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Die Herausforderung komplexer Simulationsprozesse –
Ein methodischer Ansatz mit dem generalisierten
Contact and Channel Model
Albert Albers, Hans-Georg Enkler, Jens Ottnad
IPEK – Institut für Produktentwicklung
Universität Karlsruhe (TH)
Kaiserstraße 10, 76131 Karlsruhe
Tel. +49 (721) 608 2371, Fax +49 (721) 608 6051
{albers; enkler; ottnad}@ipek.uka.de
Zusammenfassung
Die Anwendung von Simulationswerkzeugen ist heutzutage im Umfeld der Pro-
duktentwicklung gängige Praxis. Die Leistungsfähigkeit und die Komplexität mo-
derner Simulationswerkzeuge und -methoden wurden dabei in den vergangenen
Jahren deutlich gesteigert. Gleichzeitig wächst die Herausforderung, einen geeig-
neten Simulationsprozess für das betrachtete Produkt oder System bzw. den jewei-
ligen Teilaspekt auszuwählen. Da aber genau diese Auswahl ein Schlüsselfaktor
für den erfolgreichen Einsatz solcher Simulationsmethoden darstellt, wird in die-
ser Arbeit das bestehende Contact and Channel Model (C&CM) erweitert hin zu
einem generalisierten Ansatz. Der hier neu eingeführte generalisierte Ansatz er-
laubt zusätzlich die Beschreibung von Prozessen und deren Schnittstellen, insbe-
sondere im Umfeld der Simulation. In vielen Fällen, insbesondere in der Mechat-
ronik, kann mit nur einem einzelnen spezialisierten Simulationswerkzeug ein
physikalischer Effekt nicht ausreichend abgebildet bzw. untersucht werden. Die
Kombination oder Integration unterschiedlicher Werkzeuge ist daher ein häufig
gewählter Lösungsansatz. Die Folge sind Schnittstellen, die nicht selten mit Wirk-
flächen im realen System zusammenfallen, da einzelne Softwaretools gezielt ein-
gesetzt werden, um beispielsweise das Verhalten einer bestimmten Leitstützstruk-
tur zu untersuchen. Aufbauend auf einer C&CM-Beschreibung des betrachteten
Systems und einer entsprechenden Definition des Zielsystems der Simulation wird
so die Auswahl eines geeigneten Simulationsprozesses unterstützt.
Schlüsselwörter
Konstruktion; Simulation; Mechatronik; Contact and Channel Model; Prozess
Seite 178 Albers, Enkler, Ottnad
1 Einleitung
In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich der Wettbewerb in vielen Märkten
deutlich verschärft. Effekte der Globalisierung und damit die weltweit wachsende
Konkurrenz haben zu einer dramatischen Verkürzung vieler Produktlebenszyklen
geführt. Seit 1991 hat sich beispielsweise die durchschnittliche Produktlebenszeit
im Maschinenbau von 30 auf zwölf Monate verkürzt [Fra00]. Im Bereich
mechatronischer und elektronischer Produkte sind diese Entwicklungen sogar
noch deutlicher ausgeprägt. So sind etwa Geräte im Mobilfunk häufig nur wenige
Monate am Markt. Diese Situation zwingt die Unternehmen, die Dauer für die
Entwicklung ihrer Produkte signifikant zu verkürzen und dabei zusätzlich Kosten
in der Produktentwicklung einzusparen – bei gleichzeitiger Gewährleistung der
Qualität. Bei der Umsetzung dieser Ziele stehen die Unternehmen im Spannungs-
feld aus Reduktion von Entwicklungszeiten, Entwicklungskosten und der Anfor-
derung, qualitativ hochwertige Produkte anzubieten.
