7
Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung. Von Erich Sehlesinger (Berlin). (Aus der 1. medizinischen Klinik der Charit6 [Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. His].) Mit 1 Textfigur. (Eingegangen am 15. Mai 1914.} Nachdem Wilbrandt als erster das Symptom der hemianopisehen Pupillenstarre (Hemiakinesie) beschrieben hat, welches aber erst einige Jahre spKter dureh die Ver6ffentliehungen Wernickes allgemein be- kannt geworden ist, ist die Zahl der kasuistischen BeitrKge, in denen diese Erscheinung mehr oder minder einwandfrei gesehildert wird, zu einer sehr grol~en angewaehsen. Wenn nun ein nur sehr bescheidener Tefl der vorliegenden F/~lle wissenschaftlieher Kritik standhalten kann, so liegt dies weniger an der klaren Einsicht in die oft recht komplizierten gehirnanatomischen Verh~ltnisse, welche die Starre bedingen, a]s vielmehr an der Tatsache, dab uns bisher keine Methode zur Verfiigung stand, welche den der Reaktion zugrunde liegenden verwickelten physiologisehen Verhgltnissen in physikalisch exakter Weise gerecht werden k6nnte. Der Wert der hemianopischen Pupillarreaktion liegt auf differential- diagnostischem Gebiet. Nach den bisherigen Effahrungen scheint es festzustehen, dab ihr positiver Ausfall fiir den Sitz der L~sion innerhalb des Verlaufes des Tractus optieus einschlieBlich des Corpus geniculatum externum sprieht, wghrend eine Erkrankung der iibergeordneten opti- sehen Zentren, also der Sehstrahlung oder des corticalen Sehfeldes ttemianopsie ohne reflektorische Starre bei Beliehtung der blinden Netzhautpartien hervorruft. Ein zweites differentialdiagnostisches Moment, yon Defour an- gegeben, is$ yon wesentlich geringerem Wert: w~hrend dem cortical hemianopischen Patienten der partielle Gesiehtsfelddefekt nieht zum BewuBtsein kommt, ebensowenig wie der blinde Fleck, sieht der Traetus- hemianopiker die ausgefallenen Partien der Retina sehwarz, perzipiert also die vorhandenen Skotome mit dem BewuBtsein. Bei isolierter Erkrankung des/iuBeren Knieh6ckers wird der Defekt h/iufig gleiehfalls nicht gemerkt.

Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung.

Von Erich Sehlesinger (Berlin).

(Aus der 1. medizinischen Klinik der Charit6 [Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. His].)

Mit 1 Textfigur.

(Eingegangen am 15. Mai 1914.}

Nachdem W i l b r a n d t als erster das Symptom der hemianopisehen Pupillenstarre (Hemiakinesie) beschrieben hat, welches aber erst einige Jahre spKter dureh die Ver6ffentliehungen W e r n i c k e s allgemein be- kannt geworden ist, ist die Zahl der kasuistischen BeitrKge, in denen diese Erscheinung mehr oder minder einwandfrei gesehildert wird, zu einer sehr grol~en angewaehsen.

Wenn nun ein nur sehr bescheidener Tefl der vorliegenden F/~lle wissenschaftlieher Kritik standhalten kann, so liegt dies weniger an der klaren Einsicht in die oft recht komplizierten gehirnanatomischen Verh~ltnisse, welche die Starre bedingen, a]s vielmehr an der Tatsache, dab uns bisher keine Methode zur Verfiigung stand, welche den der Reaktion zugrunde liegenden verwickelten physiologisehen Verhgltnissen in physikalisch exakter Weise gerecht werden k6nnte.

Der Wert der hemianopischen Pupillarreaktion liegt auf differential- diagnostischem Gebiet. Nach den bisherigen Effahrungen scheint es festzustehen, dab ihr positiver Ausfall fiir den Sitz der L~sion innerhalb des Verlaufes des Tractus optieus einschlieBlich des Corpus geniculatum externum sprieht, wghrend eine Erkrankung der iibergeordneten opti- sehen Zentren, also der Sehstrahlung oder des corticalen Sehfeldes ttemianopsie ohne reflektorische Starre bei Beliehtung der blinden Netzhautpartien hervorruft.

