Punkte 2,5 2,25 2 1,75 1,5 1,25 1 0,75 0,5 0,25 0 Erreichte Punktzahl

Fast Food 0 Port./Woche

0,5 Port./Woche

1 Port./Woche

2 Port./Woche

3 Port./Woche

4 Port./Woche

5 Port./Woche

6 Port./Woche

1 Port. täglich

2 Port. täglich

≥3 Port. täglich

Zucker (g/Tag) <50 50–<60 60–<70 70–<80 80–<90 90–<100 100–<120

120–<140

140–<160 160–<180

≥180

Salz (g/Tag) ≤6 >6–6,5 >6,5–7 >7–7,5 >7,5–8 >8–8,5 >8,5–9 >9–9,5 >9,5–10 >10–10,5

>10,5

Alkohol (g/Tag)

w ≤10 >10–11 >11–12 >12–13 >13–14 >14–15 >15–16 >16–17 >17–18 >18–19 ≥19

m ≤20 >20–22 >22–24 >24–26 >26–28 >28–30 >30–32 >32–34 >34–36 >36–38 ≥38

Gesamtpunktzahl Moderation

⊡ Tab. 1.5. Bewertung

Maximal erreichbare Punktzahl: 100 Punkte

>80–100 Punkte a »good« diet

>50–80 Punkte a diet that needs improvement

≤50 Punkte a »poor« diet

⊡ Tab. 1.3. Berechnungsgrundlage für Ernährungsqualitätsindex (=Ernährungsmusterindex)

Gruppe Empfeh-lung/Tag

Kriterien für folgende Punkte Erreichte Punkt-zahl10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0

1. Getreide und Kartoffeln*

6–11 Portionen

≥6 <6–5,5 <5,5–5 <5–4,5 <4,5–4 <4–3,5 <3,5–3 <3–2,5 2,5–2 <2–1,5 ≤1,5

2. Obst und Gemüse

5 Portionen

≥5 <5–4,5 <4,5–4 <4–3,5 <3,5–3 <3–2,5 2,5–2 <2–1,5 <1,5–1 <–0,5 0

3. Ca-Aufnahme (für Milch- und Milch-produkte)

1000 mg 900–1000

800–<900

700–<800

600–<700

500–<600

400–<500

300–<400

200–<300

100–<200

>0–<100

0

4. Jodaufnahme 200 µg 180–200 160–180 140–160 120–140 100–120 80–100 60–80 40–60 20–40 10–20 <10

5. Eisenaufnah-me (für Fleisch und Fleisch-waren

10 mg ≥10 8–<10 7–<8 6–<7 5–<6 4–<5 3–<4 2–<3 2–<3 1–<2 0

6. Gesamtfett ≤30 Energie%

≤30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 ≥40

7. Gesättigte Fettsäuren

≤10 Energie%

≤7,5 >7,5–8,5 >8,5–9,5 >9,5–10,5

>10,5–11,5

>11,5–12,5

>12,5–13,5

>13,5–14,5

>14,5–15,5

>15,5–16,5

>16,5

8. Cholest erin <300 mg <300 300–320 >320–340

>340–360

>360–380

>380–400

>400–420

>420–440

>440–460

>460–480

>480

9. Moderation** (siehe Unterindex Moderation)

10. Variety*** 6 items 6 5,5 5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 ≤1

Erreichte Gesamtpunktzahl

* Kartoffeln und Vollkornprodukte zählen 1fach; Weißmehlprodukte zählen 0,5-fach** setzt sich aus den Gruppen Fast Food, Zucker, Salz und Alkohol zusammen*** jeweils 1 item für den Verzehr von Lebensmitteln aus jeder Gruppe pro Tag (Gruppen: Getreideprodukte/Kartoffeln/Obst/Gemüse/Milch und Milch-

produkte/Fisch, Fleisch, Eier)

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1.2.2 Erfassung psychologischer und sozialer Faktoren des Essverhaltens

Ein Ernährungsprotokoll wird im Einzelfall durch weitere Angaben zum Essv erhalten er gänzt. Dies e D aten sind Grundlage f ür eine V erhaltensdiagnostik, die wieder um eine wichtige Voraussetzung für eine er folgreiche Ernäh-rungsberatung ( � Kap. 2.1) sind. P sychologische F aktoren sind z. B. Hinweise darauf, wie st ark der Patient sein Ess-verhalten k ontrollieren ka nn, wie s ehr das E ssverhalten durch äuβere Reize b eeinflusst bzw. gestört wird und in-wieweit das Hungergefühl die Kontrolle des Essverhaltens beeinflusst. W ichtige An gaben zum V erständnis mög li-cher situativer Besonderheiten sind z. B. »Essen in Gesell-schaft o der im K reise der F amilie«, »Ess en währ end des Fernsehens« oder »Lesen beim Essen«. Gibt es »erlaubte« oder »verbotene« Speisen? Berichtet der Patient über Ent-behrungen? M it Hilfe der V erhaltensdiagnostik wird der subjektive S tellenwert der Er nährung, der en Ein bindung in das s oziale L eben und die si tuativen B esonderheiten des E ssens e rfasst. Z wanghafte Verhaltensweisen b ei d er Lebensmittelauswahl und beim Essverhalten werden deut-lich. Die U ntersuchung erla ubt a uch eine Ein schätzung des zu er wartenden B ehandlungserfolgs. Ein ex emplari-scher L eitfaden zur Exp loration des Essv erhaltens ist in nachfolgender Auflistung wiedergegeben (� Übersicht 1.1). Eine g ezielte psy chologische Diagnostik ist sinn voll b ei Patienten mit vermuteten Essstörungen und auch z. B. bei Übergewichtigen mit häufigen Gewichtsschwankungen.

