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KOLUMNE Die Grenzen der Pressefreiheit? Der Karikaturenstreit als inszenierte Farce von Bernhard Debatin Zum Karikaturenstreit ist viel geschrieben worden. Dabei ging es immer wieder um die Pressefreiheit und ihre Grenzen. Der Forderung, dieses Grundrecht der westlich-säku- larisierten Welt mit all seinen Folgen zu akzeptieren und zu verteidigen, stand die For- derung gegenüber, religiöse Gefühle und sakrale Symbole zu respektieren. Stein des Anstoßes waren bekanntlich die von Flemming Rose, dem Kulturredakteur der rechtskonservativen ›Jyllands-Posten‹, in Auftrag gegebenen und am 30. September 2005 unter dem Titel »Mohammeds Angesicht« veröffentlichten zwölf Karikaturen, von denen zumindest einige anti-islamische Stereotype enthalten 1 und gegen das Ab- bildungstabu verstoßen. Die Aktion verfolgte zwei Ziele. Sie sollte eine Antwort sein auf »several incidents of self-censorship in Europe caused by widening fears and feelings of intimidation in dealing with issues related to Islam«. 2 Zugleich sollte sie eine Diskus- sion in Gang bringen über den Widerspruch zwischen Demokratie und Redefreiheit auf der einen Seite und der von dänischen Muslimen auf der anderen Seite angeblich beanspruchten »Sonderstellung, wenn sie auf besonderer Rücksichtnahme auf ihre ei- genen religiösen Gefühle beharren«. 3 Die Publikation der Karikaturen kann vor diesem Hintergrund nur als gezielte Provokation verstanden werden. Um die Verteidigung von Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit ging es hier jedenfalls kaum. Vielmehr liegt der Verdacht einer selbsterfüllenden Prophezeiung nahe: Man erzeugt mit der Behaup- tungshandlung die Bedingungen, die dann zum Behaupteten führen. Im Folgenden sollen deshalb die Begründungen und Rechtfertigungsstrategien von Flemming Rose genauer untersucht werden. Unter den Beispielen, die Rose am 19. Februar in der ›Washington Post‹ als Begrün- dung für die Veröffentlichung der Karikaturen nannte, fällt vor allem eines in Auge, das die völlige Abstraktion von historisch-politischen Kontexten zeigt: Ende September, so Publizistik, Heft 2, Juni 2006, 51. Jahrgang, S. 149–152 Prof. Dr. Bernhard Debatin lehrt an der E. W. Scripps School of Journalism der Ohio University, Athens/Ohio, und ist Fellow am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart. 1 So v. a. die berüchtigte Darstellung Mohammeds mit Bombe im Turban. 2 Flemming Rose: »Why I Published Those Cartoons«. In: Washington Post, 19.2.2006. 3 Flemming Rose in: Jyllands-Posten, 30.9.2005, zitiert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Das_ Gesicht_Mohammeds.

Die Grenzen der Pressefreiheit?

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KOLUMNE

Die Grenzen der Pressefreiheit?

Der Karikaturenstreit als inszenierte Farce

von Bernhard Debatin

Zum Karikaturenstreit ist viel geschrieben worden. Dabei ging es immer wieder um diePressefreiheit und ihre Grenzen. Der Forderung, dieses Grundrecht der westlich-säku-larisierten Welt mit all seinen Folgen zu akzeptieren und zu verteidigen, stand die For-derung gegenüber, religiöse Gefühle und sakrale Symbole zu respektieren.

