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Die Geister von Gol

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Nr. 16Die Geister von GolDie Großen des Gol werden übermächtig, je länger Du zögerst! Diese Botschaft treibtPerry Rhodan zur Eile - und an den Rand des Verderbensvon Kurt Mahr

Was versteht ein Wesen, das offenbar unsterblich ist, unter dem Begriff »bald«? Perry Rhodan weißes nicht dieletzte Botschaft des Unbekannten, die ihm bei der Expedition in die Vergangenheit des Planeten Ferrol in dieHände fiel, sagt nichts darüber aus, wie »bald« er, Perry, sich der nächsten Prüfung unterziehen muß, um dasGeheimnis des ewigen Lebens zu erlangen.Der Chef der Dritten Macht weiß aber, daß die neue Prüfung, die ihn erwartet, alles bisher Erlebte weit in denSchatten stellen wird. Auch wenn den beiden Arkoniden das Risiko bereits zu grob zu werden beginnt, ist PerryRhodan zum Durchhalten entschlossen - und nur diese Entschlossenheit kann die Expedition retten, als sie aufDIE GEISTER VON GOL stößt ...

Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Kommandant der STARDUST II und Chef der Dritten Macht.Reginald Bull, genannt Bully - Rhodans Freund und Vertrauter.Thora und Crest - Die beiden einzigen Überlebenden einer Raumexpedition des arkonidischen Imperiums.Tanaka Seiko - Sein mutiertes Gehirn spricht auf elektromagnetische Vorgänge an.Captain Chaney - Der Kommandant einer »Kaulquappe«.Major Deringhouse - Er begleitet Rhodan bei den »Ausflügen« auf die Oberfläche des Planeten GOL.Wuriu Sengu - Er ist der »Späher« unter Rhodans Mutanten.

1.

»Kommandant an alle Kaulquappen! Machen SieIhre Fahrzeuge startbereit! Start erfolgt um 9.20Bordzeit. Ich wiederhole ...«

Rhodans harte Stimme, von denInterkomempfängern in die Gänge des gewaltigenSchiffes geschleudert, zerriß die Ruhe, die die Kugelder STARDUST II ein paar Stunden lang erfüllthatte.

Es war eine trügerische Art von Ruhe gewesen,unter deren Oberfläche die Nervosität gebrodelthatte, vielleicht auch die Angst, aber ganz sicher dieGewißheit, daß man sich in Dinge eingelassen hatte,die des Menschen Gehirn nicht mehr zu begreifen inder Lage war. Noch nie war den fünfhundert Mannder STARDUST-Besatzung so klar gewesen wie inden vergangenen Tagen und Stunden, in welchaußergewöhnlichem Maße Wohl und Wehe desganzes Schiffes nur an den Fähigkeiten eineseinzigen Mannes hingen: Perry Rhodan.

Viele von den fünfhundert wußten nicht, worum esbei Rhodans Aktionen ging. Rhodan hatte es nicht fürnötig gehalten, sie darüber aufzuklären, und deshalbwaren Gerüchte entstanden, wurden zunächstbelächelt, durch noch haarsträubendere überbotenund schließlich doch geglaubt.

Rhodans neuer Befehl bedeutete neue Aufregungfür zweihundert Männer der Besatzung. Abernachdem sie die nervösen Stunden unsicheren

Wartens bis zur Neige ausgekostet hatten, wollten siesich lieber kopfüber in die größte aller Aufregungenstürzen, als noch eine einzige Minute länger zuwarten.

Kaulquappen waren die acht Beiboote derGOOD-HOPE-Klasse, die die STARDUST II anBord trug. Niemand erinnerte sich mehr, wer denNamen aufgebracht hatte. Jetzt war er da und zurgeläufigen Kodebezeichnung derSechzig-Meter-Schiffe geworden.

*

Die Startklar-Meldungen kamen prompt. Rhodansaß im Pilotensitz des großen Kommandostandes undhörte dem Bordinterkom mit unbewegtem Gesichtzu. Es sah aus, als interessiere ihn das Gerede nicht;aber nachdem die achte Meldung eingelaufen war,beugte er sich über das Mikrophon und befahl:

»Fliegen Sie nach den Daten IhrerSteuerautomatiken. Halten Sie Ihr Schiff imjeweiligen Zielgebiet in Wartestellung, und suchenSie den Raum nach Strukturveränderungen ab.Halten Sie alle Strukturtaster ständig besetzt, undgeben Sie sofort Meldung, wenn sich eineVeränderung des Raum-Zeit-Gefüges bemerkbarmacht! Start zur vereinbarten Zeit. Ende.« Mit einerharten, abrupten Handbewegung schaltete er denInterkom aus. Der Sessel knirschte, als er mitbeachtlichem Schwung herumfuhr.

Außer ihm war nur Reginald Bull in der Zentrale,

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Kamerad auf dem ersten Flug zum Mond der Erdeund jetzt immer noch Kamerad, auf dem Weg insUnbekannte.

Bull versuchte ein Lächeln, aber es wurde nur einGrinsen. Fröhlichkeit stand niemandem gut zuGesicht in diesen Tagen.

»Was erwartest du?« fragte Bull. »FremdeSchiffe?«

Rhodan sah ihn eine Weile nachdenklich an. Dannschüttelte er heftig den Kopf und stand auf.

»Nein, keine Schiffe«, antwortete er.Bull wartete. Er wartete so lange, bis er wußte, daß

Rhodan von sich aus keine weitere Erklärung gebenwerde.

»Was dann, in drei Teufels Namen?« fragte ergrob. »Soll ich raten, oder willst du es mir liebersagen?« Rhodan blieb ernst. »Ich erwarte eineStrukturerschütterung«, antwortete er. »Wie siehervorgerufen wird, weiß ich nicht. Der Mann, hinterdem wir herlaufen, kann das Raum-Zeit-Gefügeverändern, wie es ihm beliebt.«

Bull lachte. Es klang nicht sehr lustig.»Der Mann!« spottete er. »Ich möchte ihn gerne

sehen. Wahrscheinlich hat er eine Energiespirale anStelle eines Schädels und zwei Zeitmaschinen an derStelle, an der ich meine Arme habe.«

»Wir werden ihn zu sehen bekommen«, sagteRhodan ruhig. »Dann werden wir wissen, ob ertatsächlich eine Spirale hat.« Bull sah ihn von untenherauf an. »Glaubst du das wirklich? Ich meine ...«

»Ja, ich glaube es!« unterbrach Rhodan ihn. »Ichbin nicht der Narr, der sich wider seine Überzeugungin ein tödliches Abenteuer stürzt.«

Bull murmelte etwas, was Rhodan nicht verstand.Dann fragte er:

»Und unsere Kaulquappen sollen feststellen, inwelcher Gegend der Raum erschüttert wird, nichtwahr?«

»Genau!«Bull schwieg eine Weile, dann nahm er einen

neuen Anlauf.»Hör zu, Chef! Du hast in der Vergangenheit -

welch ein verrückter Gedanke: zehntausend Jahre inder Vergangenheit! - einen Metallzylinder erbeutet,ihn geöffnet und das zu entziffern versucht, was erenthielt. Du bist überzeugt davon, daß du richtiggelesen hast. Du hast gelesen: >Der, der den Wegfinden will, kann noch umkehren. Will er aber gehen,so sei ihm gewiß, daß ihm nicht mehr geholfen wird.Bald wird der Raum erschüttert werden ...< und wasweiß ich sonst noch alles.

Daraufhin läßt du dich ein paar Tage lang vonniemand mehr sehen, treibst die große Positronik biszur Weißglut und kommst schließlich mit der Ideezum Vorschein, du müßtest alle Beiboote in denRaum hinausschicken und nach der

Raumerschütterung Ausschau halten lassen.Wenn man bedenkt, daß wir keineswegs sicher

sein können, ob die Übersetzer bei derartkomplizierten Aufzeichnungen einwandfrei arbeiten,meinst du dann nicht auch, daß wir uns in etwaseingelassen haben, womit wir nicht fertig werdenkönnen?«

Rhodan hatte ihm aufmerksam zugehört. Bull warernst geworden, und Rhodan wußte, daß er eineernsthafte Antwort erwartete.

»Nein, Bully«, sagte Rhodan leise undeindringlich. »Ich bin überzeugt, daß wir es schaffenwerden.«

Bulls Gesicht verwandelte sich von einer Sekundezur anderen. Der Mund verzog sich, und der Kopfmit den roten Haarborsten senkte sich kampfeslustig.

»Dann komm her und sage es auch den anderen!«knurrte er. »Welchen anderen?«

»Wer an Bord dieses Schiffes würde sich erlauben,gegen deine Anweisungen zu opponieren - außer denbeiden Arkoniden?«

*

Für Captain Chaney war dieser Flug einezwiespältige Angelegenheit. Captain Chaneybefehligte Kaulquappe Nr. 5. Um 9.20 Uhr Bordzeitwar er mit den sieben anderen Kaulquappenzusammen von Bord der STARDUST gestartet, hattein seiner Steuerautomatik die von KommandantRhodan eingegebenen Kurswerte vorgefunden undwar nach diesen Werten bis zu einer Positiongeflogen, die nicht mehr als eine AstronomischeEinheit von der Bahn des fünfzehnten Wega-Planetenentfernt war.

An dieser Stelle hielt er befehlsgemäß sein Schiffan und begann zu warten. Zunächst hatte er geglaubt,daß sich in den nächsten Stunden etwas tun würde;aber die Stunden waren vergangen, und nichtsgeschah, außer, daß sich der fünfzehnte Planet derWega, der bei Ankunft der Kaulquappe nicht weiterals fünfzig Millionen Kilometer entfernt gewesenwar, sich um ein paar Millionen Kilometer weiterdavongerollt hatte.

Captain Chaney hatte sich hingelegt und zuschlafen versucht; aber das war ihm nicht gelungen.Er stand wieder auf, setzte sich an seinen Platz undstarrte mit brennenden Augen auf dieAnzeigeschirme der optischen Geräte und derStrukturtaster.

Captain Chaney hatte noch nicht oft Gelegenheitgehabt, mit einem solchen Schiff zu fliegen. Erkannte es zwar in- und auswendig, aber dieseKenntnis rührte mehr von einer intensivenHypnoschulung her als von der anschaulichen Praxis.

Chaney hatte einige Kreuzflüge im irdischen

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Sonnensystem unternommen, und allein das war eineschwere seelische Belastung für ihn gewesen,nachdem er anderthalb Jahre zuvor noch als FirstLieutenant auf einem Überschalldüsenjäger geflogenwar und geglaubt hatte, daß es noch Jahrzehntedauern würde, bis der Mensch mit seinenfeuerspeienden Raketen wenigstens den Mars und dieVenus erreicht haben würde.

Es gab daher Augenblicke, in denen er zu träumenglaubte. Es gab Minuten, in denen er sich einzuredenversuchte, daß alles nicht wahr sei, was er erlebte.Dann schrillte ein Warnsignal, oder ein Ortungsgerätmeldete sich summend und mit blitzenden Lampen -und er glaubte wieder an die Wirklichkeit. Ich bin einTräumer, dachte er müde. »Ortung anKommandant!« bellte die harte Stimme.»Unbekanntes Objekt aus null-eins-acht Gradhorizontal, zwo-sechs-sechs Grad vertikal.«

Chaney fuhr auf. Auf der Skaleneinteilung unterdem Zentralschirm schob er die Marke auf 18 Grad Hund 266 Grad V. Der Schirm flirrte und kam wiederzur Ruhe. Im Zentrum zeigte sich ein gleißenderPunkt. Er veränderte seine Helligkeit in regelmäßigenAbständen. »Was ist das?« fragte Chaney rauh.»Nicht auszumachen, Sir.«

»Geschwindigkeit?«»Dreiundzwanzigtausend Meter pro Sekunde, Sir.

Kommt auf uns zu.«»Geringster Abstand?«»Dreitausend Kilometer, Sir, in etwa vierzig

Minuten!«Chaney wartete. Dreitausend Kilometer war eine

geringe Entfernung, wenn man sich im freien Raumbefand. Aus dreitausend Kilometer sollte manerkennen können, was das für ein Ding war, das sichda mit veränderlicher Helligkeit durch den Raumtrieb.

Vierzig Minuten waren eine lange Zeit. Chaneyspähte sich die Augen wund; aber sein Bildschirmarbeitete nicht genau genug, als, daß er die Umrissedes Objektes hätte ausmachen können. Dafür meldetesich der Orter: »Falscher Alarm, Sir. Es ist einSchiffswrack aus der Zeit der Topsid-Invasion, einFerrol-Schiff, Sir.« Chaney fühlte sich betrogen. »InOrdnung«, sagte er müde. Dann stand er auf.»Leutnant Forge, übernehmen Sie meinen Posten!Ich gehe schlafen. Ich glaube, es wird noch eineWeile dauern, bis wir etwas wirklich Interessantes zusehen bekommen.«

*

Rhodan verschaffte sich mit einer herrischenHandbewegung Ruhe.

»Fangen wir von vorn an!« sagte er bitter undverteilte seinen Ärger gleichermaßen auf Crest und

Thora. »Sie kamen mit einem Forschungskreuzer,wahrscheinlich dem letzten, den Arkon auf die Beinezu bringen imstande war, in diesen Sektor derGalaxis, um hier nach jener geheimnisvollen Welt zusuchen, auf der Sie das Rätsel der permanentenZellerhaltung gelöst zu finden hofften.

Ihre Expedition schlug zunächst einmal fehl; aberauf Umwegen und trotzdem wahrscheinlich nicht viellangsamer, als Sie es selbst bewerkstelligt hätten,näherten Sie sich mit uns zusammen wiederum demZiel.

In der Gruft unter dem Roten Palast von Thortafanden wir Hinweise. Wir haben eine MengeAnstrengungen unternommen, um ihnennachzugehen, und haben neue Hinweise gefunden.Wir kommen dem Ziel schrittweise näher, und jetztwollen Sie plötzlich aufgeben! Warum?«

Das Wort zuckte wie ein Peitschenschlag. Bull, derin der Nähe saß, fuhr zusammen. Er erinnerte sichnicht, Rhodan jemals so zornig erlebt zu haben wie indiesen Minuten.

Crest antwortete nicht. Er hielt den hohen,schmalen Kopf gesenkt und starrte zu Boden. Thorawar in ihrem Sessel ein wenig nach vorne gerücktund sah Rhodan an. Aus ihren roten Augen leuchteteFeindseligkeit.

»Ich will Ihnen sagen, warum«, fuhr Rhodan etwasruhiger nach einer Weile fort. »Sie haben Angst!«

Crests weißhaariger Schädel fuhr hoch.»Und wenn das so wäre?« fragte er leise. »Halten

Sie es für feige, in einer Situation wie dieser Angstzu haben?«

»Ja«, antwortete Rhodan, »und ich will Ihnensagen, warum: Sie haben geglaubt, das Geheimnisdes ewigen Lebens sei irgendwo in der Galaxis billigzu haben. Ihnen war gesagt worden, irgendeinebisher unbekannte Zivilisation habe das Rätsel gelöstund werde froh sein. Ihnen die Lösung verraten zudürfen.

Es stellt sich heraus, daß dem nicht so ist. DieLeute, die das Geheimnis der Zellerhaltung, kennen,wissen es zu behüten. Wer es von ihnen erfahrenwill, muß sich mit ihnen raufen nach ihrenSpielregeln.

Weil Sie aber nach zehntausendjährigerGewöhnung glauben, es müsse Ihnen alles in denSchoß fallen, möchten Sie jetzt gern aus dem Spielaussteigen. Eines Tages, wenn wir mehr Zeit haben,will ich Ihnen die Fabel vom Fuchs erzählen, dem dieTrauben zu sauer waren.

Im Augenblick kann ich Ihnen nur sagen, daß esIhnen freigestellt ist, ob Sie das Ende unserer Aktiondraußen im Freien in Sicherheit abwarten oder ob Siemit uns kommen wollen.«

Thora sprang auf. Reginald Bull hielt den Atem an.Er kannte Thoras Impulsivität, und einen Augenblick

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lang sah es so aus, als wolle sie Rhodan an den Halsfahren. Sie machte ein, zwei Schritte auf ihn zu.Dann blieb sie stehen und ließ die Schultern sinken.»Barbar!«

Rhodan nahm ihrer Wut die Wirkung, indem er zulachen anfing.

»Wenn es barbarisch ist, die Notwendigkeit zuerkenne?, und kultiviert, feige zu sein, dann möchteich allerdings lieber ein Barbar bleiben.« Crest standebenfalls auf. »Sie werden uns ein paar StundenBedenkzeit zugestehen«, sagte er ernst. »Die Sacheist es wirklich wert, daß man sich den Kopf darüberzerbricht. Ich werde mich mit Ihren Argumentenauseinandersetzen, Rhodan.«

»Ein paar Stunden«, antwortete Rhodan, »habenSie nur dann Zeit, wenn unsere Boote sich nichtfrüher melden.« Crest nickte. Dann verließ er mitlangsamen Schritten den Raum. Thora zögerte.

»Sind Sie vielleicht schon mit dem Nachdenkenfertig?« fragte Rhodan spöttisch.

Da wandte sie sich ab und lief hinaus. Hinter ihrglitt die automatische Rolltür zischend in dieVerriegelung.

*

Captain Chaney erwachte von einem Geräusch,das er noch nie zuvor gehört hatte. Mit einiger Müheund der Hilfe zweier Tabletten war es ihm gelungeneinzuschlafen, und im Augenblick hatte er keineAhnung, wie lange er geruht hatte.

Er stand auf und hielt den dröhnenden Kopf unterden Wasserspender in seiner Kabine. Während ihmdas Wasser in die Ohren rauschte, begann derInterkom zu plärren:

»Kommandant an alle! Kommandant an alle! DasSchiff befindet sich in höchster Alarmbereitschaft!«

Chaney prustete sich das Wasser aus dem Gesichtund stürmte aus der Kabine.

In der Zentrale stand Leutnant Forge und hatte dasMikrophon immer noch vor dem Mund.

»Was ist los?« schrie Chaney. »Warum wecktmich niemand?«

Forge bewies, daß er eine straffe Schulunggenossen hatte. Er sagte seinen Rundspruch zu Ende,dann legte er das Mikrophon zurück und standstramm.

»Starke Strukturveränderungen in unmittelbarerNähe, Sir. Nach meiner Meinung muß eine ganzeFlotte Fremder Schiffe aus der Transition gekommensein.«

»Konnten Sie sie orten?«»Nein, Sir, bis jetzt noch nicht.« Chaney erinnerte

sich, daß ihn ein unbekanntes Geräusch aus demSchlaf gerissen hatte. Jetzt war es nicht mehr zuhören.

»Was war das für ein Lärm vorhin?« wollte erwissen.

Forge zuckte mit den Schultern und machte einratloses Gesicht.

»Das weiß ich nicht, Sir. Offenbar ist dieSchiffshülle in Vibration geraten.«

»Die Schiffshülle in Vibration!« schrie Chaney.»Haben Sie keine Schutzschirme angelegt?«

»Doch, Sir!«»Dann warum, zum Donnerwetter ...«Es riß ihn fast von den Beinen. Die Zentrale

begann zu schwanken, und das Material, aus dem dieWände gebaut waren, ächzte in den Fugen. Auf derSchalttafel des Kopiloten gab es einen zuckendenBlitz, dem eine schwarze, stinkende Qualmwolkefolgte. Das Geräusch der Explosion konnte man nichthören, weil die Außenwandung des Schiffes zudröhnen angefangen hatte.

Chaney erkannte das Geräusch wieder. Es hatte ihngeweckt.

Auf schwankenden Beinen ging er zu seinem Sitzhinüber und verband sich mit dem Orter. »Was gibtes?« schrie er. »Starke Strukturveränderungen innächster Nähe, Sir!« krächzte die Stimme aus demEmpfänger.

»Bringen Sie heraus, wo sich die Veränderungenbemerkbar machen, und liefern Sie mir eine genaueEntfernungsangabe!«

Der Spuk verschwand so schnell, wie ergekommen war. Das Schiff beruhigte sich. DasDröhnen hörte auf, und Chaney konnte wieder geradeauf den Beinen stehen. Er ging zum Sitz desKopiloten hinüber und untersuchte die Schalttafel.

Die Explosion hatte ein Meßinstrument in tausendTeile zerrissen und nichts als ein fausttiefes Loch inder Plastikplatte zurückgelassen.

»Was für ein Instrument war das?« fragte Chaney.Forge kam heran. »Die Anzeige des kleinenStrukturtasters, Sir.«

Chaney unterdrückte die aufsteigende Panik. Wasmußten das für Gravitationsstöße sein, die einenStrukturtaster zum Durchbrennen brachten!

Er wandte sich ab und befahl dem Funkoffizier,ein Hypergespräch nach Ferrol vorzubereiten.

Bevor er jedoch sprechen konnte, kam eine neueMeldung des Orters.

»Die Richtung ist null-null-acht Grad horizontalund eins-acht-neun Grad vertikal, Sir. Entfernungvier Komma drei Astronomische Einheiten.«

»Können Sie in dieser Gegend etwas ausmachen?«»Ja, Sir. Den vierzehnten Planeten der Wega!«Chaney hatte plötzlich den Eindruck, daß das

Hypergespräch ungeheuer dringend sei. Er fuhrseinen Funkoffizier an, er solle sich beeilen.

*

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»Wir hätten Sie gerne gesprochen«, sagte Crest einwenig zaghaft und blieb im Schott stehen, damit essich nicht sofort wieder schloß. Rhodan nickte.»Kommen Sie herein!« Sein Zorn war längstverraucht. Er empfand Mitleid mit Crest und mitallen, die so waren wie er. JahrtausendelangeBequemlichkeit hatte die Arkoniden vergessenlassen, wie man über seinen eigenen Schatten springt.Sich in eine Sache einzulassen, deren Ausgang nichtvon vornherein völlig sicher war, erschien ihnenebenso närrisch, wie sich einen voll dosiertenNeutronenstrahl durch den Kopf zu schießen, um zusehen, ob man das überstand.

Hinter Crest betrat Thora die Zentrale.Rhodan saß vor einem Meßtisch und starrte auf

den Metallzylinder, den er bei seiner Aktion in derVergangenheit erbeutet hatte. Bisher hatte es keinAnzeichen dafür gegeben, daß der Zylinder außerdem, was man ihm schon entnommen hatte, nocheinen weiteren Hinweis barg. Aber Rhodan zweifeltenicht daran. Der lange, gewundene Weg zur Welt desewigen Lebens wäre zu Ende, wenn der großeUnbekannte keine weiteren Angaben machte.

Rhodan drehte sich mitsamt seinem Sessel um undsah den beiden Arkoniden aufmerksam entgegen.Crest blieb unschlüssig stehen.

»Setzen Sie sich doch!« lächelte Rhodan amüsiert.»Das ist ebenso Ihr Schiff, wie es meines ist. FühlenSie sich zu Hause!«

Crest setzte sich. Er schien sich überwinden zumüssen, denn es dauerte eine Weile, bis er den Kopfhob und zu sprechen anfing.

»Wir haben uns die Sache überlegt«, begann er.Weiter kam er nicht. In diesem Augenblick

geschahen nahezu gleichzeitig ein paarüberraschende Dinge, die es für die nächsten Stundenziemlich bedeutungslos machten, was Crest und wieer es sich überlegt hatte.

Der kreisrunde Raum füllte sich mit singendemDröhnen, das die Ohren taub machte, und Rhodanerhielt einen so kräftigen Stoß in den Rücken, daß eraus seinem Sessel hochtaumelte.

Er wirbelte herum, die Waffe schon halb gezogen,und erstarrte mitten in der Bewegung.

Der Metallzylinder auf dem Meßtisch hatte zuglühen begonnen. Er strahlte ein weißlichblauesLicht aus, das mit keinerlei Wärmeemissionverbunden zu sein schien, denn die Tischplatte nahmkeinen Schaden.

Immerhin war das Licht so intensiv, daß Rhodandie Hand vor die Augen heben und zwischen denFingern hindurchschauen mußte.

Verwundert nahm er wahr, daß der Zylinderoffenbar seine eigene Materie zerstrahlte. Er wurdezusehends kleiner, und als das letzte StückchenMetall verschwunden war, erlosch auch das Licht.

Rhodan ließ die Hand sinken und versuchte,Zwischen den tanzenden Kreisen hindurchzusehen,die ihm die überreizte Netzhaut vorgaukelte.»Bully!«

»Ja, Chef?«»Tanaka! Ruf ihn an! Er soll sofort herkommen!«Bull reagierte schnell und zielbewußt. Wenn der

strahlende Zylinder überhaupt irgendeinen Eindruckauf ihn gemacht hatte, dann war es ihm nichtanzumerken.

Bull sprach ins Interkom-Mikrophon, als derHyperempfänger sich durch helle Summtönebemerkbar machte. Mit zwei mächtigen Sätzen standRhodan vor der Schalttafel und regulierte aufEmpfang. »Kommandant! Sprechen Sie!«

»Kaulquappe fünf an Kommandant, CaptainChaney am Apparat. Starke Strukturveränderungenim Gebiet des vierzehnten Planeten, Sir. Kommenstoßweise. Sie sind so kräftig, daß ich Mühe habe,das Boot aufrecht zu halten.«

»Irgendwelche anderen Beobachtungen?«»Nein, Sir. Wir können nichts erkennen, was für

diese Strukturschwankungen verantwortlich seinkönnte.«

»In Ordnung. Ich danke für die Meldung. Ende!«Er fuhr herum. »Tanaka! Wo ist er?«

»Kommt.«Rhodans Blick glitt zu Crest und Thora hinüber,

die der Schreck in ihren Sesseln festgenagelt hatte.Crest starrte mit leeren, weit geöffneten Augenimmer noch auf den Meßtisch, auf dem derMetallzylinder seine Substanz in weißblauem Lichtzerstrahlt hatte, und Thora hielt beide Hände vor dasGesicht geschlagen und rührte sich nicht.

Das Schott rollte zur Seite. Der da hereinkam, warTanaka Seiko, einer von Rhodans fähigstenMutanten. Radioaktive Einwirkung hatte einen bisherungenutzten Teil seines Gehirns in der Weiseaktiviert, daß er elektromagnetische Strahlung damitempfangen und ihren Sinn entziffern konnte, wennsie moduliert war wie zum Beispiel Radiowellen. Inden letzten Tagen und Wochen hatte sichherausgestellt, daß Tanakas sensitivierter Gehirnteilnicht nur auf elektromagnetische Vorgänge, sondernauch auf andere, übergeordnete ansprach.

Tanaka kam hereingetaumelt. Er schien sich mitletzter Kraft auf den Beinen zu halten. Sein Gesichtwar blaß, um so intensiver brannte die rote Narbe aufder Wange.