Bei P atienten mi t ob jektiven o der sub jektiven G e-wichtsproblemen und/oder gestörtem Essverhalten ist das »gezügelte Essverhalten« ein psy chologischer Faktor von

herausragender Bedeutung. Unter gezügeltem Essverhal-ten wird die Verhaltensabsicht verstanden, die Nahrungs-aufnahme einzus chränken, um a bzunehmen o der um nicht zuzunehmen. W ährend der A ufbau und v or allem die Umsetzung dies er Absicht in t atsächliches Verhalten bei übergewichtigen und adipösen Patienten ein wichtiges Beratungs- und Thera pieziel s ein muss, hat sich gezeigt, dass eben diese Absicht ein zentraler Risikofaktor für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Essstörungen wie z. B. Bulimia Nervosa (s. � Kap. 1.2.3) ist.

Die Absicht der Einschränkung der Nahrungsaufnah-me wir d v on P atienten a llerdings mi t un terschiedlichen Einstellungen, V erhaltensweisen u nd S trategien u mge-setzt. Manche dieser Handlungsansätze haben in der T at eine erhö hte Wahrscheinlichkeit v on g estörtem Essv er-halten zur F olge, während andere Handlungsansätze die Entstehung vo n E ssstörungen eher verhinder n und mi t einer la ngfristig er folgreichen G ewichtsreduktion ein-hergehen. Dies e un terschiedlichen S tile des g ezügelten Essverhaltens lassen sich als rigide bzw. flexible Kontrolle des Essverhaltens charakterisiseren (⊡ Tab. 1.6). Während rigide Kontrolle keinen p ositiven Einf luss auf eine la ng-fristig erfolgreiche Gewichtsreduktion und -stabilisierung hat, sondern die En tstehung von gestörtem Essverhalten fördert, trägt die f lexible Kontrolle zu la ngfristig er folg-reicher G ewichtreduktion b ei und ha t einen p rotektiven Effekt im Hinblick auf Essstörungen.

Zur Erfassung des g ezügelten Essverhaltens steht mit dem Fragebogen zum Essv erhalten (FE V) v on Pudel u. Westenhöfer (1989) ein st andardisierter F ragebogen zur Verfügung. Dies er F ragebogen ist die deu tsche Version des s og. Eating I nventory (EI) b zw. Three-Factor Ea ting

10 Kapitel 1 · Ernährungsmedizinische Untersuchungen

1

Übersicht 1.1. Interview-Leitfaden zur Erfassung des Essverhaltens▬ Welche Mahlzeiten isst der Patient regelmäβig?

Gibt es Besonderheiten (z. B. spätes Frühstück, Spätmahlzeit)?

▬ Isst der Patient zwischen den Mahlzeiten etwas (Darauf achten, dass Patienten zwischen Zwischen-mahlzeiten, Zwischendurchessen, Nebenbeiessen und Snacks unterscheiden können)?

▬ Nimmt sich der Patient Ruhe und Zeit zum Essen, ach-tet er darauf, im Sitzen zu Essen, macht er beim Essen etwas nebenbei (Zeitung lesen, Fernsehen etc.)?

▬ Isst der Patient bei anderen Tätigkeiten nebenbei (z. B. am Arbeitsplatz, bei der Hausarbeit, abends beim Fernsehen)?

▬ Wie schätzt der Patient seine Essgeschwindigkeit ein? Isst er eher hastig und v erschlingt das Essen oder isst er langsam und achtet darauf die Speisen zu genieβen?

▬ Hat der Patient Heiβhunger? Wenn ja wie oft? Was isst er dann? Liegen Essanfälle v or? Gibt es evtl. kompensatorisches Verhalten (Erbrechen, Diuretika etc.)

▬ Wieviel trinkt der Patient? Ist die Trinkmenge aus-reichend? Werden regelmäβig hochkalorische Ge-tränke (alkoholische Getränke, Milch) konsumiert?

▬ Wo sieht der Patient seine Hauptschwierigkeiten? Welche Veränderungsmöglichkeiten sieht er selbst?

▬ Welche Diät-Abnahmevorerfahrungen hat der Patient? Gibt es Maβnahmen, die ihm schon gut geholfen haben? Woran liegt es seiner Meinung nach, wenn es zu Rückfällen kam?

Möchte der Patient selbst etwas an seinem Essverhal-ten ändern, wie stark und tragfähig ist seine Motivati-on? Warum will er gerade jetzt etwas ändern? Gibt es aktuell Umstände, die eine Veränderung des Esserhal-tens behindern können?

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Questionnaire (TFEQ) v on Stunkard u . M essick (1985) und erfasst in psychometrisch valider Form drei relevan-te psychologische Faktoren:1. Gezügeltes Ess en/kognitive Kontrolle des Essv erhal-

tens.2. S törbarbeit des Essverhaltens.3. Erleb te Hungergefühle.

Gezügeltes Essen/kognitive Kontrolle des Essverhal-tens. Das A usmaβ, in dem ein P atient v ersucht, s eine Nahrungsaufnahme einzus chränken, um a bzunehmen oder um nic ht zuzunehmen. Dur ch die k ognitive K on-trolle werden spontan erlebte Hunger- und A ppetitemp-findungen übersteuert und d urch verstandesmäβige Ent-scheidungen erstetzt.

Störbarbeit des Essverhaltens. Das A usmaβ, in dem der P atient da für a nfällig ist, a ufgrund ä uβerer Reize (z. B. An blick o der G eruch v on S peisen) o der a ufgrund eigener Gefühle (z. B. Angst, Frustration, Ärger) mehr zu essen als er eigentlich will. Das vermehrte Essen aufgrund äüβerer Reize wir d auch als ext ernales Essverhalten oder Auβenreizabhängigkeit bezeichnet. Das vermehrte Essen aufgrund von Gefühlen als emotionales Essverhalten.

