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6 spiegel special 1 | 2007 ERNEUERBARE ENERGIEN WINDKRAFT, FOTOVOLTAIK, BIOMASSE Der Energiehunger der Menschheit verändert das Raumschiff Erde auf beispiellose Art: Nur eine radikale Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft könnte den Klimawandel bremsen. DIE GLOBALE ERWÄRMUNG

DIE GLOBALE ERWÄRMUNG

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Page 1: DIE GLOBALE ERWÄRMUNG

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ERNEUERBARE ENERGIEN WINDKRAFT, FOTOVOLTAIK, BIOMASSE Der Energiehunger der Menschheit verändert das Raumschiff Erde auf beispiellose Art: Nur eine radikale Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft könnte den Klimawandelbremsen.

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„Zeit für eine Revolution“Der rasche Wandel des Klimas und das Schwinden der Öl- und Gasvorräte erzwingen

eine radikale Energiewende. Der Verfall des Wohlstands scheint unausweichlich, sollte die Welt-gemeinschaft keinen nachhaltigen Energiepfad einschlagen.

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BRAUNKOHLEKRAFTWERKEin Blick vom Schornsteindes Braunkohlekraftwerks inJänschwalde bei Cottbus.Zurzeit wird das 300-Meter-Bauwerk abgerissen – einSymbol für das Umsteigenauf umweltfreundlichereEnergieerzeugung.

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Heute schon geduscht? Heißen Kaffee ge-trunken, die warme Wohnung verlassen, mitdem Auto zur Arbeit gefahren? Schon denFlug in den nächsten Urlaub gebucht? Noch

nie ging es so vielen Menschen so gut. Über einZehntel der Weltbevölkerung hat ein Auto, vier Mil-liarden haben einen Stromanschluss. Seit Menschendie Erde bevölkern, ist wachsender Wohlstand dasZiel der Zivilisation; und Wohlstand ist messbar:Seine Währung heißt Energie.

Zehn Millionen Tonnen Erdöl verfeuert dieMenschheit am Tag, außerdem 12,5 Millionen Ton-nen Steinkohle und 7,5 Milliarden Kubikmeter Erd-gas – begleitet von der schleichenden Gewissheit,dass die Vorräte in einigen Jahrzehnten zur Neigegehen werden. Spätestens seit dem Bericht des Welt-klimarats IPCC vom 2. Februar ist zudem die Indi-zienlage übermächtig: Der Energiehunger derMenschheit verändert das Raumschiff Erde auf eineWeise, die in der Geschichte ohne Beispiel ist.

Um bis zu 6,4 Grad könnte die Temperatur aufder Erde bis zum Jahr 2100 steigen, das Meer um biszu 59 Zentimeter anschwellen, prognostizieren dieKlimaexperten. Die Brisanz des Reports liegt nichtin den Prognosen selbst, die sich kaum von jenendes letzten IPCC-Berichts von 2001 unterscheiden.Sprengstoff birgt die Gewissheit, mit der die For-scher den Schuldigen der Misere dingfest machen.

„Der 2. Februar wird als jenes Datum in die Ge-schichte eingehen, an dem die Unsicherheit darüberbeseitigt wurde, ob Menschen etwas mit dem Kli-mawandel auf diesem Planeten zu tun haben“, sagtAchim Steiner, Chef des Umweltprogramms der Ver-einten Nationen. Die Diagnose der Gelehrten: DerGlobus überhitzt, weil Kohlendioxid aus 800 Millio-nen Autoauspuffen quillt, weil Kraftwerke weltweitweitere Milliarden Tonnen des Treibhausgases in dieLuft blasen und weil stündlich über tausend HektarRegenwald abgefackelt werden, um Platz für Soja-oder Palmölplantagen zu schaffen. Wie das Dach

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1900

Biomasseelektrisch

Solar-thermie

Geo-thermie

BiomasseKraftstoffe

Wind

Wasser-kraft

Wellen-undGezeiten-Kraft-werke

Biomassetraditionell

Foto-voltaik

800

600

400

„Die Führungder Welt haterkannt, dassdie gegenwär-tige Politik unsere Energie-zukunft nichtnachhaltig sichert.“

eines Treibhauses legt sich das bei der Verbrennungfreiwerdende Kohlendioxid um die Erde.

