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Leserbriefe Die Grenzen der Einfühlung Anaesthesist 2005 · 54:822–824 DOI 10.1007/s00101-005-0885-3 © Springer Medizin Verlag 2005 Leserbrief R. Dudziak Emer. Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie der Universität Frankfurt In der Geschichte der Zeitschrift „Der An- ästhesist“, lässt man die Publikationen der letzten Jahrzehnte Revue passieren, ist es das erste Mal, dass dem Thema der Schmerzmedizin ein rein philosophischer Beitrag gewidmet worden ist. Die anspruchsvollen Ausführungen des Autors beschäftigen sich allerdings im We- sentlichen mit der Philosophie des „geisti- gen“ (seelischen) Schmerzes, so wie er 1759 von Adam Smith in seiner „Theory of mo- ral sentiments“ zum ersten Mal ausführlich abgehandelt wurde [5]. Zu der Philosophie und Ethik der Empfindung und/oder Be- handlung des somatischen Schmerzes, mit dem sich die von den Anästhesisten prakti- zierte Schmerzmedizin beschäftigt, nimmt der Autor nur am Rande Stellung. Gleich- wohl zeigt der Text der Veröffentlichung, dass das Thema der Schmerztherapie zu- nehmend auch von anderen Wissenschaf- ten aufgegriffen und unter den verschie- densten Aspekten beleuchtet wird. Indes fällt auf, dass die meisten Veröf- fentlichungen ohne eingehende Kennt- nis der medizinischen Problematik der Schmerzbehandlung erfolgen, was für die Schmerzmedizin in der Zukunft nicht ohne ernste Folgen bleiben dürfte. So er- schienen am 30. März und 1. April 2005 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zwei Artikel zum Thema Schmerzthera- pie, in denen jeweils Juristen zu dem Er- gebnis kommen, dass eine bei Tumorpa- tienten zur Anwendung gebrachte Verab- reichung von schmerzlindernden Mitteln „Der Sache nach eine vorsätzliche und di- rekte Tötungshandlung ist“ (s. hierzu auch das Buch „Aktive Sterbehilfe in der Grund- rechtsordnung“ von Jörg Antoine ) [1, 2, 6]. Daraus ist zu folgern, dass Ethik und eine medizinische Begründung, die uns in unserer Tätigkeit auf dem Gebiet der Linderung des somatischen Schmerzens leiten, von Nichtmediziner nicht nur miss- verstanden, sondern so entstellt und zer- redet werden, dass sich daraus für die täg- liche Praxis jetzt schon juristische Konse- quenzen ergeben können. Deshalb ist es an der Zeit, dass Schmerz- therapeuten mit den an diesem Thema in- teressierten Wissenschaften in einen Dia- log treten, um zu einem Konsens in der Definition grundsätzlicher Begriffe und zu einem Verständnis der medizinischen Zusammenhänge zu kommen. Wie wichtig dies ist, zeigt sich schon in den Oberschriften zum ersten Abschnitt der Publikation von Pfleiderer. Sie lauten: „Das objektive bzw. das subjektive Dilem- ma der Schmerztherapie.“ Bereits die Im- plikation des Autors wonach: „Wenn al- le Medizin Schmerzmedizin, Schmerzlin- derungsmedizin ist, dann lässt sich Medi- zin grundsätzlich als Verabreichung von Schmerzmitteln beschreiben“ bedeutet ei- ne unzulässige Verallgemeinerung der Be- griffe. Auch vom medizinischen Stand- punkt der Betrachtung aus stimmt diese „Wenn-dann“-Aussage objektiv nicht. Me- dizin als Ganzes ist bekanntlich mehr als Schmerzmedizin. Die Verabreichung von „Schmerzmitteln“ bedeutet wiederum nur einen Teil der Schmerzmedizin. Der unglückliche Umstand, dass die korrekte Bezeichnung „das Analgetikum“ d. h.: „ein Medikament, mit dessen Hil- fe das Ziel erreicht werden sollte, den Schmerz zu stillen“, in der nicht wissen- schaftlichen deutschen Umgangssprache missverständlich und jeder Logik wider- sprechend als „Schmerzmittel“ übersetzt wird, berechtigt auch einen Fundamen- taltheologen nicht zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass:„... in jedem Schmerzmit- tel steckt zumindest potenziell der Schmerz als Mittel“. Weil bereits die erste Dedukti- on aus medizinischer Sicht in sich nicht schlüssig ist, ist auch das vom Autor postu- lierte objektive Dilemma der Schmerzme- dizin: „In dem sie eingreift in den Organis- mus, muss sie – häufig - Schmerzen zufü- gen, um Schmerzen zu lindern‘, falsch. Der Gedankenduktus des Autors zum „subjektiven Dilemma“ der Schmerzmedi- zin ist für einen praktizierenden Schmerz- therapeuten nicht nachvollziehbar. Da sich darauf nicht nur der Titel des Aufsat- zes, sondern wesentliche Textinhalte be- ziehen, erfordert es auf das Postulat „Die Anästhesie der Anästhesie“ näher einzuge- hen. So stellt sich die Frage, ob die von Prof. Pfleiderer vertretene Meinung, wonach das subjektive Dilemma der „Schmerzme- dizin“ darin besteht, dass: „..solche Eingrif- fe in einen Organismus, der Schmerzen hat, nur von jemanden vorgenommen werden können, der selbst in diesem Moment kei- ne oder jedenfalls nicht sehr gravierende Schmerzen hat“ wirklich wahr ist? In diesem Abschnitt der Publikation wird deutlich, es mit einem rein philoso- phischen Denken zu tun zu haben, das sich gar nicht bemüht, die Belange der von den Ärzten praktizierenden „Schmerz- medizin“ zu berücksichtigen. Welche Schmerzen des Schmerztherapeuten sind Zum Beitrag Pfleiderer G (2005) Die Anästhesie der Anästhesie. Anästhesist 54:192-200 822 | Der Anaesthesist 8 · 2005