Ein zweites differentialdiagnostisches Moment, yon D e f o u r an- gegeben, is$ yon wesentlich geringerem Wert: w~hrend dem cortical hemianopischen Patienten der partielle Gesiehtsfelddefekt nieht zum BewuBtsein kommt, ebensowenig wie der blinde Fleck, sieht der Traetus- hemianopiker die ausgefallenen Partien der Retina sehwarz, perzipiert also die vorhandenen Skotome mit dem BewuBtsein.

Bei isolierter Erkrankung des/iuBeren Knieh6ckers wird der Defekt h/iufig gleiehfalls nicht gemerkt.

Page 2: Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

E. Schlesinger: Die hemianopische Pupillenreaktion. 537

Ebenfalls von geringerer Bedeutung ist der sogenannte W i I b ra n d t- sche Prismenversuch, welcher die Untersuchung der reflektorischen Augeneinstellungsbewegungen in den hemianopischen Gesichtsfeldh~lften gestatten soil.

W i l b r a n d t ging yon der Annahme aus, dab nicht nur bewul~te, yon seiten des Cortex beherrschte Augenbewegungen, sondern auch unbewuBte, automatische auftreten kSnnen. Er glaubte dieses yon der Tatsache ableiten zu kSnnen, dab bei der Richtung des Blickes auf sich gleichmi~$ig fortbewegende Objekte keine ruckweise, verschiedenen Impulsen folgende, sondern gleichmMtige, yore BewuBtsein unabhis ~nderungen der Stellung des Bulbus erfolgen. Er glaubt nun demzu- folge auch tatsi~chlich nachgewiesen zu haben, dab trotz des Fehlens eines realen optischen Eindrucks bei cortical bedingten Hemianopikern Einstellungsbewegungen vor sich gehen, wenn man das Bild eines fest fixierten Gegenstandes durch ein geeignet gehaltenes Prisma auf die blinder Netzhauth~lften ablenkt. Dieses Symptom, das nebenbei eine gewisse Intelligenz des zu Untersuchenden voraussetzt, hat sieh ebenso wie das vorher beschriebene als inkonstant und deshalb in differential- diagnostischer Hinsicht wertlos erwiesen.

Viel wichtiger und scheinbar konstant ist ein fernercs Symptom, das yon Carl Bchr neuerdings in seinem Aufsatz ,,Die Bedeutung der PupillenstSrungen fiir die Herddiagnose der homonymen Hemianopsie und ihre Beziehung zur Theorie der Pupillenbewegungen" (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk 46, 1) bcschrieben worden ist.

Behr land, da$ bei dem Bestehen einer hemianopischen Pupillen- starre die Pupille der dem Gehirnherde gegentiberliegenden Seite etwas verbreitert ist. Gleichfalls bestehe eine geringe Erweiterung der Lid- spalten desselben Auges.

Bekannt ist das sehon yon Sachs angegebene Symptom, welches darin besteht, dab bei Belichtung der amaurotischen Netzhautteile Pupillenerweiterung auftritt. Ich habe dieses Symptom aueh bei Cortexhemianopikern gefunden. Ein differentialdiagnostischer Wert kommt ibm also nicht zu.

Meine Untersuchungen auf hemianopische Starre sind mit dem naeh meinen Angaben yon der Firma Carl Zei$ in Jena gebauten Peri- pupillometer ausgeffi_hrt.

Beztiglich der genauen Beschreibung des Apparates verweise ieh auf meinen Vortrag: ,,Uber den Schwellenwert der Pupillenreaktion und die Ausdehnung des pupillomotorischen Bezirkes der Retina" (Deutsche reed. Zeitschr., Nr. 19, 1913).