»Verstanden, Tanaka?« fragte Rhodan hart.Der Japaner nickte. Rhodan zeigte auf einen

Sessel. »Setz dich! Und erzähle!«»Jemand sagte ...«, stammelte Tanaka, »... Sie

sollten jetzt kommen. Dann war die Rede von einerWarnung. Ja, ich verstand: >Bedenke die Warnung!Dort, wo die Erschütterung geschieht, mußt du

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suchen.<«Er machte eine Pause und atmete tief, um der

Erschöpfung Herr zu werden. Dann fuhr er fort:»Weiter wurde gesagt: >Komm aber nicht ohne

das obere Wissen! Niemand wird dir helfen, nur derBerg wird für dich pulsieren.<«

Rhodan nickte und ließ mit mechanischerHandbewegung das Band zurücklaufen, auf dem erTanakas Aussage aufgenommen hatte. Er hörte sichein zweites Mal an, was der Japaner gesagt hatte, undstand auf.

»Jetzt komm«, murmelte er, »aber bedenke dieWarnung! Dort, wo die Erschütterung geschieht,sollst du suchen. Komm aber nicht ohne das obereWissen! Niemand wird dir helfen, nur der Berg wirdfür dich pulsieren.«

Eine parapsychische Nachricht, demMetallzylinder eingeprägt, den Rhodan in derVergangenheit erbeutet hatte, und in dem Augenblickwieder abgestrahlt, den der große Unbekannte für denrichtigen hielt.

Man muß sich in acht nehmen, dachte Rhodanbitter, daß man nicht den Verstand verliert.

Hinter sich hörte er Tanaka schnaufen. DasGeräusch lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Er sahBull an, der immer noch wartend neben demBordinterkom stand. Unsicher streckte er die Handaus und hob das Mikrophon ab.

Rhodan nickte und nahm das Gerät.»Kommandant an alle! Das Schiff startet in dreißig

Minuten. Bis fünf Minuten vor dem Start sind alleGefechts- und Orterstände besetzt. Ich erbitteStartklar-Meldungen von den einzelnenAbschnittschefs.

Die Majore Deringhouse und Nyssen halten ihrebeiden Raumjägergeschwader ausschleusbereit.

Ab sofort hat das Schiff Alarmstufe eins!«Dreißig Minuten vergingen wie im Fluge. Crest

machte ein paar Ansätze, etwas zu sagen, aberRhodan wehrte ab und bat ihn um Geduld. Rhodanselbst ermittelte den Kurs. Der Rechenautomatenthielt in seinem Speicher die Bahn- undGeschwindigkeitswerte aller Planeten desWegasystems. Rhodan fragte ab und erhielt inSymbolen arkonidischer Mathematik eineKursgleichung, die zum Einschub in dieSteuerautomatik fertig präpariert war.

Rhodan machte die Automatik startbereit undnahm die Meldungen entgegen, die von deneinzelnen Stationen des gewaltigen Schiffesnacheinander eintrafen.

Major Deringhouse war der letzte, der seineMeldung abgab. Er rasselte sie herunter, dann fragteer in persönlicherem Ton: »Darf man erfahren, wases gibt?«

»Vierzehn«, antwortete Rhodan knapp. »Wir

wollen ihn uns ansehen!«»Vierzehn!« schnappte Deringhouse. »Das

Ungestüm?« Rhodan nickte. »Das Ungestüm.«Minuten später hob die STARDUST II ab. Dergewaltige Kugelkörper mit seinen achthundertMetern Durchmesser warf einen schwarzen Schattenüber das Land und verursachte für einen kleinen Teilder Ferrol-Oberfläche eine außerplanmäßigeSonnenfinsternis.

Das Schauspiel dauerte nicht lange. Brüllend undeinen glühenden Schweif ionisierter Atmosphärehinter sich herziehend, entwich das Schiff in denfreien Raum. Für jemanden, der einen Sinn dafürhatte, war es fast unglaublich zu sehen, wie derriesige Ball im Laufe weniger Sekunden zu einemschwarzen Punkt zusammenschrumpfte und einenAtemzug später völlig verschwunden war.

In der Zentrale des Schiffes überflog Rhodan dieLichtkontrollen der Steuerautomatik. Sie blinkten inder richtigen Reihenfolge und der gewünschtenFarbe.

Die Kursfunktion enthielt keine Unstetigkeit, eineTransition war nicht geplant. Der Flug würdeeinhundertzehn Minuten dauern.

Rhodan erinnerte sich, daß Crest etwas hatte sagenwollen. Er sah den Arkoniden fragend an. »HattenSie nicht irgendein ...« Crest unterbrach ihn lachend.Zum erstenmal seit langer Zeit lachte er wirklich.

»0 ja, Rhodan, ich hatte ein Anliegen. Wir wolltenIhnen sagen, daß wir uns die Sache überlegt habenund auf jeden Fall mitkommen wollen.«

Rhodan machte ein verblüfftes Gesicht.»Richtig! Zuvor waren Sie sich nicht ganz im

klaren, ich erinnere mich.«Thora stand auf. In ihrem Gesicht zuckte es - eine

Mischung aus Zorn und Heiterkeit.»Ich frage mich nur«, sagte sie gehässig, »was aus

uns geworden wäre, wenn wir uns anders entschiedenhätten!«

»Welch ein Glück«, antwortete Rhodan lächelnd,»daß Sie es nicht getan haben.«

2.

Der vierzehnte Planet der Wega war einAmmoniak-Methan-Riese vom Typ des Jupiter. Inseiner Nähe hatte Rhodan mit der GOOD HOPEdamals, als die Topsiderinvasion begann, denFerronen Chaktor aus den treibenden Trümmerngefischt, die die Topsider von der ferronischenVerteidigungsflotte übriggelassen hatte.

Der Gigant hatte den dreifachen Durchmesser desJupiter - also 434000 Kilometer - und im Gegensatzzu Jupiter eine ungeheure Dichte. Die Angaben derferronischen Astronomie wiesen dieOberflächengravitation mit mehr als 900 g aus. Ein

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Mensch auf der Oberfläche des gewaltigen Planetenwürde mehr als sein neunhundertfaches Gewicht zutragen haben.

Rhodan hielt diese, Angabe jedoch für übertriebenund ließ sie überprüfen, während sich dieSTARDUST II dem Planeten näherte. 900 gOberflächengravitation würde bedeuten, daßEinzelaktionen der acht Beiboote oder gar derRaumjäger über der Methan-Ammoniak-Weltunmöglich waren. Die Beiboote konnten 500 gneutralisieren. Wenn die Gravitation stärker war,mußten sie die Triebwerke zu Hilfe nehmen, und daswiederum verringerte ihre Beweglichkeit.

Der Planet war ein Monstrum in jeder Beziehung.Fernortungen ergaben, daß über dem eigentlichenKern - er mochte fest oder flüssig sein - eineAtmosphäre von nahezu zwanzigtausend KilometernHöhe lagerte. Die Druckverhältnisse auf derOberfläche überstiegen demnach alles, wasmenschliche Hochdrucktechnik jemals ausgedachtund durchgeführt hatte.

Als die STARDUST II sich dem Planeten bis aufeine Astronomische Einheit genähert hatte, erhieltRhodan die Ergebnisse der Gravitationsmessungen.Auf der Oberfläche des Planetenungeheuersherrschten 916 g. Die Ferronen hatten recht behalten.

Daraufhin gab Rhodan seinen Kaulquappen, denacht Beibooten, den Befehl, sich auf Ferrolzurückzuziehen und dort den Verlauf der Dingeabzuwarten. Seine höchsten Offiziere und die beidenArkoniden bat er zu einer Besprechung in dieZentrale.

*

Jedermann, der geglaubt hatte, Rhodan werde sichin eine Diskussion einlassen, sah sich getäuscht. Erstand vor seinen Offizieren und gab seineEntschlüsse bekannt.

»Das Unternehmen ist riskant«, sagte er mit harterStimme, »darüber sollten wir uns keinen Illusionenhingeben. Wir laufen Gefahr, unser Schiff zuverlieren.

Auf der anderen Seite sollten wir uns vor Augenhalten, was bisher in dieser Angelegenheit geschehenist. Wir haben es mit einem Wesen zu tun, das seineGeheimnisse nur dem anvertrauen möchte, den esdieser Geheimnisse für würdig hält.

Die Wahrscheinlichkeit, daß uns etwas Ernsthafteszustößt, ist meines Erachtens gering. Man schickteinen Kandidaten nicht in eine Mutprobe, damit erdarin umkommt Aber wir werden uns vorsehenmüssen. Der Unbekannte gibt an, daß wir uns aufunsere eigenen Kräfte verlassen müssen. Ich zweiflenicht daran, daß unsere Kräfte denjenigen gewachsensind, mit denen wir es auf diesem Planeten zu tun

haben werden, ganz gleich welcher Art sie auchimmer sein mögen.«

Er machte eine Pause und wartete aufWiderspruch. Es gab keinen.

»Ein paar technische Einzelheiten müssenbesprochen werden«, fuhr er fort. »Wir brauchenFahrzeuge, mit denen wir uns auf der Oberflächebewegen können. Diese Fahrzeuge müssen einenDruck von fünfzigtausend Atmosphären ertragenkönnen und gegen eine Gravitation vonneunhundertsechzehn g neutralisiert sein. BedenkenSie, daß die Sicherheit der Insassen von derSorgfältigkeit abhängt, mit der dieseSchutzmaßnahmen getroffen werden.

Wir haben ein paar Stunden Zeit, um alle dieseDinge fertigzustellen. Dann wird es unwiderruflichernst Ich danke Ihnen.« Dann waren sie wiedergegangen. Nur Thora und Crest blieben zurück,außerdem Bull, dessen Platz ohnehin in der Zentralewar.

»Bedenken Sie, was Sie da tun?« fragte Crest.»Er bedenkt nie etwas!« fuhr Thora dazwischen.

»Er tut es einfach, und meistens hat er Glück.«»Ich bedenke alles«, antwortete er Crest. »Ich

setze ein Schiff ein, um dem Geheimnis des ewigenLebens näherzukommen. Glauben Sie nicht, daß esmehr wert ist als dieses Schiff?«

»Das schon«, gab Crest zu. »Aber was nützt unsdas Geheimnis, wenn wir auf diesem Ungeheuer dortfestsitzen?«

»Festsitzen? Eines unserer Beiboote wird unsabholen können, wenn ...«

»abholen? Gegen eine Gravitation vonneunhundertsechzehn g?«

»Na schön, es wird ein schwieriges Manöver. Aberdas Boot besitzt eine Fernlenkung, so, daß nichteinmal ein Robot der Schwerkraft ausgesetzt zuwerden braucht. Wir dagegen ...«

»Wir dagegen«, zischte Thora, »haben vielleichtfünf oder sechs gesicherte Fahrzeuge für fünfhundertLeute, wenn wir das schaffen. In jedes Fahrzeugpassen zwanzig oder auch dreißig Mann. Und dieübrigen?«

»Die übrigen«, antwortete Rhodan spröde,»brauchen sich um das Abgeholtwerden keineGedanken mehr zu machen. Ist es das, was Sie hörenwollten?«

Thora antwortete nicht mehr. Rhodan schlug in dieBresche.

»Im übrigen haben Sie mir gerade vor einer Stundeversichert, daß Sie weiter an dem Unternehmenbeteiligt sein wollten. Soll das alles heißen, daß Siees sich inzwischen wieder anders überlegt haben?«

»Nein, Sie Hartschädel!« knurrte Crest grimmigund stapfte hinaus.

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*

»Wir sollten ihn Gol nennen«, sagte Reginald Bullnachdenklich. »Wen?«

»Den da«, antwortete Bull und wies mit derflachen Hand auf den Bildschirm, über den dieStürme der obersten Atmosphäreschichten tobten.»Gol ist irgendein abscheulicher Riese der altenSage, nicht wahr?«

»Kann sein«, antwortete Rhodan, in Gedankenversunken.

Die STARDUST II stand achtzehntausendKilometer über dem, was das Mikrowellenlot als dieeigentliche Oberfläche des Planeten ausgab. DasSchiff näherte sich von der Tagseite, und unter derdirekten Einstrahlung des blauweißen SternriesenWega herrschten in der Umgebung der STARDUSTTemperaturen um fünfzig Grad Celsius.

Die Orter hatten die Rotationsperiode des Planetenzu knapp vierzehn Stunden bestimmt. Das bedeutete,daß es auf der schnell rotierenden Oberfläche eineGrenzschicht ununterbrochener Stürme geben würde.Stürme bei einem Druck von wahrscheinlich mehr alsvierzigtausend Atmosphären!

Rhodan versuchte sich das Wesen vorzustellen,das sich eine solche Welt als Schauplatz neuerPrüfungen ausgesucht hatte. Es mißlang ihm.

»Fünfzehn Millionen«, sagte eine unbewegteStimme aus dem Interkom.

Irdischem Sprachgebrauch folgend wurdenEntfernungen an Bord der STARDUST und allerübrigen Schiffe in Metern angegeben, solange es sichnicht um Strecken interstellarer Größe handelte.

Noch fünfzehntausend Kilometer über derOberfläche.

»Windgeschwindigkeit vierhundert Meter proSekunde«, meldete eine andere Stimme.

Bull fing an zu lachen. Es klang nicht mehr lustig.»Windgeschwindigkeiten größer als die

Schallgeschwindigkeit«, murmelte er. »WelcheWindstärke ist das?«

»Zwanzig«, antwortete Rhodan ernsthaft.»Außerdem ist die Schallgeschwindigkeit von demStoff, für den sie angegeben wird und von seinerDichte abhängig. Der Stoff ist einAmmoniak-Methan-Gemisch, und die Dichte ist jetztschon weitaus größer als die der irdischenAtmosphäre. Die Schallgeschwindigkeit wird hieralso wesentlich größer sein als die in Luft beiNormaldruck.«

Bull setzte zu einer Antwort an; aber das Summeneines Warngerätes unterbrach ihn.

Die rote Warnlampe des Strukturtasters glotzte dieImpulsmuster auf dem Oszillographenschirm desTasters an.

Der Oszillograph reagierte auf eineStrukturveränderung des Raumes im allgemeinen miteinem grünen Lichtpunkt, den er auf seinemBildschirm abbildete. Die Lage des Punktes auf demKoordinatennetz des Schirms gab Auskunft darüber,an welcher Stelle des Raumes die Veränderung vorsich gegangen war.

Was Rhodan in diesen Augenblicken zu sehenbekam, war ein waberndes, wirres Muster, das voneinem zentralen Punkt ausging und über den ganzenSchirm verlief. Rhodan konnte diesem Muster keinenSinn entnehmen.

Er wußte, daß der Strukturtaster seine Anzeigenauf ein Bildband aufnahm und dort festhielt. Deshalbnahm er sich Zeit, das seltsame Linienspiel so langezu beobachten, bis es plötzlich wieder verschwand.

Das gekoppelte Chronometer zeigte an, daß derTaster sechzehn Sekunden lang angesprochen hatte.

Rhodan führte ein kurzes Interkomgespräch mitTanaka Seiko; aber Tanaka hatte nichtswahrgenommen. Wenn diese spielerischeStrukturveränderung des Raumes einen deutbarenSinn gehabt hatte, dann lag er in denGravitationsstößen selbst verborgen und war Tanakanicht zugänglich.

Das Spiel war um eine weitere Nuance schwierigergeworden. »Zwölf Millionen«, sagte der Orter.Rhodan entnahm dem Strukturtaster das bespielteBildband und projizierte die Aufnahme. Inzehnfacher Vergrößerung studierte er das Bild, das erzuvor direkt beobachtet hatte, und konnte ihmebensowenig einen Sinn entnehmen wie beim erstenVersuch.

Er ermittelte jedoch die Koordinaten desZentralpunktes und dirigierte die STARDUSTdorthin um. Dabei überquerte sie dieTag-Nacht-Grenze und bewegte sich von nun andurch wirbelnde, stürmische Finsternis.

Die Temperatur jenseits der Schiffshülle war aufeinhundertzehn Grad absolut abgesunken, das sindminus 163 Grad Celsius.

*

»Zehn Millionen!« Im gleichen Augenblick sprachder Strukturtaster von neuem an. Er tat es auf diegleiche Art wie beim erstenmal: Der Elektronenstrahlzog grüne Linien eines sinnlosen Musters über denSchirm, spielte in dieser Weise sechzehn Sekundenlang mit Rhodans Phantasie und erlosch dann.

Nur eines hatte sich verändert: Der Zentralpunktdes Linienmusters lag im Koordinatenursprung. DieSTARDUST stand senkrecht über dem Sender, undder Sender, daran gab es keinen Zweifel mehr,befand sich auf der Oberfläche des Riesenplaneten.

Rhodan verglich die beiden Bildaufzeichnungen

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miteinander. Er hatte keine Zeit, den Vergleichauszuwerten; aber es schien ihm festzustehen, daß diebeiden Muster außer in der Lage ihres Zentralpunktessich nicht voneinander unterschieden.

Das bedeutete, daß die Strukturveränderung desRaumes, die sich unter der STARDUST abspielte,ein gezieltes und nicht etwa ein zufälligesstatistisches Ereignis war. Darauf deutete außerdemhin, daß die Dauer der Veränderung in beiden Fällensechzehn Sekunden betrug. Der Orter meldete sich:»Unter uns ist unübersichtliches Gebiet, Sir. Scheintein Gebirge zu sein. Höhenunterschiede bis zuzwanzigtausend Meter. Das Gelände ist für eineLandung denkbar ungeeignet.«

»Können Sie etwas Günstigeres ausmachen?«»Ja, Sir. Etwa zweihundert Kilometer von unserem

jetzigen Aufpunkt entfernt. Eine spiegelglatte Fläche,wenn die Geräte nicht täuschen.«

»Korrigieren Sie! Aber bleiben Sie so dicht wiemöglich an unserer bisherigen Richtung.«

Der Orter korrigierte in der Weise, daß er dieKoordinaten des neuen Landepunktes ermittelte undin den Programmspeicher der Steuerautomatik gab.In der Zentrale wurde die Ankunft der neuen Datendurch ein Signal angezeigt, und Rhodan, der dieSTARDUST während des schwierigenLandevorganges nur halbautomatisch flog, richteteden neuen Kurs ein.

In eintausend Kilometern Höhe wurde esunerläßlich, den Schirmfeldgeneratoren diehöchstmögliche Leistung zuzuführen. Der Sturm, dermit unvorstellbarer Geschwindigkeit Ammoniak- undMethanmassen vor sich her peitschte, begann denKurs des Schiffes zu beeinflussen. Die riesige Kugelder STARDUST wurde abgetrieben, und nur diehöchste Energiestufe der Schutzschirme vermochtedas Schiff dem Einfluß des Sturmes zu entziehen.

Auf den Bildschirmen machte sich eine seltsameErscheinung bemerkbar. Methan, einer der beidenHauptbestandteile der Atmosphäre dieses Planeten,ist ein leicht ionisierbares Gas. Die fortwährendeIonisation der Moleküle beim Aufprall auf denSchutzschirm hüllte die STARDUST in eineleuchtende Gloriole, die sich wie ein gewaltigerSchlauch hinter ihr herzog.

Der Aggregatzustand der Atmosphäre konnte nichtmehr bestimmt werden. Unter dem gewaltigen Druckbildeten die Ammoniak- und Methanmoleküle einenderart dichten Verband, wie es nur von Flüssigkeitenzu erwarten war. Zur völligen Definition desflüssigen Aggregatzustandes gehört jedoch eineOberfläche, die die betrachtete Flüssigkeit bildet.Diese Oberfläche fehlte der Atmosphäre, und Rhodankam zu der Überzeugung, daß man hier im Gebietüberhoher Drücke und niedriger Temperaturen einenZustand gefunden hatte, der der irdischen

Thermodynamik aus Mangel an experimentellenMöglichkeiten noch unbekannt war.

In der Zwischenzeit hatte der Strukturtaster dreiweitere Male angesprochen. Der Bildschirm zeigtedas gleiche Muster, die Empfangsdauer betrugwiederum sechzehn Sekunden, und mittlerweile hatteRhodan auch festgestellt, daß die Intervalle zwischenden einzelnen Sendungen stets die gleichen waren.Sendungen!

Jemand saß in der Nähe des Berges, von dem derOrter vorhin behauptet hatte, sein Gipfel liegezwanzig Kilometer über Normalniveau, und sendetemit den gleichen Raumverzerrungseffekten, die beider Transition eines Raumschiffes völlig ungewolltauftraten und sich bisher einer Beeinflussung durchden Menschen - man müßte ein neues Wort finden,überlegte Rhodan, man kann nicht alles Menschennennen, was intelligent ist - erfolgreich entzogenhatten. Er sendete nicht nur, sondern er hatte denEffekt zuvor auch noch moduliert, wie das Musterauf dem Oszillographenschirm bewies. Rhodanbegann zu verstehen, warum Crest und Thora ihrenursprünglichen Plan hatten aufgeben wollen. Hierwar eine Macht am Werke, die weit über derarkonidischen stand. »Höhe sechshunderttausend!«

»Außentemperatur fünfundachtzig Grad absolut.«»Der Tag ist angebrochen, Sir, wenigstens nach

unseren Berechnungen. Können Sie etwas davonerkennen?« Rhodan lächelte spöttisch. »Haben Sieerwartet, daß es auf dem Grund eines zwanzigtausendKilometer tiefen Ammoniakozeans strahlendenSonnenschein gibt?«

Andere Meldungen liefen ein. Ihnen allen war dieNervosität anzumerken, die die Männer erfüllte. Esgab kaum einen, der die absolute Fremdartigkeitdieser Welt auf sich einwirken lassen konnte, ohnedavon beeindruckt zu sein. Dazu kam, daß diemeisten Leute der Besatzung keinen direktenAusblick hatten. Die Orterleute und die Leute in denGefechtsständen hatten nur ihre Ortungs- undPeilschirme, auf denen sich konkrete Gegenstände alseinfarbige Punkte, Linien oder Flächen abbildeten.Niemand wußte, wie es draußen in Wirklichkeitaussah.

Rhodan hätte sie trösten können. Auf denSchirmen der Direktoptik breitete sich homogenesSchwarzgrau aus - ohne Konturen, ohne Details.

*

Bull starrte auf den automatischen Kalender.An Bord der STARDUST galt Erdzeit. Rhodan

hatte diese Entscheidung nicht nur ausSentimentalität getroffen, sondern in erster Liniedeshalb, weil auf der STARDUST, die zu weitenFlügen bestimmt war, irgendeine Zeit ebenso

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nützlich und praktisch war wie irgendeine andere.»7. Dezember, 18.20 Uhr«, sagte Bull, und wenn

die leise Wehmut seiner Stimme nicht anzuhörenwar, dann nur, weil die Nervosität sie übertönte. »Umdiese Zeit bin ich ...«

»Vierhunderttausend Meter!«»... um diese Zeit bin ich ...«»Windgeschwindigkeit sechshundertundfünfzig

Meter pro Sekunde, Sir. Hält sich seit zehn Minutenkonstant.«

»... um diese Zeit ...«»Orter an Kommandant: Die Fläche unter uns ist

nicht mehr so glatt wie zuvor, Sir. Ich weiß nicht,woher das kommt.«

»Können Sie Bewegung erkennen?« fragte Rhodanzurück.

»Jawohl, Sir. Es sieht so aus, als wäre aus einerWiese plötzlich ein Meer geworden.«

»Das ist es auch. Auf der Oberfläche des Planetenliegt die Temperatur in der Nähe des Schmelzpunktesvon Methan. Eine geringere Temperaturerhöhunggenügt, und das gefrorene Methan wird flüssig.Machen Sie eine Strukturuntersuchung! Ich willwissen, bis in welche Tiefe das Methan aufgetautist.«

»Jawohl, Sir.« Und kaum eine Minute später:»Zehn Meter unter der bewegten Oberfläche findeich wieder festen Boden, Sir.«

»In Ordnung. Keine Kursänderung!«Bull hatte mit einem melancholischen Seufzer

davon Abstand genommen, zu erzählen, was er umdiese Zeit auf der Erde getan hätte. Er wandte seineAufmerksamkeit den Geräten zu.

Die Kontrollampe der Schutzschirme begann zuflackern. Bull reagierte, bevor Rhodan daraufaufmerksam geworden war.

»Zweiter Pilot an Schirmfeldgenerator. Was ist mitden Schirmen los? Warum geben sie nicht höchsteLeistung?«

»Ist gegeben, Sir!« beschwerte sich der Ingenieur.»Kontrollieren Sie! Die Schirme schwanken.«Rhodan reagierte auf seine Weise. Er verringerte

die Leistung der Triebwerke und ließ dieSTARDUST schneller absinken als bisher. Wenn denSchirmfeldern etwas zustieß, dann wollte er festenBoden unter den Füßen haben. Festen Boden!

*

»Achtung! Schiff setzt auf!« Rhodan stand starrvor der großen Schalttafel des Piloten. Der Automathatte die Aufgabe übernommen, den Untergrund zusondieren und die Triebwerke erst dann abzustellenoder vielmehr ihre Leistung auf den Minimalwert zudrosseln, wenn er die richtige Aufsetzflächegefunden hatte.

Bis zu einer Tiefe von zehn Metern war dasMethan geschmolzen, und darunter beganntrügerischer Boden. Erst in zwanzig Metern Tiefefanden die hydraulischen Standsäulen des Schiffesden Halt, der den Automaten dazu veranlaßte, dieGeneratoren herunterzufahren.

Das Summen, das bisher den riesigen Leib derSTARDUST bis in den letzten Winkel erfüllt und andas sich die Ohren so bereitwillig gewöhnt hatten,erstarb bis auf einen winzigen Rest, und greifbareStille breitete sich aus.

Rhodan hatte die Generatoren mit einerSperrschaltung versehen, die es ihnen unmöglichmachte, auf einen Beschleunigungswert von wenigerals 916 g abzusinken. Mit denSchwerkraftneutralisatoren zusammen hielt dasTriebwerk die STARDUST also auch nach derLandung in schwerelosem Zustand. Die Standsäulenhatten festen Halt gefunden, aber sie brauchten ihnnicht. Rhodan war sicher, daß er das Schiff abhebenkonnte, sobald es ihm beliebte.

Er besetzte die Generatorwache dreifach und gabmit ausreichender Eindringlichkeit zu verstehen, daßvorerst die Sicherheit des Schiffes und seinerBesatzung davon abhänge, ob das Triebwerk injedem Augenblick startbereit sei.

Der Zwischenfall in vierhundert Kilometern Höhehatte ihm zu denken gegeben. Ein paar Augenblickenach Bulls Gespräch mit dem Schirmfeld-Ingenieurwaren die Schirme zwar wieder stabil gewesen, aberübrig blieb doch das Phänomen, daß sie eine halbeMinute lang in ihrer Intensität ohne greifbaren Grundgeschwankt hatten.

Der Ingenieur versicherte, daß an den Generatorenkeine Einstellung verändert worden sei. DieSchirmfeldgeneratoren wurden von einer zentralenSchaltstelle aus bedient, und die Schaltstelle hatte derIngenieur keine Sekunde aus den Augen gelassen. Esgab keine Erklärung für den Zwischenfall.

»Es sieht so aus, als hätte jemand von draußenunsere Schirme angezapft!« meinte Bullnachdenklich. Die Idee war absurd. Aber bei solcherArt von Vorfällen kam man auf absurde Ideen.

*

»Ich möchte Sie bitten, sich mit denAufzeichnungen des Strukturtasters zu beschäftigen«,sagte Rhodan ernst. »Es sieht so aus, als sei in diesenStrukturveränderungen eine Botschaft versteckt.Tanaka Seiko kann nichts damit anfangen. Er spürtnicht einmal etwas. Wir sind also allein auf denStrukturtaster angewiesen.« Crest nicktenachdenklich. »Haben Sie keinen Anhaltspunkt?«fragte er.