Die Grenzen der Einfühlung

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Page 1: Die Grenzen der Einfühlung

Le ser brie fe

Die Gren zen der Ein füh lung

Anaesthesist 2005 · 54:822–824DOI 10.1007/s00101-005-0885-3© Springer Medizin Verlag 2005

Le ser brief

R. Dud zi akEmer. Di rek tor der Kli nik für An äs the si o lo gie, In ten siv me di zin und Schmerz the ra pie der Uni ver si tät Frank furt

In der Ge schich te der Zeit schrift „Der An-

äs the sist“, lässt man die Pub li ka ti o nen

der letz ten Jahr zehn te Re vue pas sie ren,

ist es das ers te Mal, dass dem The ma der

Schmerz me di zin ein rein phi lo so phi scher

Bei trag ge wid met wor den ist.

Die an spruchs vol len Aus füh run gen des

Au tors be schäf ti gen sich al ler dings im We-

sent li chen mit der Phi lo so phie des „geis ti-

gen“ (see li schen) Schmer zes, so wie er 1759

von Adam Smith in sei ner „Theo ry of mo-

ral sen ti ments“ zum ers ten Mal aus führ lich

ab ge han delt wur de [5]. Zu der Phi lo so phie

und Ethik der Emp fin dung und/oder Be-

hand lung des so ma ti schen Schmer zes, mit

dem sich die von den An äs the sis ten prak ti-

zier te Schmerz me di zin be schäf tigt, nimmt

der Au tor nur am Ran de Stel lung. Gleich-

wohl zeigt der Text der Ver öf fent li chung,

dass das The ma der Schmerz the ra pie zu-

neh mend auch von an de ren Wis sen schaf-

ten auf ge grif fen und un ter den ver schie-

dens ten Aspek ten be leuch tet wird.

In des fällt auf, dass die meis ten Ver öf-

fent li chun gen ohne ein ge hen de Kennt-

nis der me di zi ni schen Pro b le ma tik der

Schmerz be hand lung er fol gen, was für

die Schmerz me di zin in der Zu kunft nicht

ohne erns te Fol gen blei ben dürf te. So er-

schie nen am 30. März und 1. April 2005

in der Frank fur ter All ge mei nen Zei tung

zwei Ar ti kel zum The ma Schmerz the ra-

pie, in de nen je weils Ju ris ten zu dem Er-

geb nis kom men, dass eine bei Tu mor pa-

ti en ten zur An wen dung ge brach te Ver ab-

rei chung von schmerz lin dern den Mit teln

„Der Sa che nach eine vor sätz li che und di-

rek te Tö tungs hand lung ist“ (s. hier zu auch

das Buch „Ak ti ve Ster be hil fe in der Grund-

rechts ord nung“ von Jörg An to i ne ) [1, 2,

6]. Da raus ist zu fol gern, dass Ethik und

eine me di zi ni sche Be grün dung, die uns

in un se rer Tä tig keit auf dem Ge biet der

Lin de rung des so ma ti schen Schmer zens

lei ten, von Nicht me di zi ner nicht nur miss-

ver stan den, son dern so ent stellt und zer-

re det wer den, dass sich da raus für die täg-

li che Pra xis jetzt schon ju ris ti sche Kon se-

quen zen er ge ben kön nen.