Schmelzende Gletscher und Eiskappen sind dieFolge, verheerende Dürren, Seuchen und Stürmedrohen. Schon werden Naturkatastrophen wie jenein Jakarta, bei der 340 000 Menschen nach starkenMonsunregen ihre Häuser an braune Wasserflutenverloren, als Vorzeichen der Katastrophe gewertet.

„Jetzt ist nicht Zeit für halbherzige Aktionen. Esist Zeit für eine Revolution“, beeilte sich der schei-dende französische Präsident Jacques Chirac nachder Veröffentlichung der IPCC-Studie zu erklären.Eine „große internationale Mobilisierung gegen dieökologische Krise und für ein umweltverträglichesWachstum“ forderte Chirac – und er untertrieb wohlnoch. Denn die Konsequenz aus der steigenden Fie-berkurve des Planeten muss fraglos einschneidendersein als politische Absichtserklärungen und der Rufnach neuen Uno-Gremien.

Radikal wird sich vor allem jener Wirtschafts-zweig ändern müssen, der Grundlage jeder Indu-striegesellschaft ist: Nur eine umfassende Energie-wende wird den Klimawandel bremsen können.„Die politische Führung der Welt hat erkannt, dassdie gegenwärtige Energiepolitik nicht in der Lage ist,unsere Energiezukunft nachhaltig zu sichern“, no-tiert Claude Mandil, Chef der Internationalen Energieagentur in Paris, in einem kürzlich erschie-nenen Buch zum Thema*.

Vor über anderthalb Millionen Jahren starteteder Mensch das energetische Großexperiment mitder Zähmung des Feuers. In der Antike schmiede-ten dann muskelbepackte Menschen über Kohle-feuern Schwerter und Pflugscharen. Im 19. Jahr-hundert begann Öl, den menschlichen Zivilisations-prozess rasant zu befeuern.

Nun geht es wieder ums große Ganze: Will derMensch seinen Siegeszug auf der Erde fortsetzen,steht die Abkehr von fossilen Energieträgern aufder Agenda. Die Runderneuerung der Energiever-sorgung hin zu einer nachhaltigen Energiewirtschaftist überfällig. Dazu zwingt nicht nur die globale Er-wärmung. Längst verschränkt sich der Klimawandelmit der Verknappung der Welt-Erdöl- und Erdgas-reserven zur wahrhaft epochalen Herausforderung.

Und der Umbau hat bereits begonnen: Schon ro-tieren vor der Küste der dänischen Insel LollandWindräder mit einer Leistung von insgesamt fast

* Jürgen Petermann (Hg.): „Sichere Energie im 21. Jahrhundert“. Ver-lag Hoffmann und Campe, Hamburg; 408 Seiten; 25 Euro.

Weltweiter Energieverbrauchin Exajoule = 34,12 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten

Quelle:Deutsche Shell

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nichterneuerbareEnergien

erneuerbareEnergien

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170 Megawatt. In Südspanien baut ein Konsortiummit deutscher Beteiligung derzeit das weltgrößte So-larthermiekraftwerk. Mit Hilfe Tausender glänzen-der Parabolspiegel soll Andasol 1 schon 2008 genugStrom für 200 000 Menschen liefern. Und manchenFarmer im mittleren Westen der USA macht bereitsheute die sprunghaft angestiegene Nachfrage nachBiosprit reich.

„Die weltweite Energiewirtschaft ist an einerWegscheide angelangt“, konstatiert Peter Hennicke,Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Um-welt, Energie. Macht die Welt weiter wie bisher,prognostiziert auch EU-Forschungskommissar Ja-nez Potocnik, so werden bis 2050 die Kohlendioxid-Emissionen nochmals um über zwei Drittel an-wachsen. Annähernd mit einer Verdoppelung desRohölpreises auf dann 110 US-Dollar pro Barrelrechnen die EU-Experten. Der Grund: 6,5 MilliardenMenschen leben gegenwärtig auf der Erde; 2030werden es voraussichtlich 8,2 Milliarden sein. 53Prozent mehr Energie als heute wird die Menschheitdann brauchen, schätzt die OECD. Der Strombedarfsoll sich bis dahin gar verdoppeln.