Erlebte Hungergefühle. Das Ausmaβ, in dem der P ati-ent durch störend erlebte Hungergefühle dazu v eranlasst wird, mehr zu essen als er eigentlich will.

Hohe Werte bei Störbarkeit und/oder Hungergefühle zu B eginn einer B ehandlung zeig en einen sp ezifischen Behandlungsbedarf a uf. E ine er folgreiche B ehandlung sollte sic h en tsprechend in einem A bsinken der W erte wiederspiegeln. Das Ausmaβ des gezügelten Essens ist ein Anhaltspunkt für die Verhaltenspotentiale des P atienten. Sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige Werte können im Hinblick auf eine langfristig stabile Gewichtsentwicklung problematisch s ein. U m hier zu dif ferenzierteren A us-sagen zu k ommen, ist die B enutzung v on Z usatzskalen möglich (Westenhöfer, 1992), die eine g etrennte B ewer-tung der r igiden und f lexiblen K ontrollanteile erla uben. Eine er folgreiche B eratung o der B ehandlung m uss sich hier in einer V erringerung der r igiden und in einer V er-stärkung der flexiblen Kontrollanteile ausdrücken.

1.2.3 Diagnose von Essstörungen

In der er nährungsmedizinischen Praxis stellt sich oft die Frage, ob ein b estimmtes Essv erhalten no ch a ls no rmal beurteilt werden kann oder bereits als gestört eingeschätzt werden muss. Häufig lässt sic h dies e Frage jedo ch nicht eindeutig beantworten. Normales und gestörtes Verhalten wird anhand verschiedener Kriterien beurteilt (⊡ Tab. 1.7), mit dem Er gebnis tei lweise divergierender o der gar ent-gegengesetzter Er gebnisse. Die un terschiedlichen B eur-teilungsergebnisse k önnen a n einig en B eispielen leich t

1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen111

⊡ Tab. 1.6. Merkmale von rigider und flexibler Kontrolle des Essverhaltens

Rigide Kontrolle des Essverhaltens Flexible Kontrolle des Essverhaltens

Einstellungen und Verhalten

Orientierung am »Alles oder Nichts«-PrinzipHäufige, aber kurzfristige Manahmen zur Gewichts-kontrolleDiätphasen wechseln mit Phasen, in denen kaum aufs Gewicht geachtet wird

Orientierung an abgestuften MaβnahmenGewichtskontrolle wird als zeitlich längerfristige Maβnahme und permanente Aufgabe verstanden

Maβnahmen (Verhaltens beispiele)

Starke Einschränkung der NahrungszufuhrVölliger Verzicht auf Süβigkeiten oder andere LeckereienVerzehr von Lebensmitteln, die zwar nicht schmecken, sofern sie kalorienarm sind

Moderate Einschränkung der NahrungszufuhrAusgleich, wenn bei einer Gelegenheit zuviel gegessen wurdeSich Süβigkeiten in begrenzten Mengen gönnen Bevorzugung von fettarmen Speisen, wobei auch andere Lebensmittel ohne schlechtes Gewissen gegessen werden

⊡ Tab. 1.7. Kriterien zur Beurteilung von normalem oder gestörtem Verhalten

Kriterium Normale Ausprägung Gestörte Ausprägung

Statistische Norm Die am häufigsten oder durchschnittlich vorkom-mende Frequenz oder Intensität eines Verhaltens

Besonders häufige/intensive oder besonders seltene/wenig intensive Ausprägung (z. B. obere untere untere 2,5 Prozent)

Funktionelle Norm Die Häufigkeit/Intensität, die mit keiner langfristi-gen Funktionseinschränkung einher geht oder die mit einer optimalen Funktion einher geht

Eine Häufigkeit/Intensität, die mit einer Funktionseinschränkung einhergeht

Soziale Norm Die Häufigkeit/Intensität eines Verhaltens, die mit Aktzeptanz oder Wertschätzung in einer sozialen Bezugsgruppe einhergeht

Eine Häufigkeit/Intensität, die in einer sozialen Bezuggruppe nicht akzeptiert wird und die ggf. mit Sanktionen verbunden ist

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nachvollzogen werden. So ist b eispielsweise für das Kör-pergewicht (obwohl kein Verhalten) die statistische Norm (statistischer Dur chschnitt) in der er wachsenen B evöl-kerung bei einem BMI v on ca. 25 in einem B ereich, der bereits mit f unktionellen Einschränkungen wie erhö hter Morbidität und Mortalität einhergehen kann, während die soziale N orm, das mo disch-ästhetische S chlankheitideal mit einem BMI von 16 bis 18 bereits in einem Bereich ge-sundheitsgefährdenden Untergewichts angesiedelt ist. Re-lativ ähnliche Betrachtungen lassen sich für das A usmaβ körperlicher Aktivität, denKonsum von fett- und zucker-reichen S nackprodukten, das A usmaβ g ezügelten Ess-verhaltens oder das Auftreten von auβenreizabhängigem oder emotionalen Essverhalten anstellen.

Erschwert wird eine solche Beurteilung auch dadurch, dass no rmales und g estörtes V erhalten in aller Reg el keine scharf abgegrenzten Kategorien sind, sondern dass es vielmehr im S inn eines K ontinuums einen f lieβenden Übergang zwischen normal und gestört gibt, bei dem jede Festlegung eines Grenzwertes mehr oder weniger willkür-lich erscheinen muss.