Des halb ist es an der Zeit, dass Schmerz-

the ra peu ten mit den an die sem The ma in-

ter es sier ten Wis sen schaf ten in einen Dia-

log tre ten, um zu ei nem Kon sens in der

De fi ni ti on grund sätz li cher Be grif fe und

zu ei nem Ver ständ nis der me di zi ni schen

Zu sam men hän ge zu kom men.

Wie wich tig dies ist, zeigt sich schon in

den Ober schrif ten zum ers ten Ab schnitt

der Pub li ka ti on von Pf lei de rer. Sie lau ten:

„Das ob jek ti ve bzw. das sub jek ti ve Di lem-

ma der Schmerz the ra pie.“ Be reits die Im-

pli ka ti on des Au tors wo nach: „Wenn al-

le Me di zin Schmerz me di zin, Schmerz lin-

de rungs me di zin ist, dann lässt sich Me di-

zin grund sätz lich als Ver ab rei chung von

Schmerz mit teln be schrei ben“ be deu tet ei-

ne un zu läs si ge Ver all ge mei ne rung der Be-

grif fe. Auch vom me di zi ni schen Stand-

punkt der Be trach tung aus stimmt die se

„Wenn-dann“-Aus sa ge ob jek tiv nicht. Me-

di zin als Gan zes ist be kannt lich mehr als

Schmerz me di zin. Die Ver ab rei chung von

„Schmerz mit teln“ be deu tet wie de rum nur

einen Teil der Schmerz me di zin.

Der un glück li che Um stand, dass die

kor rek te Be zeich nung „das An al ge ti kum“

d. h.: „ein Me di ka ment, mit des sen Hil-

fe das Ziel er reicht wer den soll te, den

Schmerz zu stil len“, in der nicht wis sen-

schaft li chen deut schen Um gangs spra che

miss ver ständ lich und je der Lo gik wi der-

spre chend als „Schmerz mit tel“ über setzt

wird, be rech tigt auch einen Fun da men-

taltheo lo gen nicht zu der Schluss fol ge rung

zu ge lan gen, dass:„... in je dem Schmerz mit-

tel steckt zu min dest po ten zi ell der Schmerz

als Mit tel“. Weil be reits die ers te De duk ti-

on aus me di zi ni scher Sicht in sich nicht

schlüs sig ist, ist auch das vom Au tor pos tu-

lier te ob jek ti ve Di lem ma der Schmerz me-

di zin: „In dem sie ein greift in den Or ga nis-

mus, muss sie – häu fig - Schmer zen zu fü-

gen, um Schmer zen zu lin dern‘, falsch.

Der Ge dan ken duk tus des Au tors zum

„sub jek ti ven Di lem ma“ der Schmerz me di-

zin ist für einen prak ti zie ren den Schmerz-

the ra peu ten nicht nach voll zieh bar. Da

sich da rauf nicht nur der Ti tel des Auf sat-

zes, son dern we sent li che Tex tin hal te be-

zie hen, er for dert es auf das Pos tu lat „Die

An äs the sie der An äs the sie“ nä her ein zu ge-

hen.

So stellt sich die Fra ge, ob die von Prof.

Pf lei de rer ver tre te ne Mei nung, wo nach

das sub jek ti ve Di lem ma der „Schmerz me-

di zin“ da rin be steht, dass: „..sol che Ein grif-

fe in einen Or ga nis mus, der Schmer zen hat,

nur von je man den vor ge nom men wer den

kön nen, der selbst in die sem Mo ment kei-

ne oder je den falls nicht sehr gra vie ren de

Schmer zen hat“ wirk lich wahr ist?