Andererseits ist der Zeitpunkt für den Umbaugünstig: In vielen Industrieländern ist eine Erneue-rung der Kapazitäten überfällig. 5,2 Billionen Dollarmüssen weltweit bis zum Jahr 2030 investiert werden,um Kraftwerke zu modernisieren und neue zu bauen.

Doch welche Energieformen kommen in Frage,um die globale Kraftmeierei mit den Klimaschutz-zielen zu versöhnen? Wie ist der gewaltige Energie-hunger von Schwellenländern wie China oder Indi-en zu befriedigen, ohne die Ökosphäre weiter zu be-lasten? Letztlich: Wird es möglich sein, am Ende al-len alles zu bescheren, oder ist eine neue Diskussionüber die Grenzen des Wachstums fällig?

Seit Jahrzehnten gehen vor allem die Bewoh-ner der westlichen Welt sorglos und verschwende-risch mit den Ressourcen um. Eine Änderung ihres Verhaltens ist nicht in Sicht. Warum auch?Trotz Preissteigerungen hat Energie nach wie vorden Nimbus der Unerschöpflichkeit. Der Stromkommt aus der Steckdose, das Benzin aus der Zapfpistole. Als Goldenes Zeitalter könnte das 20. Jahrhundert am Ende in die Geschichtsbü-cher eingehen, als jenes Zeitalter, in demEnergie im Überfluss zur Verfügungstand und den Menschen zumin-dest in den Industrienationeneinen historisch beispiello-sen Wohlstand bescherte.

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Kohle

Erdöl

Kernkraft

Prognose ab 2000bei Annahme eines Welt-wirtschaftswachstumsvon drei Prozent jährlichund einer Erdbevölkerungvon neun MilliardenMenschen im Jahr 2050

Erdgas

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Der Anfang des 21. Jahrhunderts dagegen wird alsEpoche der Weichenstellung in Erinnerung bleiben.Scheitert die Energiewende jetzt, ist der Verfall desWohlstands fast unausweichlich. Drei Lager steheneinander im Streit um die Zukunft gegenüber: DieHardliner, die Energie wie bisher aus Öl, Gas undUran gewinnen wollen; die Gemäßigten, die auf kei-ne Option verzichten wollen; und eine Schule des„sanften Pfades“, die sich von den fossil-nuklearenKonzepten abwendet und die Zukunft in erneuer-baren Energien und mehr Energieeffizienz sieht.

Kompromisslos grün geben sich bislang nur we-nige Staaten, in denen sich ein hoher Entwick-lungsstand mit niedriger Bevölkerungsdichte paart.So will das waldreiche Schweden nicht zuletzt dankgeschickter Holzverwertung vom Jahr 2020 an ganzohne Erdöl auskommen.

Profiliertester Vertreter der fossilen Hardliner da-gegen ist Russland, schon wegen seines enormenRessourcenreichtums. Die Ölproduktion liegt dortetwa auf dem Niveau Saudi-Arabiens; hinzukom-men die mit Abstand größten Erdgasreserven derErde. Der sauberste und klimafreundlichste allerfossilen Rohstoffe schafft dem Kreml eine Macht-stellung, die das autoritäre Putin-Regime immerselbstbewusster nutzt. Milliarden fließen in die Pipeline-Infrastruktur. An regenerativer Öko-Tech-nik hingegen hat niemand Interesse.

Den mittleren Weg des Nebeneinanders von fos-silen und regenerativen Energieträgern schlagen diemeisten europäischen Länder ein. Kaum etwas aberwird für die Zukunft des Planeten von tiefgreifen-derer Bedeutung sein als die Frage, ob bald auch derWachstumsriese China in dieses Lager wechselt.

Schiere Not nämlich könnte das Land der Mittezum nachhaltigen Energiemix zwingen. Die explo-sive Industrialisierung hat dort einen Energiehungerausgelöst, der mit konventionellen Mitteln nur nochum den Preis akuter Öko-Katastrophen zu stillenist. Einstweilen nutzt China als Nahrung des Wachs-tums vorwiegend die Kohle. Allein im vergangenenJahr gingen dort neue Kohlekraftwerke ans Netz, diemehr als der gesamten Kapazität Großbritanniensentsprechen. Der weitere Ausbau im gleichen Tem-

po wäre ein Vernichtungsschlag gegen Klima undAtemluft. Selbst über Kalifornien und Europa sinddie Rußschwaden aus chinesischen Großfeuerungs-anlagen messbar.