Grundbedingung ftir die Untersuchung ist die vorherige Feststellung des fovealen Sehwellenwertes der Pupillenreaktion. Reizt man nis periphere Netzhautpartien mit einer fibersehwellenwertigen Lichtintensi-

Page 3: Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

538 E. Schlesinger: Die hemianopische Pupillenreaktion~

t'~t, so kann man selbst bei ganz exzentrischer Einstellung, also bei geizung yon Bezirken, die sicher keine pupillomotorischen Elemente besitzen, durch foveales Zerstreuungslicht Verengerung der Pupillen crhalten und so zu Trugschlfissen gelangen.

An einer groBen geihe yon Untersuchungen habe ich ermitteln k6nnen, dab der Schwellenwert bei t)ersonen mittleren Lcbensalters ann~hernd identisch ist; er betr~gt ca. 0,7 Meterkerzen. Trotzdem muB in jedem Falle aufs neue darauf untersucht werden, da schon kleinc physiologische Varianten die Resultate wertlos machen k6nnen.

Wichtig ffir unseren Gegenstand ist auch (lie genaue Kenntnis der Ausdehnung des pupillomotorischen Netzhautbezirkes. W~hrend man frtiher annahm, dab die gesamte Netzhaut reflextfichtige Elemente aufwiese und dab die Reaktibilit~t vom Zentrum nach der Peripherie (nit dem Quadrate der Entfernung abnahm, wissen wir nach den Unter- suchungen yon H e s s , dab nut ein relativ kleiner zentraler Bezirk pupillomotorische Funktion besitzt. Der Wert, den H e s s angibt, ist freilich allzu klein. Er n immt einen reflextfichtigen Bezirk mit einem Halbmesser von h6chstens 3 m m an.

Mit meiner besseren Apparatur konnte ich feststellen, dab der Radius des ,,Reflexfeldes" mindestens 5 mm sein muB und bei jugend- lichen Individuen wahrscheinlich noch gr6Ber ist.

Fiir die Prfifung auf hemianopische Starre ergibt sich aus dieser Tatsache jedenfalls die Forderung, mit einer Methode zu arbeiten, die es erm6glicht, das Reizlicht mit Schwellenwertsintensiti~t unter m6glichster Konstanz des fovealen Zerstreuungsliehtes unter einem sehr kleinen Winkel einstellen zu lassen.

I m folgenden will ich zun~chst fiber einige kliniseh beobaehtete Fi~lle berichten, deren hemianopische Starre mit dem Pupillometer festgestellt wurde.

Fall 1. 32jahriger Kaufmann. Familienanamnese belanglos. Er ist mit Ausnahme der Kinderkrankheiten stets gesund gewesen. Vor 3 Jahren Infektion mit Lues. 4real mit je 12 Injektionen yon ttydrargyrum salieylicum, 1 real mit Schmierkur behandelt; nach letzterer Wassermann negativ. Sein jetziges Leiden begann vor 2 Monaten mit Kopfsehmerzen, Ubelkeiten und Schwindel- gefiihl. In den letzten Wochen Abnahme der Sehschi~rfe.

Befund: Innere Organe ohne Besonderheiten. Linke Pupille welter als rechte. Sehwellenwertmessung ergibt rechts Kontraktion bei 0,7 Meterkerzen, links bei 0,9 lgeterkerzen.

Bei geizung mit 1,0 Meterkerzen Intensitat kontrahiert sich die r. Pupille um 3 Teilstriche der Skala, die linke um 1 Teilstrieh. Die Kontraktionszeit an der rechten Pupille dauert langer als die der linken. Die geizung exzentriseher Netz hautpartien ergibt homonyme hemianopisehe Starre, links temporal, rechts nasal. Das Gebiet der Starre umfaBt nieht die ganzen Hemispharen, sondern einen Winkel yon ca. 75 ~ Es besteht sti~ndige Papillenunrahel).

1) Ich komme auf dieses Symptom in einer spi~teren 1)uplikation zuriick.