Trotz dieser Schwierigkeiten lassen sich für die ernäh-rungsmedizinische P raxis k lar def inierte E ssstörungen abgrenzen. Die a merikanische Psychiatriegesellschaft hat für diese Esstörungen sehr klare, operationale Diagnose-kriterien f estgelegt, die eine va lide diag nostische K lassi-fikation mi t gu ter Üb ereinstimmung zwis chen v erschie-denen Beurteilern erlauben. Die diagnostischen Kriterien für die dr ei def inierten Essstörungen Anorexia Nervosa, Bulimia Nervosa und Binge E ating D isorder sind in den � Übersichten 1.2–1.4 wiedergegeben.

Das Z utreffen o der N icht-Zutreffen der einzelnen diagnositschen K riterien m uss v on einem er fahrenen Kliniker aufgrund eines k linischen Interviews bzw. kör-perlicher U ntersuchung b eurteilt w erden. Die Z uord-nung einer Diagnos e setzt das Zutreffen aller relevanten Kriterien voraus. Für Forschungszwecke exist ieren auch standardisierte Interviewleitfäden ( Structured Clinical In-terview for DSM diagnoses SCID, Structured Interview for Anorexic a nd B ulimic Diso rders S IAB), die hin sichtlich ihrer Validität und Relia biltiät gut überprüft und do ku-mentiert sind.

Zentrales M erkmal der Anorexia nervosa ist eine schwere E ssstörung, b ei der sich die P atientinnen (die weibliche Form wird gewählt, da die überwiegende Mehr-zahl der Betroffenen weiblichen Geschlechts ist) weigern, eine a usreichende N ahrungsmenge zu sic h zu nehmen. Dieses Essverhalten lässt sich a ls extrem gezügeltes Essen beschreiben:▬ Eine strenge und extrem knappe Kaloriengrenze wird

eingehalten.▬ Mahlzeiten w erden ga nz ausgelassen o der b eschrän-

ken sich auf geringe Mengen »guter« und »erlaubter« Lebensmittel, die von »schlechten« oder »fettmachen-den« Lebensmitteln deutlich unterschieden werden.

Zusätzlich zu dies er st arken Ein schränkung der N ah-rungsaufnahme versuchen viele Patientinnen ihr Gewicht durch Erbrechen oder durch die Einnahme v on Appetit-züglern, Abführmitteln o der Entwässerungstabletten zu kontrollieren. Dieses extreme Essverhalten führt zu einem starken G ewichtsverlust o der b ewirkt, dass der na türli-che G ewichtsanstieg in der W achstumsphase a usbleibt. Am E nde steh t e ine of fensichtlich ab gemagerte G estalt, welche ein ä uβerlich erk ennbares Z eichen der Ano rexia nervosa ist, auch wenn die Betroffenen oft versuchen, ih-ren abgemagerten körperlichen Zustand durch die Wahl entsprechender Kleidung zu kaschieren.

Trotz ihres offensichtlichen Untergewichts empfinden sich P atientinnen als zu dic k o der zu f ett (S törung des Körperschemas) und w eigern sich, an Gewicht zuzuneh-men. Diese Furcht vor einer G ewichtszunahme kann als ein zentrales psychopathologisches Merkmal der Ano re-xia nervosa betrachtet werden, da sie das g estörte Essver-halten motiviert und a ufrechterhält. Die kra nkhaft über-steigerte An gst v or dem Z unehmen ist im Erleb en und Verhalten der P atientinnen so zentral, dass die Ano rexia nervosa a uch als »N ormalgewichts-Phobie« b eschrieben worden ist.

Trotz ihres bedenklichen körperlichen Zustands haben die B etroffenen oftmals kein Krankheitsbewusstsein, ver-leugnen ihre Störung oder lehnen eine t herapeutische Be-handlung ab. Kennzeichnend ist auch die – angesichts ihres Zustands – her vorstechende Ak tivität der P atientinnen,

12 Kapitel 1 · Ernährungsmedizinische Untersuchungen

1Übersicht 1.2. Diagnostische Kriterien für Anorexia Nervosa (DSM IV TR). (Aus Saβ et al. 2003)▬ Weigerung, das Minimum des für Alter und

Körperegröβe normalen Körpergewichts zu halten (z. B. der Gewichtsverlust führt dauerhaft zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu er war-tenden Gewichts; oder das Ausbleiben einer wäh-rend der Wachstumsperiode zu erwartenden Ge-wichtszunahme führt zu einem Körpergewicht von weniger als 85% des zu er wartenden Gewichts).

▬ Ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu werden, trotz bestehenden Untergewichts.

▬ Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichtss, übertriebener Einfluss des Körpergewichts oder der Figur auf die Selbst-bewertung, oder Leugnen des Schweregrades des gegenwärtigen geringen Körpergewichts.

▬ Bei postmenarchalen Frauen das Vorliegen einer Amenorrhoe, d. h. das Ausbleiben von mindestens drei aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen (Amenorrhoe wird dann angenommen, wenn bei einer Frau die Periode nur nach Verabreichung von Hormonen, z. B. Östrogen, eintritt).

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die da mit v erbundene Ruhelosigkeit und der g esteigerte Bewegungsdrang. B ewegung und exzessi ves sp ortliches Training werden auch häufig als Maβnahme zur Kontrolle des Körpergewichts eingesetzt.

Als F olge der Mangelernährung und des Gewichts-verlusts kommt es zu einer Reihe v on körperlichen Fol-geerscheinungen, z. B.:▬ dem A bsinken der Körpertemperatur (H ypother-

mie),▬ dem Absinken des Blutdruckes (Hypotonie),▬ der Verlangsamung des Pulses (Bradykardie) und▬ der Bildung von Flaumbehaarung (Lanugo).

Charakteristisch sind a uch eine V ielzahl von endokrino-logischen Veränderungen. B ei den w eiblichen Patientin-nen ka nn fast immer das A usbleiben der Reg elblutung ( Amenorrhoe) festgestellt werden. Nachdem sich das Ess-verhalten und das K örpergewicht wieder no rmalisiert haben, b ilden sich a uch die k örperlichen S ymptome im Lauf der Zeit normalerweise zurück.