Vorerst fühlt sich China, obgleich ein Unter-zeichner des Kyoto-Protokolls, nicht verpflichtet,sich an die dort festgeschriebene Senkung der Koh-lendioxid-Emissionen zu halten. Doch wenn nichtdie Sorge ums Weltklima, so könnte schon bald derLeidensdruck durch heimische Umweltdebakel – 16der 20 schmutzigsten Städte der Welt liegen in Chi-na – den Strategiewechsel der Regierung in Pekingbeschleunigen: Schon in wenigen Jahren sollen zehnProzent des chinesischen Stroms aus erneuerbarenEnergiequellen stammen. Mehr als 150 MilliardenDollar dürften nach Schätzungen der DeutschenBank in diesen Ausbau fließen.

China würde damit einer globalen Entwicklungfolgen, die bereits enorm an Fahrt gewonnen hat:Derzeit halten die erneuerbaren Energien einen An-teil von 18 Prozent an der weltweiten Stromerzeu-gung – das ist mehr als die Atomkraft. Schon 2003überstiegen die weltweiten Investitionen im rege-nerativen Bereich die Marke von 20 MilliardenDollar. In einigen Jahren könnte der Markt ein jähr-liches Umsatzvolumen von 85 Milliarden Dollar er-reichen.

Und Deutschland? Bei Investitionen in erneuer-bare Energien ist die Bundesrepublik weltweitführend. Kein Land gewinnt so viel Strom aus Windwie Deutschland. Fast jedes fünfte Windrad weltweitstammt aus einer deutschen Werkshalle. Für dieHamburger Windkraftfirma Repower bieten auslän-dische Investoren sogar schon um die Wette: Nichtnur der französische Nuklearkonzern Areva, son-dern auch das indische Unternehmen Suzlon sind in-teressiert.

Experten wie der US-Ökonom Adam Posen glau-ben daher, dass Deutschland „durch Innovationenund die Kraft des Beispiels“ eine wichtige Rolle da-bei spielen könnte, die Weltgemeinschaft in ein neu-es, klimaschonendes Energiezeitalter zu führen.

Das Problem jedoch: In ihrem Verhalten gebär-den sich die Deutschen weit weniger vorbildhaft.

STROMFRESSER GROSSSTADTGleißend erleuchtete Metro-polen wie hier Los Angeles,zeigen wie Warnlampen dasZentralproblem: Ohne Um-denken der Verbraucher hatdie Politik kaum Chancen,den Energieverbrauch zudrosseln.

Flüssigkohle bedroht die AtmosphäreUm den heimischenKraftstoffbedarf zudecken, plant China, imgroßen Stil Kohle zuverflüssigen. Machbar-keitsstudien von Shellsind in Arbeit. Gravie-render Nachteil diesessogenannten CtL-Ver-fahrens (Coal to Li-quids): Es führt beischlechter Ausbeuteselbst zu hohem Koh-lendioxid-Ausstoß undgefährdet so die Atmo-sphäre. Daher planenExperten bereits, dasanfallende CO2 in Erd-kavernen zu verpressen– was wiederum nichtohne Energieaufwandmöglich wäre.

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Die Bundesrepublik sei keineswegs ein Vorreiter inSachen Klimapolitik, wettert EU-Kommissar StavrosDimas. Es sei dringend geboten, „den schönen Re-den Taten folgen“ zu lassen.

Dimas hat recht. Die deutsche Energiewende hatbislang trotz Erneuerbare-Energien-Gesetz undDreifachverglasung bis ins Gäste-WC etwas We-sentliches versäumt: die Optimierung der Effizienz.Jeder einzelne Deutsche verbraucht immer nochviel zu viel Energie.