Page 4: Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

ihre physiolot~ische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutuno'. 539

Ophthalmoskopiseh: beiderseits Stauungspapille. L u m b ~ l p u n k t i o n : Druek 450 mm Hg. Nonne 1 und 2 positiv. Wasse r -

mannsehe Reaktion stark positiv. Diagnose: Gummagesehwulst im Vcrlauf des reehten Traetus opticus. Untcr 2 Injektionen von 0,3 Altsalvarsan intravenSs und innerlicher Dar-

reiehung von Jodnatrium gingen die Symptome langsam zuriiek. Fall 2. Uberwiesen von Herrn Prof. H. O p p e n h e i m (vgl. Uber klinisehe

Eigentiimliehkeiten kongenitaler Hirngesehwiilste. Neurol. Centralbl. 1913 I). 26j~hriger Landwirt, immer gesund gewesen, bis auf cine SehstSrung (Hemi-

anopsie silfistra), die anseheinend angeboren ist. Erkrankte vor 8 Jahren mit starken Kopfsehmerzen in der r. Kopfseite; Par~sthesien und rezidivierender Lahmung der ganzen linken KSrperhglfte mit Erbrechen und Pulsverlangsamung bis auf 54 Schl~ge.

Befund: Kraftiger Mann mit freiem Sensorium und guter Intelligenz. Linke Pupille etwas weiter als rechte, Reaktion prompt, Augenhintergrund normal. Es besteht eine komplette linksseitige ttemianopsie mit Aussparung der Fovea. Die Untersuehung mit dem Peripupillometer ergibt eine linksseitige hemianopisehe Starre (Ausfall der linken temporalen und der reehten nasalen Netzhaut). Ferner besteht linksseitige ttemiparese, Hemiataxie, Hemian/~sthesie, mimische L~hmung des linken Faeialis, Steifigkeit, Klonus, erhShte Sehnenphanomene sowie B a b i n s ki- sehes Zeiehen am linken Bein.

Diagnose: Gutartige angeborene Ncubildung des reehten Thalamus opticus uad seiner Umgebung; wahrscheinlieh handelt cs sich um ein Angioma cavernosum.

Fall 3. (t~berwiesen yon Dr. A. S tern , Prof. It. Oppenheimsehe Poli- klinik.) Georg Seh. 25 J., Sehmied.

6. IX. 1913. Seh/~delschuB der r. Sch/~delseite (Eintrittsstelle oberhalb des r. Hundwinkels, Sitz des Projektils hinten im Os parietale r. n~he Mittellinie). Parese und GefiihlsstSrung der ]. KSrperseite, sp~ter unwillktirliehe Bewegungen speziell in 1. Hand. Diplopie fiir 3--4 Woehen.

Befund (April 1914): 1. Pyramidensymptome derl. KSrperseite: Spasmen, Contraeturen, VII ]. <r . ,

Bauchreflex 1. < r. Rossolimo + , Oppenheim + , Patellarreflex 1. > r. 2. Hemianaesthesia sin. fiir Pinsel, Nadel, Temperatur, Vibration, Lagegefiihl.

Hemiataxia sin. 3. Hemiathetosis sin. Hand > Ful3. 4. Vasomotorische StSrungen leiehten Grades: Hyperhidrosis 1., 1. Hand kiihler

als r., Fehlen der GefaBreflexe reehts. 5. Hemianopsia homonyma sin. absoluta mit Aussparung der Haeulae. Kriterien der Traetushemianopsie: hemianopisehe Pupillenstarre, Atrophia n.

opt. beiderseits, tr~gere direkte Liehtreaktion der Pupille links, linke Pupille > r., speziell im Dunklen. Es besteht starke Pupillenunruhe.

(6. Reste einer reehtsseitigen III-Parese.) Diagnose: SehuBverletzung im Umkreis des Thalamus optieus mit L~sion

des Traetus optieus vor oder bei seinem Eintritt in den Thalamus.

Bei diesen 3 F/~llen war die Lokaldiagnose nur durch den einwand- freien Nachweis der hemianopischen Reakt ion m6glich. Das B e h r s c h e Zeichen (Erweiterung der Pupille auf der dem Hirnherde gegeniiber- liegenden Seite) war in jedem Falle positiv, es k o m m t ihm also wohl eine hervorragende pathognomonische Wichtigkeit zu. Wie schon B e h r angibt , ist diese Anisokorie abhgngig v o n d e r St~rke der Be- l ichtung: Die Differenz vergr6ftert sich bei abnehmender Intensit/i t .

