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VIP R&D Die Geschichte der Vakuumku ¨hlung The History of Vacuum Refrigeration Heinz-Dieter Bu ¨rger Vakuum in Forschung und Praxis 16 (2004) Nr. 2 67–70 Ó 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI:10.1002/vipr.200400217 0947-076X/04/0204 67 Zusammenfassung Die Ausnutzung der hohen Verdamp- fungsenthalpie des Wassers zum Abku ¨hlen und somit Frischhalten von Lebensmitteln ist eine der a ¨ltesten, von Menschen einge- setzten Technologien u ¨berhaupt. Sie ko ¨nnte eigentlich ihren 5000. Jahrestag feiern. Die Ku ¨hlung durch Verdunsten von Wasser von feuchten Oberfla ¨chen nennen wir heute adiabatische Ku ¨hlung, diese re- guliert z. B. unsere Ko ¨rpertemperatur beim Schwitzen. Vor 250 Jahren begann nach Einfu ¨hrung einiger Vakuumpumpen in den wissenschaftlichen Experimentalbetrieb in Grossbritannien die moderne Form der „ku ¨nstlichen“ Ku ¨hlung, die Verdampfung von Flu ¨ssigkeiten unter Abwesenheit von Permanentgasen im Vakuum. Die Vaku- umku ¨hlung mit Wasser als Ka ¨ltemittel wurde ab 1850, also vor ca. 150 Jahren, nahezu ja ¨h gestoppt, durch die Entwick- lung von Kompressions-Ka ¨ltemaschinen. Seit Ende des 2. Weltkriegs begann eine Wiedereinfu ¨hrung der Vakuumku ¨hlung, und nun, zu Beginn des 2. Jahrtausends stehen die Chancen gut, verlorenes Terrain wieder gutzumachen. Summary The use of the high evaporation enthalpy of water is one of the oldest technologies of refrigeration for food preservation used by the mankind. One could nearly celebrate the true 5000 th anniversary of this tech- nology. Nowadays we call the refrigeration by evaporation from wet surfaces „adiaba- tic refrigeration“, it regulates, for instance, our body heat by evaporating sweat. After the introduction of some vacuum pumps into the experimental scientific works, 250 years ago, namely in Great Britan, the modern form of „artificial“ refrigeration began its career, the evaporation of liquids under the absence of permanent gasses in vacuum. The vacuum refrigeration has been nearly abruptly stopped by the de- velopment of compression refrigeration processes, about 150 years ago. Only after world war 2, a reintroduction of vacuum refrigeration began again. Now, at the be- ginning of the 3. milennium, there are good chances for recovering terrain. Schon die alten A ¨ gypter, Mesopotamier, Zentralasiaten und wohl auch die Inder haben das Prinzip der Verdunstungsku ¨h- lung gekannt. So wurden in A ¨ gypten To ¨pfe aus Terrakotta nachts auf die Hausda ¨cher gestellt. Durch die Wandungen der To ¨pfe drang Wasser in geringen Mengen nach außen, wo es von ku ¨hlem Nachtwind mit niedrigem Wasserdampf-Partialdruck ver- dunstet wurde. Das in den Gefa ¨ssen ent- haltene Wasser wurde dadurch geku ¨hlt. Unter gu ¨nstigen Bedingungen konnte man so Temperaturen unterhalb der Lufttem- peratur erzielen. Man nennt diese Verdun- stungsku ¨hlung auch adiabatische Ku ¨hlung. Mit der Abku ¨hlung von zirkulierender Luft durch Verdunstung von Wassertro ¨pf- chen wurden und werden orientalische Innenho ¨fe auf erfrischende Temperaturen gebracht, auch wenn es außen sehr heiß sein sollte. Nach der Erfindung der mechanischen Vakuumpumpe ca. 1650 durch Otto von Guericke (1602 – 1686, Abb.1) wurden viele Versuche damit angestellt, insbeson- dere in England. Und so war es nur eine Frage der Zeit, wann jemand bemerken wu ¨rde, daß durch Verdunsten, wir nennen es nun Verdampfen, von Flu ¨ssigkeiten diese durch Energieentzug abku ¨hlen wu ¨rde. Im- merhin dauerte dies fast genau 100 Jahre. 1748 demonstrierte der schottische Medizinprofessor William Cullen (1710 – 1790, Abb. 2) an der Universita ¨t von Glas- gow die erste ku ¨nstliche Ku ¨hlung, indem er leicht flu ¨chtigen Ethylether im Vakuum verdampfte. 1755 schließlich stellte er ku ¨nstliches Eis durch Verdampfen von Wasser im Vakuum her, bei den Leistungen der damaligen Vakuumpumpen gewiß Schwerstarbeit fu ¨r die Laborhelfer. Gegen Ende des 18. Jh. nahm man viel- fach noch an, daß es neben einer „Wa ¨r- mematerie“ auch eine „Ka ¨ltematerie“ ga ¨be. Der in Go ¨ttingen lehrende und forschende Abb. 1: Otto von Guericke (1602 – 1686)