Rhodan schüttelte den Kopf. Erst später fiel ihm

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auf, daß dies der Augenblick war, in dem Crest ihnzum erstenmal in einer technischen Angelegenheitum Rat gefragt hatte.

»Nein, nicht den geringsten. Es sei denn, manwollte das, was wir bisher über die Mentalität desUnbekannten wissen, einen Anhaltspunkt nennen.Wollen Sie das?«

»Von mir aus. Aber ich kann nichts damitanfangen.«

Crest starrte verdrießlich auf die schmalenPlastikstreifen der Bildbänder, die vor ihm auf demTisch lagen.

»Und was haben Sie vor?« fragte er schließlich.Rhodan lächelte. »Die Techniker haben einenVersuchswagen fertiggestellt. Er besitzt eineFernsteuerung. Ich will ihn ein wenig draußenherumfahren lassen, und wenn er alles kann, was erkönnen soll, dann werde ich selbst hineinsteigen undmich ein wenig umsehen.«

»Dort draußen?« fragte Crest und deutete mit demDaumen über die Schulter.

»Dort draußen«, nickte Rhodan. Crest schüttelteden Kopf. »Manchmal packt mich ein Schauder,wenn ich Ihre Unternehmungslust zu spürenbekomme. Haben Sie gar keine Angst?«

»Und wie!« versicherte Rhodan grinsend.

*

»Alles in Ordnung, Sir. Der Wagen war dreiStunden lang draußen und ist in dieser Zeit etwafünfzig Kilometer gefahren. Keine Undichtigkeit. DieSchirmfeldgeneratoren funktionieren einwandfrei, dieFernsteuerung ebenfalls. Wenn Sie also unterwegsohnmächtig werden, können wir Sie von hier auswieder nach Haue holen.«

»Danke«, sagte Rhodan lächelnd. Der »Wagen«war ein Ungetüm von einem Fahrzeug. Es war vonvornherein aussichtslos gewesen, ihn etwa als Gleiterzu bauen, der sich über den Untergrund bewegte. Dieextreme Gravitation des Gol - Rhodan hatte denNamen akzeptiert - verbot solche Experimente vonvornherein. Deshalb bewegte sich das Fahrzeug aufRaupen. Die Techniker hatten das Chassis einer derRobot-Arbeitsmaschinen dazu verwandt. Nur etwadreißig Prozent des Fahrzeugvolumens waren reinerNutzraum. Ein kleiner Behälter barg das eigentlicheTriebwerk, und die übrigen nahezu siebzig Prozentnahmen die beiden Schirmfeldgeneratoren ein, diedas Fahrzeug vor der mörderischen Schwerkraftschützten.

Seiner eigenen Sicherheit zuliebe hätte Rhodandem Wagen gerne mehrere Versuchsfahrten gegönnt.Aber bei dieser Aktion war keine Zeit zu verlieren.Der Unbekannte hatte sehr genaue Vorstellungendavon, innerhalb welcher Zeitspanne der, den er für

würdig hielt, seine Rätsel lösen könne, und niemandwußte bisher, welche Zeit er für die Lösung desGol-Rätsels angesetzt hatte.

Bull hatte darauf bestanden, die erste Fahrtmitzumachen; aber Rhodan hatte es ihmabgeschlagen.

»Vergiß niemals, daß du außer mir der einzigeMensch bist, der das gesamte Wissen der Arkonidenbesitzt. Die Menschheit kann es sich nicht leisten,uns beide auf einmal zu verlieren.«

Statt dessen bestimmte er Major Deringhouse undden Japaner Tanaka Seiko zu seinen Begleitern.

Der Raupenwagen wurde aus der untersten, beieiner normalen Landung bodennahen Schleuse derSTARDUST ausgefahren. Rhodan steuerte ihn selbst.Der Bildsucher, nach dem er sich orientierte, war miteinem Ultrarotscheinwerfer gekoppelt, dessen scharfgebündelter unsichtbarer Strahl die Finsternis auf derOberfläche des Gol mehr als einen Kilometer weitdurchdrang und dem Fernsehschirm auf diese Weisegestochen scharfe Bilder lieferte.

Major Deringhouse bediente die allgemeineMikrowellenortung, während Tanaka Seiko vorerstals Funker fungierte.

Auf dem Allroundschirm beobachtete Rhodan, wiesich die gewaltigen Tore der Schiffsschleuse hinterdem Raupenwagen schlossen. Flüssiges Methan warinzwischen eingedrungen und hatte sich in derWärme des Schleusenraumes verflüchtigt. Dasgefährliche Gas wurde ausgepumpt und stieg ingroßen Blasen durch den Methansee, durch den derWagen sich seinen Weg zu sicherem Bodenerkämpfte.

Rhodan ließ den Scheinwerfer eine volle Drehungbeschreiben und erkannte, daß der Wagen sich in derTat als Unterseeboot bewegte. Der obere Pol desellipsenförmigen Antigravschirmes hatte noch achtMeter flüssiges Methan über sich.

Rhodan versuchte sich vorzustellen, wasgeschehen würde, wenn die Temperatur derUmgebung plötzlich absänke und das Methan wiedererstarrte.

Aber die Schwierigkeit der Steuerung brachte ihnbald von allen nutzlosen Gedanken ab. Der Bodenunter den Raupen des Wagens war zähflüssig, unddie Raupen faßten nur, wenn das Triebwerk ihnen diehöchste Leistung zuführte. Auf diese Weise bewegtesich das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit vonetwa dreißig Kilometer pro Stunde.

Rhodan hielt in einer Richtung, die nach denmagnetischen Messungen an Bord der STARDUSTals Süden definiert worden war. Im Süden erhob sichdas Gebirgsmassiv, in dem der Sender seinen Sitzhaben mußte, der die unverständlichen Muster aufden Bildschirm des Strukturtasters zeichnete.

Nach etwa einer Viertelstunde begann sich der

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Boden zu heben. Die Höhe der flüssigenMethanmasse über dem Raupenwagen nahm ab.Tanaka Seiko gab die erste seiner Routinemeldungenan das Schiff. Sie wurde einwandfrei empfangen undbestätigt.

Ein paar Minuten später tauchte das Fahrzeug ausdem Methansee auf. Die Generatoren heulten, um esüber ein steiles Stück Uferhang auf sicheren Bodenzu bugsieren.

Rhodan hielt an und ließ den Scheinwerfer kreisen.»Sehen Sie sich das an!« sagte er. Er hatte denScheinwerfer angehalten und beleuchtete eine hoheFelsnadel, die einsam aus dem ebenen Geländeaufragte. Sie stand nicht mehr als zweihundert Metervon dem Ufer des Sees entfernt, aus dem der Wageneben aufgetaucht war. Am Fuß betrug ihrDurchmesser etwa fünf Meter. Die Nadel verjüngtesich und lief in nahezu einem Kilometer Höhe zueiner zirkelscharfen Spitze aus.

»Was ist das?« staunte Deringhouse. »Sie bewegtsich, nicht wahr?« Niemand gab Antwort. Die Nadelbewegte sich wirklich. Sie schien in sichzusammenzukriechen. Sie wurde zusehends kleiner,und mit derselben Geschwindigkeit verringerte sichihr Umfang. Rhodan sah auf die Uhr.

Nach knapp sechs Minuten war die Nadelverschwunden. Wo zuvor ein pompöses Felsgebildegestanden hatte, dehnte sich jetzt glitzernde Ebenebis zum Beginn des Gebirgsstockes in etwa zwanzigKilometern Entfernung. Rhodan fuhr wieder an.»Was war das?« stöhnte Deringhouse. Rhodan lachteihn an. »Ein Eiszapfen«, sagte er über das Singen derMotoren hinweg.

Deringhouse starrte ihn verständnislos an.»Gefrorenes Methan«, erklärte Rhodan. »Es sieht

aus wie ein normales Stück Fels. Aber wenn dieTemperatur über den Schmelzpunkt von Methanansteigt, dann verschwindet es langsam. Wenn Siegenau hingesehen hätten, hätten Sie die Methanbächegesehen, die nach allen Seiten davonliefen.«

Eine halbe Stunde später hatten sie die Vorbergeerreicht. In der Zwischenzeit waren ihnen noch eineReihe anderer Felserscheinungen begegnet, die vorihren Augen verschwanden.

Die Natur war in Bewegung. Nach RhodansAnsicht gab es in der näheren Umgebung nichts, wasnicht aus gefrorenem Methan oder Ammoniakbestand und damit nicht der deformierendenAuswirkung geringfügiger Temperaturveränderungenunterworfen war.

Rhodan begriff, welche Schwierigkeiten einesolche Umwelt für die Orientierung derjenigen bot,die sich in ihr bewegen mußten. Hier war das Fahrennach Koordinaten das einzig Sichere. Rhodan ließTanaka eine entsprechende Meldung an dieSTARDUST II geben.

Die Frage war, woraus das Gebirge bestand, indem der geheimnisvolle Sender seinen Sitz hatte. Eswar unwahrscheinlich, daß sich ein solch riesigesGebilde spontan aus Massen gefrorener Atmosphäreformte. Man mußte annehmen, daß dort ein Teil derwahren Gol-Oberfläche aus dem Eis hervorragte undein Stück Gelände schuf, das der ständigenWandlung weitaus weniger unterworfen war.

»... nur der Berg wird für dich pulsieren!«Rhodan erinnerte sich an den letzten Satz der

seltsamen Botschaft, die Tanaka Seiko übersetzthatte.

Man nannte nichts einen Berg, was nicht inWirklichkeit einer war.

Der Raupenwagen schwang langsam und mitmahlenden Ketten um einen niedrigen Vorhügelherum. Die Hänge des Hügels warfen das typischeUltrarotfunkeln zurück, das Rhodan bisher überallbemerkt hatte: Eis und Schnee.

Hinter dem Hügel gab es eine Strecke ebenenGeländes; aber dahinter stieg nahezu senkrecht eineFelswand auf, die alles andere als einladend wirkte.Offenbar gab es weder einen Einschnitt noch eineLücke. Die Wand war kompakt, und Rhodan begannnach einem Weg zu suchen, wie er das Hindernisumgehen könnte.

Er schwenkte den Scheinwerfer und drosseltegleichzeitig die Geschwindigkeit des Wagens. Einpaar hundert Meter weit glitt der Lichtkegel desScheinwerfers über die Wand dahin, dann war erplötzlich verschwunden.

Rhodan stutzte und wiederholte das Spiel vonneuem. Langsam wanderte der Lichtkegel über dieWand und beleuchtete Schrunde, Risse und dieüblichen Unebenheiten eines Felsgebildes.

Dann, nur um ein Grad weiter geschwenkt, erloschdas Licht. Es hatte kein Anzeichen dafür gegeben,daß die Wand an dieser Stelle zu Ende war und derStrahl des Scheinwerfers bis an das Ende seinerReichweite in die graue Gol-Nacht hineinlief.

Die Wand war noch da, der Scheinwerferzeichnete sich auf ihr nicht mehr ab.

Rhodan hatte keine Zeit, verblüfft zu sein. Daskleine Fusionsaggregat, aus dem der starkeScheinwerfer seine Energie bezog, fing plötzlich anzu summen. Rhodan beugte sich nach vorn, um zusehen, was geschehen war. Aus der Verbindungzwischen dem Aggregat und der Scheinwerfertasteauf dem Schaltbrett zischte eine handlanger blauerFunke. Der Gestank verbrannter Isolation füllte einpaar Augenblicke lang das Innere des Wagens undwurde von den Pumpen abgesaugt.

Der Scheinwerfer war völlig erloschen, und aufdem Schaltbrett leuchtete die rote Lampe zum Signal:Scheinwerfer defekt.

Rhodan begriff die Gefährlichkeit der Situation.

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Von jetzt ab war er auf Blindfahrt angewiesen.Deringhouses Orter sprachen auf die Hindernisse ausMethan- und Ammoniakeis, die die größteSchwierigkeit darstellten, nicht viel deutlicher an alsauf die übrige Atmosphäre. Er wendete den Wagen.Deringhouse und Seiko hatten den Zwischenfallaufmerksam beobachtet. Keiner von ihnen schien zubegreifen, in welches Dilemma der Ausfall desScheinwerfers den Wagen versetzte, und Rhodan tatnichts dazu, um sie aufzuklären. Sie würden esohnehin merken, wenn der erste Eisfelsen über ihnenzusammenbrach und sie mit seinen Brockenbombardierte.

3.

»Ich habe keine Ahnung, wie man das entziffernsoll«, sagte Crest mißmutig und schaltete denBildprojektor aus. »Der Unbekannte, hinter dem wirdreinlaufen, muß eine verschrobene Art von Humorhaben.« Bull hob die Schultern. »Was wollen Sie? Erhütet ein recht kostbares Geheimnis. Wenn wir eshaben wollen, darf uns die Verschrobenheit seinesBesitzers nicht stören. Wollen Sie es nicht nocheinmal versuchen?« Crest seufzte. Er wollte zuseinem Bildprojektor zurückgehen; aber nach zweiSchritten strauchelte er plötzlich und mußte sich übereinen Sessel werfen, um nicht auf den Boden zustürzen.

Bull hatte den Stand im gleichen Augenblickverloren. Er balancierte mit hochgeworfenen Armenund krachte schließlich mit seinem breiten Rückengegen die Schaltwand der Funkstation.

Alarmsirenen zerrissen die Stille der Zentrale.»Was war das?« keuchte Bull. Crest waraufgestanden und betrachtete nachdenklich denBoden der Zentrale. Er sah sich um und fand aufeinem der Tische einen kleinen Plastikzylinder,schmal und lang wie ein Bleistift, der als Testsondefür Hohlleitungen diente. Er legte ihn auf den Bodenund drehte ihn hin und her. Schließlich ließ er ihn los.

Der kleine Zylinder setzte sich in Bewegung.Immer schneller rollte er über den glatten Boden undkam erst an der Wand zur Ruhe.

»Ich dachte es mir«, rief Crest. »Das Schiff stehtschief!«

Bull wurde aktiv. Mit fliegenden Fingern bedienteer die Wähltasten des Interkoms und hatte innerhalbzweier Sekunden eine Verbindung mit demSchutzfeld-Ingenieur.

»Ich bin gerade bei der Kontrolle, Sir«, berichteteder Ingenieur hastig und schrie laut genug, so, daßBull ihn über das Heulen der Sirenen hinweg hörenkonnte. »Soviel ich weiß, sind zweiGravitationsgeneratoren leer gelaufen. Die Folgewar, daß der Neutralisationsschirm an einer Stelle

schwächer wurde oder ganz ausfiel. Deshalb sind wirabgesackt!«

»Leer gelaufen?« schrie Bull. »Wollen Sie damitsagen, daß sie jetzt wieder normal arbeiten?«

»Jawohl, Sir!« Bull legte auf. Im gleichenAugenblick erlosch auch das Heulen der Sirenen.Bull ging zum Platz des Piloten und studierte dieAnzeigen. Das Schiff war abgesackt, daran bestandkein Zweifel. Die eine Standsäule war zwanzig Meterweit in den Boden hinein abgerutscht, und die Bödenim Schiff wiesen eine Schräglage von etwas mehr alseinem Grad auf. Die Korrektur machte Bull keineSorge. Von der Schalttafel des Piloten aus konnte erdie Leistung der Triebwerke um so viel verstärken,daß sie das Schiff wieder in die normale Lage hoben,und dann auf die frühere Leistung zurückschalten. Ertat es und stellte fest, daß alles so funktionierte, wieman es erwartete. Der Zwischenfall war nicht mehrals ein Spuk gewesen - ebenso schnell verschwunden,wie er gekommen war.

Seine Unfähigkeit jedoch, eine Erklärung für denAusfall der Generatoren zu finden, machte Bullnervös. Er besaß das gesamte Wissen der Arkoniden,aber selbst damit gelang es ihm nicht, einen Grunddafür zu finden, warum zwei fehlerfrei arbeitendeSchweregeneratoren plötzlich für ein paar Sekundenleer laufen und dann ihre Arbeit wiederaufnehmensollten. Crest sah ihn an. »Sie auch nicht, nichtwahr?« fragte er bedrückt. Bull schüttelte zornig denKopf. »Nein, keine Ahnung!« Der Interkommelderschrillte. »Optik an Kommandant! Übernehmen Siebitte auf Schirmsektor C, Sir. Ich glaube, man solltees sich ansehen.«

Verwundert schaltete Bull den Optikbildschirmein.

Der Schirm leuchtete auf. Dunkelgraues Wabernzog darüber hin. »Ich sehe ...«, begann Bull. Nichts,wollte er sagen; aber in diesem Augenblick sah er esdoch. Es war ein schwach leuchtendes, formlosesGebilde, das sich wie ein Schleier durch die graueFinsternis zog. Es sah aus wie eine helle Rauchfahneoder wie ...

Bull fehlten die Vergleiche; außerdem war esetwas anderes, was ihn an dem leuchtenden Gebildeweitaus mehr beeindruckte.

Dort draußen, wo der helle Fleck umhergeisterte,herrschten Windstärken und Druckverhältnisse, diedas menschliche Gehirn sich nicht mehr ausmalenkonnte. Ein Rauch oder ein Nebel - oder wem auchimmer das Ding dort ähnlich sah - wäre von demunaufhörlichen Sturm in Sekundenschnelle zerrissenund davongetragen worden.

Der Fleck dort draußen jedoch wiegte sich, zogsich in die Länge und schrumpfte wieder zusammen.Von dem Toben der Gol-Atmosphäre schien er nichtim geringsten beeindruckt zu sein.

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Bull starrte den Fleck an, bis er verschwand.»Danke, Optik«, sagte Bull tonlos. »Geben Sie

weiter acht!«Er vermied es, Crest anzusehen. Statt dessen

starrte er vor sich hin auf den Boden.»Ich weiß nicht«, sagte Crest nach einer Weile,

»ob wir uns allzusehr den Kopf darüber zerbrechensollten. Die aerodynamischen Verhältnisse dieserAtmosphäre sind so fremdartig, daß es hier zuallerhand Erscheinungen kommen kann, die wirzunächst für geheimnisvoll und unerklärlich halten,während sie in Wirklichkeit ganz simpel sind.

Das hier könnte zum Beispiel eine etwas exotischeArt einer elektrischen Entladung gewesen sein, einGewitter zum Beispiel.« Bull nickte.

»Ja, natürlich«, sagte er geistesabwesend. »Wennman den leuchtenden Fleck für sich betrachtet. Wennman aber hinzu nimmt, daß ein paar Augenblickezuvor zwei unserer Generatoren einen völligunverständlichen Zirkus vollführt haben, was dann?«.Er winkte ab. »Ich weiß, was Sie sagen wollen: Eskann ein zufälliges Zusammentreffen sein, nichtwahr?

Wissen Sie was? Wir werden warten. Wenn hiermethodische Kräfte am Werk sind, dann werden wirnoch öfter mit ihnen zu tun bekommen. Vorläufigscheinen sie noch nicht genug Energie zu haben, umuns ernsthaft in Gefahr zu bringen.« Er sah auf dieUhr. »Von dem Wagen wäre wieder eine Meldungfällig«, murmelte er.

Sie kam ein paar Augenblicke später.Tanaka Seiko berichtete, daß der

Ultrarotscheinwerfer ausgefallen sei und der Wagenin Blindfahrt seinen Heimweg zu finden versuche.Rhodan bat um Peilimpulse, nach denen er sichrichten könne.

Bull besorgte ihm die Impulse und wandte sich anCrest.

»Gewitter überall«, sagte er ein wenig spöttisch.»Die Blitze schlagen sogar schon in Scheinwerfer!«

*

Der Bildschirm war nahezu überflüssig; trotzdemhatte Rhodan ihn nicht, abgeschaltet. Während er denWagen behutsam in Richtung der Peilimpulsesteuerte, die von der STARDUST herkamen, starrteer, in Gedanken versunken, auf das konturlose Grauder Umwelt.

Er wußte, daß er einen Eisfelsen noch nicht einmaldann würde sehen können, wenn er dicht vor ihmstand. Die Gol-Atmosphäre war zu dicht, als, daß sieselbst den hellsten Sonnenstrahl nicht schon nach einpaar Millimetern Weglänge völlig absorbiert hätte.

»Peilsignale werden schwächer, Sir!« meldeteDeringhouse.

Rhodan kannte den Effekt. Er hielt den Wagen anund stieß ein Stück zurück. Er fuhr so lange, bisDeringhouse meldete, daß die Signale wieder in derüblichen Intensität ankamen.

Dann schwenkte er nach rechts aus und fuhrwieder vorwärts. Der Wagen bewegte sich imSchrittempo. Deringhouse sagte beruhigend:

»Alles in Ordnung, Sir. Wir können weiter.«Es hatte sich herausgestellt, daß die Peilimpulse

empfindlicher auf Hindernisse reagierten alsDeringhouses Ortergerät, das zwischen flüssigem,gasförmigem und festem Methan kaum unterscheidenkonnte. Sobald sich ein Hindernis zwischen dieSTARDUST und den Raupenwagen schob, wurdendie Impulse schwächer. Deringhouse hatte es beimerstenmal übersehen, und Rhodan hatte den Wagen,glücklicherweise mit geringer Geschwindigkeit,gegen einen Eisbrocken gesteuert. Seitdem achteteDeringhouse sehr genau auf die Intensität derImpulse.

Tanaka Seiko saß vor seinem Telekomgerät. Erkonnte die Peilimpulse der STARDUST klarempfangen und sogar die Unterschiede in ihrerIntensität ausmachen, allerdings nicht so exakt wieDeringhouses Meßgeräte.

Das war alles, was Tanaka hören konnte. Außerden Impulsen gab es nur das übliche atmosphärischeRauschen. Sonst gab es nichts. Wirklich nichts?Tanaka fragte sich, ob das eigenartige Summen in derTat nur von den atmosphärischen Störungenherrührte. Störungen waren gewöhnlich wechselnd inihrer Intensität, nach den Gesetzen der Statistikmanchmal stärker, manchmal schwächer.

Diese Schwankungen stellte Tanaka auch hier fest.Aber hinter allem hielt sich in konstanter Stärke daseigenartige Summen.

Er überlegte sich, ob er Rhodan daraufaufmerksam machen solle, als das Summen plötzlichzum Dröhnen anschwoll, das ihm Kopfschmerzverursachte.

Im selben Augenblick fuhr Rhodan auf.Auf dem grauen Bildschirm zeigte sich ein heller

Fleck. Klein und anscheinend kugelförmig im erstenAugenblick, dann jedoch größer und nach allenSeiten zerfließend.

Rhodan brachte den Wagen mit einem harten Ruckzum Stehen. »Sir!« stöhnte Tanaka. »Ja?«

»Ich ... ich empfange etwas. Dröhnen, ziemlichlaut. Mir zerspringt der Schädel!«

»Aushalten!« knurrte Rhodan und starrte auf denhellen Fleck.

Eine Idee kam ihm. Er schob den Ultrarotfilter ausdem Empfangskanal und sah, wie der Fleckverschwand. Er nahm den Filter wieder herein, undder Fleck tauchte wieder auf.

»Ultrarot«, murmelte Rhodan. Ein fahles Leuchten

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mischte sich in die Dunkelheit. Es kam von oben vondort, wo sich die Orterantennen befanden.»abschalten!« schrie Rhodan. Mit einem Faustschlagschaltete Deringhouse den Orter ab. Das Leuchtenwurde augenblicklich schwächer und war nachwenigen Augenblicken ganz verschwunden.

Dafür war der Fleck ein wenig größer und hellergeworden.

»Ihre Antenne hat geglüht«, sagte Rhodan, ohneden Blick vom Bildschirm zu wenden.

Deringhouse gab keine Antwort Eine Antennekonnte nicht glühen. Aber den Effekt auf demBildschirm hatte er selbst gesehen.

»Ich fahre auf ihn zu!« sagte Rhodan mit heisererStimme. »Deringhouse, achten Sie auf diePeilsignale!«

Der Motor begann zu summen, der Wagen rucktean. Meter um Meter näherte er sich dem rätselhaftenLeuchtfleck. Wenigstens erschien es am Anfang so.Von einem gewissen Zeitpunkt ab veränderte derFleck seine Größe nicht mehr. Es sah so aus, alsweiche er in dem gleichen Tempo aus, mit dem derWagen sich ihm zu nähern versuchte.

Rhodan fuhr ein paar hundert Meter weit, dannhielt er an.

»Zwecklos«, brummte er enttäuscht. »Er führt unsan der Nase herum. Vielleicht ist er nur dazu da, umuns in die Irre zu locken. - Deringhouse, welcheRichtung?«

»Nullnullacht Grad Sir.«»Keine Schwierigkeiten?«»Voraussichtlich keine.«»Entfernung?«»Noch zweitausend Meter. Sir.«Diese zweitausend Meter kosteten sie nahezu eine

halbe Stunde.Der Methansee, in den der Wagen schließlich

eintauchte, erschien Rhodan wie ein heimatlicherVorgarten. Mit Elan ließ er das schwerfälligeFahrzeug untertauchen und lenkte es zielsicher aufdie Schleuse der STARDUST zu, in der Bull einenstark strahlenden Scheinwerfer hatte aufstellenlassen.

Als sich die Schleusentore hinter dem Wagenschlossen und die mächtigen Pumpen vorsichtig dasgefährliche Methan gegen atembare Luftaustauschten, hatten sie die Gefahr überstanden.

Ein wenig erschöpft kletterten sie aus dem Wagen,nahmen den Antigravlift nach oben und standen zweiMinuten später in der Zentrale.

*

Rhodan stand mit dem Rücken zu denen, die ihmzuhörten. Das waren Bull, Crest, Thora und diebeiden Majore Deringhouse und Nyssen.

»Ihre Gewitter-Theorie«, sagte Rhodan, »halte ichfür ausgezeichnet, Crest. Allerdings nur ...«, dabeifuhr er auf dem Absatz herum und starrte denArkoniden an, »... um die Mannschaften damit zuberuhigen. Wer sollte wissen, daß wir es hier nichtmit zufälligen Dingen oder Ereignissen zu tunhaben.«

»So!« machte Crest. »Woher wissen wir das?«»Tanaka gibt an«, erklärte Rhodan bereitwillig,

»daß der Leuchtfleck, den wir vom Wagen ausbeobachteten, Hyperstrahlung aussendete. Tanakakann Hyperstrahlung von einfacherelektromagnetischer Strahlung durch die Intensitätseines Kopfschmerzes unterscheiden.

Eine elektrische Energieform, die Hyperstrahlungemittiert, gibt es nicht!«

Er ging ein paar Schritte hin und her. SeineZuhörer folgten ihm mit gespannten Blicken. »Nochetwas«, fuhr Rhodan fort.

»Irgend etwa dort draußen machte mir meinenScheinwerfer zuschanden. Ich hatte den Eindruck,daß die Energie aus dem Aggregat förmlichherausgesaugt wurde. Dabei wurde die Leitungüberbelastet und schmolz durch.