Ein wichtiger Ansatz um in diesem Spannungsfeld erfolgreich zu sein, ist der Ein-
satz von Simulationswerkzeugen in der Produktentwicklung. Ziel ist hierbei, be-
reits in frühen Phasen der Entwicklung Informationen und Erkenntnisse über das
Produkt zu sammeln, um so teure und zeitintensive Fehler in späteren Phasen zu
vermeiden beziehungsweise die Anzahl an Entwicklungs-Iterationen an Produkt-
komponenten zu reduzieren.
Ein weiterer Schlüsselfaktor sind Methoden, die den Ingenieur in seiner Entwick-
lungs- und Konstruktionstätigkeit unterstützen. Der Übergang von einer funktio-
nalen Beschreibung eines Systemverhaltens hin zur Gestaltung der Komponenten
stellt eine enorme Herausforderung dar. Das Contact and Channel Model
(C&CM), welches 2002 von Albers und Matthiesen eingeführt wurde, unterstützt
genau diesen Prozess [Mat02]. Von zentraler Bedeutung sind die Basiselemente
Wirkflächenpaare und Leitstützstrukturen.
In dieser Arbeit wird das C&CM hin zu einem generalisierten Ansatz erweitert.
Dieser erlaubt nun auch die Beschreibung von Prozessen, indem sowohl geomet-
rische Wirkflächenpaare als auch Schnittstellen in der Simulation bzw. zwischen
einzelnen Werkzeugen betrachtet werden.
2 Das Contact and Channel Model (C&CM)
Das Contact und Channel Model bietet eine Möglichkeit, Funktionen eines tech-
nischen Systems zu beschreiben und besonders deren Zusammenhang mit der Ge-
stalt darzustellen. Die Beschreibung greift dabei auf Basiselemente zurück, aus
denen Systeme aufgebaut sind: Wirkflächen, Wirkflächenpaare und Leitstütz-
strukturen. Sie sind wie folgt definiert [Mat02]:
Das generalisierte Contact and Channel Model Seite 179
„Wirkflächen (WFs) sind feste Oberflächen von Körpern oder generali-
sierte Grenzflächen von Flüssigkeiten, Gasen oder Feldern, die dauernd
oder zeitweise im Kontakt zu einer weiteren Wirkfläche stehen und am
Energie-, Stoff- und Informationsaustausch des technischen Systems betei-
ligt sind.“
„Wirkflächenpaare (WFPs) werden aus genau zwei Wirkflächen gebil-
det, die zeitweise, ganz oder teilweise, in Kontakt stehen und zwischen
denen Energie, Stoff und Information übertragen wird.“ „Der Funktions-
kontakt ist der Teil des Wirkflächenpaars, in dem aktuell die Wechselwir-
kung stattfindet.“
„Leitstützstrukturen (LSSs) sind Volumina von Körpern, Flüssigkeiten,
Gasen oder felddurchsetzte Räume, die genau zwei Wirkflächenpaare ver-
binden und dauernd oder zeitweise eine Leitung von Energie, Stoff oder
Information zwischen den Wirkflächen eines Körpers, einer Flüssigkeit,
eines Gases oder eines Feldes ermöglichen.“
Jedes technische System lässt sich aus diesen Elementen aufbauen (Bild 1). Das
kleinste denkbare System, das noch eine (Teil-)Funktion erfüllen kann, besteht
aus zwei Wirkflächenpaaren und einer sie verbindenden Leitstützstruktur.
WFP 3
WFP 4WFP 1
WFP 2
LSS Tinte
LSS Papier
LSS TintePapier
LSS Schreiben
LSS Hand
LSS KugelWFP 5
Bild 1: C&CM-Analyse des Prozesses „Schreiben mit Kugelschreiber“
Ursprünglich wurde das C&CM [AM02], [Mat02] im Umfeld der Konstruktions-
methodik zur funktionalen Beschreibung von Systemen entwickelt. Das C&CM
basiert auf Betrachtungen renommierter Forscher auf dem Gebiet der Konstrukti-
onsmethodik wie Releaux [RM54], Rodenacker [Rod91], Roth [Rot94], Koller
[Kol98] und Hubka [Hub84]. Es wurde um die Zusammenhänge der Basiselemen-
te Wirkflächenpaare und Leitstützstrukturen ergänzt. Im Kontext der Antrieb-
Seite 180 Albers, Enkler, Ottnad
strangentwicklung bzw. deren Validierung wurde das C&CM um eine physikali-
sche Beschreibung hin zur Mechatronik erweitert [Sch06].