Die Geschichte der Vakuumkühlung. The History of Vacuum Refrigeration

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VIP R&D

Die Geschichte der VakuumkuhlungThe History of Vacuum Refrigeration

Heinz-Dieter Burger

Vakuum in Forschung und Praxis 16 (2004) Nr. 2 67–70� 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI:10.1002/vipr.200400217

0947-076X/04/0204 67

Zusammenfassung

Die Ausnutzung der hohen Verdamp-

fungsenthalpie des Wassers zum Abkuhlen

und somit Frischhalten von Lebensmitteln

ist eine der altesten, von Menschen einge-

setzten Technologien uberhaupt. Sie

konnte eigentlich ihren 5000. Jahrestag

feiern. Die Kuhlung durch Verdunsten von

Wasser von feuchten Oberflachen nennen

wir heute adiabatische Kuhlung, diese re-

guliert z.B. unsere Korpertemperatur beim

Schwitzen. Vor 250 Jahren begann nach

Einfuhrung einiger Vakuumpumpen in den

wissenschaftlichen Experimentalbetrieb in

Grossbritannien die moderne Form der

„kunstlichen“ Kuhlung, die Verdampfung

von Flussigkeiten unter Abwesenheit von

Permanentgasen im Vakuum. Die Vaku-

umkuhlung mit Wasser als Kaltemittel

wurde ab 1850, also vor ca. 150 Jahren,

nahezu jah gestoppt, durch die Entwick-

lung von Kompressions-Kaltemaschinen.

Seit Ende des 2. Weltkriegs begann eine

Wiedereinfuhrung der Vakuumkuhlung,

und nun, zu Beginn des 2. Jahrtausends

stehen die Chancen gut, verlorenes Terrain

wieder gutzumachen.

Summary

The use of the high evaporation enthalpy of

water is one of the oldest technologies of

refrigeration for food preservation used by

the mankind. One could nearly celebrate

the true 5000th anniversary of this tech-

nology. Nowadays we call the refrigeration

by evaporation from wet surfaces „adiaba-

tic refrigeration“, it regulates, for instance,

our body heat by evaporating sweat. After

the introduction of some vacuum pumps

into the experimental scientific works, 250

years ago, namely in Great Britan, the

modern form of „artificial“ refrigeration

began its career, the evaporation of liquids

under the absence of permanent gasses in

vacuum. The vacuum refrigeration has

been nearly abruptly stopped by the de-

velopment of compression refrigeration

processes, about 150 years ago. Only after

world war 2, a reintroduction of vacuum

refrigeration began again. Now, at the be-

ginning of the 3. milennium, there are good

chances for recovering terrain.

