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52 WELTWEIT Afrika Die Heimat immer dabei Michael Obert lebt vom Reisen. Heute zumindest. Vor knapp 15 Jahren arbeitete er noch als Manager in Paris, verdiente absurd viel Geld und hatte beste Karriereaussichten. Bis er eines Tages kündigte und zu einer zweijährigen Reise durch Lateinamerika aufbrach. Danach begann sein zweites Leben als Journalist und Buchautor. Sein erstes Buch „Regenzauber“ beschreibt die siebenmonatige Reise auf dem Niger ins Innere Afrikas und brachte ihm den Globetrotter-Literaturpreis für besonders wertvolle Werke der Reiseliteratur ein. TOURS: Herr Obert, warum haben Sie Afrika als Thema für Ihr erstes Buch gewählt? Michael Obert: Nach Afrika brach ich auf, um den Niger zu bereisen. Von der Quelle bis zur Mündung. Ich habe mir damit einen Traum erfüllt, der bis in meine Kindheit zurückreicht. Die Idee, ein Buch über diese Passage zu schreiben, kam erst unterwegs. In- spiriert durch meine Begegnungen mit traditionellen Geschichtenerzählern und Heilern, mit Fetischzaube- rern, Leopardenmännern, Wasserfrauen. Auch die ganz einfachen Menschen in Afrika faszinieren mich, ihre Wärme und Gastfreundschaft, ihre Spiritualität, ihr Humor, ihr Umgang mit Zeit. Weite Teile Afrikas mö- gen materiell gesehen arm sein, menschlich verfügen sie über einen Reichtum, der in unserer Hyperkonsum- gesellschaft längst auf der Strecke geblieben ist. FOTO: MATTHIAS ZIEGLER Warum sind Sie meistens alleine unterwegs auf Ihren Reisen? Ich glaube, dass ich mich so viel intensiver mit dem auseinandersetze, was um mich herum passiert. Zwi- schen mir und den Menschen, denen ich begegne. Und die Art und Weise, wie diese Menschen mich wahr- nehmen, wenn ich alleine komme, ist auch eine andere. Wenn in einem Dorf in Afrika mehrere Fremde eintreffen, ist da sofort eine Distanz. Alleine rufen mir die Leute über die Straße zu: Wo schläfst du heute Nacht? Warum kommst du nicht zum Essen in unser Haus? Sie sind so viel unterwegs – wo ist Ihre Heimat, wo fühlen Sie sich zu Hause? Wenn ich meine Mutter in Breisach am Rhein besuche, stelle ich meine Tasche im Haus ab und gehe hinunter an den Rhein, an einen Ort, den ich als Junge sehr gemocht habe, wo ich oft zum Angeln saß. Dort tauche ich meine Hände ins Wasser. Lange Zeit ist das für

Die Heimat immer dabei

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Michael Obert lebt vom Reisen. Heute zumindest. Vor knapp 15 Jahren arbeitete er noch als Manager in Paris, verdiente absurd viel Geld und hatte beste Karriereaussichten. Bis er eines Tages kündigte und zu einer zweijährigen Reise durch Lateinamerika aufbrach. Danach begann sein zweites Leben als Journalist und Buchautor. Sein erstes Buch „Regenzauber“ beschreibt die siebenmonatige Reise auf dem Niger ins Innere Afrikas und brachte ihm den Globetrotter-Literaturpreis für besonders wertvolle Werke der Reiseliteratur ein.

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52 W e l t W e i t A f r i k a

Die Heimat immer dabei

Michael Obert lebt vom Reisen. Heute zumindest. Vor knapp 15 Jahren arbeitete er noch als Manager in Paris, verdiente absurd viel Geld und hatte beste Karriereaussichten. Bis er eines Tages kündigte und zu einer zweijährigen Reise durch Lateinamerika aufbrach. Danach begann sein zweites Leben als Journalist und Buchautor. Sein erstes Buch „Regenzauber“ beschreibt die siebenmonatige Reise auf dem Niger ins Innere Afrikas und brachte ihm den Globetrotter-Literaturpreis für besonders wertvolle Werke der Reiseliteratur ein.

tOURS: Herr Obert, warum haben Sie Afrika als thema für ihr erstes Buch gewählt?Michael Obert: Nach Afrika brach ich auf, um den Niger zu bereisen. Von der Quelle bis zur Mündung. Ich habe mir damit einen Traum erfüllt, der bis in meine Kindheit zurückreicht. Die Idee, ein Buch über diese Passage zu schreiben, kam erst unterwegs. In-spiriert durch meine Begegnungen mit traditionellen Geschichtenerzählern und Heilern, mit Fetischzaube-rern, Leopardenmännern, Wasserfrauen. Auch die ganz einfachen Menschen in Afrika faszinieren mich, ihre Wärme und Gastfreundschaft, ihre Spiritualität, ihr Humor, ihr Umgang mit Zeit. Weite Teile Afrikas mö-gen materiell gesehen arm sein, menschlich verfügen sie über einen Reichtum, der in unserer Hyperkonsum-gesellschaft längst auf der Strecke geblieben ist.