3 Simulationsprozesse innerhalb des Produktentste-
hungsprozesses
Auf vielen Gebieten der Produktentwicklung gehört der Einsatz von Simulations-
werkzeugen heute zum Stand der Technik. Bei der Betrachtung mechanischer
Bauteile sind verschiedenste Finite Elemente Analysen (FEA) weit verbreitet. Bei
der Simulation von Mehrkörpersystemen (MKS) steht das Verhalten des gesamten
Systems im Vordergrund. Neben dem Einsatz von starren Körpern hat die Integra-
tion von flexiblen Körpern in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, insbe-
sondere auf Basis der Methode der Component Mode Synthesis (CMS) [CB68].
Zur Integration von Aspekten der Regelungstechnik wurde die sogenannte Co-
Simulation etabliert. Zur Verbesserung der Eigenschaften von Produkten werden
verschiedenste Optimierungswerkzeuge eingesetzt. Die Topologieoptimierung
[BS03] ist dabei ein Beispiel für eine Methode in der Strukturoptimierung von
mechanischen Bauteilen. Mit diesen spezialisieren Algorithmen können komplexe
Bauteile aus realen Anwendungen mit einer großen Zahl an Freiheitsgraden para-
meterfrei optimiert werden [Fri06].
Heute existieren viele Simulationswerkzeuge, deren theoretische Hintergründe
weit erforscht sind und in unterschiedlichen Feldern der industriellen Anwendung
etabliert sind. Nicht zuletzt durch die gestiegene Rechenleistung rückte die Be-
trachtung ganzer System mehr und mehr in den Vordergrund, speziell die Berück-
sichtigung der Wechselwirkungen in komplexen Systemen. Hierzu ist die Be-
schreibung mit Hilfe nur einer spezialisierten Methode nicht mehr ausreichend,
sodass neue Softwareprodukte und Forschungsarbeiten in Richtung einer Integra-
tion verschiedener Analysedomänen zielen [CBC+07]. Für einen effizienten Ein-
satz dieser Methoden innerhalb der unterschiedlichen Phasen des Produktentste-
hungsprozesses ist die Auswahl geeigneter Simulationsprozesse von
außerordentlicher Bedeutung. Diese Entscheidung hängt maßgeblich vom betrach-
teten technischen System bzw. Produkt sowie dem zu analysierenden physikali-
schen Effekt ab. Die Anforderungen an Simulationsmodelle ändern sich während
des Entwicklungsprozesses stets: Details, die in frühen Phasen bewusst nicht be-
rücksichtigt wurden, können später Hauptziel der Untersuchung sein. So kann bei-
spielsweise zunächst die Annahme eines einfachen Reibwertes ausreichen, wäh-
rend später die gezielte Untersuchung von Mischreibungseffekten durch das
Zusammenwirken verschiedener Analysedomänen notwendig wird [Now08].
Das generalisierte Contact and Channel Model Seite 181
4 Das generalisierte Contact and Channel Model
4.1 Motivation
Im vorangegangenen Abschnitt wurde aufgezeigt, dass es erforderlich ist, ver-
schiedene Simulationsmethoden und damit -werkzeuge je nach Fragestellung mit-
einander zu koppeln oder zu kombinieren. Besonders die Analyse domänenüber-
greifender Effekte führt zu komplexen Simulationsprozessen.
Im ersten Schritt muss ein entsprechendes Zielsystem für die Simulation festge-
legt werden, d. h. die physikalischen Effekte und benötigte Ergebnisse müssen de-
finiert werden. Im zweiten Schritt müssen unter Berücksichtigung des Zielsystems
bzw. Produkts geeignete Simulationsmethoden und -prozesse ausgewählt werden.