Stein des Anstoßes waren bekanntlich die von Flemming Rose, dem Kulturredakteurder rechtskonservativen ›Jyllands-Posten‹, in Auftrag gegebenen und am 30. September2005 unter dem Titel »Mohammeds Angesicht« veröffentlichten zwölf Karikaturen,von denen zumindest einige anti-islamische Stereotype enthalten1 und gegen das Ab-bildungstabu verstoßen. Die Aktion verfolgte zwei Ziele. Sie sollte eine Antwort seinauf »several incidents of self-censorship in Europe caused by widening fears and feelingsof intimidation in dealing with issues related to Islam«.2 Zugleich sollte sie eine Diskus-sion in Gang bringen über den Widerspruch zwischen Demokratie und Redefreiheitauf der einen Seite und der von dänischen Muslimen auf der anderen Seite angeblichbeanspruchten »Sonderstellung, wenn sie auf besonderer Rücksichtnahme auf ihre ei-genen religiösen Gefühle beharren«.3 Die Publikation der Karikaturen kann vor diesemHintergrund nur als gezielte Provokation verstanden werden. Um die Verteidigung vonRede-, Meinungs- und Pressefreiheit ging es hier jedenfalls kaum. Vielmehr liegt derVerdacht einer selbsterfüllenden Prophezeiung nahe: Man erzeugt mit der Behaup-tungshandlung die Bedingungen, die dann zum Behaupteten führen. Im Folgendensollen deshalb die Begründungen und Rechtfertigungsstrategien von Flemming Rosegenauer untersucht werden.

Unter den Beispielen, die Rose am 19. Februar in der ›Washington Post‹ als Begrün-dung für die Veröffentlichung der Karikaturen nannte, fällt vor allem eines in Auge, dasdie völlige Abstraktion von historisch-politischen Kontexten zeigt: Ende September, so

Publizistik, Heft 2, Juni 2006, 51. Jahrgang, S. 149–152

Prof. Dr. Bernhard Debatin lehrt an der E. W. Scripps School of Journalism der Ohio University,Athens/Ohio, und ist Fellow am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT)der Universität Stuttgart.

1 So v. a. die berüchtigte Darstellung Mohammeds mit Bombe im Turban.2 Flemming Rose: »Why I Published Those Cartoons«. In: Washington Post, 19.2.2006.3 Flemming Rose in: Jyllands-Posten, 30.9.2005, zitiert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Das_

Gesicht_Mohammeds.

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Rose, hatte ein dänischer Komiker in einem Interview mit ›Jyllands-Posten‹ gesagt, dasser kein Problem habe, vor laufender Kamera auf die Bibel zu urinieren, während er dasGleiche mit dem Koran zu tun sich nicht trauen würde. Dies bezeichnete Rose als »cul-mination of a series of disturbing instances of self-censorship«. Eine solche Äußerungbedarf allerdings schon einer gehörigen Portion zeitgeschichtlicher Ignoranz, war docherst kurz zuvor der Vorwurf laut geworden, amerikanisches Wachpersonal habe inGuantanamo und einem afghanischen Gefangenenlager den Koran durch Urinierenund andere Verunreinigungen geschändet.

Berichte von Koranschändungen gehören heute ebenso wie die Folterbilder von AbuGhraib und Basra zum topischen Symbolvorrat, mit dem in der islamischen Welt west-liche Überheblichkeit und Doppelzüngigkeit bezeichnet werden.4 Während man in ei-ner säkularisierten westlichen Gesellschaft das Urinieren auf die Bibel vielleicht geradenoch als geschmacklose Aktionskunst verkaufen kann, verbietet sich aufgrund der spe-zifisch vorbelasteten jüngsten Geschichte das gleiche Verhalten mit Bezug auf den Ko-ran.5 Dies ist weniger eine Frage der Selbstzensur als eine Frage des moralischen Urtei-lens und des angemessenen Umgangs mit der Freiheit. Freiheit ist ja nur im negativenSinne (als Freiheit von Zwängen) unbestimmt; im positiven Sinne ist sie Selbstbestim-mung und damit immer auch Übernahme von Verantwortung für das eigene Han-deln.6 Ein verantwortlicher Umgang mit der Pressefreiheit ist dabei von bloßer Selbst-zensur deutlich zu unterscheiden. Während Ersterer auf der Anerkennung und Umset-zung von ethischen Werten und Normen beruht, ist Letztere durch äußeren Druckmotiviert, also gerade nicht Selbstbestimmung.