Bestimme den Typus:▬ Restriktiver Typus: W ährend einer a ktuellen E pi-

sode der Ano rexia N ervosa ha t die P erson k eine regelmäβigen »F ressanfälle« g ehabt o der ha t k ein »Purging«-Verhalten (d . h. s elbstinduziertes Erb re-chen oder Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.

▬ »Binge-Eating/Purging«-Typus: W ährend der ak tu-ellen E pisode der Ano rexia N ervosa ha t die P erson regelmäβig F ressanfälle g ehabt und ha t Pur gingver-halten (das heiβt s elbstinduziertes Erb rechen o der Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren) gezeigt.

Der B egriff der Bulimia nervosa (� Übersicht 1.3) lei tet sich aus den griechischen Wörtern bous (Ochse, Stier) und limos (Hunger) ab, und bedeutet wörtlich Ochsenhunger. Mit dieser Bezeichnung wird auf eines der Hauptsympto-me dieser Essstörung Bezug genommen: das wiederholte Auftreten v on Ess episoden, di e al s Es sanfall, F ressanfall oder Heiβhungerattacke (engl.: »binge eating«) bezeichnet werden. Bei solchen Essanfällen verschlingen die P atien-tinnen zumeist hastig gröβere Nahrungsmengen.

Die H äufigkeit s olcher Ess anfälle r eicht v on einmal pro Woche bis zu mehr mals täglich, wobei die Mehrzahl der P atientinnen s olche Heiβhungerattacken fast t äglich erlebt. I m V erlauf der meist zwis chen 15 min und 4 h dauernden Ess anfälle w erden d urchschnittlich zwis chen 3 000 und 4 000 Kalorien verschlungen, wobei auch über Fressorgien mit bis zu 15 000 Kalorien berichtet wird.

Das Essverhalten der Bulimie-Patientinnen ist neben episodischen Essanfällen zumeist durch ein stark gezügel-tes Essverhalten charakterisiert: Sie essen sehr wenig oder auch gar nichts, bis eine s olche Phas e gezügelten Ess ens

durch einen Ess anfall unterbrochen wird. Dieses Muster der Nahrungsaufnahme wurde auch als intermittierendes Fasten c harakterisiert und ka nn dazu f ühren, dass sic h bei den P atientinnen Anzeichen f ür den b iologischen Zustand der Mangelernährung finden lassen. Während in Phasen des g ezügelten Essens häufig solche Lebensmittel gemieden w erden, die als un gesund o der dic k-machend gelten, w erden dies e »v erbotenen« L ebensmittel b ei ei-nem Essanfall besonders häufig verzehrt.

Gemeinsam ist den P atientinnen, dass sie v ersuchen, die F olgen der N ahrungsaufnahme d urch M aβnahmen der Gewichtskontrolle zu k ompensieren. Ein G roβteil der B etroffenen f ührt nac h einem Ess anfall r egelmäβig absichtliches Erbrechen herbei, um sich so der aufgenom-menen N ahrung zu en tledigen. B ei ma nchen P atientin-nen f inden sic h st attdessen o der zus ätzlich zum s elbst-induzierten Erbrechen Laxantien- oder Diuretikaabusus, längere Fastenperioden zwis chen den Ess anfällen o der eine übertriebene sportliche Betätigung.

Zentrales Merkmal der Psychopathologie ist – wie bei Anorexia ner vosa – eine ext reme, kra nkhafte An gst der Patientinnen v or dem Dicks ein und eine üb ersteigerte Besorgnis um das G ewicht b zw. die Figur . D abei sind Gewicht und A ussehen von zentraler B edeutung für das Selbstwertgefühl und die S elbstsicherheit der P atientin-nen. Das Gewicht der B ulimiepatientinnen ist o ft unauf-fällig und liegt im Normal- bis moderaten Übergewichts-bereich. Normalgewichtige Bulimikerinnen schätzen sich selbst hä ufig als dic ker ein als dies no rmalgewichtige Frauen der B evölkerung tun, und sie b efürchten eine er -hebliche G ewichtszunahme, w enn sie a uf g ewichtsregu-lierende Maβnahmen wie Erb rechen oder die Einna hme von Laxantien verzichten würden. Als Folge des intermit-tierenden Diä tverhaltens der P atientinnen b erichtet ein Groβteil üb er d eutliche G ewichtsschwankungen i n d er Anamnese.

Das Essverhalten der Patientinnen und ihre Maβnah-men zur G ewichtskontrolle k önnen zu einer Reihe v on körperlichen Folgeschäden und medizinischen Kompli-kationen führen. Hierzu zählen:▬ Verletzungen des H andrückens, die d urch den G e-

brauch der H and zur S timulation des W ürgereflexes entstehen (Russell 1979),

▬ Entzündungen, ma nchmal a uch V erletzungen der Speiseröhre,

▬ das Anschwellen der Speicheldrüsen,▬ Schädigungen des Zahnschmelzes durch den häufigen

Kontakt mit Magensäure beim Erbrechen.

Weiter werden Elektrolytstörungen, insbesondere Hypo-kaliämien, b eobachtet, die f ür Herzrhythmusstörungen, Muskelähmungen, Nierenversagen und epileptische An-fälle v erantwortlich s ein k önnen. B ei der M ehrzahl der Patientinnen wurden Störungen des Menstruationszyklus gefunden.

1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen113

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Viele P atientinnen leiden un ter depressiven S ymp-tomen, die sic h in st arken S timmungsschwankungen, Gefühlen v on Wert- und Sinn losigkeit, S chuldgefühlen, Suizidgedanken bis hin zum S uizidversuch äuβert. Dabei weisen sie auf Depressionsskalen häufig Werte auf, die sich von den entsprechenden Werten von Patienten mit einer Major D epression nich t un terscheiden. Gleichfa lls wir d in vers chiedenen Untersuchungen e in hohe r An teil von Bulimiepatientinnen g efunden, f ür die g leichzeitig eine Major Affektiv Disorder diagnostiziert werden kann.