In die sem Ab schnitt der Pub li ka ti on

wird deut lich, es mit ei nem rein phi lo so-

phi schen Den ken zu tun zu ha ben, das

sich gar nicht be müht, die Be lan ge der

von den Ärz ten prak ti zie ren den „Schmerz-

me di zin“ zu be rück sich ti gen. Wel che

Schmer zen des Schmerz the ra peu ten sind

Zum Bei trag

Pf lei de rer G (2005) Die An äs the sie der An äs the sie. An äs the sist 54:192-200

822 | Der Anaesthesist 8 · 2005

Page 2: Die Grenzen der Einfühlung

nen recht li chen Kon flikt zu ge ra ten. Eine

tat säch lich teil nahms lo se d.h. ge gen über

dem Kran ken und sei nem Lei den un emp-

find lich ge wor de ne „An äs the sie“ müss te

da mit rech nen schnell auf mo ra lisch und

ethisch falsche Wege zu ge ra ten. Von dort

bis zu den ju ris ti schen Kon flik ten ist es er-

fah rungs ge mäß nur ein klei ner Schritt.

Li te ra tur

1. An to i ne J (2004) Ak ti ve Ster be hil fe in der Grund-rechts ord nung (§ 3 In di rek te Ster be hil fe als Un ter-fall der ak ti ven Ster be hil fe, S. 46 und fol gen de). Schrif ten zum öf fent li chen Recht, Band 966. Ver lag Dun cker & Hum bolt, Ber lin

2. Paw lik M (2005) Auf gar kei nen Fall? Jörg An to i ne fragt nach der ak ti ven Ster be hil fe in Deutsch land. FAZ- Feuil le ton vom 30.03.05

3. Schel ler M (1923) Mo ra lia: Vom Sinn des Lei des. Der Neue Geist-Ver lag/Dr.Pe ter Rein hold Leip zig, S 41-103

4. Schmid W (1998) Phi lo so phie der Le bens kunst. Ei-ne Grund le gung. Suhr kamp

5. Smith A: Theo rie der ethi schen Ge füh le (3. Ab-schnitt 1. Ka pi tel). Fe lix Mei ner Ver lag, Ham burg

6. Stern berg-Lie ben (2005) Das Le ben ist kei ne Pflicht. FAZ Feuil le ton vom 1.4.05

Kor re spon die ren der Au torProf. Dr. R. Dud zi ak

Ler ches ber g ring 17, 60598 Frank furt/ME-Mail: prof dud zi [email protected]

Er wi de rung

G. Pf lei de rerPro fes sur für Sys te ma ti sche Theo lo gie/Ethik, Ba sel

1. In ter dis zi pli näre Dia lo ge, ins be son de re

sol che zwi schen den bei den gro ßen Wis-

sen schafts stäm men der Geis tes- und Na-

tur wis sen schaf ten, ha ben ihre Schwie rig-

kei ten und ihre Tücken. Wir spre chen ver-

schie de ne Spra chen. Um so dan kens wer-

ter ist es, wenn eine re nom mier te Fach zeit-

schrift ei nem Fremd-Sprach ler Raum gibt

für einen sol chen Dia log.

Um ihn sinn voll füh ren zu kön nen,

plä die re ich ers tens für eine ge wis se Ent-

spannt heit, zwei tens für ge nau es Hin hö-

ren und drit tens für Rol len treue. In ter-

dis zi pli näre Dia lo ge soll ten et was Spie le-

risch-Ent spann tes ha ben, wenn sie dazu

bei tra gen sol len, die en gen, fest ge zurr ten

Gren zen von Fach per spek ti ven zu ver flüs-

si gen. Alar mis mus, der An fän gen zu weh-

der The ra pie des so ma ti schen Schmer zes

nicht wei ter.

Dies gilt auch für das Buch Hiob. Ge-

ra de im Buch Hiob kön nen wir fest stel-

len, dass im Text der Kla gen des vom Sa-

tan ge zeich ne ten Hiob kei ne di rek ten Hin-

wei se auf einen leib li chen Schmerz zu fin-

den sind. Die Her me neu tik des Tex tes der

vor den Kla gen Hi obs steht: „ Der Sa tan. ...

schlug Hiob mit bö sen Ge schwü ren von der

Fuß soh le an bis auf sei nen Schei tel. Und er

(Hiob) nahm eine Scher be und schab te sich

und saß in der Asche“ (Hiob 2,7-8) gibt

Hin wei se auf einen Juck reiz (Pso ria sis?)

nicht aber auf Schmer zen. So ge zeich net

„tat Hiob sei nen Mund auf und ver fluch te

sei nen Tag“ (Hiob 3,1) und er klag te, dass

der Herr, je ner der sein An äs the sist hät te

sein kön nen, und „des sen Hän de ihn ge bil-

det ha ben“, sich von ihm ab ge wandt hat.