Schon die alten Agypter, Mesopotamier,

Zentralasiaten und wohl auch die Inder

haben das Prinzip der Verdunstungskuh-

lung gekannt. So wurden in Agypten Topfe

aus Terrakotta nachts auf die Hausdacher

gestellt. Durch die Wandungen der Topfe

drang Wasser in geringen Mengen nach

außen, wo es von kuhlem Nachtwind mit

niedrigem Wasserdampf-Partialdruck ver-

dunstet wurde. Das in den Gefassen ent-

haltene Wasser wurde dadurch gekuhlt.

Unter gunstigen Bedingungen konnte man

so Temperaturen unterhalb der Lufttem-

peratur erzielen. Man nennt diese Verdun-

stungskuhlung auch adiabatische Kuhlung.

Mit der Abkuhlung von zirkulierender

Luft durch Verdunstung von Wassertropf-

chen wurden und werden orientalische

Innenhofe auf erfrischende Temperaturen

gebracht, auch wenn es außen sehr heiß

sein sollte.

Nach der Erfindung der mechanischen

Vakuumpumpe ca. 1650 durch Otto von

Guericke (1602 – 1686, Abb.1) wurden

viele Versuche damit angestellt, insbeson-

dere in England. Und so war es nur eine

Frage der Zeit, wann jemand bemerken

wurde, daß durch Verdunsten, wir nennen

es nun Verdampfen, von Flussigkeiten diese

durch Energieentzug abkuhlen wurde. Im-

merhin dauerte dies fast genau 100 Jahre.

1748 demonstrierte der schottische

Medizinprofessor William Cullen (1710 –

1790, Abb. 2) an der Universitat von Glas-

gowdie erste kunstliche Kuhlung, indem er

leicht fluchtigen Ethylether im Vakuum

verdampfte. 1755 schließlich stellte er

kunstliches Eis durch Verdampfen von

Wasser im Vakuum her, bei den Leistungen

der damaligen Vakuumpumpen gewiß

Schwerstarbeit fur die Laborhelfer.

Gegen Ende des 18. Jh. nahm man viel-

fach noch an, daß es neben einer „War-

mematerie“ auch eine „Kaltematerie“ gabe.

Der in Gottingen lehrende und forschende

Abb. 1: Otto von Guericke (1602–1686)

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68 Vakuum in Forschung und Praxis 16 (2004) Nr. 2� 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Physikprofessor Georg Christoph Lichten-

berg (1742 – 1799, Abb. 3), lehnte diese

Theorien mit der Begrundung ab, „man

konne alle Umstande bey der Kalte aus ei-

ner bloßen Abwesenheit der Warme er-

klaren (Klaus Priesner)“.

G.C. Lichtenberg, heute mehr durch

seine literarischen Werke bekannt, war ei-

ner der hervorragendsten Physiker seiner

Zeit. Ziemlich unbekannt geblieben sind

seine vielfachen Entdeckungen und Ver-

suchsbeschreibungen uber die Vakuum-

technik und deren spezielle Phanomene im

Zusammenhang mit der Elektrizitat. Eine

seiner Vakuumpumpen, die er gewisser-

massen neu erfinden musste, war die

Wasserdampf-Vakuumpumpe nach Wor-

chester. In dieser wird die Luft durch im

Gerat aufsteigenden Wasserdampf ver-

drangt. Nach Abkuhlung der reinen Was-

serdampfatmosphare der Apparatur ent-

stand ein Vakuum, dessen Totaldruck vom

Dampfdruck des Wasserdampfes bestimmt

wird. Das Prinzip desWeckglasas war damit

deutlich gemacht worden.

Das Prinzip der Lichtenberg-Worchester-

Pumpe um 1780 (Abb. 4) wird heute bei

modernen Vakuum-Enthalpie-Kuhlanlagen

eingesetzt, um besonders schnelle Ab-

kuhlzeiten zu erreichen.

Einer der Pioniere der Vakuumkuhlung

ist zweifellos der englische Wissenschaftler

William HydeWollaston (1766 – 1828, Abb.

5), Arzt, Physiker und Chemiker, seit 1793

Mitglied der Royal Society.

