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140 G. LOSSE und W. ZONNCHEN Bd. 636 DIE FORMYLGRUPPE, EINE OXYDATIV ENTFERNBARE SCHUTZGRUPPE FUR PEPTIDSYNTHESEN von GUNTER LOSE und WERNER ZONNCHEN Aus dem Institut fur Organische Chemie der Universitat Halle/Saale Eingegangen am 23. Mai 1960 Die Formylgruppe kann von Aminosauren und Peptiden leicht und ohne Beein- trachtigung der optischen Aktivitat auf oxydativem Wege abgetrennt und so als N-terminale Schutzgruppe fur Peptidsynthesen verwendet werden. Fast alle heute bei Peptidsynthesen als N-terminale Schutzgruppen verwendeten Reste lassen sich nur solvolytisch oder reduktiv abspalten. Es ist jedoch erwiinscht, Gruppen verfugbar zu haben, deren Abtrennung auf prinzipiell anderen Wegen moglich ist, urn so eine groBere Auswahl und Selektivitat bei der Abspaltungsreak- tion zu erreichen. Versuche, schutzende Reste von Aminosauren und Peptiden mit Oxydationsmitteln abzutrennen, haben J. KOLLONITSCH, V. GLBOR und A. HAJOS 1) an der Phenylthiocarbonyl- sowie TH. WIELAND und B. HEINKE~) an der Pyruvoyl- Gruppe unternommen. In der Formylgruppe, iiber deren Verwendung bei Peptidsynthesen in andereni Zusammenhang berichtet wurde3. "), fanden wir nun eine Schutzgruppe, die sich leicht und ohne Komplikationen von Aminosauren und Peptiden durch Oxydation ab- trennen 1aBt. Als geeignetes Oxydationsmittel erwies sich 15-proz. waiBriges Wasser- stofperoxyd, wenn es in zwei- bis dreifachem UberschuB zwei Stunden bei 60" auf das Formylderivat zur Einwirkung gelangt. Der Formylrest wird dabei, wahrschein- lich uber die Stufe der Carbaminsaure, in etwa 80-proz. Ausbeute abgetrennt: R -NH-CHO + H202 -- + R-NH-CO2H ~ + R-NHztC02 Wir haben, ausgehend von den entsprechenden N-Formyl-aminosauren nach der Carbodiimidmethodej), eine Reihe von Formyldipeptiden synthetisiert, die dann auf dem geschilderten Wege in die freien Peptide iibergefuhrt wurden. Eine Beein- trachtigung der optischen Aktivitat des Endproduktes konnte nicht beobachtet werden. Diese Arbeitsweise bietet neben neuen methodischen Moglichkeiten den Vorteil, daB in waBrigcr Losung gearbeitet undso die Schutzgruppe bequem auch von hoheren, in organischen Solventien unloslichen Peptiden abgetrennt werden kann. 1) J. KOLLONITSCH, A. HAJOS und V. GABOR, Chem. Ber. 89, 2288 (1956); J. KOLLONITSCH, 21 Tu. WIELAND uncl B. HEINKE, Angew. Chem. 69, 362 (1957). 3) J. C. SHEEHAN und D.-D. H. YANG, J. Amer. chem. SOC. 80, 1154 (1958). 4) S. G. WALEY und J. WATSON, Riochem. J. 57, 529 (1954). 5) .I. C. SHEEHAN und G. P. HF.SS, .I. Amer. chem. SOC. 77, 1067 (1955). V. GABOR und A. HAJOS, ebenda 89, 2293 (1956).

Die Formylgruppe, eine oxydativ entfernbare Schutzgruppe für Peptidsynthesen

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140 G. LOSSE und W. ZONNCHEN Bd. 636

DIE FORMYLGRUPPE, EINE OXYDATIV ENTFERNBARE SCHUTZGRUPPE FUR PEPTIDSYNTHESEN

von GUNTER LOSE und WERNER ZONNCHEN

Aus dem Institut fur Organische Chemie der Universitat Halle/Saale

Eingegangen am 23. Mai 1960

Die Formylgruppe kann von Aminosauren und Peptiden leicht und ohne Beein- trachtigung der optischen Aktivitat auf oxydativem Wege abgetrennt und so als

N-terminale Schutzgruppe fur Peptidsynthesen verwendet werden.