Page 5: Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

540 E. Schlesinger: Die hemianopische Pupillenreaktion,

Auch bei direkter Einwirkung des Reizlichtes zeigt sich ein deutlicher Unterschied. W~hrend bei Fall 1 der Schwellenwert der engeren Pupille 0,7 Meterkerzen bel~rug, waren bei der weiteren 0,9 Meter- kerzen nStig, um eine eben wahrnehmbare Reaktion hervorzurufen. Ferner zeigte sich eine geringere Ausgiebigkeit der Reaktion sowie eine kiirzere Kontraktionsdauer der weiteren Pupille. Der Grund dieser Erscheinungen wird ohne weitercs verst~ndlich durch die Abbildung, welche den Befund der hemianopischen Starre bei Fall 1 wiedergibt. Sie zeigb, dab auf der temporalen Seite des dem Herde gegeniiberliegenden Auges der Ausfall der reflexempfindlichen Netzhautpartie ein wesent- lich grSBerer ist als auf der nasalen Seite des anderen Auges.

7"gO

180

p

N T

/8O Fig. 1.

Bei einem Falle von corticaler Hemianopsie ohne hemianopische Starre mit Ungleichheit der Pupillen, sowie bei einem anderen von angeborener Anisokorie ohne neurologischen Befund war auf beiden Augen sowohl der Schwellenwert als auch die Ausgiebigkeit und die Kontraktionsdauer des Pupillenreflexes identisch.

Die Differenz der Lidspalten, die Behr gleichfalls als pathognomo- nisch beschreibt, konnte ich in keinem meiner F~lle feststellen.

H~ufig wird das VerhaIten der vertikalen Trennungslinien der beiden Gesichtsh~lften fiir die Differentialdiagnose von corticaler und Tractushemianopsie herangezogen. W~hrend die Trennungslinie bei Tractushemianopikern direkt durch den Fixierpunkt gehen soll, be- steht bei corticalen tterden eine Aussparung in das hemianopische Gebiet hinein (Wilbrandsches iiberschiissiges Gesichtsfeld).

Ich kann diese Annahme auf Grund meiner Beobachtungen nicht best~tigen: Bei Fall 1 war eine deutliche Aussparung der Macula vorhanden, w~hrend bei dcm oben erw~hnten Falle von corticaler Hemianopsie die Trennungslinie direkt durch die Mitre ging.

Im folgenden mSchte ich noch fiber 2 F~ille von bitemporaler hemi- anopischer Starre bei Erkrankungen der Hypophyse berichten:

Page 6: Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung. 541

Fall 4. Madehen 153/4 Jahre alt. Famillenanamnese ohne Besonderheit. Mit Ausnahme der Kinderkrankheiten stets gestmd gewesen. Vet ca. 2 Monaten Abnahme der Sehkraft, besonders auI dem reehten Auge; schon friiber bestand Polyurie, die in der letzten Zeit wesentlieh starker geworden ist. Jetzt betr~gt das tagliche Urinqnantum 6--7 1. Zeitweilig klagt Pat. fiber Kopfsehmerzen. Bisher nieht menstruiert.

-Befund: MittelgroBes, kr~i/tig gebautes M~dehen. Starkes Fettpolster am Abdomen. Brfiste mmntwickelt. Keine Beha~rung der Sehamgegend, sehr spar- liche der AehselhShlen.

Visus links normal, reehts Fingerzahlen in 5 m Distanz. Lidspalten und Pupillen gleieh weir.

Schwellenwert der Pupillenreaktion reehts bei 1,1, links bei 0,8 Meterkerzen. Bitemporale hemianopisehe Starre, bei Einwirkung der jeweiligen Schwellenwerts- intensit~t.

Augenhintergrund: links normal, reehts temporale Abblassung, Grenzen ver- wasehen.