Aus Opportunitäts- und Karrieregründen, aus ökonomischen Motiven, aus Angstvor Sanktionen und aus falsch verstandener »Political Correctness« kommt Selbstzensurbei Journalisten nicht selten vor (die »Schere im Kopf« ist ja ein altbekanntes Phäno-men7). Es ist auch durchaus richtig, dass das Problem der Selbstzensur ein wichtigesThema der Berichterstattung ist, »a legitimate news story to cover«, wie Rose in der›Washington Post‹ sagte. Jedoch muss das von Rose beschworene journalistische Prinzip»show, don’t tell« in diesem Zusammenhang eher als Ausdruck und Rechtfertigungs-strategie eines aktionistischen Kurzschlusses gewertet werden. Denn die Debatte überSelbstzensur müsste in erster Linie mit und zwischen denen geführt werden, die sich –aus welchen Gründen auch immer – dieser Selbstzensur unterwerfen. Statt dessen aber

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4 Vgl. Stephan Rosiny: Pressefreiheit versus Prophetenschutz. In: Deutsche Welle/ DW-World.de vom11.2.2006, http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,1899300,00.html.

5 Ähnlich kann man auch argumentieren, dass sich im Land der Täter die Leugnung des Holocaustseben mehr verbietet als in einem »neutralen« Land. Letztlich beruhen die in unterschiedlicher Gesetz-gebung zum Ausdruck kommenden Wertvorstellungen über die Grenzen der Redefreiheit eben aufsolchen historischen Kontexten. Vgl. hierzu auch Raphael Cohen-Almagor: Speech, Media, andEthics. New York 2005, v. a. S. 3-23.

6 Vgl. hierzu ausführlich Bernhard Debatin: Medienethik als Steuerungsinstrument? Zum Verhältnisvon individueller und korporativer Verantwortung in der Massenkommunikation. In: Adrian Holder-egger (Hrsg.): Kommunikations- und Medienethik. Interdisziplinäre Perspektiven. Freiburg 1999,S. 39-53, und Bernhard Debatin: Verantwortung im Medienhandeln: Medienethische und hand-lungstheoretische Überlegungen zum Verhältnis von Freiheit und Verantwortung in der Massenkom-munikation. In: Wolfgang Wunden (Hrsg.): Freiheit und Medien. Frankfurt/Main 1998, S. 113-130.

7 Vgl. Henryk M. Broder (Hrsg.): Die Schere im Kopf. Über Zensur und Selbstzensur. Köln 1976.

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wurde mit der Publikation lediglich eine Schuldzuweisung vorgenommen, was schonder Titel »Mohammeds Angesicht« zeigt.8 Damit wird eine Unterscheidung zwischen»Wir« und »die Anderen« eingeführt, die ausschließt und marginalisiert und nicht, wievon Rose behauptet,9 integriert. Roses Argumentation ist abstrakt und unempfindlichgegenüber dem spezifischen Kontext. Einfach zu postulieren, dass die Karikaturistenden Islam genauso behandelten wie das Christentum und andere Religionen und dassdadurch Muslime in Dänemark »als Gleiche« behandelt und integriert würden, ist bes-tenfalls naives Wunschdenken, das an der Realität existierender Konflikte und Sensibi-litäten in Dänemark wie in der Welt vorbeigeht.10 Vor allem aber ignoriert es den Um-stand, dass es immer darauf ankommt, wer über wen lacht. Das lächerlich machende,ausgrenzende Lachen mag schon für den belachten Insider schwer zu ertragen sein. Istman aber als Angehörige(r) einer Minorität Gegenstand des Mehrheitsspotts, dannmuss die Annahme der verletzenden Absicht zur interpretationsbestimmenden Größewerden.11

Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass die gleiche Zeitung drei Jahre zu-vor Zeichnungen zurückwies, in denen die Auferstehung Jesu karikiert wurde. Die Be-gründung lautete, dass die Bilder nicht lustig seien, dass man sie wegen ihres anstößi-gen Gehalts den Lesern nicht zumuten könne und dass sie höchstwahrscheinlich einenAufschrei unter den Lesern auslösen würden.12 Zwar waren diese Zeichnungen keineAuftragswerke; daraus aber, wie Rose, nun abzuleiten, dass die umstrittenen Moham-med-Karikaturen als Auftragswerke ihrerseits nicht editorischen Kriterien von Ge-schmack, Qualität und ethischen Standards unterliegen, ist schlichtweg ein Fehl-schluss. Einer Auswahl nach solchen Kriterien hätten freilich Zeichnungen mit gerin-gem Satiregehalt und stereotypem Beleidigungspotential (die Bombe im Turban, dersäbelschwingende Prophet mit den beiden verschleierten Frauen) nicht standgehalten,und die eher belanglosen Bildchen (Mohammed mit Esel, im Schlafanzug mit Hör-nern, als Mondsichel-mit-Stern-Gesicht) wären vermutlich auch nicht durchgekom-men. Eine herausgeberische Auswahl hätte darüber hinaus auch zum Gegenstandeditorischer Anmerkungen werden können. Dies hätte Missverständnisse vermeidenhelfen und die Tür zum Dialog öffnen können.

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8 Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass einzelne Bilder nicht das Antlitz Moham-meds, sondern eher den dänischen Kontext karikieren, so z. B. zwei Bilder, auf denen das Ganze alsPR-Aktion für das Kinderbuch über Mohammed kritisiert wird, oder die Karikatur, auf der in persi-scher Sprache zu lesen ist: »Das Herausgeberteam von Jyllands-Posten ist ein Haufen reaktionärer Pro-vokateure.« Vgl. die Beschreibung der Karikaturen in Wikipedia, http://en.wikipedia.org/wiki/Jyllands-Posten_Muhammad_cartoons.

9 »The cartoonists treated Islam the same way they treat Christianity, Buddhism, Hinduism and otherreligions. And by treating Muslims in Denmark as equals they made a point: We are integrating youinto the Danish tradition of satire because you are part of our society, not strangers. The cartoons areincluding, rather than excluding, Muslims.« (Flemming Rose: »Why I Published Those Cartoons«. In:Washington Post, 19.2.2006)

10 Vgl. z. B. Andrea Noll: Der Karikaturenstreit – Kampf der Kulturen oder Kulturkampf? In: ZNet,15.2.2006, http://www.zmag.de/artikel.php?id=1737.

11 Vgl. hierzu auch Jens Soentgen: Adornos Lachen, Adornos Tränen. In: UniPressestelle, UniversitätAugsburg 2004, http://www.presse.uni-augsburg.de/unipress/up20032/artikel_21.shtml.

12 Vgl. Gwladys Fouch: Danish paper rejected Jesus cartoons. In: Guardian Unlimited, 6.2.2006,http://www.guardian.co.uk/print/0,3858,5392866-119665,00.html.

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So aber bleibt der Verdacht, dass die Herausgeber von vordergründigem Interesse anProvokation und islamophoben Ressentiments geleitet wurden. Die von Rose hochge-lobte Verteidigung der Pressefreiheit sieht jedenfalls mehr nach inszenierter Farce dennnach Abwehrkampf gegen die äußere oder selbstverordnete Einschränkung der Presse-freiheit aus. Die Farce wäre freilich beinahe missglückt, denn es dauerte fast zu lange,bis die Karikaturen in der islamischen Welt jene gewalttätigen Aufgeregtheiten auslös-ten (aber nicht verursachten!), die dann die selbsterfüllende Prophezeiung um dasAngesicht des Propheten einlösten.

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