Bestimme den Typus▬ »Purging«-Typus: Die P erson ind uziert währ end der

aktuellen E pisode der B ulimia N ervosa r egelmäβig Erbrechen o der missb raucht L axantien, Di uretika oder Klistiere.

▬ »Nicht-Purging«-Typus: Die P erson hat währ end der aktuellen Episode der B ulimia Nervosa andere unan-gemessene, einer G ewichtszunahme g egensteuernde Maβnahmen g ezeigt wie b eispielsweise F asten o der übermäβige k örperliche B etätigung, ha t a ber nic ht regelmäβig Erbrechen induziert oder Laxantien, Diu-retika oder Klistiere missbraucht.

Die Binge Eating Disorder (BED) ( � Übersicht 1.4) ha t eine gr oβe Ähnlic hkeit mi t der B ulimia ner vosa: Ihr Hauptmerkmal sind ebenfalls wiederkehrende Essanfälle, aber b ei den b etroffenen Patienten f ehlt das f ür B ulimia nervosa ebenfalls charakteristische Kompensationsverhal-ten (= Erbrechen). Angesichts der ho chkalorischen Nah-rungsaufnahme während solcher Essanfälle steigt das Ri-siko, Übergewicht zu entwickeln, wenn die Kalorienzufuhr

14 Kapitel 1 · Ernährungsmedizinische Untersuchungen

1

Übersicht 1.3. Diagnostische Kriterien für Bulimia Ner-vosa (DSM IV TR). (Aus Saβ et al. 2003, S. 657)▬ Wiederholte Episoden von »Fressattacken«. Eine

»Fressattacke« ist gekennzeichnet durch beide der folgenden Merkmale:– Verzehr einer Nahrungsmenge in einem be -

stimmten Zeitraum (z. B. innerhalb eines Zeit-raums von 2 h), wobei die Nahrungsmenge er-heblich gröβer ist, as die Menge, die die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedingungen essen würden.

– Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Essverhalten zu verlieren (z. B. das Ge-fühl, weder mit dem Essen aufhören zu können,

noch Kontrolle über Art und Menge der Nahrung zu haben.

▬ Wiederholte Anwendung von unagemessenem, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maβnahmen, wie z. B. selbstinduziertes Erbre-chen, Missbrauch von Laxantien, Diuretika, Klis-tieren oder anderen Arzneimitteln, Fasten oder übermäβige körperliche Betätigung.

▬ Die »Fressattacken« und das unangemessene Kom-pensationsverhalten kommen drei Monate lang im Durchschnitt mindestens zweimal pro Woche vor.

▬ Figur und Körpergewicht haben einen übermäβigen Einfluss auf die Selbstbewertung.

▬ Die Störung tritt nicht ausschlieβlich im Verlauf von Episoden einer Anorexia nervosa auf.

Übersicht 1.4. Diagnostische Kriterien für Binge Eating Disorder (DSM IV TR). (Aus Saβ et al. 2003, S. 657)▬ Wiederholte Episoden von »Fressattacken«. Eine

»Fressattacke« ist gekennzeichnet durch beide der folgenden Merkmale:– Essen einer Nahrungsmenge in einem abgrenz-

baren Zeitraum (z. B. in einem zweistündigen Zeitraum), die definitiv gröβer ist als die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitraum und un-ter ähnlichen Bedingungen essen würden.

– Das Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während der Episode (z. B. ein Gefühl, dass man mit dem Essen nicht aufhören kann bzw. nicht kontrollieren kann, was und wie viel man isst.

▬ Die Episoden von »Fressanfällen« treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf: – wesentlich schneller essen als normal,– essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl,

– essen groβer Nahrungsmengen, wenn man sich körperlich nicht hungig fühlt,

– alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die man isst,

– Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Depri-miertheit oder groβe Schuldgefühle nach dem übermäβigen Essen.

▬ Es besteht deutliches Leiden wegen der »Fressan-fälle«.

▬ Die »Fressanfälle« treten im Durchschnitt an min-destens 2 Tagen in der Woche für 6 Monate auf.

▬ Die »Fressanfälle« gehen nicht mit dem regelmäβigen Einsatz von unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen einher (z. B. »Purging-Verhalten«, fasten oder exzessive körperliche Betätigung) und sie treten nicht ausschlieβlich im Verlauf einer Anorexia Nervoa oder Bulimia Nervosa auf.

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nicht d urch ein en tsprechendes V erhalten k ompensiert wird. Von den Teilnehmern an amerikanischen Gewichts-reduktionsprogrammen er füllen ca. 30% der P atienten die diagnostischen Kriterien für eine BED. Oft findet sich mit steigendem Body Mass Index ein hö herer Anteil von Patienten mit BED. Die BED ist hä ufig mit weiteren psy-chischen S törungen wie Depressionen, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen verbunden ist. Es gibt eini-ge Hinweise darauf, dass Betroffene mit einer Binge Eating Disorder häufiger Hilfe wegen ihrer Gewichts- und Esspro-bleme suchen als Üb ergewichtige und A dipöse ohne eine solche Essstörung.