Fast alle heute bei Peptidsynthesen als N-terminale Schutzgruppen verwendeten Reste lassen sich nur solvolytisch oder reduktiv abspalten. Es ist jedoch erwiinscht, Gruppen verfugbar zu haben, deren Abtrennung auf prinzipiell anderen Wegen moglich ist, urn so eine groBere Auswahl und Selektivitat bei der Abspaltungsreak- tion zu erreichen. Versuche, schutzende Reste von Aminosauren und Peptiden mit Oxydationsmitteln abzutrennen, haben J. KOLLONITSCH, V. GLBOR und A. HAJOS 1)

an der Phenylthiocarbonyl- sowie TH. WIELAND und B. HEINKE~) an der Pyruvoyl- Gruppe unternommen.

In der Formylgruppe, iiber deren Verwendung bei Peptidsynthesen in andereni Zusammenhang berichtet wurde3. "), fanden wir nun eine Schutzgruppe, die sich leicht und ohne Komplikationen von Aminosauren und Peptiden durch Oxydation ab- trennen 1aBt. Als geeignetes Oxydationsmittel erwies sich 15-proz. waiBriges Wasser- stofperoxyd, wenn es in zwei- bis dreifachem UberschuB zwei Stunden bei 60" auf das Formylderivat zur Einwirkung gelangt. Der Formylrest wird dabei, wahrschein- lich uber die Stufe der Carbaminsaure, in etwa 80-proz. Ausbeute abgetrennt:

R -NH-CHO + H202 -- + R-NH-CO2H ~ + R - N H z t C 0 2

Wir haben, ausgehend von den entsprechenden N-Formyl-aminosauren nach der Carbodiimidmethodej), eine Reihe von Formyldipeptiden synthetisiert, die dann auf dem geschilderten Wege in die freien Peptide iibergefuhrt wurden. Eine Beein- trachtigung der optischen Aktivitat des Endproduktes konnte nicht beobachtet werden.

Diese Arbeitsweise bietet neben neuen methodischen Moglichkeiten den Vorteil, daB in waBrigcr Losung gearbeitet undso die Schutzgruppe bequem auch von hoheren, in organischen Solventien unloslichen Peptiden abgetrennt werden kann.

1 ) J . KOLLONITSCH, A. HAJOS und V. GABOR, Chem. Ber. 89, 2288 (1956); J. KOLLONITSCH,

21 Tu. WIELAND uncl B. HEINKE, Angew. Chem. 69, 362 (1957). 3 ) J. C. SHEEHAN und D.-D. H. YANG, J. Amer. chem. SOC. 80, 1154 (1958). 4) S. G. WALEY und J. WATSON, Riochem. J . 57, 529 (1954). 5 ) .I. C. SHEEHAN und G . P. HF.SS, .I. Amer. chem. SOC. 77, 1067 (1955).

V. GABOR und A. HAJOS, ebenda 89, 2293 (1956).

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1960 Die Formylgruppe, Schutzgruppe fur Peptidsynthesen 141

B E S C H R E I B U N G D E R V E R S U C H E *

1. DL-Akanyl-glycin Formyl-DL-alanin. - DL-Alanin wurde nach V. DU VIGNEAUD, R. DORPMANN und H. S.

LO RING^) mit absol. Ameisensiiure/Acetanhydrid formyliert. Schmp. 149". C4HgNO3 (118.0) Ber. C 40.67 H 6.78 N 11.86 Gef. C40.92 H 6.52 N.11.97

Formyl-DL-alanyl-glycinathylester. - Formyl-DL-alanin wurde mit Glycinathylester nach der Carbodiimidmethode3) zum Formyldipeptidester vereinigt (Ausbeute 54 % d. Th.). Nach dem Urnkristallisieren aus Essigester/Petrolather : Schmp. 88.5 -89".

CgH14N204 (202.1) Ber. C 47.56 H 6.93 N 13.86 Gef. C 47.49 H 7.18 N 14.13

Das verwendete N.N'-Dicyclohexyl-carbodiimid IieR sich nach E. SCHMIDT~) unter Ver- wendung von Toluol als Losungsmittel gewinnen. Sdp.11 154- 156".

Formyl-DL-alanyl-glycin. - Zur Verseifung wurde der Formyldipeptidester in wenig k h a n o l aufgenommen, 1 Stde. bei Zimmertemperatur rnit 0.34 n B a ( O H / 2 stehen gelassen und die Losung mit der aquiv. Menge In H2.504 neutralisiert. Ausbeute 83 % d. Th. an Formyldipeptid. Nach dem Umkristallisieren aus Wasser und Methanol/Essigester : Schrnp. 123 - 125".