Die Wohlstandssause eines jeden Bundesbürgersruiniert die Biosphäre in einem Umfang, der den Rufder Deutschen als Öko-Weltmeister absurd erschei-nen lässt. Fast tausend Liter Benzin pro Jahr verfährtjeder Führerscheinbesitzer in Deutschland. Ener-giesparbirnen und Drei-Liter-Autos gehören hier-zulande bis heute zu den belächelten Auswüchsender Moderne. Und Bundeskanzlerin Merkel scheintdaran auch nur verbal etwas ändern zu wollen. Tem-polimit auf den Autobahnen? Nicht mit Merkel. Eineinheitlicher CO2-Grenzwert für Neuwagen, wiejetzt von Brüssel gefordert? Auf Druck der Kanzle-rin entschärft.

Damit offenbart sich ein Grunddilemma der Energiedebatte: Ohne ein Umdenken der Verbrau-cher in den Industrienationen wird keine noch soausgefuchste Energieform die Fieberkurve des Pla-neten wesentlich nach unten korrigieren können.Die Welt ächzt unter den Folgen eines verschwen-derischen westlichen Lebensstils, der längst drohtzum globalen Vorbild zu werden.

„Milliarden Menschen, die heute noch überhauptkeinen Zugang zu Elektrizität haben, wollen alle so zivilisiert leben wie wir“, sagt der Umwelt- und Energieexperte Fritz Vahrenholt, Chef von Repower. Porsche fahren, einen beheizten Swim-mingpool im Garten haben und regelmäßig auf die Malediven fliegen: Das sind die Insignien des Kapitalismus westlicher Prägung. Ob die Er-denbürger bereit sind, sich zu beschränken, nurweil Wissenschaftler eine Klimaapokalypse in ferner Zukunft heraufbeschwören, ist eine der größten Unbekannten in der globalen Energie-rechnung.

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Was also ist zu tun, um die längst überfällige Energiewende endlich einzuleiten? „Ist eine Krisenotwendig, um die Menschen auf einen neuen Pfadzu bringen, oder können sie auf einen schrittweisenWissenszuwachs reagieren?“, fragte Ralph Cicerone,Präsident der US-amerikanischen National Academyof Sciences, nach der Vorstellung des neuen IPCC-Berichts.

Viel Zeit bleibt nicht – schon deshalb, weil jedeEntscheidung für ein Großkraftwerk neues Milliar-denkapital für 30 bis 60 Jahre festlegt; das sind dieZeiträume, in denen die Energieversorger kalkulie-ren. Zum einen wird es darum gehen, die heutigeEnergiestruktur mit ihren Megakraftwerken undÜberlandleitungen vielerorts umzustellen auf einenachhaltige, effiziente und dezentral ausgerichteteVersorgung.

Zum anderen aber, darin sind sich die Experteneinig, braucht die Welt ein neues Bewusstsein dafür,wie viel Energie tagtäglich vergeudet wird und un-genutzt verpufft. „Energiesparen durch effizienteNutzung ist für fast alle energiebedingten Problemedie schnellste und wirtschaftlichste Lösung“, sagtder Wuppertaler Forscher Hennicke. Schon mit heu-te existierenden Techniken sei es möglich, denPrimärenergiebedarf in Deutschland um bis zu 40Prozent zu reduzieren, „und das bei weiter anstei-gender Wirtschaftsleistung“.

„Der Klimawandel ist auch eine Chance“, sagtder Energieexperte. Deutschland sieht er dabei als„Innovationsmotor“. Neue Technologien zur Effi-zienzsteigerung und für die umweltfreundlicheStromproduktion könnten den Anteil von Öl, Koh-le und Gas am Energiemix schon bis Mitte des Jahr-hunderts entscheidend verringern.

Ein Drittel Einsparungen, ein Drittel erneuerba-re, ein Drittel fossile Energien lautet HennickesFaustformel für den „sanften Pfad“ in die Zukunft.Schöne neue Energiewelt – und vielleicht die letzteChance, sich nicht wieder zum Affen zu machen.

„Mit Energie können wir alles bewerkstelligen“,meint der britische Umweltexperte Euan Nisbet,„ohne sie sind wir eine Art große Schimpansen.“

Philip Bethge, Christian Wüst

ENERGIESPARLAMPEWeniger verbrauchen, rege-nerative Energien fördernund fossile Brennstoffe klugnutzen – so sieht für Exper-ten der „sanfte Pfad“ in dieZukunft aus.

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