Ein paar Minuten später begegnete uns mitten inder Gol-Einsamkeit ein Leuchtwesen, das ultrarotstrahlte, im gleichen Spektralbereich also wie unserScheinwerfer. Außerdem ...«

»Sind Sie nicht ein wenig voreilig?« fragte Thoradazwischen. »Leuchtwesen! Wollen Sie behaupten,daß diese Dinge Wesen sind?«

»Warten Sie!« bat Rhodan. »Ich weiß noch etwasanderes:

Deringhouse versuchte, das Ding anzupeilen. Erbekam keinen Reflex auf den Bildschirm, aber seineAntenne fing an zu glühen. Ich bin überzeugt, daßwir denselben Effekt wie bei unserem Scheinwerfererlebt hätten, wenn Deringhouse seinen Orter nichtschnell genug abgeschaltet hätte.«

Er stand vor seinen Zuhörern und sah sie der Reihenach an, die Arme auf dem Rücken verschränkt. Alser wieder zu sprechen begann, tat er es mit harter,eindringlicher Stimme.

»Es gibt für alle diese Zwischenfälle, von demFlackern unserer Schutzschirme kurz vor derLandung bis zu dem Glühen von DeringhousesOrtungsantenne, keine vernünftige Erklärung außerder, daß etwas oder jemand auf diesem Planeten dieFähigkeit besitzt, Energie gleich welcher Art in sichaufzusaugen und, daß er von dieser Fähigkeitreichlichen Gebrauch macht.«

Schweigen entstand und hielt eine Zeitlang an. Zulange für Reginald Bull.

»Sollen wir uns«, brach er los, »unter diesemEtwas oder Jemand ein lebendes, vielleicht garintelligentes Wesen vorstellen?« Rhodan lächelte.

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»Das ist eine Frage, mit der wir uns herumschlagenmüssen. Die Antwort läßt sich in ein paar Wortengeben; aber dadurch wird sie nicht leichterbegreiflich.

Tanaka hat festgestellt, daß diese WesenHyperstrahlung von sich geben. Hyperstrahlung kannaber nur der von sich geben, der selbst einemübergeordneten Raum angehört, wenigstensteilweise.

Es wäre ein Frevel wider den Geist derwissenschaftlichen Klarheit, sich unter diesenGebilden etwas vorstellen zu wollen. Wir wissen, daßsie da sind. Wir können sie studieren, wenn es dazuMöglichkeiten gibt, und wenn wir Glück haben, dannwerden wir schließlich in der Lage sein, ihre Existenzmit Symbolen der arkonidischen Mathematik zubelegen. Das ist alles.

Gehen Sie jetzt bitte auf Ihre Posten zurück! Wirwerden einiges zu überlegen und zu rechnen haben.Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald sich etwasWesentliches ereignet.«

Nyssen und Deringhouse standen auf und gingenhinaus. Reginald Bull rührte sich nicht. Crest machteAnstalten aufzustehen; dann ließ er sich seufzendwieder in das Polster sinken. Thora sah Rhodan mitgroßen, roten Augen an.

»Sie sollten auf eines achten«, sagte sienachdenklich. »Sie sprechen Ihren Leuten gegenübervon Wesen, die in einem übergeordneten Raumleben. Ich weiß nicht, ob Ihren Männern, selbst wennsie Majore sind, die Begriffe der Hypergeometrie klargenug ist, daß sie wissen, daß das Wort>übergeordnet< nicht etwa einen Wert angibt.«Rhodan nickte. »Das ist ein guter Hinweis. Ich werdedaran denken.« Er lächelte.

»Und es gibt doch einen Wert an«, sagte er leise,mehr zu sich selbst. »Wir bringen eine Transitionzuwege, wir können Hyperwellen modulieren undmit ihnen senden. Aber wie wir mit einem Wesenumzugehen haben, dessen Heimat ein übergeordneterRaum ist, davon haben wir keine Ahnung. Jemand,der in einem n-dimensionalen Raum existiert,entzieht sich schon allein dadurch dem Zugriffdessen, der in einem n-dimensionalen Raum lebt.«

Crest stand schließlich doch auf. »Also sehen Sieein, daß es vernünftiger ist, diese Expeditionabzubrechen?« Rhodan fuhr herum. »Nein!« sagte erhart. »Das kann ich nicht einsehen, ich bezweiflesogar, daß es vernünftiger ist, wie Sie sagen.«

»Aber was wollen Sie denn noch tun?«Rhodan setzte sich auf die Lehne eines Sessels und

streckte die Hand aus.»Es ist das alte Problem immer noch, Crest«, sagte

er. »Wir stoßen auf etwas Neues. Es erregt unsereNeugierde, und wir versuchen, mehr über das Neuezu erfahren. Es gibt zwei Gründe, die uns zum

Aufhören zwingen können. Entweder der, daß wirschließlich alles erfahren haben, was wir wissenwollen, oder der, daß die Sache lebensgefährlich zuwerden beginnt oder uns gar das Leben schongekostet hat.

Von beiden Fällen ist hier noch keiner eingetreten.Wir werden also weiter versuchen, unsere Neugierdezu befriedigen.« Crest antwortete nicht. »Haben Siedie Aufzeichnungen des Strukturtasters entziffernkönnen?« fragte Rhodan.

»Nein. Ich glaube auch nicht, daß es möglich ist.«»Ist das nicht ein wenig voreilig geglaubt?« Crest

hob die Schultern. »Der Strukturtaster ist ein Gerät,mit dessen Hilfe man Verzerrungen desRaumgefüges wahrnehmen kann - desvierdimensionalen Raumgefüges wohlgemerkt. DerEffekt selbst ist allerdings höherdimensionaler Art,deshalb auch die hoheFortpflanzungsgeschwindigkeit Niemand hat jemalsdaran gedacht, daß man einen solchen Effektmodulieren und regelrecht damit senden könnte, wiees offenbar hier getan wird, und dementsprechend istauch der Strukturtaster nicht als solcher Empfängergebaut.

Sie können mit einem Ofenrohr keine Radarsignaleempfangen, das ist vielleicht ein gutes Beispiel.«

»Doch«, protestierte Rhodan. »Ich muß dasOfenrohr nur entsprechend präparieren!« Crest sahihn überrascht an. »Das soll nicht im Ernst heißen,daß Sie den Strukturtaster ...!«

»Doch. Im Ernst«, antwortete Rhodan. »Ich werdeihn präparieren. Dazu wird vorher allerdings eineMenge Rechenarbeit nötig sein. Vielleicht wollen Siemir dabei helfen?«

*

»Gott schütze die irdische Mathematik!« lachtePerry Rhodan fröhlich. »Die arkonidische ist so weitfortgeschritten, daß sie für eine Hyperschwingungnur einen ganz simplen Ausdruck findet, den mankaum weiter zerlegen kann. Die irdische dagegen tutsich schwer, wenn sie den Vorgang erklären will.Man muß die Formel erst aufbauen, und dabei fällteinem ein, wie man sie für einen übergeordnetenVorgang erweitern muß.«

Crest nickte beifällig, aber ein wenig spöttisch.»Ich wollte, ich wüßte, was Sie meinen!«»Was ist eine Hyperschwingung?« fragte Rhodan.

»Seien wir vorsichtig. Es ist etwas, was aus einemperiodisch veränderten Gravitationsvorgangherauskommt. Wir erzeugen einen veränderlichenGravitationsvorgang, indem wir in einemMikrobeschleuniger hochenergetische Protonen ingewissen Abständen aufeinanderprallen und ihreEnergie neue Teilchen bilden lassen.«

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Er beugte sich über den Tisch, auf dem er seineBerechnungen ausgebreitet hatte. »Sie kennen denFormalismus Ihrer Mathematik, der aus derBeschreibung eines Teilchens nur durch Drehung deshyperkomplexen Koordinatensystems einAntiteilchen macht?«

Crest nickte. Er begann die Idee zu verstehen, undsie machte ihn sprachlos.

»Gut. Dann wissen Sie, daß ich denkonventionellen Mikrobeschleuniger nur mit einemebensolchen Beschleuniger für Antiteilchen koppelnmuß, um ...«

Crest winkte ab. »Hören Sie auf!« rief er. »Undsagen Sie nicht immerfort nur! Wenn Sie IhreTheorie in die Praxis umsetzen können, haben Sie dieganze Physik revolutioniert!«

Rhodan nickte leichthin. »Mag sein. Bis jetzt weißich nur eines: Um genügend Antiteilchen zubekommen, werde ich so viel Energie brauchen, daßich zeitweise unsere Schutzschirme abschalten muß!«

*

Trotzdem riskierte er es. Die Zeit schien zudrängen. Der Strukturtaster wiederholte in stets dengleichen Abständen stets das gleiche Programm.

Aber wie lange reichte die Geduld desUnbekannten noch? Bisher hatte er darauf Wertgelegt, daß seine Kandidaten zur Bewältigung einesProblems nicht mehr Zeit brauchten, als er dafürangesetzt hatte.

Wie lange hatte er die Zeit hier bemessen?Rhodan baute den Mikrobeschleuniger für

Antiteilchen. Dazu brauchte er zwei Tage irdischerZeitrechnung.

In diesen zwei Tagen registrierte die technischeÜberwachung viermal einen Leerlauf des einen oderanderen Schutzfeldgenerators. Der Effekt dauerteniemals länger als zehn Sekunden, und da jedermanndarauf vorbereitet war, konnte die STARDUST vorSchaden behütet werden.

Jedesmal nach einem solchen Leerlauf zeigten sichjedoch auf den Bildschirmen die Lichtflecken, vondenen Rhodan glaubte, daß sie einem übergeordnetenUniversum angehörten.

Am dritten Tag nach dem Beginn der Arbeit wollteRhodan seine Antiteilchen erzeugen. DerMikrobeschleuniger, den der Hypersendergewissermaßen als Schwingkreis verwendete,fungierte gleichzeitig als Speicher. EingeschosseneProtonen wurden auf einer kreisförmigen Bahn überJahre hinaus bei der gleichen Energie erhalten.

Im Prinzip würde Rhodan nur ein einziges Maleinen Strom von Antiteilchen brauchen und seinenneuen Beschleuniger damit ebenfalls jahrelangbetreiben können. Da Antiteilchen jedoch überaus

gerne mit Normalteilchen kombinierten und durchVerstrahlung ihrer Masse verlorengingen, würde derAntibeschleuniger öfter »aufgeladen« werdenmüssen.

»Wenn er uns überhaupt Nutzen bringt ...«,murmelte Rhodan nachdenklich dazu.

Nahezu eine Stunde lang war die STARDUST IIfrei von jedem Schutzschirm außer dem, den dieSchwerkraftneutralisatoren erzeugten. Die Leistungdes Antriebs wurde verringert, und das Schiffverschaffte sich dadurch, daß es etwa fünfzig Metertief in den weichen Untergrund absank, einen etwasfesteren Halt.

Trotzdem war das Unternehmen kritisch. Derriesige Leib des Schiffes bot dem Sturm eine nichtübersehbare Angriffsfläche. Rhodan hatte alle Mannder Besatzung auf Posten geschickt undAnweisungen gegeben, daß sein Versuch sofortunterbrochen werden könne, wenn das Schiffernsthaft in Gefahr sei. Dann wartete er ab. Es warein ungemütliches Warten. Die STARDUST, vonjedem Schutzmantel befreit und zu groß, als, daß derSturm sie hätte übersehen können, schwankte wie einDampfer im Orkan.

Aber die Stunde verging, ohne, daß das Schiffernsthaften Schaden nahm. Ein einziges wertvollesGerät ging zu Bruch, weil es entgegen RhodansAnweisung nicht auf seiner Unterlage befestigtworden war.

Der zweite Mikrobeschleuniger war betriebsbereit.Rhodan und Crest bauten ihn in den Strukturtaster einund wußten, daß der neue Schwingkreis, mit demalten gekoppelt, in der Lage war, zirkulär polarisierteGravitationsstrahlung zu empfangen und auchauszusenden, und damit den Wirkungsbereich desGerätes um eine Dimension erhöhte.

»Wann ist die nächste Sendung fällig?« fragteRhodan. Bull sah auf die Uhr. »In vierzehnMinuten!« Rhodan ließ sich in einen Sessel fallen,zündete sich eine Zigarette an und wartete. »Nochzwei Minuten!« sagte Bull. Rhodan stand auf. DieZigarette verbrannte ihm die Finger. Er warf sie weg.

Als er vor dem Strukturtaster stand, warf er Cresteinen eigenartig lächelnden Blick zu.

»Sie dürfen mich auslachen«, sagte er, »wenn esnicht funktioniert!«

»Eine Minute!« fuhr Bull ungeduldig dazwischen.Das Schott fuhr auf, und Thora kam herein. Ohne

ein Wort zu sagen, setzte sie sich neben Crest undwartete ebenfalls.

»Jetzt müßte es kommen«, meinte Rhodan. Und eskam!

Ein Lichtpunkt zuckte auf dem Schirm desOszillographen, verlief und machte für den Bruchteileiner Sekunde den Eindruck, als wolle er sich in dasgleiche sinnlose Muster verirren, das er nun schon

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hundertmal gezeichnet hatte.Aber dann überlegte er es sich anders. Eine

Sinuslinie bildete sich aus und lief über den Schirm.Sie flackerte einmal, zweimal, dann stand sie starr.Deutlich war die Modulation in feinen,unregelmäßigen Höckern auf der Kurve zu erkennen.

Die sechzehn Sekunden waren im Nu vorbei. DerBildschirm erlosch. Rhodan starrte ihn an, als könneer nicht glauben, was er gesehen hatte. Crest standschwankend auf und kam auf Rhodan zu.

»Es liegt mir nicht«, sagte er ernst, »große Wortezu machen; aber ...«

»Nachher!« unterbrach ihn Rhodan beinahe grob.Für Crest war es erschreckend zu sehen, wie plötzlichund explosiv sich Rhodans Aktivität von neuementwickelte. »Bully! Tanaka Seiko soll sofortherkommen! Crest, helfen Sie mir; wir wollenTanaka diese Sendung vorspielen.«

Der Strukturtaster wurde umgeschaltet. Tanakaerschien und sah staunend zu. Rhodan benutzte dasmit der letzten Sendung bespielte Bildband alsSchablone und zwang den Taster, das gleicheauszustrahlen, was er vor ein paar Minutenempfangen hatte.

»Hören Sie zu, Tanaka!« befahl er dem Japaner.»Sagen sie mir, ob Sie etwas hören können!«

Er schaltete das Gerät ein. Von der ersten Sekundean bestand kein Zweifel daran, daß Tanaka etwasempfing. Er war in seiner charakteristischen, starrenHaltung vornübergesunken und machte denEindruck, als wolle er jeden Augenblick aus demSessel fallen.

Als die sechzehn Sekunden abgelaufen waren,blieb er noch eine Weile so sitzen. Erst ein paarMinuten später ließ er sich in den Sesselzurückfallen, atmete tief und sah sich mit erstauntenAugen um.

»Es war sehr deutlich zu verstehen, Sir«, sagteTanaka schließlich. »Ich habe noch niemals eineBotschaft so klar entziffern können wie diese hier.«

»Was sagt sie?«»Sie sagt: >Wenn du auch dies erfaßt hast, wirst

du auf deinem weiteren Weg zum Berg kommenmüssen. Nur in ihm ist das Licht verborgen. Wartenicht lange. Die Großen des< - hier kommt einName, Sir. Ich kann Namen nicht empfangen, wieSie wissen. Ich weiß aber, daß dieser Planet gemeintist, Sir, auf dem wir uns befinden - also: >DieGroßen des Gol werden übermächtig, je länger duzögerst. Komm niemals ohne das obere Wissen!<«

»Ist das alles?«»Ja, alles, Sir.«»Danke, Tanaka. Sie können gehen!«

4.

»Wenn man bedenkt«, sagte Rhodan ernst, »daßdiese Nachricht schon seit einer Reihe von Tagenausgestrahlt wird, dann sollte man meinen, daß wiruns beeilen müssen.«

Crest schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, ichfühle mich ziemlich unbehaglich dabei.

Was meint er zum Beispiel damit: >Die Großendes Gol werden übermächtig, je länger du zögerst<?«

Rhodan zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.Wir werden es erfahren.«

»Und was ist das obere Wissen?« fragte Thora.»Darüber haben wir uns schon einmal Gedanken

gemacht, nicht wahr? Es könnte sein, daß er dasmeint, was wir Parakräfte nennen.«

*

Rhodan standen drei Raupenwagen von der Sortezur Verfügung, mit der er seinen ersten Ausflugunternommen hatte. Er zögerte nicht, sie alle dreigleichzeitig einzusetzen.

Er verzichtete darauf, die Wagen mit zusätzlichenSchirmfeldern auszurüsten, weil diese Geräte nochmehr Platz eingenommen hätten als dieSchwere-Neutralisatoren. Dagegen legte er Wertdarauf, daß jeder Wagen bewaffnet wurde. JederWagen erhielt also einen Desintegrator mittlererLeistung, einen Neutronen-Strahler und die üblichethermische Impulswaffe. Außerdem wurde in jedesFahrzeug ein schwenkbares Katapult eingebaut, vondem zunächst niemand wußte, welchem Zweck esdiente.

Zu diesem Katapult gehörten offenbar diestarkwandigen Metallbehälter, von denen zwanzig injedem Wagen verladen wurden. Die Techniker gabenan, daß sie flüssigen Sauerstoff und eineZündvorrichtung enthielten, und von da an war jedemder Sinn der Geräte klar.

Sauerstoff und Methan im richtigen Verhältnisgemischt, bildeten ein überaus explosives Gemenge.Jemand, der gezwungen war, sich auf einemMethanplaneten gegen seinen Gegner zu wehren,konnte nichts Billigeres tun, als der Atmosphäre einegehörige Portion Sauerstoff beizumengen und dasGemisch im richtigen Augenblick zur Entzündung zubringen.

Schwierigkeiten machte Rhodan die Besetzung derWagen. Wider seinen Willen entschied er sich dafür,Bull das Kommando des zweiten Fahrzeugs zuübergeben. Was das dritte betraf, so hatte er da einerecht klare Vorstellung; aber obwohl er derKommandant der STARDUST war, wollte er indiesem Fall keinen Befehl geben, sondern lieber eineBitte aussprechen.

»Ich wollte Sie fragen«, sagte er zu Crest, »ob SieIhre Abneigung gegen unser Unternehmen

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überwinden und das Kommando des dritten Wagensübernehmen könnten.«

Crest sah ihn verblüfft an. Dann verzog er dasGesicht zu einem traurigen Lächeln.

»Vielen Dank für Ihren Takt, Rhodan«, antworteteer. »Sie wollten Angst sagen, nicht Abneigung, nichtwahr? Gut, ich komme mit.«

Er schlug in menschlicher Art die Händeklatschend zusammen und rief aus: »Ausgerechnetmich, den harmlosesten aller Arkoniden, sucht mandazu aus, um einem Haufen von Menschen zubeweisen, daß auch Arkoniden noch zu etwastaugen,« Sie lachten beide.

»Ich gebe jedem Wagen zwei Mutanten und einenOffizier mit«, erklärte Rhodan weiter. »Siebekommen Tama Yokida, den Telekineten, und IshiMatsu, die Telepathin; außerdem Captain Klein.«

*

Bull fuhr mit Betty Toufry, Ralf Marten und MajorNyssen.

Rhodan selbst hatte die alte Besatzung. Nur AnneSloane, die Telekinetin, war hinzugekommen.

Thora übernahm das Kommando in derSTARDUST.

Der Tag, an dem die Expedition aufbrach, warnach irdischem Kalender der 15. Dezember.

Nach Rhodans Antiteilchen-Experiment war dieSTARDUST II wieder angehoben worden und in ihrenormale Lage zurückgekehrt. Die drei Wagenverließen das Schiff ohne Hindernisse durch dieFußschleuse und arbeiteten sich durch deninzwischen flacher gewordenen Methansee auf dasSüdufer zu.

Die Verbindung sowohl der drei Wagenuntereinander als auch jedes einzelnen Wagens mitdem Schiff funktionierte ausgezeichnet. Zumindestder Beginn der Expedition schien unter einemgünstigen Stern zu stehen, registrierte Rhodanbefriedigt.

Die Schwierigkeiten begannen vor jener Felswand,in deren Nähe beim ersten Anlauf RhodansUltrarotscheinwerfer sein Leben gelassen hatte.

Rhodans Wagen war der vorderste in der Reihe.Rhodan hatte nicht die Absicht, die Felsbarriere aufeinem weiten Umweg zu umgehen. Der Weg wargefährlich, und jeder zusätzliche Meter brachtezusätzliche Gefahr. Deringhouse saß am Katapult.

»Bombe fertig zum Auswurf!« Rhodan gab einekurze Warnung an die beiden anderen Wagen.»Fertig! Feuer!« Im Lichtkegel des Scheinwerferswar der Kanister zu sehen, wie er sich schwerfälligtrudelnd aus dem Katapult löste. Noch befand er sichinnerhalb des Schwere-Neutralisationsfeldes undbeschrieb eine Flugbahn, wie er es auf der Erde auch

getan haben würde.Rhodan hatte dem Feld mehr Energie zugeführt

und es- bis dicht vor die Felsbarriere ausgedehnt. DerKanister senkte sich in träger Bahn wieder demBoden zu und passierte dann den Rand des Feldes.

Es sah aus, als habe ihn einer mitten im Flugangehalten. So schnell, daß ihm kein Blick mehrfolgen konnte, stürzte er zu Boden und zersplitterteunter der ungeheuren Wucht des Aufpralls. FlüssigerSauerstoff mischte sich in winzigen Tröpfchen mitdem Methan der Umgebung, und als Rhodanzündete, füllte den Bildschirm ein einzigerschmerzend heller Blitz.

Es gab eine kräftige Druckwelle, die die Wagendurcheinander rüttelte.

Die Bombe hatte eine Lücke in die Wand gerissen,daran bestand kein Zweifel. Ein kräftiger Rißdurchzog das Massiv vom Boden bis zum Grathinauf.

Ebensowenig Zweifel bestand daran, daß der Rißzu schmal für die Wagen war.

»Eine zweite Bombe!« befahl Rhodan.Deringhouse schob den zweiten Kanister in das

Katapult. Rhodan nahm das Mikrophon. »Vorsicht!Wir sprengen zum zweitenmal!« Deringhouse nickteihm zu. »Feuer!«

Der Kanister trudelte davon, stieg in die Höhe undsenkte sich jenseits des Scheitelpunktes dem Randdes Feldes zu. »Sehen Sie dort, Sir!«

Rhodan sah.Eine kleine leuchtende Kugel schwebte am Fuß

der Felswand, etwa dort, wo der Kanister aufschlagenwürde, nachdem er das Feld verlassen hatte.

Rhodan sah den Kanister die Grenzlinie des Feldespassieren und blitzschnell abstürzen. Er kniff dieAugen zusammen in Erwartung der grellenExplosion, die da kommen mußte. Aber es kamkeine.

Es gab eine Art Irrlicht, keine Spur von einerZerstörung an der Felswand. Flackernd breitete sichweißes Licht aus ein langsam brennendes Feuer!

Es erlosch nicht mehr. Es formte sich zu einerKugel von etwa fünf Metern Durchmesser undschwebte schillernd vor der Wand.

»Die kleine Kugel ist weg, Sir«, berichteteDeringhouse atemlos.

Die kleine Kugel hatte einen Durchmesser vonnicht mehr als einem halben Meter gehabt.

Rhodan schüttelte den Kopf. »Nein«, antworteteer. »Das dort ist sie!«

Er deutete auf die Fünfmeterkugel.Deringhouse starrte ihn ungläubig an.»Das ist doch unmöglich, Sir!« Rhodan wurde

hart. »Keine Zeit für Debatten. Den Desintegrator,los!«

Deringhouse schwenkte die schwere Waffe herum.

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»Feuern Sie auf die Wand!« befahl Rhodan. »Aberschießen Sie an der Kugel vorbei!« Deringhousegehorchte.

Nach zehnsekündigem Beschuß war die Felsspaltebreit genug, um wenigstens zwei Wagennebeneinander durchzulassen. Deringhouseschwenkte mit mechanischen Bewegungen denDesintegrator in seine Ruhelage zurück und starrtedabei mit großen, erschrockenen Augen auf dieschillernde Kugel, die etwa zehn Meter rechts vondem Rand der Lücke vor der Wand eine Art Tanzaufführte.

»Marsch mit Höchstgeschwindigkeit!« bellteRhodan in den Telekom. »Crest, kommen Sielängsseits, der Spalt hat Platz genug für zwei Wagen.Bully, achte auf die Kugel, aber mach keineExperimente!«

Crest reagierte mit befriedigender Schnelligkeit.Seite an Seite preschten die beiden Wagen davon,erreichten den Spalt und verschwanden darin. Dichtaufgeschlossen fuhr Bull.

Rhodan atmete auf, als er sah, daß derDesintegrator seine Bahn durch die gesamte Tiefe derWand hindurchgefressen hatte.

Der Anblick jenseits der Felsbarriere warermutigend. Verhältnismäßig glatte Ebene dehntesich vor den Raupenwagen bis an dieLeistungsgrenze ihrer Scheinwerfer. Rechts und linkserhoben sich Hügel, weiter hinten schroffeFelskuppen, die weit in den schwarzen Himmelhineinstießen; aber das Hochtal zwischen ihnen warso breit, daß eine ganze Kompanie von Raupenwagenbequem hätte nebeneinander fahren können.

Bulls Wagen schoß als letzter aus dem Spalthervor. Rhodan ließ den Scheinwerfer kreisen undsuchte das Gelände ab. Es gab nichts zu sehen außerden beiden anderen Wagen und der felsigen Einödedes Gol. Keine Spur einer Gefahr.

»In Ordnung!« knurrte Rhodan befriedigt. »Weitergeht's!«

Nach den Angaben der Orter auf der STARDUSTII war der Berg, dem die Suche galt,zweihundertfünfzehn Kilometer von dem Schiffentfernt. Wenn man dazu nahm, daß diese Angabeeine Direktentfernung war und, daß die Wagen nichtimmer in der Lage sein würden, auf dem geradenWeg zu fahren, dann konnte man mit ausreichenderGenauigkeit schätzen, daß es wenigstens achtStunden dauern würde, bis sie den Berg erreichthatten. Acht Stunden in der Nähe von leuchtendenKugeln, die eine mächtigeMethan-Sauerstoff-Explosion gewissermaßen alsNachtisch zu betrachten schienen und die Energie derExplosion dazu verwendeten, ihren Umfang zuvergrößern.

Crest schien denselben Gedanken nachzuhängen.

»Haben Sie die Kugel beachtet?« fragte er vonseinem Wagen herüber. »Natürlich«, antworteteRhodan. »Was halten Sie davon?«

»Ganz einfach. Die erste Explosion hat sieangelockt. Als sie kam, hatte sie einen Durchmesservielleicht von einem halben Meter und offenbarteeinen Riesenhunger. Sie ...«

»Einen Hunger?«»Ja. Sie legte sich genau in die Wurfbahn unseres

zweiten Sauerstoffkanisters und fraß die Energie derExplosion in sich hinein. Das scheint eine richtigeMastkur für sie gewesen zu sein, denn nachher hattesie plötzlich den zehnfachen Durchmesser.«

»Glauben Sie wirklich, daß es so war?« fragteCrest skeptisch.