C6H14N204 (174.1) Ber. C 41.38 H 5.75 N 16.09 Gef. C 41.13 H 5.89 N 15.98 DL-Alanyl-glycin. - Zur Entfernung der Formylgruppe wurde das Formylpeptid rnit

15-proz. waBrigem Wasserstoffperoxyd (Molverhaltnis 1 :3) 2 Stdn. auf 60" erwarmt. An- schlieBend wurde die Losung zur Abtrennung von nicht umgesetztem Formylpeptid 21/2 Stdn. mit Essigester und schlieBlich zur Beseitigung des H2Oz-Uberschusses rnit Ather bis zum negativen Ausfall der KJ-Reaktion im KUTSCHER-STEUDEL-Apparat extrahiert. Nach dern Eindampfen der waBrigen Phase i. Vak. lieB sich das Forrnylpeptid in etwa 80-proz. Ausbeute rein gewinnen.

C5H10N203 (146.1) Ber. C 41.13 H 6.85 N 19.19 Gef. C 40.98 H 6.89 N 19.17

Sauert man das Reaktionsprodukt vor der Essigesterextraktion mit Salzsaure bis zum pH-Wert 2-3 an, so gewinnt man in annahernd gleicher Ausbeute das Dipeptid-hydrochlorid. Schmp. 65 -68" (nach dern Trocknen bei 60" iiber PzO5); Misch-Schmp. rnit authentischem Alanylglycin-hydrochlorid 66 -68".

2. DL-Alanyl-DL-alanin Formyl-DL-alanyl-DL-alaninathylester. - Er wurde nach Lit.)) aus Formyl-DL-alanin und DL-

Alaniniithylester gewonnen (Ausbeute 60 % d. Th.). Nach dem Umkristallisieren aus Essig- ester/Petrolather : Schrnp. 95 -97".

C9H19N204 (216.1) Ber. C 50.00 H 7.40 N 12.96 Gef. C 49.78 H 7.61 N 12.97

Die Verseifung des Formyldipeptidesters und die Abspaltung der Formylgruppe wurde wie beirn Alanylglycin ausgefiihrt.

* ) Alle Schrnelzpunkte sind korrigiert. 6 ) V. DU VIGNEAUD, R. DORFMANN und H. S. LORING, J. biol. Chemistry 98, 577 (1932). 7) E. SCHMIDT, F. HITZLER, E. LAHDE, R. HERBECK und M. PEZZATI, Ber. dtsch. chem.

Ges. 71, 1933 (1938).

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142 G. LOSE und W. ZONNCHEN Bd. 636

Formy~-DL-u~uny~-DL-u~unin. - Ausbeute 90% d. Th.; nach dem Umkristallisieren aus Wasser oder Athanol/Essigester : Schmp. 161 - 163".

C7H12N204 (188.1) Ber. C 44.68 H 6.38 N 14.89 Gef. C 44.68 H 6.47 N 14.83

DL-Ahnyl-DL-utunin. - a) Isolierung als freies Peptid: Ausbeute 70% d. Th.; RF = 0.581 (Propanol/Wasser = 4: 1, aufsteigend).

C ~ H ~ ~ N L O ~ (161,l) Ber. N 17.50 Gef. N 17.11

b) Isolierung als Peptid-hydrochlorid: Ausbeute 89 % d. Th.; Schrnp. 98- 102" nach dem Trocknen iiber P205 bei 60"; Misch-Schmp. mit authentischem Alanylalanin-hydrochlorid

C6H12N203.HCI (196.5) 98- 102".

Ber. C 36.67 H 6.61 N 14.24 Gef. C 36.79 H 6.68 N 13.94

3. DL-Alanyl- DL-leucin

Im folgenden wurde bei den einzelnen Stufen wie beirn DL-Alanylglycin und DL-Alanyl-

Formy[-DL-uhyt-DL-teucinathylester. - Ausbeute 50 % d. Th., Schmp. 11 8". alanin verfahren.

C12H22N204 (258.1) Ber. C 55.83 H 8.53 N 10.85 Gef. C 55.90 H 8.59 N 10.80

Formyl-DL-ulunyl-DL-leucin. - Ausbeute 84 % d. Th., Schrnp. 192- 193".

C10H18N204 (230.3) Ber. C 52.18 H 7.82 N 12.18 Gef. C 52.26 H 7.89 N 11.95

DL-dunyl-DL-leucin. - Ausbeute 70% d. Th., Schmp. 240". RF = 0.73 (Propanol/ Wasser = 4: 1, aufsteigend). - Isolierung als Peptid-hydrochlorid: Schmp. 178-181".