Dieser Auswahlprozess basiert in der Praxis auf zuvor gemachten Erfahrungen
und der Intuition der involvierten Personen. Während die Simulationsmethoden
als solche schon sehr weit erforscht sind, gibt es dagegen für den Auswahlprozess
noch einen großen Bedarf an methodischer Unterstützung. Darüber hinaus ist die
Tatsache, dass in den meisten Fällen mehrere Personen in den Prozess involviert
sind, nicht zu vernachlässigen. Daher bietet eine verbindende Sprache die Chance,
den Produktentwicklungsprozess an dieser Stelle zu verbessern (Bild 2).
C&CM-Beschreibung des Systems
Zielsystem
Zielsystem der
Simulation
Handlungssystem
Handlungs-
system der
Simulation
Objektsystem
Wert
Spannung = 250 MPaMuster 1
Leitstützstruktur (LSS): Wirkflächenpaar (WFP):
Bild 2: C&CM als verbindende Sprache zwischen dem Zielsystem der Simulation
und den verfügbaren Simulationsprozessmustern
Seite 182 Albers, Enkler, Ottnad
4.2 Ansatz
Das C&CM stellt die grundlegenden Prinzipien zur Analyse und Beschreibung
technischer Systeme bereit. Der generalisierte Ansatz liefert einen Beitrag zur
Auswahl eines Simulationsprozesses.
Nach Matthiesen sind WFPs Grundvoraussetzung für jegliche Funktion in einem
technischen System oder Produkt [Mat02]. Auch bei der Erstellung eines Simula-
tionsmodells ist im Grunde dieser gedankliche Vorgang stets zu durchlaufen, z. B.
um die Randbedingungen für ein FE Modell richtig zu implementieren. Im All-
gemeinen stellt sich die Frage, welche Funktion innerhalb eines bestimmten Soft-
waretools abgebildet werden kann oder ob mehrere Werkzeuge erforderlich sind.
Im zweiten Fall ergeben sich innerhalb des Simulationsprozesses Schnittstellen,
über die ein Datenaustausch der einzelnen Werkzeuge erfolgen muss. Diese Da-
ten, z. B. mechanische Lasten, beschreiben die Wechselwirkungen in den WFPs.
Damit kann ein generalisiertes Wirkflächenpaar eingeführt werden, das es ermög-
licht, sowohl den Simulationsprozess als auch das geometrische und physikalische
Modell zu beschreiben. Hierzu wird das bestehende Elementmodell durch eine
abstraktere Definition von WFP und LSS erweitert (Bild 3). Generalisierte WFPs
beschreiben damit nicht nur physikalische und funktionale Zusammenhänge, son-
dern auch Schnittstellen zwischen Softwarewerkzeugen. Die Leitstützstrukturen
werden durch die Werkzeuge als solche ergänzt.
physikalische Beschreibung
WFP: Konnektoren
LSS: Gleichungen
funktionale Beschreibung
WFP: beliebige Oberflächen-
paare
LSS: beliebige Verbindung
zweier WF
Simulationsprozessbeschreibung
WFP: Softwareschnittstellen
LSS: Softwaretools
Bild 3: Schema des generalisierten Contact and Channel Models (C&CM)
Nach der Analyse des Systems mit Hilfe des C&CM bilden die WFPs den Aus-
gangspunkt zur Verknüpfung von Funktion und Prozess. Das Zielsystem der Si-
mulation wird also auf Basis der Elemente WFP und LSS definiert. Dabei wird
die gleiche Sprache verwendet, egal ob es sich um das System als solches oder
den gewünschten Simulationsprozess handelt. Falls die Verformung einer LSS in-
nerhalb einer MKS-Simulation untersucht werden soll, muss demnach der Starr-
Das generalisierte Contact and Channel Model Seite 183
körper durch einen flexiblen ersetzt werden. Diese scheinbar kleine Änderung hat
für den zugrunde liegenden Simulationsprozess allerdings große Auswirkungen
[CB68]. Weitere Aspekte können Temperaturgradienten, Dynamik, Reibung,
Fluid-Struktur-Interaktionen, Regelung, Werkstoffanisotropie wie Kornstrukturen
etc. sein. Darüber hinaus unterstützt das generalisierte C&CM die Modellierung
aus unterschiedlichen Sichtweisen. Aus Sicht der Regelungstechnik kann z. B. das
Mehrkörpersystem als Eingangs-/Ausgangsmodell angesehen werden, während
der Schwerpunkt auf dem Entwurf der Regelung liegt. Beim klassischen Kon-
strukteur verhält es sich dagegen genau umgekehrt, da für ihn die Details der Re-
gelung nicht im Vordergrund stehen.