W a s s e r m a n n s e h e Reaktion im Blute negativ. Im RSntgenbild zeigt sieh Erweiterung der Sella turcica und Auffaserung des Clivus Blumenbaehii.

Urin: kein Zucker, kein EiweiB. Spez. Gew. 1006. NIikroskopiseh keine Formelementel). I Diagnose: Tumor der Hypophyse. - ~" Die mit Rfieksieht auf die Gef~hrdung des SehvermSgens vorgesehlagene Operation wurde verweigert.

Bald begann eine Versehlechterung des Sehens aueh auf dem lint~en Ange. Naeh Verlauf yon 2 Monaten vSllige Erblindung. Ophthalmoskopisch: beide Optiei total grauweiB. Pupillenreaktion beiderseits erloschen. Rechte PupiUe weiter als linke.

Fall 5. 25jahriger Maurer. Vater an Paralysis progressiva gestorben. Mutter und 2 Gesebwister lebeu. Ist mit Ausnahme der Kinderkrankheiten stets gesund gewesen. Bemerkt seit einem Jahre Zunahme des Wachstums der linken Hand. Seit 1/2 Jab_re masseuhaftes Ausgehen der Kopfhaare, soMMe der Wimperu und der Augenbrauen. Potenz sehr gering; Infektion wird negiert.

B e f u n d : Kr~t ig gebauter Mann; Ern~hrungszustand gut. Sehr starkes Fettpolster besonders an den Hfiften und am Bauche. Kopfhaare, Wimpern und Brauen sehr sp~rlich; Behaarung der AchselhShlen sowie des Mons veneris fehlt vollkommen. Penis und Testikel klein. Innere Organe ohne krankhaften Be- fund. Vergr6Berung aller Kuoehen der llnlren Hand.

Linke Hand Reehte Hand Daumen . . . . . . . 8 cm 7 cm Mittelfinger . . . . . 10 ,, 9 ,, Breite der Handwurze] 12 ,, 10 ,,

Urin: Tagesmenge normal. Spez. Gew. 1014. Keine Formelemente. Albumen - - . Saccharum 0. Visus normal. Pupillen und Lidspalten beiderseits gleich. SchweUenwert der PupiUenreaktion auf beiden Seiten etwas gesteigert (0,8 Meter- kerzeu).

Bitemporale hemiauopische Starre, die abet nur bei Einwirkung des Reiz- liehtes in der horizontslen Mittellinle ausgesprochen ist. LaBt man das Reizlicht nur um ein geringes nach oben und unten yon der Horizontalen wandern, so er- folgt MMeder deutliohe Verengerung.

1) Naeh Verabreiehung yon 100 g Traubenzueker wird ca. 3 Stunden sp~ter schwaeh zuekerhaltiger Urin ausgesehieden.

Page 7: Die hemianopische Pupillenreaktion, ihre physiologische Grundlage und ihre lokaldiagnostische Bedeutung

542 E. Schlesinger: Die hemianopische Pupillenrcaktion.

Die RSntgenaufnahme der Sch~delbasis zeigt eine Verbreiterung der Sella turcica.

Z u s a m m e n f a s s u n g : 1. Der Untersuchung auf hemianopische Pupillenstarre hat die Feststellung des Schwellenwertes sowie die Messung des reflexempfindlichen Bereiches der Retina vorauszugehen.

2. Der Schwellenwert bei Tractushemianopikern ist erhSht; diese ErhShung ist haupts~chlich auf dem der Hirnlokalisation gegenfiber- liegenden Auge ausgesprochen.

3. Dem Behrschen Zeichen, Erweiterung der Pupille des dem Herde gegentiberliegenden Auges gebiihrt fiir die Diagnose der Tractus- hemianopsie ein pathognomonischer Wert.

4. Der hemianopische Ausfall ist auf der dem Herde gegenfiberliegen den Seite grSl~er als auf der gleichseitigen.

5. Bei den dutch ttypophysenerkrankungen hervorgerufenen bitem- poralen Hemiakinesien besteht eine Pupillendifferenz nicht.