Sein Cryophorus genanntes Gerat war

bis vor einigen Jahrzehnten im Fundus der

meisten naturwissenschaftlichen Gymna-

sien und Hochschulen vorhanden (Abb. 6 –

Wollaston Cryophorus, 1813, zum „Ge-

frieren auf Distanz“).

Der Cryophor war ahnlich einem „Lie-

besthermometer“ aufgebaut, also mit zwei

Glaskugeln, die uber ein Rohr miteinander

verbunden sind. Dabei ist eine der Glas-

kugeln so nach unten gebogen, dassWasser

in ihr ohne auszulaufen stehen kann, wenn

die untere Kugel in ein Gefass getaucht

wird. Dabei wird das Wasser so verteilt,

dass die obere Kugel noch etwa bis zu ei-

nem Drittel gefullt ist.

In das Gefass wird eine Mischung aus

Kochsalz und Eis gegeben, und die untere

Kugel wird dort eingetaucht. Weil der

Cryophor evakuiert ist, kann nun Wasser-

dampf aus der oberen, warmeren Kugel zu

den gekuhlten Flachen (bis zu –20,5 8C) derunteren Kugel stromen und dort konden-

sieren. Dem Wasser der oberen Kugel wird

sehr viel Warme entzogen, wenn Wasser

verdampft, und es kuhlt ab. Nach einiger Zeit

erstarrt es sogar zu Eis. Aufgrund der Wir-

kung seines Cryophors wird W. H. Wollaston

zu den Wegbereitern der Gefriertrocknung

gezahlt, allerdings durfte heirbei auch W.

Cullen (s. oben) nicht fehlen.

Die Schwerstarbeit mit handbetriebenen

Vakuumpumpen schaffte der ebenfalls

schottische Physik- und Mathematikpro-

fessor Sir John Leslie (1766 – 1832, Abb 7)

im Jahre 1810 ab, als er das verdampfende

Wasser an Schwefelsaure absorbierte. Nun

mußte die Vakuumpumpe nicht mehr den

Wasserdampf absaugen, sondern „nur“

noch die Luft entfernen.

Nach dem Prinzip von John Leslie ent-

wickelte Edmond Carre eine Maschine zur

Herstellung von „kunstlichem Eis“, die sich

in Paris ziemlich großer Beliebtheit er-

freute. Sie produzierte Vakuumeis, heute

auch als Binareis bezeichnet, das mit

Fruchtsaften gemischt, am Bois de Boulo-

gne in Paris angeboten wurde. Die Erfin-

dung von Edmond Carre wurde 1850 ge-

macht, die Maschine auf der Weltausstel-

lung 1862 in London zuerst gezeigt.

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Abb. 2: William Cullen (1710–1790)

Abb. 3: Georg Christoph Lichtenberg(1742–1799)

Abb. 4: Lichtenberg-Worchester-Vaku-umpumpe, um 1780

Abb. 5: WilliamHyde Wollaston(1766–1828)

Abb. 6: Wolla-ston Cryophorus,1813, zum „Ge-frieren auf Di-stanz“

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Vakuum in Forschung und Praxis 16 (2004) Nr. 2 69� 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Sein Bruder Ferdinand (1824–1900, Abb.

8) meldete 1859 ein Patent (1860 Anmel-

dung in den USA) fur eine Ammoniak-Kal-

temaschine an, diese wurde weitaus be-

ruhmter als die Vakuum-Eis-Maschine von

Edmond Carre.

Im Prinzip hatte Edmond Carre bzw. sein

Backer in Paris schon seit Mitte des 19. Jh.

„Halbgebackene“ Backwaren schnell kuh-

len konnen. Wir mussen uns deshalb fra-

gen, warum diese Methode, Binareis zu

erzeugen, nicht konsequent weiterverfolgt

worden ist.