»Ich glaube es nicht«, antwortete Rhodan, »ichhabe es gesehen!«

Deringhouse tippte ihm auf die Schulter. »Wasgibt es?«

»Ich weiß nicht, ob ich Sie deshalb stören sollte,Sir«, sagte Deringhouse vorsichtig und deutete aufden Bildschirm, »aber die Kugel ist wieder da!«

Von da an verließ sie sie nicht mehr. Sie hüpftehinter den Wagen her und verlor innerhalb von dreiStunden etwa zwanzig Prozent ihres Durchmessers.

Sie war ein unheimliches, rätselhaftes Gebilde.»Ich kann mir nicht helfen« meldete Bull, während

sich die drei Wagen im Gänsemarsch um die steileFlanke eines Berges herumwanden, »das Ding machtmich nervös.«

»Können wir nichts dagegen tun?« fragte Rhodanzurück. »Zum Beispiel darauf schießen!« ZurÜberraschung aller, die das Gespräch mit anhörten,sagte Rhodan ruhig:

»Also gut. Kolonne halt! Commander Bullversucht sein Glück.«

Die Wagen blieben mit laufenden Motoren stehen,und am Aufbau des letzten war eine Bewegung zuerkennen, als Bull seine Waffen einschwenkte. Mankonnte Bulls Stimme hören: »Fertig, Nyssen?«

»Fertig.«Der kräftige Strahl der energiereichen Waffe war

von Rhodans Wagen aus deutlich zu sehen.Nyssens Salve traf die Kugel voll. Selbst auf dem

ultrarot angeleuchteten Bildschirm, der üblicherweisenur schwarzweiß zeichnete, war zu erkennen, daß dieKugel die Farbe wechselte. Bull verstand das alsErfolg seiner Aktion und stieß einen triumphierendenSchrei aus.

Aber dann verschluckte er sich. Die Kugel,offenbar weit davon entfernt, von derDesintegratorsalve beeindruckt zu sein, begannanzuschwellen. Sie hatte ihre ursprüngliche Farbewiedergewonnen und wuchs rapide.

Die Blicke der Menschen in den Wagen haftetenstarr auf den Bildschirmen.

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Bulls Stöhnen kam deutlich über den Telekom.Jedermann schien sprachlos zu sein.

Rhodan war der einzige, der dieses Ergebnisvorausgesehen hatte.

»Weiter!« befahl er mit harter Stimme. »Niemandkümmert sich mehr um das Ding! Es tut uns nichts,also brauchen wir uns nicht nervös machen zulassen.«

Sein Befehl riß sie alle aus ihrem Brüten.Tanaka Seiko beschwerte sich über

Kopfschmerzen. »Seit wann?« fragte Rhodan. »Seitdem Schuß«, antwortete Tanaka stöhnend.

Rhodan nickte. Von der Kugel gingHyperstrahlung aus, die in allen Phasen oder auchnur teilweise auf Tanakas Gehirn einwirkte. Seitdemdie Kugel die gesamte Energie desDesintegratorschusses in sich aufgesogen hatte, warihre Ausstrahlung offenbar kräftig genug, um demJapaner Kopfschmerzen zu verursachen. Das wareindeutig und in keiner Weise rätselhaft.

Interessant für Rhodan war jedoch, daß TanakaSeiko beim ersten Ausflug unter der Strahlung einerwesentlich kleineren Kugel nahezu ohnmächtiggeworden war. Es schien also wenigstens zweiverschiedene Sorten solcher Kugeln zu geben, unddas, worin sie sich voneinander unterschieden, wardie Energie - oder die Dimension - der emittiertenStrahlung.

Die Wagen nahmen ihren Marsch wieder auf undnäherten sich dem Ende des Hochtals, das ihnenbisher so unerwartet freie und schnelle Fahrt gestattethatte. Am Ende des Tals begann die große Mühe, diesie für Stunden von der leuchtenden Kugel ablenkte.Rhodan stand vor der Wahl, einen gewaltigenUmweg zu fahren, der sie mindestens zwanzigzusätzliche Stunden gekostet hätte, oder seine WagenBerghänge hinaufklettern zu lassen, von denen erzunächst noch nicht wußte, ob die Wagen siewirklich bewältigen könnten.

Trotzdem entschied er sich für das letztere. Nichtzuletzt deswegen, weil er, bevor er sich nochentschied, Thoras Nachricht aus der STARDUSTempfangen hatte:

»Fünf unserer Schirmfeldgeneratoren sind fürnahezu zehn Minuten ausgefallen. Im Augenblickbeobachten wir eine große Anzahl vonLeuchterscheinungen, die sich in der Nähe desSchiffes bewegen.«

Die Sorge um das Schiff war ihrer Stimmeanzumerken gewesen. Rhodan hatte sie gebeten, ihmjede Veränderung der Lage sofort mitzuteilen. Fürihn bestand kein Zweifel mehr daran, daß es denEnergiewesen möglich war, die Energie, die in denSchutzschirmen steckte, zum Teil abzusaugen unddie Generatoren dadurch zum Leerlauf zu bringen.

Er hielt seine drei Wagen zusammen und begann

mit ihnen den Aufstieg. Die Wand, die sich vor ihnenauftürmte, war höher, als, daß die Scheinwerfer siebis zum Grat hinauf hätten ausleuchten können.Rhodan glaubte jedoch, aus dem Winkel, den zweianeinandergrenzende Bergflanken miteinanderbildeten, mit einiger Sicherheit schließen zu können,daß das Hindernis nicht höher als etwafünfzehnhundert Meter sei.

Die Stimmung an Bord der Wagen war eigenartig.Tanaka Seiko litt immer noch unter bohrendenKopfschmerzen, denn die leuchtende Riesenkugelfolgte der Karawane unentwegt. Rhodan hatte sich injene eiskalte und zielstrebige Härte geflüchtet, diestets in kritischen Situationen sein Wesen ausmachte.In dieser Härte konkurrierten mit ihm, indem siegleichzeitig eine gewisse Burschikosität undUnbekümmertheit hinzuzauberten, Reginald Bull undMajor Deringhouse. Von Crest hörte man seit einpaar Ständen kein Wort mehr. Er schien ebensodavon überzeugt zu sein, daß man sich hier auf dendirekten Weg zur Hölle gemacht habe, wie AnneSloane, die teilnahmslos auf dem Boden vonRhodans Wagen hockte, mit unbewegten Augen vorsich hin starrte und sich um nichts kümmerte.

Ein seltsamer Mann war Major Nyssen. Rhodanhatte ihn von dieser Seite noch nie kennengelernt.Nyssen, der äußerlich Reginald Bull so sehr ähnelte,hatte sich in den letzten Stunden zu einemPläneschmieder entwickelt, der mit einem gewissenFanatismus, jedoch nicht ohne Sinn für Realität undvor allen Dingen ohne die Möglichkeiten dieserExpedition zu überschätzen, sich den Kopf darüberzerbrach, wie den Energiewesen zu Leibe gerücktwerden könne, die neben den widrigenatmosphärischen und gravitationsmechanischenVerhältnissen auf Gol zur größten Gefahr für dieSTARDUST zu werden schienen.

Nyssens Resümee - er führte mit Rhodan überTelekom regelrechte Diskussionen - war folgendes:

»Wir werden ihnen mit keiner unserer schwerenWaffen beikommen, Sir. Sie fressen Energie wieandere Leute Kuchen. Wir werden uns also etwasvöllig Neues einfallen lassen müssen, oder wirmüssen eine Energieform finden, die ihnen nichtzuträglich ist.« Rhodan stimmte ihm zu. »Ein Paß,Sir!« schrie plötzlich Deringhouse begeistert. »EinPaß!«

In den vergangenen zwei Stunden waren dieWagen etwa achthundert Meter hoch gestiegen. DerWeg war beschwerlich gewesen, von Weg überhauptkonnte nur noch bei einer großen PortionOptimismus die Rede sein.

Und hier, in achthundert Metern Höhe, erschienihnen der Paß, der die Bergwand in der Form einerschmalen Spalte fast genau in südlicher Richtungdurchzog, wie ein Geschenk des Himmels. Rhodans

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Wagen brauste hinein und suchte sich seinen Weg,Crest folgte ihm - ängstlich bemüht, den Abstandniemals über zwanzig oder fünfundzwanzig Meteranwachsen zu lassen -, und Reginald Bull machte dieNachhut mit der Bemerkung:

»Jetzt bin ich gespannt, ob diesesFünfzigmetermonstrum sich mit uns hierdurchquetschen kann!«

Er meinte die Energiekugel - und wenn er geglaubthatte, daß die Enge des Spalts sie von der Verfolgungabhalten könne, dann sah er sich sehr schnellgetäuscht.

Die Kugel zerfloß zu einem Gebilde, dessen Formin der Geometrie vorerst noch keinen Namen hatte.Auf jeden Fall war es mehr als hundertfünfzig Meterhoch, dafür aber dünn und schmal. Auf diese Weisetanzte die bisherige Kugel in der Art eines riesigenIrrlichtes hinter den Wagen her. Nach einigenhundert Metern schnurgeraden Verlaufs begann derPaß sich zu winden. Rhodan verringerte das Tempound folgte den scharfen Kurven des Einschnitts,ständig in der Sorge, daß er sich irgendwo weitervorn so weit verengen könne, daß es den Wagenunmöglich war, weiterzufahren.

Dann würden sie darauf angewiesen sein, denRückweg in Rückwärtsfahrt anzutreten, denn zumWenden ließ die Spalte keinen Platz.

Nichts dergleichen geschah jedoch. Die Spalte zogsich in stets gleicher Weite etwa zwei Kilometer weitdurch den Berg. Dann trat sie plötzlich und ohne, daßes jemand hätte voraussagen können, durch dienahezu senkrecht abfallende Südwand des Berges insFreie hinaus.

Rhodan hielt den Wagen an. Er schwenkte denScheinwerfer und studierte das Bild auf dem Schirm.

»Nichts!« knurrte Deringhouse, der ihm über dieSchulter sah. »Aber wir können noch zwei Meternach vorn, Sir.«

Rhodan nickte. Der Wagen ruckte vorsichtig anund schob seine Nase aus der Öffnung des Spalteshinaus.

Das Blickfeld erweiterte sich augenblicklich.Das erste, was Rhodan sah, war ein Felsband, das

sich in der Höhe des Paßausgangs mit sanfterNeigung von Osten nach Westen an der Bergwandentlangzog. Wenn man vorsichtig einschwenkte,konnte man den Wagen darauf bugsieren und daraufhinunterfahren. Hinunter! Wohin? Rhodan richteteden Scheinwerfer nach Süden. Er malte einen weißenLichtbalken in die Finsternis und verlor sich dort, woseine Kraft zu Ende war, ohne irgendeine Einzelheitdes Geländes zu enthüllen.

»Ein Talkessel«, sagte Rhodan. »Zu tief, als, daßwir von hier aus etwas sehen könnten.«

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, Sir, denScheinwerfer für einen Augenblick auszuschalten?«

fragte Deringhouse.Rhodan sah ihn verwundert an. »Warum so

geheimnisvoll? Natürlich nicht!«Er schaltete den Scheinwerfer aus. Eine Sekunde

später, nachdem das letzte Irrlichtern des intensivenUltrarotlichtes sich auf dem Schirm verloren hatte,wußte er, was Deringhouse wollte.

Ein unübersehbares, schemenhaftes Gewimmelblaßleuchtender Figuren bevölkerte plötzlich denBildschirm. Leuchtwesen - wenigstens tausend an derZahl und in ebensoviel verschiedenen Formen. Überdem grellen Licht des Scheinwerfers hatten nurDeringhouses scharfe Augen sie ausmachen können.

»Das Tal der Geister«, murmelte Deringhouse.Seine Stimme war spöttisch, aber nicht spöttisch

genug, daß man nicht doch herausgehört hätte, wiesehr ihn das Bild bedrückte.

»,Was ist los?« kam Bulls Stimme vom letztenWagen. »Warum geht es nicht weiter? Wo ist das Talder Geister?«

»Hier!« antwortete Rhodan. »Direkt vor uns.Achtung beim Einschwenken an der Stelle, an dermein Wagen eben steht. Weiter!«

Die Felsleiste erwies sich als überaus bequemerFahrweg, den jemand angelegt zu haben schien, derim voraus wußte, daß diese Expedition dreierRaupenwagen eines Tages hier erscheinen werde.

Während der Fahrt über die Leiste hielt Rhodanden Scheinwerfer eingeschaltet, um den Wegübersehen zu können. Dadurch verschwanden diewabernden Leuchtwesen aus seinem Blickfeld.

Er hatte sie jedoch nicht vergessen. Die großeFrage war, ob die seltsamen Erscheinungen sich auchdann, wenn sie in großer Zahl drei einsamenFahrzeugen begegneten, noch so friedlich verhaltenwürden wie die eine, die immer noch inhypergeometrischer Form hinter den Wagenhertanzte. Die Bergwand krümmte sich. Der Wegführte eine Weile nach Südosten und schließlichwieder exakt nach Süden. Nach RhodansBerechnungen konnte der Berg, auf den es ihmankam, nicht mehr als achtzig Kilometer entferntsein.

Als die Leiste die achthundert MeterHöhenunterschied überwunden hatte, die die Wagenauf der anderen Seite des Berges hinaufgeklettertwaren, wurde sie breiter und verlor sich schließlichauf ebenem Grund.

Rhodan fuhr so weit voraus, daß die beidenanderen Wagen die Leiste ebenfalls noch verlassenkonnten, und hielt dann an.

Er schaltete den Scheinwerfer aus. Danach störteihn das Licht, das von den Lampen der beidenanderen Fahrzeuge kam. Er wies Crest und Bull an,ihre Scheinwerfer ebenfalls abzuschalten. Sie tatenes.

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Und dann sahen sie auf allen drei Bildschirmengleichzeitig das fremdartige, furchterregende Bild.

Das gewaltige Tal war erfüllt vonLeuchterscheinungen. Es war eine ganze Armee.

Ihre Front stand etwa vierhundert Meter südlichder drei Wagen.

Dieser Talkessel war die einzige Möglichkeit,weiter nach Süden vorzudringen. Rhodan warüberzeugt, daß der Berg, der den Talkessel nachSüden hin abschloß, derjenige sei, den er suchte.

Die Wagen mußten also zwischen denLeuchtwesen hindurch. Bisher hatten sie sich außerin den Fällen, in denen sie die Schutzschirme derSTARDUST II ansaugten, nicht feindlich gezeigt.Aber bisher waren sie auch nur einzeln oder aufjeden Fall in geringer Zahl aufgetreten. Es ließ sichmit gutem Gewissen keine Voraussage darübermachen, was Tausende von ihnen tun würden.

Rhodan beriet sich eine Weile mit den Führern derbeiden anderen Wagen. Bulls Antwort war klar: »Wirmüssen durch! Je eher, desto besser!«

Und Crest entschloß sich: »Bestimmen Sie, was zutun ist, Rhodan. Ich werde Ihren Anweisungenfolgen.«

Rhodan entschloß sich für den Durchbruch.Immerhin bemühte er sich, der Expedition einegewisse Rückendeckung zu verschaffen. Da TanakaSeiko infolge seines Kopfschmerzes aktionsunfähigwar, bekam Deringhouse den Auftrag, dieSTARDUST anzurufen und Thora die Situation zuschildern.

Deringhouse setzte das Rufsignal ab und warteteauf Bestätigung. Es kam keine. Er versuchte es vonneuem - mit ebensowenig Erfolg wie zuvor.

Rhodan fragte bei den anderen beiden Wagennach. Sie hatten Deringhouses Ruf einwandfreiempfangen.

Am Sender konnte es nicht liegen. Aber dieSTARDUST gab keine Antwort mehr!

5.

Thora hatte die Fahrt der Wagen an der nördlichenBergflanke hinauf und durch den Paß so gut verfolgt,wie es bei der mangelhaften Verbindung möglichwar. Bei der Einrichtung der Wagen war an allemgespart worden, was überflüssig zu sein schien, sozum Beispiel an Bildübertragungsgeräten. JederQuadratzentimeter Fläche und jede Unze Gewichtwurde gebraucht. Daß man sich beim Redengleichzeitig in die Augen sehen könne, hielt Rhodanfür ein unangebrachtes Maß an Bequemlichkeit.

Sie hatte den Atem angehalten, als Rhodan überdie schmale Felsleiste fuhr, und beinahe die Nervenverloren, als Crest es ihm nachtat. Sie hatte ebensoheftig aufgeatmet, als sich plötzlich der Paß vor den

Wagen auftat und die schwierige Kletterpartie ihrEnde gefunden hatte.

Sie hatte die Fahrt durch den Paß an Hand vonReginald Bulls Bemerkungen miterlebt undDeringhouses Ausspruch vom »Tal der Geister«gehört Das war das letzte, was sie hörte. Im nächstenAugenblick begann für die STARDUST etwas, wassich nur durch den letzten, rettenden Effekt voneinem Weltuntergang unterschied.

Thora war zu vertieft in die Telekomgespräche, diedie drei Expeditionswagen miteinander führten, als,daß sie auf das erste Heulen der Alarmsirenen hinhätte sofort entscheiden können, in welchem Sektordes Schiffes nicht alles in Ordnung war. Sie fuhr auf,starrte mit erschrockenen Augen auf die Kontrolltafelund fühlte Panik in sich aufsteigen, als sie dieFehlanzeige nicht fand.

»Alle Neutralisatormaschinen laufen leer!« schrieder. Interkom über den Lärm der Sirenen hinweg.

Die Stimme des Ingenieurs klang gereizt undungeduldig. Er war Rhodans blitzschnelle Reaktiongewohnt, aber nicht die panikerfüllte Langsamkeiteines arkonidischen Gehirns.

»Was ist zu tun?« fragte Thora hastig zurück.Dann fiel ihr ein, daß der Mann ihre Sprache nicht

verstand. Sie wiederholte die Frage auf englisch.»Das wollte ich von Ihnen wissen!« bellte der

Ingenieur, dem der Ausfall seiner Generatorenoffenbar den Sinn für den nötigen Respektgenommen hatte. »Was ist mit den Schutzfeldern?«

»Noch intakt. Der Neutralisationsschirm ist völligausgefallen; aber ich kann das Schiff mit denTriebwerken halten.«

Die Sirenen hörten auf zu heulen. Ein Teil derängstlichen Nervosität fiel von Thora ab, als dieStille zurückkehrte. »Schalten Sie weiter!« befahlThora. »Ich versuche zu erfahren, was draußen losist!« Der Ingenieur unterbrach die Leitung. Thora riefdie Optische Ortung an. »Können Sie etwaserkennen?«

»Nein. Auf den Schirmen ist es völlig schwarzgeworden!«

Thora schaltete den großen Rundblickschirm derZentrale ein. Früher hatte er ein homogenes Graugezeigt, jetzt zeigte er ein ebenso homogenestiefschwarzes Nichts.

Die Arkonidin hastete zu dem Empfänger, überden sie vor ein paar Minuten noch die Gespräche derdrei Raupenwagen gehört hatte. Sie hatte ihn nichtausgeschaltet. Aber er war tot und gab nicht einmaldas leise Störungsrauschen mehr von sich.

Thora begann zu verstehen, daß hier etwas vor sichging, was sie noch niemals erlebt hatte. Sie wünschtesich Perry Rhodan zurück, damit er ihr einen Ratgeben könne, und verfluchte ihn gleichzeitig, weil eres gewagt hatte, sie auf einer monströsen Welt mit

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diesem Schiffsriesen allein zurückzulassen.Jemand muß hinaus, war ihr erster Gedanke. Wir

müssen erfahren, was draußen vorgeht.Der zweite Gedanke war, daß sich niemand bereit

finden werde, dort hinauszugehen, und sie konnte esniemandem übelnehmen.

Was hatte Rhodan gesagt? Fragen Sie nicht lange -kommandieren Sie!

Wie leicht wäre ihr das vor vier Jahren gefallen,als sie den Menschen zum erstenmal begegnete undsie für eine Rasse von närrischen Wilden hielt! Aberjetzt? Der Interkom meldete sich: »Draußen wimmeltes von Leuchterscheinungen, Madam!«

Wuriu Sengus, des »Spähers« Gesicht erschien aufdem kleinen Bildschirm. Thora nickte.

Sie erinnerte sich an die Erfahrung, die ReginaldBull vor einigen Stunden mit dem Beschuß einesLeuchtwesens durch einen Desintegrator gemachthatte. Die STARDUST verfügte über eine Reiheanderer Waffen. Vielleicht würde eine von ihnenhelfen.

»Kommen Sie in die Zentrale, Sengu!« befahlThora dem Japaner.

Sengu nickte und löschte die Verbindung.Thora wies den Gefechtsstand an, Impulsstrahler

und Neutronenschleudern schußbereit zu machen.Die Bestätigung lief ein, als Sengu die Zentralebetrat.

»Die Schußbahn eines thermischen Impulsstrahlerskönnen Sie deutlich erkennen«, wies Thora ihn an.»Der Gefechtsstand wird in wenigen Sekunden dasFeuer eröffnen. Ich möchte, daß Sie mir sagen,welchen Erfolg wir damit haben.«

Wuriu Sengu stellte sich zurecht. Er starrte aneiner Stelle, die er sich selbst ausgesucht hatte, aufdie Wand der Zentrale, und wer ihn nicht kannte, wernicht wußte, daß der Japaner die Fähigkeit besaß,durch die Kraft seines Willens seine optischeWahrnehmung so einzustellen, daß die kristallineStruktur jedweder Materie für ihn effektivdurchsichtig wurde, er hätte ihn für einen gehalten,der gerade über ein ernstes Problem tiefsinnignachdachte. »Feuer!« befahl Thora. Sie achtete aufSengu. Minutenlang starrte er durch die Wand. Thorasah Schweißperlen sich auf seiner Stirn bilden. Siewollte ihn fragen; aber sie wußte, daß es nutzlos war,ihn in seiner Aufmerksamkeit zu unterbrechen.Plötzlich sank er vornüber. »Aufhören!« keuchte er.»Sofort!«

»Feuer einstellen!« reagierte Thora. Sengu warfsich in einen Sessel. Sein Atem ging so rasch undheftig, daß er eine Weile brauchte, bis er das ersteWort hervorbrachte.

»Sie schlucken ... alles. Die Thermostrahlendringen in ihren Körper ein, aber nicht hindurch. DasLeuchten wird intensiver, und die Größe der

Erscheinungen wächst. Es sieht so aus, als fräßen siedie Energie der Schüsse in sich hinein.«

Sengu wußte nicht, was Thora wußte - daß Bullvor ein paar Stunden ein ähnliches Experimentangestellt hatte.

Sie überlegte sich, ob sie mit demNeutronenstrahler einen zweiten Versuch machensolle. Neutronen waren Korpuskeln, keine Energie indiesem Sinne. Vielleicht ...

»Achtung!« schrie Sengu. »Sie kommen heran!«Thora fühlte sich erbärmlich. »Was tun sie?« fragtesie atemlos. Im nächsten Augenblick wußte sie esselbst.

Ein mächtiger Ruck fuhr durch das Schiff. Thorastürzte zu Boden, und als sie sich nach denAugenblicken des größten Schrecks wiederaufrichten wollte, spürte sie, daß sich ihr Gewichtwenigstens verdreifacht hatte.

Sengu war tief in den Sessel gesunken und starrtedurch die Wand.

»Sie sind jetzt ganz dicht heran«, keuchte er. »Siesitzen auf der Außenwand.«

Aus dem Interkom schrie eine Stimme:»Antrieb arbeitet nur noch mit siebzig Prozent!

Neutralisationsfelder im Innern des Schiffes sindgeschwächt!«

Es war der Ingenieur, und diesmal klang mehrAngst aus seiner Stimme Thora richtete sich auf undschleppte sich zum Mikrophon.

»Versuchen Sie zu starten!« hauchte sie.Der Andruck zwängte ihren Körper wie in einen zu

engen Panzer und machte ihr das Atmen schwer.»Auf Ihre Verantwortung. Madam!« antwortete

der Ingenieur.Auf der Kontrolltafel begannen die Lichter zu

spielen, als der Ingenieur die Steuerung des Schiffesin den technischen Leitstand übernahm. Thora starrtedie Lampen an, als habe sie sie nie zuvor gesehen,und wartete auf das beruhigende Grün desStartsignals.

Es kam. Eine Sekunde, zwei Sekunden, dreiSekunden leuchtete es hell von der Tafel, dannerlosch es wieder, und das Schiff hatte sich nichtgerührt.

Thora schrie auf, unartikuliert und von Angstgeschüttelt.

»Der Antrieb setzt aus!« meldete der Ingenieur,und die Einsicht, daß er jetzt nichts mehr tun könne,hatte ihm offenbar die Ruhe zurückgegeben.

Wuriu Sengu stieß ein dumpfes Stöhnen aus.»Sie sind riesengroß geworden, riesengroß ...«»Aber wir müssen doch etwas tun!« schrie Thora.Sie machte einen Schritt auf Sengu zu.Irgend etwas geschah in diesem Augenblick. Es riß

sie vornüber, und sie stürzte zum zweitenmalinnerhalb weniger Minuten.

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Der Sturz war heftig. Ein wenig benommenrichtete sie sich auf und sah nach Sengu. Der Halsschmerzte nicht mehr bei dieser Bewegung. Sie standauf und merkte, daß die Schwere von ihr abgefallenwar und sie wieder ihr normales Körpergewichtbesaß. Der Japaner lächelte. »Sie sind weg, Madam«,sagte er ruhig. »Ganz plötzlich verschwunden.«

Thora sah sich um, als suche sie den Grund fürdieses Wunder irgendwo in der Zentrale.

Ihr Blick fiel auf den Oszillographenschirm desStrukturtasters. Starr leuchteten darauf diemodulierten Sinusschwingungen der Sendung desUnbekannten, um dessentwillen Rhodan diesenwaghalsigen Flug unternommen hatte. Mechanischsah sie auf die Uhr. Die Sendung war pünktlich wieimmer.

*

Rhodan hatte gerade den Entschluß gefaßt, dieExpedition abzubrechen und zur STARDUSTzurückzukehren, als sich das Schiff wieder meldete.Er hatte den Wagen anlaufen lassen und schlug dasSteuer zur Wendeschleife ein, als Deringhouse hinterihm aufschrie: »Da sind sie wieder, Sir!«

»... an Rhodan. STARDUST an KommandantRhodan!« sagte der Telekom.

Es war Thoras Stimme, und Rhodan erinnerte sichnicht, sie jemals so tonlos gehört zu haben.Ungeduldig riß er das Mikrophon zu sich herüber.

»Hier ist Rhodan. Was ist bei euch los?«Das Geräusch, das die Antwort einleitete, konnte

ebensogut ein erleichtertes Aufatmen wie eineatmosphärische Störung sein.

»Wir sind überfallen worden«, sagte Thora, unddann gab sie einen ein wenig konfusen, aberausführlichen Bericht von den Ereignissen der letztenMinuten.