FOTO: MATTHIAS ZIeGLeR

Warum sind Sie meistens alleine unterwegs auf ihren Reisen?Ich glaube, dass ich mich so viel intensiver mit dem auseinandersetze, was um mich herum passiert. Zwi-schen mir und den Menschen, denen ich begegne. Und die Art und Weise, wie diese Menschen mich wahr-nehmen, wenn ich alleine komme, ist auch eine andere. Wenn in einem Dorf in Afrika mehrere Fremde eintreffen, ist da sofort eine Distanz. Alleine rufen mir die Leute über die Straße zu: Wo schläfst du heute Nacht? Warum kommst du nicht zum essen in unser Haus?

Sie sind so viel unterwegs – wo ist ihre Heimat, wo fühlen Sie sich zu Hause?Wenn ich meine Mutter in Breisach am Rhein besuche, stelle ich meine Tasche im Haus ab und gehe hinunter an den Rhein, an einen Ort, den ich als Junge sehr gemocht habe, wo ich oft zum Angeln saß. Dort tauche ich meine Hände ins Wasser. Lange Zeit ist das für

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mich am ehesten „Heimat“ gewesen: dieses Gefühl meiner Hände in meinem Fluss. Nach und nach hat sich das erweitert, und mitt-lerweile kann ich überall auf der Welt meine Hände in einen Fluss tauchen, um dieses Gefühl zu haben. Meine „Heimat“ hat sich von einem bestimmten Ort abgekoppelt. Ich fühle mich zu Hause, wo ich gerade bin.

Haben Sie nicht manchmal Angst? Oder suchen Sie auf ihren Reisen die Gefahr?Ich bin kein Adrenalinjunkie. Im Gegenteil, meine Familie und meine Freunde vertrau-en darauf, dass ich wieder zurückkomme. Dieses Vertrauen will ich nicht enttäuschen. Ich überlege mir vor der Reise genau, ob ich mir ein Ziel zutraue, ob es innerhalb meiner Grenzen liegt. Ich glaube, ich habe ziemlich klare Vorstellungen von diesen Grenzen.

Hatten Sie mal so richtig Angst?Angst ist ein überlebenswichtiger Instinkt. Ich habe ihr vielleicht mein Leben zu verdan-ken. In den Minenfeldern Afghanistans. Im umkämpften Südsudan. In den Diamantenminen von Sierra Leone. In Nigeria wurde ich von Flusspiraten überfallen. Sie hielten mir eine Waffe an die Schläfe und zählten langsam herunter.

Wie geht man damit um?Der Puls beginnt zu rasen. es rauscht in den Ohren. Und auf einmal wirst du ruhig, eigenartig ruhig. Du funktionierst intuitiv. Wenn alles vorbei ist, erbrichst du dich. Oder du schreibst dein Notizbuch mit den wirren Gedanken voll, die dir durch den Kopf gerast sind. Solche Momente bleiben. Sie aufzuschreiben, hat auch eine therapeutische Wirkung.

Die Widmung in ihrem neuen Buch „Chatwins Guru und ich“ lautet: „Für die Rastlosen unter euch, die Fliehenden und Suchenden.“ Sind Sie

selbst so ein Rastloser, Fliehender, Suchender? Was treibt Sie an?Grenzen. Die scheinbaren Grenzen zwi-schen meiner Kultur und anderen Kul-turen. Ich stelle mir diese Grenzen vor wie eine geschlossene Tür. Man macht sie auf und geht hinüber in einen anderen Raum. Später kommt man durch dieselbe Tür wieder zurück. Ich gehe so lange hin und her, wieder und wieder, bis sich diese Tür abnutzt und ihr Trennendes verliert. Am ende bleibt nur noch die Schwelle, eine Verbindung, ein Bereich des Übergangs, wo mir auf der anderen Seite nicht mehr

das Fremde oder sogar das Feindliche begegnet, kein Gegner, sondern ein Gegenüber. Wenn ich irgend-wann erkenne, dass im scheinbar Trennenden etwas Verbindendes aufscheint – das ist unterwegs eine der größten Belohnungen. Dafür reise ich.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Obert!

Michael Obert ...... wurde 1966 in Breisach am Rhein geboren. Sein erstes Buch „Regenzauber“ ist zuletzt bei National Geographic Taschenbuch erschienen (567 S., 15,95 €), darauf folgten „Die Ränder der Welt“ (Malik Verlag, 288 S., 19,90 €) und sein neuestes Werk „Chatwins Guru und ich“ (Malik Verlag, 288 S., 19,95 €). Weitere Informati-onen zu Büchern, Artikeln oder Lesungen unter www.obert.de oder www.facebook.com/obert.michael.

FOTO: DANIeL ROSeNTHAL

FOTO: MATTHIAS ZIeGLeR