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Die Hausaufgaben sind gemacht

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Page 1: Die Hausaufgaben sind gemacht

DIE HAUSAUFGABEN SIND GEMACHTOb es um Infotainment, Sicherheit oder Effizienz geht: Die Hardwarehersteller bieten schon heute

Halbleiter und passende Systeme, um das Auto mit der Umwelt vernetzen zu können. Ein Überblick

über den Stand der Technik.

NETZE UND IT

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Drei große Trends bestimmen die Autobranche: Die Fahrzeuge sol-len sicherer werden, sie sollen

effizienter und ressourcenschonender bewegt werden können und das Auto soll viel Spaß machen. Eine zunehmende Vernetzung hilft, diese drei Wünsche zu erfüllen.

Der große Vorteil: Die für die Vernet-zung benötigten Halbleiter und die dar-auf aufgebauten Systeme sind heute bereits zum Großteil vorhanden. Was fehlt, ist an manchen Stellen noch der Wille der Autohersteller, etwa mit einem groß angelegten und in vielen Modellen verbreiteten Car-to-X-System Fakten und damit einen Standard zu schaffen. Was sicherlich auch daran liegt, dass die Her-steller zwar schon seit einigen Jahren eigene Strukturen und Programme im Bereich Halbleiter aufbauen, das Know-how aber im Vergleich etwa zur Moto-renkompetenz nicht seit Jahrzehnten in der Branche verankert ist.

Es tut sich allerdings viel. Das ist auch nötig, weil Halbleiterlösungen schon heute die Hälfte aller Innovationen in der Autowelt ausmachen, in diesem Jahr einen Umsatz von rund 6,5 Milliarden Dollar erreichen und mit sicherlich mehr als acht Prozent jährlich weitersteigen werden. Wie und wo Halbleiter sinnvoll eingesetzt werden können und an wel-chen Stellen Vernetzung überhaupt Sinn ergibt, bleibt momentan die wichtigste Frage.

INFOTAINMENT ALS PARADEDISZIPLIN

Die häufigste Anwendungsart für einen Netzzugang ist sicherlich das Infotain-ment-System. Der Fahrer kann mithilfe von Sprachein- und ausgabe E-Mails, SMS und soziale Netzwerke bedienen und mit seiner Umwelt in Kontakt bleiben. Über den Radioempfangsteil gelangen meist auch die Verkehrsinformationen zum Fahrer, klassisch über UKW oder zuneh-mend über Digitalradiodienste wie DAB+ und DMB. Zusätzlich bieten viele Auto-hersteller oder auch Drittanbieter – teil-weise gegen zusätzliche Bezahlung – wei-tere Informationsdienste über das Mobil-telefonnetz an, die, wenn es um zeitliche und örtliche Genauigkeit geht, den klassi-schen Radiodiensten oft überlegen sind. Ebenso lassen sich Zusatzangebote wie die Nutzung von App-Stores einbinden.

Das Fahrzeug benötigt dafür neben dem klassischen Radioempfangsteil einen mobilen Datenzugang, der im Fahrzeug verbaut sein und möglicher-weise für eine Service- oder Notruf-funktionalität mitverwendet werden kann. Zudem kann er mit wenig zusätz-lichem Software-Aufwand als WLAN-Accesspoint dienen. Eine Alternative dazu: die Verbindung ins Netz über das Mobiltelefon des Fahrers, ➊.

Um dieses System zu ermöglichen, müssen die benötigten Halbleiter eine spezielle Auslegung aufweisen, die sich

AUTOR

JÖRG SCHAMBACHER ist bei Texas Instruments für das

Embedded Processing Automotive für den Markt Europa, Mittlerer Osten

und Afrika verantwortlich.

➊ Die moderne Variante einer generischen High-End-Infotainment-Architektur

43 November 2013

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vor allem in der Systempartitionierung zeigt. Die genannten Funktionen sind abgesehen von den Digitalradiostandards seit mehreren Jahren relativ stabil in Architektur und Funktion. Es bietet sich also an, diese von sich eher schneller ändernden, an der Konsumelektronik orientierten Funktionen zu lösen. Zwei wesentliche Bestandteile des Systems werden also getrennt: Der Infrastruktur-teil, dessen Funktionalität über mehrere Jahre stabil bleibt, und das Human-Machine-Interface (HMI) beziehungs-weise der Applikationsteil.

Für die Prozessoren ergeben sich dar-aus sehr unterschiedliche Anforderun-gen. Der Infrastrukturprozessor muss eine Vielzahl an Schnittstellen bedienen wie beispielsweise CAN, MOST und zunehmend auch automobile Ethernet-Varianten. Zusätzlich muss er neben den Audiodaten des Empfangsteiles auch Schnittstellen zu Medien wie DVD- und CD-Laufwerken, SD-Cards und USB handhaben können. Selbst die gesample-ten und digitalisierten Empfangsdaten eines Digitalradio-Empfängers kann der Prozessor demodulieren und decodieren.