Rhodan unterbrach sie, als er die Zusammenhängeverstanden hatte. »Können Sie starten?« fragte er.»Jetzt, ja.«

»Starten Sie und halten Sie sich bis zu meinernächsten Nachricht in sicherer Höhe, sagen wir: zweiMillionen Meter. Ich glaube nicht, daß dieseLeuchterscheinungen sich so weit hinauf getrauen.«

»Gut. Aber was für einen Sinn hat das?«»Wir sitzen in einem Talkessel, und wenn wir

wissen, was für eine Gesellschaft von Leuchtwesendas ist, die sich hier angesiedelt hat, möchte ich, daßSie mit der STARDUST in diesem Kessel landen. Ichgebe Ihnen die Koordinaten.« Thora schien bedrückt;aber Rhodan achtete nicht darauf.

»Bleiben Sie ständig mit uns in Verbindung!« truger ihr auf.

Rhodan hatte über den Zwischenfall, dessen Opferdie STARDUST um ein Haar geworden wäre, seine

eigenen Gedanken. Es gab keine vernünftigeErklärung dafür, warum die Leuchtwesen sichplötzlich von dem Schiff zurückgezogen hatten. Essei denn, man nahm das zeitliche Zusammentreffenihres Rückzuges mit der Sendung des Unbekanntenzu Hilfe.

Gab es eine Beziehung? War die Energieform, mitder der Unbekannte sendete, diejenige, nach derMajor Nyssen schon seit ein paar Stunden suchte?Crest meldete sich: »Rhodan, unter diesenUmständen ... wollen Sie wirklich dort hindurch?«

»Und ob ich das will!« versicherte Rhodan. »Wirhaben so gut wie keine Schirmfelder um uns herum,also nichts, was den Appetit der Leuchtwesen reizenkönnte.«

Er verließ sich darauf, daß ihm keiner die Lügeanmerkte. Die Leuchtwesen hatten die energiearmeStrahlung eines Ultrarotscheinwerfers geschluckt,also stand zu erwarten, daß sie sich für ein kräftigesSchwere-Neutralisationsfeld noch weitaus mehrinteressieren würden. Aber Rhodan hatte eine Idee.»... Kolonne marsch!« befahl er trocken.

Sein Wagen fuhr wiederum an der Spitze; ingemächlichem Tempo näherte er sich der Front derLeuchtwesen, die immer noch zu Tausenden in derDunkelheit des Talkessels tanzten.

Rhodan hatte den Scheinwerfer abgeschaltet. Erkonnte sich an den leuchtenden Gestalten orientieren.

»Was macht die Kugel hinter uns?« fragte er Bull.»Was sie die ganze Zeit schon macht«, antwortete

Bull. »Tanzen und wippen.«»Keine besondere Beobachtung?«»Keine.«Dann erreichte sein Wagen die vorderste Front der

Leuchtwesen, und von da an hatte Rhodan keine Zeitmehr, über andere Probleme nachzudenken als die,die gerade vor ihm lagen.

Die Leuchtwesen nahmen zunächst keine Notizvon dem Wagen. Sie standen weit genugauseinander, so, daß die schweren Fahrzeuge bequemzwischen ihnen hindurchfahren konnten.

»Na also!« staunte Bull. »So schlimm sind sie jagar nicht!«

Rhodan ließ den Aufnahmebereich desBildempfängers rotieren. Sie waren mittlerweile sotief in die Front eingedrungen, daß man nirgendwomehr freies Gelände sehen konnte. Vor ihnen,seitwärts, hinter ihnen, überall waberten die hellenFahnen der unbegreiflichen Energiegeschöpfe.Rhodan biß die Zähne zusammen. Zehn Minuten bisjetzt, sah er auf seiner Uhr.

Er wußte, daß sie dieses Glück, unbehelligt durchdie Reihen der Leuchtwesen zu fahren, nicht mehrlange haben würden. Irgendwann war es zu Ende;aber wann? Fünfzehn Minuten. »Kann man ein Endesehen?« fragte Bull. »Nein, noch nicht.« Vor den

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Wagen sah es nach zwanzig Minuten noch ebensoaus wie in dem Augenblick, in dem sie in die Fronteingedrungen waren.

Der Talkessel hatte gewaltige Ausmaße, und diegesamte Sohle schien von den leuchtendenGeschöpfen besetzt zu sein.

Rhodan fragte sich, warum sie sich ausgerechnetdiese Gegend als Versammlungsplatz ausgesuchthatten und nicht eine andere. Gab es hier etwas, wassie anlockte? Oder hatten sie, normalen Intelligenzengleich, soziale Gewohnheiten entwickelt und trafensich stets am gleichen Platz? FünfundzwanzigMinuten. Rhodan war nicht allzu schnell gefahren.Ihm ging es erst in zweiter Linie darum, diesesGewimmel leuchtender Nebelfetzen zu passieren. Inerster Linie wollte er einen Versuch anstellen, und erglaubte, die Mittel dagegen zu besitzen, daß dasExperimentieren ihn und seine Leute in Gefahrbrachte. Dreißig Minuten.

Seit dem Beginn des Experimentes hatten dieWagen etwa achtzehn Kilometer zurückgelegt. Aufdem ziemlich ebenen Boden hätten sie weitausschneller fahren können.

In der zweiunddreißigsten Minute fing es an.Rhodan bemerkte als erstes, daß die leuchtenden

Nebelfahnen plötzlich nicht mehr so weit auseinanderstanden wie noch ein paar Minuten zuvor. Manmußte das Steuer kräftig bedienen, um ohneKollision zwischen ihnen hindurchzukommen.

»Alle Geschütze feuerbereit!« befahl Rhodan.Man hörte Crest nach Luft schnappen.»Worauf wollen Sie schießen? Doch nicht auf

diese Energiewesen?«»Doch. Hören Sie alle gut zu: Wir konzentrieren

unser Feuer mit allen Geschützen - außer denSauerstoffkanistern vorläufig - auf einen Punkt, dermit Crests Wagen etwa auf gleicher Höhe liegt undvon der Linie unserer Wagen zweihundert Meter inwestlicher Richtung entfernt ist.

Ich gebe den Feuerbefehl. Keiner schießtvorzeitig!«

Es war nicht seine Absicht, sich besondersgeheimnisvoll zu gebärden; aber es war keine Zeitmehr für lange Reden. Die Leuchtwesen hatten sichnahezu zusammengeschlossen, und Rhodan konntesich ausmalen, was in den nächsten Augenblickengeschehen würde.

Tanaka Seiko wurde ohnmächtig. Sein Gehirnwiderstand der Strapaze nicht länger.

Rhodan hatte keine Wahl mehr, die Front vor ihmwar einheitlich, und wenn er weiterfahren wollte,dann mußte er durch den Lichtvorhang hindurch, dendie Wesen vor ihm bildeten.

Er zögerte nicht. Nach seiner Meinung gehörte dereigentliche Körper der Energiewesen einemübergeordneten Raum an, und das Licht allein, das

sie ausstrahlten, würde dem Wagen nicht schaden.»Anne, bedienen Sie die Generatoren!«Rhodan mußte den Befehl wiederholen, um Anne

Sloane aus ihrem Brüten aufzuschrecken.»Keine Angst, Mädchen!« lächelte er ihr zu, als er

ihr weißes Gesicht sah. Dann passierte es. Es gabeinen Ruck, und der Wagen blieb stehen. Nicht, weilihn jemand angehalten hätte, sondern deshalb, weilder Motor nicht mehr in der Lage war, das Gewichtdes Fahrzeugs weiterzubewegen.

»Anne, mehr Leistung!« keuchte Rhodan.Er hatte sich den Effekt ein wenig schwächer

vorgestellt. Er wußte, daß die Leuchtwesen begonnenhatten, ihren Appetit an dem Neutralisationsfeld desWagens zu befriedigen.

Sie taten es mit überraschender Gefräßigkeit. Voneiner Sekunde zur anderen wuchs die Gravitationinnerhalb des Wagens bis auf schwindelnde Werte.Neun g nach seiner Schätzung. Er dachte an Crestund seinen arkonidischen Körper, der solcheBelastungen nicht mehr auszuhalten vermochte.

Mit bleischwerem Arm griff er nach, demMikrophon und schrie: »Feuer aus allen Rohren!«Deringhouse schaltete. Der wuchtigehochenergetische Strahl der Desintegratorkanonebrachte das Wagengehäuse ein paar Sekunden langzum Vibrieren. Der Neutronenstrahler arbeitete mitfeinem, singendem Geräusch, und dieThermoimpulswaffe vervollständigte das Konzert mitihrem tiefen dumpfen Summen.

Auf dem Bildschirm konnte Rhodan erkennen, daßdie anderen Wagen ebenso schnell reagiert hatten.

Schillernde Energiestrahlen stachen von denFahrzeugen in das Gewirr der tanzendenLeuchtwesen hinein und fanden ihrenKreuzungspunkt in der Entfernung, die Rhodan zuvorangegeben hatte.

Die Wirkung, die Rhodan sich davon versprochenhatte, ließ allerdings eine Zeitlang auf sich warten.

Endlos lange schien die Zeit zu sein, die deratembeschwerende Andruck die Insassen derFahrzeuge gefangenzuhalten schien. In Wirklichkeitwaren es nur ein paar Minuten, wie Rhodan aufseiner Uhr verfolgte.

Dann begann der Druck zu weichen.Gleichzeitig zerriß die bisher geschlossene Front

der Leuchtwesen vor Rhodans Wagen. Zumerstenmal zeigte sich wieder eine Lücke, undRhodans Befehl war der Triumph anzuhören, als erschrie:

»Es geht weiter! Höchstgeschwindigkeit!«Der Wagen rumpelte davon. Noch hatte er sein

ursprüngliches Gewicht nicht wiedererlangt. Nochhatten einige wenige der Leuchtwesen nicht erfaßt,daß an einer anderen Stelle zweihundert Meterwestlich und etwa auf der Höhe des mittleren

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Wagens - ihrem Hunger weitaus mehr gebotenwurde, als es bei den schwachenNeutralisationsfeldern der drei Fahrzeuge der Fallwar.

Aber mit jeder Sekunde wurde der Wagen leichter,mit jeder Sekunde nahm er mehr Fahrt auf, bis erschließlich mit Höchstgeschwindigkeit dahinbrauste.Die Leuchtwesen konzentrierten sich an andererStelle, und wenn auch der Fokus sämtlicherGeschütze der kleinen Expedition ebenso schnellwanderte wie die Wagen selbst, so war es ihnenoffenbar doch angenehmer, ihren Appetit - wenn siedie Wahl zwischen zwei sich bewegendenEnergiequellen hatten - an der weitaus stärkeren zubefriedigen.

Einundvierzig Minuten nachdem die drei Wagensich zwischen die Leuchtwesen hineingewagt hatten,durchbrachen sie deren Front am anderen Ende.Plötzlich war es vor Rhodans Fahrzeug wiederdunkelgrau, und er mußte den Aufnahmesektor desBildgerätes fast um hundertachtzig Grad schwenken,um die Leuchtwesen wieder zu sehen.

»Wir sind durch!« jubelte Reginald Bull überTelekom.

Rhodan lächelte über die wilde Freude in BullsSchrei und über die Erleichterung, die ihn angesichtsdes gelungenen Experimentes überfiel.

Die Leuchtwesen waren Geschöpfe einerübergeordneten Welt; aber ganz einfache Menschen -deren Gehirn so klein war, daß sie nicht einmalvierdimensionale Probleme anschaulich erfassenkonnten, und die keinerlei Strahlung aus ihrenklobigen Körpern emittierten, es sei denn das Ultrarotihrer geringen Körperwärme - hatten esfertiggebracht, sie zu überlisten.

Die Leuchtwesen machten keine Anstalten, dieFahrzeuge zu verfolgen. Rhodan wies die beidenanderen Wagen an, das Feuer zunächst nochaufrechtzuerhalten, den Fokus der Strahlen jedochweiter nach Norden zu verlagern.

Die leuchtenden Nebelfetzen versammelten sichdort, fraßen weiter und wuchsen. Die Geschütze derdrei Wagen spendeten ein überaus hohes Maß anEnergie, etwa zehntausendmal mehr, als dieLeuchtwesen hätten erbeuten können, wenn sie sichüber die Neutralisationsfelder der Wagen selberhergemacht hätten. Das wirkte sich in ihrer Größeaus. Je mehr sie an Energie zu sich nahmen, destohöher wurde ihre Front und desto intensiver dasLeuchten.

Die Geschütze strahlten eine weitere Viertelstunde.Dann ließ Rhodan das Feuer einstellen und wartete.

Das Wachsen der Leuchtwesen hörte abrupt auf.Eine Welle kam wirbelnde Bewegung in ihre Masse,als suchten sie nach den gefüllten Näpfen, die ihnenjemand so plötzlich vor den energiehungrigen

Mäulern weggeschnappt hatte.Aber die Wagen waren zu weit entfernt, als, daß

sie deren schwache Neutralisationsfelder noch hättenwahrnehmen können. Sie tanzten ein paar Minutenlang durcheinander, dann kamen sie zur Ruhe. Siehatten ihren Fraß gehabt und waren auf das Doppeltegewachsen. Jetzt war Schluß! Rhodan schwenkte denAufnahmesektor.

»Wie sieht es vor uns aus?« fragte er.Der Scheinwerfer wurde wieder eingeschaltet.

Während Rhodan ihn schwenkte, fuhr der Lichtkegelan einer mäßig stell ansteigenden Bergflanke entlang.In Geradeausrichtung war der Fuß der Flanke nichteinmal mehr hundert Meter von Rhodans Wagenentfernt.

Rhodan holte tief Luft, und alle, die ihn hörten,warteten auf einen weiteren Befehl, der sie erneutdazu antreiben würde, ihre Nerven zu strapazieren.Aber Rhodan sagte nur:

»Der Berg liegt vor uns!« Er betonte das Wort so,daß jedermann wußte, welchen Berg er meinte.

6.

Nach einer halbstündigen Suche mit derLeuchtkraft aller drei Scheinwerfer war jedem klar,daß das, was es in, auf oder an diesem Berg zu findengab, nicht hier unten am Nordhang war.

Man stimmte Rhodan zu, als er vorschlug, dieWagen sollten den Berg hinauffahren, so weit siekönnten.

Rhodan war davon überzeugt, daß er in größerenHöhen finden werde, was er suchte. Er glaubteweiterhin fest daran, daß der Unbekannte ihm einenweiteren Hinweis über die Lage des Verstecks gebenwerde oder, daß es in Wirklichkeit gar kein Versteckwar, sondern etwas, was man finden konnte, indemman seine Augen offenhielt.

Der Nordhang des gewaltigen Berges bot denWagen kaum Schwierigkeiten.

Hinzu kam, daß nicht nur die Nebelwesen imTalkessel sich ruhig verhielten, sondern auch dieLeuchtkugel, die ihnen schon Stunden zuvor gefolgtwar, sich offenbar abgesetzt hatte.

Etwa zweitausend Meter über dem Niveau desTalkessels wurde die Neigung des Berghanges nochgeringer, bis der frühere Hang schließlich eineHochebene erstaunlichen Ausmaßes formte. Rhodankonnte seinen Scheinwerfer drehen, wohin er auchimmer wollte, er faßte stets ins Leere - ein Beweisdafür, daß es ringsum bis in eine Entfernung voneinem Kilometer keine solide Materie gab, keineFelswand, keinen Berghang, nichts außer dem ebenenBoden, auf dem die Wagen standen.

Rhodan entschloß sich, eine Pause einzulegen. Errief die STARDUST an. Thora meldete sich sofort.

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Das Schiff hatte sich inzwischen weisungsgemäßvom Boden gelöst und schwebte reglos in einer Höhevon zweitausend Kilometern.

Rhodan informierte Thora über die Vorfälle dervergangenen anderthalb Stunden. Er schloß:

»Wir haben also zwei wichtige Dinge erfahren -eines davon plausibel gemacht und das anderebewiesen:

Die Energiewesen besitzen nur schwachausgebildete Fähigkeiten, auf Vorgänge, die sich nurim dreidimensionalen Raum abspielen, zu reagieren.Sie brauchten mehr als eine halbe Stunde, um zumerken, daß wir zwischen ihnen hindurchfuhren und,daß wir etwas bei uns hatten, womit sie ihren Hungerstillen konnten. - Ihre schwerfällige Reaktion ist das,was wir plausibel gemacht haben.

Bewiesen haben wir, daß sie sich tatsächlich vonEnergie ernähren.

Vor allen Dingen haben sie offenbar keinerleimoralische Bedenken und wahrscheinlich auch keineÜbersicht über den Schaden, den sie mit ihrerFreßlust anrichten können. Sie nehmen, was ihnen inden Weg kommt.

Ich glaube, daß sie - wenn man diesen Begriff aufGeschöpfe solcher Art überhaupt anwenden kann - inWahrheit unintelligente Wesen sind.

Thora, ich möchte, bevor wir weiterfahren, einenweiteren Versuch anstellen, wenn Sie nichts dagegenhaben.«

»Welchen?« fragte Thora.»Sie erinnern sich, daß der Angriff auf die

STARDUST in dem Augenblick zu Ende war, indem der Unbekannte zu senden begann und unserehemaliger Strukturtaster ansprach?«

»Ja, natürlich.«»Gut. Schließen Sie das umgebaute Gerät an eine

kräftige Leitung an. Führen Sie ihm so vielSendeleistung zu, wie es vertragen kann, undbestrahlen Sie die Leuchtwesen damit. Ich möchtesehen, wie sie darauf reagieren.«

Thora war der Gedanke niemals gekommen,obwohl er in Wirklichkeit so nahelag.

»Dazu muß ich hinunterkommen, nicht wahr?«fragte sie ein wenig trotzig und ärgerlich über ihrUnvermögen, Dinge zu sehen, die ihr gerade vor derNase lagen.

»Allerdings«, antwortete Rhodan ernst. »Wenn Sieden umgebauten Strukturtaster voll belasten, wird ereine Reichweite von wenigstens fünf Kilometernhaben. Tiefer brauchen Sie nicht herunterzukommen.Und noch etwas!«

»Ja?«»Setzen Sie das Gelände unter Ultrarotflut! Wir

sind hier oben ziemlich arm dran, was die Rundsichtbetrifft.«

*

Wirst du ihn jemals verstehen? fragte sich Thora.Was hätte sie getan an Rhodans Stelle? Sie hätte

sich darüber gefreut, daß sie den Leuchtwesenendlich entronnen war, und sich auf dem schnellstenWege auf den Marsch zum Ziel gemacht. Je früherman es erreichte, desto besser für alle, die an diesemUnternehmen beteiligt waren.

Und was tat er? Er legte eine Pause ein, als sei erauf einem Spaziergang oder einem Ausflug undstellte zum Amüsement der Zuschauer einExperiment mit den Leuchtwesen an, deren tödlicheGefährlichkeit sie alle schon deutlich genug zuspüren bekommen hatten.

Rhodan war nicht zu verstehen - in seiner rastlosenTatkraft, seiner Härte sich selbst und anderengegenüber und ebensowenig in der blitzschnellenBeweglichkeit seiner Gedanken, seiner erstaunlichenFähigkeit, von etwas Todernstem auf etwas beinaheNärrisches oder gar Lausbübisches zu kommen.

Thora schüttelte den Kopf und setzte dieSTARDUST II in Bewegung.

Vorsichtig, wie sie es schon einmal getan hatte,senkte sich das Schiff in das brodelnde Toben derGol-Atmosphäre hinein und verlor allmählich anHöhe.

Thora wußte, worauf sie zu achten hatte. Vonvierhundert Kilometern Höhe an abwärts bestand dieGefahr, daß Leuchtwesen versuchen würden, ihrenHunger an den energiereichen Schutzschirmen desSchiffes zu stillen. Bis vierhundert Kilometerkonnten sie sich offenbar ohne Schwierigkeiten vonder Oberfläche des Riesenplaneten entfernen.

Der umgebaute Strukturtaster war inzwischeninstalliert. Ihm stand eine Sendeleistung von zweiMegawatt zur Verfügung; mehr würden dieempfindlichen Schwingkreise nicht aushaltenkönnen.

Thora starrte den kleinen Kasten nachdenklich an.Rhodan! Er hatte einen arkonidischen

Strukturtaster auseinandergenommen und so wiederzusammengesetzt, daß er nun etwas zuwege brachte,was noch nicht einmal die arkonidische Physikkannte.

»Noch vierhunderttausend Meter, Madam!«meldete der Orter. Thora schrak auf. Die gefährlicheZone begann - und ihre Angst.

*

»Die STARDUST!« murmelte Deringhouse.Von oben her schob sich ein weißer, lichter Hauch

über den Bildschirm. Rhodan hatte den Scheinwerferabgeschaltet, da er ihm ohnehin nichts nützte, und

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beobachtete das Bild, das sich ihm immer deutlicherdarbot, je tiefer die STARDUST herabsank.

Thora hatte keine Zwischenfälle gehabtUnbehelligt war das Schiff über dem Talkesselheruntergekommen und hing jetzt in zehn KilometernHöhe mit minimaler Sinkgeschwindigkeit.

Rhodan hatte Thora angewiesen, das Ultrarot zurBeleuchtung der Szene diffus auszustrahlen, und eszeigte sich bald, daß dies ein guter Rat war.

Diffuses Licht war nur eine schwacheEnergiequelle und breitete sich isotrop aus, ohneirgendeine Richtung zu bevorzugen. Der Anreiz, dieLeistung der diffus strahlenden Ultrarotlampen insich aufzunehmen, war für die Leuchtwesen offenbarzu gering, als, daß sie sich deshalb gerührt hätten.

Das Bild war so deutlich, wie Rhodan es sich nurwünschen konnte. Zum erstenmal übersah er denganzen kreisrunden Talkessel in seinerbeeindruckenden Weite. Nahezu dreißig KilometerDurchmesser und überall - im Westen, Norden undOsten - fast senkrecht ansteigende Wände, manchemit Bergen darüber und andere, die nur bis zu einerniedrigen Kante hinauf anstiegen und dahinter eineglitzernde, methaneisüberzogene Hochebenebildeten.

Im Kessel selbst das Heer der Leuchtwesen. Ihreeigene Leuchtkraft war stark genug, daß sie sich gutgegen das Licht der Scheinwerfer abhoben. Sieverhielten sich ruhig.

»Das genügt, Thora!« sagte Rhodan, als dieSTARDUST bis auf etwa fünf Kilometerheruntergekommen war. »Schalten Sie jetzt das Gerätein!«

»Ich schalte!« antwortete Thora. Der Erfolg zeigtesich so plötzlich und eindringlich, wie es jedergehofft, aber keiner ernsthaft zu glauben gewagthatte.

Zunächst geriet die Masse der Leuchtwesen inBewegung. Im Gegensatz zu den Schirm- undNeutralisationsfeldern des Schiffes und derRaupenwagen schienen die übergeordnetenSchwingungen des neuen Senders etwas zu sein, wassie sofort verspürten, und worauf sie sofortreagierten.

Ein paar Sekunden lang schien die Bewegung zukeinem bestimmten Ziel zu führen. Dann jedoch tatsich in der Mitte des Leuchtwesenfeldes ein Loch aufund vergrößerte sich rasch nach allen Seiten.

»Sie fliehen!« schrie Deringhouse jubelnd. »Siereißen aus!«

Daran bestand kein Zweifel mehr. Thora ließ dasStrahlenbündel ihres Senders wahllos über der Armeeder Energiegeschöpfe kreisen und brachte sie aneiner Menge von Stellen nahezu gleichzeitig inPanik.

Die Flanken der Armee erreichten die Wände des

Talkessels und - verschwanden darin. Für ihreEnergiekörper war feste Materie keinerlei Hindernis.Während sie zu Tausenden mit erstaunlicherGeschwindigkeit auf die Felswände zuschossen unddarin verschwanden, schienen die Wände von innenheraus zu leuchten. Das Leuchten hielt eine Welle an,nachdem das letzte der Wesen geflohen war; dannverblaßte es allmählich und war schließlichverschwunden. Der Talkessel war leer.

»Es ist gut, Thora!« sagte Rhodan ruhig. »Siekönnen nun im Talkessel landen.«

*

Sie beobachteten noch die Landung derSTARDUST; dann trieb Rhodan zum Aufbruch.

Er wollte den Befehl dazu geben, da wachteTanaka Seiko auf. Rhodan hörte ihn stöhnen undwandte sich um.

Tanaka hielt sich den Schädel und starrte Rhodanfragend an.

»Was ist das?« fragte er.»Was ist was?«»Dieses Summen und Dröhnen? Hören Sie es

nicht?«Rhodan schüttelte den Kopf.»Was könnte es sein?« fragte er.Tanaka horchte. Dann schüttelte er den Kopf.»Es klingt wie ein aufgeregter Hornissenschwarm.

Ich würde schwören, es ist einer in der Nähe, aberdas ist natürlich Unsinn.« Rhodan dachte nach. Esgab keinen Zweifel daran, daß Tanaka mit Hilfeseiner parapsychischen Fähigkeiten »hörte«. Wenndas so war, dann gab es jetzt, nachdem Thora denneuen Sender ausgeschaltet hatte, zwei möglicheQuellen des Geräusches: den Unbekannten, der seinVersteck im Berg hatte, und die geflohenenLeuchtwesen.

»Kannst du etwas verstehen?« fragte Rhodanweiter.

»Nein, Sir. Es ist nur einfach ein Geräusch.«Also die Leuchtwesen. Rhodan hielt sie für

unintelligent, und wenn sie Laute von sich gaben, dieder energetischen Struktur ihrer Körper entsprachen,dann würden sie unartikuliert sein.

*

Wie ein aufgeregter Hornissenschwarm ...Rhodan ließ sich die Dinge durch den Kopf gehen.

Er hatte eine Entscheidung zu treffen, und jeschneller er es tat, desto besser war es für ihn undseine Leute.

Ergriff zum Mikrophon. »Crest und Bully! Fahrtbeide zur STARDUST zurück. Ich bin nicht völligsicher, daß wir die Leuchtwesen für immer in die

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Flucht geschlagen haben, und ich möchte, daß SieThora unterstützen, wenn der nächste Angrifferfolgt.« Bull protestierte. »Das heißt doch nurschwarze Männer an die Wand malen!« rief eraufgebracht herüber. »Ich denke, wir haben ihnenden Appetit für immer verdorben!«

»Das denkst du!« antwortete Rhodan ernst. »KeineDiskussionen, du fährst mit Crest zusammen zurück.Und hör jetzt gut zu!«

»Ja?«»Du wirst dich mit Crest zusammen bemühen, auf

dem schnellsten Wege einen zweiten Sender von dergleichen Bauart wie der umgearbeitete Strukturtasterherzustellen. Im Augenblick hast du Gelegenheit, dieSchutzschirme abzuschalten und genügendAntipartikel für den zweiten Schwingkreisherzustellen. Dieser zweite Sender soll mit einem voneuren beiden Wagen hinter mir herkommen, ich gebePeilsignale. Den Wagen soll Major Nyssen steuernund dazu nur einen Begleiter mitnehmen. Allesverstanden?«

»Ja!«»In Ordnung. Gute Fahrt!« Rhodan wartete, bis die

beiden anderen Fahrzeuge kehrtgemacht hatten undüber die sanft gerundete Kante des nördlichenBerghanges verschwunden waren. Er rief Thora anund bat sie darum, alles Erforderliche für den Baueines zweiten Senders vorzubereiten.