C9HlsN203.HCI (238.5) Ber. N 11.73 Gef. N 12.04

4. Glycyl-L-volin

Formylglycin wurde nach E. FISCHER und 0. WARBURG~) gewonnen. Schmp. 149- 151". Formyl-glycyl-~-valinathylester3~. - 01; Ausbeute 87% d. Th.; [ci]$,O = -14.3" (c = 2.97

in Athanol).

C ~ O H ~ ~ N Z O ~ (230.1) Ber. C 52.17 H 7.82 N 12.17 Gef. C 52.15 H 7.99 N 12.22

Formyl-glycyl-L-vulin. - Ausbeute 87% d. Th., Schrnp. 244-247", = +12.9" (c =

0.96 in Wasser). CsH14N204 (202.1) Ber. C 47.52 H 6.96 N 13.86 Gef. C 47.93 H 7.47 N 13.60

Glycyl-L-valin. - RF = 0.807 (Propanol/Wasser = 4: 1, aufsteigend). - Isolierung als Peptid-hydrochlorid: Ausbeute 75 % d. Th., = -6.2" (c = 2.46 in 1 n HCI).

C ~ H ~ ~ N Z O ~ . H C I (210.5) Ber. N 13.24 Gef. N 13.00

5 . L- Vulyl-glycin Formyl-L-din. - Die Formylierung von L-Valin wurde nach Lit.6) und E. FISCHER'))

vorgenornmen. Ausbeute 83 % d. Th., Schmp. 152-153", [a]$,O = $17.0" (c = 5.37 in Wasser). --

8) E. FISCHER und 0. WARBURG, Ber. dtsch. chem. Ges. 38, 3997 (1905). 9) E. FISCHER, Ber. dtsch. chem. Ges. 39, 2320 (1906).

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1960 Die Formylgruppe, Schutzgruppe fur Peptidsynthesen 143

Formyl-~-valyl-glycinathylester3). - Ausbeute 82 % d. Th., Schmp. 154", [a]$ = -50.8" (c = 1.10 in 70-proz. Athanol).

Formyl-~-valyl-glycin3). - Ausbeute 81 % d.Th., Schmp.219-221", [a]&2 = -48.8" (c = 1.20 in 70-proz. Athanol).

~-Valyl-glycin. - RF = 0.835 (Propanol/Wasser = 4: 1, aufsteigend). - Aufarbeitung als Peptid-hydrochlorid: Ausbeute 80 % d. Th., Schmp. 144- 147" (nach dem Trocknen uber P205 bei loo"), [a]&0 = + 42.8" (c = 1.21 in 1 n HCI).

C7H14N203.HCl (210.5) Ber. N 13.29 Gef. N 13.34

6. L-Phenylalunyl-glycin

Formyl-L-phenylalanin. - Die Formylierung von L-Phenylalanin wurde nach Lit.6) sowie E. FISCHER und W. SCHOELLER~~) ausgefiihrt. Schmp. 167", [a]L0 = +74.8" (c = 0.25 in Wasser).

Formyl-~-phenylalanyl-glycinathylester3). - Schmp. 130-131", [a]'," = + I 1 2 (c = 1.23 in Athanol).

Formyl-~-phenylalanyl-glycin3). - Schmp. 204-205", [a]&] = +14.8" (c = 1.40 in 0.5 n NaOH).

L-Phenylulanyl-glycin. - RF = 0.854 (Propanol/Wasser = 4: 1, aufsteigend) . - Aufarbei- tung als Peptid-hydrochlorid: [a]&2 = $71.8" (c = 0.48 in 1 n HCI).

CllH14N203.HC1(258.6) Ber. N 10.77 Gef. N 11.00

7. Glycyl-L-leucin

Formyl-glycyl-L-leucin. - Es wurde durch Formylierung6) von Glycyl-r-leucin 11) gewon- nen. Schmp. 148-149", [a]&O = +34.6" (c = 0.18 in Wasser).

C9H16N204 (216.1) Ber. C 49.99 H 7.41 N 12.93 Gef. C 49.78 H 7.03 N 13.20

Durch oxydative Entfernung der Formylgruppe, wie oben beschrieben, lieB sich das Peptid in 80-proz. Ausbeute in Form seines Hydrochlorides zuruckgewinnen. Schmp. 183 - 185", [a]F = - 15.8" (c = 0.44 in 1 n HCI).

CsH17N~03.HCI(225.5) Ber. N 12.47 Gef. N 12.20

10) E. FISCHER und W. SCHOELLER, Liebigs Ann. Chem. 357, 1 (1907). 1 1 ) E. FISCHER und J. STEINGROEVER, Liebigs Ann. Chem. 365, 167 (1909).