Als er aber am Ende sei nes Lei dens den

Herrn spre chen durf te, ent schul dig te er

sich für sei ne Kla gen und sprach: „Da rum

spre che ich mich schul dig und tue Buße in

Staub und Asche“ (Hiob 42,6). Der Theo-

lo ge Pf lei de rer möge zu ge ste hen, dass es

Hiob, als der Herr in sei nem Ver hält nis zu

ihm ein „an äs the sier ter An äs the sist“ war,

schlecht ging. Erst als die „The ra pie“ des

Herrn be gann und Er dem lei den den Ge-

rech ten ge gen über sicht bar barm her zig

und mit lei dend ge wor den war, stand es

um Hiob zu neh mend bes ser. Die Hei lung

Hi obs war be kannt lich sehr er folg reich,

denn: „Hiob leb te da nach hun dert und vier-

zig Jah re und sah Kin der und Kin des kin der

bis in das vier te Glied. Und Hiob starb alt

und le bens satt“ (Hiob 42 16-17). Die Er zäh-

lung über die Hei lung Hi obs und sein lan-

ges Le ben nach dem Lei den gibt An lass

da ran zu glau ben, dass eine mit lei den de

An äs the sie mehr Er folg ver spricht als ei-

ne „an äs the sier te“. Soll te die Mei nung des

Theo lo gen Pf lei de rer, dass es die „An äs the-

sie der An äs the sie“ tat säch lich gibt wirk-

lich zu tref fen, so müss te er den Be weis da-

für trans pa ren ter füh ren.

Der Be darf nach der Be hand lung

des so ma ti schen Schmer zes nimmt welt-

weit zu. Da mit steigt auch die Ge fahr ei-

ner miss bräuch li chen An wen dung der

Schmerz mit tel. Das gilt ins be son de re für

de ren Ge brauch im fi na len Sta di um ei ner

Er kran kung. Für die se In di ka ti on gilt es

schon heu te sehr da rauf zu ach ten, bei An-

wen dung von Schmerz mit tel nicht in ei-

aber ge meint? Die Ant wort folgt in den

nächs ten Sät zen der Pub li ka ti on. Sie ent-

hal ten Ge dan ken, die bei der Be trach tung

die ses The ma von der ethi schen Sei te her

als er staun lich ge fühl los be zeich net wer-

den dür fen. Die „An äs the sie des An äs the-

sis ten“ be deu tet nach Mei nung des Theo lo-

gen G. Pf lei de rer, dass der Schmerz the ra-

peut (An äs the sist) in Aus übung sei ner Tä-

tig kei ten kein Mit leid mit dem Pa ti en ten

ha ben darf oder ha ben soll te, „...sonst wä-

re er selbst Pa ti ent“. Wir be geg nen an die ser

Stel le der Pub li ka ti on er neut zwei Schmerz-

ar ten, die der „see li schen“ des An äs the sis-

ten, die nicht er wünscht sein soll und die

der „so ma ti schen“ des Pa ti en ten, die erst

dann, wenn sie für den The ra peu ten ob jek-

ti vier bar ist, einen Be hand lungs er folg ver-

spricht.