Diese vielfältigen Aufgaben auf nur einer Prozessor-Architektur ablaufen zu lassen, erscheint nicht sinnvoll. Deswe-gen verfügen beispielsweise die Prozes-soren der Jacinto-Familie über viele, sehr unterschiedliche Prozessorkerne; ➋. So werden Video- und Audioströme hauptsächlich durch digitale Signal-prozessoren und eine dedizierte Digital Audio Routing Engine verarbeitet, wäh-rend Echtzeitanforderungen durch CAN-Botschaften von einem Cortex-M3 oder M4 System unterbrechungsfrei für die anderen Subsysteme abgearbeitet werden, ➌.

MEHR EFFIZIENZ DURCH MULTICORE-ARCHITEKTUR

Zudem bietet eine solche heterogene Multicore-Architektur weitere Vorteile bei der Leistungsaufnahme – und damit auch bei dem Energieverbrauch und der Wärmeabgabe – gegenüber homogenen Systemen. Diese können die erforderliche Mehrleistung nur durch mehr Kerne oder eine höhere Arbeitsfrequenz erzielen. Beides führt unweigerlich zur deutlichen Erhöhung der Leistungsaufnahme. Hinzu kommt die anspruchsvolle Auf-gabe, die Rechenlast gleichmäßig auf die Kerne zu verteilen.

Ein Mehr an Arbeit entsteht bei einem heterogenen System vorab, weil diese Überlegungen bereits bei der Definition des Systems durchgeführt werden müs-sen. Aber: Die Architektur ändert sich wenig oder gar nicht über mehrere Jahre. Außerdem wird ein heterogenes System deutlich effizienter arbeiten und damit auch zur geforderten CO2-Reduktion bei-tragen können.

Der Applikationsprozessor ist nun unabhängig von der bereits darunter liegenden Infrastruktur. Er kann für sämtliche grafiklastigen sowie andere Nutzer-Anwendungen und das HMI ver-wendet werden. Über eine entsprechende Schnittstelle können Daten zwischen bei-den Ebenen ausgetauscht werden. Für diesen Prozessor gelten ähnliche Anforde-rungen wie für einen Smartphone- oder Tablet-Prozessor, einschließlich der Aus-tauschbarkeit bei kurzen Upgrade-Zyklen.

Das Modul bietet so eine auf den Kun-den abgestimmte Funktionalität ein-schließlich der Konnektivität, ➍. Die Innovationen in diesem Bereich sind deutlich schneller und häufiger. Deswe-gen ist der Wechsel in deutlich kürzeren Abständen als im Modellzyklus der Her-steller vorstellbar – ein sinnvoller Zeit-raum dürfte bei eineinhalb bis zwei Jah-ren liegen. Diese Systeme sind bereits in Produktion und zeigen die Flexibilität der Hersteller.

ODER DOCH ÜBER DAS SMARTPHONE?

Eine Alternative ist die Nutzung von bei-spielsweise Miracast oder Mirrorlink: Es werden nur die Darstellungs- und Bedien-möglichkeiten des fahrzeugeigenen Sys-tems genutzt, während die Applikationen

auf dem Smartphone des Fahrers oder der Passagiere laufen. Hierzu werden die Anzeige- oder Bedieneingaben über WiFi, USB oder Bluetooth zwischen beiden Sys-temen ausgetauscht. Speziell bei Rück sitz-Entertainment-Systemen ist das mit Vor-teilen verbunden, weil die Passagiere oftmals ihre eigenen Medien auf einem Tablet oder Smartphone mit in das Fahr-zeug bringen und lediglich den vorhande-nen Bildschirm nutzen wollen.

Das Pairing, also der autorisierte Zugang, kann durch die Nutzung von Nahfeldkommunikation stark verein-facht werden, sodass die Eingabe von Codes entfallen kann. Auch hierfür gibt es bereits integrierte Lösungen, die not-wendige Sicherheitsanforderungen erfül-len. Diese Lösung – der Monitor im Auto, eine für ein Auto-Umfeld optimierte Bedienschnittstelle und eine Schnittstelle zum Smartphone – dürfte vor allem im unteren und mittlerem Segment auf gro-ßes Interesse stoßen: Die Kosten liegen vergleichsweise niedrig, und es besteht auch die Möglichkeit, eine Alternative auf einem einzigen Prozessor zu schaf-fen. Der Nutzer bleibt auf jeden Fall auf der Höhe der verfügbaren Leistung im mobilen Bereich.