Jedoch: kleinste Fehler im System kon-

nen vernunftige Technologien nachhaltig

blockieren, und beimNachdenken daruber,

was die „machine de production de glace

sous vide“ an Fehlern besass, die eine

Ausbreitung der Technologie verhindert

hatten, sind ein paar durchaus wichtige

Probleme aufgefallen:

Ein auch heute noch vollig unterschatz-

ter Haupt-Mangel war die Verwendung ei-

ner sehr einfachen Vakuumpumpe der

Guericke-Bauart. Man weiß heute, 2004,

daß der Rest-Luft-Partialdruck (oder der

anderer Permanentgase) in Absorptions-

und Adsorptions-Kalteanlagen kleiner als 1

mbar sein sollte. Ware Edmond Carre lite-

raturmaßig auf der Hohe der Zeit gewesen,

hatte er entweder die Lichtenberg-Wor-

chester – Vakuumpumpe (Endpartialdruck

fur Permanentgase<0,5 mbar) oder die Hg-

Vakuumpumpe des Thuringers Heinrich

Geissler gekannt (<0,1 mbar) oder die

Nairn-Blunt’sche aus London (G. C. Lich-

tenberg, 1742 – 1799, ist als einziger An-

wender bis heute bekannt, sie erzielte nach

unseren Abschatzungen <0,4 mbar, und

das schon 1782), hatte es vielleicht einen

wesentlich besseren Durchbruch des Kal-

temittels R 718, namlich Wasser, gegeben.

So hatte und hat die Vakuumkuhlung unter

manchem Vorurteil es schwer, sich durch-

zusetzen.

Die Verbindungsleitung und vor allem

der Absperrhahn in Carres Anlage sind zu

klein. Das ergibt sich auch aus der groben

Wirkungsgradabschatzung, die in der Be-

schreibung des amerikanischen Lizenz-

nehmers von 1874 angegeben wird: der

Hersteller gibt an, daß das Verhaltnis zwi-

schen Verdampfungsenthalpie und

Schmelzenthalpie (modernisierte Uberset-

zung) 6 zu 1 ware und aufgrund von

„thermischer Absorption“ praktisch ein

Verhaltnis von 4 zu1 herauskommt. Er

konnte noch nicht wissen, daß das Ver-

haltnis tatsachlich 7,7 zu 1 ist.

Zu guter Letzt hat er auch noch Schwe-

felsaure als Sorptionsmittel verwendet.

Andererseits hat der amerikanische Li-

zenznehmer schon 1874 eine Alternative

zur Hollenflussigkeit H2SO4 angegeben:

Calciumchlorid, CaCl2.Calciumchlorid ist zwar langst nicht so

aggressiv wie Schwefelsaure, aber ohne

Inhibitoren eben auch fur Edelstahl-

Schweissnahte gefahrlich. Leider zerfließt

es nach Wasseraufnahme zu honigartigem

Brei, der dann Wasserdampf nur noch

langsam aufnimmt. Auch damit waren

Probleme aufgetaucht, die Wasser als Kal-

temittel noch eine gewisse Zeit lang ver-

hindert hatten.

Wir empfinden heute trotzdem riesigen

Respekt vor den Arbeiten von Edmond

Carre. Er hatte seine außergewohnliche

Idee der Vakuum-Absorptions-Kuhlung,

bevor die Moglichkeiten der notwendigen

Begleittechnologien ihm voll bewußt wer-

den konnten. Bei seiner Maschine hat es an

allen Stellen geklemmt und, trotz erfinde-

rischer Großtat, haben kleine aber viele

Problemchen einen Durchbruch verhin-

dert (Abb. 9 – Vakuum-Eis-Maschine von

Edmond Carre).

Die Entwicklung der Vakuumkuhlung

nach 1900 blieb zunachst auf Anwendun-

gen in der chemischen und der Lebens-

mittel-Industrie beschrankt, wie etwa bei

der Vakuum-Kristallisation und verschie-

denen Vakuum-Kuhlprozessen mit Dampf-

strahl-Vakuumpumpen oder Flussigkeits-

ring-Vakuumpumpen. Dabei wurden

durchaus wirtschaftlich und technisch in-

teressante Ergebnisse erzielt.