In den letzten J ahren wird darüber hinaus das Night Eating Syndrome (NES) disk utiert. Dies e S törung ist durch ein deu tliches Muster der N ahrungsaufnahme im Tagesverlauf g ekennzeichnet. W ährend zu B eginn des Tages wenig oder gar keine Nahrung aufgenommen wird, werden nach der A bendmahlzeit no ch üb er 35 o der gar über 50% der g esamten Ener giezufuhr a ufgenommen. Patienten mi t NES wac hen hä ufig nac hts a uf und k on-sumieren dann noch beträchtliche Mengen an Nahrung. Ein NES tr itt s owohl b ei no rmal- wie b ei üb ergewich-tigen P ersonen a uf, w obei die H äufigkeit des NES mi t steigendem Übergewicht zunimm t. Es gib t inzwis chen einige Hinweise darauf, dass ein NES b ei einem Teil der Patienten an der Entstehung einer Adipositas beteiligt ist. Bei P atienten mi t NES f inden sic h a uch hä ufig a ndere psychiatrische Erkra nkungen und r und zw ei Dr ittel der Patienten w eisen eine zumindest mo derat a usgeprägte Depression als Komorbidität auf.

1.2.4 Lebensqualität, körperliche Aktivität

Gesundheitsbezogene LebensqualitätErnährung, L ebensstil und L ebensqualität k önnen nic ht getrennt v oneinander b etrachtet w erden. Es ist desha lb notwendig, da s Ern ährungsprotokoll d urch ein lä ngeres ärztliches Gespräch und g ezielte Fragen zur L ebensweise und nach der g esundheitsbezogenen L ebensqualität des Probanden zu er gänzen. Die U ntersuchung der g esund-heitsbezogenen L ebensqualität b erücksichtigt den Ein-fluss subjektiver Faktoren auf Gesundheit und K rankheit (z. B. das emotionale Wohlbefinden, die geistige Gesund-heit). Der Wert einzelner Aussagen wird dabei wesentlich durch die Er fahrung und das Einf ühlungsvermögen des Untersuchers b estimmt. Die subj ektive W irklichkeit des Patienten ka nn q ualitativ (z. B. d urch ein str ukturiertes Gespräch) o der q uantitativ (z. B. d urch einen st andar-disierten o der a uch psy chometrischen F ragebogen) er -fasst werden. Zielgröβen einer solchen Untersuchung sind die g esundheitsbezogene L ebensqualität und a uch deren Veränderung (z. B. un ter der B ehandlung einer K rank-heit). Die T ests haben verschiedene S chwerpunkte (o der Subskalen) wie z. B. k örperliche L eistungsfähigkeit, psy-chische V erfassung, E nergie/Erschöpfung, ge istige L eis-tungsfähigkeit, soziale Kontakte oder berufliche Tätigkeit. Im R ahmen wiss enschaftlicher U ntersuchungen w erden z. B. bei chronisch kranken Menschen standardisierte Fra-gebögen zur g esundheitsbezogenen L ebensqualität (z. B. der SF36-Fragebogen) v erwendet. Äl tere U ntersuchun-gen b enutzten den s og. »Karnofsky I ndex« ( ⊡ Tab. 1.8).

1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen115

⊡ Tab. 1.8. Aktivitätsindex nach Karnofsky

Funktion Prozentzahl Kommentar

Normale Aktivität möglich, keine beson-deren Hilfen erforderlich

100 Normal, keine subjektiven oder objektiven Krankheitszeichen

90 »Normales Leben«, geringe Krankheitszeichen

80 Normale Aktivität nur unter Anstrengung möglich, sichtbare Krankheitssymptome

Arbeitsunfähig, kann zu Hause leben und weitgehend für sich selbst sorgen, jedoch ist Hilfe verschiedentlich notwendig

70 Kann sich selber versorgen, aber nicht mehr arbeiten, Aktivität eingeschränkt

60 Kann sich im Großen und Ganzen selbst versorgen, braucht aber gelegentlich Hilfe

50 Ständig pflegerische und häufig ärztliche Hilfe notwendig

Unfähig, sich selber zu versorgen, braucht professionelle Hilfe, Krankheit kann rapide fortschreiten

40 Beeinträchtigt, spezielle Hilfe nötig

30 Schwer beeinträchtigt, Krankenhausversorgung ist angezeigt

20 Sehr krank, aktive Hilfe notwendig

10 Moribund, rapides Fortschreiten der Krankheit

0 Tot

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Dieser b eschreibt die k örperliche Ak tivität und die V er-sorgungssituation des P atienten wesentlich aus der S icht des Thera peuten. F ür S chwer- und c hronisch K ranke werden a uch p ragmatische Ein teilungen nach dem j e-weiligen Reha bilitationsstatus v ersucht. I m R ahmen v on Rehabilitationsmaβnahmen werden pragmatische E intei-lungen verwendet. So werden die Patienten im englischen Sprachraum in 4 Gruppen eingeteilt:▬ Gruppe 1: Vollbeschäftigt, eigenständiges Führen des

Haushalts.▬ Gruppe 2: Teilzeitarbeit und Haushaltshilfe.▬ Gruppe 3: A beitsunfähig, Haushaltshilfe, verlässt das

Haus nur mit Unterstützung.▬ Gruppe 4: An das Haus gebunden, Pflegefall.

Körperliche AktivitätIm Z usammenhang mi t der g esundheitsbezogenen L e-bensqualität werden auch die völlig »unabhängigen« Ak-tivitäten des täglichen Lebens erfasst (= PADL: »physical activity of daily living«). Diese umfassen Essen, Ankleiden, Gehen, B aden, zur T oilette g ehen. D avon a bzugrenzen sind die »instrumentellen« Aktivitäten des täglichen Lebens (= IADL: » instrumental a ctivity of d aily liv ing«) wie M edikamenteneinnahme, T elefonieren, Ein kaufen, Kochen, Hausarbeit oder freie Gehstrecken.