Dann sah er seine Leute der Reihe nach an.»Tanaka! Was macht das Summen?«»Hält sich auf gleicher Stärke, Sir.« Rhodan

nickte. »Anne, machen Sie ein freundlicheresGesicht! Wir haben eine Schlacht gewonnen undsollten froh darüber sein.«

»Aber ...«»Kein Aber. Das Ziel liegt dicht vor uns, und wenn

wir es erreicht haben, sind alle unsere Sorgenvorbei.«

Das sagt sich so leicht, überlegte er. Aber es hattekeinen Sinn, Leuten, die ohnehin schon Angst hatten,die Schwierigkeiten der Lage unnötig drastisch zuschildern. Des guten Kommandanten vornehmsteAufgabe war es, seinen Leuten Mut und Zuversichteinzuflößen.

Er sah, daß Deringhouse ihn erwartungsvollanstarrte.

Rhodan verzog das Gesicht zu einem Grinsen.»Es geht weiter!« sagte er hart und ließ im

gleichen Augenblick den Motor aufheulen.

*

Die nächste Stunde verstrich ereignislos - sowohlan Bord der STARDUST als auch in RhodansKettenwagen.

Crest und Bull hatten das Schiff erreicht und sich

sofort an die Arbeit gemacht. Da von Thora alles,was sich vorbereiten ließ, vorbereitet worden war undCrest die gleiche Arbeit, wenn auch nur als RhodansAssistent, schon einmal getan hatte, glaubten sie, siekönnten in zwei bis drei Stunden fertig sein. DerSender würde eine geringere Sendeleistung besitzenals der erste, denn sie wagten es nicht, die Energieder Schutz- und Neutralisationsschirme länger alsvierzig Minuten zur Erzeugung der Antiteilchenheranzuziehen. Selbst diese Zeitspanne trieb Crestbeinahe zur Panik.

Rhodans Wagen war inzwischen in flottem Tempoweiter über das Plateau vorgestoßen und erreichtenach Ablauf einer Stunde eine Art Böschung, die insanfter Neigung einen Höhenunterschied von etwafünf Metern überwand und schnurgerade inwestöstlicher Richtung verlief, soweit man sehenkonnte.

Rhodan wunderte sich über sie. Nichts wies daraufhin, wie sie mit ihrer exakten Form mitten auf dieHochebene gekommen war oder welchesNaturereignis sie erschaffen hatte.

Rhodan dirigierte den Wagen hinunter und stelltefest, daß jenseits der Böschung der Boden noch umeine Spur ebener war als der, den sie bisher unter denRaupen gehabt hatten.

Er führte dem Motor die höchstmögliche Leistungzu und ließ den Wagen über die ebene Flächedahinrumpeln.

*

Eine Stunde später meldete Bull aus derSTARDUST, daß der Sender fertiggestellt sei und,daß er ihn jetzt mit Major Nyssen auf den Wegbringe.

Rhodan verspürte darüber einige Erleichterung,obwohl von Leuchtwesen in der Zwischenzeit nichtszu sehen gewesen war.

Ebenso blieb die STARDUST vorläufigunbehelligt.

Major Nyssen betrachtete den Auftrag als eine ArtSport. Er hatte sich Captain Klein als Begleiterausgesucht, und Klein war ihm dankbar dafür.

In wenigen Minuten hatten sie den Rest desTalkessels durchquert, in dem noch vor wenigenStunden die Leuchtwesen gehaust hatten, und triebenden Wagen mit voller Motorenleistung den flachenBerghang hinauf.

*

Rhodan war der erste, den das Pech einholte - einziemlich lächerliches Pech, aber deshalb nichtweniger gefährlich.

Nahezu drei Stunden waren vergangen, seitdem er

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Bull und Crest zur STARDUST zurückgeschickthatte. Der Boden war weiterhin glatt und erlaubteRhodan, Höchstgeschwindigkeit zu fahren. Jetztjedoch drosselte er die Geschwindigkeit ziemlichabrupt, weil er seit ein paar Augenblicken das Gefühlhatte, das Steuer gehorche ihm nicht mehr so willigwie zuvor.

Er starrte auf den Bildschirm und beobachtete denBoden, auf dem der Wagen sich bewegte. Er konntenichts Besonderes feststellen. Er verringerte dieGeschwindigkeit noch um ein Weiteres - und dannsah er es plötzlich.

Der Boden sank unter dem Wagen ein!Es sah aus, als führe er auf einem straff gespannten

Tuch.Rhodan hielt an und zerbrach sich den Kopf über

das Phänomen. Deringhouse kam herbeigekrochenund starrte ebenfalls auf den Bildschirm. Der Effektwar jetzt deutlich zu erkennen. Das Gewicht desWagens veranlaßte den Boden, eine Art Senke zuformen, deren Ausläufer, soweit Deringhouse sehenkonnte, etwa fünfzig Meter weit reichte.

Rhodan wurde plötzlich aktiv. Mit protestierendemHeulen trat der Motor wieder in Aktion und riß denWagen mit einem großen Ruck nach vorne.

»Wir Narren!« knurrte Rhodan. »Es ist Eis! Wirfahren seit anderthalb Stunden über einenzugefrorenen See, und keiner hat etwas davongemerkt.«

Deshalb die Böschung, über die er sich gewunderthatte. Sie war das Seeufer.

Rhodan atmete auf, als er von Süden her eineähnliche Böschung auf sich zukommen sah. Siemochte noch etwa achthundert Meter entfernt sein,und wenn sie Glück hatten ... Sie hatten kein Glück.Das Wagengehäuse übernahm bereitwillig dieakustische Schwingung und übertrug mitüberraschender Deutlichkeit den lauten Knall, unterdem das Eis zerbarst. Der Bildschirm zeigte, daß derBoden plötzlich Risse bekommen hatte - schwarzeSpalten, die sich mit erschreckender Schnelligkeitverbreiterten. Dann legte sich das Bild schief. DerWagen begann zu kentern.

»Anne!« schrie Rhodan. »Höchstleistung auf dieGeneratoren!«

Dem Heulen des leer laufenden Motors mischtesich dröhnendes Summen bei, als die Generatorenmit aller Kraft versuchten, das Neutralisationsfelddes Wagens so weit zu verstärken, daß er nichtversank.

Rhodan wußte, daß es nur wenig Hoffnung gab.Der Wagen hatte einen mit Luft normalen Drucksgefüllten Hohlraum; aber weit gewichtiger als dieserHohlraum war die Masse der Wagenwandungen, derGeneratoren und des Motors. Selbst wenn manbedachte, daß das Methan des Sees, in dem sie zu

versinken drohten, ungeheuer dicht war und einenweitaus größeren Auftrieb produzierte als irdischesWasser selbst dann bestand kein Zweifel daran, daßder Wagen in ein paar Minuten versunken seinwürde.

Wenn Rhodan gewußt hätte, daß der See an dieserStelle nicht tiefer als fünfzehn Meter war, hätte erkeinerlei Anstrengungen gemacht, das Absinken zuverhindern. Fünfzehn Meter gepreßtes, flüssigesMethan konnten die Wagenaufbauten noch vertragen.Zwanzig Meter Methan unter diesenDruckverhältnissen wären wahrscheinlich schonkritisch gewesen.

Die Raupen wühlten die träge Flüssigkeit auf undbrachten sie in Bewegung. Rhodan hielt den Motorauf Höchsttouren. Alles, was in der Lage war,flüssiges Methan vom Bug des Wagens in RichtungHeck zu schleudern, erzeugte Antrieb inVorwärtsrichtung, und wenn er auch noch so geringwar. In einer Lage wie dieser war jeder Meter näherzum Ufer ein Vermögen wert.

Tanaka machte seinen weitreichendenTelekomsender betriebsfertig, damit er einen Notrufan die STARDUST absetzen konnte, sobald RhodansGerät die Entfernung nicht mehr überwinden konnte.Ein paar Meter flüssiges Methan machten dieschönste Funkverbindung zunichte, wenn sie nichtgenügend Energie hatte.

Rhodan beobachtete. Der Bildschirm war zurHälfte mit träge bewegtem Methan bedeckt. Auf deranderen Hälfte konnte er das rettende Ufer sehen. Eswar nicht wesentlich näher gekommen.

Die Neutralisationsgeneratoren verlangsamten dasAbsinken zwar, hielten es aber nicht völlig auf. Unddie wie närrisch laufenden Raupen erteilten demWagen keine meßbare Geschwindigkeit gegenüberdem zähflüssigen Medium, in dem er zu versinkendrohte.

Rhodan rief über sein eigenes Gerät dieSTARDUST an. Die Verbindung war nocheinwandfrei. Noch ragte die Antenne über denMethanspiegel hinaus.

»Wir starrten sofort und fischen euch heraus!«versicherte Bull.

»Ihr müßt euch dicht über dem Wagen halten unddas Neutralisationsfeld des Schiffes so langeverstärken, bis es unser Fahrzeug herausheben kann«,erklärte Rhodan hastig. »Eine andere Möglichkeitgibt es nicht.«

»In Ordnung!« antwortete Bull. »Gib unsPeilsignale mit dem stärkeren Sender.« Rhodanwandte sich an Tanaka. »Machen Sie den Sender ...«In diesem Augenblick gab es einen Ruck. Der Wagenächzte ein wenig, schaukelte ein bißchen und kamzur Ruhe.

Der Bildschirm zeigte nur noch trübes Methan, bis

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auf einen zentimeterbreiten Streifen am oberen Rand.»Was war das?« fragte Deringhouse atemlos.

Rhodan fing an zu lachen. »Wir sind auf Grund!« Esdauerte eine Weile, bis sie es alle verstanden.

Sie waren gerettet. Der See war an dieser Stellenicht tiefer als etwa drei Meter. Vier Fünftel desRaupenwagens standen unter Methan. Aber dieRaupen faßten den Grund des Sees und trieben dasFahrzeug vorwärts.

Rhodan blies den Alarm ab. Bull atmete auf.Der Wagen fuhr als Eisbrecher. Rhodan steuerte

ihn vorsichtig und benutzte hauptsächlich Stellen, andenen das Methaneis schon gespalten war, umvorwärts zu kommen.

Auf diese Weise brauchte er eine halbe Stände, umdie letzten achthundert Meter bis zum Ufer zuüberwinden. Der Wagen schob sich triefend aus demSee und kroch die flache Uferböschung hinauf.

Rhodan wollte ein paar aufmunternde Worte zuseinen Leuten sagen. Aber das Bild, das derFernsehschirm bot, faszinierte ihn.

Einen halben Kilometer voraus stieg eineFelsnadel in die Höhe. Daß es eine Nadel war,erkannte Rhodan erst, als er den Scheinwerfer einpaarmal an ihrer Flanke hatte hinauf- undherabgleiten lassen. Sie besaß einen beachtlichenDurchmesser und reichte offenbar weit über dieLeuchtgrenze des Scheinwerfers hinaus. Rhodanerinnerte sich, daß der Orter auf der STARDUST deneigentlichen Berggipfel erst aus relativ geringer Höhehatte ausmachen können. Das sprach dafür, daß dereigentliche Gipfel kein ausgedehntes Objekt war wiediese Nadel zum Beispiel. War das der Berg? TanakaSeiko begann unvermittelt zu schreien. Rhodan fuhrherum. Der Japaner hatte das Gesicht im Schmerzverzogen und preßte sich die Hände gegen dieSchläfen.

Rhodan rief ihn an, aber Tanaka gab keineAntwort. Sekunden vergingen, in denen niemandwußte, was er tun sollte.

Bis der Japaner plötzlich zu schreien aufhörte, dieHände sinken ließ und erleichtert vor sich hin starrte.»Was war?«

»Eine Botschaft, Sir.«»Wie hieß sie?« fragte Rhodan.»Sie hieß: >Du bist auf dem richtigen Weg. Komm

weiter! Besitzt du aber das obere Wissen?<«Rhodan knurrte zur Antwort. Er hatte nicht damit

gerechnet, daß der Unbekannte sich noch einmalmelden würde. Trotzdem war es ein Trost. DasBergmassiv war gewaltig in seinen Ausmaßen, undman mußte jedem dankbar sein, der einem sagte, mansei auf dem richtigen Wege.

Der Raupenwagen rollte gemächlich auf dieBergnadel zu.

Rhodan informierte die STARDUST und Major

Nyssen in seinem Wagen.»Das Summen wird starker, Sir«, sagte Tanaka

Seiko plötzlich.Im gleichen Augenblick sah Rhodan das

eigenartige Muster auf der Nordflanke der gewaltigenBergnadel, die nicht mehr als zweihundert Meterentfernt war.

Die Nadel war, wie alle Felsformationen auf dieserWelt, mit einer Schicht von Methan- undAmmoniakeis bedeckt. Wegen der Steilheit ihrerFlanken war diese Schicht jedoch offenbar nicht sodick, als, daß sie gröbere Einzelheiten derFelsoberfläche völlig hätte überdecken können.

Man erkannte deutlich die hufeisenförmige Rille,die mit ihren beiden Schenkeln am Fuß der Felsnadelbegann und ihren höchsten Punkt in etwa zwanzigMetern Höhe erreichte. Das Eis hatte sich auch in derRille festgesetzt, aber es reflektierte das Licht desUltrarotscheinwerfers unter einem anderen Winkel;deshalb hob sich das Hufeisen eindeutig gegen seineUmgebung ab.

Rhodan glaubte die Rille deuten zu können.»Dort ist das Tor!« sagte er ernst. »Anne, es sieht

so aus, als könne man es nur mit einemtelekinetischen Kunststück öffnen. Wenden Sie alsoIhr oberes Wissen an!«

Er drohte sich um und lächelte Anne zu.Deringhouse ergänzte: »Und geben Sie sich Mühe,Anne! Dort drüben kommen unsere Freunde von deranderen Dimension!« Rhodan wirbelte herum.

Von rechts her schob sich eine ganze Kompanietanzender, irrlichternder Energiewesen ins Bild. Sieschienen ihr Ziel zu kennen; denn sie marschiertengeradewegs an der Bergflanke entlang auf dashufeisenförmige Tor zu. Sie würden es nicht spätererreichen als der Raupenwagen.

*

»Der Teufel soll das Wetter holen!« knurrteNyssen gereizt.

Vor ein paar Minuten hatte der Sturm angefangen,stärker zu werden. Der Wagen, nur mitNeutralisationsfeld gegen die Schwerkraftausgerüstet, war ihm ziemlich hilflos ausgeliefert.Nur sein außerordentliches Gewicht und dieTatsache, daß er ziemlich flach auf dem Boden lagund dem Sturm keine große Angriffsfläche bot,bewahrten ihn vor dem Davonfliegen.

Nyssen gab der STARDUST von dem UnwetterBescheid. Auf der STARDUST merkte man nichtsdavon.

Nyssen hätte mit der Hochdruck-Aerodynamikdieser Welt besser vertraut sein müssen, um zuwissen, daß es auf Gol wegen des enormen Drucksund der hohen Schwerkraft so etwas wie

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Großwettergebiete nicht gab. Der Sturm war ewig,aber die Schwankungen seiner Intensität wirkten sichstets nur auf einer Fläche von wenigenQuadratkilometern aus. Jenseits der Grenzen merkteman nichts von der Wetterveränderung. MitTemperaturschwankungen verhielt es sich ebenso.

»Es wird immer kälter«, beschwerte sich Klein,der die Meßinstrumente ständig kontrollierte.

»Ich merke es«, antwortete Nyssen und wicheinem Eisberg aus, der gerade begonnen hatte, vordem Wagen aus dem Boden zu wachsen.

Plötzlich war das Gelände nicht mehr eben. Hügel,Eisbrocken und ganze Berge schossen überall ausdem Boden und nahmen Nyssen die Übersicht Ererhöhte die Geschwindigkeit, um aus dem Gewirrneuer Formationen so schnell wie möglichherauszukommen; aber nach ein paar Augenblickenmußte er wieder drosseln. Die Gefahr einesZusammenstoßes war zu groß.

Der Wagen wand sich um einen übermannsgroßenEisbrocken herum, als sich vor ihm mit unglaublicherSchnelligkeit ein Eisberg aus gefrorenem Methanbildete. Klein las auf dem Außenthermometer eineTemperatur von siebzig Grad absolut. Es warkeineswegs verwunderlich, daß Methan tonnenweiseaus der Atmosphäre kondensierte; aber es warverblüffend, den Berg wachsen zu sehen.

Nyssen fluchte und brachte den Wagen zumStehen. Er stieß ein Stück rückwärts, um nach linkseinbiegen zu können; aber er kam nur ein paar Meterweit, da hielt ihn von hinten etwas fest. Er schwenkteden Bildaufnahmesektor und sah, daß hinter demWagen ein zweiter Berg in die Höhe wuchs. Rechtshatte er ohnehin den Hügel, den er hatte umfahrenwollen, und nun begann auf der linken Seite miterschreckender Schnelligkeit ebenfalls ein Berg inMinutenschnelle aus dem Boden zu wachsen.

»O verdammt!« sagte Nyssen aus vollem Herzen.»Wir sitzen fest.«

Er rief die STARDUST an und schilderte seineLage.

»Wir holen euch heraus!« versprach Bull.»Rhodan scheint das Ziel erreicht zu haben, wie wiraus den letzten Gesprächen hörten. Es kann nichtschaden, wenn wir starten und zu euchhinaufkommen.«

»In Ordnung, Sir«, antwortete Nyssen erleichtert.»Wir warten.«

Er schaltete den Motor ab. Die Stille, die danachkam, war bedrückend.

Der Sturm hatte aufgehört, seitdem ihn die vierEisberge abhielten.

Nyssen starrte auf den Bildschirm, bis ihn dieAugen schmerzten. Dann lehnte er sich in den Sitzzurück und zündete sich eine Zigarette an. Kleinbeschäftigte sich mit den Instrumenten. Es schien ihn

ungeheuer zu interessieren, was draußen vorging.Niemand hatte bisher auf Gol solch tiefe

Temperaturen abgelesen.Keiner von ihnen achtete auf den Generatorkasten

im Heck des Wagens, nur durch eine Plastikplattevom eigentlichen Innenraum abgetrennt.

Das Wageninnere beleuchtete eine kleine,schwache Lampe - schwach deshalb, damit sie dieBildbeobachtung nicht störte:

Nyssen hatte plötzlich das Gefühl, daß die Lampeheller geworden sei. Verwundert drehte er sich um,und im selben Augenblick schrie Klein auf: »Dort...!«

Nyssen sah es sofort. Eine kleine leuchtendeWolke quoll aus der Mitte der Platte hervor, die denGeneratorraum abschloß. Sie waberte hin und her wieder Rauch von Nyssens Zigarette, und ihreLeuchtkraft wuchs von Sekunde zu Sekunde.

Nyssen und Klein saßen reglos, vor Schreckerstarrt.

Die Wolke schien nicht zu wissen, was sie wollte.Sie wandte sich hierhin und dorthin, ohne sich vonder Platte zu lösen. Sie wurde ein wenig größer undschrumpfte wieder zusammen. Aber fortwährendwuchs ihre Leuchtkraft.

Nyssen merkte, wie ihn eine Kraft schwer inseinen Sessel drückte. Die Hand, die die Zigarettehielt, und die Zigarette selbst nahmen an Gewicht zu.Es dauerte eine Welle, bis er das begriff.

»Es saugt die Generatoren ab!« schrie er. Kleinfuhr auf. Es sah aus, als fühle sich die Leuchtwolkebedroht. Sie schrumpfte zusammen und verschwandinnerhalb kurzer Zeit. Klein sank ächzend wieder inseinen Sitz, als er merkte, daß er inzwischen seinGewicht verdoppelt hatte.

»Die Platte herunter!« befahl Nyssen.Die Platte hatte vier Verschraubungen, die leicht

zu lösen waren. Klein konnte sie von seinem Sitz ausabnehmen. Die Platte kippte nach vorn.

Nyssen starrte in den Generatorraum.Der Generator für den Motor und alle

Nebenleistungen war nur noch ein formloserKlumpen Metallplastik.

Der Schirmfeldgenerator war lädiert, aber offenbarmit einem Teil seiner Leistung noch intakt.

»Sehen Sie nach!« fuhr er Klein an. »Wir müssenwissen, ob er durchhält.«

Klein kroch stöhnend nach hinten und sah nach. Esdauerte eine Weile. Dann drehte er schwerfällig denKopf und sagte über die Schulter:

»Ziemlich angefressen, Sir. Kann jedenAugenblick ausfallen.« Nyssen schluckte. »Na dann...«

Der Wagen war bewegungsunfähig. DerStruktursender, dessentwegen sie diese Fahrtunternommen hatten, nützte ihnen nichts mehr, weil

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er an den Triebwerkgenerator direkt angeschlossenwar. Die Lampe brannte nicht mehr, und das einzigeLicht, das das Wageninnere erhielt, kam von demBildschirm. Das Aufnahmegerät war an denSchirmfeldgenerator angeschlossen.

Nyssen schaltete es ab. Er wußte, daß auch derTelekom über dem Schirmfeldgenerator arbeitete.Also konnte er einen Spruch an die STARDUSTabsetzen.

Schwerfällig streckte er die Hand aus und griffnach dem Mikrophon.

In diesem Augenblick durchfuhr ein neuer Ruckden Wagen. Klein und Nyssen stöhnten gleichzeitigauf. Nyssens ausgestreckte Hand fiel nach unten undschlug klatschend auf das Steuerpult.

Die Gravitation hatte um ein weitereszugenommen, die Leistung des Generators warabgesunken. Nyssen schätzte die Schwere innerhalbdes Wagens auf drei g.

Dann streckte er seine Hand weiter aus und griffnach dem Mikrophon. Es war schwer geworden, aberes funktionierte noch. Er rief die STARDUST an.Aber die STARDUST gab keine Antwort mehr.

*

»Wir starten!« hatte Reginald Bull vor ein paarSekunden bekanntgegeben.

Dann hatte er durch Regelkommandos vomSchaltpult aus den Startvorgang eingeleitet.

Aber die STARDUST rührte sich nicht.Bull wußte, daß er keinen Fehler gemacht hatte.

Jemand, der berechtigt war, dieses Schiff zu steuern,konnte keine Fehler machen.

Außer ihm waren Thora und ein paar andere Leutein der Zentrale, die er unter Umständen glaubtebrauchen zu können.

Bull gab blitzschnell die Gegenkommandos undbrachte die Aggregate wieder zur Ruhe.

Ohne sich seinen Schreck anmerken zu lassen, riefer den Ingenieur an.

Der Ingenieur meldete sich nicht, und inzwischenhatte Thora bemerkt, daß nicht alles in Ordnung war.»Stimmt etwas nicht?« Bull schüttelte den Kopf. »Ichfahre Hinunter zum Technischen Leitstand«, sagte er.»Warten Sie ein paar Augenblicke. Bin gleich wiederzurück!« Dann war er hinaus. Die beachtlicheEntfernung von der Zentrale zum TechnischenLeitstand bewältigte er in Rekordgeschwindigkeit. Erstürmte über die Laufbänder der Gänge und kämpftemit dem zu geringen Sog der Gravitationslifte.

Der Leitstand lag etwa zweihundert Meterunterhalb der Zentrale.

Bull zwängte sich durch die Tür, die sich nurzögernd öffnete, und überflog den mit Schaltpultenvollgepfropften Raum mit einem Blick. Es war

niemand da. Der Leitstand schloß nach einer Seitemit einer durchsichtigen Wand gegen deneigentlichen Generatorenraum ab. Bull warf einenBlick durch die Wand und betrachtete die blitzendenKolosse der gewaltigen HHe-Meiler, dieSchirmfeldgeneratoren und Hilfsgeräte.

Die Schirmfeldgeneratoren arbeiteten underzeugten ein leises Summen, das sich der Wandmitteilte und auch im Leitstand zu hören war. ImGeneratorenraum war niemand zu sehen. Alles warleer und - bis auf das schwache Summen - still.

Mit knallenden Schritten stampfte Bull bis an dasjenseitige Ende des Leitstandes und ließ die Tür sichöffnen, hinter der ein schmales Laufband zum Niveaudes Generatorenraumes hinunterführte. Er trat auf dasBand und fuhr hinunter.

Ein drohendes, widerwärtiges Gefühl der Gefahrüberkam ihn, als er sich von dem Band in dengewaltigen Raum hinuntertragen ließ. Er zog seineWaffe und entsicherte sie. Aber bis jetzt war niemandzu sehen, auf den es sich zu schießen gelohnt hätte.

Die Meiler und Generatoren standen in langenReihen. Die Gänge dazwischen waren jeweilsmehrere Meter breit. Aber da die Aggregate selbstzwanzig und mehr Meter hoch waren, war der Raumnichtsdestoweniger in unerfreulichem Maßeunübersichtlich.

Das Gefühl drohender Gefahr verstärkte sich, alsBull das Band verließ, das hinter ihm zur Ruhe kam,und in den ersten Gang hineintrat. Rechts und linksvon ihm standen die beiden Meiler für denSektor-A-Antrieb. Dahinter kamen die beidenSchirmfeldgeneratoren, ebenfalls für Sektor A, unddann eine lange Reihe von Hilfsgeräten. Diese Reihewar insgesamt etwa achtzig Meter lang.

Die Schirmfeldgeneratoren arbeiteten. Bullstudierte die Anzeigen und fand keinen Fehler.

Was ihn irritierte, war die Tatsache, daß sich keinMensch in dem ganzen Raum sehen ließ. DieTechnische Abteilung hatte die Anweisung, denGeneratorenraum mit einer ständigen Wache vonmindestens zehn Mann besetzt zu halten. Mochte derRaum auch noch so unübersichtlich sein, einen vonden zehn hätte man sehen müssen.

Bull marschierte weiter. Seine Schritte klangenhohl und dumpf. Er trat fester auf als gewöhnlich undwußte nicht, daß er es nur tat, um ein anderesGeräusch zu hören als diese unheimliche summendeStille.

Er stand vor einem der beidenSchirmfeldgeneratoren, als er ein seltsames Geräuschvernahm. Er wußte nicht, woher es kam; aber esklang wie eine Reihe von Glockenschlägen.

Dann, bevor er sich darauf vorbereiten konnte,durchfuhr das Schiff ein Ruck. Er verlor dasGleichgewicht und stürzte schwer zu Boden. Als er

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sich wieder aufzurichten versuchte, sah er, daß derBoden sich geneigt hatte.

Blitzschnell war er wieder auf den Beinen. Erbückte sich nach seiner Waffe, die ihm aus der Handgefallen war, und als er den Kopf wieder hob, sah eres deutlich.

Seine Gedanken liefen plötzlich langsam undzähflüssig wie in einem Traum.

Es ist nur eins, dachte er. Wenigstens vorerst ...Es lugte weit hinten um die Ecke des Ganges,

bewegte sich träge und fließend wie eine Wolkeschweren Qualms, und dann kam es langsam um dieEcke herum.

Sie sind auf einen neuen Trick gekommen, dachteBull bitter. Warum sollen sie ihren Hunger draußenan den Feldern stillen, wenn sie ebenso bequemdurch die Wände hereinkommen und sich an derQuelle selbst sättigen können.