Bereits in „The Baker’s Digest“, Okt.

1949, werden Vakuumkuhlverfahren be-

schrieben, die sich jedoch nicht durchset-

zen konnten. In den 50er und 60er Jahren

des 20. Jh. setzte eine rege erfinderische

Tatigkeit ein, die sich auf die industrielle

Backtechnik bezog. Wie bei allen Kalte-

Technologien, ist immer eine Verbesserung

der Hygiene ein Antrieb fur Veranderungen

und Innovationen. Dazu kamen aber auch

wirtschaftliche Erwagungen, was die Aus-

bildung von Abkuhlstrecken anbetrifft. Ein

Brotlaib, der mit einer Oberflachentempe-

ratur von 150 8C und einer Kerntemperatur

von 96 8C aus dem Backofen kommt, muß

erst auf unter 35 8C abkuhlen, um uber-

haupt vernunftig verpackt werden zu

konnen. Eine großere Halle nur fur das

Abkuhlen der Backwaren kann wesentlich

teurer sein als eine nur fur diesen Verpak-

kungszweck gebaute Vakuum-Kuhlanlage.

Abb. 10 zeigt eine Zeichnung aus einer

Patentanmeldung von Leif B. Knutrud von

Nordisk Cerealist., Oslo, 1975. Hier sind

einige der Mangel an Edmond Carre’s An-

ordnung von 1850 erneut eingebaut wor-

den.

Aus dem gleichen Hauptmotiv heraus,

die platzfressende und langdauernde

Kuhlphase bis zur Verpackungstemperatur

abzukurzen, hat eineWP-L-Schwesterfirma,

die Fr. Winkler KG in Villingen-Schwen-

ningen, 1979 ein Patent fur eine Vakuum-

kuhlung eingereicht, das Ende 1982 erteilt

wurde (Abb. 11). Die allermeisten An-

wendungen der Vakuumkuhlung blieben

damals bei End-Temperaturen zwischen ca.

20 und 35 8C stehen. Eine aus Hygiene-

grunden notwendige Absenkung der Kuhl-

End-Temperatur auf z.B. 2 8C erschien als

VIP R&D

Abb. 7: JohnLeslie (1766–1832)

Abb. 8: Ferdi-nand Carre(1824–1900)

Abb. 9: Vakuum-Eis-Maschine von Ed-mond Carre, um 1850

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70 Vakuum in Forschung und Praxis 16 (2004) Nr. 2� 2004 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

zu teuer und zu aufwendig. Dies traf erst

recht auf eine Erzeugung von Eis oder gar

noch niedrigere Temperaturen, –20 8C fur

Tiefkuhlware etwa, zu.

Eine vielversprechende Alternative

tauchte mit der Untersuchung der Eignung

von Adsorptionsmitteln wie Zeolithen, Si-

likagelen, bestimmten Bentoniten und

speziellen Aktivkohlen auf. Seit etwa 1985

galten dehydratisierte Feststoff-Sorptions-

mittel als besonders vielversprechend fur

die Vakuumkuhlung von Backwaren

(Dr.Maier-Laxhuber, Zeo-Tech). Die

Grundidee Edmond Carre’s von 1850, ein

festes Sorptionsmittel anstelle von Schwe-

felsaure einzusetzen, scheint nun erfolg-

reicher verwirklicht werden zu konnen. Ob

nicht grundsatzlich andere Adsorptions-

mittel als die Zeolithe zum Einsatz kommen

sollten, ware noch zu prufen. Uber die in-

zwischen aufgetauchten, vielen, kleinen

Probleme mit dieser modernen Sorptions-

kuhlung soll hier nicht berichtet werden.

Diese Probleme erscheinen heute als

durchaus losbar, und es ist abzusehen, dass

auch neue Ideen hierzu umgesetzt werden.