Die Er fassung v on Ak tivität und B ewegung ist im Rahmen einer er nährungsmedizinischen U ntersuchung

sinnvoll und er folgt durch Befragung nach den un gefäh-ren An gaben des P atienten (k örperliche B elastung b ei der Arbeit, Zeitaufwand für sportliche Aktivitäten, Fahr-radfahren, Spazierengehen, Fernsehen, Schlafen). Für die Auswertung ers cheint ers cheint eine U nterteilung nach körperlicher Ak tivität b ei der Arb eit, S port und nic ht-sportliche Ak tivitäten in der F reizeit sinn voll. Die Ein-stufung ka nn p ragmatisch er folgen (z. B. A: s ehr w enig aktiv; B: b is zu 4 h k örperliche B ewegung/Woche; C: regelmäβige körperliche Aktivität, z. B. 3-mal pro Woche; D: gezieltes und tägliches körperliches Training und Wett-kampfpraxis). F ür die eher q uantitative Er fassung v on körperlicher Aktivität gib t es en tsprechend str ukturierte Fragebögen (⊡ Abb. 1.2). ⊡ Abb. 1.3 zeigt beispielhaft einen »qualitativen« Fragebogen zur Erfassung der körperlichen Aktivität von Schulkindern. Differenzierte Angaben zum Energieaufwand für körperliche Aktivität (d . h. den s og. energetischen K osten) wur den v on der WH O g emacht. Gebräuchliche Aktivitätsfaktoren (AF) sind z. B.:▬ 0,9 für Schlafen,▬ 1,2 für Wachliegen,▬ 1,3 für Sitzen,▬ 2,5 für schnelles Gehen und▬ 3–7 f ür k örperliches T raining (An gaben je weils als

Vielfaches des Ruheenergieverbrauchs).

Ein Ak tivitätsfaktor <1,5 en tspricht einer inak tiven L e-bensweise.

16 Kapitel 1 · Ernährungsmedizinische Untersuchungen

1

Schlafen

Uhrzeit bis: 7oo

Liegen

Sitzende Tätigkeit °

Leichte Aktivität #

Schwere Aktivität "

Spazierengehen

Gezieltes Gehen

Bus/ Bahn/Auto-Fahren

Sport:

8oo 9oo 10oo 11oo 12oo 13oo 14oo 15oo 16oo 17oo 18oo 19oo 20oo 21oo 22oo 23oo 24oo 1oo 2oo 3oo 4oo 5oo 6oo

° Lesen, Fernsehen, Kartenspielen, Nähen, Büro- und Schreibarbeiten, Reden/Unterhaltung, Essen/Trinken, Kino, etc.

# Abwaschen, Kochen, Staubsaugen, Fenster putzen, etc.

" Schweres Tragen, Treppen steigen, Umgraben, etc.

* Fahrradfahren, Schwimmen, Joggen, etc.

** Squash, Fußball, Handball, Kraftsport, etc.

BeruflicheTätigkeiten:

- leicht *

- schwer **

⊡ Abb. 1.2. Beispiel eines strukturierten Aktivitätsprotokolls

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Eine g enaue M essung der k örperlichen Ak tivität ist aufwendig. Die k örperliche Ak tivität wir d dir ekt mi t speziellen Bewegungsmessern ( Pedometer, triaxiale Ac-celerometrie), Telemetrie (k ontinuierliche M essung der Herzfrequenz über 24 h), durch Radarüberwachung (z. B. im geschlossenen Raum einer Respirationskammer) oder durch die Erfassung des Energieverbrauchs (indirekte Ka-lorimetrie, I sotopendilution) g emessen (s. � Kap. 1.6.1.). Die »s emiquantitative« Er fassung der Ak tivitäten mi t Hilfe eines P rotokolls kann auch für die B erechnung des 24-h-Energieverbrauchs benutzt werden. Für die Berech-

nung des 24-h-Ener gieverbrauchs wir d f olgende F ormel verwendet:

24-h-Energieverbrauch (kcal/Tag)=Dauer der Tätigkeit (min) x dem für die Tätigkeit zu berechnenden Energiever-brauch (AFxREE) in kcal/min.

( REE: resting e nergy e xpenditure bzw . Ruheenergie-verbrauch). I n der en glischsprachigen L iteratur w erden die B egriffe »physical ac tivity le vel« (PAL) und »physical activity ratio« (PAR) verwendet. Die P AL er rechnet sich aus dem Verhältnis von 24-h-Energieverbrauch zu Ruhe-energieverbrauch (s. unten).

1.2 · Erfassung der Ernährung, Essverhalten und Essstörungen117

⊡ Abb. 1.3. Beispiel eines Fragebogens zur körperlichen Aktivität bei Kindern und Jugendlichen

A

1.

Interview mit dem Kind / Jugendlichen:

Wieviel Stunden hast Du Dich während der letzten Wochen körperlich belastet (Sport, körperliche Arbeit) ?

Stunden in der vergangenen WocheStunden in den letzten 4 Wochen

2. Bist Du Mitglied eines Sportvereins ?

3. Treiben Deine Eltern regelmäßig Sport ?

Vater:Mutter:

4. Wie verbringst Du Deinen Tag ?

Stunden / Tag

Schlafen:Schule / Kindergarten:Spielen:Sport:Fernsehen:Lesen:

5. Bist Du in letzter Zeit krank gewesen ?

6. Nenne 3 Deiner Lieblingssportarten (aktiv)

B

1.

Interview mit den Eltern:

Einstufung des Kindes:

inaktiv

mäßig aktiv(z. B. gelegentlich Schwimmen und Fahrradfahren)

aktiv(z. B. 3 ×/ Woche 30 - 60 Minuten Sport)

sehr aktiv(z. B. > 4 ×/ Woche ≥ 60 Minuten Sport)

2. Welches ist die Lieblingssportart (aktiv) des Kindes ?

3. Welches ist die Lieblingssportart (aktiv) der Eltern ?

Vater:Mutter:

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