Das generalisierte C&CM unterstützt also die Erstellung eines bedarfsgerechten
Simulationsprozesses. Diese setzen sich dann aus unterschiedlichen Softwaremo-
dulen und der sie verbindenden Sprache zusammen.
5 Anwendungsbeispiele
5.1 Topologieoptimierung in geregelten, dynamischen Systemen
Die klassische Topologieoptimierung ist ein iterative Prozess, in dem schrittweise
auf Basis einer FE Analyse Material aus einem gegebenen Bauraum entfernt wird,
um beispielsweise eine möglichst steife, aber gleichzeitig leichte Struktur zu er-
halten. Die Tatsache, dass in dynamischen, geregelten Systemen sich die relevan-
ten Lasten durch die vorgenommenen Modifikationen auch ändern, wird vernach-
lässigt. Die tatsächlich auftretende Belastung eines dynamisch belasteten Bauteils
hängt u.a. von seiner Gestalt ab. Diese ist aber zu Beginn der Optimierung unbe-
kannt, denn genau dies ist ja das Ziel der Optimierung, so dass derzeit z.B. Vor-
gängermodelle für die Generierung der Lastfälle verwendet werden. Eine Berück-
sichtigung der Interaktion zwischen Bauteil, System und Regelung kann also nicht
stattfinden. Um aber diese Wechselwirkungen zu berücksichtigen, wurde der be-
stehende Prozess erweitert. Mittels einer Simulation des kompletten
mechatronischen Systems in jeder Iteration, können nun in jedem Schritt der
Strukturoptimierung die relevanten, auf dem Systemverhalten basierenden Last-
fälle genutzt werden [AOH+08]. Bild 4 stellt die C&CM Beschreibung eines stark
vereinfachten Modells des Armes des Humanoiden Roboters ARMAR III dar
[ABO+06].
Seite 184 Albers, Enkler, Ottnad
PID Regler
Bild 4: C&C Modell eines stark vereinfachten (1 DoF) Roboterarmes
In diesem Fall ist es Ziel der Simulation, eine Topologieoptimierung der Trag-
struktur des Armes durchzuführen. Wie oben beschrieben ist hierfür eine FE-
Repräsentation notwendig. Von großer Bedeutung sind zusätzlich die Abbildung
der Dynamik sowie der Aspekte der Regelung. Für den Aufbau des Simulations-
prozesses sind genau die in Bild 4 dargestellten WFPs entscheidend. Die Umset-
zung erfolgt mittels einer Co-Simulation zwischen dem Modell der Regelung und
einem flexiblen MKS zur Abbildung der Regelstrecke.
5.2 Mikrobauteile und -systeme mit Kornstruktur
Bei Mikrobauteilen kann das Material ab Unterschreiten einer gewissen Bauteil-
größe nicht mehr als isotrop angenommen werden. Falls bei der Auslegung sol-
cher Bauteile Spannungsverteilungen ermittelt werden müssen, können Korn-
struktur und Kornanisotropie sowie die Porosität somit in der Simulation nicht
mehr vernachlässigt werden. Wie in Bild 5 angedeutet, ergeben sich innerhalb der
im Makrobereich als homogen angenommenen LSS auf Mikroebene neue Wirk-
flächenpaare und Leitstützstrukturen.