In den 80er Jahren d. 20. Jh. gab es aber

auch Berechnungen und Versuche, die eine

Anwendung der Brudenverdichtung von

Wasserdampf fur sehr hohe Kalteleistun-

gen zum Ziel hatten. Diese Technologie mit

Turboverdichtern wurde sowohl in Israel

als auch in der ehemaligen DDR, in Dres-

den, am Institut fur Kaltetechnik (Prof.

Heinrich) und auch in den „alten“ Bun-

deslandern in Flensburg bei der Fa. INTE-

GRAL (Prof. Paul) untersucht. Mehr als ein

Dutzend Maschinen befinden sich erfolg-

reich im industriellen Einsatz der Klima-

kuhlung und Eiserzeugung.

Die Werner & Pfleiderer Lebensmittel-

technik GmbH in Dinkelsbuhl hat mit ihren

Kooperationspartnern Uberlegungen um-

gesetzt, wie man mit geschickter, erzwun-

gener Kondensation des Kaltemittels Was-

ser ein okonomisches, maschinentechnisch

ausgereiftes Verfahren mit bisher nicht fur

denkbar gehaltenen Ergebnissen prasen-

tieren kann. Es wird „VakuumEnthalpie-

Kuhlung“ oder VAKUSPEED genannt.

Ein Stikkenwagen voller Backwaren mit

96 8C kann in ca. 3 min auf Kerntempera-

turen von 2 8C und, fur Tiefkuhlung, in

weiteren 4 – 5 min auf –20 8C gekuhlt

werden. Der Energieverbrauch ist dabei

erheblich geringer, als wurde die gleiche

Menge etwa mit Schockfrostern oder mit

flussigem Stickstoff gekuhlt. Dabei ist die

Energieeinsparung so signifikant, dass be-

reits ernsthaft daruber nachgedacht wer-

den muss, ob die Vakuumkuhlung mit

Wasser als Kaltemittel nicht doch ein ge-

eigneter Weg ware zur allgemeinen Ablo-

sung umweltgefahrdender, explosiver oder

giftiger Stoffe und zur drastischen Energie-

Einsparung.

Das um 1850 in der franzosischen Fa-

milie Carre scheinbar zugunsten der Kom-

pressionskuhlung entschiedene Rennen

um die beste Art des Kuhlens konnte wie-

der eroffnet werden.

Etwa 250 Jahre nach William Cullen in

Glasgow, ca. 200 Jahre nach William Hyde

Wollaston und etwa 150 Jahre nach Ed-

mond Carre wurde ab 2003 die Vakuum-

EnthalpieKuhlung VACUSPEED vonWerner

und Pfleiderer Lebensmitteltechnik GmbH,

Dinkelsbuhl, in ersten Voraus-Exemplaren

auf dem Markt eingefuhrt (Abb. 12). An-

wendungen bei der Schnellabkuhlung von

Backwaren werden andere folgen.

Die Abb. 9 stammt aus „Description of

the Vacuum Ice Machine„ Manufacturer

and Builder, USA, vol. 6, issue 8 (August

1874), archiviert von der Cornell Univerity

Library). Der lesenswerte Text ist uber das

Internet aufrufbar unter:

http://cdl.library.cornell.edu/moa/brow-

se.author/d.61.html , anklicken:

Description of the Vacuum Ice Machine

Autor

Heinz-Dieter Burger, Jahrgang 1940, Realschule,

Ausbildung zum Chemielaborant langjahriger

Direktor der Alcatel Hochvakuum GmbH, Wert-

heim, z. Zt. selbstandig auf dem Gebiet der Va-

kuum- und Verfahrenstechnik

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Abb. 10: Aus ei-ner Patentanmel-dung von Leif B.Knutrud von Nor-disk Cerealist.,Oslo, 1975

Abb. 11: Aus derPatentschrift DE2902 270 C2, Fr.Winkler KG, an-gemeldet22.01.1979

Abb. 12: VACUSPEED-Anlage, Werner &Pfleiderer Lebensmitteltechnik, Dinkel-sbuhl