Die Fra ge, ob und in wel chem Aus maß

die Schmerz the ra peu ten das Lei den des

be han deln den Pa ti en ten im Sin ne ei nes

ethi schen Mit ge fühls tei len oder nicht, ist

mei nes Er ach tens bis her durch kei ne Un-

ter su chung be ant wor tet wor den. Da ran,

dass die meis ten be han deln den Ärz te für

das Lei den ih res Pa ti en ten Mit ge fühl ha-

ben und dass sie eine Freu de so gar eine

„in ne re Zu frie den heit“ dann emp fin den,

wenn die The ra pie er folg reich war, dürf-

te je doch nicht an ge zwei felt wer den. Des-

halb ten die re ich aus Kennt nis der Ma te-

rie und der Tä tig keit der da mit be schäf tig-

ten Ärz te grup pe zu der An sicht, dass ei-

ne er folg rei che Be hand lung des Schmer-

zes nur dann mög lich ist, wenn der be-

han deln de Arzt nicht nur Mit ge fühl mit

dem Lei den den hat, son dern sich in sein

Schmerz lei den, wenn auch tran szen den-

tal, zu ver set zen in der Lage ist. „An äs the-

sie der Han deln den“ bzw. „Apa thie des

The ra peu ten“ im Sin ne ei ner Ge fühl lo sig-

keit wür de in der The ra pie des Schmer-

zes das Ver hält nis zwi schen dem Pa ti en-

ten und dem Arzt enorm be las ten, wahr-

schein lich so gar zer stö ren. Schließ lich

soll te in die sem Kon text auch die Kunst

des Um gangs mit Schmer zen für die

einst Epi kur ein Bei spiel gab, der aus Er-

fah rung von Schmer zen noch die Freu de

am Le ben zu zie hen ver stand, be rück sich-

tigt wer den [3, 4].

Die Er in ne rung an die ar chai schen

Kul tu ren, an das Pries ter-Op fer-Ver hält-

nis, „Der Schrei“ von Ed vard Munch, Kaf-

kas „Die Ver wand lung“, hel fen uns bei

823Der Anaesthesist 8 · 2005 |

Page 3: Die Grenzen der Einfühlung

ren sucht oder gar gleich ju ris ti sche Kon-

se quen zen“ am Ho ri zont dro hen sieht, ist

kei ne gute Grund la ge für ge deih li che Ge-

sprä che.

Ge nau es Hin hö ren so dann soll te m. E.

vor al lem die Be reit schaft be in hal ten, ei-

ne an de re Fach spra che in ih rer in ne ren

Stim mig keit gel ten zu las sen und zu ver-

ste hen zu ver su chen. Über set zungs ar beit

be steht nicht aus Punkt-für-Punkt-Über-

tra gun gen ein zel ner Be grif fe. Herr Prof.

Dud zi ak, dem ich für sei ne en ga gier te Ant-

wort auf mei nen Ar ti kel dan ke, hat ein an-

de res Ver ständ nis von Schmerz als ich. Er

möch te zwi schen so ma ti schem und geis-

ti gem (see li schem) Schmerz mög lichst

trenn scharf un ter schei den. Da rum fin det

er in mei nen Über le gun gen auch nicht

viel Ge halt vol les zu ers te rem. Da mag er

Recht ha ben; nur war der iso lier te so ma ti-

sche Schmerz auch gar nicht mein The ma.

Herr Prof. Dud zi ak hat auch einen trenn-

schar fen Be griff von Schmerz me di zin.

Da rum kann er in mei nem Ver such, ein-

mal ge wis ser ma ßen pro be wei se das Gan-

ze der Me di zin un ter dem Ge sichts punkt

der Schmerz me di zin zu be trach ten, nichts

Pro duk ti ves fin den. Aber ist der Vor schlag

wirk lich so un sin nig?

Mit „Rol len treue“ mei ne ich, dass zwi-

schen der ei ge nen pro fes sio nel len Ex per-

ten do mä ne und sons ti gen geis ti gen In ter-

es sen ge bie ten deut lich ge nug un ter schie-

den wird. Um etwa über den Schmerz

und das Leid der bald zwei ein halb tau-

send Jah re al ten li te ra ri schen (!) Hi ob-

fi gur et was Sinn vol les aus sa gen zu kön-

nen, soll te man doch viel leicht ein mal zu-

nächst die Spe zia lis ten kon sul tie ren, also

die Alt tes ta ment ler.

2. Zur Sa che: Strit tig ist zwi schen Herrn

Prof. Dud zi ak und mir vor al lem das Rol-

len ver ständ nis des Schmerz me di zi ners

und da rin die Reich wei te der Ein füh lungs-

fä hig keit. Mei ne Über le gun gen zur phä no-

me no lo gi schen Struk tur des Arzt-Pa ti ent-

Ver hält nis ses re zi piert er rein psy cho lo-

gisch, im Sin ne der (von ihm an ge spro che-

nen) Mo ral-Sen ti ment-Phi lo so phie, viel-

leicht auch (das ist aber eine Ver mu tung)

im Sin ne der Mit leid sethik A. Scho pen-

hau ers. Vor die sem Hin ter grund nimmt

er mei ne ent spre chen den Aus füh run gen

als Plä doy er für eine ge fühl lo se Me di zin

wahr, das ihm da rum auch selbst „er staun-

lich ge fühl los“ er scheint. Mein In te res se

war al ler dings zu nächst das der sach li chen

Be schrei bung, wozu ich eine Ver bin dung

aus phi lo so phi scher Phä no me no lo gie und

kul tur wis sen schaft li chen An a ly se ge wählt

habe. Bei der nor ma ti ven (phi lo so phisch-

theo lo gi schen) Be wer tung habe ich eine

be stimm te Ba lan ce her zu stel len ver sucht:

In der - struk tu rel len (!) - Apa thie des The-

ra peu ten sehe ich so wohl eine Not wen dig-

keit wie auch ein Pro b lem, näm lich dann

und in so fern, wenn die se struk tu rel le Apa-

thie nicht von ei nem be stimm ten kri ti-

schen Be wusst sein ih rer selbst be glei tet

ist. Zu min dest in Be zug auf die ses letz te re

dürf ten mein Op po nent und ich uns ziem-

lich ei nig sein.

Un ei nig keit be steht aus mei ner Sicht

an an de rer Stel le, näm lich bei der Ein schät-

zung der Reich wei te mensch li cher Ein-

füh lungs kraft und der Struk tur mensch li-

chen Mit leids. Mei ne Mei nung ist in der

Tat, dass Mit leid et was grund sätz lich an-

de res ist als ei ge nes Leid (bzw. Schmerz).

Mit leid, je den falls das Mit leid, von dem

in un se rem Zu sam men hang sinn vol ler-

wei se die Rede sein kann, ist – mit Adam

Smith zu re den – ein mo ra li sches Ge fühl.

Das heißt aber: Es ist grund sätz lich als

Aus druck von frei er (also selbst ge ra de

nicht am ei ge nen Leib be trof fe ner) Ein-

füh lungs kraft zu deu ten. Die Tie fe des

Mit leids und sei ne ei gent li che Ab grün dig-

keit ist dort, erst dort, er reicht, wo die Ver-

zweif lung da rü ber emp fun den wird, dem

Lei den den sein Leid nicht ab neh men, d.h.

nicht selbst an sei ner Stel le der (wirk lich)

Lei den de sein zu kön nen. Man den ke an

das ver zwei fel te Mit leid von Müt tern und

Vä ter schwer kran ker Kin der!

Über die em pi ri sche In ten si tät bei der

Ge füh le soll da mit also ge ra de nichts ge-

sagt sein. Denn ge wiss ist sol ches Mit leid

selbst auch ein Leid - und ver dient sei ner-

seits tie fes Mit leid. Den noch: Kei ne Ein-

füh lungs kraft, und sei sie auch noch so

„tran szen den tal“ (was heißt das hier ei gent-

lich?), kann den Punkt über sprin gen, dass

zwi schen dem Lei den und dem Mit lei den

eine prin zi pi el le Dif fe renz liegt. Wo die

Ein eb nung die ser Dif fe renz den noch ver-

sucht wird, wer den die Kräf te des Men ta-

len, wie auch des Emo tio na len, nach mei-

ner Auf fas sung struk tu rell - und das heißt

zu gleich: in ethi scher Hin sicht - über-

schätzt. Es ist dies eine ty pisch neu zeit li-

che Über schät zung, für die in der Phi lo-

so phie ge schich te in der Tat vor al lem der

Name Ar thur Scho pen hau ers steht. Die

christ lich-theo lo gi sche Tra di ti on hat bei

al ler Be to nung des Mit leids, der Ca ri tas,

hier ge ra de eine an de re Auf fas sung ver tre-

ten, näm lich die je ni ge, dass das Leid letzt-

lich und wahr haf tig nur durch ein Mit lei-

den er reich bar ist, das das Lei den selbst

und am ei ge nen Leib er fah ren hat. Die

Vor stel lung ei nes nur mit lei di gen Got tes

ist - ge nau wie das Mit leid selbst - nichts

an de res als eine Pro jek ti on. Und das En-

de die ser Il lu si on ist ja auch schon lan ge

ge nug be kannt.

Kor re spon die ren der Au torProf. Dr. G. Pf lei de rer

Profes sur für Systematische Theologie/Ethik, Mis sions straße 17a, CH-4055 BaselE-Mail: [email protected]

824 | Der Anaesthesist 8 · 2005

Leserbriefe