Makro-
bauteil
Mikro-
bauteil
Bild 5: Vergleich von Bauteil- und Korngröße bei Makro- und Mikrobauteilen
Diesen Sachverhalt gilt es auch in der Simulation zu berücksichtigen. Hierzu wur-
de eine Erweiterung des konventionellen FEM-Prozesses vorgenommen [AEL08].
Prozessseitig werden die neuen WFPs und LSSs durch zusätzliche Module zur
Abbildung des Kornwachstums und der Kornorientierung ergänzt. Damit werden
also auch im Simulationsprozess neue WFPs und LSSs eingeführt [AE07]. Wird
in das Zielsystem der Simulation die Betrachtung des Bauteils innerhalb des Sys-
tems mit einbezogen – beispielsweise zur zusätzlichen Berücksichtigung geomet-
rischer Formabweichungen auf das System –, so ergeben sich wiederum neue
WFPs und LSSs. Die Abbildung eines Zahnrades in einem Mikroplanetengetriebe
macht durch die neuen WFPs und LSSs im System auch im Simulationsprozess
Das generalisierte Contact and Channel Model Seite 185
Veränderungen erforderlich [AEL08]. Die neuen Schnittstellen sowohl im realen
Produkt als auch im Simulationsprozess können wiederum durch das generalisier-
te C&CM beschrieben werden.
6 Zusammenfassung und Ausblick
Die gesteigerte Leistungsfähigkeit und Komplexität moderner Simulationsmetho-
den hat dazu geführt, dass die Auswahl der jeweils geeigneten Prozesse immer
schwieriger geworden ist. In diesem Beitrag wurde das C&CM zu einem generali-
sierten Ansatz erweitert und stellt damit eine verbindende Sprache zwischen Sys-
tem und Simulationsprozess dar. Das generalisierte WFP erlaubt nun sowohl die
Beschreibung von funktionalen und physikalischen Zusammenhängen als auch die
Schnittstellen im Simulationsprozess. Die LSS entspricht dem Simulationswerk-
zeug als solches. Damit ist eine durchgängige Beschreibung vom Produkt bis hin
zum Zielsystems der Simulation gegeben, was die Auswahl eines geeigneten Si-
mulationsprozesses unterstützt. Voraussetzung für die Anwendung dieses genera-
lisierten C&CM Ansatzes ist, dass die entsprechenden Prozesse bereits etabliert
und klassifiziert sind. Eine eindeutige, womöglich automatisierbare Zuweisung ist
nicht gegeben, allerdings auch nicht angestrebt.
Zukünftig könnte diese Vorgehensweise auch auf Hardware in the Loop (HiL)
Prozesse ausgedehnt werden. Teile der Simulation werden dabei schrittweise
durch reale Prototypen bzw. Prüflinge ersetzt. Dies unterstreicht auch die Flexibi-
lität des Ansatzes im Hinblick auf die sich ändernden Fragestellungen und Rand-
bedingungen im Laufe des Entwicklungsprozesses.
Das generalisierte C&CM leistet damit einen Beitrag zur Verbesserung und Be-
schleunigung des virtuellen Produktentstehungsprozesses durch die Bereitstellung
einer verbindenden Sprache zwischen Konstruktion und Simulation.
Danksagung
Die Arbeiten werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im
Rahmen der Sonderforschungsbereiche SFB 499 „Entwicklung, Produktion und
Qualitätssicherung urgeformter Mikrobauteile aus metallischen und keramischen
Werkstoffen“ und SFB 588 „Humanoide Roboter – Lernende und kooperierende
multimodale Roboter“ gefördert.