Du hast selbst gesehen, wie wenig ihnen solideWände ausmachen, nicht wahr?

Instinktiv hob er die Hand mit der Waffe.Die leuchtende Wolke kam näher. Sie hat die

Meiler angesaugt, dachte Bull, deshalb konnten wirnicht starten. Außerdem hat sie einen Generator leergefressen, deshalb ist das Schiff gesunken. Und wennich ihr nicht den Garaus mache, dann wird sie uns umKopf und Kragen bringen.

Etwas veranlaßte ihn, sich umzudrehen und denGang zurückzuschauen.

Da war ein zweites Leuchtwesen. Es schob sichebenfalls um die Gangecke herum und kam auf ihnzu.

Er verlor die Nerven und begann zu schießen.Er traf das Wesen, das er zuerst gesehen hatte. Es

schien sich über den Schuß zu freuen. An der Stelle,an der er traf, leuchtete es plötzlich intensiver.Außerdem vergrößerte es seine Geschwindigkeit undkam schneller auf Bull zu.

Mit einem wilden Schrei, in dem sich Zorn undEntsetzen mischten, fuhr Bull herum und schoß aufden anderen Gegner. Er erzielte den gleichen Effekt,und dann waren die leuchtenden Wolken heran.

Voller Verwunderung spürte er, wie einprickelndes Gefühl durch seinen Körper rann, als seier mit einer schwachen Spannungsquelle in Kontaktgekommen. Das Gefühl war wohltuend - wenigstenseine Zeitlang. Aber dann verstärkte es sich. Er riß dieAugen weit auf und sah, daß die Leuchtwesen ihmden Ausblick verdeckten. Er sah nur noch eineleuchtende, wabernde, formlose Masse.

Der Schmerz nahm zu. Er wuchs und wuchs, bisBulls Schädel zu dröhnen anfing und ihn schließlicheine wohltuende Ohnmacht hinwegnahm.

*

Thora verstand die Dinge nicht mehr.Sie, hatte Rhodan zu benachrichtigen versucht,

aber Rhodan gab keine Antwort. EbensowenigNyssen, der irgendwo dort draußen auf die Hilfe derSTARDUST wartete.

Die Bildschirme waren schwarz geworden,nachdem das Schiff sich mit plötzlichem Ruckgesenkt hatte und die Böden schräg geworden waren.

Sie belagern uns, dachte Thora. Sie schlucken alleEnergie, die von draußen herein- oder von drinnenhinauswill.

Sie hatte keine Ahnung, daß die fremden Wesenschon in das Schiff selbst eingedrungen waren.

Sie wollte nach Crest rufen und wunderte sichdarüber, daß er nicht schon längst selbst gekommenwar, als ein scharfer Ruck das Schiff erzittern ließ.

Gleichzeitig verspürte Thora das gleiche Gefühlbleierner Schwere wie damals, als die Leuchtwesenzum erstenmal angriffen.

Die Generatoren arbeiteten nicht mehr voll.Sie hörte die Leute um sich herum schreien und

fluchen. Die Beleuchtung fing an zu flackern underlosch nach kurzem Zögern.

Thora sank unter der Wucht der unheimlichenSchwere zu Boden und rührte sich nicht mehr. Siewar noch nicht bewußtlos, aber in einer Situation wiedieser schien es ihr das beste, sich der eigenenHilflosigkeit voll und ganz zu überlassen.

*

»Haben Sie es?« fragte Rhodan. »Gleich«, keuchteAnne Sloane. »Da ist ein Kanal im Fels, und ... ach!Nichts!«

Nach allem, was Anne mit Hilfe ihrestelekinetischen Spürsinns bisher herausgefundenhatte, gab es in der Felswand vor ihnen wenigstensein paar hundert armstarke Kanäle, die in allenmöglichen Winkeln durch das Gestein liefen undvöllig sinnlos endeten.

Anne mußte sie alle absuchen, um denMechanismus zu finden, der das Tor öffnete. Aberbis dahin ... Deringhouse knurrte ungeduldig. Er hatteTanakas Platz übernommen, da der Japaner wiederunerträgliche Kopfschmerzen verspürte, seitdem dieLeuchtwesen aufgetaucht waren. Rhodan hatte mitseinem leistungsschwachen Telekom keineVerbindung mit der STARDUST oder Nyssen mehrbekommen. Seit zehn Minuten versuchte esDeringhouse über den wesentlich stärkeren Sender -mit ebensowenig Erfolg.

Die Kompanie der Leuchtwesen hatte sich vor demHufeisentor postiert und schien auf etwas zu warten.

Rhodan fürchtete, daß Anne ihre Kräfte verlassenwürden, bevor sie den Mechanismus gefunden hatte.Außerdem fürchtete er, daß die STARDUST zum

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zweitenmal angegriffen worden und, daß Nyssenetwas zugestoßen war.

Annes Kopf ruckte nach vorne. Sie sah unwirklichaus. »Ich hab's!« stöhnte sie dumpf. Rhodan fuhr inseinem Sitz herum. »Noch nicht öffnen!« rief er.»Warten Sie noch!«

Der Wagen polterte davon. Hundert Meter vor demTor hatte er angehalten; jetzt waren es noch achtzig,noch sechzig ...

Die Leuchtwesen rührten sich nicht. Sieblockierten das Tor, und Rhodans größte Sorge galtder Frage, wie viele von ihnen mit in das Innere desBerges hineinkommen würden, sobald Anne das Toröffnete ... vierzig, zwanzig ...

»Öffnen!« bellte Rhodan. Anne knirschte mit denZähnen. Eine halbe Stunde lang war keine Wirkungzu erkennen. Dann bildete sich dort, wo das Hufeisenauf den Boden stieß, ein Spalt. Rhodan starrte ihn anund sah, daß das Tor wie ein Bühnenvorhang nachoben hinweggezogen wurde.

Er schätzte die Geschwindigkeit des Wagens abund die Höhe, die die Öffnung erreicht haben würde,wenn das Fahrzeug mit ihr auf einer Höhe war. EinenAtemzug lang war er versucht zu bremsen, weil dasTor sich zu langsam bewegte; aber dann verzichteteer darauf.

Er hatte keine Zeit mehr, auf die Leuchtwesen zuachten. Es gab einen kurzen kräftigen Ruck, als derAufbau des Wagens unter dem Rand des Toreshindurchschrammte, und einen beängstigend lautenKnall. Dann waren sie hindurch. »Schließen!« schrieRhodan. Er fuhr einen weiten Kreis, ohne darauf zuachten, wohinein er da eigentlich gefahren war, unddrehte den Wagen um neunzig Grad. Beruhigt sah erauf dem Bildschirm, daß das Tor sich wieder schloßund, daß dies alles für die Leuchtwesen offenbar zuschnell gegangen war. Mit ihrer geringenReaktionsfähigkeit hatten sie nicht rechtzeitigbegriffen, was da vor sich ging.

Neben ihm gab es ein schwaches Rascheln unddann einen Plumps.

Nach den Anstrengungen der letzten Viertelstundehatte Anne Sloane das Bewußtsein verloren.

Rhodan wollte etwas sagen, aber in diesemAugenblick flammte der Bildschirm so grell auf, daßsie alle geblendet die Augen schlossen.

Rhodan blinzelte. Vorsichtig, zwischenhalbgeschlossenen Lidern hindurch, studierte er dasBild auf dem Schirm.

Der Wagen war in eine Halle geraten. Sie warkreisförmig, mit einem Durchmesser von dreißigMetern, und ziemlich hoch.

Die Lichtquelle, die die Szene beleuchtete, war fürAugen gedacht, die die helle weißblaue Pracht derWega gewohnt waren, nicht für irdische Augen.

Was Rhodan verblüffte, war die Tatsache, daß die

Halle völlig leer war bis auf ein einziges, nichteinmal besonders großes Gerät.

Rhodan erkannte es. Es war ein Fiktiv-Transmitter,wie sie ihn schon einmal, als sie zum erstenmalversuchten, dem Unbekannten auf die Spur zukommen, in jener fabrikähnlichen Halle gesehenhatten, als Bull, weil er sich zu weit vorgewagt hatte,in einer schillernden Energiespirale davonflog.

Ein Fiktiv-Transmitter, ein Gerät also, dasTransmissionen durch den Hyperraum bewirkte,ohne, daß der, der sich transmittieren lassen wollte,an einem bestimmten Platz sitzen oder stehen odermit dem Gerät verbunden sein mußte. EinTransmitter, der mit steuerbarem Transportimpulsarbeitete, die Weiterentwicklung jenes Gerätes, dasdie Ferronen benutzten.

Dieses hier war größer als das, das sie in derFabrikhalle gesehen hatten. Mindestens wirkte es inder gewaltigen Halle verloren.

Rhodan fuhr heran. In der Halle herrschte diegleiche Gravitation wie überall an der Oberflächevon Gol.

Der Wagen begann plötzlich zu zittern. Rhodanspürte, wie das Steuer sich zu bewegen begann, undsah nach der Ursache. Er starrte auf den Bildschirmund sah, daß der Fiktiv-Transmitter ein Stück nachunten gewandert war. Der Transmitter? Nach unten?Es war der Wagen, der sich bewegt hatte. Erschwebte jetzt einen halben Meter über dem Bodender Halle und schien weiter zu steigen. »Sehen Siedas, Deringhouse?«

»Ja, Sir.«»Bedienen sie den Neutralisationsgenerator.

Jemand ist dabei, die Gravitation abzuschalten.Schalten Sie im gleichen Sinn, bevor uns der Wagendavonfliegt!«

Deringhouse entledigte sich seiner Aufgabe mitGeschick. Ein paar bange Minuten vergingen, indenen sich der Wagen teils gerade noch auf demBoden hielt, teils ein paar Handbreit darüberschwebte.

»Nichts mehr, Sir!« meldete Deringhouseschließlich. »Es hat aufgehört.«

Der Wagen besaß ein eigenes Gravitometer.Draußen herrschte eine Schwerkraft von 1,2 g.

Rhodan schloß den Helm. Deringhouse tat es ihmnach und ebenso Tanaka Seiko, der wieder Herrseiner Kräfte war, nachdem sie die Leuchtwesenhinter sich gelassen hatten. Anne Sloane war nochbewußtlos, sie schlossen ihren Helm, ohne, daß sieetwas davon merkte.

Sie mußten hinaus. Der Wagen hatte einenAusgang, aber keine Schleuse, da niemand damitgerechnet hatte, daß die Besatzung jemals außerhalbdes Schiffes das Fahrzeug verlassen würde.

Was draußen war, wußten sie nicht. Vielleicht

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atembare Atmosphäre, vielleicht eine andere,vielleicht auch gar keine. »Los!« befahl Rhodan. Eröffnete das Luk. Es machte keine Schwierigkeiten,und es gab nur einen kleinen, kaum spürbaren Stoß.

In der Halle gab es also eine Atmosphäre, und derDruckunterschied zwischen ihr und der, die sie imWagen gehabt hatten, war nicht besonders groß. Aberworaus bestand sie?

Rhodan ging kein Risiko ein. Die Helme derSchutzanzüge blieben geschlossen.

Er kümmerte sich um den Fiktiv-Transmitter.Offenbar arbeitete er nach demselben Prinzip wiejener, den sie an anderer Stelle gesehen hatten. Esgab eine kleine Reihe bunter Knöpfe, einen Zielreglernach dem Raumwinkelsystem und einenZielbildschirm.

Das alles konnte Rhodan allein bedienen. Er hattees gelernt. Er konnte ein Ziel einstellen und es sichbetrachten.

Aber eines konnte er nicht: den Transmitter inTätigkeit setzen.

Er hatte bei ihrer ersten Aktion begriffen, daß esdazu eines Mutanten bedurfte, der telekinetischeFähigkeiten besaß. Auf anderem Wege war derKontakt nicht zu schließen.

Rhodan preßte die harten Handschuhe seinesSchutzanzuges auf die Knöpfe. Der Bildschirmflammte auf. Eine kräftige Zieloptik schien ihm zurVerfügung zu stehen, denn was immer Rhodan aucheinstellte das Bild war hell und deutlich, heller, alswenn man es mit Ultrarot ausgeleuchtet hätte.

Er sah unbekannte Gebiete der Gol-Oberfläche.Ebenen aus Methaneiskristallen und wilde,zerklüftete Gebirge, die bis in endlose Höhenhinaufragten. Er drehte den Zielregler in eineRichtung, die er nach dem Gefühl für Norden hielt.Offenbar war das nicht völlig richtig; aber es bedurftenur noch einer knappen Drehung und eines Druckesauf den Knopf, der die Zielentfernung regulierte, umdie STARDUST auf den Schirm zu bringen.

Deringhouse stieß einen Laut der Überraschungaus. »Das Schiff liegt schräg, Sir!« Rhodan nickte. Erhatte es erwartet, nachdem die Verbindung mit derSTARDUST abgerissen war.

Die Schräglage des Schiffes war nicht bedeutend.Wenn das alles war, was der STARDUST zugestoßenwar, dann konnte sie es ertragen.

Etwas anderes fesselte Rhodans Aufmerksamkeit.Die Zieloptik schien mit einer Art

Weitwinkelobjekt zu arbeiten. Auf dem Bildschirmwar nicht nur die STARDUST erschienen, sondernauch der See, in dem Rhodans Wagen um ein Haarversunken wäre, der ganze Weg, den der Wagen vondem Talkessel her genommen hatte, und auch eineReihe von Eisbergen, die sich infolge einesWettersturzes nördlich des Seeufers in der letzten

halben Stunde gebildet zu haben schienen.»Miß Sloane kommt zu sich!« sagte der Japaner

leise.Rhodan sah zur Seite. Anne rührte sich.Sie allein konnte den Fiktiv-Transmitter bedienen.War es das, fragte sich Rhodan, was wir gesucht

haben? Einen Transmitter?Er hatte niemals eine klare Vorstellung davon

gehabt, was sie auf Gol erwartete. Ein weitererHinweis, glaubte er. Ein Fingerzeig auf das nächsteStück des Weges, den sie sich zu gehenvorgenommen hatten.

War es der Transmitter? Erhielten sie den Hinweisdurch ihn?

Es sah so aus. Die Halle enthielt nichts außer demTransmitter. Rhodan wußte nicht, was geschehenwürde, wenn Anne ihn bediente.

Aber er vertraute dem Unbekannten. Er kannte dieSituation, in die jeder, der seiner Spur folgte, auf Golgeraten würde, und der Transmitter mußte ein Mittelgegen die Gefahren darstellen, die auf dieser Weltlauerten.

Anne kam auf die Knie. Rhodan half ihr vollendsauf.

»Geht es schon wieder?« fragte er behutsam. Annenickte. »Es muß wohl, nicht wahr?« Sie lächeltedurch die glasklare Sichtscheibe des Heims.

»Gut. Sie kennen den Mechanismus. Das Ziel isteingerichtet. Schalten Sie!« Anne schloß die Augen.Rhodans Muskeln verkrampften sich in Erwartungdes reißenden Schmerzes, der da kommen mußte.Und er kam.

Von einer Zehntelsekunde zur anderen verblaßtedie schmerzende Helligkeit. Wilder Schmerz überfielRhodan, und er hätte geschrien, wenn er während derTransition die Möglichkeit gehabt hätte zu schreien.Wie lange ...

7.

... endlos lange.Niemand wußte über den menschlichen Zeitsinn

während einer Transition Bescheid. Aber es schienRhodan, als habe noch niemals eine Transition solange gedauert wie diese hier.

Stunden schienen zu vergehen, bis derkrampfartige Schmerz wieder auftrat, der das Endedes Durchgänger anzeigte, und es draußen vor derSichtscheibe des Helmes hell zu werden begann. Daswar doch ...

Es gab einen Ruck, als sei er von irgendwoherheruntergefallen; aber er stand fest auf den Beinen.

Neben ihm kam Deringhouse. Er verlor ein wenigdas Gleichgewicht und rempelte ihn an. Dahintererschienen Tanaka Seiko und Anne Sloane.

Und das um sie herum war die Zentrale der

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STARDUST. Oder nicht?Thora lag auf dem Boden. Sie stützte sich auf die

Arme, hob den Kopf und sah sich verwundert um. IhrBlick erfaßte Rhodans Beine, wanderte an ihnen nachoben, erkannte Rhodans Gesicht. »Sie ...?«

In diesen Augenblicken der maßlosenÜberraschung bewies Rhodan seine Fähigkeiten, dieihm schon auf den Nevada Fields vor fünf Jahren, alssein Training als Risikopilot in das Endstadium trat,unter den Psychologen des wissenschaftlichen Stabesfast den Ruf eingetragen hatte, ein Monstrum zu sein.

Sie waren auf vorerst völlig unerklärliche Weiseaus der Berghalle an Bord der STARDUST gelangt.Gut! Das war ein Rätsel, über das man sich späterden Kopf zerbrechen konnte. Wichtiger war ...

»An Bord alles in Ordnung?« fragte er schroff.Thora kam auf die Beine. »Wie ... wie sind Sie ...?«

»Ist bei Ihnen alles in Ordnung?« wiederholteRhodan, ein wenig härter dieses Mal.

Thora starrte ihn mit offenem Mund an.»Nein ...«, stammelte sie nach einer Weile, »...

Bull ... die Leuchtwesen, was ...«»Wo ist Bull?« Thora mußte sich besinnen. »Im

Technischen Leitstand!« Rhodan wandte sich anDeringhouse:

»Kümmern Sie sich um die Zentrale! Finden Sieheraus, was geschehen ist. Ich bin gleich zurück.«

*

Bull wurde gefunden. Er lag im Generatorenraum -bewußtlos und mit einem elektrischen Schock. Erwurde behandelt und war eine halbe Stünde späterwieder auf den Beinen.

Er berichtete, was ihm zugestoßen war. Daraufhinsuchte man nach Leuchtwesen, aber an Bord derSTARDUST gab es keine mehr.

Ein paar Minuten nachdem Bull seinen Berichtabgegeben hatte, meldeten sich Major Nyssen undCaptain Klein in der Zentrale. Sie waren beideziemlich verstört. Sie berichteten, daß sie mit einemlädierten Wagen in einem Eisgebirge eingeschlossengewesen waren. Ein Leuchtwesen sei in den Wageneingedrungen, habe den Fahrgenerator völlig und denSchirmfeldgenerator zum Teil zerstört Der letzteEindruck, den sie von Gol hatten, war der, daß dieSchwere innerhalb des Wagens auf etwa zehn gangestiegen war. Sie hatten in Gedanken so etwaswie ihr Testament gemacht, da von der STARDUSTkeine Antwort mehr kam, und dann ...

Die Schilderung war unzusammenhängend. Siehatten plötzlich ein Gefühl gehabt, als sei ihr Wagenin die Transition gegangen. Nach geraumer Zeitwaren sie wieder zu sich gekommen und hatten sichin einer der Schleusen der STARDUST mitsamtihrem Wagen wiedergefunden. Sie waren

ausgestiegen, mit zittrigen Knien, und waren zurZentrale hinaufgelaufen. Da standen sie nun!

Die Aggregate der STARDUST arbeiteteneinwandfrei. Das Eindringen der Leuchtwesen hatteoffenbar keinen Schaden hinterlassen.

Wo waren die Leuchtwesen geblieben?Das ist nicht die richtige Frage, dachte Rhodan.

Wo sind wir geblieben?

*

Die gewaltigen Bildschirme der Zentrale zeigteneinen Raum, den sie niemals zuvor gesehen hatten,auch Crest und Thora nicht.

Die Lichtpunkte der Sterne auf dem Bildschirmkönnte man zählen, es mochten fünfzig oder sechzigsein, über den ganzen Raumwinkel.

Wer jemals den leuchtenden Himmel der Galaxismit seinen Milliarden von Lichtpunkten gesehenhatte, der wußte, was dieses Bild bedeutete.

Am Ende der Transition, die derFiktiv-Transmitter in der Berghalle auf Gol ausgelösthatte, stand die STARDUST an einer Stelle desRaumes, die nicht mehr der heimatlichen Galaxisangehörte.

Einen Himmel mit insgesamt sechzig Sternen gabes nirgendwo in der Milchstraße.

Rhodan hatte es sofort erkannt und ein paarMinuten lang die närrische Hoffnung gehabt, Crestkönne herausfinden, in welcher Gegend sie gelandetwaren. Aber Crest besaß nur die gleiche Menge anarkonidischem Wissen wie Rhodan auch. Er kanntediesen Raum nicht, aber mit Geduld machte er sichan die Aufgabe, mit Hilfe der Karten wenigstens einbekanntes Merkmal an ihm zu finden, an dem dieSTARDUST sich orientieren konnte.

*

Mitten in dieser drückenden Ungewißheit empfingTanaka Seiko eine Botschaft des Unbekannten. DerJapaner sah einen glühenden Ball mitten in derZentrale schweben und bekam einen entsetzlichenSchreck, weil er zunächst glaubte, es sei eines derLeuchtwesen.

Niemand außer ihm sah jedoch den Ball, undniemand außer ihm verstand die Botschaft, die erausstrahlte:

»Die Warnung war an dich ergangen! Finde nundie Welt, auf der die Koordinaten hinterlassen sind.Wisse, daß du nicht heimkehren kannst, wenn du denrechten Weg nicht kennst. Weit ist dein Ziel!«

Er übersetzte es Rhodan, und Rhodan nickte dazu.

*

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Crest bemühte sich, einen Hinweis zu finden.Rhodan bemühte sich, nachdem die Ruhe wiedereingekehrt war und niemand mehr etwas anderes tunkonnte, als auf Crests Ergebnisse zu warten, einResümee all dessen zu finden, was auf Golgeschehen war.Er hatte ein paar aufmerksame Zuhörer, alle die, diean den Ereignissen auf Gol aktiv beteiligt gewesenwaren. Auch den Ingenieur zum Beispiel, den dieLeuchtwesen zusammen mit den zwölf Mann derGeneratorwache betäubt und in eine Ecke desGeneratorenraumes geschoben hatten.»Gol ist eine Welt«, begann Rhodan, »die etwas ausdem Rahmen fällt. Gol hat eine mittlere Dichte vonetwa hundertfünfzig Gramm pro Kubikzentimeter.Das ist mehr als selbst die Dichte von Osmium, demschwersten Metall, das wir kennen.Gol muß also so etwas wie eine kalte Sonne sein -auch wenn er als Planet um die Wega läuft. In seinemInnern muß es Schwerkraftfelder geben, die nichtallein auf dem Newtonschen Prinzip beruhen,sondern andere Ursachen haben.Die Leuchtwesen scheinen mir ein Ausfluß dieserbesonderen Natur des Planeten zu sein.Wahrscheinlich stammen sie aus jenernichtnewtonschen Gravisphäre von Gol.Sie sind unintelligent, das heißt nicht intelligenter alsbeispielsweise ein Hund oder eine Katze. Sie sind ...Wie soll man sagen: individuelle Energie oderenergetisches Individuum?Sie wissen, was ich meine. Unserer Sprache fehlendie Worte, um ein Ding wie ein Energiewesen zubeschreiben.Als wir sie aus dem Talkessel verjagten - mit Hilfedes neugebauten Senders, dessen Schwingungen sienicht vertragen konnten -, da verhielten sie sich nichtanders als ein aufgestörter Schwarm Wespen. Sieformierten sich und kehrten zum neuen Angriffzurück. Dabei gingen sie anders vor, als wir esgewohnt waren, und wir fielen darauf herein.Sie waren in der STARDUST, bevor es jemandbemerkte. Sie drangen, oder vielmehr eines vonihnen drang in Major Nyssens Wagen ein, ruinierteden Antriebgenerator und damit die Stromquelle fürden zweiten Struktursender, den Nyssen mit sichführte. Sie stellten sich auch uns in den Weg, aberdort konnten sie nicht viel ausrichten.« Er schwiegeine Weile. »Das ist alles«, schloß er, »was wir überdie Leuchtwesen wissen, und einen Teil davonvermuten wir sogar nur. Es wird uns interessieren,mehr über sie zu erfahren, aber vorerst sind wir aufeinem anderen Weg.«Sie hielten die Köpfe gesenkt und dachten nach.Sie waren auf einer Welt gewesen, die dasVorstellungsvermögen sowohl des Menschen alsauch des Arkoniden überstieg. Sie waren auf eine Art

gerettet worden, die so absonderlich war, daß sieschon beinahe grotesk wirkte.Den meisten unter ihnen kam das Gol-Unternehmenziemlich sinnlos vor. Denen, die einen weiterenÜberblick hatten, wurde klar, daß sie wenigstenszwei Dinge bei dieser Aktion gelernt hatten:Es gab mehr Wesen in diesem Universum, als dasGehirn sich auszumalen vermochte. Die Phantasiedes Schöpfers war nicht am Ende gewesen, als erMenschen, Arkoniden, Fantan-Leute, IVs, Ferronen,Topsider und weiß der Himmel was noch allesgeschaffen hatte. Er hatte Wesen geschaffen, dienicht aus Fleisch und Blut bestanden, und ihneneinen übergeordneten Raum als Wohnungzugewiesen. Das Universum war von einerungeheuren Vielfalt, und jeder, der nach einer Reihevon Raumreisen da meinte, es könnte ihm nichtsNeues mehr begegnen, machte sich der Hybrisschuldig. Und zweitens:Sie waren einem Unbekannten auf der Spur, dessentechnische Machtmittel jegliche Vorstellungüberstiegen. Mit einem vergleichsweise winzigenGerät hatte er ein Raumschiff, das sie bisher für dieKrone der Technik gehalten hatten, einengewichtigen Raupenwagen und eine Gruppe von vierMenschen gleichzeitig teleportiert und an einem Ortzusammengeführt. Dafür gab es keine Erklärung, undjeder, der seine eigenen mentalen Möglichkeitenerkannte, verzichtete darauf, sich über diesesProblem den Kopf zu zerbrechen.Vielleicht würde der Unbekannte die Lösung einesTages anbieten, dann, wenn sie ihn eingeholt hatten.Vielleicht würde er auch dann enthüllen, was es mitdiesem Spiel der kleinen Schritte auf sich hatte, dasRhodan und seine Leute gewissermaßen Meter fürMeter auf seiner Spur hinter dem Unbekanntendreinzog. Vielleicht ...

*

Das Schott rollte auf. Crest kam herein. Rhodan sahihn an. »Ich glaube«, sagte Crest ein wenig unsicher,»ich habe etwas gefunden. Aber freuen Sie sich bittenicht zu früh. Mit Sicherheit kann ich noch nichtssagen.«Rhodan stand auf, und während er auf Crest zuging,verzog er das Gesicht zu einem Lächeln.»Nur Mut!« sagte er laut und kräftig. »Wir sindschon mit mehr Unsicherheiten fertig geworden alsnur dieser einen!«

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E N D E

Die STARDUST II hat wieder den freien Raum erreicht, wenn es auch eine ganze Zeitlang so aussah, als ob dastitanische Gebilde aus Arkonstahl sich vom Planeten Gol niemals mehr würde abheben können. Aber was nütztes, sich wieder im Weltall zu befinden, wenn man die Position nicht kennt, wenn kein bekanntes Sternbildleuchtet ...? Doch da ist der PLANET DER STERBENDEN SONNE, der die Koordination bergen soll ...

PLANET DER STERBENDEN SONNE

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