SICHERHEIT ALS WACHSENDES THEMA

Im Infotainmentbereich ist die Branche schon weit. Ein wenig langsamer haben sich die Vernetzungslösungen in anderen Feldern entwickelt. Auch hier steht zunächst die Frage, welche Systeme von einem vernetzten Auto profitieren. Neben weiträumigen Verkehrsflussinformationen können zusätzlich Nahfeldinformationen durch die eigene Infrastruktur – oder die

Applikations-prozessorJacinto6

Infrastruktur-prozessor

Jacinto5/6 eco

RadioAM/FM/DAB

Anzeige

MediaSD/USB/CD/DVD

Kamera

BTWLAN

Audio-verstärker

3G Modem

➋ Vereinfachte Darstellung der Prozessorkerne der Prozessoren der Jacinto-Familie

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anderer Verkehrsteilnehmer – ins Fahr-zeug übertragen werden. Es gibt wiede-rum selbst als „Relaisstation“ diese Daten weiter. So können deutlich schneller lokale Gefahrenmeldungen verbreitet werden als über alle anderen Wege.

Allerdings ist für diese Lösung eine andere Kommunikationsstrecke erforder-lich, die die speziellen Anforderungen erfüllen kann. Momentan kristallisiert sich der WLAN-basierte Standard 802.11p heraus, der über die normale

WLAN-Funktionalität hinaus gesicherte Bandbreiten zur Verfügung stellt – das ist besonders wichtig für sicherheitsrele-vante Themen.

Die Gefahrenmeldungen entstehen im Auto selbst, etwa über die Fahrzeugsen-sorik. Im einfachsten Fall über ABS- oder ESP-Daten, die die Geschwindigkeit erkennen und mit einer Aussage über die Fahrbahnbeschaffenheit koppeln. Durch immer mehr Kamera- und Radarsysteme im Fahrzeug wird zugleich eine höhere

Anzahl Daten über Hindernisse oder sonstige Umgebungseinflüsse wie Nebel oder Regen entstehen. Werden diese Daten in der Cloud den anderen Ver-kehrsteilnehmern zur Verfügung gestellt, erhöhen sie die Sicherheit für alle.

Apropos Sicherheit: Im Englischen wird anschaulich zwischen der beschriebenen Safety (funktionale Sicherheit) und der Security (Sicherheit im eigentlichen Sinne) unterschieden. Letzterer Aspekt ist sehr wichtig. Sämtliche Systeme müssen gegen Angriffe oder Manipulationen von außen und innen geschützt sein. Für die Prozessoren ist ein gesicherter Boot-Vor-gang nötig. Ebenso sollten bei Bedarf sichere und „unsichere“ Anwendungen wie beispielsweise aus dem Internet gela-dene Apps getrennt werden.

AUFGABEN DER ZUKUNFT

Die Anfänge sind in vielen Fällen gemacht. Um alle diese Dienste aber auch in der Breite ins Auto zu holen und ver-fügbar zu machen, müssen sich die System architektur und die Anordnung der Antennen und deren Elektronik ver-ändern. Auf Seiten der Fahrzeughersteller erfordert dies mindestens ein abteilungs-übergreifendes Arbeiten, wenn nicht sogar eine Umorganisation. Ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag: Hatten in der Ver-gangenheit die Antennen-Spezialisten lediglich über ein Koaxkabel ihre Signale einer Elektronikeinheit zur Verfügung gestellt, sollte nun wegen der vielen Emp-fangskanäle unmittelbar am Antennen-fuß eine Fusion mit einem eigenen Steuer-gerät erfolgen. WLAN- und BT-Dienste können dann auch direkt von dort ins Fahrzeug innere gebracht werden.

Schon heute, vor allem aber in mittel-fristiger Zukunft werden wegen der wachsenden Zahl von Elektroautos neue Echtzeitanforderungen an das vernetzte Auto gestellt. Funktionen wie das Erken-nen von Ladestationen, Parkplätzen und Fahrzeugen werden hinzukommen, die aus Sicht der Hardware mit den beste-henden Lösungen abgedeckt werden können. Hier liegen die Herausforderun-gen eher noch auf Seiten der Anbieter der Mobilitäts-Services und der Elektro-fahrzeuge selbst. Ein weiterer Trend der urbanen Mobilität wird das Car-Sharing sein, das einen zusätzlichen Aspekt auf-wirft: den sicheren Zugang zum Fahr-zeug. Manipulationen müssen auch hier sicher verhindert werden.

➌ Die Hardware Jacinto 6 bietet die Komponenten, um das Auto mit der Umwelt zu vernetzen

➍ Entscheidend für den Erfolg ist eine auf den Kunden abgestimmte Funktionalität der diversen Komponenten – einschließlich der Vernetzung (Bild © pigmentum | fotolia)

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