Seite 186 Albers, Enkler, Ottnad
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strangentwicklung. Forschungsberichte IPEK, Band 22, Herausgeber: A. Al-
bers, Karlsruhe, 2006, ISSN 1615-8113
Autoren
o. Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Albert Albers, Jahrgang 1957, ist seit 1996 Ordinarius
und Leiter des Institutes für Produktentwicklung der Universität Karlsruhe (TH).
Er promovierte 1987 am Institut für Maschinenelemente, Konstruktionstechnik
und Sicherheitstechnik der Universität Hannover bei Prof. Paland.
In seiner Industrietätigkeit bei einem namhaften deutschen Unternehmen der Au-
tomobilzulieferindustrie war Dr. Albers zunächst verantwortlich für die Abteilun-
gen Simulation, Versuch und Prototypenbau für Kupplungssysteme und Torsions-
schwingungsdämpfer. Als Entwicklungsleiter Kupplungssysteme und stellvertre-
tendes Mitglied der Geschäftsleitung hat er dann die gesamte Produktentwicklung
einschließlich der Entwicklungsprozesse mit rund 200 Mitarbeitern geleitet.
Prof. Albers ist im KIT (Karlsruher Institut für Technologie) Sprecher des SFB
483 – Sonderforschungsbereich Keramik sowie Projektleiter und Mitglied des
Kollegiums in den Sonderforschungsbereichen SFB 588 – Lernende und koope-
rierende Humanoide Roboter und SFB 499 – Entwicklung, Produktion und Quali-
tätssicherung urgeformter Mikrobauteile aus metallischen und keramischen Werk-
stoffen.
Über die Universitätsgrenzen hinaus engagiert er sich u.a. als Mitglied des Fach-
beirates Konstruktion im EKV des VDI, als Mitglied im Vorstand der wissen-
schaftlichen Gesellschaft für Maschinenelemente und Konstruktionsforschung
(WGMK) sowie als Mitglied des Berliner Kreises - wissenschaftliches Forum für
Produktentwicklung e.V. Im Januar 2005 wurde er zum 1. Vizepräsidenten des
Allgemeinen Fakultätentages AFT gewählt. Als Wissenschaftlicher Beirat der
Freudenberg New Technology KG setzt sich Professor Albers für die Umsetzung
aktueller Forschungsergebnisse in die industrielle Praxis ein.
Dipl.-Ing. Hans-Georg Enkler, Jahrgang 1980, begann im Jahre 2000 mit dem
Studium des Maschinenbaus an der Universität Karlsruhe (TH) mit der Vertie-
fungsrichtung „Fahrzeugtechnik“. Er ist seit 2006 Mitarbeiter am Institut für Pro-
duktentwicklung der Universität Karlsruhe (TH). Seit 2008 ist er Leiter der For-
schungsgruppe CAE/Optimierung. Als akademischer Mitarbeiter ist er Mitglied
im Sonderforschungsbereich SFB 499 – Entwicklung, Produktion und Qualitätssi-
cherung urgeformter Mikrobauteile aus metallischen und keramischen Werkstof-
Seite 188 Albers, Enkler, Ottnad
fen. Sein Forschungsgebiet sind neue Methoden zur Modellierung, Simulation
und Strukturoptimierung mikromechanischer Bauteile und Systeme.
Dipl.-Ing. Jens Ottnad, Jahrgang 1978, ist seit 2004 Mitarbeiter am Institut für
Produktentwicklung der Universität Karlsruhe (TH). Von 1999 an studierte er an
der Universität Karlsruhe Maschinenbau mit der Vertiefung „Produktentwicklung
& Konstruktion“. Als akademischer Mitarbeiter ist er Mitglied im Sonderfor-
schungsbereich SFB 588 – Lernende und kooperierende Humanoide Roboter. In
dieser Position arbeitet Jens Ottnad im Team für die Entwicklung und den Auf-
baus der humanoiden Roboter ARMAR. Als Mitglied der Forschungsgruppe
CAE/Optimierung am IPEK forscht er an neuen Methoden zur Strukturoptimie-
rung in dynamischen geregelten Systemen.